Zartbitter von life_is_melody ================================================================================ Kapitel 1: Milchschokolade -------------------------- »Ich glaube langsam werden wir zu alt dafür.« Joshua schnaubte leise neben ihm und sofort spürte Fin, wie sein bester Freund ihm fest auf den Rücken klopfte, als wollte er ihm damit Mut machen. Wie wenig das eigentlich half, wusste nur Fin selbst. Eigentlich konnte er Mut ziemlich gut gebrauchen, denn wie jedes Jahr um diese Zeit fühlte er sich schlecht, fühlte sich sogar sehr schlecht und wieder einmal verfluchte er diese absurde Idee, die Joshua und er vor etlichen Jahren gehabt hatten. Damals waren sie noch kleine, dumme Kinder gewesen, von denen man eigentlich annehmen sollte, dass sie mit der Zeit erwachsener und reifer wurden. Leider war keines von beiden bei Joshua und Fin eingetroffen. Manchmal kam sich Fin immer noch wie ein kleines, dummes Kind vor. »Komm schon, Finney! Für so etwas ist man nie zu alt.«, versuchte Joshua ihn anscheinend aufzumuntern. Aber auch das ging gehörig daneben. Fin schüttelte den Kopf und trat einen Schritt zurück, in die kleine Gasse, von welcher sie Herrn Königs Schoko-Laden beobachteten. Früher hatte Fin das alles noch Spaß gemacht. Früher war er aufgeregt gewesen, war erregt gewesen, wenn er daran gedacht hatte, dass sie in nur wenigen Minuten ein Verbrechen begehen würden. Damals hatte er seine Grenzen getestet. Aber heute fühlte er sich nur noch schlecht. »Irgendwann werden sie uns erwischen. Wir können das hier nicht ewig machen.« »Eigentlich können wir schon. Nur ich denke, dass Herr König nicht mehr lange mitmachen wird.« Joshua grinste breit und Fin boxte ihm sofort leicht gegen die Schulter. »Nein, können wir nicht!«, protestierte Fin sofort und grummelte leise, wie konnte Joshua nur so etwas behaupten? Natürlich konnten sie das nicht ewig machen. Spätestens, wenn sie alt und grau waren, könnten sie das nicht mehr machen. »Es ist doch nur eine Tafel Schokolade.« »Ach, so siehst du das also?«, kam es sofort pampig zurück. Fin seufzte nur schwer. Er hätte wirklich nicht gedacht, dass Joshua nach all den Jahren wirklich noch so darauf reagieren würde, vor allem aber hatte er nicht daran gedacht, dass Joshua das alles hier noch immer so wichtig war. »Es ist eben nicht nur eine Tafel Schokolade. Hast du denn schon vergessen, was wir uns damals geschworen haben?« Fin rollte mit den Augen. Wunderbar. Der theatralische Joshua kam zum Vorschein. Fin wollte nicht sagen, dass er es hasste, wenn Joshua so theatralisch war. Oft mochte er es sogar, meistens musste er lächeln, aber manchmal fand Fin es einfach nur unangebracht und lästig – so wie jetzt! »Damals, vor all den Jahren haben wir mit dieser einen Tafel Schokolade unsere Freundschaft besiegelt, haben damit der ganzen Welt gezeigt, dass wir beste Freunde sind und auch immer bleiben werden. Diese Tafel Schokolade, die wir damals so mühevoll geklaut haben, ist der Beweis dafür, dass wir miteinander durch dick und dünn gehen können, dass es nichts gibt, dass uns aufhalten kann, dass es nichts gibt, dass uns auseinander bringen kann. Wir beide, Fin, sind dafür geschaffen beste Freunde zu sein und das haben wir durch diese Tafel Schokolade bewiesen. Aus diesem Grund ist es regelrecht unsere Pflicht, jedes Jahr hierher zurückzukommen und diese eine Tafel Schokolade zu klauen. Verstehst du denn nicht? Sie ist das Symbol für umph.« Fin hatte seine Hand auf den Mund des anderen gepresst, damit Joshua endlich seine Klappe hielt. »Schon gut. Es ist nicht nur eine Tafel Schokolade.« Fin gab klein bei, immerhin wusste er genau, dass er in dieser Hinsicht gegen den anderen nicht den Hauch einer Chance hatte. »Lass uns das alles einfach hinter uns bringen.« Vorsichtig nahm Fin seine Hand vom Mund des anderen und erkannte an Joshuas Grinsen sofort, dass dieser damit einverstanden war, dass er sogar wusste, dass er triumphiert hatte, dass er gewonnen hatte. Fin seufzte und trat hinter der Hauswand hervor. Sie würden es wie immer machen, nahm der junge Student zumindest an. Rein. Klauen. Raus. Eigentlich ganz einfach, aber Fin bemerkte genau, dass es ihnen immer schwerer fiel. Eigentlich musste sie der alte Herr König – der Besitzer des Schoko-Ladens - schon kennen. Eigentlich müsste er sie schon erkennen, wenn sie den Laden betraten, aber bisher hatte er nicht ein einziges Mal die Polizei gerufen, schien nicht einmal Verdacht zu schöpfen, wenn Joshua ihn wie jedes Jahr ablenkte. Es lag an Fin die Schokolade zu nehmen und unter seinem Shirt zu verstecken. Ein Jahr hatten sie auch versucht die Rollen zu tauschen. Fin erinnerte sich nur zähneknirschend daran zurück. Herr König hatte sofort Verdacht geschöpft und sie sofort erkannt, Fin sogar schon am Kragen gepackt gehabt. Einzig und allein Fins Geistesgegenwart und die Idee seine Weste einfach auszuziehen, haben ihm davor bewahrt, der Polizei übergeben zu werden. Noch heute trauerte Fin dieser Weste nach. Was Herr König genau damit gemacht hatte, wusste er nicht. Fin spürte, wie Joshua ihm fest auf den Rücken klopfte. »Na dann mal los.« Fin atmete tief durch. Zusammen mit Joshua ging er zum Schoko-Laden und betrat diesen. Wie immer zuckte Fin zusammen, als er die Klingel des Ladens hörte, die ankündigte, dass neue Kunden soeben den Laden betreten haben. Für Fin war es beinahe wie eine Warnung an Herrn König, dass seine jährlichen Diebe mal wieder zurückgekommen waren um schon wieder eine Tafel Schokolade zu klauen. Fin schlenderte sofort zu den Schokoladentafeln und tat, als würde er sich diese genauer ansehen. Das tat er immer. Aus den Augenwinkeln beobachtete er Joshua. Die Regale hier waren nicht sonderlich hoch. Fin konnte ohne Probleme darüber hinweg sehen. Nur für Kinder waren sie wohl gigantisch. Jedenfalls hatte Fin sie in seiner Kindheit weitaus größer in Erinnerung. Joshua schlenderte wie immer zielstrebig zu Herrn König, der hinter dem kleinen Tresen stand, hinter welchen unzählige Bonbons in große Gläser gefüllt in einem bis zur Decke reichenden Regal standen. Eigentlich war das hier nicht nur ein Schoko-Laden. Es war ein Süßigkeitenladen. Der beste und beliebteste der ganzen Stadt. Fin hatte schon viel zu viel Geld hier gelassen und das nicht nur in seiner Kindheit, sondern auch heute noch kam er oft hierher, wenn er Lust auf Süßigkeiten hatte. Aus den Augenwinkeln erkannte Fin, dass Joshua bereits an dem Tresen angekommen war und sich lässig-locker auf diesen lehnte. »Sagen Sie …«, begann Joshua, doch kaum angefangen wurde er auch schon von Herrn König unterbrochen und Fin wurde hellhörig. »Du bist der kleine Dieb!« Was? Fin zuckte zusammen, duckte sich ein wenig hinter dem Regal, was ihm aber nicht sonderlich gut gelingen wollte. Den Kopf hatte er inzwischen vollkommen Joshua und Herrn König zugewandt. Verdammt. Das passte nicht! Das gehörte nicht dazu! »Ich kenne dich! Du und dein kleiner Freund…« »Lauf!« Ehe sich Fin versah, hatte Joshua bereits auf dem Absatz kehrt gemacht und war aus dem Laden gestürmt. Fin selbst realisierte im ersten Augenblick gar nicht, was da eben passiert war. Langsam wandte er seinen Kopf zur Tür und konnte nicht glauben, dass sein bester Freund ihn einfach alleine gelassen hatte, dass er ihn regelrecht an Herrn König ausgeliefert hatte. »Du…«, vernahm Fin die Stimme des anderen Mannes. Hastig griff er nach der nächsten Tafel Schokolade, die er erreichen konnte und stürmte Joshua hinterher aus dem Laden. Fin rannte sofort ihren üblichen Fluchtweg entlang und bog nach einigen Häusern in eine kleine Seitenstraße ein. Erst als Fin am Ende der Straße angekommen war, blieb er stehen, stützte sich auf seine Oberschenkel und atmete schwer. Kurz wandte er sich noch um, um auf Nummer sicher zu gehen, dass er auch nicht verfolgt wurde. »Meinen Glückwunsch, Fin. Du hast ihn abgehängt.« »Halt deine verdammte Klappe.«, fauchte Fin seinen besten Freund an, der breit grinsend neben ihm stand. Selbst als Fin ihn so scharf anfuhr, wurde Joshua nicht wütend, sondern grinste noch ein wenig mehr. Fin fluchte leise und würde im Moment nichts lieber tun als Joshua eine verdammt harte Ohrfeige zu verpassen. »Du hast mich in dem Laden zurückgelassen, Joshua!« »Weil ich wusste, dass du das auch ohne mich schaffen würdest. Du hast sogar an die Schokolade gedacht. Du bist ein Genie, Fin.« Fin schnaubte nur verächtlich und reichte Joshua die Schokolade, da dieser die Hand danach ausstreckte. Ja, er hatte an die Schokolade gedacht – mehr oder weniger. Fin wusste, dass er eigentlich nur aus Reflex zugegriffen hatte. »Gut, du bist doch kein Genie, Fin.« »Bitte, was?« Fin richtete sich auf und runzelte die Stirn. Was hatte Joshua denn nun wieder auszusetzen? »Du hast die falsche Schokolade mitgenommen. Das hier ist Zartbitter.« Joshua verzog das Gesicht und auch Fin war nicht sonderlich glücklich darüber. »Ich mag keine Zartbitter, Fin. Du doch auch nicht. Hättest du nicht ein bisschen besser aufpassen können?« Fin grummelte laut und schlug Joshua leicht auf den Hinterkopf. Was bildete sich dieser Idiot eigentlich ein? »Zuerst abhauen, mich alleine zurücklassen und dann auch noch Ansprüche stellen? Vergiss es. Das war es für dieses Jahr. Ich geh nicht mehr zurück. Wenn du willst, kannst du das ja übernehmen. Aber ich hol mir jetzt eine Schokolade aus dem Supermarkt, die DU bezahlen wirst, immerhin ist das alles deine Schuld.« »Meine Schuld? Mein lieber Fin, das war doch wirklich nicht meine Schuld. Genau genommen war Herr König Schuld, immerhin hat er uns doch erkannt.« »Ach, sei still.« Fin grummelte noch einmal. Joshua hatte Recht, aber wenn man es ganz genau betrachtete, dann war es ihrer beider Schuld, immerhin waren sie die Diebe, waren sie es gewesen, die die Schokolade geklaut haben. Eigentlich war alles ihre Schuld. »Gehen wir nach Hause?, fragte Joshua leise nach und Fin nickte, ehe er schwer seufzte. »Ja, lass uns nach Hause gehen. Aber vorher schauen wir noch beim Supermarkt vorbei und kaufen uns eine andere Tafel. Du zahlst, weil du mich alleine gelassen hast. Deal?« »Deal.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)