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It all just had started in a wrong way...

Kaoru x Kyo
von

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Was die Zukunft bringen wird...

Als das neue Schuljahr angefangen hatte, hätte ich niemals damit gerechnet, dass es diesen Verlauf nehmen würde. Alles hätte so normal ablaufen können: Neue Schüler, alte Lehrer, dieselben Freunde und dieselben anstrengenden Fächer mit allerdings anspruchsvolleren Themen und Fachgebieten. Also das, was eh an jedem neuen Jahr ablief und auch immer so weitergeführt werden sollte, bis entweder der Untergang der Welt eingeleitet werden, oder irgendwelche Amokläufe von überdrehten Schülern die Neuankömmlinge begrüßen sollte.

Ich war noch nie ein wirklich optimistischer Mensch gewesen und dazu stand ich auch einigermaßen, schließlich konnte nicht jeder immer das Gute in so ziemlich Allem sehen und ich war dann eher ein Realist, der wahrscheinlich zu schnell aufgab, dafür aber so gut wie nie verletzt wurde. Also wer war nun besser dran? Die Positiven oder eher ich? Darüber kann man später noch debattieren, nun weiter zu dem, was ich meinen ‚Alltag’ nennen darf:
 

Üblicherweise war es Gesetz an unserer Schule, - um Vorurteile auszumerzen, muss ich anmerken, dass sie zwar von so ziemlich Allen als Eliteschule angesehen wird, hier jedoch alles andere, als Disziplin und Ordnung herrschte… - dass wir alten Hasen den Neuen einen ehrenvollen Empfang darbieten sollten. Peinlich für so ziemlich alle Anwesenden – dennoch musste es getan werden, wenn man nicht für den Rest des Jahres von den Lehrern in den Spießrutenlauf geschickt werden wollte. Und so, wie jedes Jahr, fand es auch dieses Mal statt.

Doch in genau diesen mir so gleichgültigen Feierlichkeiten, fiel mein Blick auf ihn und ich konnte spüren, wie ich meinen Blick nicht abwenden konnte.

Gefesselt von seinen goldigblonden Haaren, der kleinen, allerdings keineswegs schmächtigen Statur und diesem hasserfüllten Blick. Er war anders, als alle, die diese Schule besuchten und besuchen wollten. Er schien unfreiwillig anwesend zu sein; am liebsten wieder gehen zu wollen. Und genau er war der Einzige, der mich so stark wie noch Niemand zuvor aus der Bahn werfen und meine gesamte Ansicht auf ganz verschiedene, eigentlich vollkommen normale Dinge ausschlaggebend verändern; ja, um nicht sogar zu sagen vernichten sollte…
 

Ich wollte weder, dass er in mein Leben tritt, noch, dass er genauso schnell, wie er aufgetaucht war, wieder verschwindet. Das Einzige, nach dem ich mich gesehnt hatte, war, meine Ruhe zu haben, doch das sollte mir mit jener Bekanntschaft wohl für eine ganze Weile verwehrt bleiben.
 


 

Oh, das Wichtigste habe ich wohl vergessen:

Mein Name lautet Kaoru…

Und dies ist meine Geschichte.

Denn hier lief grundsätzlich alles falsch, was nur falsch laufen konnte.

Glaubt mir.
 

Prolog – Ende.
 

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So, der Prolog zu meiner ersten, FF…Ich hoffe, sie gefällt euch, wenn ich denn soweit kommen sollte… x’D

Kommis sind sehr gern gesehen, genauso wie Favos. ^____________^ Wir sehen uns im ersten Kapitel wieder! <3
 

LG, Nagi.

*^*

Ich kenne dich doch gar nicht!

Dunkelheit. Doch keine angenehme Dunkelheit, wie er sie mochte, wenn er einmal in sein gehirnabwesendes Tief gefallen und in die philosophischen Sphären eingetaucht war – und das kam nur selten vor. Nein, die Dunkelheit, die in dieses Mal umgab, war kalt.

Gefühllos, ruhelos, orientierungslos.

Er tastete sich unsicher durch die Dunkelheit. Unwissend, ob er eventuell über den Rand des unsichtbaren, aber sehr wahrscheinlich vorhandenen, Bodens hinüber schreiten und fallen würde. Ewig fallend… Warum war hier nichts? Oder hatte man ihn in ein gigantisches Laufrad gesteckt, in welchem er nicht voran, aber auch nicht zurückweichen konnte? Um diese Frage zu beseitigen, versuchte der Schwarzhaarige etwas vor sich berühren zu können. Irgendein Gitter; eine Stange oder ähnliches. Doch hier war nichts. Einfach nur ein unendlich langer und dunkler Gang, mehr nicht…

Doch da erblickte er etwas in weiter Ferne. Es sah aus, wie ein Mensch. Ein Junge, um genau zu sein, mit dem Rücken zu ihm gewandt. Doch warum befand auch er sich in dieser Dunkelheit?

Entschlossen setzte er seinen ersten Schritt dem Jungen entgegen, streckte seine Hand aus, beschleunigte seinen Schritt, wollte so schnell wie nur möglich eine Antwort haben; wollte nicht mehr allein sein, lieber seine Sorgen mit jemandem teilen. Seine Augen hafteten an dem schwarz-weiß gestreiften Oberteil, – es wahr vermutlich aus Baumwolle - wanderten weiter zu dem Nacken; zu den Haaren. Blonde Haare. Selbst in dieser Dunkelheit schienen sie zu leuchten, wie radioaktives Gold aus irgendwelchen Trickfilmen. Doch bevor er den Kleinen weiter mustern und analysieren konnte, fasste seine eigene, bleiche Hand schon an den fremden, langen Arm und -

Riss ihn ihm mit Leichtigkeit hinaus!
 

Kaorus Blick erstarrte. Er konnte ihn nicht von dem entrissenen Körperteil abwenden, konnte es auch nicht loslassen, so gelähmt war mittlerweile auch schon sein Körper. Doch wider seinen Vorstellungen von Blut und Fleisch, jagte etwas anderes ihm die Gänsehaut über den Rücken und ließ seine Nackenhaare senkrecht stehen: Maden. Verwesendes Muskelgewebe, spröde, dunkelgelbe Knochen und eine entsetzlich hohe Anzahl an Maden und Würmern…Parasiten.

Dieser so unschuldig scheinende Junge war lebendig verwest!

Durch diese Erkenntnis wachgerüttelt, stolperte Kaoru zurück, ließ das abgetrennte, verweste Glied fallen, fand sich auf dem Boden, wie er ihn erkennen konnte, wieder, wollte einfach nur flüchten doch…Irgendetwas hielt ihn bei den Knöcheln fest. Hände! Hautlose, blutüberströmte Hände, die aus dem Boden ragten und mit einer Verbissenheit den Schwarzhaarigen am Boden festhielten, wie er sie noch nie kennen lernen musste.

Angst stieg in ihm auf, ließ sein Herz schneller schlagen, schaltete sein Gehirn ab und ließ ihn mit seinen eigenen, heftig zitternden Händen nach Jenen greifen. Ein vergeblicher Versuch sich zu befreien, denn kaum hatte er die glitschigen Pranken umfasst, bemerkte er, wie sich etwas ganz langsam, um nicht zu sagen in Zeitlupe, zu ihm umwandte. Dieser Junge! Sein Blick schnellte hinauf, zeigte Angst und tiefes Entsetzen: Das Gesicht, welches er nun erkennen konnte; von der Person, die zuvor seine Hoffnung innegehalten hatte, war zu einer Hälfte schon entblößt. Zwei Augen blickten ihm entgegen. Eines tief in dem verhungerten, knochigen Gesicht, das andere blutig, nur von wenigen Sehnen in der Augenhöhle gehalten, blickten ihm mit einem vergnügten, breiten Grinsen entgegen, setzte tapsige Schritte auf ihn zu, verlor erst Fingerkuppen, die auf den dunklen Boden fielen, ihn in eine tiefrote Farbe tauchten, die sich immer weiter ausbreitete; den Boden allmählich verflüssigten.
 

„Hau ab!!“

Eher ein Flehen, als eine Aufforderung. Kaoru wusste nicht mehr weiter, hielt nur seine Arme schützend vor sein Gesicht. Was auch immer nun passieren würde…

Es passierte gar nichts?

Er spürte den Griff der Hände nicht mehr. Der flüssige Boden schien mit einem Mal wieder seine ursprüngliche Standfestigkeit wiedererlangt zu haben…Vollkommen verängstigt wusste er nicht, ob er seine Augen entblößen und den Alptraum vom neuen beginnen lassen sollte. Bis er dieses kindliche Wimmern vernahm.

Doch als er die Arme senkte-
 

„Aaaah!“

Schlagartig schreckte der durchnässte Gitarrist hoch, atmete heftig ein und aus, konnte noch gar nicht verstehen, wo er war.

Er war in die Realität zurückgekehrt. In die Realität?

Müde, erschöpft aber gleichzeitig auch überglücklich legte er eine Hand an seine Stirn, bemerkte, dass diese feucht war. „Nur ein Traum…“ Abwesend wischte er den Schweiß an der Bettdecke ab und blickte dem Wecker entgegen, der nur monoton im selben Rhythmus schlug und sechs Uhr in der Frühe anzeigte.

Und das an einem Samstag!

Kaoru konnte es nicht fassen, strich sich ruhig über seine Augen, verharrte einen kurzen Moment so und erhob sich schließlich aus dem klitschnassen Bett. Erstmal duschen, dann konnte er ja weitersehen. Und so schritt er in einem verzögerten Tempo in das Bad, zog Unterhose und T-Shirt aus – beides klebte an ihm wie eine zweite Haut – stellte sich unter die Brause und stellte das Wasser an. Schön kalt…so konnte er auch mental zurück in die Realität kommen, den Traum verarbeiten und sich wieder auf alles Andere konzentrieren.

Er spürte, wie sich jeder einzelne Tropfen durch seine schulterlangen, kräftigen Haare kämpfte, Jene mit sich hinunterzog und schließlich Kopfhaut, Nacken, Rücken und alle restlichen Körperteile erreichte. Das erste, wirklich angenehme Gefühl an diesem noch so jungen und doch schon horrorgeschwängerten Tag. Doch wie konnte es nur zu diesem Traum kommen?

Während der Realist das Wasser nun etwas wärmer stellte, dachte er wegen einer Antwort zu der Frage nach: Hatte er vielleicht zu viele Horrorfilme gesehen oder einen Thriller am Vorabend gelesen? So schön es gewesen wäre: Er musste es verneinen. Wäre auch zu einfach gewesen…

Aber was hatte er denn nun am Vorabend getan? Eigentlich war er nur nach dem ersten Schultag – glücklicherweise dieses Jahr ein Freitag – nach Hause gekommen, hatte ein wenig musiziert um sich abzulenken...
 

„Ah! …Oh.“

Nun fiel Kaoru auch ein, weswegen er sich ablenken wollte: Und zwar von ihm.

Dem Jungen mit dem blonden Schopf.

…Peinlich.

Nachdem der Schwarzhaarige sich eingeseift und wieder abgespült hatte, trat er aus der Dusche, schnappte sich schnell eines dieser wolligweichen Handtücher, die seine Mutter immer in den kleinen Holzschrank mit den Hygiene- und Kosmetikartikeln steckte, und legte es sich um die schlanke Hüfte. Ein Zweites benutzte er für seine triefenden Haare. „Er…“

Ein Seufzer entwich ihm, während er sich der Tatsache bewusst wurde, dass der Alptraum wohl oder übel durch den Kleineren ausgelöst worden sein musste. Durch welche kranke Fantasie oder Gedankengang auch immer…

Flink war der feuchte Körper abgetrocknet und auch schon mit neuen, sauberen Kleidern bedeckt, schlich man sich auch schon mit einer Packung Zigaretten auf den Balkon um sich endgültig den Kopf frei zu blasen von all den Gedanken, für die man normalerweise viel zu müde war.

Den Filter, ummantelt mit dem feinen Papier, welches gefüllt mit dem luftigen Tabak – eindeutig Geldverschwendung mit dem vielen Nichts darin - war, steckte er sich fast behutsam zwischen die fein geschwungenen, blassen Lippen und versuchte das offene Ende mit dem nicht ganz so wunderbar funktionierenden Feuerzeug anzubekommen. Immer derselbe Kampf…Er sollte sich wirklich mal ein Neues zulegen…

Nach einigen Anläufen konnte er dann doch den ersehnten, verschwimmend-blauen Rauch einatmen, inhalieren, genießen und nach einer dreiviertel Minute elegant und bedacht wieder ausatmen, während er dem Rauch beinahe traurig nachsah, als würde ihn ein guter Freund verlassen. Na ja, im Grunde gesehen, war er auch sein treuester Freund. War er schon immer gewesen; in all den Jahren, in welchen er schon diese Tabakwaren konsumierte. Freunde kamen und gingen. Auch Freundinnen; Partnerinnen für eine kurze Zeit – Der Rauch war ihm immer geblieben. Ob nun im gasförmigen Zustand oder in dem gewünschten Zustand einer guten Zigarette. Wie er immer so dem verschwindenden Rauch hinterher blickte, fühlte er sich einfach nur zufrieden. Dann, wenn er seine Ruhe genießen konnte; wenn er alle Sorgen und Einflüsse vergessen und einfach nur entspannen konnte. Dies waren meist auch die Zeiten, in denen er sich wohl so ziemlich das Kitschigste beziehungsweise das Merkwürdigste ausdachte und für wenige Momente darüber sinnieren konnte.

Und was war es in diesem Moment?
 

Blonde Haare…

Ein rundes Gesicht…

Und diese stechenden Augen.
 

Wie kam es nur dazu, dass er auch zu dieser unchristlichen Zeit an den Fremden denken musste? Er kannte weder seinen Namen, noch seine Herkunft oder sonst was…Warum faszinierte er ihn dann nur so ungemein? Wenn das der Anfang von seinem Wochenende sein sollte, dann würde es wohl länger und zäher werden, als er es sich zu wünschen wagen würde.

Prost, Mahlzeit!
 


 


 

~*~
 


 


 

Wie prophezeit war das Wochenende nur schleichend vergangen:

Nachts konnte er – geplagt von seinen Gedanken, Alpträumen und einigen Freunden, die früh Morgens um zwei Uhr nichts besseres zu tun hatten, als den Schüler vollkommen betrunken und schon gar nicht mehr bei Vernunft anzurufen und mit irgendwelchen Angelegenheiten zu plagen – meist gerade dann, wenn er ein, zwei Stunden geruht hatte -, die ihn nun wirklich nicht interessierten, er allerdings auch zu höflich war, um einfach entnervt aufzulegen. Ein Wochenende, welches man mit Sicherheit niemals wiederholen wollen würde…

Und nun? Nun war Montag, der erste, richtige Schultag. Kaoru war auf dem Weg zur Schule und konnte nur hoffen, dass die Ringe unter seinen mandelförmigen, durch den Pony fast verdeckten, Augen nicht all zu deutlich sein Gesicht einnahmen. Wunschdenken? Auf jeden Fall.

Als er auf dem Hof ankam, begrüßten ihn verschiedene neue und aber auch alte, bekannte Gesichter. Die Begrüßungen, die sie wohl aussprachen, verstand er nicht, da seine Ohren, verdeckt durch die dunkelblauen Kopfhörer, allein die Töne seiner Lieblingsmusik vernahmen und auch im Grunde nichts anderes mehr vernehmen wollten. Spätestens, wenn er im Unterricht saß, konnte er so oder so abschalten.

Verlassen von Gedanken, Vorstellungen und Wünschen. Die absolut perfekte Welt für den momentan so gestressten Gitarristen.

So begann er also auch nicht, nach seinen Klassenkameraden zu suchen, sondern machte sich gleich auf den Weg durch die schon zum bersten gefüllten Schulgänge, hin zu ihrem ehemaligen Klassenraum. Jedenfalls war dies sein Ziel und er wusste auch, wie er dieses am schnellsten und sichersten erreichen konnte. Doch gerade, als er nach der Türklinke greifen wollte, öffnete sich diese wie von selbst; kam ihm entgegen und gab seinen rothaarigen Freund preis.
 

„Kaoru! Du kommst genau richtig!“
 

Bevor der Schwarzhaarige realisieren konnte, was mit ihm geschah, hatte der Rothaarige ihn schon längst an der Hand ergriffen und zog ihn nun eifrig mit sich. „Das MUSST du dir anhören! Die Mädchen haben gesagt, wir bekommen einen neuen Schüler! Also…Ja klar bekommt die Schule allgemein neue Schüler…Aber unsere Klasse auch!“, sprudelte es nur so aus ihm hinaus.

Seufzend musste sich der Größere das aufgeregte Schnattern Die’s – der eigentliche Name seines besten Freundes lautete Daisuke, doch alle waren sich einer Meinung, dass dieser Name viel zu harmlos klang – anhören, da er kurz vor dem versuchten Öffnen der Türe die Köpfhörer abgenommen und die Musik abgeschaltet hatte. Wohl ein Fehler.
 

„Aha, und das interessiert mich, weil?“
 

„Weil? Weil es ungewöhnlich ist, dass jemand im neuen Jahr auf eine andere Schule geht!“, fauchte der Rothaarige, zerrte weiter die große, bekannte Gestalt hinter sich her. „Außerdem meinen die Mädchen, dass er wohl schon sehr oft die Schule gewechselt hat!“
 

Ein müdes Grinsen überkam Kaoru. Ein Neuer mit Vergangenheit. Klang ja so interessant.

Na ja, vielleicht war er ja nett? Oder er würde eher ein einsames Bild darstellen – Noch besser. Er konnte in sich Neugierde entflammen spüren und auch nichts gegen dieses Gefühl tun. Wenn Die doch nicht so hasten würde!

Nachdem sie fast durch das ganze Gebäude gesprintet waren, steuerte der Kleinere dass Sekretariat an, in welchem man durch eine gläsernen Wand hindurch in das Büro des Schulleiters sehen konnte – und mit einem Mal wusste Kaoru wieder, warum er am liebsten leere Gänge benutzte: Gestaut in und außerhalb des gesuchten Raumes standen Menschen – Schüler vom Großteil weiblichen Geschlechts, die ihren Wissensdurst stillen wollten; den Neuen sehen wollten. Der Schwarzhaarige konnte sich jedoch wohl als Einziger nicht erklären, was an ihm so atemberaubend sein sollte; nun gut, er war gewechselt. Und das öfter. Doch war das wirklich so anziehend?

Im Grunde war er kein Stück anders, außer, dass er auch warten konnte. Und wenn es sein müsste, auch eine kleine Ewigkeit…
 

„Hey! Hey, lasst mich durch, na los!“

Befreit von dem Rotschopf, lehnte er sich an eine Wand – Eine rauchen käme jetzt super – und betrachtete die große, alte Uhr, die ihm gegenüber aufgehängt war. Er mochte Menschentrauben nicht. Oder zu großes Verlangen, alles erfahren zu müssen. Dies war ihm viel zu aufregend. Sollten sich doch alle um den Blick auf den Neuen streiten, früher oder später würden sie es sowieso erfahren. Und zweifelhaft war auch, dass der Neue diese plötzliche Aufmerksamkeit genießen würde.

Noch eine Dreiviertelstunde bis Unterrichtsbeginn…Und er konnte an nichts Anderes denken, als daran, schnell nach Unterrichtsschluss nach hause zu gehen und den versäumten Schlaf nachzuholen. Ein Königreich für ein Bett!
 

In seiner Gedankenwelt gefangen, vernahm Kaoru die Geräusche um sich herum nicht. Zwar lag sein Blick auf dem sich immer im Kreis drehenden, tiefschwarzen Zeiger der weißen Miniaturausgabe einer Bahnhofsuhr, doch sein Geist war weit entfernt. Viel zu weit, als dass man einen Ort nennen konnte. So stand er einfach nur da, abwesend und doch anwesend, augenscheinlich ruhig und doch innerlich aufgewühlt, schien schon längst mit offenen Augen zu schlafen, auch wenn diese sich langsam wie aus eigenem Willen von selbst einen anderen Fokus suchten, ihn dazu brachten, den Flur entlang zu sehen, ihn zurück in die Realität und weiter noch; in seinen Alptraum schickten: Jener Traum schien ihn einzuholen, ihn von allen Anderen zu entfernen und ihn in ein schwarzes Loch zu werfen. Zwar konnten seine Ohren die aufgeregten Schreie aus der nahen Ferne aufnehmen, doch schien es für ihn eher, als würde sein Verstand diese Schreie von sich geben, als er ihn erkannte. Jenen Teufel, der ihm schlaflose Nächte bereitete – wenn es auch nur zwei Tage waren.
 

Jene goldenen Haare…

Jenes runde Gesicht…

Jene stechenden Augen, die ihn anstarrten!
 

Von der Wand abgestoßen, wollte er weglaufen. Seine Beine nehmen und einfach verschwinden, raus aus diesem Gang, raus aus dieser Schule, raus aus diesem Alptraum, raus aus diesem Leben! Doch sein Körper bewegte sich nicht, fühlte sich an, als wären schwere Eisenketten um seine Glieder gelegt, wären angekettet an Boden…Und wären von dem blonden Teufel geschaffen. Und doch konnte der Große nur mit Mühe das Zittern in seinen Knochen unterdrücken, als der Fremde auf ihn zukam.

Direkt auf ihn zu?!

Kaoru hoffe, sich zu täuschen, zu schielen; hoffte, dass Die kommen und ihn retten würde: Retten vor seiner Furcht, vor diesem Dämon!

Die Gegenwart schien sich zu verlangsamen, in Zeitlupe abgespielt zu werden, denn er konnte sehen, wie der Blonde jeden Schritt katzenähnlich gerade setzte; wie seine Muskeln sich zusammenzogen und wieder erschlafften, wie sich die Sehnen in seinem Kiefer spannten und seine vollen Lippen ein allwissendes Grinsen bildeten. Die verwunderlich kleinen Hände lagen offen in der Luft, geschmückt mit einigen reichlich verzierten Ringen. Um sein rechtes Handgelenk war eine silberne Kette gebunden, die nur wenig unter den langen Ärmeln seines schwarzen Stoffjacketts hervorblitzte und unter besseren Umständen den Größeren zu Spott überredet hätte. Doch schien alles an dem Objekt seiner Gefahr so kalt, dass sich seine Nackenhaare wieder einmal begannen zu sträuben und das, obwohl es Spätsommer war! Die Zeit, in der man die letzten Sonnenstrahlen intensiv genoss und sich noch gar nicht mit dem kommenden Winter auseinandersetzen wollte, auch wenn Kaoru sich wünschte, dass es so schon wäre, damit er eine Erklärung für dieses Zittern und Einfrieren der Luft zwischen ihnen hätte.
 


 

„Warum so ängstlich?“
 


 


 


 

Kapitel 1 – Ende.
 

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Wha, was für eine Qual. >< Aber es ist fertig…Auch wenn es gar nicht so geworden ist, wie ich es haben wollte…Na ja, zum Glück muss ich es selbst nicht lesen. <’3 (Würde es grauenhaft finden, schätze ich… xD)
 

Hoffe, es ist wenigsten halbwegs okay. ;D
 

Kommis & Kritik gern gesehen!

LG, Nagi.

*^*

Von den Flüchen, die ich Mein nenne...

[Kyos Perspektive]
 

„Warum so ängstlich?“
 

~
 

Es war schon immer dasselbe gewesen. Furcht. Angst. Seit ich klein war, konnte ich noch nie gut mit Menschen umgehen. Selbst meine Mutter konnte meine Anwesenheit nicht ertragen, das wusste ich. Es stand ihr ins Gesicht geschrieben, auch wenn sie versuchte es mit Überfürsorglichkeit zu überspielen. Jedes einzelne Mal, wenn sie mich umarmen wollte, zögerte sie vorerst eine kleine Weile, konnte die Berührung nur kurz ertragen und lächelte ihr dämliches Lächeln. Dieses sorgvolle Lächeln.

Der Grund warum ich kaum zwei Jahre an einer Schule verbringen konnte? Ich weiß es bis heute nicht…Natürlich, mittlerweile bemühte ich mich nicht einmal mehr, Freunde zu finden. Es war sowieso aussichtslos. Alle hatten Angst oder verabscheuten meine Gestalt, allein mein Dasein konnte Schlägertypen zur Weißglut treiben. Zwar war ich dadurch abgehärtet und auch flink geworden, doch das Leben allein fristen zu müssen, entzog wohl jedem nach und nach die Freude.

Wann hatte ich eigentlich das letzte Mal gelacht? Abgesehen vom spöttischen Lachen…Habe ich überhaupt schon einmal gelacht? Ich erinnere mich gar nicht mehr…
 

Doch der Anblick des Schwarzhaarigen zu meiner Linken amüsierte mich schon ein wenig. Wir kannten uns nicht, hatten uns nur flüchtig bei der ‚Einschulung’ gesehen, doch auch da hatte er jenen Blick gehabt. Als hätte er einen Geist gesehen…
 

„Pff…“
 

Ich konnte nur grinsend meinen Kopf schütteln. Es begann von neuem. Erst fürchtete er sich, dann würde er mich meiden. Vielleicht war er auch ein hohes Tier in der Gruppenaufteilung der Schule, dann würde ich wohl bald wieder mit Schlägen rechnen müssen. Es würde jedenfalls wieder auf das Übliche hinauslaufen. Selbst auf einer Eliteschule änderte sich absolut nichts. Wie auch? Hier waren doch nur die Snobs auf einem Haufen versammelt. Wer nicht mit Leistung glänzen konnte, dem wurde ein Platz erkauft.

Geld regiert die Welt.

Doch ein wenig neugierig wandte ich mich auf dem Gang einmal um, besah die Mädchen, – Und ein aufgedrehter Rothaariger, der sich durch sie hindurchkämpfen versuchte? – die noch immer am anderen Ende standen und aufgeregt untereinander tuschelten.

Die ganze Zeit zuvor hatten sie schon in dem Sekretariat verbracht und den Schulleiter beobachtet, wie er mit mir über meine ‚Probleme mit Sozialkontakten’ redete. Ich hatte die meiste Zeit nur dagestanden und genickt. Warum sollte man schon solch einem alten Greis zuhören? Die redeten doch eh immer dasselbe…Ich kannte das schon. Meiner Theorie zufolge hatten sowieso alle Direktoren zuvor bei irgendeinem Kongress zusammen die Texte für Problemfälle zusammengeschrieben, damit sie sich im Notfall nicht selbst irgendeinen gefühlvollen Quatsch zusammenreimen mussten. Wäre ja auch zuviel verlangt.

Kaum nach meiner Drehung war ich auch schon um die Ecke verschwunden.

Merkwürdig, dass ich bisher noch keine Lehrer in der ganzen Schule gesehen hatte – den alten Direx konnte man doch schon gar nicht mehr den Jugendlichen ausliefern. Nur Schüler. Vielleicht warteten sie schon in den Räumen, oder mussten sich erst noch seelisch im Lehrerzimmer auf den folgenden Unterricht vorbereiten, denn ich wagte zu bezweifeln, dass es hier wirklich unter den Leuten mit rechten Dingen zuging.

Während ich über die mittlerweile fast gänzlich geleerten Gänge wanderte und aus den Fenstern zu meiner Rechten blickte, musste ich feststellen, wie einfach es jetzt für mich wäre, unbemerkt zu verschwinden. Schließlich wusste noch keiner von meiner Klassenzuteilung – abgesehen von den Lehrern…Wenn es sie denn gab – und so konnten sie sich auch untereinander verdächtigen, den ‚Neuen’ bekommen zu haben. Um ehrlich zu sein, hätte ich nie vermutet, dass in dieser Umgebung eine Schule stände. Und dazu noch eine sehr Alte. Es gab nur gepflasterte Straßen für Autos, die hierher führten. Hinzukommend würden wahrscheinlich niemals Zwei aneinander vorbeikommen. Fahrradständer schien es genauso wenige zu geben, dies fiel also ebenfalls aus. Man konnte das Gebäude einigermaßen zu Fuß erreichen, hatte jedoch Probleme, wenn man nicht in der nahe liegenden Stadt wohnte, sondern Pendeln musste, denn der nächste Bahnhof war ein ganzes Stück entfernt. Woher ich das wusste? Als ich das erste Mal von dieser Schule gehört hatte, hatte ich schon ahnen können, wo es liegen könnte, da ich öfter den alten Mischwald, den man in der Ferne enden sehen konnte, durchqueren musste, auch wenn mein eigentliches Heim in der entgegen gesetzten Richtung lag.

Solch eine Idylle, so viel Natur…Was für eine Pampa. Die einzigen Bäume, die mich interessierten, waren sowieso nur Kirschbäume. Sie waren nicht nur durch ihre Früchte äußerst nützlich, – Allein wenn ich an die rote Kirschmarmelade denke, läuft mir das Wasser im Munde zusammen! – sondern auch im April sehr ansehbar. Die Wipfel gefüllt mit den weißen und hellrosafarbenen Blüten, machten sie inmitten der warmen Sonne den Eindruck, mit Schnee bedeckt zu sein. Eine wahre Augenweide und äußerst inspirierend für einen künstlerisch veranlagten Geist – Die Schmerzenslinderung ganz ausgeschlossen.

Schade nur, dass es demnächst Winter werden würde.

Wieder konnte ich nur mit meinem Kopf schütteln, begann wieder schneller zu gehen, nachdem sich meine Geschwindigkeit auf ein Minimum reduziert hatte, und kramte einen ziemlich geknickten Zettel aus meiner schwarzen Hose, verlor nur flüchtig einen Blick darauf und versuchte mich infolgedessen zu orientieren.
 

„Wer zur Hölle hat sich den Gebäudekomplex eigentlich ausgedacht?!“
 

Die Ahnung, dass ich zu spät zur ersten Stunde erscheinen würde, breitete sich in mir aus, nachdem ich bemerkt hatte, in die falsche Richtung gegangen zu sein. Kein Wunder, dass sich außer mir Niemand hierher verloren hatte… „Wenn der Architekt noch leben sollte, werde ich mich beschweren!“
 

„Könnte schwer werden. Der ist schon lange tot.“
 

Frech wurde ich gut einen Meter von mir entfernt angegrinst. Dieser Rotschopf…! Wo kam er denn auf einmal her? War er mir gefolgt oder hatte er sich gar auch verlaufen? Die wichtigste Frage war jedoch:

Warum mischte er sich in meine Sorgen ein?!
 

„Aha, toll.“, Augenrollen meinerseits folgte auf seine nun wirklich ungewünschte Bemerkung. Ich wusste zwar nicht viel von Höflichkeit, aber dennoch hatte ich einmal die Aussage aufgeschnappt, dass das Einmischen in anderer Leute Angelegenheiten alles andere als höflich sein sollte.

„Hast dich wohl verlaufen?“, noch immer dieses dämliche Grinsen. Was interessierte ich ihn eigentlich? Ach ja…

„Kann dir doch egal-!“ „Zeig mal her, ich bringe dich zu deinem Raum!“, noch bevor ich aussprechen konnte, war er praktisch zu mir heran gesprungen und hatte mir auch schon den Zettel entrissen. Neben dem Grundriss der Schule stand noch mein Stundenplan mit Räumen und Klasse darauf. Verdammt, verraten.

„Ah, super! Wir sind in einer Klasse, da kannst du gleich mit mir mitkommen!“, der Rotschopf schien wirklich sehr erfreut über diese Entdeckung, steckte meine – Betonung auf ‚meine’! - Informationen ein, packte mich bei der Hand und begann zielstrebig loszulaufen. Hatte man mich überhaupt gefragt?!

„Lass mich los, ich brauche deine Hilfe nicht!“ Doch mein Fauchen ignorierend ließ der Junge weder los, noch verlangsamte seine Schrittgeschwindigkeit. Er musste also ziemlich gut in Sport sein, wenn er tagtäglich so durch die Weltgeschichte raste. Wobei er ehrlich gesagt nicht so aussah…Na gut, irgendeine Art von Fett schien er nicht auffällig an seinem Körper zu haben, aber sonderlich muskulös sah er auch nicht aus. Eher wie…Pumuckl. Nur in Riesenausgabe. Etwas suspekt kleidete er sich hinzukommen auch noch…Dafür, was diese Schule für ein Ansehen hatte. Auf normalen vom Staat unterstützten Schulen hätte es mich weniger gestört…
 

„Ich bin im Übrigen Die! Also eigentlich Daisuke, aber alle nennen mich Die.“
 

Wollte er jetzt auch so unbedingt eine Konversation starten? Mit mir? Ich konnte meine Verwunderung nicht sonderlich verstecken, schließlich schien der Rest nicht sonderlich angetan…

Doch auch wenn diese Abwechslung angenehm war, musste während der Jahre in mir das richtige Verhalten gegenüber Mitmenschen verloren gegangen sein.

Freundlichkeit, Freude, Zuneigung…Liebe. Dies waren Fremdwörter für mich, die ich schlecht deuten konnte. Unter ‚Liebe’ kannte ich nur dieses selbst verletzende Getue meiner Mutter. Immer, wenn sie sagte, sie ‚liebe mich von ganzem Herzen’. Eine Lüge, die sich selbst eingeflößt hatte. Und genau diese Lüge hatte Vater vergrault. Er selbst stand offen dazu, mich nicht als seinen Sohn anerkennen zu wollen. Für diese Ehrlichkeit war ich ihm im Nachhinein auch ein wenig dankbar, denke ich. Mutter hat es zwar das Herz gebrochen, aber es war selbst gemachtes Elend. Sie hätte mich abtreiben, mich in ein Heim geben können. Aber nein, sie wollte mich großziehen. Warum sollte ich also Mitleid mit ihr haben? Hauptsache sie würde mir nicht jemals diese Tatsache vorhalten….
 

„Und wie heißt du?“ „Was?“ Ich konnte es nicht leiden, wenn man mich unfreiwillig aus meiner Gedankenwelt hinauszog. Besonders, wenn man den Anschluss nicht fand.

„Dein Name.“, wiederholte dieser Die. War ihm dieses Grinsen eingemeißelt oder versuchte er seine echten Gefühle zu verstecken? „Ich bin neugierig, wie du heißt. Spätestens in der Klasse wirst du ihn sowieso nennen müssen. Außerdem könnte ich mich auch um dich kümmern, bis du dich selbst besser hier auskennst. Na, wie klingt das?“

„Beschissen.“ Eigentlich wollte ich nicht so grob sein, doch es war eben meine Art. Wie sollte ich mich schon innerhalb weniger Sekunden komplett verändern? Ich war zwar ein geübter und leidenschaftlicher Lügner, doch so was war nun wirklich nicht meine Masche.

„…“ Doch irgendwie überkam mich schon so etwas wie ein schlechtes Gewissen. Das erste Mal, dass mir Jemand nichts Böses wollte und ich bin dann so kalt…Wenigstens meinen Namen könnte ich ihm sagen…Es muss ja nicht der richtige sein.

„…Kyo.“
 

Und mit einem Mal schien er vollkommen zufrieden. Dies konnte man ganz deutlich an seiner Gestik und Mimik erkennen. Sein Grinsen hatte sich geweitet und sein eifriger Gang hatte nun etwas…Frohlockendes.

Meiner Meinung nach, war solch ein Verhalten abscheulich. Es nervte mich einfach, wenn Menschen viel zu fröhlich waren. Gerade wegen solch belanglosen Dingen.
 

„Freut mich, dich kennen zulernen, Kyo!“ „Mhm…“
 

Eine kleine Weile war vergangen – Ehrlich, ich hätte nie gedacht, dass dieses Haus so groß ist…Es macht gar nicht den Anschein! – bis wir schließlich, vermutlich, an dem nun benutzen Raum ankamen. „Da sind wir schon!“ Warum dachte ich überhaupt noch? „Und sind nur fünf Minuten zu spät!“ Ein Grinsen wurde mir geschenkt, ehe der Rotschopf Die die Türklinke hinunterdrückte und uns Einlass gewährte. Einlass in eine Klasse, so grau, paradoxerweise aber auch so bunt war, dass ich am liebsten Kotzen würde. Hier und jetzt. Auf der Stelle.

Doch riss ich mich zusammen, schluckte die aufkommende Magensäure wieder hinunter und betrat, mehr oder weniger freiwillig, den Raum. Begleitet mit dem feinen Schmerz in meiner Speiseröhre.

Als jedoch mein Blick auf die Lehrerin fiel, welche streng am Lehrerpult stand und in unsere Richtung blickte, überkam mich wieder dieses Verlangen…
 

„Sie haben es also auch in unseren Unterricht geschafft?“
 

Eine alte Frau - schätzungsweise 56 Jahre alt, sah jedoch um einiges älter aus – freundlich mit dem Wort ‚vollschlank’ zu bezeichnen, mit strengem Zopf, einem viel zu engen, grau-schwarz karierten Blazer mit dazugehörigem Rock und unverkennbaren Schweißrändern unter ihren mettwurstähnlich, genauso gequetschten Armen. Nun wirklich keine Augenweide, aber ich kenne auch schlimmere Dinge, die ich gewöhnlich in meinen Träumen verarbeiten durfte. Dennoch angewidert wandte ich meinen Blick ab, um die Klasse mustern zu können. Pingelig getrennt nahmen die Jungen die rechte Seite, an welcher sich die Fenster befanden, ein, während die Mädchen weiter zur Ausgangstür platziert waren. An jedem Tisch konnten zwei Personen sitzen, mit wenig platz hinter den Stühlen folgte auch schon der nächste Tisch. Die Anwesenden hatten Glück, wenn sie nicht mit diesen bekannten Holzstühlen an die Nachbartische stießen. Wie eine Grenze befand sich dort, wo das Reich der Jungen anfing, ein breiter Gang – wahrscheinlich aus Eigennutz der Lehrerin. Zwei einzelne Plätze waren noch nicht besetzt. Der Eine am Fenster neben einem vermutlich schlafenden Jungen mit Schwarzen Haaren – Er war also auch in dieser Klasse? - in der vorletzten Reihe, der zweite befand sich in der fast ersten Reihe zum Gang hin neben einem suspekt wirkenden Jungen mit ebenfalls schwarzen, jedoch kurzen Haaren und einer sehr schlanken Gestalt. Er saß einfach nur da, kritzelte auf einem Blatt Papier herum und…Lächelte. Was für Gründe er wohl hatte?
 

„Setzt euch erstmal.“ Vernahm ich, bevor Die seine Hand von Meiner löste und sich neben den ‚Künstler’ platzierte. Für mich blieb also nur noch der Platz neben ihm übrig…Das konnte doch sehr amüsant werden. Kurzerhand anvisiert setzte ich mich nun also auch auf den – zum Protokoll - übrig gebliebenen Platz und wagte nur kurz einen Blick aus dem Fenster, um die Höhe einschätzen zu können. Es war so schon ziemlich weit oben, wie es dann wohl auf dem Dach aussehen würde…? Etwas, was man unbedingt herausfinden sollte! Nachdem auch dies abgeharkt werden konnte, musste ich nur noch den Anblick der Pädagogin ertragen, welche mich schon begonnen hatte, zu analysieren.
 

„Sie sind also der Neue, hm? Ich habe schon von Ihnen gehört.“, begann sie und entblößte mit ihrem selbstsicheren Schmunzeln, welches eine ungewöhnliche Fratze hervorbrachte, Zähne, die wohl schon viel mitgemacht hatten. Und ich war der Auffassung gewesen, dass meine schon schlimm waren...:

Gelb, um genauer zu sein schon ins Braune abdriftende, an einigen Ecken wohl schon abgebrochen und wieder durch zahnärztlicher Technik angebracht worden waren. Wie konnte so was überhaupt zugelassen werden?

Mit einem Mal keimte in mir ein für mich amüsanter Gedanke auf, während ich mir diese Frau erneut in jeder Einzelheit ansah:
 

Bei dieser Gestalt und den spekulativen Fähigkeiten mit Kindern in unserem Alter umzugehen, abgesehen von dem Charakter, von welchem ich mir noch kein Bild machen konnte, hinzukommend noch die Tatsache, wie alt sie war, würde sie von der Gesellschaft als unbrauchbar und damit als am Leben verweilend tot bezeichnet werden. Ein kleiner Fehltritt und die daraus folgende Meldung beim Schulleiter, wäre also äußerst fatal und würde der guten Frau Untergang bedeuten.

Wenn sie mich also als Feind haben wollen würde, könnte ich den Spieß schnell umdrehen. Auf Nimmerwiedersehen, gute Frau!

„Nennt uns doch euren Namen und gebt uns einen kleinen Einblick in euer Leben, ja?“

Mit dem Versuch, zuckersüß zu wirken, scheiterte sie auf ganzer Linie, dennoch entschied ich, nicht sofort böse Saat zu sähen:
 

„Meine Name ist Kyo.“ „Kyo…Und weiter?“
 

Neugier war auch eine Gier und konnte gut und gerne sehr pingelig als Sünde anerkannt werden.
 

„Nichts weiter. Einfach Kyo. Und was mein Leben angeht…“, mein Blick schlich durch den Raum. „…Da rede ich nicht so gern darüber. Außer, dass ich oft die Schule gewechselt habe, ist nichts all zu wichtig, um in irgendeiner Art erwähnt werden zu müssen.“ Die Hände auf dem Tisch zusammengefaltet war nun ich an der Reihe, ein reizendes Lächeln abzusondern. Da dies jedoch zum Scheitern verurteilt worden war, konnte es auch als Provokation angesehen werden. Meinetwegen.
 

Den Anschein machend, nicht mit solch einer Reaktion gerechnet zu haben, wandte sich die Lehrerin schließlich um – nachdem ihr ‚Lächeln’ verschwunden war – und begann irgendwelche Dinge mathematischen oder physikalischen Dinge an die Tafel zu schreiben. Wahrscheinlich ein Wiederholungsthema.
 

„Gut.“, sie wandte sich wieder um und schien abzuwägen, wen sie als Opfer auserkoren sollte. Da mein geschätzter Nachbar da nur so die perfekte Beute war, war die Wahl also sehr einfach gestrickt.
 

„Kaoru Niikura! Sie sind kein Deut besser, als ihr Freund Daisuke! Sie finden es also angemessen, in meinem Unterricht zu schlafen, ohne, dass er überhaupt richtig angefangen hat? Dann können Sie sich sicherlich noch an diese Aufgabe erinnern, nicht wahr?“
 

Vollkommen erschrocken riss der Schwarzhaarige – Kaoru hieß er also… - seinen Kopf hoch und starrte an die Tafel. „Was zum…?“ Seufzend strich er durch sein glänzendes Haar, offenbarte seine Augenringe für eine kurze Weile und schien angestrengt nachzudenken. „…“ kopfschüttelnd richtete er seine müden Augen auf die Lehrerin. Was er wohl an dem Wochenende getan hatte? …Warum dachte ich überhaupt an so etwas, wenn es mich nicht einmal ehrlich interessierte? „Es tut mir leid, ich hatte…Probleme mit dem einschlafen.“ Dies sollte wohl als Erklärung seines momentanen Zustandes dienen.

Wenn ich mich genau zurückerinnere, hatte er an jenem Freitag noch nicht so ausgesehen. Also musste wirklich irgendetwas passiert sein…Dies war nun doch so spannend, dass ich glatt wieder aus dem Fenster sehen musste.
 

„Vielleicht sollten Sie keine Nächte vor dem Schulalltag durchmachen, Kaoru. Es könnte Sie noch Kopf und Kragen kosten!“ Damit war das Thema ‚Standpauke zum Wachwerden’ also auch abgeharkt und um meiner Bekanntschaft auch noch Eines reinzuwürgen, nahm sie den Rothaarigen als Nächsten dran.
 

Durch diesen kleinen Vorfall hatte sich meine Aufmerksamkeit auf meinen Nachbarn fokussiert und meine Laune heben können. Vielleicht würde man mich als Sadisten bezeichnen, aber ich mochte es doch sehr, wenn Unvollkommene Anderen zur Vollständigkeit verhelfen wollten und sie damit nur hinunterzogen. Vielleicht war es aber auch nur eine erlangte Ansicht auf die kleinen Sünden des Lebens, die ich mir angeeignet hatte. Gerade, als ich sah, wie Jener der verpatzten Chance auf Vergebung nachsah, breitete sich in meinem Gesicht ein weites Zeichen der Freude aus, während mein verkorkstes Herz kleine Sprünge machte. Zu köstlich!

Doch es sollte noch besser für mich kommen:

Denn erst jetzt schien dieser Niikura meine Anwesenheit zu bemerken. Langsam wanderte sein Blick von meinem Unterleib hinauf, schien schon eine böse Vorahnung verinnerlicht zu haben und hoffte dennoch darauf, nicht bestätigt zu werden. Jedenfalls hoffte ein Teil meines Ichs, der den Großteil ausmachte, wenn nicht schon lange Alles übernommen hatte.

Doch es kam anders.
 

„Hatte ich mir schon gedacht…“
 

Wie schnell hatte er mit einem einzigen Blick den Spieß umgedreht? Ließ meine Gesichtszüge entgleisen; war der Erste, der mich – wenn auch nur ein wenig – verunsicherte.

Er…Hatte es sich schon gedacht?! Was sollte das heißen? Für wen hielt er sich eigentlich?! Es reichte ja noch nicht, dass wir in einer Klasse waren, nein, er wollte mir auch noch den Spaß verderben!

Ich konnte mein eigenes Knurren vernehmen, spüren, wie sich meine Hände erneut zu Fäusten geballt hatten und sich immer weiter anspannten, sogar zu beben anfingen.

Warum konnte ich ihn dann nicht anfallen, oder wenigstens zurechtstutzen? Was hinderte mich daran? Ich begann im Inneren mit mir zu ringen, doch wollte mir mein Körper mir einfach nicht gehorchen. Warum verbündeten sich meine eigenen Körperteile gegen mich? Nur um diesen Kaoru zu schützen?
 

„Tze, als wüsstest du alles.“

Letztendlich konnte ich mich mit mir darauf einigen, die ‚Kampfhaltung’ fallen zu lassen und eingeschnappt aus dem Fenster zu blicken. Alles andere als eindrucksvoll oder erwachsen.

Doch genau dies schien ihn zu amüsieren. Zwar nur sehr leise konnte ich ein unterdrücktes Lachen vernehmen, ehe meine Aufmerksamkeit und meine Gedanken aus dem Fenster entflohen. Fort von hier…An einen Ort, wo ich allein war. Wo ich Alles erschaffen und vernichten konnte, was ich wollte, wo ich umgeben von blühenden Kirschbäumen, einfach in Frieden leben konnte. Liegend auf dunkelrot gefärbter Erde…
 


 

~*~
 


 

Ich musste wohl binnen 90 Minuten – entsprach einer unglaublich spannenden Doppelstunde Mathe…Oder Physik, man konnte es bei dieser Frau nicht sonderlich gut unterscheiden – eingeschlafen sein, da ich mich an die restlichen Stunden nicht erinnern konnte. Und, oh Gott, im Nachhinein möchte ich gar nicht wissen, wie viele es insgesamt waren.

Wie auch immer, ich wurde geweckt. Doch nicht auf die nette ‚Wach auf, Darling’ - Variante, sondern durch beständiges Rütteln an meiner rechten Schulter und den nervigen Zuspruch einer Stimme, die sich mir schon nach knapp einem halben Tag so eingebrannt hatte, dass ich sie nun wohl nie wieder überhören würde. Verdammt.
 

„Wach auf, es ist schon längst Nachmittag!“
 

Aha, und das sollte mich weswegen kratzen? Widerwillig hob ich meinen Kopf an, blinzelte kurz und hätte gern meine Augen wieder geschlossen. Hatte sich dieser Die doch tatsächlich neben mich – auf Kaorus Platz wohlgemerkt – gesetzt und starrte mich vollkommen bedeppert an. Welchen Grund es wohl dafür gab? Vielleicht war seine Katze gestorben, wenn er eine hatte, oder eines seiner Elternteile war einem grauenvollen Unfall zum Opfer gefallen…
 

„Du bist wach! Super!“

Doch wieder hatte ich mich getäuscht, denn sein nun sich zu verziehen beginnendes Gesicht sprach Bände. Ein Lächeln. Ein gottverfluchtes Lächeln! „Und ich werde jetzt auch gehen.“ „Was? Warum? Das kannst du nicht! Ich wollte dich doch noch was fragen!“ Wie ein kleines Kind wedelte er mit seinen Armen, schien zu schmollen und hatte wohl vor, mich am Gehen zu hindern. Was sollte man da schon großartig tun? „Dann schieß mal los…“ Mich innerlich auf das Schlimmste einstellend, strich ich mir durchs blonde Haar – wider meiner Verhaltens- und Denkweise mochte ich die Farbe Schwarz nicht all zu sehr – und versuchte gemach munter zu werden. Es musste wohl ein Tiefschlaf gewesen sein…
 

„Wir haben gleich Bandprobe! Und ich dachte mir, dass du vielleicht mitkommen wollen würdest!“
 

Wollte er mich verarschten?

„ - !“

Doch bevor ich irgendetwas erwidern konnte, plapperte der Junge in der schwarzen Lederjacke schon munter weiter: „Weil ich dich eigentlich ganz nett finde und mir gedacht habe, dass du bestimmt gern ein paar Freunde finden würdest.“ Wieder dieses katzengleiche Lächeln. „Und eventuell auch Musik magst.“
 

„…Wenn du mir noch sagst, wer ‚wir’ sind, wäre ich zufriedener…“ „Das können wir dann noch klären, jetzt komm aber mit!“

Kaum ausgesprochen packte er mich, zog mich vom Stuhl herunter und rannte wieder quer durch das Schulgebäude. Zum Glück hatte ich noch keine Tasche dabei, die wäre schon längst verloren gewesen…
 

Irgendwann kamen wir dann in der Aula an. Eine riesige Halle mit einer auffällig unauffälligen Decke aus klarem Glas, etlichen Tischreihen, die ich nun wirklich nicht alle zählen wollte und am Ende…Eine kleine Tribüne. Darauf waren drei Saiteninstrumente und ein großes Drum mit Hi-Hat und was nicht allem platziert. Wohlmöglich ein eigen angeschafftes Stück der Schule…

Heitere Stimmen erfüllten den Saal, verklangen nicht so schnell, wie man es vermuten würde, da eine angenehme Akustik hier auch herrschte. Wenn es denn Auftritte geben sollte, dann wohl jedes Mal hier.

Als jedoch mein Blick die Personen zu den Stimmen suchte, fiel mir eine kleine Tatsache auf: es gab zwar Instrumente und einen Mirkophonständer mit zugehörigem Verstärker und Mikro selber, doch…Keinen Sänger.
 

„Hey Leute, ich hab unseren ersten freiwilligen Zuhörer mitgebracht!“, quietschte Die heiter den Anderen entgegen, steuerte sie an, zog mich ungehindert mich und stoppte erst, bevor es zur Kollision kommen konnte. Von freiwillig war doch nie die Rede gewesen! Ich rollte mit meinen Augen, musterte die Anderen. Drei waren in meiner Klasse, den Dritten hatte ich noch nie gesehen. So unscheinbar wie er auch war?
 

„Ach, ihn?“
 

Ich vernahm den bissigen Ton in seiner Stimme ganz genau, wollte mich aber nicht weiter daran stören, riss mich lieber von meiner neuen Klette los und verschränkte abweisend meine Arme vor meiner Brust. „Ich wollte es auch nicht, ich hoffe das tröstet dich ein wenig.“ „Mh… Nur ein wenig.“
 

„Nun bekommt euch ein! Ich bin jedenfalls sehr froh, dass ihr beide hier seit!“, grummelte Die, kicherte wenige Augenblicke hingegen wieder leise in seinen nicht vorhandenen Bart und sprang dann zu seinem Platz auf der Tribüne, griff sein Instrument – soweit mich mein Blick nicht täuschte eine hydrantenrote Gitarre – und begann es zu stimmen. Kurze Zeit später waren ihm die Anderen auch schon gefolgt, nur ich hatte mich auf einem der Stühle im Essbereich niedergelassen und wartete mehr oder minder gespannt darauf, was sie wohl zu bieten hatten. Den Gedanken, einfach zu verschwinden, hatte ich längst aufgegeben…Geradeheraus gesagt, war ich sogar zu einem Teil froh darüber. Solange ich nicht nach Haus musste war mir eh alles Recht…

Erneut spürte ich, wie mein Sichtfeld von selbst begann, einige Dinge zu analysieren, störte mich jedoch nicht und wurde einfach gestattet.

Für mich war es eine kleine Ewigkeit, in der diese chaotische Musikantengruppe an ihren Hobbyaktivitäten herumfeilten. Kurz bevor meine Lider wieder zu schwer werden würden, um sie aufzuhalten, war es dann doch vollbracht.
 

„Also…Wir spielen jetzt ein Lied, das von unserem Kaoleinchen komponiert und geschrieben worden ist~…Auch wenn wir keinen Sänger haben.“, erklärte Die für eine Sekunde, in der ich mein Auge rieb, und begann dann zu spielen.

Der Anfang war an sich etwas gewöhnungsbedürftig…Man merkte sofort, dass etwas fehlte. Eine Stimme. Doch nicht irgendeine 0-8-15-Jedermann-Stimme, sondern eine, die auch Leid und Schmerz ausdrücken konnte. Auf eine ganz neue Art und Weise…

Der Zwischenteil dagegen wurde schon angenehmer: Jeder von ihnen legte sein Herzblut in das Spiel, dem einen eher anzusehen als dem Anderen. Jener mir noch unbekannte Blondschopf an den Drums wippte bei jedem Schlag, den er vollzog, mit, ließ seine Haare dabei fliegen, schien allerdings nicht sonderlich angestrengt, was mich schon ein wenig verwundern sollte, da er nun wirklich nicht wie ein Drummer aussah. Er besaß eher dieselbe Statur des Bassisten – Toshiya. Die hatte mir auf dem Hinweg doch kurz ihre Namen an den Kopf geworfen, auch wenn ich den des Drummers schon längst wieder vergessen hatte. Die Art und Weise im Vergleich zu der Melodie, die sie spielten, entsprach eher der eines Kindes, dass einfach nur Spaß hatte. Natürlich gaben sie sich, wie zuvor erwähnt, Mühe, doch Ernst war ihnen nicht sonderlich anzusehen. Nur ihm. Jenem Jungen, der wohl am meisten mit dem Lied zu tun hatte. Wie er die rabenschwarze Gitarre beinahe zärtlich an sich schmiegte, ihre Saiten bedacht strich und mir nicht nur das Gefühl einschleuste, dass sein gesamtes Herz daran hang, sondern auch noch bei diesem Anblick eine kalte Gänsehaut über den Rücken jagte, machte mich krank. Er sah fertig aus, er war morgens eingeschlafen; vollkommen desinteressiert an allem, was seine Klassenkameraden taten…Warum konnte er sich nicht einfach verspielen? Gerade bei seinem Solo! Wäre er mir das nicht schuldig gewesen?

Hass baute sich in mir auf, als mir bewusst wurde, dass ich schon etwas…neidisch war. Ich konnte kein Instrument spielen, hatte nichts Atemberaubendes zu zeigen… Außer mein Auftreten und das kleine, abgenutzte Notizheftchen in meiner Jackentasche, zu welchem man früher oder später noch eine Erklärung bekommen würde, ich jedoch niemals laut vorlesen würde. Es war geheim. Intim. Mein einziger Freund in dieser einsamen Welt…Doch was sollte ich gegen diesen Hass tun?
 

Mitten im Lied erhob ich mich, begab mich auf die Bühne und griff nach der Komposition auf dem Notenständer thronend, welcher sich vor dem Gitarristen befand. Augenblicklich unterbrach er sein Spiel. „Was soll das?“, fragte er schroff, schien seine paar Blätter zurück haben zu wollen, während ich mich weiter von ihm entfernte und es las, jedes einzelne Wort in mich aufsog, wie ein trockener längst vergessener Schwamm. Noten konnte ich kaum lesen; ich hatte es nie für notwendig erachtet, mir diese Fähigkeit anzueignen, da ich mich eh nie so für Musik interessiert hatte. Wieso es dann perfekt können?

Unterdessen meinte Augen von Zeile zu Zeile huschten, bereute ich meine Tat auch schon wieder. Entweder beschrieb Kaoru seine Liebe zu Granatäpfeln, hatte eine Freundin gehabt, welche ihn für Granatäpfel hat sitzen lassen oder seine Freundin hieß Granatapfel, was bei uns auch ein relativ geläufiger Name war.
 

‚Zakuro’
 

Liebe.
 

Ich hasste dieses Thema. Dieses Wort, diese…Heuchelei. Man versprach einander Liebe. Ewige Liebe, anhaltende Liebe, wahre Liebe und worin lief es meistens hinaus? Hass, Trennung, Schmerz, Trauer, Verzweiflung. In dem 18. Jahrhundert sogar auf ‚ehrevollen’ Tod. Von wegen Ehre… Von wegen Liebe. Es war doch nur ein Spiel, eine List, eine Droge um sich auf Dauer besser zu fühlen; um unter anderen Umständen Ansehen und Wohlstand zu erlangen.

Was hieß heutzutage noch Liebe?
 

Nichts und wieder Nichts!

Und das wollte ich ihnen beweisen.
 

„Fangt noch mal von vorn an, ich singe.“ „Du willst singen? Dass ich nicht lache!“
 

Natürlich hatte ich sofort Widerspruch von dem Songwriter. Schließlich würde er Gefahr laufen, dass ich sein Herzfragment verschandelt werden würde… Und er läge auch nicht all zu falsch. Doch suchten sie nicht einen Sänger? Ich würde mich freiwillig anbieten… Ein breites Grinsen breitete sich nun auf meinen Lippen aus, bevor ich zu Die blickte. „Was meinst du? Soll ich, oder soll ich nicht? Ihr wolltet doch Jemanden.“

Die Beiden tauschten Blickte untereinander aus, schienen telepathisch miteinander zu diskutieren, bis Kaoru entnervt stöhnte, „Bitte, sing doch.“ , und sich auf seinen Platz zurückbegab.
 

Und das gesamte Spiel begann von neuem; ich stellte mich vor das Mikrophon, las noch einmal über den Text, lauschte der Musik und verfiel ihr für den Bruchteil einer Sekunde, ehe ich meinen Einsatz sah, Luft holte und -
 


 

[Kaorus Perspektive]
 

- er sang.

So unfreiwillig, wie er hierher gekommen war, wie er uns gelauscht hatte, wie ich ihm meinen Text überlassen wollte. Um ehrlich zu sein, war es mir schon peinlich genug gewesen, als ich den Anderen den Text gezeigt hatte. Bei Die machte das ja keinen Unterschied, schließlich waren wir schon seit ewigen Zeiten wie Brüder gewesen. Bei ihm konnte ich so gut wie immer jeden Gedanken erahnen, mit ihm auf verschiedene Dinge eingehen, mich bei ihm – wohl gesagt – ausheulen. Sicherlich waren Toshiya und Shinya auch meine oder eher unsere Freunde, doch das war irgendwie…Anders.
 


 


 

*~ Und ich werde heute Nacht wieder von dir träumen
 

Wegen des Briefes, den du schriebst, platziert unter meinem Kopfkissen.
 

Meine Träume sind viel zu grausam; Mein Atem stock plötzlich
 

und wieder einmal erwache ich in Schmerz, ein wenig nach 4 Uhr morgens. ~*
 


 


 

Es war seltsam, dies aus dem Mund eines Anderen zu hören. Ich hatte es zwar geschrieben und auch so erlebt – Warum kam mir die Situation nur so bekannt vor? – doch warum kam es so vollkommen anders herüber? Ich linste zu dem kleinen Blonden herüber, konnte es mir einfach nicht verkneifen, ihn zu beobachten. Wie er zuvor so gesprochen hatte, war mir nie so aufgefallen, wie seine Stimme eigentlich klang. Meist wollte ich nur, dass der ging, uns verließ, seinen eigenen Freunden auf den Nerven herumtrampelte, wenn er denn welche besaß. Doch so…

Seine Stimme klang so ehrlich. So verletzlich, als würde er direkt in die Gefühle hineinschlüpfen, die auf diesem Stück Papier zum Ausdruck gebracht worden waren. Hinzukommend auch noch von mir.

Dieses Zittern in den Worten, die er sprach… Die Art wie er sie aussprach. Genuschelt. Mit ein wenig Übung fand man sich hinein, verstand aber auch schon innerlich, was er aussprach, selbst wenn man das Wort nun nicht vor Augen hatte. Es traf das Herz. Wohlmöglich von jedem. Auch, wenn ich gestehen musste, dass er eigentlich nicht mal sonderlich gut singen könnte. Er war nun wirklich keine Bombe, wenn es um eine besondere Stimme ging. Die Emotionen, die er ausdrücken konnte, indem er bestimmte Silben einfach anders betonte, schrie, wimmerte oder auch einfach nur flüsterte war das Einzigartige an ihm.

Mittlerweile hatte ich ihn schon gar nicht mehr angesehen, nur kurz auf meine Finger geblickt, ein wenig geträumt, während sich mein Geist von diesem Teufel verführen ließ und mit ihm litt. Doch als ich ihm wieder zusehen wollte, kippte meine Faszination mit einem Mal:
 

Dass er das Mikro vom Ständer genommen hatte, war nicht schlimm, doch wie er es umklammerte…Halb gekrümmt, sich nur noch schwach auf den Beinen haltend, als hätte er extreme Schmerzen. Mit dem einen Handrücken an seinen Brustkorb gepresst…Schluchzend.

Weinte er etwa? Was es das, weswegen es so echt herüber kam? Weil es einfach echt war? Fühlte er wirklich so verbunden mit meiner - …

Er grinste!

Dieses Aas grinste! Als hätte man ihm einen Witz erzählt oder irgendetwas Lustiges gezeigt!

Zwar war es so schnell verschwunden, wie es aufgetaucht war, doch ich konnte mich nicht täuschen! Nahm er meine Gefühle nicht ernst? Amüsierte es ihn, was ich alles dort hineingesteckt hatte?
 


 


 

*~ Die Zeit ist viel zu lang,
 

Die Zeit ist viel zu schmerzvoll.
 

Die Träume wollen nicht aufhören.
 

Meine Liebe ist gefroren und gestorben
 

an den langen, kalten Nächten
 

so wie Diese. ~*
 


 


 

Wieder ein anderes Gesicht.

Meine Gefühle verhedderten sich mit dem roten Band, welches er um mich gespannt hatte; zogen sich zusammen und drangen tief in die Haut hinein. Ich wusste wieder nicht mehr ein, noch aus. Sollte ich ihn bewundern, dafür, dass er einfühlsam war? Oder dass er so überzeugend lügen konnte? Oder sollte ich ihn einfach hassen?

Wenn ja, wieso konnte ich es nicht? Gerade in diesem Moment wollte ich alles andere, als ihn zur Schau stellen oder niedermachen. Eher…In den Arm nehmen und trösten.

So wie er nach Liebe schrie…

Wie er daran zu zerbrechen schien…

Doch war es nicht nur eine Masche, um mich weiter zu verwirren, mich neugierig auf ihn zu machen? Ich wusste einfach nicht, was in diesem unheilbar verkorksten Gehirn vor sich ging, egal wie oft ich es versuchen würde...
 

„Ich liebe dich…!!“
 

Ein letzter Schrei, der dem Himmel mit gebrochener Stimme entgegen klang und schließlich in der Ironie des wunderschönen, beginnenden Sonnenunterganges dahinschwand…
 

Und doch sollte es nicht der Einzige am Ende dieses Tages sein.
 

Nach dieser nun wirklich erfolgreichen Probe, machten wir uns schon den nächsten Termin zusammen aus. Merkwürdigerweise war auch Kyo dabei, der sonst nichts mit uns zu tun haben wollte. Entweder hatte er einen Narren am Singen gefressen, oder er liebte es einfach, mir eine Reinzuwürgen, egal was es war, er machte es verdammt gut und lückenfrei. Doch auch durch meine anfängliche Abneigung konnte ich den Respekt und… Die anfängliche Freundschaft zu ihm nicht verhindern. Ob er wohl auch so empfand?

Indes wir unsere Sachen zusammensuchten, eher Meine, und uns dann vor dem Schultor trennten, machte sich noch ein Gefühl in mir breit. Doch absolut kein Angenehmes.

Normalerweise mochte ich Sonnenuntergänge auch. Besonders nach solch einer seelischen Tortur. Doch dieses Mal war es mir einfach zu rot. Zwar bekannte sich mein bester Freund als ‚Anhänger’ dieser Farbe und der Norm entsprechend dachte ich auch nie an solch etwas Obskures… Doch dieses Mal kam mir nur Blut vor Augen, wenn ich den Himmel betrachtete. Dickflüssiges, tiefrotes Blut. Quelle unseres Lebens und Retter unseres Lebens.

Warum bekam ich nur solch ein schlechtes Gefühl?

Einen kurzen Moment verharrte ich am Stehen, zog eine Zigarette aus meiner Schachtel und wollte sie gerade anzünden, ehe ich mich, aus welchem Impuls auch immer, umwandte und den verlassenen Weg, den ich zuvor entlang geschritten war, musterte. Mein Innerstes schien auf etwas zu warten…
 

Wenn ich jetzt so zurückblicke stand ich allerhöchstens zehn Minuten an einer Stelle, doch kam es mir, einem Klischee entsprechend, viel, viel länger vor, bis das geschah, worauf ich wohl gewartet hatte:
 

Schreie. Zwei um genau zu sein.

Zwei entsetzlich gequälte Schreie und eine Sterbende!
 

Aus Instinkt ließ ich Alles fallen, was ich in der Hand gehalten hatte und lief los. Ich lief nicht nur, ich sprintete. Nur, um das, was mein Herz zum verkrampfen brachte, unbestätigt zu sehen.
 

„Bitte! Bitte, lass es nicht das sein, was ich denke! Bitte, Gott!“
 

Ich rannte an den Toren vorbei, wusste gar nicht, wie ich überhaupt in diesem Tempo atmen konnte, preschte die Straße entlang und betete. Betete zu einem Gott, bei dem sich herausstellen sollte, dass es Keinen gibt. Warum begannen Menschen erst im Notfall zu beten, wenn es eh schon keine Aussicht mehr auf Erlösung gab? Einen Gedanken, den ich nur ungern weiterführen wollte…

Gerade, als ich vor einer Gasse stoppte. Zuvor hatte ich beobachten können, wie eine kleine Bande, allerhöchstens vier oder fünf Mann, Freuden strahlend dort hinausgekommen waren, sich gegenseitig abklatschten und wiederum in irgendwelchen Nebengassen verschwanden, ihre Stimmen verstummten.
 

Das Einzige, was ich nun nur noch hören konnte, war der rasende Schlag meines Herzens; das Einzige, was ich sehen konnte, war eine kleine Silhouette in jener Gasse.
 

Klein…Und regungslos.

Vorsichtig schritt ich zu diesem Umriss heran, konnte Atem hören. Schweres Keuchen eher.
 

Und ich wusste, warum mir dieses Mal der blutrote Himmel nicht gefallen hatte, ja sogar tiefes Grauen eingejagt hatte:
 

Denn dieses Mal, hatte er dieselbe Farbe, wie du zu meinen Füßen.
 

Kapitel 2 – Ende

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Uhu, spannend, spannend! xDDD
 

Tut mir leid, wenn das Ende etwas Schlag auf Schlag kam…Aber das jetzige Ende sollte das eigentliche Ende werden, und da sonst das Kapitel nur aus Nonsense bestanden hätte (Ohne Vorlage aufs neue Kapi… xD), MUSSTE es einfach noch mit rein. x333 Hoffe es gefällt halbwegs… xDDD
 

LG, Nagi. *^*

P.S.:Es lohnt sich die Blitz5Days-Live-Version von Zakuro zu hören, wenn man es liest. ;D

…Und der Heilung, die ich mir erhofft hatte.

Und ich wusste, warum mir dieses Mal der blutrote Himmel nicht gefallen hatte, ja sogar tiefes Grauen eingejagt hatte:
 

Denn dieses Mal, hatte er dieselbe Farbe, wie du zu meinen Füßen.
 

~
 

Traumloser Schlaf...

Bildlose Erfahrungen…

Erdrückende Einsamkeit, ohne wirklich anwesend zu sein…

Es kam oft vor und war schlimmer als jeder Alptraum.
 

[Kaorus Perspektive]
 

Wie lang ich wohl schon hier saß, dem Regelmäßigen Piepen lauschte und versuchte, nicht vollkommen wahnsinnig zu werden? Mein Blick ging zu der Uhr an der anliegenden Wand, analysierte die Zeit und brachte mich dazu, meine Haltung zu verbessern und mich gerade hinzusetzen. Ich wollte schon vor einigen Stunden raus hier, Eine rauchen oder irgendetwas Essbares suchen…Doch dazu war es nie gekommen. Schon seit fast drei Tagen nicht mehr. Nur drei Tage…Es kam mir so viel länger vor.

Ein Seufzen verließ mich, ehe ich dich ansah. Wie sooft in den vergangenen Tagen. Wir kannten uns doch kaum und dennoch fühlte sich mich dir so verpflichtet. Gerade jetzt, wo du so vollkommen friedlich vor mir lagst, bis zu deiner schlanken Hüfte zugedeckt, mit einem freien Oberkörper, der nur etliche Kabel und wenige, jedoch tiefe Narben zeigte. Narben an deiner Brust…

Wieder seufzte ich, strich mir selbst mit offenen Händen übers Gesicht. Ich war müde. Todmüde, um ehrlich zu sein. Doch wenn ich versuchte einzuschlafen, hatte ich Angst, dass du mir in dieser Zeit wegsterben würdest, und brachte mich dazu, die Augen offen zu halten. Zwar war bisher nichts weiter passiert, außer das gelegentlich eine Schwester oder ein Arzt in diesen klinisch sauberen Raum trat, dennoch konnte ich meinen Geist einfach nicht beruhigen. Ich wollte ausharren. Bei dir. Solange, bis du deine Augen öffnen und mich wieder wie vorher verachtend ansehen würdest, bis ich sicher sein konnte, dass wir uns wieder sehen würden, dass ich noch einmal deine Stimme vernehmen durfte…

Das klingt so kitschig. So widersprüchlich, doch was sollte ich schon dagegen tun? Gerade jetzt, wo Niemand da war und ich das Gefühl hatte, jeden Moment in der anliegenden Nervenklinik zu landen, konnte man doch ruhig seine eigene, kleine Telenovela spinnen, oder etwa nicht?

Ich hielt mir die Augen zu und atmete tief durch, hoffte meinen Körper unter Kontrolle zu bekommen, doch konnte ich genau das seichte Zittern in jedem meiner Glieder verspüren, bemerkte, wie jeder Knochen in meinem Körper schmerzte und ich mich am liebsten in Embryonalhaltung auf den Boden legen und nur noch heulen wollte. Dein Zustand machte mich so fertig, zog mich mit hinunter…Am ersten Tag hatte ich mir ausschließlich Vorwürfe gemacht. Warum ich dich nicht begleitet hatte; warum ich erst kam, als die Täter schon fort gewesen waren; warum ich meinem Gefühl nicht sofort auf die Schliche gekommen war… Die eine Schwester hatte mir an diesem Tag empfohlen, nach Haus zu gehen. Sie würden mich schon kontaktieren.

Von wegen.

Kaum hatte ich die Klink verlassen, hatten mich schon panikähnliche Zustände eingeholt und ich war wieder auf dein Zimmer gestürmt, nur um zu sehen, dass sich bei dir nichts verändert hatte. Seitdem saß ich nun hier und vegetierte mehr oder minder vor mich hin, ohne, dass sich etwas veränderte oder Jemand zu Besuch kam. Wo war nur deine Familie? Und was Meine wohl dachte? War ja auch egal…Die hatte sich sicherlich schon etwas ausgedacht, wie ich ihn kannte.

Emotionslos betrachtete ich nun den Bildschirm mit deiner Herzlinie, die monoton dasselbe Bild und im selbigen Rhythmus jenes Geräusch von sich gab und anscheinend nicht die Güte besaß, meine Nerven zu schonen, jedoch die Gewissheit schenkte, dass mit dir alles okay war. Na ja, sofern man es als ‚okay’ bezeichnen konnte, schließlich hattest du nicht nur ein Loch im Kopf, sondern auch etliche Knochenbrüche und Blutergüsse, sowie eine aufgeplatzte Lippe. Und obwohl die Ärzte am Tag der Einlieferung meinten, dass du bald aufwachen solltest, hattest du es bis jetzt noch nicht getan.

Was hielt dich nur auf? War es vielleicht mehr gewesen, als sie mir verraten wollten? Oder warst du schon längst wieder erwacht und wolltest mich nur quälen, bis ich schlussendlich wirklich in der Nervenklinik landen würde? Wenn es Letzteres war, würdest du wohl recht bald siegen…

Ich ließ meine Hände wieder sinken, besah sie auf meinem Schoß. Ich hatte gebetet. Gebetet, doch wofür? Es hatte nichts genutzt. Du wärst fast verblutet und das nur, weil irgendwelche Pfosten dich als perfektes Opfer angesehen hatten? War das fair?

„Nein…!“

Dieses Mal hatte ich meinen Kopf in meine Hände gelegt, mich zusammengekauert und rang damit, nicht auf der Stelle die gesamte Welt zu verfluchen und ‚Gott’ auf jede erahnenswerte Art und Weise in den Dreck zu ziehen. Würde es doch eh Niemand vernehmen…
 

Gerade, als sich eine Hand auf meine Schulter legte, jaulte ich erschrocken auf und riss den Kopf hoch, um in das Gesicht der Person zu sehen, der diese Hand gehörte. Doch das Einzige, was ich sah, war die Farbe rot.
 


 

[Dies Perspektive]
 


 

Wir hatten uns nichts dabei gedacht, dass die Beiden auf einmal gefehlt hatten. Also Kaoru und Kyo, selbstverständlich. Also ich persönlich konnte schon verstehen, dass man mal in der Schule fehlte. Mein bester Freund war ja sowieso in letzter Zeit ziemlich fertig – was an unserem kleinen Blonden lag – und Kyo war mir sowieso ein ziemliches Rätsel, was ich mir vorgenommen hatte zu lösen. Wie auch immer, als dann jedoch heute nach der Schule Herr und Frau Niikura vor der Schule auftauchten, ahnte ich schon Schreckliches, denn sofort fuhren sie mich mit Fragen an, die für mich selbst noch im Dunkeln lagen. Doch was sollte man schon sagen, wenn man selbst nicht wusste, wo der beste Freund hin war?

Man log die geschätzten Eltern jenes Freundes natürlich ohne rot zu werden an und trommelte sämtliche Bekannte zusammen – eigentlich nur Toshiya und Shinya - um irgendeinen Hinweis darauf zu bekommen, wo er stecken könnte. So waren wir also eine ganze Weile in der Stadt unterwegs, den Weg von der Schule aus vollkommen ausgelassen, bis uns schließlich ein einleuchtender Geistesblitz traf: Fragen wir doch mal in dem städtischen Krankenhaus nach! Um ehrlich zu sein lag es eher an Shinyas Sorge, von wegen, dass sich Toshiya beim Kopfanstoßen an irgendeiner Kante in der Schule eine Gehirnerschütterung zugezogen haben sollte. Zufällig waren wir dann auf den Namen ‚Kyo’ gestoßen, als wir durch das Krankenhaus geschlendert waren. Ich hatte mich daraufhin von den Beiden ausgeklinkt, eine charmante Schwester gefragt, ob sie denn von einem geheimnisvollen Blonden und einem vollkommen übermüdeten Schwarzhaarigen gehört hatte und die beiden schließlich gefunden. Ob ich mir Gedanken über die Situation gemacht hatte? Eigentlich nicht, nein, ich wusste nur, dass es etwas Ernstes sein musste, wenn man die Beiden in einem Krankenhaus wieder finden sollte und hoffte innerlich, dass nicht Kaoru derjenige war, der hier liegen sollte.
 

So war es dann auch nicht.
 

Doch auch diese Gewissheit gefiel mir nicht.

Wie er dort saß...Abwesend…Verängstigt…Zitternd.

Es war, als wäre ich durch diese Tür in einer grauen und trüben Welt gelandet. Eine Welt, die ganz und gar nicht meiner Vorstellung entsprach.

Ich weiß gar nicht, wie lange ich mich wie ein Alien gefühlt hatte, ehe meine Beine sich aufgerappelt und sich in Bewegung gesetzt hatten…Ich konnte nicht mit ansehen, wie er vor meinen Augen an diesem Blonden zerbrechen würde, wollte ihn aus diesem grauen Dasein herausziehen, wieder in die farbige Welt stecken…Doch da sah ich schon sein Gesicht. Dieser Gesichtsausdruck, den ich an ihm nur sehr selten erleben durfte. Als hätte ihn eine böse Wahrheit eingeholt in der Gestalt seiner schlimmsten Träume, die ich lieber nicht erwähnen wollte.
 

„Kaoru…Hey…Was ist denn passiert?“
 

Ich fasste seine Schulter, erwartete irgendeine Reaktion. Mehr wollte ich nicht. Nur wissen, dass der Gitarrist mit Leib und Seele, den ich kannte, noch anwesend war oder nur eine kaputte Hülle vor mir hockte, was ich anfangs wirklich gedacht hatte, da er mich wirklich lange so verschreckt angestarrt hatte…
 

„Die…“
 

Sichtlich erleichtert, mich erkannt zu haben, konnte ich ein seichtes Schmunzeln auf seinen Lippen aufkommen sehen, ehe sich sein Blick wieder dem Verletzten zuwandte.
 

„Was soll schon passiert sein? Kyo wurde…Zusammengeschlagen.“
 

Er sah mich nicht an, schien aber auch jenen Körper nicht betrachten zu wollen. Hatte er seine Augen überhaupt noch auf? Vom Schatten im Schatten konnte man schließlich nichts unterscheiden. Wie von selbst drückte ich also diesen verwuschelten Haarball behutsam an mich und legte mein Kinn sanft auf Diesen nieder. Ich wollte ihm mit dieser Geste einfach zeigen, dass er nicht allein in dieser Situation war; dass er es nicht allein durchstehen musste.

Ohne ihn fragen zu müssen, wusste ich schon genau, dass er die ganzen Tage hier gehockt haben musste. Allein mit sich und seinen Gefühlen…
 

„Du brauchst eine Pause, Kao. Noch ein bisschen mehr und du krepierst hier noch. Willst du das denn?“
 

Sorgen brodelten in mir auf. Brüderliche Sorgen, auch wenn wir nicht ähnliches Erbgut in uns trugen, wir brauchten nun mal einander und kümmerten uns auch um einander. Wie sollte man da schon solch innige und ehrliche Gefühle verdrängen?

Bevor er jedoch, nachdem er meiner Aussage entsprechend seinen Kopf geschüttelt hatte, irgendetwas erwidern konnte, hatte ich ihn schon zum aufstehen gebracht und stützte ihn nun ein wenig. „Mach dir mal keine Sorgen. Geht du erstmal nach hause, iss was und schlaf dich aus, ich halt Wache, okay?“, aufheiternd lächelte ich dem Großen entgegen, versuchte ihm ein gutes Gefühl zu geben, damit er später abschalten konnte.
 

Jetzt zu sagen, dass ich mir vorstellen könnte, wie schlimm es für ihn sein musste, wäre eine glatte Lüge. Ich hatte keine Ahnung, welche Hölle er durchgemacht haben musste und doch beherrschte mich der Wille, ihm etwas dieser Last abzunehmen – Zu seinem Besten. Widersprüche ließ ich nicht gelten. Genauso wenig wie Lügen.

Schule konnte man später immer noch nachholen, meine Eltern interessierten sich sowieso nur wenig für mich, wenn sie denn überhaupt mal da waren. Einmal zum Arzt gelaufen und das Thema war geklärt.
 

„Und was ist, wenn-…“ „Kein ‚wenn’, geh. Jetzt sofort. Ich ruf dich auch an, wenn er wieder bei Sinnen ist.“
 

Kurz vor der Zimmertür stoppten wir, – ich hatte ihn vorsichtig immer wieder in diese Richtung gestupst und dabei leicht geschoben – ehe sich Kaoru ungehindert zu mir umwandte. Auch wenn kein Wort über seine Lippen sprang, konnten seine trüben Augen Bände sprechen. Unsere Freunde staunten schon immer über die Verbindung, die wir zu einander aufgebaut hatten. Wie wir uns immer einen Spaß machten und den Satz des Anderen beendeten. Wie wir uns stundenlang schweigend anstarren konnten und doch so viel zwischen den wenigen Zentimetern zwischen uns geschah, dass man hätte mehrere Filme aus diesem Stoff drehen und etliche Fortsetzungen dazu spinnen konnte.
 

Ohne Worte.

Lautlos.

Wie eine Laterne getragen vom Wind.

Abhängig und doch unabhängig voneinander. Ein wunderschöner und gleichzeitig Furcht erregender Gedanke.
 

Genau dies spielte sich wie sooft zwischen uns ab. Ich wusste sofort, was er sagen, aber nicht aussprechen konnte, was er tun wollte, aber nicht schaffte….

„Ist ja gut, ist ja gut. Jetzt hau schon ab, Spinner.“, ich konnte nicht anders als leise zu kichern, die Tür zu öffnen und den Schwarzhaarigen aus dem Zimmer zu stoßen. „Mach, dass du wegkommst“, ein Augenzwinkern meinerseits, „…und pass auf, Shin und Toshi lauen hier irgendwo auch noch auf dich.“, und damit war die Tür auch schon wieder geschlossen. Jetzt galt es sich um ihn zu kümmern. Hoffen wir mal, dass es nicht all zu lang dauern sollte…
 

„Dann mal ran an die Arbeit~!“
 


 

~*~
 


 

Ich war wirklich nie der geduldigste Typ Mensch, der hier auf Erden wandelte. Mittlerweile bereute ich es sogar, meine Zeit hier freiwillig ohne irgendwelche Begleitung absitzen zu wollen. Niemand, mit dem man sich beschäftigen konnte, keiner zum Reden oder sonst was. Nur eine leblose Puppe und ich.

Teilweise hatte ich mir sogar den Spaß gemacht, mit dem Blonden zu reden, als wäre er schlicht eine Pflanze, die im Raum herumstand; hatte in sämtlichen Schränken herumgewühlt, dämlich aus dem Fenster gestarrt und überlegt, wo eigentlich die Klamotten des Jungen steckten. Hatte Jemand sie vielleicht mitgehen lassen? Oder hatte man sie verbrannt? Vielleicht hatte Kaoru allerdings auch solchen Hunger gehabt, dass er sie kurzerhand verschlungen hat. Ich sollte ihn demnächst einmal fragen…

Jedenfalls hatte ich etwas Unterhaltsames gesucht, nicht gefunden und war wohl auf die unbequemste Art und Weise, die es in diesem Universum gab, auf einem Stuhl eingeschlafen und würde wohl nach dem Erwachen solche Schmerzen haben, das ich lieber nicht daran denken würde…
 

So wurde ich ganz und gar in die mir unbekannte, surreale Welt gezogen, von der man meinen könnte, dass sie meinem Verstand entsprungen und sich in Bildern manifestiert hat, von der ich jedoch genau behaupten kann, mir niemals so etwas ausgemalt zu haben:
 


 

Dem fremden Herzen entsprungene Melodie drang in meine tauben Ohren, lockte mein Sein aus der Dunkelheit, die mich wie ein unüberwindbarer Vorhang umgab und schenkte meinen Augen Licht. Doch zu was waren Augen gut, die nichts erblickten?

Mich liegend wieder findend, setzte ich mich auf, bemerkte, dass ich etwas in den Händen hielt. Etwas Warmes, Lockeres…Feuchtes? Sofort wollte ich sehen, was es war, wurde von der Wahrheit überrascht. Es war Erde. Rötliche, körperwarme Erde, die einen süßlichen Geruch verbreitete und meine Nase verzückte. Was war das hier? Es schien mir wir ein Garten Eden…Nur ohne Pflanzen oder Bewohner, was mich nachdenklich stimmte, da der Boden immer wieder umgegraben zu werden schien.

Die Wärme drang in meinen Körper ein, erfüllte ihn, ließ mich im Traum träumen, so lehnte ich mich wieder zurück, wollte noch etwas die Sonne genießen, bis mir Folgendes auffiel: Hier gab es keine Sonne. Nicht einmal einen Himmel gab es. Allein eine graue Wölbung schien das Firmament auszumachen, ebenso wie ein unendlich fortlaufender Horizont. Doch warum war hier nichts?

Ich rollte mich auf die Seite, stand auf und ließ meinen Blick schweifen. Es musste doch einen Weg oder irgendein Lebewesen geben. Ich konnte doch nicht der Einzige sein! Kurzerhand lief ich los, immer weiter und weiter, endlos.

Doch auch die Zeit schien keinen Einfluss auf diesen Ort zu nehmen, ließ kein Lüftchen wehen, keine Schmerzen einsetzen. Bewegte ich mich überhaupt? Eigenwillig stoppte ich meine vermutliche Bewegung, fing an zu rufen, doch kein Laut trat aus meiner Kehle. Laute? Wo war die Melodie hin? Stille herrschte, doch schien sie nicht wie Blei. Auch nicht angenehm. Es war, als wären an den Ohren Wattebausche, die das Trommelfell schützen, lähmen wollten. Auch wenn ich wusste, dass ich stand, hatte ich das Gefühl zu fallen, wollte mich ganz von der Atmosphäre und der Geborgenheit dieses Ortes verführen lassen, vom Leben lassen…Hier die Ewigkeit verbringen…

War da nicht etwas, was ich noch machen sollte? Etwas wichtiges…Doch was war es?

Wieder am Boden liegend schienen mich meine Sinne nun vollkommen verlassen zu wollen, mir Frieden zu geben…

Oder wollten sie mich nicht eher zu einer Puppe machen? Ohne Willen und Gefühl?

Ein Wimpernschlag.

Ein Atemzug.

Ein Herzschlag.

Doch dieses Mal sah ich ein Lächeln. Solch weiche Lippen, die sich zu dem wohl verlockendsten Gesichtsausdruck formten, den ich bis zu diesem Augenblick kannte. Auch wenn ich dieses Gesicht nicht kannte, wollte ich mich nicht fürchten, wollte nicht hetzen, genießen. Dieses unbekannte Gefühl… Meine Irden lösten sich vom Mund des Fremden, wanderten an seinem nackten Hals entlang, bis zu seinem Becken. Dort, wo hätten eigentlich Gelenke und Beine, Fleisch und Blut sein müssen, war nichts; nichts, außer mein eigener Körper. Es war, als wären diese Person und ich verschmolzen, zu einer geschlechtslosen Kreatur, erfüllt von unwirklichen Gefühlen und Empfindungen. Zeitlos…
 

„Was ist den sehnlichster Wunsch?“
 

Er wollte seine Hand auf meine Brust legen, fasste hindurch, verschmolz immer mehr mit mir. „Willst du bei mir bleiben? In dieser Welt? In meiner Welt?“, er fragte einfach weiter, brachte mich zum Nachdenken.
 

„Nein.“ „Warum nicht?“
 

Gemach zog ich seine Hand aus meiner Brust, drückte sie an seine eigene, richtete mich halb auf. „Ich…Muss noch etwas tun.“
 

„Ist es wichtiger als ich? Schöner als dieser Ort?“

Ich konnte nur mit dem Kopf schütteln. „Dieser Ort ist nicht schön.“, ich wusste wieder, was mein Ziel war, riss mich wieder zusammen. Es musste einen Ausweg geben. „Ich brauche keine Lügen. Du kannst mir meine Wünsche sowieso nicht erfüllen.“ Ich gewann das eigenständige Bewegen meiner Gliedmaßen wieder, drückte den Blonden von mir herunter, lächelte dabei seelenruhig. Doch gefiel ihm mein Entschluss nicht; er begann Worte zu schreien, die ich nicht verstand; schlug um sich, kauerte sich zusammen, wimmerte…Und ich konnte nicht anders, als ihn in meinen Arm zu ziehen und ihm sanft durchs Haar zu streichen. „Bitte, lass mich gehen.“
 

Das Letzte, was ich spürte, war jene schmerzvolle Empfindung, die man verspüren muss, wenn der eigene Körper zerberstet.
 


 

Das nächste Gefühl, an das ich mich erinnere, ist ein Schweregefühl, doch nicht trägen Ursprungs, sondern real durch Körpergewicht. Denn zu meinem Erstaunen saß der zuvor nicht ansprechbare Kyo auf meinem Schoß, die Arme auf die Lehne des Stuhls gelegt und starrte mich an. Mit blauen, nein, mit braunen Augen. Eines blutunterlaufen, das Andere rein und mit einem Gesichtsausdruck, der mir das Verlangen einhauchte, wieder in jene unbekannte, friedvolle Welt zurückzukehren. Doch war mir dies wohl unmöglich.

Den Schmerz von meinem Rücken ignorierend, brauchte ich einige Sekunden, ehe mein Verstand mich erreichte, meinen Pulsschlag allmählich verlangsamte und mir jenen kühlen Kopf schenkte, den ich nun am nötigsten brauchte.
 

„Ah…Du bist also wach. Wie…Nett.“, ich strich mir durchs rote Haar, grinste verschmitzt. „Könntest du dann von mir heruntergehen oder dir wenigstens was anziehen?“ Ich versuchte ihn von mir herunterzubekommen, doch war das nicht so einfach, wie ich es vermutet hatte. Wer hätte auch schon ahnen können, dass solch ein kleines Wesen sich so schwer machen konnte? Gerade wenn er sich partout nicht rühren wollte!
 

„Nu beweg dich schon. Ich muss noch was erledigen.“, wieder versuchte ich den Kleineren von mir herunter zu bekommen, doch scheiterte dies an der Reaktion des Letzteren. Denn er lehnte sich nur weiter vor, drückte seine Stirn gegen meine, umfasste mit einem ungeahnt kräftigen Kralle Kinn und Nacken meines Kopfes, kicherte mit solch unheimlichen Unterton auf, dass es mir das Blut in den Adern gefror.
 

Was war denn jetzt los? Was wollte er? Träumte ich vielleicht noch? Ich verstand nichts mehr, war vollkommen verwirrt, doch wusste, dass er es mir nicht ansehen sollte. „Also-…“
 

„Du bleibst bei mir. Ich lasse dich nicht gehen.“

Warum fesselten mich allein diese beiden Sätze? So beherrschend, dass ich mich nicht wehren konnte, mich nicht wehren wollte…
 

„Du bis doch mein Freund, oder nicht? Du hilfst mir, oder? Du lässt mich nicht allein…“ Er verstärkte den Druck zwischen unseren Stirnplatten, schien diesen Schmerz zu genießen, da er – wohl durch mein Schweigen ausgelöst – wohlig aufseufzte und dabei die Augen schloss. „Du tust mir nicht weh.“
 

Das wurde mir jetzt aber zu bunt!

Ich drückte ihn von mir weg, erhob mich augenblicklich und stieß ihn zurück auf das kalte Krankenbett. „Ich weiß ja nicht, wie sehr du was auf den Kopf bekommen hast und die Tatsache, dass ich dein Freund bin, stimmt ziemlich, aber du machst dir echt nur Feinde, wenn du weiter auf dieser Schiene fährst!“, ich konnte nicht anders, als meine Stimme zu erheben. Wachgerüttelt durch das Adrenalin der Furcht, welches mir der Geschundene verschafft hatte, wollte ich das Gleichgewicht wieder herstellen; versuchte mich mit dem Gedanken zu beruhigen, dass er noch unter Schock stehen musste; drang mich dazu, nicht vollkommen in Panik zu verfallen, konnte allerdings hören, wie mir das aufgetaute Blut durch sämtliche Zellen und Organismen meines Körpers preschte und wohl schon Rekordgeschwindigkeit erreicht hatte.
 

„Wenn du Hilfe brauchst, mach den Mund auf und erklär mir ruhig, was los ist, aber komm mir nicht auf diese Art. Ich bin immer noch ein Mensch. Dein Freund. Verstanden?“ So ernst, wie ich versuchte zu sein, konnte es mir nicht klar werden, wie Kyo in solch einer Situation wie bedeppert dasitzen und lächeln könnte. Einfach nur lächeln…Dasselbe Lächeln, welches ich zuvor in diesem Traum erfahren durfte. Doch unter ganz anderen Umständen.
 

Warum machte ich mich überhaupt so zum Narr? Der Blonde schien nicht so viele Freunde, eher Feinde, zu haben, da konnte es doch gut und gern vorkommen, dass man nach so einer Erfahrung Angst in Wahnsinn verwandelte. Würde ich in seiner Haut stecken, hätte ich mich wahrscheinlich auch derartig verhalten. Wieso also dieses Entsetzen?
 

Kurz atmete ich ruhig durch, ehe ich mich neben ihn platzierte und mit Bedenken musterte. „So…Jetzt sag mir, was los ist.“
 


 

~*~
 


 

[Kaorus Perspektive]
 

Als ich das Krankenhaus verlassen hatte, habe ich noch nicht ahnen können, wessen sich Die angenommen hatte und was dies für den späteren Verlauf Unseres Lebens bedeuten sollte.

Wie von meinem rothaarigen Freund ‚versprochen’, fanden Shinya und Toshiya mich fast sofort, redeten ein wenig über ganz normale Dinge, die für mich wie Balsam für die Nerven waren, versuchten herumzualbern, erkundeten sich nach Kyo und versicherten mir, wie er zuvor, dass Die mit diesem Fall schon fertig werden würde; dass ich mich eventuell zu sehr hineingesteigert hatte und deshalb so entkräftet war. War mir nur Recht. Ich hatte sowieso nicht mehr die Reserven an Energie, um ihnen das Gegenteil dazulegen und auch noch zu belegen. Auch wenn ich einfach nur noch in mein Bett wollte, wusste ich, dass ich mich nur wieder durch die Nacht quälen würde, beziehungsweise gar keine ruhige Minute erleben dürfte, so hatte ich den Großteil meiner verbliebenen Freizeit – nachdem eine Standpauke meiner besorgten Eltern, gleich eines ausgewogenen Abendmahls, an mir vorbeigerauscht war – dazu genutzt, mit unserer Mutter Shinya bis tief in die Nacht zu telefonieren, mir die Sorgen von der Seele zu reden, meine Angst zu schildern und endlich Frieden in meinem wolligweichen, gemütlichen Bett zu finden und auf einmal hatte ich die Ahnung, wie sich ein Wassertropfen in der Luft fühlen musste.

Einfach himmlisch…
 

Und wider meines Standpunktes des grauenvollen und unnützen Versuches der Erholung, gelang es mir, mich bis zum nächsten Aufeinandertreffen mit Die und Kyo fast vollkommen zu genesen.

Zum Gunsten aller Familienangehörigen und Freunden. Natürlich auch mir selbst.

Dennoch konnte ich mir einen seltenen Gedanken an die beiden Verbliebenen nicht verkneifen, konnte jenen schmerzhaften Bewusstseinssplitter erfolgreich verdrängen und innerlich sowohl loslassen, als auch mich mental auf nächste Schwierigkeiten vorbereiten.
 

Im Rückblick war dies wohl vorbestimmt gewesen, da ich sonst die nächste Zeit niemals durch gestanden hätte.
 

Doch zuerst zum erneuten Erscheinen des Sängers unserer Amateurband und der Verzweigung zu meinem besten Freund:
 

Als ich am nächsten Wochenanfang den Weg zur Schule beschritt, bereit von sämtlichen schadenfreudigen Lehrern gelyncht zu werden, um irgendwie den vergangenen Stoff aufzuarbeiten – in der bitteren Hoffnung, dass sie nur wiederholt hätten – hatte ich schon mit anormalen Begebenheiten gerechnet, doch niemals mit Verrat meines – beinahe – eigen Fleisch und Blutes.
 

Noch bevor ich den Klassenraum betreten sollte, war mir die Erkenntnis gekommen, dass Die mich niemals in den vergangenen Tagen kontaktiert hatte, geschweige denn irgendein Lebenszeichen von sich an mich weitergegeben hatte.

Unserem geehrten Elternpaar in spe dagegen schon.

Bei Unterrichtsbeginn war hinzugekommen, dass sich Kyo und mein Freund zusammengesetzt hatten, während Toshiya nun sein Dasein an meiner Seite fristen durfte und den Zorn abfangen durfte, der den anderen Beiden gewidmet war, da sie mich weder eines weiteren Blickes oder auch nur eines Wortes gewürdigt hatten.

Als würde ich nicht anwesend sein. Und zu meiner Verteidigung zu erwähnen ist auch, dass Die in der ganzen Zeit, die wir miteinander geteilt hatten, nie solch ein negatives Verhalten an den Tag gelegt hatte.

Warum also dieses Mal?
 

Als ich den Versuch gestartet hatte, sie zur Rede zu stellen, waren sie wohl verschiedener Auffassungen gewesen. Da mich Die nicht einmal ansehen konnte, hatte Kyo den redenden Part übernommen, mir gesagt, dass es ihm besser ginge und wir lieber so tun sollten, als wäre dies nie passiert – Pardon, ich hatte nur menschliches Verhalten an mir, dass ich mich erkunden wollte und dies auch noch an mich heran gelassen hatte. Darauf waren Beide auch so schnell verschwunden, wie der Blonde gesprochen hatte.
 

Vielleicht konnte man es Eifersucht, Neid oder Gier nennen – alles Todsünden – was da in mir aufbrodelte, doch irgendetwas sagte mir, dass Die es weder verdient hatte, sich dermaßen gut mit Kyo zu verstehen, während ich beinahe daran zugrunde gegangen wäre, noch sich die Frechheit erlauben durfte, mich, seinen besten Freund – und ja, ich durfte mir sehr wohl etwas darauf einbilden – einfach so zu ersetzen.
 

Einen Bruder konnte man doch nicht einfach so ersetzen.

Er hatte mir auch noch nie etwas verschwiegen.

Wie konnte es dann sein, dass er sich binnen weniger Tage dermaßen verändert hat?
 

Und warum konnte ich nur daran denken, wie unfair es war, dass nur ich solch Probleme mit diesem blonden Teufel hatte?
 

Kapitel 3 – Ende.

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Und wieder ist es anders gekommen, als es geplant war…Haha. xD Dennoch liegt es noch ganz in meiner Vorstellung. ;D

+ Wieder ein wunderschöner Musiktipp zu diesem Kapitel: Und zwar ‚The Blossoming Beelzebub’ vom neuen Album. <3
 

Kritik & Kommis & Favos gern gesehen! <3 (Tippfehler inklusive. xD)
 

LG. Nagi. *^*

Different Sense [Reversed] - Part One.

Und warum konnte ich nur daran denken, wie unfair es war, dass nur ich solch Probleme mit diesem blonden Teufel hatte?
 


 

~*~
 


 

[Kyos Perspektive]
 


 

~* ? naem yks eulb eht seod tahw … seY
 

uoy erofeb erutuf eht htiW
 

ezilaer lliw uoy noos tuB *~
 


 

Kauderwelsch in meinem Kopf.
 

Buchstaben; Silben, die keinen Sinn ergeben. Das Gefühl, in ein tiefes Loch zu fallen.

Ich kenne dieses Gefühl – schon lange. Ich kann mich sogar noch ganz genau an das exakte Datum erinnern. Mit Uhrzeit.

Es war am 15. Dezember des Jahres, an welchem mein Dreizehner Geburtstag gewesen war.

18 Stunden, 42 Minuten und 57 Sekunden nach Mitternacht, ich hatte gerade erst auf die große Standuhr gesehen, die damals noch beinahe makellos in unserem Flur ihren Platz hatte, ehe ich das erste Mal in diesen Abgrund gestürzt war.

Hals über Kopf, ungewollt und doch bewusst.

Einfach…So.
 

„Und, wie sind die Wochen nach unserem letzten Gespräch verlaufen? Du hattest gemeint, deine Mutter hätte dich wieder zur Schule geschickt und du würdest es wieder in Erwägung ziehen, regelmäßig hinzugehen. Hast du es getan?“
 

Dieselbe Zimmerdecke in diesem dämlichen Orange gestrichen. Ein kaum merkbarer Druck auf meiner Stirn.

Ich habe Kopfschmerzen.
 

„Ja, ich bin hingegangen.“

Dies war nicht gelogen. Ich bin sogar regelmäßig hingegangen – insofern es mir möglich gewesen war. Lügen musste ich bis jetzt also noch nicht.
 

„Wie findest du deine neue Schule? Hast du schon Freunde gefunden?“
 

„Langweilig. Ja.“

Die Antworten so kurz wie möglich halten.

Ich hasste diese Tage.

Jeden Monat lief es auf dasselbe hinaus: Ich kam hierher, legte mich auf das alte, raufaserige, algengrüne Sofa und starrte immer auf dieselbe Stelle an der Decke. Ich wollte weder die Frau ansehen, die mir gegenüber saß, noch die kindischen Bilder an den weißen Streifen, die das dämliche Orange unterbrachen und an ein angebliches Rot grenzten. Meines Erachtens nach, war auch dieses ‚Rot’ nur ein ‚Orange’.

Ein noch viel dämlicheres Orange, als jenes an der Decke, denn man versuchte es als ‚Rot’ zu verkaufen.

Sie redete mit mir.

Stellte mir Fragen, denen ich nur halbherzig lauschte und gelegentlich Lügen als Antworten gab.

Sie wusste es.

Sie kannte mich nun schon seit vier Jahren. Sie hatte mir damals versucht, aus dem Loch zu helfen; mir eine Hand zu reichen. Doch ich wollte es nicht.

Sie sah auch die zertrümmerte Standuhr, die jedoch weitergetickt war und noch immer Stunden, Minuten und Sekunden angezeigt hatte.
 

Warum?
 

„Heute wieder so gesprächig, Kyo?“
 

Ich konnte mir genau ihr Gesicht vorstellen. Ein verzweifelt wirkendes Schmunzeln unter ihren geröteten Augen, während sie ihren Kopf seicht schüttelte und sich Notizen anfertigte.
 

„Bist du nett zu deinen Freunden?“
 

„Mhm.“

Ich wollte, dass es aufhörte. Einfach gehen, auch, wenn ich keinen wirklichen Zufluchtsort hatte.

Nur…Bei meinem momentanen Wirt fand ich ein Bett für die Nacht.

Bei diesem Rotschopf…Die, oder so.
 

„Du magst sie also, gut…Dann…Was geht dir gerade durch den Kopf?“
 

Was mir durch den Kopf ging?

Was ich denke, was mich verwirrt? Als würde ich dir das erzählen, du hässliche Krähe. Du magst zwar einen Einserabschluss in Psychologie haben, dennoch wirst du niemals wissen können, was mich beschäftigt. Du machst doch nur Profit bei mir. Nicht mehr und nicht weniger.

In all den Jahren habe Ich mit ansehen können, wie es mit dir den Bach heruntergegangen war; wie du schon einmal kurz vorm Selbstmord standest, nur weil du zu feige für das Leben bist; weil du nicht mal deine eigenen Probleme lösen kannst.

Und da willst du meine Lösen wollen, du dumme Gans?

Dass ich nicht lache.
 

„Ich denke gerade an die Hausaufgaben für Geschichte nächste Woche.“

Ich wusste nicht mal genau, ob wir überhaupt welche auf hatten. War mir auch egal gewesen. Ich hatte mich lieber meinen Geschäften gewidmet…Und bisher verlief alles ganz nach Schnürchen.

Wie soll man auch etwas an einem perfekten Spiel vermasseln können? Die menschliche Psyche war so einfach gestrickt, dass selbst ein ‚Jüngling’ wie ich dieses simple Konstrukt nach seinem Willen beeinflussen und lenken konnte.

Nur die eigene Psyche scheint einem wie das größte Rätsel…Doch auch den eigenen Körper konnte man mit starken Gedanken lenken. Ganz einfach, also.
 

„Haha, hätte ich an deiner Stelle jetzt auch gesagt, Kyo.“
 

Haha! Von wegen.
 

„Gut, dann zum Schluss: Mach mal deinen Oberkörper frei, ich möchte sehen, ob du rückfällig geworden bist.“
 

Als wäre ich Suizidgefährdet. Nur weil ich die Angewohnheit habe, mir gelegentlich mit den eigenen Fingern die Haut an Armen und Brust abzuschaben bis es blutet, muss sie dies doch nicht immer verlangen. Ich werde so oder so weitermachen. Wenn mir danach ist, warum dann nicht?

Vielleicht geilt es sie ja auch auf, dass ihr Minderjährige einfach so gehorchen. Schließlich ist sie ja ausgebildet.
 

Dennoch setze ich mich richtig auf, entblöße meinen Körper bis zur Taille und erwarte eine Reaktion in ihren Augen. Ein einfaches Pupillenweiten oder ein Glänzen würde schon reichen.

Doch wie soll ein Fisch schon Erregung spüren können?

Unmöglich.
 

Der Teil mit dem Begutachten dauert für mich immer am längsten, da sie wirklich jedes bisschen Haut ganz genau betrachtet und nach jeder Narbe fragt, bei der sie denkt, dass diese neu sein könnte. Dabei sind es bisher schon immer dieselben gewesen. Aber woher sollte sie das schon wissen, nicht?
 

„Hm…Gut. Dann kannst du dich jetzt anziehen und wieder gehen. Bis in einem Monat, ja?“
 

Kaum ausgesprochen, verlasse ich wieder angezogen auch schon das Zimmer abschiedslos und mache mich auf den Weg nach draußen. Wohin mich mein Weg auch führen wird…
 


 

~* .terger fo gnileef eht htiw gnola, ti dne ot emit s’tI
 

uoy repmap ot eno oN
 

uoy evas t’nac taht rewsna eht ot no gnignilC *~
 


 

Aus dem Spätsommer war mittlerweile Winteranfang geworden, deswegen es also wohl kaum ungewöhnlich war, dass man in der Kälte der Luft schon den eigenen Atem sehen konnte. Früher fand ich dies immer lustig, hatte getan, als wäre ich eine Dampflok…Ja, auch ich war einmal ein Kind gewesen. Wenn auch ein leicht Verkorkstes.
 

Suchend fasste ich an meine Jackentasche, erfühlte, was mein Herz verkörperte, merkte, wie sich ein Lächeln auf meine Lippen schlich.

Mein Notizbuch.

Mein geliebtes und geschätztes Notizbuch.

Es war noch da. Es war immer da.

Eigentlich war es nicht mal etwas Besonderes. Ich hatte es mal aus einer Laune heraus gekauft. Mit ein wenig Kleingeld war es also auch sehr günstig gewesen. Anfangs hatte ich nichts damit anzufangen gewusst, es einfach neu gekauft in die Ecke geschmissen und fast vergessen.

Später, mit angehender Reife entdeckte ich, dass es manche Gedanken wert waren, aufgeschrieben zu werden. Zeichnungen hatte ich auch dort hineingekritzelt. Geschichtliche Themen und Vorurteile fanden dort ihren Platz. Dinge, die mir einfach in den Sinn kamen und durch eben dieses Aufschreiben hatte ich eine Bindung zu diesem Buch aufgebaut.

Wohl die innigste Bindung, die ich jemals haben sollte.

Aus diesem Grund trug ich es auch bei mir. Sicherlich war es hier und da etwas ‚gebraucht’, doch störte es mich nicht. Man erkannte, dass es zu mir gehörte…Auch wenn ich es Niemand Anderem geben würde. Nicht, weil es mir peinlich wäre…Man würde ja auch nicht einfach so einen Bruder hergeben, oder? Oder wenn, dann würde man schon kämpfen, um ihn wieder zu bekommen. Sollte man meinen.
 

In dem Gedanken, den melodischen, unverständlichen Stimmen einen Eintrag zu entbehren, bog ich in eine Nebenstraße ein, stieß mit einem jungen Mann in meiner Größenordnung zusammen und ging einfach weiter, ohne mich zu entschuldigen oder noch mal umzudrehen. Wie zwei solch kleine Niemande so stark miteinander kollidieren konnten…Eigentlich verwunderlich. Sonderlich massig kam er mir auch nicht vor, was die physikalische Erklärung auch nicht wirklich passieren lassen konnte.

Hm, vielleicht war er zuvor ja gerannt und deswegen noch so schnell? Ein unnützer Gedanke, der mir die Zeit totschlagen sollte.

Mein Blick ging gen Himmel.
 

Bald würde es schneien…

Der erste Schnee…Etwas Besonderes für Liebende oder Freunde.

Etwas Todbringendes für Arme, die auf den Straßen leben mussten.
 

Eine Ironie, dieser blaue Himmel.

Ja…Was bedeutet der blaue Himmel?

Was ist Glauben?
 

Mir egal.
 


 

~*~
 


 

[Kaorus Perspektive]
 

Ich hatte den Blues.

Jedoch nicht den Musikalischen, sondern den Emotionalen.

Ich fühlte mich einfach…leer. Ein sehr merkwürdiges Empfinden, wenn ihr mich fragt. Man spürt einfach Nichts, ist im Zustand der kompletten Gleichgültigkeit.

Komme was da wolle.

Es war mittlerweile sogar dazu gekommen, dass ich mein Zimmer nur für das nötigste verließ; mich ansonsten hier vergrub und mit Nichtigkeiten beschäftigte; zusehen konnte, wie der schwarze Lack meines Saiteninstrumentes allmählich trüber wurde – irgendwann von Grau bedeckt sein würde.

Hier auszuharren war anders, als damals im Krankenhaus, schließlich ging es dort nicht um mich, sondern um eine andere Person.

Aber nun…Nun weiß ich nur noch, wie spät es ist, wenn meine Mutter hineinkommt, um zu fragen, ob ich mit ihnen zusammen essen wollen würde.
 

Doch selbst dazu hatte ich keine Lust mehr.
 

Mutter machte dies traurig – verständlich, wenn es um das eigene Kind ging – und Vater…er stürzte sich in die Arbeit, um nicht in den Problemen seiner Familie unter zu gehen. Ein tolles Vorbild.

Seufzend drückte ich einen Kopf auf der Fernbedienung in meiner Hand, wechselte den Sender, ließ einige Worte auf mich einprasseln oder eher vorbeiziehen und schaltete wieder um.

Die üblichen Sendungen zur üblichen Sendezeit am üblichen Tag.
 

Monotonie.
 


 

~* elims taht htaenrednu edih uoy sA! uoy ot tsaot A
 

maerd eht gnivarc flesruoy esol uoY
 

gnihtyreve tsol gnivah gnizilaer neve toN
 

tuo-nuhs thgil eht htiw gnola ,yks decidujerpnu eht nevE *~
 


 

Leise öffnete sich die Tür zu meinem Zimmer, überhörbare Schritte folgten. Ich wusste genau, dass es meine Mutter war – sie trug schon seit Jahren dieselben Filzhausschuhe, um die teuren Parkettdielen nicht abzunutzen und schlich damit praktisch von einem Ort zum Nächsten.

In letzter Zeit meistens von der Küche zu meinem Zimmer.

Sie blieb auch immer auf derselben Stelle stehen und sah mich eine ganze Weile prüfend an, ehe sie sprach.

Wo sie stand?

Im Türrahmen.

Mit vor der Brust gekreuzten Armen und der Sorgenfalte auf ihrer sonst so glatten Stirn.

Vielleicht erhoffte sie sich eine Reaktion von mir, oder wollte einfach sehen, wie ich meinen Tag verbrachte…Das war mir relativ egal.

Jeder normale, junge Erwachsene hätte dies wohl als störend empfunden. Ich jedoch nicht. Ganz im Gegenteil, ich würdigte ihr nicht einmal einen Blick, schaltete unbekümmert weiter im Fernsehprogramm, so lange, bis sie anfangen würde zu reden.
 

„Kaoru, Schatz, magst du nicht mit ins Esszimmer kommen? Ich habe dein Lieblingsessen gekocht…Das willst du doch nicht kalt werden lassen, oder?“
 

Sie kochte mir schon seit langem immer mein Lieblingsessen, damit ich rauskommen würde. Doch dazu war es mittlerweile noch nicht gekommen. Ich hatte einfach nicht das Verlangen danach. Egal, mit was sie mich locken würde… Ich würde sie nur weiter verletzen und hier auf meinem Bett liegen bleiben.
 

„Kaoru…Warum redest du denn nicht einmal mehr mit mir? Du weißt doch, dass ich immer ein offenes Ohr für dich habe…Deine Freunde machen sich sicherlich auch schon Sorgen…“
 

Ich hörte ihr Zittern in der Stimme.
 

„Besonders Die. Ihr seit doch beste Freunde, oder habt ihr euch gestritten?“
 

Sie bekam keine Antwort von mir.
 

„Geh doch wenigstens Mal raus, Schatz. Das tut dir bestimmt gut! Ja? Du kannst doch nicht die ganze Zeit in deinem Zimmer bleiben…Du wirst noch krank.“
 

Krank’ war das richtige Wort.

Ich war schon krank.

Krank vor Sehnsucht nach der Zeit mit meinen Freunden; Krank vor Wut auf ihn.

Er hatte mir meinen Bruder genommen. Wie ein listiges Raubtier hatte er sich seine Beute gesucht und quälte sie solange, bis sie entweder verderben oder betteln würde, gefressen zu werden.

Grausam.

Gerade, weil er nicht nur seine Beute damit quälte, sondern den Rest des Rudels auch noch. Leichte Beute…
 

„Jetzt rede doch mit mir! Kaoru, ich mache mir Sorgen! Ich kann schon gar nicht mehr Schlafen, weil du den Mund nicht aufmachen willst! Was ist denn nur los mit dir?! Soll ich mit dir zum Psychologen, ist es das was du willst?!“
 

Verzweiflung klang aus ihrer Stimme. Meinte sie wirklich, dass ein Seelenklempner helfen würde? Die konnten sich doch eh nicht in eine andere Person hineinfühlen, hatten nur ihre dämlichen Vorlagen, wie man was diagnostizieren und dann behandeln kann.

Die Wenigsten konnten sich wirklich in Andere hineinfühlen.
 

Deswegen nahmen sich trotzdem alle Depressiven das Leben, wenn die Medikamente auch nicht mehr halfen.

Deswegen hungerten die Magersüchtigen irgendwann weiter, weil sie so nicht leben konnten.

Deswegen wurden bei Gewalttätigen die Aggressionen irgendwann wieder wach, damit sie ihren Problemen Luft machen konnten.

Niemand konnte Heilung versprechen…Es hing von jedem selbst ab.
 

Und von den eigenen Entscheidungen.
 

Ich schaltete den Aperrat aus, erhob mich von meinem Bett und schritt an meiner wahrscheinlich weinenden Mutter vorbei aus der Haustür hinaus ins Freie. Irgendwo in mir wusste ich genau, dass es mir leid tun musste, was ich meiner Erzeugerin antat…Doch auch sie verstand mich einfach nicht.
 

Ich fühlte mich wie ein Ertrinkender im Eismeer. Gelähmt von der Kälte; unfähig, die Wasseroberfläche zu erreichen konnte ich nur den Mond am verschwimmenden Firmament erkennen, wie er immer blasser wurde und irgendwann verschwinden würde.

Bis ich verschwinden würde.
 

Nur flüchtig hatte ich mich umgesehen, bemerkt, dass die Bäume um unser Haus herum schon lange ihre Blätter verloren hatten und ziemlich trostlos aussahen. Dem Tod gleich…

Auch Frost war zu ihrem Begleiter geworden, bedeckte sie verführerisch mit seinem Glanz, schien die Illusion einer wärmenden Decke zu sein…

Ich schlug einfach irgendeine Richtung ein, nur fort von hier. Vielleicht hatte Mutter ja Recht gehabt, vielleicht brauchte ich ja wirklich die frische Luft.

Und vielleicht, nur ganz vielleicht würde ich ja eine bekannte Seele treffen.

Schließlich war ja ein schöner Tag!
 

„Lächerlich…“
 


 

~*~
 


 

[Dies Perspektive]
 


 

Kennt ihr das Gefühl zu fallen?

Wenn euer Leben aus den Rudern läuft und ihr nichts dagegen tun könnt, weil eure Innere Stimme euch daran hindert?

Ja, die Sache mit dem schlechten Gewissen…

Gerade solche ‚Sensibelchen’ wie ich, die einen starken Gerechtigkeitssinn haben, können sich nicht einfach von etwas losreißen, wenn es einmal in ihr Leben getreten ist.
 

Etwas…Eher Jemand.
 

Nicht, dass ihr das jetzt falsch versteht!

Es ist nicht so, dass ich ihn für seine Geschichte hasse oder verurteile, ganz im Gegenteil, ich bewundere ihn für seinen Kampfgeist.

Nur…Warum hat er sich gerade mich ausgesucht, ihm eine Stützte zu sein?
 

Ich gerate immer weiter in eine Angelegenheit hinein, die mich gar nichts anzugehen hat; von der ich im Grunde hätte verschont bleiben müssen…und das Ganze nur, weil ich nicht wie der Rest der Welt einfach wegsehen kann, wenn eine Person den Selbstmordgedanken schon seit Jahren mit sich herumträgt.

Er ist gefangen in seinem vergangenen Leben und ich…
 

… Ich bin sein Sklave geworden.
 

Er lebt bei mir, im Haus meiner meist verreisten Eltern, da ich befürchtete, dass er sich oder einer anderen Person etwas antun könnte, wenn er zurück zu seiner Familie hätte gehen müssen.

Er schläft mit mir in einem Bett, da er eines Nachts plötzlich schreiend aufgewacht war und sich nicht wieder beruhigen konnte.

Er wird immer von mir begleitet, wenn er das Haus verlässt, da ich Angst habe, er könnte sich aus dem Staub machen oder sonst irgendetwas anstellen.
 

Im Grunde müsste ich ihn sogar füttern, wenn er vergessen würde zu essen.
 


 

~* detatimi uoy nosrep eht fo laedi na s’tI evoL
 

racs a evael ot elbanU
 

tsehc ruoy ta gnihhtarcS
 

dlroW sihT hguorhT eviL
 

terger dna ytip fo ksam eht gniraeW *~
 


 

Ich bin in der gesamten Zeit nach Kyos Krankenhausaufenthalt nicht einmal mehr zum Gitarre spielen gekommen, da er von morgens bis abends meine gesamte Aufmerksamkeit braucht.

Anfangs hatte ich sogar noch ein gutes Gefühl dabei, von ihm gebraucht zu werden und ihn zu bemuttern. Er war ja schließlich auch dankbar gewesen. Doch irgendwann hörte diese Dankbarkeit auf, er schrie mich an, wenn er die Lust dazu hatte, drohte damit, wegzulaufen, wenn ich das Haus ohne ihn verlassen sollte, um mit meinen Freunden Zeit zu verbringen.

Aus dem Segen für meine Seele wurde ein Fluch.
 

Man kann es mir sogar ansehen, schätze ich.
 

Deswegen war ich doppelt so froh, als er sagte, dass er ohne Widerworte allein zu einem Termin gehen wollen würde. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was dies für mich bedeutete!

Kaum hatte er das Haus verlassen, war mir ein Stein vom Herzen gefallen und ich hatte beschlossen, wenigstens Kaoru einen Besuch abzustatten, um ihm alles zu erklären.

Schließlich war ja auch ein schöner Tag gewesen.
 

Na ja, bis jetzt.
 

Zu Fuß ist es ein langer Weg, von mir aus bis zu meinem besten Freund zu kommen, da wir fast die gesamte Stadt zwischen uns haben. Normalerweise fährt man ja auch mit der Straßenbahn, U-Bahn oder sonst etwas.

Doch ein Vogel würde auch nicht einfach so auf einem Baum sitzen, wenn er nach einer Ewigkeit aus seinem Käfig heraus dürfte, oder?

Irgendwie ist es ja auch eine Art Folter für die Psyche, mit solch einem Sorgenkind zusammen zu leben.

Daher erachtete ich es nicht für schlimm, mir etwas mehr Zeit in Freiheit zu erlauben. Ein bisschen Bewegung konnte ja auch nicht schaden…
 

Irgendwann verdunkelte sich der Himmel.

Irgendwann brachen die Wolken.

Irgendwann… Begann es zu regnen.

Und ich war noch immer nicht am Ziel.

Ich hatte mich verlaufen, in meinen zurückerlangten Gefühlen, die auf mich einpreschten.
 

Und auch wenn ich jenes ersehnte Haus gefunden hatte, veränderte sich nichts.

Ich sah zu, wie Frau Niikura hinter der Türschwelle in Tränen ausbrach.
 

Kaoru hatte das Haus verlassen.

Ohne ein Wort.

Und ich…Ich stand im Regen, den Kopf zum Himmel erhoben, die Augen geschlossen und konnte nicht anders, als dem Regen zu helfen, meine Wangen von der Fahlheit der letzten Tage rein zu waschen.

Ich hatte ihn verpasst. Meinen besten Freund.
 

Ob er mir wohl noch einmal verzeihen könnte?
 


 

~*~
 


 

[Kaorus Perspektive]
 


 

Irgendwann hatte ich mich in einem verarmten Viertel wieder gefunden. Ich wusste nicht wieso, aber irgendwie hatte mich etwas hierher geleitet. Eine höhere Macht, oder so. Weit und Breit konnte man nur heruntergekommene Häuser erblicken; verwahrloste Menschen in ihren verwahrlosten Gärten. Hier wuchs schon lange nichts mehr, das bemerkte man, selbst wenn man, wie ich, noch nie hier gewesen war. Genauer gesagt wusste ich nicht mal, wo genau dieses Viertel lag, schließlich kommt man ja nicht oft in die Verlegenheit, solch einen Ort zu besuchen.

Ein Ort, in dem selbst die Hoffnung schon verloren schien.
 

Unsere verdunkelte Sonne.
 

Und genau an solch einem Ort musste ich an ihn denken. Er würde hier nicht auffallen, dachte ich mir, innerhalb dieses Elends und der Verzweiflung.

Konnte Kyo vielleicht wirklich von hier sein?

Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, schritt ich den ungepflasterten Weg entlang, spürte die verwunderten Blicke der armen Seelen auf mir, ging aber einfach weiter. Ich konnte ihnen nicht helfen, selbst wenn ich es wollte. Auch sie hatten es sich nicht ausgesucht.

Sie waren hier einfach gefangen.
 

Ohne Zukunft, ohne Hoffnung, allein.
 

Die meisten Familien hatten wohl viele Kinder, die ihnen helfen sollten, das bisschen Geld zu sammeln, welches sie am Leben halten sollte, jedoch würden mit jedem Kind auch größere Probleme kommen. Ein Teufelskreis.

Jeder, der schon einmal als Außenseiter hierher gehen würde, würde sich bewusst werden, wie gut er oder sie es eigentlich hat.

Unsere Probleme schienen gegen ihre Nichts.

Ich bekam ein schlechtes Gewissen: Was, wenn Kyo wirklich aus solch einem Viertel kam…Konnte man ihm dann seine Art wirklich übel nehmen? Vielleicht…Kannte er es nicht anders? Vielleicht…Brauchte er nur etwas Zuwendung?
 

Warum ich mir überhaupt den Kopf darüber zerbrach!
 

Ein Regentropfen traf meine Stirn und ließ mich zusammenzucken. Ich hatte nicht mit Regen gerechnet. Schnell huschte mein Blick umher; ich brauchte einen Unterstand. Wenn ich bei Regen und diesen Temperaturen draußen bleiben würde, würde ich mit Sicherheit auskühlen und krank werden.

Das wäre meiner Mutter sicher lieb. Sie hätte dann Recht gehabt…

Mutter…
 

Ein klägliches Frauenjammern riss mich aus meinen Gedanken. Ich suchte nach der Person, zu der es gehörte, wurde auch relativ schnell fündig: Es kam von einer Frau – kaum eine Wegbreite von mir entfernt – die etwas, was ihr wichtig gewesen zu sein schien, auf den Weg zu ihrem Haus fallen gelassen hatte.

Unbewusst schritt ich auf sie zu, musterte sie, als wäre sie eine Aussätzige, doch machte sie auf mich einen eher warmen Eindruck.

Als stecke in ihr eine Anhäufung wohliger Erinnerungen; etwas, an das sie sich mit ihren knochigen Armen klammern konnte.

Auch ihr fehlte es am Nötigsten. Kaum verwunderlich also, dass sie wie eine Verrückte am Boden kniete, um abgenutzte Papiere aufzusammeln – genauer betrachtet waren es Fotos… - und sie an sich zu pressen; vor dem Regen zu schützen.
 

„Entschuldigung… Kann ich Ihnen vielleicht behilflich sein?“
 

War das meine Stimme?

Genauso erschrocken wie ich, fuhr die Frau mit ihrem schwarzen Langhaarschopf herum, visierte mich an und war wohl vollkommen überfordert, hier einen Fremden zu sehen – Jedenfalls kam es mir so vor.
 

„Oh…Ähm…Ja, danke.“, stammelte sie schüchtern in sich hinein, lächelte mich jedoch im nächsten Moment mit einer solchen Herzlichkeit an, dass mir das Herz brach.

Wieso verachten wir Menschen immer diejenigen, die weniger Geld haben, als wir selbst? Wir heucheln Familienliebe; Glück, dabei fehlt es uns an Herzenswärme.

Dies brachte sie mir bei.
 

Sie lud mich zu Tee ein, ich nahm verdutzt an, fühlte mich jedoch schäbig, da ich ihr eines der wenigen Dinge raubte, die sie hatte.
 

„Das Wasser? Ach mach dir nichts daraus, mein Junge, Wasser habe ich genug.“, erklärte sie mir heiter, reichte mir den Becher mit Tee und setzte sich neben mich auf den Boden.

Sie hatte nur einen einzigen Raum, in dem sie kochte, schlief und aß. Für alles Andere musste sie hinaus. Doch nicht einmal einen Ofen besaß sie… Als ich sie darauf hinwies, schüttelte sie nur ihren Kopf und meinte, dass sie sich dann wärmer anziehen müsse. Außerdem würde ihr der kleine Gasherd auch über die Kälte hinweghelfen.

Auffällig war außerdem noch, dass sie überall auf dem Boden Fotos verteilt hatte. Diese waren wie jene, die sie vor wenigen Augenblicken hatte fallen lassen.
 

„Schwester, warum hast du diese Bilder überall zu liegen?“
 

Ire erste Reaktion verblüffte mich, da sie nur stumm in sich hineinlächelte und eines der Bilder – es war am stärksten abgenutzt – an ihre Brust drückte, danach reichte sie es an mich weiter und meinte, dass dies ihr größter Schatz gewesen sei.

Auf dem Bild war nur ein Kleinkind abgebildet, allerhöchstens fünf Jahre jung und schmollend.
 

„Das ist mein kleiner Sohn. Ein Goldstück nicht wahr?“
 

Sie hatte ihre Arme um ihre stelzenähnlichen Beine gelegt und wiegte sich selbst mit einem träumerischen Gesicht vor und zurück, als hätte sie wieder ihr Kind in den Armen.
 

„Das Foto ist das letzte, wirklich schöne, welches ich von ihm habe. Mein kleiner…“
 

Als sie den Namen ihres Sohnes aussprach, war ich schon längst wieder in Gedanken versunken. An irgendwen erinnerte mich dieses Kind. Von den Gesichtszügen her…Doch ich kam und kam einfach nicht auf die Person. Ich wusste nur, dass irgendetwas passiert sein musste, wenn der Junge nicht mehr bei seiner Mutter lebte.
 

„…Er war immer so fröhlich gewesen, hat mit den Nachbarskindern gespielt und seiner alten Mutter beim Haushalt geholfen, wo er konnte. Dabei war er noch so klein.“, schwärmte sie weiter, hatte mir schon wieder das Erinnerungsstück aus der Hand genommen. „Er war mein kleiner Gentleman.“ Vorsichtig steckte sie das Bild wieder weg und nippte an ihrem eigenen Tee. Ich tat es ihr nur gleich und lauschte mittlerweile wieder aufmerksam. „Weißt du, sein Vater hat uns früh verlassen. Ich war gerade junge 15 gewesen, als ich von ihm schwanger geworden war. Er hatte verlangt, dass ich unseren Sprössling abtreibe…Doch ich konnte nicht. Als er dann auf die Welt kam, hat er uns beide einfach im Stich gelassen. Tja, so sind die jungen Väter.“, sie seufzte schwach, dann erzählte sie jedoch munter weiter, was ihr junge alles so Schönes angestellt hatte. Seinen Namen erwähnte sie jedoch nicht weiter…Genauso wenig, warum er nicht mehr bei ihr war.

Ich gab mich einfach mit der Antwort zufrieden, dass er wohl einen Unfall gehabt hatte und daran gestorben ist, auch wenn sie es nie in irgendeiner Weise erwähnt hatte.
 

„Du bist sehr stark, Schwester.“

Ich lächelte, während der Regen immer stärker gegen die morschen Holzbalken preschte.

Ich fühlte mich bei dieser Frau so wohl. Nicht wie bei einer Geliebten – schließlich musste sie schon um die 30 sein, wie ich schätzte – oder wie bei einer Erzeugerin. Eher so geborgen, wie sich ein Embryo im Fruchtwasser fühlen musste.
 

Wir redeten noch eine ganze Weile, ehe wir uns aufrichtig von einander verabschiedeten.

Es musste mittlerweile später Nachmittag sein…

Und wie ich so durch den, von noch immer anhaltenden Regen durchweichten Weg, Matsch schritt, fühlte ich mich so wohl, wie schon seit Wochen nicht mehr.
 

Doch sollte auch das vergänglich sein, wie das Leben einer Eintagsfliege?
 


 

~* nuS denekcalB ruO
 

?dnuora meht gnihsup tuoba erup os si tahW
 

etsaT daB
 

aisanahtue rof gnivratS
 

delbmessa eht ycamitni eht dna gniugra ehT
 

serised dellifluF *~
 


 

Ich hatte mittlerweile das Viertel verlassen, wanderte nun weiter durch die verlorenen Gassen und Wege der Stadt, um halbwegs regengeschützt zu sein – im Nachhinein war dies unsinnig, da ich sowieso schon von der Sohle bis zum Scheitel durchnässt war – immer weiter Richtung Die.
 

Seit ich die Frau besucht hatte, war in mir wieder die Flamme der Hoffnung entfacht worden, einen der Beiden zur Rede zu stellen.

Mental hatte ich mir für diesen Fall sogar schon Worte zurechtgelegt, die ich immer und immer wieder wiederholte.
 

„Ich werde hartnäckig bleiben.“
 

Ich werde um Die kämpfen, dessen war ich mir bewusster denn je.

Und wenn für ihn kämpfen heißt, Kyo aus dem Weg zu räumen, würde ich auch dies tun.

Schließlich…

Gibt man einen Bruder nicht einfach so her, richtig?
 

Mit einem Mal begann ich zu laufen, über die dicht von Autos befahrenen Straßen, über die erst leeren, dann von Menschen angefüllten Wege – ich sprang über Geländer, lief über Straßenbahngleise, quer über Kreuzungen später dann über schlecht gepflasterte Wege an umgegrabenen Feldern entlang.
 

Ich war fast da!

In der Ferne konnte ich schon den alten Baggersee erkennen, der sich schwarz spiegelnd vom grauen Umfeld abhob.

Mittlerweile säumten kahle Buschwerke den Weg, auf dem ich keuchend und jetzt auch nur schleppend entlanglief.

Ich hatte mein Ziel doch bald erreicht, warum konnte ich jetzt nicht mehr?

Na ja, gut, eine kleine Pause konnte ja nicht schaden…Zumal ich schon ewig nicht mehr an dem See gewesen war…

So blieb ich also stehen, legte die Arme in die Knie und schnappte nach Luft.

War ich wirklich so schnell gelaufen?

Meine Lunge schmerzte und meine Beine zitterten wie die Äste der Bäume um mich herum.

Vermutlich lag mein mangelhafter sportlicher Zustand auch an dem Körpermasseabbau der letzten Tage…Das klang jedenfalls plausibler.
 

Nur kurz erholen…

Ich konnte meinen beschleunigten Herzschlag in den eigenen Ohren hören; lauschen, wie er sich allmählich beruhigte und leiser wurde...

Dafür drang etwas Anderes in meine Ohren, ließ mich aufhören und erschrecken, denn das, was ich hörte, erinnerte mich teilweise an ein irisches Mythenwesen. Es klang, wie das Weinen einer ‚Banshee’ – oder eher das Schreien? - und es war ganz in der Nähe.
 

Noch immer schwer atmend, jedoch gezwungen ruhig, hatte ich mich wieder aufgerichtet und sah mich um. Vielleicht hatte mein Ausdauer-Sprint-Lauf mir so viel Energie gekostet, dass ich Halluzinationen bekam und in den nächsten Augenblicken umkippen würde, - was ich nicht hoffte, denn dann wäre all das hier für die Katz gewesen – aber es klang dafür viel zu real.
 

Ich konnte die Richtung des Weinens nicht unbedingt schnell orten, tat dann aber einige Schritte zurück, um genau den Rand des Sees analysieren zu können, da es in etwa aus diesem Bereich kam und – tatsächlich, dort stand Jemand.
 

Direkt am Ufer des Sees.

Den Rücken zu mir gewandt.
 

Schreiend und Weinend schien sich die Gestalt nur mit Mühe aufrecht halten zu können, während es seinen Kopf gen Boden gerichtet hatte und immer und immer wieder die Arme auf die Beine zu schlagen, nachdem es sich durch die pitschnassen, blonden Haare gestrichen und daran gezogen hatte.
 

Blonde Haare?

Eine schmächtige Statur?
 

Nein…!
 

Wider allen körperlichen Wehwehchen stapfte ich auf die Person zu, griff sie an der Schulter und wendete sie unfreundlich grob um, damit ich das Gesicht sehen konnte.

Doch es war nicht das Gesicht, welches ich erwartet hatte; welches ich kannte.

Dieses sah ihm ähnlich, doch anders.
 

Es hatte keine stechenden Augen, die dich vorwurfsvoll anblickten, sondern gerötete, angeschwollene Irden.

Es hatte keinen neckisch grinsenden Mund, sondern aufgerissene Lippen, welche zu einem klagenden Gesicht gehörten.
 

Er schien kein Teufel zu sein, in diesem Augenblick, sondern nur ein zerstörtes, kleines Häufchen Elend, welches wimmernd am Rande des Wahnsinns stand.

Er blickte mich nicht an, lehnte nur seinen geneigten Kopf an meine Brust, ließ das Schreien sein; verstummte, schmiegte sich Hilfe suchend an mich.
 


 

~* nuS denekclaB ruO
 

?gnihsawniarb evitpadalam eht morf noom eht fo ycrem eht ta won uoy erA
 

rellik-dog citamsirahc ehT
 

woN thgiR
 

tsixe ot nosaer eht ,eoD nhoJ ,esod lataf ehT
 

modeerf dna ssenippah chaer ot dedeen si xodarap dna noitailateR
 

tuO ediH *~
 


 

Und ich konnte nicht anders, als ihn in den Arm zu nehmen.
 


 

Kapitel 4 – Ende.

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Sooo, viel zu lang gebraucht, viel zu viel nachgedacht und viel zu viele doofe Ideen gehabt… Aber jetzt ist es fertig! ^____________________^ *glücklich desu*
 

Jetzt eine kleine Erklärung zu dem Kapitel~!

Also, ich würde euch empfehlen, den Titel des Kapitels bei ‚Youtube’ einzufügen, da mich dieses Lied wirklich inspiriert und gefangen hat! *^*

De facto erklärt sich das Kauderwelsch ja auch~…War eine enorme Arbeit, dass ganze immer in der Nacht auf Kopf zu schreiben~… ~.~ (Ist ja nicht so, als könnte man Licht anmachen, Nagi. « *mit sich selber schimpf*)

Hinzukommend gibt es zu diesem Kapitel auch eine Fortsetzung~. ;D

Ich hoffe es gefällt euch~! Bin für Kritik (egal ob gut oder pöse. T^T) immer zu haben!
 

Wir sehen uns in dem nächsten Kapi~!
 

Eure Nagi. *^*

Heute werden wir den vollen Mond nicht sehen… – Part Two.

„La, la…Auf Wiedersehen.“
 

Er schritt auf gepflasterten Wegen an unbelebten Straßen entlang, den Blick tief in einem kleinen Notizbuch verborgen; las wenige Passagen der kaum gefüllten Seiten, riss sie heraus und verteilte kleine Flocken des Papiers in der vom Regen benetzten Luft.

Ein Lied lag ihm auf den verschmitzt grinsenden Lippen.

Er fühlte sich so selig, so sicher. Wusste sich seines Kampfes als Gewinner, da er seine Trophäe schon in den eigenen, kalten Händen hielt. Was sollte ihm da schon in die Quere kommen?
 

Ganz klar, niemand!
 

Was in diesem Büchlein stand, war nicht atemberaubend oder spannend – es waren nur alte, verblassende Erinnerungen, festgehalten in dem kleinen, kümmerlichen Herz seines Besitzers.

Die Tage wiederholten sich.

Die Themen wiederholten sich.

Er hatte in Erinnerungen gelebt.

Unnütz, sie weiter zu behüten, dachte er sich, riss erneut eine Seite heraus, zerfetzte sie.

Er würde sie sowieso nicht mehr gebrauchen
 

„Die Nacht unserer Wiedervereinigung blüht…“, er schloss das Buch, blieb an einer Ecke stehen und besah den grauen Himmel, welcher so trostlos und fad aussah, nachdem der Regen verschwunden war.

Dennoch war dieser Tag sein Triumph.
 

Oder…Sollte es noch vielmehr werden.
 

Mit einem Mal wandte sich der Fremdling zur Hälfte um, sah über seine eigene Schulter. Sein Grinsen wurde weicher – wandelte sich zu einem Lächeln, dessen Kern man kaum zu deuten vermochte. „Und, was hast du herausgefunden?“
 

Wider der Annahme, er würde Selbstgespräche führen, lehnte ein weiterer junger Mann an der Wand, die er aus dem Augenwinkel zu erblicken versuchte.

Dieser überragte ihn um fast einen Kopf, strich sich beinahe lautlos durch das gewellte, schwarze Haar und schien nur emotionslos die Objekte vor sich zu betrachten, ehe er mit ruhiger, sanfter Stimme zu sprechen begann:
 

„Sie sind am Ende. Jedoch hat er noch einen Beschützer auf seiner Seite – keine Ahnung inwiefern sie sich mögen. Deinen weiteren Schritten steht also nichts mehr im Weg.“
 

Der Kampfgeist flammte in seinen Augen, gab der doch kleinen Person eine bedrohliche Aura. „Sehr gut…“, waren seine letzten Worte, ehe er aufbrach, Schritt zwei in die Wege zu leiten.
 

Denn dies war sein Meisterstück.
 


 

~*~
 


 

[Kaorus Perspektive]
 


 

Wir saßen nebeneinander.

Wie Fremde.

Stumm, abwesend, traumatisiert.
 

Der Regen hatte mittlerweile aufgehört, auf uns nieder zu prasseln und da Kyo nicht in der Lage schien, zu reden, zu denken oder irgendwie anders zu Handeln, hatte ich für uns beide beschlossen, dass es besser wäre, wenn wir erstmal zu Die gehen und uns aufwärmen würden.

Falsch gedacht.

Denn weder Die, noch die Haushälterin oder seine ewig arbeitenden Eltern waren in dem Haus. Alle waren sie ausgeflogen und hatten nicht freundlicherweise ganz zufällig die Tür vergessen, abzuschließen.

Deswegen mussten wir auf der Veranda verweilen.

Frierend, schweigend, ignorierend.
 

Was sollte man denn schon in solch eine Situation tun? Verzweifeln?

Nein, erstmal Rauchen, dann weitere Pläne schmieden.

So suchte ich also meine Taschen nach meiner Zigarettenschachtel aus Pappe ab, war für einen Sekundenbruchteil verblüfft, dass wirklich nur die Pappe feucht war, zog Glimmstängel und Feuerzeug aus der Verpackung und steckte das passende Ende in Brand.

Der erste Zug war immer noch der Beste… So befreiend, so zeitlos; einfach göttlich, wie sich das Nikotin in den Lungenflügeln und Blutgefäßen absetzte.

Dieses Gefühl würde ich für Nichts in der Welt eintauschen. Deshalb führte ich die Zigarette wieder zu meinen Lippen, um noch einmal diesen wunderbaren Geschmack zu erfahren, wurde jedoch kurz davor unterbrochen. Verwirrt starrte ich die kleine Hand an meinem linken Handgelenk an, folgte dem Arm hinunter zu seinem Besitzer.

Kyo, welcher bis jetzt regungslos direkt neben mir verweilt hatte, wollte mich am rauchen hindern?

Tze, dass ich nicht lache.

Kurzerhand riss ich meine Hand mit einer einfachen Bewegung von dem Blonden los und steckte mir den Filter wieder zwischen die Lippen.
 

„Du lebst also doch noch?“, fragte ich, während ich wieder den wunderbaren Rauch einzog und blickte im nächsten Augenblick neben mich.

Doch mein Nachbar machte einen nicht all zu lebendigen Eindruck. Sicherlich würde jeder meinen, dass körperliche Gebrechen den Anblick eines Menschen schlimmer gestalten, als Emotionen… Doch ich bin da ganz anderer Meinung. Egal wie schlimm Jemand verwundet ist…Gefühle drücken doch viel mehr aus.

Und der Blonde sah in diesem Moment einfach nur aus wie ein Fisch; wie ein toter Fisch.

Noch immer waren seine Augen gerötet, doch sie waren auch glanzlos und trüb, während seine gesamte Gesichtsfarbe fahl wie das Mondlicht wirkte.
 

So unwirklich…
 

Ich atmete laut aus, blickte wieder in den verwitterten Vorgarten des sonst so prächtigen Anwesens. Was hatte man ihm angetan, dass er nun wie eine alte Wasserleiche dreinblickte? Er war doch sonst immer bei Die gewesen und hatte auch relativ aufgeweckt gewirkt – insofern man dies über den Blonden sagen konnte.

Es war zum Haare raufen. Wieder zerbrach ich mir den Kopf über eine Person, die momentan mehr Puppe als Mensch war.

Super gebessert, Kaoru , ganz toll. Anstatt dich von ihm fern zu halten, hast du ihn wieder an dir kleben… und wenn es ihm wieder gut geht, dann wird er dir weder danken, noch irgendein nettes Wort zu dir sagen, nein, er wird dich wieder nur verachtend angucken, weil du ja so schwach bist, dich auf ihn einzulassen. Du Idiot…Du könntest so ein einfaches Leben haben, aber nein, jetzt sitzt du hier, fängst dir eine Lungenentzündung ein und das alles für Herzschmerz und Verachtung.

Ein Toast auf mich!

Ich bin so dämlich…
 

Und doch glücklich.
 

Schließlich wäre alles so wie immer, wenn du nicht aufgetaucht wärst. Alles wäre seinen normalen Gang gegangen; ich hätte niemals diese Frau kennen gelernt, ich hätte niemals gelernt zu verletzen und verletzt zu werden, ich hätte niemals gelernt, die kleinen Dinge im Leben ernst zu nehmen.

Ohne dich wären wir niemals so nass, wie jetzt.

Ohne dich würden wir jetzt nicht hier sitzen.

Ohne dich hätte ich niemals solche Dinge gefühlt, wie jetzt.
 

Der Druck deines Kopfes auf meiner Schulter, lässt mein verkrampftes Herz höher schlagen, auch wenn du erstmal schlafen und mich nicht mit deinen Sticheleien ärgern wirst.

Doch es stört mich nicht.

Weder, wenn du dich deinen Problemen ergibst, noch, wenn du sie an mir auslässt. Ich nehme das alles gern in Kauf.

Solange, wie du dich weiter einmischst; wie du weiterhin der Störfaktor bist.

Doch dafür…Müssen wir dich erstmal wieder richten.
 

Damit du mir das Leben wieder zur Hölle machen kannst.
 


 

~*~
 


 

[Dies Perspektive]
 


 

Irgendwann hatte es aufgehört zu regnen.

Irgendwann waren auch meine Tränen versiegt.

Irgendwann war es still um mich geworden.
 

Die Tatsache, dass ich von Kopf bis Fuß durchnässt und es wahrscheinlich kaum fünf Grad über dem Nullpunkt waren – wenn nicht sogar weniger – interessierte mich wenig.

Meine Augen schmerzten, mir war verdammt kalt und Kaoru war nicht nur nicht da, sondern war wohl auch nicht all zu liebevoll zu seiner Mutter gewesen und hatte mir ein schlechtes Gewissen beschafft.

Wohl so ziemlich zum ersten Mal in meinem Leben wusste ich nicht, wo er war, was er tat oder ob er mir verzeihen würde. Doch das war ein anderes Lied.

Ich hatte mich wortlos von meinen Freunden getrennt, war ihnen aus dem Weg gegangen und stand mir nun selbst im Weg, da sich die ganze Angelegenheit irgendwie verstrickt hatte.
 

In solchen Momenten war mir normalerweise immer mein Bruder im Geiste ein Ansprechpartner und Seelenklempner gewesen, da dieser nun aber leider ausfiel, musste ich mir Jemand Anderen suchen.

Und wer wäre besser geeignet für diesen Job, als Mama Shinya?

Doch dafür müsste man ihn erstmal finden. Ich hoffte ja inständig, dass wenigstens er in heimatlicher Umgebung geblieben war…Und dass er ein paar trockene Wechselsachen hatte!
 

Wenn er denn überhaupt etwas mit mir zu tun haben wollte…
 

Mir stand das Wasser wirklich bis zum Hals; kein Wunder also, dass ich schon jetzt triefte.
 

Doch solche Situationen kamen mir mehr als bekannt vor; ich hatte sie in der Vergangenheit schon oft erlebt und ausbaden dürfen. Meist aber mit…

Ich seufzte.

Nun hatte ich schon Freiheit und war doch nicht frei…Verdammt!
 

Ich blickte dem Horizont entgegen. Ich musste irgendwie auf andere Gedanken zu kommen!

Doch auf welche?

Hm…

Vielleicht auch einfach den Kopf abschalten?

Eventuell sollte ich auch mehr an Toshiya und Shinya denken, schließlich gab es nicht nur Kaoru.

Oder…Kyo? Nein, der konnte mir gestohlen bleiben. Selbst wenn er wieder böse auf mich sein würde…Vielleicht sollte ich auch über Nacht wegbleiben?

Mal sehen, ich werde mich überraschen lassen.
 

Beziehungsweise das Schicksal würde für mich entscheiden.
 

Ich bog in einer Straße ein, orientierte mich nur für eine Sekunde und wischte mir mit dem Handrücken über die Augen. Die Regentropfen, in meinem Haar begannen allmählich an meinem Gesicht herunter zu rinnen. Ein nerviges Gefühl. Genauso nervig wie Schweiß, bloß etwas anders.

Haha, anders…

Kaoru, Shinya, Toshiya...Meine besten Freunde.

Wir waren so unterschiedlich und doch in irgendwas immer gleich. Oder wenigstens ähnlich.

Alle etwas anders, dennoch auf einer Wellenlänge. Wir hatten schon die merkwürdigsten Blicke auf uns gezogen, wenn wir einmal unsere Kunst gemeinsam ausgelebt hatten.

Sowohl positive, als auch negative. Jeder hat jeden unterstützt und eigentlich hatten wir auch niemals etwas auf einen Anderen kommen lassen.

Verständlich ist aber auch, dass der eine oder andere etwas offener mit der Clique umging, als andere.

Toshiya und Shinya zum Beispiel verbringen so gut wie jeden Tag zusammen, nachdem sie sich und uns anderen Beiden kennen gelernt hatten. Kaoru war meist auch von der Partie, wenn auch passiver. Ich war wohl der Einzige, der schon immer gern mit Fremden Unsinn verzapft hat…
 

Wieder bog ich in der nächsten Straße ein, konnte schon den ansehnlichen Altbau, in dem Shinyas Familie wohnte, anvisieren und schritt deshalb weniger aufmerksam auf dieses Haus zu.
 

Hehe, demzufolge ist es also auch kein Wunder, dass sie sich die letzten Wochen nicht weiter einmischen wollten.

Ich bin an dieser Lage ganz allein Schuld…Hätte ich doch mehr Wert auf ihre Obhut gegeben.

Hätte ich doch nur…
 

„Du bist nicht Schuld.“
 

Ich erschrak, blieb stehen und sah mich panisch um.

Woher kam diese Stimme? Und woher wusste sie, womit ich mich beschäftigte? Ein aufdringlicher Fremdling hatte mir jetzt noch gefehlt!
 

Sie haben doch dich im Stich gelassen.“
 

Die Art, mit der er sprach…Die Betonungen verschiedenster Silben. Kalt, ruhig und doch bestimmend. Keiner Stimme, der man trauen sollte, oder?

Noch immer konnte ich den Typen, dem die Stimme gehören musste, nicht ausfindig machen, war nur umzingelt von zu hohen Gebäuden und Laternen… und aus irgendeinem Grund machte mich das fuchsteufelswild!
 

„Komm raus!“ - „Ich bin doch direkt hinter dir...?“
 

Schreckhaft wandte ich mich um, bemerkte zuerst die starrenden Augen und wie sie mich ansahen. Aus Reflex tat ich noch halb in der Drehbewegung einen Schritt zurück und stolperte durch den Schwung von der Person weg. Ich saß nun also am Boden und musste wohl lustig ausgesehen haben, da dieser Kerl zu lachen begann.

Dabei klang es so gekünstelt…
 

„Huch, du bist ja hastig. Hattest wohl nicht mit mir gerechnet, hm? Kein Wunder, so wie du in Gedanken warst...“, er lächelte auf mich herab, tat ganz freundlich und doch lief mir ein eiskalter Schauer über den Rücken.
 

Das Blond seiner Haare…

Das, was er ausstrahlte…

Wie er sich bewegte…

…Er erinnerte mich an Kyo! - Nur um Längen schlimmer.
 

„Äh…ähm, nein, das kam mir dann doch etwas zu plötzlich…“, antwortete ich verschüchtert, versuchte mir die Furcht aus den Knochen zu jagen und nahm prompt auch die Hand an, die mir der Fremde reichte.
 

„Hab ich’s mir doch gedacht…Tut mir Leid. Geht’s? Das war wirklich nicht meine Absicht gewesen, ehrlich! Ich-…“ – „Wer bist du und was willst du von mir?!“, es war eigentlich nicht meine Art gewesen, einfach Fremde anzufauchen, doch bei Diesem hier fühlte ich mich in sämtliche Prügeleisituationen zurückversetzt, in denen ich gewesen war. Nur dass sie alle auf einmal auf mich einschlugen…
 

„Wie unhöflich von mir! Mein Name ist Mao. Und was ich von dir will? Ganz einfach:“, sein falsches Lächeln verformte sich in ein diabolisches Grinsen, als er mich an der Hand etwas näher zu sich heranzog. „Ich will dich auf meiner Seite wissen.“

Was wollte er?!

„Du hast doch auch die Nase voll von diesem kleinen Sensibelchen…Wie nennt er sich noch mal? Ah, ja… ‚Kyo’? Meine Jungs und ich haben euch beide eine ganze Weile beobachtet und…“

Von ihm gibt’s noch mehr? Warte…Er hat uns ausspioniert?!

„…wir haben gesehen, wie er dich und den Rest deiner Gruppe komplett zum Narren hält. Hinzukommend habe ich persönlich auch ein paar Probleme mit ihm zu klären und du weißt doch sicherlich ein paar ganz interessante Dinge über ihn, oder? Schließlich hat er dir ja seine Lebensgeschichte anvertraut.“
 

Das ging mir jetzt etwas zu schnell…

Ich riss mich von diesem Mao los, wollte mir erst die Hände vor den Augen zusammenfalten, gleichzeitig jedoch auch den Kopf halten und wirbelte daher etwas unbeholfen mit den Armen in der Gegend herum, ehe mich der Neuling beiseite zu einer Treppe nahm, auf die wir uns gemeinsam setzten und ich erstmal meine Gedanken richten konnte.

Er wusste von Kyo hier…

Von dem Ärger, den er uns eingebrockt hatte…

Von unseren Geheimnissen und meinen Ketten…
 

„Du willst also, dass ich meine Freunde verkaufe?!“
 

Es war einfach so aus mir hinausgeplatzt, ich hatte diese Feststellung einfach nicht in mir festhalten können. Wie konnte dieser Zwerg nur so etwas verlangen?!

„Nein, das nicht. Ich biete dir die Möglichkeit an, ihn mit uns gemeinsam auszumerzen. Nicht mehr und nicht weniger.“, entgegnete er mir, platzierte dabei seine Hände auf meinen und schien mich mit seinem Blick zu durchbohren. Ein Blick, der einen anschrie, man solle entweder gehorchen oder für Jahre untertauchen. Was sollte man da schon tun?

„Ihn ausmerzen…?“ Ich fühlte mich wie ein unwissendes Kleinkind. Überfordert mit den einfachsten Vorschlägen und verschüchtert von dem Direktsein dieses ‚Maos’. „Ja, also, nein… ‚Ausmerzen’ klingt so schlecht, das hast du wohl falsch verstanden…Wir wollen dir und uns einfach helfen, ihn aus unserem Leben zu verbannen. Wie einen lästigen Pickel, verstehst du?“

Ihn loswerden…

Sie konnten uns helfen, ihn los zu werden! Das konnten doch nur Gesandte Gottes sein!

Nur,…

„Wo ist der Haken?“ - „Es gibt keinen. Du musst uns nur ein wenig unter die Arme greifen, mehr nicht.“, erklärte er mir geduldig, auch wenn man aus weiter Entfernung die Halsschlagader des Jungen unter der Jacke entdecken konnte, die eigentlich hätte verborgen bleiben sollen. Wie dem auch sei…
 

Der Junge bat mir an, alle meine Probleme mit einem Schlag zu beseitigen. Für Lau. Ohne Gegenleistung oder sonst irgendetwas.

Problembeseitigung…mit meiner Hilfe. Das klang doch ansprechend.

„Und, was sagst du? Hilfst du uns? Ist das ein Deal?“, der Blonde hielt mir seinen Arm einschlagbereit entgegen.
 

Ein Handschlag, dann wäre die Last von uns genommen.

Sie würden uns Ruhe bringen!

Die Folter wäre vorbei, wir könnten alle wieder unseren alltäglichen Gang gehen!

Wie soll man bei solch einem Angebot ‚Nein’ sagen? Besser konnte es doch nicht werden!
 

„Abgemacht!“, ich schlug, gepackt von neuem Mut, ein, strahlte dem jungen Mann entgegen.

Mir war egal geworden, was er getan hatte.

Es war unwichtig, wie unheimlich er wirkte.

Nichtig, wie er die Aktion geplant hatte.
 

„Gut, dann lass uns gleich beginnen, mein Freund!“
 

Und doch machte sich in mir auf einmal das Gefühl breit, ich hätte wieder etwas unheimlich Dämliches angestellt…
 


 

~*~
 


 

[Kaorus Perspektive]
 


 

Unsere Kleidung trocknete allmählich und man konnte zusehen, wie auch unsere Haare an Feuchtigkeit verloren – zum Einen, weil Kyos Haare sich zu wellen begannen, zum Anderen, weil meine eigenen Haare weniger tropften als zuvor.

Ansonsten hatte sich bisher noch nicht viel verändert; Kyo schien noch immer mehr leeres Gefäß als lebendiger Mensch zu sein.

Ich hatte ein paar Mal versucht, ein Gespräch anzufangen, um herauszufinden, was mit dem Kleineren los war, allerdings war er nie darauf eingegangen, hatte entweder weggesehen, seine Nase gerümpft oder, nun ja, gar nichts getan. Man konnte ihn relativ gut mit einer schlechten Pantomime vergleichen…Ohne Worte, nur eben auch ohne Bewegung.

Deshalb lehnte er auch noch immer an meiner Schulter, was nicht unbedingt schlimm war – Ist es merkwürdig zu sagen, dass man die Nähe zu einem bestimmten Jungen gut findet? – aber auch keine guten Neuigkeiten von dem Blonden brachte. Vielleicht sollte man mal einen Psychologen fragen, was der Grund für diese Abwesenheit war? Etwas, worüber man nachdenken sollte, wenn es weiter anhalten sollte…
 

Tick - Tack - Tick - Tack…
 

Ein Ticken in meinem Ohr…Woher kam es?

Ich sah mich kurz um – Nichts zu sehen. Keine Uhr, kein Specht, Nichts, gar Nichts. Eine Bombe konnte es ja auch nur schlecht sein.

Vielleicht war es ja mein zurückgekehrtes Zeitgefühl, das mir irgendetwas sagen wollte…Oder es war schlichtweg der eigene Puls, der am Gehörgang vorbei ins Gehirn rauschte.

Aber das klang viel zu unromantisch.
 

Ich kam mir ein wenig dämlich vor, gedanklich Selbstgespräche zu führen. Oder war es eher eine Gedankenstimme, die mich vor der Einsamkeit bewahren wollte, oder nein, einsame Zweisamkeit. Das traf es eher.

Doch so dämlich diese Auseinandersetzungen waren, sie konnten doch sicherlich in irgendwelchen Notsituationen die Person vor dem Wahnsinn bewahren, oder?

Oder waren sie gar Anzeichen für den Wahnsinn?

Ich schüttelte meinen Kopf.

Das konnte nicht sein, mit Sicherheit hatte jeder Mensch solch eine geschlechtsneutrale Stimme, mit der er über Entscheidungen oder einfach aus Lust diskutieren konnte. Von wegen Wahnsinn.

Ich konnte doch nicht einfach so wahnsinnig werden!

Außer wahnsinnig vor Liebe…
 

„Wie damals…“
 

Kyo zuckte plötzlich, was mich dazu veranlasste, erst zu ihm, dann auf den Weg vor dem Haus zu blicken.

Da waren Menschen!

Sechs, um genau zu sein…Und sie sahen sogar aus, als wären sie in unserem Alter! Na ja, außer Einer, der schien sich wegen der Kälte vermummt zu haben. Ist nur verständlich.

Aber was machte solch eine Gruppe mitten in der Pampa? Ich dachte, Dies Haus wäre das letzte in diesem Bezirk gewesen? Würde man den Weg weitergehen, würde man nur in einen Wald kommen und später irgendwann zu einer Klippe, aber bis dahin war es eine ganz schön lange Stecke.

Wollten sie etwa zu Die?
 

Als sie den Vorgarten betraten, schien die Antwort schon klar zu sein.

Sicherlich waren dies nur irgendwelche Trinkgenossen von ihm, die ihn bestimmt wieder zu irgendetwas einladen wollten. Eine andere Gruppe...Wäre Die ein Vater, dann könnte man behaupten, er hätte eine zweite, geheime Familie, neben seiner ‚Richtigen’. Zum Glück war dies ja nicht so.

Dennoch sollte ich sie vielleicht vorwarnen, dass er nicht im Haus war…

Ich erhob mich, um sie in Empfang zu nehmen und dann aufzuklären, doch blieben Vier in der Mitte des Gartens stehen, während Zwei weiter auf uns zukamen.

Sie gaben ein bizarres Paar ab; denn während sich der Größere und augenscheinlich Kräftigere von Beiden eher im Hintergrund hielt, war der Andere eher klein und unauffällig, dennoch schien gerade er der Autoritäre von ihnen zu sein.
 

Sie stoppten vor mir; der kleinere Blonde musterte mich für eine Sekunde, zog meinen Blick mit den Blitzen in seinen Augen auf sich und schritt dann weiter; zu Kyo.
 

Habt ihr euch jemals paralysiert gefühlt?

Es ist, als würdet ihr einen schlechten Horrorfilm sehen: Ihr wisst genau, dass jeden Augenblick etwas scheußliches passieren wird, wollt die nächste Szene am besten überspringen oder einfach wegsehen, könnt es aber einfach nicht, denn es ist schon viel zu spät dafür.
 

Schau nicht weg!
 

Gefangen in diesen Zustand der Bewegungsunfähigkeit versuchte ich meinen Kopf in die Richtung des Schwarzhaarigen zu drehen, welcher noch immer vor mir stand und bisher noch kein Laut von sich gegeben hatte, spürte jedoch schon etwas an meinem Mund, welches so stark daran gepresst wurde, dass es mir den Atem verschlug und einen Schutzreflex auslöste, der jedoch niemals Wirkung haben sollte.
 

Ich versuchte zu schreien, doch mit welcher Luft?

Ich versuchte mich zu wehren, spürte jedoch schon, wie Arme und Beine das Gefühl und die Kraft verließ.

Chancenlos, Aussichtslos.
 

Das Licht verschwand; ich driftete in Dunkelheit ab.

Aus.
 


 

~*~
 


 

Dröhnende Stille.

Mein Kopf gefüllt von Leere.

Ich öffnete meine Augen erschocken, kniff sie doch fast sofort geblendet von Licht wieder zusammen und krümmte mich.

Was war passiert? Wo war ich?

Und warum lag ich auf dem Boden?
 

„Ah, du bist also endlich aufgewacht!“, hörte ich eine freudige Stimme in der Nähe erklingen, doch sie kam mir so gar nicht bekannt vor und ich hatte eigentlich ein ziemlich gutes Gedächtnis, wenn es um Stimmen von Freunden oder Bekannten ging. Jedenfalls bildete ich mir dies ein.

Doch diese Stimme hier war so melodisch und gehässig, wie man es nur aus Satiren und sarkastischen Theaterstücken kannte. Ein gespielter Bösewicht aus ganzem Herzen.

Mir drehte sich der Magen um.
 

„Ah…Aki hatte mich gewarnt, dass manche Menschen so auf das Zeug reagieren würden…Dabei hatte ich heute nicht vor, Nahrungsbrei zu sehen…Na ja, nicht zu ändern!“

Etwas schleifte mich an den Schultern von meinem Erbrochenen weg, lehnte mich an eine Wand und hockte sich dann direkt vor mich. „Du solltest dich als Gast besser beherrschen!“, er kicherte kurz, „Ich bin ja so froh, dass du hier bist, das kannst du dir gar nicht vorstellen!“

Er roch seltsam. Eine…Mischung aus Pfirsichen und Desinfektionsmittel.

Widerlich.

„Besonders dein Gastgeschenk hat es mir angetan!“

Ich versuchte wieder meine Augen zu öffnen, blickte der Gestalt entgegen, die sich wohl in diesem Moment erheben wollte, dann aber doch wieder in die Hocke gegangen war. Grund unbekannt.

„Geschenk…?“, hallte meine gebrechliche Stimme von den Wänden wieder.

Haha, kaum zu glauben, dass ich wirklich einmal so schwach klingen würde…Einfach seltsam. Aber was meinte er für ein Geschenk? Ich hatte doch gar nichts bei mir gehabt…Nur Kyo-!

Ein Ruck ging durch meine Glieder, ich wollte aufstehen, doch im nächsten Moment spürte ich schon einen sehr starken Schmerz von meiner rechten Wade ausgehen. So folgte auf ein Rucken ein Zucken und ich musste es mir wirklich sehr stark verkneifen, nicht los zu schreien – wäre meine Stimmte doch eh gebrochen.

Die Person erhob sich dieses Mal richtig und ging ein paar Schritte, um dann an meinen Beinen zu stoppen. „Hihi, es tut mir leid, aber ich hab dir leider während deines Nickerchens ein wenig wehtun müssen, damit du mir nicht wegläufst.“, erklärte er, zog mein Hosenbein hoch und entblößte eine tiefe Schnittwunde.

Ich glaubte meinen Augen nicht! Warum tat dieser Pimpf so etwas?!

Moment – Pimpf?

Ich musterte den Jungen, von Kopf bis Fuß. Zuerst hatte ich meinen Pimpf vor Augen, doch das hätte allein von dem Klang seiner Stimme nicht funktioniert. Seine war viel zu deutlich; Kyo nuschelte dagegen gelegentlich. Nein, es war dieser Typ von vorhin, der mit seiner Gruppe zu Dies Haus gekommen war.

Bevor ich…Egal.

Mein Blick sprang umher, versuchte irgendetwas Bekanntes zu finden – doch Fehlanzeige. Der Raum in dem ich mich befand war komplett weiß gestrichen, sicherlich zwei bis dreimal so groß wie mein Zimmer, mit riesigen Fenstern, wie man sie nur aus der Schule kannte. Alles in einem konnte man diesen Ort nicht als familiäre Umgebung beschreiben, dafür war es einfach zu kalt. Aber wo war dieser Ort dann?

Wieder hörte ich ein Kichern. Dieser Junge hatte wohl Spaß an meinem Zustand. Verdammt.
 

„Was hast du mit Kyo gemacht?!“, als der Schmerz verkraftet war, platzte es einfach aus mir heraus. Ich brauchte zwar viele Antworten, aber diese war mir am Wichtigsten. Schließlich ging es nicht um mich.
 

„Er ist schon weiter in seine Suite begleitet worden, in dem er erstmal kräftig, sagen wir mal, ‚verwöhnt’ worden ist.“
 

Warum dämmerte mir nichts Gutes, als diese Worte den Mund des ‚Gastgebers’ verlassen hatten? Mir wurde unbehaglich; ich bekam Angst. Angst um Kyo und Angst um die Anderen. Was, wenn er sie auch hierher verschleppt hatte?

Schritte und dessen Echo kamen aus dem Flur, den ich außerhalb dieses Raumes vermutete, immer näher, wurden lauter und…stoppten vor der Tür. Ein Klopfen und das einfache Öffnen jener Tür folgten und offenbarten einen weiteren Jugendlichen aus dem Kreis der Fremden.

Auf den ersten Blick fiel mir nur seine zerbrechliche, schüchterne Körperhaltung auf, als er zu dem Blondchen herantrat und mir nur einen scheuen Blick zuwarf. Das war auch schon das zweite Merkmal an ihm: Sein weibliches Gesicht und die braunen, dezent geschminkten Augen, umgeben von einem Rahmen aus Kakaobraunen Haaren. Ansonsten war er etwas sonderbar gekleidet, was ich schon von Die kannte, und vor allem dunkel.

Er schien mir nicht wirklich die Art von Mensch zu sein, die Andere verletzen könnte, doch bei meinem Glück würde ich nur wieder berichtigt werden.
 

„Mao? Der Neue macht Probleme. Er meint, dass wir so was nicht machen können, Tsurugi hat ihn deswegen auch in ein Zimmer im Keller gesteckt, ich hoffe, das ist okay so.“

Der Neue?, fragte ich mich misstrauisch und überlegte gleichzeitig, wie ich mit einem verwundeten Bein wohl weglaufen könnte.

Ob ich eine Lösung fand? Haha, natürlich nicht. Dieser ‚Mao’ hatte das Ganze wohl genau durchgeplant…

„Ja, das ist okay, wir hätten ihn sowieso demnächst nach da unten bringen müssen, falls er seine Meinung noch geändert hätte. Ist also nur gut so, Mizuki.“

Verräter also, hm?

Wie nett, wir nutzen Jemanden aus und werfen ihn dann einfach weg, tja, das ist die Jugend von heute. Herzlichen Glückwunsch, Welt.
 

„Und…was sollen wir denn mit dem machen?“, der Braunhaarige, anscheinend Mizuki, deutete mit dem Finger auf mich und verlieh mir damit das Gefühl, irgendein dummes Tier in einem zoologischen Garten zu sein. Es fehlte nur noch der Käfig und mehr Besucher.

„Unser Gast bekommt natürlich dieselbe Suite neben unserem Ehrengast. Mit dem besten Blick auf das Geschehen. Wir wollen ihm doch eine nette Show liefern, oder nicht?“, einer Hyäne ähnlich grinste der Anführer mich an und wank seinen Verbündeten fort. „Darum kümmere ich mich schon selbst. Sag Aki, dass ich gleich mit nach Oben komme, okay?“
 

Gehorchend verschwand Mizuki und ließ mich mit diesem Irren allein, der im Augenblick so aussah, als würde er mich am liebsten sofort zerfleischen.

Ich schluckte.

Er kam auf mich zu, packte mich am Kragen und zwang mich verdammt grob dazu, mich unter Schmerzen zu erheben. Vielleicht würde mein Bein ja irgendwann taub werden, dann konnte er mich gern so herumscheuchen.

Mao zog mich in dieselbe Richtung, aus der sein Freund zuvor gekommen war, gab mir die Möglichkeit, mich zu orientieren. Wenigstens hier im Erdgeschoss…

Das Gebäude schien wirklich einmal eine Schule gewesen zu sein. All zu alt konnte sie ebenfalls auch noch nicht sein, da es hier nur halb so heruntergekommen aussah, wie in so manchen Plattenbauten in der Innenstadt. Aber weshalb eine Schule? Vielleicht, weil man hier einfach die Möglichkeit hatte, sich zu verirren? Oder weil sie keine alte, schmutzige Lagerhalle gefunden hatten?

Mir blieb kaum Zeit zu spekulieren, da wir nach einbiegen in einen anliegenden Flur schon an einer Treppe angekommen waren, von der der Kleine wohl erwartete, dass ich sie bezwänge und mich auch nicht sonderlich barmharzig immer wieder anstieß, damit ich entweder schneller herunterhumpeln würde oder gar das Gleichgewicht verlieren und stürzen würde.
 

„Hör auf zu trödeln, ich hatte nicht vor, bis zum Frühling zu warten, bis du da unten bist.“ - „Halt die Klappe, ich bin ja wohl nicht Schuld daran, dass du mir das Bein aufgeschlitzt hast.“ Die Letzten Stufen bezwungen wandte mich der Blonde auf seiner höheren Position zu sich um und knurrte: „Sei nur froh, dass ich nur dein Bein aufgeschlitzt habe! Ich könnte dir gut und gern auch deine Zunge rausreißen, wenn du weiter so frech bist!“

Er trat mir gegen den Brustkorb, was mir die Bekanntschaft mit dem Boden und kurze Schweratmigkeit einbrachte.

Danach schritt er wieder an meine Seite, hockte sich abermals hin, lächelte und strich mir erst ‚zärtlich’ über die Stirn, ehe er einen ganzen Büschel meiner Haare fest umschlang und meinen Kopf mit einem Mal hinaufzog.

Ich wollte ihn erst anschreien, gönnte ihm diesen Sieg dann aber doch nicht und erhob mich mehr oder minder einfach.

Für diese Misshandlung würde er schon noch bezahlen!
 

Der brachte mich in einen Raum mit drei weiteren Zimmern. Zwei Türen waren schon verschlossen, eine Dritte stand offen. Dies sollte dann wohl mein Gefängnis werden. Doch für wie lange?
 

Wortlos hatte er mich hier eingeschlossen und war erst im Licht, dann in der Dunkelheit verschwunden.

Ich war allein.

Allein in diesem muffigen Kerker.

Aber wenigstens war dieser andere, ekelhafte Geruch verschwunden.

Hier konnte ich ausharren. Solange, bis sie den Spaß am festhalten von Unschuldigen verlieren würden.
 

Ich wandte mich um, um mir ein Bild von meiner neuen Herberge machen zu können, wischte mir dabei ein wenig Speichel, welchen ich zuvor verloren hatte, von der Wange.

Das Kämmerchen dagegen war feucht, winzig und auch nur sehr spärlich eingerichtet – und zwar nur mit einem Stuhl. Kurz unter der Decke war ein Fenster angebracht, kaum einen halben lang und nur wenige Zentimeter hoch. Gerade so fanden wenige Lichtstrahlen ihren Weg durch das Glas hindurch an diesen dunklen Ort, dafür umso mehr Kälte.

Ich konnte froh sein, dass es diesen Winter noch nicht geschneit hatte.
 

Mich meinem Schicksal ergebend, beschloss ich, mich erstmal von dieser Tortur auszuruhen, setzte mich also auf den nassen Boden, lehnte mich an der hinter mir liegenden Wand und trat mit meinem noch gesunden Bein den Stuhl vor mir weg.

Allein in einem Gebäude mit Irren.

Wieder so ein nettes Geschenk des Lebens. Ich wusste schon, warum ich Diesem eher pessimistisch gegenüberstand – es hatte schließlich nie etwas Gutes für mich übrig.

Tze...Sein Schicksal musste man schon selbst in die Hand nehmen.

Daher würde ich wohl versuchen, meinen nächsten Besucher zu überwältigen, um flüchten zu können, denn ich musste noch Kyo suchen…Was sie wohl mit ihm angestellt haben? Hoffentlich nichts, was seinem Zustand noch weiter schaden würde…

Ich blickte zur Decke hinauf, wurde durch einen Topfen aufmerksam, dessen taktvollen Nachfolgern ich zu lauschen begann.

Dieser Rhythmus…

Er war so beruhigend…

So einschläfernd…

Ich hatte bisher noch gar nicht mitbekommen, wie müde ich eigentlich geworden war. Ein Schläfchen konnte man mir ja nun wirklich nicht verübeln, oder?

Besonders nicht, wenn ich eh einsam zu sein schien.

Einfach die Augen schließen…

Und alles um mich herum erstmal vergessen.
 


 

~*~
 


 

Aus meinem Schlaf, welcher tiefer als Gedacht war, wurde ich unfein gerissen; von einem gequälten Aufschrei geweckt.

Von einem Schrei, den ich nur zu gut kannte…Und dessen Quelle kam direkt auf der Zelle neben an!

Ich sprang auf, schluckte den Schmerz in meinem Körper herunter, stürmte als erstes zur Tür.

Doch ich konnte sie nicht öffnen.

Na klar, dieser Psycho hatte sie ja abgeschlossen!

Verzweifelt rüttelte ich in der Dunkelheit an der Türklinke, hämmerte mit bloßen Fäusten gegen das alte, splittrige Holz, doch es gab nicht nach.

Für eine Sekunde überlegte ich, sie einzutreten, doch dies schien mir zu schmerzhaft zu werden und würde mich nur wieder in irgendeine schlechte Angelegenheit verwickeln…Aber irgendwie musste ich doch hier herauskommen!

Erst jetzt, wie ich so ängstlich einen Ausweg suchte, fiel mein Blick auf die vergitterte Öffnung direkt in der Wand. Sie war auf beiden Seiten und erlaubte mir, in die jeweiligen Räume zu sehen. Mein nächster Schritt ging also zu eben dieser Öffnung zu der Kammer, in der ich meinen Blonden vermutete.

Ich umklammerte mit meinen von Schmerz pulsierenden Händen die eiskalten Stangen, holte Luft, um die Schänder von Nebenan an zu keifen, doch erstickte mein Wille.
 

Ein weiterer Schrei.
 

„Du sollst doch still sein, sonst bekommst du dein kleines Heiligtum nie wieder~!“

Mao.

Umringt von Vier anderen Personen, die Taschenlampen in ihren Händen hielten, zwei davon kamen mir bekannt vor, auch wenn ich sie nicht wirklich beachten wollte, denn…

Wen sie nebst dem kranken Geschöpf dort umringten…War Kyo!

Sie standen einfach da, während ihr Anführer immer und immer wieder auf den Blonden eintrat!
 

„Hört auf!“
 

War das meine Stimme, die so schrill durch die alten Gemäuer drang? Ich wollte an den Gittern rütteln, bemerkte jedoch, dass auch diese sich nicht bewegten…Ich konnte nichts tun! Warum konnte ich nichts tun?! Tränen trübten meine Sicht.
 

Bitte, sag mir doch Jemand, dass dies hier nur ein schlechter Traum ist!
 

Doch sollte mein Flehen nicht erhört werden.

Ich war hier eingesperrt.

Kyo war hier eingesperrt.

Niemand würde uns hören.

Man hatte uns unserer Freiheit beraubt…Dies war kein Streich oder ein Theater! Dies war real!
 

Kyo spuckte etwas aus, was ich für Speichel halten wollte.

Er krümmte sich im Dreck, er wimmerte vor Schmerzen. Und die Anderen…Starrten mich an.

„Aufhören? Wieso denn?“, Maos Stimme durchdrang meine Fassungslosigkeit, ritt mich jedoch nur in einen tieferen Zustand des Seelenschmerzes, indem er zu dem kleinen Fenster, an welchem ich stand, herantrat und mir ‚sanft’ die Tränen von den Wangen strich.
 

„Wieso sollte ich aufhören, meine Revanche auszukosten?“

Einer aus der Gruppe näherte sich uns etwas, blieb aber noch weit genug von uns entfernt. „Boss, soll ich ihn zum Schweigen bringen?“
 

„Nein.“
 

Wollte er sich etwa wieder selbst um mich kümmern? Ich bemerkte wie sich meine Augen bei diesem ‚Vorschlag’ weiteten. Wenn ja, dann würde er Kyo in Ruhe lassen! „Warum nicht?“, mein gesamter Mut steckte in dieser Frage, mit welcher ich hoffte, den Fremdling vor den Kopf gestoßen und mein Blut geleckt haben zu lassen. Anfangs hatte dies auch so ausgesehen, da er mich nur musterte und zu überlegen schien.
 

Bitte, lass ihn anbeißen!

Es ist mir egal, ob er mich zerstört, nur lass ihn anbeißen!

Bitte, Gott, oh bitte!
 

Als er sich von dem Fenster entfernte, konnte ich mir nicht verkneifen, zu lächeln.
 

Es hatte funktioniert!
 

Es hatte funktioniert!!
 

Er öffnete die Tür mit einer drehenden Bewegung um seine eigene Achse, hielt sie dann jedoch nur offen und deutete seinen Freunden zu gehen. Ich war mich sicher, dass er wohl als Letzter den Raum verlassen und sich dann mir widmen würde. Doch als der Letzte, ohne ihn, durch den Türrahmen geschritten war, ließ er die Tür zufallen, visierte wieder dieses kleine, kümmerliche Stück Elend am Boden an, zog es an den Haaren auf die Knie und blickte wieder in meine Richtung. Jedenfalls sah es so aus.
 

„Weil du die Show genießen sollst!“
 

Mein Lächeln brach, ebenso wie meine Hoffnung.
 

Ich weiß nicht, ob es einfach nur ein Schutzreflex gewesen war, aber meine Ohren waren taub geworden. Wie in Zeitlupe kam es mir vor, als ich zusah, wie Mao begann seinen Gürtel samt Hose zu öffnen, sich abzustreifen, Kyo wieder um zu stoßen, nur um dann dasselbe mit seiner Hose zu tun.
 

Ich kann nichts mehr sehen, bemerke jedoch, wie sich diese Bilder in mein Gedächtnis einbrennen.

Meine Gefühle scheinen verschwunden; in meiner Brust zerreist etwas.

Ich halte mir die Ohren zu; Ich will deine Stimme jetzt nicht hören!

So samtig weiß schienen deine Lenden in dem fahlen Licht des Mondes, welchen wir heute Nacht nicht sehen werden.
 

„In die Knie! Und nun winsele um Gnade!“
 

Ich konnte nur zusehen, wie er sich über dich beugt, mit einem schmutzigen Grinsen auf den vergifteten Lippen, mit welchen er dein trübes Haar liebkost, um dich dann an sich zu drücken und…

Um dich zu brechen.
 

Er brach in dich ein.

Zerbrach dich.

Brach dich wieder und wieder; hörte nicht auf.

Er tat es so leidenschaftlich. So laut!

Dieses Schwein…
 

Und ich brach zusammen, verlor den Verstand; verschluckt von der Eiseskälte und Dunkelheit dieser Nacht.

Deine Schreie in meinen Ohren; die Worte von damals:
 

„Ich liebe dich…!!“
 

Aus.
 


 

~*~
 


 

[Kyos Traum]
 


 

Mama, Mama, bin ich ein böser Junge?

Ist er deswegen so gemein zu mir?

Mama, Mama, soll ich mich wehren?

Wird er dann aufhören?

Mama, Mama, warum weinst du denn?

Habe ich dich verletzt?

Ich will doch ein guter Junge sein!
 

„Ertrag es wie ein Mann.“ - „Ja…“
 

Mama, Mama, ich war heute bei ihm!

Aber es hat so wehgetan!

Mama, Mama, ich werde morgen wieder zu ihm gehen!

Er sagt, dass der Schmerz bald nachlässt!

Mama, Mama, er hat gesagt, dass ich immer wieder kommen kann!

Er mag mich, denn ich habe ein hübsches Gesicht!
 

„Kann ich jetzt aufhören?“ - „Nein!“
 

Mama, Mama, er will immer mehr!

Es tut so weh!

Mama, Mama, warum muss ich weiter machen?

Es tut so weh!

Mama, Mama, ich bin ganz artig!

Aber es tut so weh…
 

„Bist du stolz auf mich? Liebst du mich? Ich möchte doch nur umarmt werden!“ - „Verschwinde.“
 

Mama, Mama, heute hat es kaum wehgetan!

Ich bin so glücklich!

Mama, Mama, nachher will er mich wieder sehen!

Ich bin so glücklich!

Mama, Mama, er liegt auf einmal ganz still!

Bin ich jetzt erlöst?
 

„Das ist also das Ende, huh?“
 


 

~ Zweiter Tag – Nacht. ~
 


 

[Kaorus Perspektive]
 


 

Bilder in meinem Kopf – Ich werde sie nicht los.

Meine Beine eng an mich gezogen, harre ich noch immer an ein und demselben Fleck aus. Ich kann mich nicht fortbewegen, meine Glieder sind wie eingefroren.

Mir ist schlecht. Seit letzter Nacht…

Ich vergrabe meinen Kopf unter meinen Armen.

Er kam immer wieder.

Stündlich. Halbstündlich. Ich weiß es nicht…

Immer drang er in dich ein. Immer tat er dir so weh. Immer brach es mir das Herz, nichts dagegen tun zu können.

Mir hat er nichts angetan. Gelegentlich hatte er nach seiner Schandtat nach mir gesehen, mich ausgelacht. Mich und meine schmerzlichen Gefühle zu dir. Ich spürte außer dem nichts.

Kein Hunger, keine Müdigkeit, keine Freude, Hoffnung oder Erleichterung.

Nur diesen Schmerz und die Kälte.
 

Warum?

Warum taten Menschen so etwas?

Warum freute er sich so sehr über das, was er tat?

Warum wehrtest du dich nicht?

Warum hörte er nicht auf?

Warum?

Warum…
 

Ich verliere dich.

Jedes Mal ein Stückchen mehr, wenn er kommt.

Ich kann nicht sprechen, nicht schreien, nicht einmal mehr weinen. Ich will es nicht hören. Nicht deine Stimme hören. Nicht hören, wie er sich mit dir befriedigt. Nicht hören, wie er dich schlägt und dich verletzt.

Wie viel Blut du wohl schon verloren hast? Du musst doch schon ganz wund sein…

Warum sagst du denn nichts?

Du weinst nur…

Hör doch auf damit, es macht ihm nur noch mehr Spaß, wenn du weinst, verstehst du das denn nicht?

Ich will dich ja trösten, aber ich kann es nicht…Ich komme hier nicht raus!

Bin ich zu schwach, um dich zu beschützen? Hätte ich es verhindern können?

Es tut mir leid, Kyo…
 

Ich…

Du…
 

Vermisst uns denn Keiner? Sucht denn keiner nach uns?

Hallo, wir sind hier!

Hallo, wir brauchen Hilfe…!

Hallo, uns gibt es doch auch noch!

Hallo…

Auf Wiedersehen.
 


 

~ Dritter Tag – Morgengrauen ~
 


 

Er kam diese Nacht nicht mehr, hat er etwa den Spaß an dir verloren?

Wenn ja, zum Glück.

Die Sonnenstrahlen blenden mich.

War das Licht immer schon so hell gewesen?

Wie ein junges Tier erhebe ich mich unbeholfen; meine Knochen geben Laute von sich, durchdringen die unendliche Stille, die an diesem Ort herrscht. Doch wenn es die Sonne noch gibt, dann läuft die Zeit weiter.

Werden wir nicht für immer hier gefangen bleiben müssen?

Ein merkwürdiges Gefühl macht sich in meiner Brust breit; setzt sie in Brand; lässt mich umdrehen.

Ich will dich sehen, Kyo, und zwar jetzt, doch verschwindet meine Sicht wieder mit den Tränen.

Ich schlucke sie zusammen mit der Blockade, die mir das Sprechen nimmt, herunter, umfasste wieder die unbarmherzigen Gitterstangen, versuche, dich in diesem Raum zu finden.
 

„Kyo…?“
 

Meine eigene Stimme, wie ich sie mir einbilde, kommt mir schon so fremd vor.

Doch ich brauche sie. Für dich.

Ich merkte gar nicht, wie sich mein Kopf fast von selbst an das kalte Eisen gelehnt hatte, um irgendwie besser suchen zu können.

Und ich fand dich. Oder eher deine Hülle.

Wie eine Puppe lagst du in der Mitte deines Käfigs; dein Narbenübersäter und blutender Oberkörper vollkommen entblößt und zerkratzt; die Hose nur noch halbherzig über der Hüfte liegend – offen.

Allein das Heben und Senken deines Brustkorbes sagte mir, dass du noch am Leben hängst.

Wie gern ich dich jetzt in den Arm genommen hätte…!

Doch du antwortetest mir nicht einmal.
 

„Kyo!“, ich rief nur leise deinen Namen, um Niemanden weiter aufmerksam auf uns zu machen; um dich zu schonen. Würde dich meine Stimme dennoch erreichen? Ich zweifelte.

Doch da!

Ein Zeichen!

Auch, wenn es nur ein angestrengtes Schnaufen gewesen war, ich bildete mir ein, dass ich es verursacht hatte.

Du hattest mich doch gehört, nicht wahr? Das hast du, oder?

Dein Kopf rollte zur anderen Seite, dein Körper folgte ihm. Als würdest du dich einfach in einem harmlosen Schlaf umdrehen, nicht in diesem schimmligen Loch.

Doch im Schlaf würdest du nicht schluchzen, oder?

Nein…Das würdest du nicht. Du wolltest nur nicht, dass man dich so sah, deswegen drehtest du dich von mir fort.

Zwar hangst du noch am Leben, doch hatte sich dieses dir schon wie ein Strick um den Hals gelegt…

Wie lange würdest du es wohl noch aushalten?

Diese Qualen…
 

Ich wende mich um, lehnte mich an die Wand und streiche mir über meinen zerzausten Bart.

„Guten Morgen…“
 


 

~ Dritter Tag – Vorabend. ~
 


 

Schritte. Schon wieder.

Sie jagten mir einen Schauer über den Rücken, denn immer, wenn die Schritte im selben, fröhlichen Takt die Treppen hinuntertapsten, war klar, wer kommen würde. Und welch perverses Vergnügen er bei seiner Vorstellung haben würde.

Für ihn war dies alles nur ein Spiel.

Nichts Reales, nichts Greifbares.

Nichts, was ein Leben zerpflücken könnte.

Und eben diese Leichtfüßigkeit brachte das Blut in mir zum kochen und spannte meine Sehnen bis zum zerreißen.
 

Wenn ich ehrlich bin, wollte ich jene Schreie schon gar nicht mehr wahrnehmen, hörte ich sie doch schon längst in meinen Träumen wieder und wieder hallen. Nur einen Augenblick lang taub sein – oder für ewig, sollte dieser Alptraum noch weiter gehen.

Ich drückte meinen Kopf gegen die Zellenwand, hielt den Atem mit geschlossenen Augen an und wartete ab. Erwartete einen dämlichen Kommentar unseres Peinigers; ein Lachen über das Leid, welches er dir zufügte – doch sollte dieses Erwarten scheitern.

Nur ein metallener Klang, wie wenn man zwei Messer aneinander reibt, und ein leichtes ‚klacken’ füllte die Stille.

Keinerlei Stimmen.
 

Geistesabwesend hatte ich mitbekommen, wie er diesen Raum wieder verlassen hatte - anscheinend unberührt – mich dennoch nicht bewegt, hatte nur einmal aus und eingeatmet, hielt nun wieder den Sauerstoff in meiner Lunge.

Ich fühlte mich schon gar nicht mehr in meinem Körper, driftete in eine gänzlich andere Welt ab, konnte spüren, wie sich die Hülle aufzulösen versuchte…
 

Irrtum!
 

Ein Krächzten zog mich aus dieser Illusion, aus diesem Zustand der Selbstaufgabe. Ich erhob mich sprunghaft, stürzte zu dem verfluchten Fenster, umfasste die Stangen mit unwirklichen Händen, versuchte in der Dämmerung die einzige Person zu erkennen, die ich in diesem Moment ersehnte. Es fiel mir schwer, überhaupt etwas zuerkennen, konnte mich nur an der eingebildeten Silhouette orientieren, die an Handgelenken an der Wand angekettet zu sein schien. Ein bleicher Körper…
 

„K…“, Die Worte verloren sich in meiner Kehle, meine Beine verloren den Halt – ich fiel auf die Knie, drückte meinen Kopf gegen die kalte Wand, brach in Tränen aus.
 

Ich war ein Versager!

Ein von Gott verdammter Versager…!

Nicht mehr und nicht weniger…

Verdammt dazu, immer die Menschen zu verlieren, die mir wichtig sind.

Verdammt dazu, immer die Menschen zu verletzen, die mir wichtig sind…
 

Damals wie heute.
 

Ich hasse diese Stille.

Ich hasse diese Einsamkeit.
 

Wohin ist deine sich verletzende Stimme hin verschwunden?
 


 

„Lass Erschöpfung über mich kommen,

ich liege auf dem Boden --
 

Die Sicht von hier war so unerwartet neu für mich…

Daher greife ich nach dem Dreck --
 

Zum Ersten Mal wurde ich Jemand…!

Alles was ich will...

Ist schlafen zu gehen…!
 

Wann werden Flügel auf den sich bewegenden Reiskörnern wachsen?“
 


 

Flügel?
 

Flügel.
 

Flügel…
 

~
 


 

~ Vierter Tag – Sonnenaufgang ~
 


 

Ich habe keine Ahnung, welcher Engel sich unser erbarmt haben muss, vielleicht war er ja auch nur schlichtweg von seinem unsterblichen Dasein gelangweilt oder würde später noch seine ‚Gute Tat’ durch welche Bezahlung auch immer zurückfordern, aber welche Bezahlung wäre grausamer als das, was wir hier durchmachen müssen…

Des Morgens wurde ich von dem dumpfen Klappern der Riegel meines Türschlosses und das vertraute Geräusch von aneinander reibenden Metallstücken geweckt, jedoch erklang diese Komposition an Freiheitsverheißenden Melodien nicht nur einmal, sondern zweimal. Vor mir und kaum einen Meter links von mir. Direkt von Kyos Zelle.

Mit dem Knacken sämtlicher Gelenke meines Körpers erhob ich mich von meinem ‚Schlafplatz’, spürte, wie sich mein Herzschlag zu beschleunigen; zu überschlagen begann, als ich auf meine Tür zuhumpelte, sie erst schwach, dann schwungvoll aufstieß und wie ein scheues Tier in die Finsternis starrte.
 

Waren meine Augen überhaupt offen?

War ich nun wirklich so wahnsinnig geworden, dass ich mir solch reale Halluzinationen vorstellen und durchleben konnte?

Traum oder Realität?

Konnte das hier überhaupt wahr sein?

Wer von diesen kranken Irren-

Hör auf zu denken, Kaoru!
 

Ich überschritt die unsichtbare Grenze des Gefängnisses, spürte, wie sich Ketten zu lösen begannen, Adrenalin durch meine Adern schoss. Von selbst schritten meine gefühlslosen Beine weiter, in deine Richtung; meine kalten Hände griffen die Türkante, zogen sie in meine Richtung, während ich schon den Raum betrat; meine eingeschränkte Sicht an deinem zierlichen Körper klebend.

Du lagst mir zu Füßen – irgendwer hatte dich von den Handschellen an der Wand losgemacht und sich dann nicht weiter um dich gekümmert – Gott sei dank!

Wie du rücklings dort lagst, den Kopf zur Seite abgewandt konnte ich nicht einmal erahnen, ob du noch atmetest, da ich nicht darauf achtete, ob du Laute von dir gabst, oder eine Bewegung deines Oberkörpers erfolgte – Nur um aus dem Traum eine Realität zu schaffen berührte ich erst mit zitternder, ängstlicher Hand deine Schulter, fasste sie dann fester, schob meine Hände letztendlich unter deinen Körper, um Hüfte und deine mir am weitesten entfernte Schulter zu umklammern, an mich zu ziehen und hoch zu heben.

Sicherlich warst du schon immer sehr leicht gewesen, dennoch wunderte ich mich, woher ich die Kraft hatte, dich nicht nur anzuheben, sondern im Folgenden auch noch die Treppen zu erklimmen, durch das noch nur spärlich erhellte ‚Schulgebäude’ zu laufen, bis wir es verließen und ich schon das schrille Signalgeräusch einer ganz bestimmten Wagenart hören konnte.
 

Ein Krankenwagen!

Der Engel, welcher uns aus der Hölle geholt hatte, hatte uns sogar einen Arzt geschickt!
 

Als der Wagen anhielt, lief ich noch auf das selbst in der Dunkelheit weiß-rot leuchtende Fahrzeug zu, wurde jedoch irgendwann immer langsamer, stoppte und ging auf halber Strecke in die Knie und starrte dich an; eine deiner blutig-bleichen Hände lag auf Meiner an deiner Schulter. Ich wusste nicht genau, ob ich mich freuen, oder weinen sollte, ich wusste gar nichts in diesem Augenblick. Alles, was mir klar wurde war; dass wir es geschafft hatten. Wir hatten es endgültig geschafft. Du würdest leben! Und selbst mein Wunsch würde in Erfüllung gehen:
 

Du würdest mich wieder hassen können…!

Ich könnte dein Gesicht wieder sehen; deiner Stimme lauschen, die meinem Herzen einen Stich versetzt; deine spezielle Gestik beobachten…

Könnte ich dir auch näher sein als zuvor?
 

„Kyo…“
 

Ich drückte deinen schweren Kopf an meine Brust, hielt dich fest in meinen Armen.
 

„...Mein Kyo…“
 

Sanitäter hockten vor uns, redeten ernst auf mich ein, doch konnte ich ihre Stimmen nicht vernehmen. Sie schienen nur Lippenbewegungen zu machen; Lippenbewegungen auf einem in Zeitlupe abgespielten Band. Sie würden uns mitnehmen, uns versorgen – dich an erster Stelle. Sie würden unseren Eltern bescheid sagen…

Wir würden Leben.
 


 


 

[An diesem jungen Wintermorgen spürte ich deine eiskalte Hand das erste Mal auf Meiner. Ich war mir so sicher wie noch nie, dass ich sie nicht wieder loslassen wollte.]
 


 

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So, es ist geschafft!
 

Jetzt will ich mich für folgende Dinge entschuldigen:
 

1. Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat!

2. Tut mir leid, dass es alles andere als gut geschrieben ist, gegen Ende wollte ich es einfach nur noch fertig bekommen.
 

Okay, soviel dazu. :D Die nächsten Kapitel werden mit Sicherheit weniger Zeit in Anspruch nehmen und eventuell bedeutend kitschiger sein, stellt euch also schon mal einen Eimer unter den Computer, es könnte tropfen!
 

Und ein letztes, ernstes Wort:

Ich bin kein religiöser Mensch, dennoch bete ich fast jeden Tag dafür, dass Kyo seine Krankheit überstehen wird; dass ganz DIR EN GREY das überstehen wird.
 

[DUM SPIRO SPERO]
 

Nagi. *^*



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Kommentare zu dieser Fanfic (10)

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Von:  TatsueLi
2012-04-30T16:34:54+00:00 30.04.2012 18:34
nur zwei Worte
Endlich!!
und
FUCK Ö_Ö
ich stimme -aftermath- zu, das Kapitel ist wirklich krank..
aber dennoch gut
ich mag es auch
aber Kyo und Kao tun mir leid.. ;_;

hoffentlich kommt bald das neue Kapitel ich will wissen wie es weiter geht >.<
mach weiter so~
LG ^^
Von:  -aftermath-
2012-04-30T15:54:14+00:00 30.04.2012 17:54
Endlich ein neues Kapitel. *_*
Und omg..
Es ist irgendwie krank, aber ich mag es.
Und ich hoffe, dass das neue Kapitel bald kommt.
Ich mag weiter lesen!
Von: abgemeldet
2012-01-24T19:32:16+00:00 24.01.2012 20:32
hui, was für ein Monsterkapitel O____O ich bin stolz auf dich ^^
von der schriftstellerischen Leistung erste Sahne, und von den Formatierungen erst recht (mir schwirren noch immer die Augen von den ganzen spiegelverkehrten Texten @_____@" xD
ja, ich freu mich auch schon aufs nächste Kapitel, ich möcht schon gern wissen, wie das jetzt mit den Dreien endet... und kann es sein, dass diese Frau Kyos Mutter sein könnte...? wäre zumindest meine Vermutung f^-^)*kratz* *kratz*
Gaa~nz liebe Grüße <3
Flumen ^^
Von:  TatsueLi
2012-01-23T19:15:50+00:00 23.01.2012 20:15
Wow! Ich bin endlich mal dazu gekomnmen die FF zu lesen, nachdem ich sie schon so lange in meiner Favoliste hab xD

Sie ist echt super bis jetzt!
Und ich bin echt gespannt wie es weiter geht! Vorallem ob Kao und Die es wieder auf die Reihe bekommen!
Die tun mir alle so leid ;_;
aber wirklich gut geschrieben!

Ich freu mich aufs nächste Kapitel!
Von:  -aftermath-
2012-01-23T14:58:38+00:00 23.01.2012 15:58
Soo..
Jetzt bin ich gespannt, wie es jetzt weitergehen wird. XD
Von:  -aftermath-
2011-10-25T20:19:28+00:00 25.10.2011 22:19
Kaoru tut mir gerade sehr leid.
Ist nicht schön, wenn man ersetzt worden ist.
Aber nun gut...

Ich hoffe, das nächste Kapitel kommt bald. XD

PS. Ich frage mich ja gerade, ob es bei dieser FF dann auch ein Happyend geben wird. XD
Von: abgemeldet
2011-10-25T14:14:48+00:00 25.10.2011 16:14
oha, also Die...
hallo, der arme Kao sitzt da drei Tage, nur um danach so eine Schmach zu erfahren... o(ò__ó)o
es bleibt spannend, hoffentlich geht`s bald weiter! °-(^∀^)-°

ach ja, wieder ist dir eine dieser wunderschönen Beschreibungen ausgezeichnet gelungen... *schwärm* (*∀*)

Von: abgemeldet
2011-10-24T17:18:12+00:00 24.10.2011 19:18
oh ja, wow, dein Schreibstil ist fesselnd...
beeindruckend, was man mit der Sprache alles umsetzen kann, und was du alles verwendest...
eine auffällig unauffällige Glasdecke xD geil ^^
ich kann meinen Vorgängern nur zustimmen, aber lass dir ruhig Zeeeeeiiiit... keinen Stress ^^
Liebe Grüße <3
Flumen

Von: abgemeldet
2011-10-23T10:36:57+00:00 23.10.2011 12:36
Ich bin durch Zufall über deine Fanfiction gestolpert...
Und was soll ich sagen?
Wow.
Das ist einfach nur unfassbar!
Unfassbar gute Story, unfassbar gut geschrieben, unfassbar gut umgesetzt.
Riesiges Kompliment an dich, ganz ehrlich.
Ich wünschte, ich könnte so schreiben wie du. ._.'
Schreib schnell weiter, ja :3 ?
<33
Von:  -aftermath-
2011-10-20T17:06:54+00:00 20.10.2011 19:06
ich will wissen wie es weitergeht! >-<


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