Geschenk von Zess7 (Kurzgeschichte) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Leise rieselte der Schnee auf die Erde hinab und erinnerte jeden, der versuchte das aktuelle Wetter in Worte zu fassen, an ein altbekanntes Winterlied, das meist einen Ohrwurm verursacht. Durch eine der vielen, mit Geschäften gespickten Straßen stapfte geduckt ein junger Mann und zog dabei ein Gesicht, das den baldigen Weltuntergang vermuten ließ und im Gegensatz zu den hell erleuchteten Schaufenstern stand, die vor Weihnachtsdekoration beinahe überquollen. Der Himmel färbte sich bereits blau-rot und sämtliche mehr oder weniger christlichen Einwohner des kleinen Städtchens machten sich auf den Weg zur nächstgelegenen Kirche um sich, wie jedes Jahr, irgendein Krippenspiel anzusehen, etwas zu singen und dann so schnell wie irgend möglich mit gutem Gewissen in ihre warmen Häuser zurückzukehren und den aufgeregten Bitten der Kinder nachzugehen, die endlich ihre Geschenke bekommen wollten. Der junge Mann allerdings hatte nichts dergleichen vor und auch keine Familie, die auf ihn wartete. Selbst wenn er Freunde gehabt hätte, die ihm anboten den Tag mit ihnen zu verbringen, wäre ihm sowieso nicht in den Sinn gekommen gerade diesen Tag zu feiern, obwohl er auch für ihn von großer Bedeutung war. Der 24. Dezember... An diesem Tag hatte sein Leben eine bedeutende Wendung genommen. Ihm war nach all den Jahren Hilfe zu Teil geworden. Hilfe, die für den anderen Jungen zu spät kam. Der junge Mann seufzte laut, was aber sowieso Niemand auf der wie leergefegten Straße hören konnte. Der andere Junge... Sein Bruder... Der Einzige der sein Schicksal geteilt hatte, der Einzige der alles über ihn wusste... Derjenige, der nun fort war, obwohl der junge Mann ihm damals versprochen hatte, dass er ihn beschützen würde. Der junge Mann wusste, dass er versagt hatte... Nicht fähig gewesen war sein Versprechen zu halten, es nicht verdient hatte am Leben zu sein, während der andere Junge tot war. Leben... In gewisser Weise war auch der junge Mann bereits tot, schon seit langer Zeit. Nicht einmal um den anderen Jungen weinen konnte er noch. Er fühlte sich so unendlich leer... Die Worte „Tod aber am Leben“ beschrieben, wie er fand, seinen eigenen Zustand genau. Er hatte sich in den 2 Jahren die seit dem Tod des anderen Jungen vergangen waren nicht einmal getraut dessen Grab zu besuchen. Was war er nur für ein Feigling... Doch heute würde er es tun. Heute am Todestag des anderen Jungen würde er es schaffen diese eigentlich unbegründete Angst zu überwinden. Je näher er seinem Ziel kam, desto langsamer ging der junge Mann, mit jedem weiteren Schritt immer nervöser werdend. Laut hallte das dumpfe Geräusch, das seine löchrigen Schuhe bei jedem weiteren Schritt im Schnee verursachten, in seinem Kopf wieder. Den Blick zu Boden gerichtet hatte er nicht auf seine Umgebung geachtet und stellte plötzlich etwas überrumpelt fest, dass er sich bereits vor dem rostigen Eisentor am Eingang des Friedhofs befand und dass seine Füße wie von selbst den richtigen Weg eingeschlagen hatten. Zaghaft schob der junge Mann das Tor auf und als er die vielen Grabsteine und die teils liebevoll gepflegten, teils in Vergessenheit geratenen Gräber sah, wurde ihm klar, dass er noch nicht einmal wusste, wo sich das Grab des anderen Jungen genau befand. Leicht beschämt ließ er den Blick über die Inschriften der Steine schweifen und begann zu suchen. Kurze Zeit später hatte er das richtige Grab gefunden, musste aber feststellen, dass er nicht alleine war: Direkt vor dem Grabstein lag ein pechschwarzer Wolf. Es war noch ein recht junges Tier, höchstens ein oder zwei Jahre alt. Der Wolf sah den jungen Mann mit großen, braunen Augen, die unglaublich menschlich wirkten, erwartungsvoll an. Der junge Mann kannte diesen Blick nur zu gut und langsam aber sicher machte sich die Erkenntnis in ihm breit, als er realisierte woher er diese ruhigen, braunen Augen kannte. Der junge Mann lächelte unsicher und bemerkte einen grünen Tannenzweig, der vor den Pfoten des Wolfs lag. Dann erhob er zitternd die Stimme: „Bist du das, kleiner Bruder?“ Der Wolf mit dem nachtschwarzen Fell nickte stumm. Das Lächeln des jungen Manns wurde langsam breiter. Dies war das erste Mal, dass er an Weihnachten ein Geschenk bekam, ohne dabei etwas wertvolleres zu verlieren: Der andere Junge, sein kleiner Bruder, war trotz seines Versagens zu ihm zurückgekehrt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)