Sonntagspausanten von psycho_puschel ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Sonntagspausanten Es ist Sonntagabend und wir sitzen am Küchentisch Marke „Ikea – jedenfalls teilweise“. Ich wippe mit meinem Stuhl ein Stück zurück, damit ich mich an die Wand anlehnen kann, ein kleines Stück, damit er sieht, dass ich ruhig bin. Gelassen, immerhin komme ich ebenso gut wie er mit der Situation klar. Dieser Großkotz soll nicht denken, er hätte mich damit überfordert. Niemals. Joey Wheeler läuft gerade erst warm. Wieso er überhaupt noch da ist, ist mir ein Rätsel. Wahrscheinlich wieder seine versteifte Art von Machtdemonstration, Machtdemonstration in einem anderen Sinne als eben. Eben war das okay, aber eben wär auch so ziemlich alles okay gewesen für mich, denke ich. Jetzt ist jetzt, jetzt ist dieser absurde Moment, in dem du dich wie im Auge des Sturms fühlst. Du weißt, was war, du weißt, dass da was kommt, aber du kannst nicht anders als den kurzen Moment der Ruhe auszukosten. Jetzt ist der Moment, in dem du selbst halbnackt Seto Kaiba gegenüber sitzt und er dich ansieht, als wärst du Hundefutter, obwohl du der Hund bist und das alles vorne und hinten nicht hinhaut. Jetzt verwirrt mich. Aber hey, eben hat mich noch viel mehr verwirrt, deswegen ist das doch eine Besserung, irgendwie, oder nicht? Aus dem Augenwinkel bekomme ich mit, wie er sich eine Zigarette anzündet. Die dritte oder so, oder nicht „oder so“, ich weiß es ganz genau, ich hab schließlich mitgezählt. Aber was will man hier auch sonst machen. Kopf sagt eindeutig „Beweg dich jetzt bloß nicht, Alter, der killt dich.“ und weil heute Sonntag ist und auch ein Joey Wheeler einen gehorsamen Tag in der Woche haben muss, halte ich mich daran. Zumal ich mich in dieser Situation verdammt unwohl fühle, weil Kaiba auch nicht ganz er selbst zu sein scheint. Paffen und ins Leere starren war doch sonst auch nicht seins. Was, wenn er nie wieder normal wird, wenn er immer weiter ins Leere starrt und ich mich immer weiter nicht rühren kann und will und wir letztendlich hier verhungern, in meiner Küche, an meinem Möchtegernikeaküchentisch. Fuck! Ich will nicht erst... Dinge mit dem Kerl gemacht haben und dann so erbärmlich abkratzen! Das ist eines Joey Wheelers nicht würdig, und Kaiba, der echte, nicht-Löcher-in-die-Gegend-starrende Kaiba, würde bestimmt auch nicht so enden wollen. Obwohl ich es ihm gönnen würde, echt, aus Tiefstem, nachdem was er gemacht hat. Und dafür, dass ich nichts dagegen machen kann, dass mir allein bei dem Gedanken schon wieder... so wird. Dieses Magen-Zusammenziehen, was die ganzen Romantiker „Schmetterlinge im Bauch“ oder anderes kitschig nennen, ich nenne es Kotzreiz. Weil ich es verdammt noch mal Kotzreiz nennen will, weil es herunterspielt, wie beschissen es um mich steht. Kaiba berührt mich, ich muss kotzen. Ist doch allein schon von der Logik angebrachter. Und ja, ich bin ein verdammter Heuchler, aber ich bin noch lange nicht so schlimm wie Kaiba! Ich glaube, der ist nach dieser... Aktion ins Wachkoma gefallen, so wie der da sitzt. Trotzdem hab ich Schiss, jau, Schiss, weil man sich den immer noch leichter eingestehen kann als andere Dinge. Und weil Kaiba dazu einlädt, Schiss zu haben. Er ist unberechenbar in diesem Zustand, das weiß ich, das erkenn ich daran, dass allein die Tatsache, dass er so ist, wie er jetzt ist, schon unberechenbar ist, auch wenn er ja eigentlich immer ein wenig unberechenbar ist. Capisce? Und es ist nebensächlich, ja, aber dieses beschissene Kotzgefühl wird stärker, je mehr ich darüber nachdenke. Je mehr ich über ihn und seine seltsamen Eigenarten nachdenke. Wie er wohl reagiert, wenn er denn mal reagiert? Ist eigentlich wie eine Pralinenschachtel; du weißt nie, was du bekommst, blabla. Das Ding ist, Pralinen mag ich, alle, aber Kaibas Reaktionen... Ich bezweifle, dass mir auch nur eine davon gefallen wird. Ich könnte ihn rausschmeißen, könnte ich, ich weiß. Theoretisch vollkommen korrekt. Einziges Problem: Dann zwinge ich ihn doch quasi dazu, zu reagieren Er zündet sich die nächste, die vierte, Zigarette an. Wann hat er die andere ausgemacht, bitte?! Manchmal wünschte ich mir, ich könnte ihn verstehen. Muss öde sein, Kaiba zu sein, keine Frage, aber hey, ich bin nun mal neugierig. Und Kaiba ist vieles, aber er ist nicht uninteressant. Das ist jetzt nicht so schwul gemeint, wie es klingt, damit das klar ist. Aber ist doch echt so. Kaiba ist unbestreitbar kein Durchschnittsmensch. Ich bin da viel eher einer, schätz ich mal. Obwohl, es gibt da ja bestimmt die ein oder andere Person (die gerade vor einem pottenhässlichen, halbzerfallenen Küchentisch sitzt) und mich eher als Unterdurschnittsmenschen bezeichnen würde. Aber hey, hab ich kein Problem mit, ehrlich. Als würd mich die Meinung solcher Personen auch nur annähernd beschäftigen. Scheiß Kaiba. Die nächsten Minuten starre ich auf den Tisch, nicht wegen Kaiba, niemals wegen Kaiba! Ich bin müde, einfach müde, mehr nicht. Eins muss man dem Kerl lassen, er kann einen ziemlich fordern. „Oh.“ Panisch starre ich ihn an. Da! Reaktion! Kaibas Blick fokussiert sich langsam wieder, natürlich auf mich, aber gut, ich bezweifle auch, dass er so viel Interesse an meiner „geschmackvollen“ Inneneinrichtung hätte. Seine Hände liegen auf der Zigarettenschachtel, anscheinend wollte er sich die nächste anmachen. Ich bin nicht minder erstaunt, als ich feststelle, dass die Schachtel leer ist. Ich hätte nie gedacht, dass Kaiba so ein Kettenraucher ist. Er seufzt, genervt, aber ich meine, auch ein wenig Resignation rauszuhören. Dann steht er auf - ziemlich schwerfällig, kann das sein? - nimmt seinen Mantel vom Stuhl, aber er zeiht ihn nicht an. Mir kommt der Gedanken, dass ihm noch heiß sein könnte, von eben, aber eben ist auch schon fast wieder ne halbe Stunde her und ich bezweifle, dass der Eisklotz Wärme länger als zehn Minuten speichern kann. Na ja. Er geht jedenfalls aus der Küche, wortlos, und ich folge ihm, wortlos. Ich bin froh über den Tapetenwechsel und ich bin es nach wie vor, auch als ich merke, dass er zur Wohnungstür geht. Er dreht sich einmal kurz zu mir um, nickt mir zu und ich kann nicht anders, als zurück zu nicken. Mechanisch, aber immerhin reagiere ich überhaupt. Dann ist er weg. Ich schließe die Tür ohne ein Wort hinter ihm und lehne mich an die Wand. Ich weiß, dass das klischeehaft ist, ich könnte mich dafür ohrfeigen, echt mal, aber ich brauch das jetzt. Ein-, zweimal tief durchatmen und einfach entspannen. Entspannung... Und dann kommt mir auf einmal ein Gedanke, der mir noch nie gekommen ist, weil er eigentlich vollkommen absurd ist. Vielleicht ist das seine Art, zu entspannen, denke ich mir. Vielleicht braucht er das. Würd erklären, wieso wir das jetzt seit fast nem halben Jahr so machen, jeden Sonntag Abend, und wir bei mir sind, ausnahmslos. Immer. Vielleicht braucht selbst der große Seto Kaiba mal ne Auszeit von seinem Leben, vielleicht ist sein Wachkomazustand bloß gleichzusetzen mit dem normalen Entspannungszustand eines normalen Menschen. Ich finde zwar nach wie vor nicht, dass Kaiba der Inbegriff von Menschlichkeit ist, aber dass er kein Roboter ist, das hab ich auch schon ziemlich früh einsehen müssen. Ich muss kurz grinsen, weil es einfach so behämmert ist, dass er sich ausgerechnet bei mir entspannen kann. Und dann ist auf einmal das Kotzgefühl wieder da. Diesmal viel stärker als sonst. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)