Sag niemals "so viele du willst" von LittleJojox ================================================================================ „Oh man, ich hasse diese Überstunden!“ Laut gähnend betrat ich die Verwaltungsabteilung der Vereinigung zur Entsendung von Shinigami. „Im Ernst, William, ich bin echt urlaubsreif.“ Über einen riesigen Papierstapel hinweg warf der Angesprochene mir einen vernichtenden Blick zu. „Dieser Nichtsnutz von Sutcliff ist mal wieder nicht auffindbar, Ronald hinkt mit seinem Papierkram schon Tage hinterher und Alan ist immer noch nicht hier, obwohl seine Schicht schon vor 10 Minuten angefangen hat, und du hast nichts Besseres zu tun als dich über deine Stundenzahl zu beschweren?! Verdammt, ich…“ „ Was soll das heißen, Alan ist noch nicht hier, er verspätet sich NIE!“ Ohne auch nur einen weiteren Gedanken an meine Arbeit zu verschwenden, steuerte ich dem Ausgang entgegen. Irgendetwas stimmte nicht, da war ich mir sicher. William versuchte mich aufzuhalten: „Eric Slingby, was soll das werden?“ Ich antwortete ihm nicht. Keine fünf Minuten später stand ich vor der Tür des kleinen Häuschens, in dem Alan allein wohnte. Wann war ich zuletzt hier gewesen? Das leise Rauschen der Bäume ringsum befremdete mich jedes Mal aufs Neue. In meinem Umfeld war es solange ich denken konnte nie leise gewesen. Trubel, Geschrei, ein ausschweifendes Nachtleben- das war meine Welt. Das hier war das genaue Gegenteil, abgeschieden und still; als hätte man Watte in den Ohren. Wie man so leben konnte, war mir ein Rätsel. Ich klopfte- zum dritten Mal! Mein ungutes Gefühl wuchs. Ach scheiß drauf, dann würde ich die Tür eben eintreten! Wofür Kampftraining nicht alles gut war… Nun ja, das Schloss war zwar schrottreif, aber immerhin war die Tür jetzt offen. Beim Eintreten lauschte ich auf etwaige Geräusche, die mir verrieten, ob Alan überhaupt noch zu Hause war oder ob ich die Tür umsonst eingetreten hatte. Konnten diese scheiß Vögel nicht mal den Schnabel halten?! „Alan?“ Keine Antwort. Ich hatte nicht wirklich etwas anderes erwartet. Plötzlich glaubte ich jedoch, ein leises Stöhnen aus Richtung Küche zu vernehmen. Ich eilte dorthin. Mein Gehör hatte mich nicht getäuscht. Was ich sah, toppte allerdings sogar noch meine Befürchtungen. Alan war auf dem Küchenboden in sich zusammengesunken und offensichtlich so weggetreten, dass er mein penetrantes Klopfen nicht einmal wahrgenommen hatte. „Verfluchter Mist!“ Ich ging vor ihm in die Knie. „Alan? Alan? Hey, verdammt, Alan komm zu dir!“ Alans Lider flatterten; das war aber auch schon die einzige Reaktion, die ich ihm entlocken konnte. „Oh, das wird ganz sicher Streit geben“, murmelte ich vor mich hin, während ich ihn hochhob und in sein Bett verfrachtete. Ich hatte die letzte Stunde damit verbracht, das Türschloss notdürftig zu reparieren und war gerade dabei, literweise Suppe und Tee zu kochen, als jemand so energisch an der Tür klopfte, dass ich fürchtete, diese würde jeden Augenblick gänzlich zu Bruch gehen. Allein schon der Krach, der dabei entstand, veranlasste mich, in rekordverdächtiger Zeit zu öffnen. Bevor ich allerdings zu einer Schimpftirade gegen den Störenfried ansetzen konnte, hielt der mir schon seine Death Scythe unter die Nase. Und in Anbetracht der Tatsache, dass William wirklich extrem angefressen wirkte, hielt ich es für klüger, zur Abwechslung einmal meine Klappe zu halten. Oh man, ich hatte nun wirklich schon so manches Mal Mist gebaut, aber William so wütend zu machen, dass der sich dies sogar anmerken ließ, war bisher außer Grell wohl noch niemandem gelungen. Also tief Luft holen und dem Ansturm standhalten… Das war allerdings leichter gesagt als getan. Denn William hatte kaum den Mund aufgemacht, als ich hörte, dass sich Alan im Schlafzimmer endlich regte. „Sorry, keine Zeit. Ich schieb dafür ab morgen so viele Überstunden wie du willst!“ William konnte gar nicht so schnell reagieren, wie ich ihm die Tür wieder vor der Nase zuschlug. Vielleicht hätte es mich wundern sollen, dass William dies einfach so hinnahm, doch in diesem Moment hatte ich nun wirklich anderes im Kopf. Vorsichtig linste ich ins Schlafzimmer- und hätte bei Alans verwirrten Blick entgegen jeder Logik beinahe losgelacht. „Na, wieder wach?“ Gegen den Türrahmen gelehnt besah ich meinen unfreiwilligen Patienten. Der setzte sich gerade vorsichtig auf, offenbar unschlüssig, was er von der Situation halten sollte. Eine gefühlte Ewigkeit sah Alan mich einfach nur schweigend an. Die Spannung, die plötzlich in der Luft lag, war schon fast mit Händen greifbar. Ich wollte ihn schon fragen, ob er seine Zunge verschluckt habe, als er mich mit bitterer Stimme fragte: „Was soll das, Eric?“ Okay, ich hatte ja damit gerechnet, dass Alan nicht unbedingt davon begeistert sein würde, dass ich ihn durch die Gegend getragen hatte, aber war ein einfaches „Danke“ wirklich zu viel verlangt? Ich hatte jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder ich blieb ruhig und wartete einfach ab, bis Alan sich wieder eingekriegt hatte, wofür ich wirklich sehr geduldig hätte sein müssen; oder ich feuerte zurück, was einen heftigen Streit garantiert hätte. Ich entschied mich dafür, es erst einmal mit Variante 1 zu versuchen. „Was soll was? Du bist nicht zur Arbeit erschienen, also blieb mir als dein Senpai ja wohl nichts anderes übrig als nach dem Rechten zu sehen.“ Ich wusste, wie kalt ich in diesem Moment klang. Aber immer noch besser, als rumzuschreien, oder? „Du weißt genau, dass dir sehr wohl etwas anderes übrig geblieben wäre. Ich brauche dich nicht als Aufpasser.“ „Das sah vorhin aber ganz anders aus…“ Verdammt, meine Beherrschung hing schon jetzt am seidenen Faden. Nun, zumindest war ich da nicht der einzige. „Mir geht’s gut, ich brauche deine Hilfe nicht!“ Also, das hatte er definitiv lauter gesagt als nötig. Mit einem Schritt stand ich direkt vor Alans Bett. Jegliches diplomatisches Geschick meinerseits hatte sich gerade in den Urlaub verabschiedet. Wütend beugte ich mich so nahe zu ihm, dass unsere Gesichter sich fast berührten. Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. „Wer soll dir diesen Mist denn bitte abkaufen? Du warst ja nicht mal mehr bei Bewusstsein als ich hier ankam. Mir ist klar, dass du keine Hilfe willst, aber weißt du was? Das ist mir scheißegal. Tut mir ja furchtbar leid, aber dummerweise liegt mir was an dir. Also werde ich alles in meiner Macht Stehende tun, um dir zu helfen, ob dir das nun gefällt oder nicht.“ Abrupt fuhr ich hoch und drehte mich um. Memo an mich: Dringend an meiner Selbstbeherrschung arbeiten! „Also“, ich bemühte mich -vergeblich- um einen normalen Tonfall, „ich sollte jetzt wohl lieber gehen.“ Einfach Richtung Tür, einen Fuß vor den anderen, das konnte doch nicht so schwer sein! „Eric?“ Alans Stimme klang so bedrückt, dass ich mich nicht traute mich umzudrehen. Ich blieb einfach wie angewurzelt stehen. Feigling! „Es tut mir leid. Ich… ich habe einfach Angst, dass… dass ich irgendwann nicht mehr in der Lage bin, zu sagen, dass es mir gut geht.“ Verdammte Scheiße, ich würde jetzt NICHT rumheulen! Reiß dich zusammen, Eric!!! Ich holte tief Luft und drehte mich um. Ich schaffte es sogar irgendwie, zumindest so etwas Ähnliches wie ein Lächeln zustande zu bringen. „Oh man, Alan, du glaubst doch nicht wirklich, dass ich gegangen wäre, oder? ...Ach ja, du brauchst übrigens ein neues Türschloss.“ Darf ich vorstellen: Der Themenwechsel. Ein zuverlässiges Mittel um von unangenehmen Situationen abzulenken. Alan sah mich vollkommen schockiert an. „Du hast das Schloss zerschmettert?!? Das war ein Sicherheitsschloss! Wie in aller Welt hast das denn kaputt bekommen?“ Noch bevor ich mit meinen perfekt präzisierten Tritten prahlen konnte, rümpfte Alan plötzlich die Nase. „Irgendwie riecht es hier verbrannt.“ Verfluchter Mist, ich hatte die Suppe vergessen! Total übermüdet betrat ich am folgenden Tag das Büro- und blieb völlig perplex stehen. Mein Schreibtisch brach fast zusammen unter riesigen Bergen von Papieren. Hinter mir erschien William mit einem weiteren Papierstapel. Hatte ich irgendwas verpasst? „Was ist hier los, William?“ Der legte den Stapel in seinen Händen erst einmal in aller Seelenruhe auf meinem Schreibtisch ab, bevor er es für nötig hielt, mich zu beachten. „Was soll los sein?“ Wollte der mich verarschen? Also so langsam wurde ich wirklich ungeduldig. „Na, das da“, ich wies auf den ganzen Papierkram, „was soll ich damit?“ „Ach, DAS“, der Arsch besaß doch tatsächlich die Dreistigkeit so zu tun als hätte er erst jetzt begriffen, was ich meinte, „das sind die Papiere, die du ab heute jeden Tag nach deiner Schicht abarbeiten wirst.“ „WAS?!?“ Ich musste mich verhört haben. Da müsste ich ja monatelang Überstunden schieben. Völlig überrumpelt wie ich war, brachte ich nur ein einziges Wort heraus: „Warum?“ „Nun ja“ -bildete ich mir das ein oder lächelte William?- „sagtest du nicht, du würdest als Wiedergutmachung für dein Fehlen gestern so viele Überstunden schieben, wie ich will?“ Ohne ein weiteres Wort verließ er den Raum. Erschöpft und unter Kopfschütteln ließ ich mich auf meinen Stuhl fallen. Zweite Memo an mich: Niemals zu William sagen „so viele du willst“! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)