Nebulöse Augenblicke von Lyn (One-Shot-Sammlung) ================================================================================ Kapitel 1: Der Fremde in der Not -------------------------------- Sie hatte keine Ahnung gehabt. Nicht das kleinste Wort, nicht einmal die kleinste Regung hatte ihr verraten, dass es irgendwann einmal so weit kommen konnte. Sie hatte es verheimlichen wollen, versuchte es sogar immer noch, doch Gott oder irgendein anderes höheres Wesen hatte eine andere Zukunft für sie ausgesucht. Entweder überging er hier einfach sein Prinzip der Gnade oder es sollte tatsächlich der richtige Weg sein. Letzteres erschien ihr so unwahrscheinlich, dass ihre Angst nur noch größer wurde. „Ran, komm schon! Auf was wartest du?“ Shinichi war stehengeblieben und hatte sich umgewandt. Die Angesprochene zuckte zusammen und ließ sich von ihm aus ihren Gedanken reißen. Sie biss sich auf die Lippe, während sie in sein Gesicht schaute. Es war von seiner unverkennbaren Ungeduld gezeichnet, wenn er mit Leib und Seele in seiner Detektivrolle war. „T-tut mir leid, ich komme.“, sagte sie leise, aber Shinichi hatte ihr bereits den Rücken zugedreht, sodass sie zu ihm aufschließen musste. Allerdings war das nicht einfach, denn alles schien sich in ihr zu sträuben, ihren Weg fortzusetzen. Mit jedem weiteren Schritt wurde ihr Panik größer und noch ein paar Schritte weiter verlor sie sogar ihren Blick für die Straße. Sie kam erst wieder zu sich, als sie donnerndes Hupen vernahm und starke Hände an ihren Oberarmen spürte. Shinichi hatte sie zurück auf den Gehweg gedrückt und blickte nun entsetzt und wütend in ihr Gesicht. „Spinnst du denn jetzt völlig!? Um ein Haar hätte dich das Auto erwischt!“ Während er tobte, schüttelte er sie leicht, Passanten blickten sie verstohlen an, aber Ran nahm nichts von dem wirklich wahr. Shinichi schien ihre Passivität nach einiger Zeit zu bemerken. Stirnrunzelnd ließ er sie allmählich los. „Was…ist eigentlich mit dir los?“ In Ran war die innere Unruhe nun so groß, dass sie sie nicht mehr länger verstecken konnte. Ihr ganzer Körper begann zu zittern. Es darf nicht passieren … es darf einfach nicht passieren! „Was-“ Weiter kam er nicht, denn Ran stand nicht mehr vor ihm, sondern begab sich mit schnellen Schritten in die Richtung, aus der sie gekommen waren. „Ran, warte!“ Besorgt und leicht verwirrt rannte er ihr hinterher und versuchte sie aufzuhalten. Als er sah, wie sie irgendwann in eine Seitengasse einbog, drosselte er sein Tempo und begab sich ebenfalls dorthin. Ihm gefiel überhaupt nicht, was er nun vor sich hatte. Ran hatte sich kraftlos an die Hauswand gelehnt, ihr Blick ging ins Leere und sie schaffte es nicht mehr, ihr Zittern unter Kontrolle zu bringen. Er darf es nicht erfahren! Shinichi näherte sich vorsichtig, um sie nicht zu erschrecken. Die Zeit verging und er konnte sich noch immer keinen Reim auf ihr Verhalten machen. Hatte es vielleicht mit dem aktuellen Fall zu tun…? Seit er sich damit befasste, verhielt sich Ran so merkwürdig. Irgendwas stimmte nicht. Er wendete den Blick von ihr ab und beobachtete die wenigen Fußgänger, die an der Gasse vorbeiliefen. „Ich weiß zwar nicht was mit dir los ist, aber falls es mit dem Fall zu tun hat und es dir zu viel wird … dann kann ich auch alleine gehen.“ Gebannt wartete er auf eine Antwort. „Shinichi … ich … du kannst nicht…“, presste Ran plötzlich mühsam hervor. Er erschrak heftig, als er ihren unnatürlich schweren Atem vernahm. Eine böse Vorahnung umfing ihn und er drehte sich blitzartig zu seiner Sandkastenfreundin um. Unverkennbar musste er mitansehen, wie Ran zu hyperventilieren begann und langsam zu Boden glitt. „Ran!“ Mit aufgerissenen Augen hielt er sie an den Schultern fest. „Ran! Ran! Kannst du mich hören!? Ran!“ widerholte er panisch, aber Ran schien ihn nicht mehr wahrzunehmen. Ihr Atem wurde nur immer hektischer, als würde sie ersticken. Ihr Gesicht wurde kalkweiß und das Zittern, welches von ihr ausging war so stark, dass Shinichi das Gefühl hatte, er würde es selber auch tun. Das war ganz und gar nicht gut. Er musste die Rettung rufen, doch er war zu erschrocken. Der Zustand von Ran nahm ihn so sehr mit, dass er sich wie gelähmt fühlte. Alles ging entsetzlich schnell. Er musste jetzt nachdenken. Was konnte er tun? Hyperventilation, Hyperventilation … was half dagegen!? Schließlich fiel es ihm wieder ein. Er brauchte eine- „Papiertüte.“ Shinichi erstarrte, als jemand seine Gedanken laut aussprach. Eine unangenehme Präsenz hatte sich hinter ihm aufgebaut. Sein Gefühl und die fremde Stimme hatten es ihm verraten. Langsam drehte er den Kopf nach hinten – ohne dabei Ran loszulassen. Vor ihm stand ein junger Mann – vielleicht zwei oder drei Jahre älter als er. Braune Haare, die etwas länger waren, zierten seinen Kopf und umrahmten sein Gesicht, welches all seine kindlichen Züge bereits verloren hatte. Seine dunklen Augen blickten ausdruckslos auf Shinichi herab. Mehr konnte er nicht erkennen. In dieser Gasse war es einfach zu dunkel. Ein unangenehmes Gefühl durchströmte ihn, während ihm sein Detektivsinn verriet, dass dieser Mann gefährlich war und irgendetwas zu bedeuten hatte. Warum es so war, wusste er nicht. „Wenn du keine bei dir hast, dann geh mir jetzt aus dem Weg.“ Die trockene Stimme des Fremden drang an Shinichis Ohr. „Wer zum Teufel bist du?“, fragte er bestimmt. „Das tut jetzt nichts zu Sache. Oder hast du vielleicht vergessen, dass sie hyperventiliert?“ Seine Worte veranlassten Shinichi, sich wieder Ran zuzuwenden, die noch immer unter dem Anfall litt und von all dem nichts mitbekam. Ran… „Wenn du eine Tüte dabeihast, dann gib sie mir!“, befahl Shinichi und spürte im nächsten Moment, wie er unsanft zur Seite gestoßen wurde, dabei hatte er vor Schreck Rans Schultern losgelassen. Der fremde Mann fing Ran auf und bettete ihren Kopf auf seinen Schoß, nachdem er sich hingekniet und sie hingelegt hatte. Als nächstes kramte er eine zerknitterte Papiertüte aus seiner Jacke und legte sie an Rans Mund. Voller Perplexität beobachtete Shinichi wie sich die Tüte aufblies und wieder zusammenzog. Dies vollzog sich nach einiger Zeit in längeren Abständen. Ran beruhigte sich allmählich. Die Rückatmung half. „Mit so etwas ist nicht zu spaßen. Man hat das Gefühl als stünde man kurz vor dem Tod.“, sagte der Fremde, als würde er das Gefühl selber kennen. Währenddessen ruhte sein Blick auf Rans blassem Gesicht. Shinichi fixierte ihn misstrauisch und verbarg seine Erleichterung. Ihm gefiel die Situation ganz und gar nicht. Am liebsten würde er Ran packen und von hier wegbringen. Doch momentan sah sie einfach zu zerbrechlich aus. Ihre Augen waren halbgeöffnet und wiesen auf tierische Erschöpfung hin. Seltsamerweise schien der Unbekannte seinen Wunsch zu spüren, denn im nächsten Augenblick befand sich Ran plötzlich in seinen eigenen Armen. „Bring sie vorsichtshalber zu einem Arzt. Man weiß schließlich nie.“, hörte Shinichi ihn noch sagen. Als er aufschaute, war er plötzlich verschwunden. Dichter Nebel der Verwirrtheit blieb in Shinichi zurück Er wusste nicht was er davon halten sollte. Wollte er vielleicht doch nur helfen? Aber warum hatte er selber dann so ein komisches Gefühl gehabt? Mit dem Mann stimmte etwas nicht, da war er sich sicher. Ein leiser Seufzer holte ihn in die Gegenwart zurück. Ran hatte die Augen geschlossen und sich nun vollständig beruhigt. Es war allerdings klar, dass sie innerlich noch nicht ganz stabil war. Ein Arzt war jetzt wirklich wichtig. Behutsam strich Shinichi ihr eine Strähne aus dem Gesicht. Er sollte in Zukunft besser auf sie aufpassen. Was Shinichi erst viel später feststellte, war die Tatsache, dass der fremde Mann erschreckend vertraulich mit Ran umgegangen war. Kapitel 2: Im Takt ------------------ Draußen rauschten die Wellen im Takt der Musik. Zumindest erweckten sie den Anschein, als wäre es so. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass keiner mehr so richtig auf die harmonischen Töne des Liedes achtete, sondern ihre ungeteilte Aufmerksamkeit dem jeweils gegenüberliegenden Menschen widmeten. Eine sonderbare Stimmung lag in der Luft. Die Sonne war schon lange hinter dem Horizont verschwunden und trotzdem schien die Hitze kein Ende zu nehmen. Schwül und unangenehm, drohte sie alles Lebendige zu erdrücken. Allerdings war ihre Anwesenheit mehr als willkommen, schließlich war sie die einzige Kraft, die in der Lage war, Gefühle elegant zu überspielen. Und genau das, schienen beide Seiten gerade zu benötigen. Ihre und seine Gefühle waren stark, ihre Begierden füreinander beinahe unerträglich, doch keiner von beiden wagte es, sie zu offenbaren oder gar zu stillen. Eine Zwickmühle, der sie eigentlich mit Leichtigkeit entgehen konnten. Ein Wort oder eine Bewegung würde schon die Befreiung bedeuten. Sie verlor sich in den Tiefen seiner blauen Augen, konnte ihr noch unsichtbares Glück kaum fassen und spürte deutlich die wunderbarme Wärme, die von ihm ausging. Irgendwann waren keine Worte mehr gefallen. Ihre Blicke hatten die Rolle des Sprechens übernommen und herrschten nun über die Lage. Ihr brach allmählich der Schweiß aus. Ob es aufgrund der Hitze oder der momentanen Situation war, wusste sie nicht - sie wollte es auch nicht wissen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, während ihr Atem sich beschleunigte. Sie begehrte ihn, begehrte ihn so sehr, dass sie sich nicht länger halten konnte. Und gerade als sie etwas sagen wollte, spürte sie plötzlich wie er mit seiner Hand sanft durch ihre Haar fuhr. Sein Gesicht hatte sich ihrem deutlich genähert, sodass sich in ihr ebenfalls der Drang entfachte, ihn zu berühren. Er schaffte es immer wieder, sie aus der Fassung zu bringen. Alleine seine Anwesenheit reichte dafür schon aus. Vorsichtig, darauf bedacht, nicht den Verstand zu verlieren, streckte sie ihre Hand nach ihm aus und strich über die Brust seines scheinbar perfekten Körpers. Sie wusste, dass es eine gewagte Geste war, doch mit jeder Sekunde fühlte sie mehr, dass sie beide das Gleiche empfanden. Eine Böe der Geborgenheit erfasste sie. Wie lange hatte sie darauf warten müssen? Die Situation war so schnell eingetreten, dass sie das Gefühl hatte als würde sie auch gleich wieder verwehen, so wunderschön – so unwirklich. Dieser Gedanke ließ sie panisch werden, trieb sie dazu an, weiterzumachen. Ihre Hände krallten sich in sein Hemd, sie kam ihm so nahe wie sie konnte und er antwortete ihr. Er nahm ihren Kopf sachte in beide Hände und zog sie so an sich heran. Die Luft schien zu brennen. Stirn an Stirn waren sie sich nun gegenüber und genossen die Gegenwart des jeweils anderen. Sie spürte seinen Atem auf ihrem Gesicht, konnte ihn beinahe schmecken. Ihr gesamter Körper spielte verrückt und schrie förmlich nach seinen Berührungen. Auch das letzte bisschen Distanz wollte sie nun überwinden. Und gerade als sie ihre Lippen auf seine legen wollte… …fiel sie in ein schwarzes Loch. Das Rauschen der Wellen verklang. Stumm und taub, begann sie in den Abgrund zu fallen. Erst nach unzähligen Augenblicken ertönte mehr und mehr ein Geräusch, welches einen tiefen Stich in ihr Herz versetzte. Und als sie widerwillig die Augen geöffnet hatte und den Regen hinter der Fensterscheibe erblickte, verstand sie, was gerade vor sich gegangen war. Im schmerzlichen Takt der Einsamkeit flossen nun die Tränen über Rans Wange. Kapitel 3: Neue Seiten - Tödliche Seiten ---------------------------------------- "Es wird dich irgendwann umbringen." Shinichi wandte sich der plötzlich veränderten Stimme, die verblüffenderweise zu seiner Sandkastenfreundin gehörte, zu. Ihr Tonfall trug scharfe Ernsthaftigkeit und sogar leichten Vorwurf mit sich, was ihn normal überhaupt nicht charakterisierte. Allerdings war es nicht nur ihr Tonfall. Ihre Worte verwirrten ihn nur noch mehr. Das war nicht die Ran, die er kannte und liebte. "Was?", sagte er und studierte die Mimik seiner Freundin. Blaue Augen, die ihren lieblichen Glanz verloren hatten, blickten ihn finster und irgendwie ausdruckslos zugleich an. Beinahe ängstlich stand er Ran gegenüber und wusste sich nicht zu helfen. "Deine Art dich zu geben, wird dich irgendwann töten, ist dir das eigentlich klar?", zischte sie und Shinichi wich innerlich vor ihr zurück. Diese Kälte... "Was meinst du? Ich verstehe nicht!" Ran lachte bitter auf, wobei ihre Stimme ein leichtes Zittern mit sich trug. "Du verstehst nicht!? Ich glaube du weißt sehr wohl wovon ich rede. Oder aber du trägst es schon so unbewusst in dir, dass du es gar nicht mehr verstehen kannst. So oder so ... ich kann es nicht mehr ertragen! Schon vor deiner Zeit als Conan hattest du diese nervenraubende Eigenschaft in dir, die mich bis zum heutigen Tag in den Wahnsinn getrieben hat. Bis heute..." Sie senkte den Blick, als ihre Stimme leise und brüchig wurde. Shinichi starrte sie an und versuchte sich einen Reim auf ihre Worte zu machen - jedoch vergebens. Dafür erfassten ihn jetzt die Gewissensbisse und die Sorge, da er genau spürte, dass Ran innerlich sehr aufgewühlt war. Was konnte er tun? Was hatte er nur falschgemacht? Verdammt nochmal! "Ran...ich weiß ehrlich nicht was das jetzt soll. Erkläre es mir bitte!", bat er sie vorsichtig. Ran sah mit einem gequälten Gesichtsausdruck auf, ihr Atem ging schwer und er sah deutlich wie ihre Unterlippe zitterte. "Ich soll es dir erklären..? Das ist nicht nötig. Sieh' doch einfach einmal an dir herunter!", ihre fast geflüsterten Worte wurden zu einem weinerlichen Schreien, als sie mit dem Finger auf seinen Körper deutete. Shinichi gehorchte ihr reflexartig und sah langsam an sich herunter. Im ersten Moment traf ihn der Schock, als er den gigantischen Blutfleck in seinem Brustbereich erblickte. Und nachdem ihm Rans vorige Worte wieder in den Sinn kamen, kehrte auch allmählich der Schmerz in sein Bewusstsein zurück. Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. So ist das also. Ran war zu ihm gelaufen. Als Shinichi aufsah, bemerkte er sofort, dass sie mit den Tränen kämpfte. Das war seine Ran. "Shinichi, du musst damit aufhören! Sonst wird es dich irgendwann umbringen!" Er lachte leise und ignorierte dabei den Schmerz. "Zu spät.", sagte er während seine Sicht verschwamm und er den Boden unter den Füßen verlor. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)