Das Wunder des Lebens von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 10: Schlampige Väter ---------------------------- X. Schlampige Väter Nervös rutschte Justin auf dem weichen Stuhl des Behandlungszimmers hin und her und fuhr sich durch das Haar. Wenn das Mobiliar ihn beruhigen sollte, so verfehlte es seine Wirkung, die aufdringliche Anschmiegsamkeit wirkte fast provozierend. Lilly stand in ihrem Transportkörbchen neben ihm auf dem Nachbarstuhl und schlief ruhig. Der Arzt, ein spindeldünner, ellenlanger Kerl mit spärlichem Haupthaar, dürrer Hakennase in einem undefinierbaren Alter klappte sich ihm gegenüber in seinen teuren lederbezogenen Drehstuhl jenseits des Tisches. Justin fühlte sich wie bei einer Urteilsverkündung. Er schluckte. Der Arzt richtete seine wässrig blauen, übermüdet aussehenden Augen auf ihn und meinte: „Nun, Mr. Taylor-Kinney…“ Ja? Ja? Was? Was denn nun? „Ich höre, Dr. Lochlan…“, versuchte er sich betont cool. „Ich muss Ihnen mitteilen…“, der Arzt wühle in seinen Unterlagen. Was! Was denn nun!? Spuck’s endlich aus! Aber hörte sich nicht so an… Lilly war nicht seine Tochter… egal… oder? Ein Teil von ihm hatte sich das gewünscht… Es war unklar, ob er nach der Maserinfektion jemals ein Kind würde zeugen können… Der Fertilitätstest stand noch aus… Es spielte ja auch keine Rolle… Aber es wäre schon schön gewesen… raste durch Justins Kopf. Der Arzt räusperte sich: „…dass wir aus den Ergebnissen nicht ganz schlau geworden sind.“ „Was?“ entfuhr Justin. Oh weh… was hatte Daphne, diese dumme Kuh gemacht! War was mit Lilly?! „Normalerweise sind die Testergebnisse in Hinblick auf die Vaterschaft ziemlich eindeutig. Ihrer hingegen… lässt Interpretationsspielraum…“ „Wie darf ich das verstehen, bitte?“ „Nun ja, wir sind sicher, dass Sie und Lilly biologisch miteinander verwandt sind. Es ist auch nicht auszuschließen, dass Sie der Vater sind. Aber das ist nicht mit an Absolutheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu sagen… Wir bräuchten DNA von der Mutter… da sind Strukturen, die wir nicht richtig zuordnen können…“ „Okay…“, murmelte Justin. Ach du Scheiße! Was lief hier? Justin räusperte sich, dann fragte er: „Wenn keines meiner Familienmitglieder als Erzeuger infrage kommt, was würde das bedeuten?“ Dass Daphne seinen Vater geplündert hatte, schloss er hingegen mit absoluter Wahrscheinlichkeit aus. „Tja… wenn sie sich da ganz sicher sein können… dann dürften Sie wohl Lillys Vater sein… Aber wie gesagt, es gibt Unstimmigkeiten… die Wahrscheinlichkeit liegt bei 80 Prozent statt bei 99.9, selbst wenn man alles zu Ihren Gunsten interpretiert… Sowas habe ich noch nie gesehen…?“ „Okay, danke!“ rief Justin, bevor Dr. Lochlan zu sehr ins Grübeln geraten konnte. Das Wartezimmer war voll, der würde schnell auf andere Gedanken kommen. Hoffte er. Aber es gab ja noch die Schweigepflicht, oder? „Hier sind Ihre Testergebnisse“, meinte Lochlan, nachdem er die Unterlagen signiert hatte. „Was Sie damit anfangen ist Ihre Sache, denken Sie aber immer erst an das Wohl des Kindes!“ Worauf du einen lassen kannst… „Das werde ich!“ versprach Justin und hob die schlummernde Lilly hoch. Etwas benommen tappste er nach draußen. Lilly war seine Tochter… oh Gott! Oh Gott! Er war Vater – nicht nur sozial… biologisch… unglaublich… sein eigen Fleisch und Blut… unfassbar… oh Gott… Aber dennoch… irgendetwas stimmte doch hier nicht… Was würde Brian sagen? Würde er enttäuscht sein? Würde er sich für ihn freuen? Er ließ sich auf einen Sitz im Wartezimmer fallen und hob die schlummernde Lilly ganz dicht zu sich. Sein Baby… Oh… Jetzt war sein Vater wirklich Opa Craig… Aber warum nur – mit sehr viel Glück - 80 Prozent…? Er blätterte in der Expertise. Mit weniger nur 50… Daphne…? Was zum Geier hast du mit unserer Tochter gemacht? Mein Baby… …………………………………………………………………………………………………………………………………………………………… Brian saß auf dem Sofa im Wohnzimmer. Die Temperaturen draußen waren auf fast an die dreißig Grad geklettert. Hier, in den dicken Mauern ihres Zuhauses, war es angenehm kühl. Die einzige Hitze, die er gerade verspürte, war die des Whiskeys, der langsam durch seine Venen sickerte. Morgens hatte er noch eine Schicht bei Kinnetic eingelegt. Neue Kampagne für einen Joghurt-Hersteller. Ein Hoch auf die glückliche Kuh… Dann auf ins Ärztezentrum. Justin müsste blad Heim kommen. Wie es ihm wohl ging? Er kippte sich noch einen ein. Ted hatte beim Präsentkorb ganze Arbeit geleistet, obwohl es ihm beim Still-BH leicht gegruselt hatte. Aber die Flasche gab einen ziemlich erfreulichen Inhalt frei… deutlich besser als ein schnöder Jim Beam. Es war halb fünf. Er war betrunken. Nicht sternhagelvoll, aber doch deutlich dicht. War ewig her… Wahrscheinlich verantwortungslos, aber das ging jetzt nicht anders. Und da er ja schon breit war, konnte er ja noch einen nach kippen, was machte das schon noch für einen Unterschied? An der Haustür rumpelte es. Er hörte Justins leichten Schritt, seine Stimme, die sagte: „Ist ja gut, mein Mäuschen, ich hol dir was zu essen.“ Mäuschen? Da hatte Gus ja einen richtigen Griff getan. Gus war mit den Petersons ins Kindertheater gefahren und würde heute Nacht bei ihnen schlafen. Auch die Petersons glaubten an die Adoptions-Geschichte und hatten angeboten, sie zu entlasten, indem sie Gus betüttelten… Sollten sie doch. Aber sie würden bald auch wieder Zeit mit ihrem Sohn verbringen müssen, ehe der sich vernachlässigt fühlte, sie liebten ihn ja nicht weniger, das durfte er nicht glauben… Irgendetwas machen… Aber Gus genoss es durchaus von seiner Horde konkurrierender Großeltern mit Aufmerksamkeit übergossen zu werden. Brian lehnte den Kopf zurück, ließ sich die bernsteinfarbene Flüssigkeit auf der Zunge zergehen. Justin kam wieder aus der Küche. Brian hörte, wie er Lilly in ihr Zimmer trug. Dann kam er die Treppe hinab zurück. Er trat ins Wohnzimmer, seine Wangen waren gerötet, er schien von innen zu strahlen. Nanu…? Justin sank neben Brian in die Polster. „Ich brauch auch einen“, meinte er nur. Brian stand schweigend auf und holte ein Glas von der Bar. „Zigarre?“ fragte er. „Ja…“, antwortete Justin gedehnt, „bitte.“ Ted hatte keine Kosten und Mühen gescheut und hatte zwei äußerst illegale dicke Havannas besorgt. Danke. Zur Feier des Tages rauchten sie drinnen. Bis zu Lillys Schlafzimmer waren es ja einige Kilometer. Ds Babyfon blinkte. Lilly schlief tief. Was feierten sie eigentlich…? „Also?“ räusperte sich Brian. „Gratulierst du mir?“ fragte Justin tastend. „Wie…?“ erwiderte Brian perplex. „Naja… der Arzt war sich nicht ganz sicher… hat sogar ziemlich gestaunt… blöde Daphne… aber mit 50 bis 80 prozentiger Wahrscheinlichkeit bin ich wohl Lillys biologischer Vater.“ Brian starrte ihn an. Dann kippte er das ziemlich volle Glas Whiskey in sich hinein. Und dann begann er zu lachen. „Was…? Was…?“ wollte Justin wissen. „Das ist komisch“, kicherte Brian betrunkten. „Was ist daran witzig?!“ „Für sich genommen – nichts. Bis auf die Tatsache, dass mir mein Arzt genau dasselbe erzählt hat…“ „Was?! Was?!“ „Du wiederholst dich…“ „Entschuldige, wenn ich dich langweile…. Aber: WAS?!!!“ „Mann… Ich bin besoffen, nicht taub… Geile Zigarre übrigens.“ Er paffte genüsslich. Justin war kurz davor, das Sofa zu verkohlen. „Was zum Geier!!! Ist hier los!!!“ regte er sich auf. „Daphne hat wohl… ein wenig geschummelt…“, erklärte Brian unbesorgt. „Ein wenig?! Bist du blöde?! Das geht doch gar nicht!!!“ „Was geht nicht… siebzigjährige Osteuropäerinnen bekommen Babys, magersüchtige Hollywood-Ziegen Drillinge von Leihmüttern, künstlich Befruchtete Siebenlinge… und das ist alles legal… frag mich mal, was illegal alles möglich ist – und das hier ist wohl illegal…“ „Ich fass es nicht!“ entfuhr Justin. Er nahm einen tiefen Zug und verschluckte sich höchst unlässig. „Sie hat… sie hat…!!!!“ „… unsere DNA mithilfe unserer Wichslappen geklaut und ein bisschen gebastelt…? „Bisschen??? Ich habe auch nicht total gepennt in Bio! Zwei Kerle könnten, auch wenn das möglich wäre, kein Mädchen zustande bringen!“ „Ja, ohne die dicke fette Eizelle läuft nix… Einen Hauch von Daphne dürfte Lilly auch abbekommen haben, aber ansonsten…“ Brian kippte nach. Besoffen ließ sich dieser Wahnsinn doch mit deutlich mehr Heiterkeit ertragen. Justin starrte in sein Glas. Er aschte ab. „Ich fass es einfach nicht“, murmelte er. „Das ist doch einfach…“ „Wider die Natur? Gottes Ordnung? Ich ruf mal meine Mutter an, mit der darfst du das ausdiskutieren.“ „Nein danke… nichts gegen deine Mutter…“ Brian hüstelte. „Macht ihr das miteinander aus… Aber das kann doch einfach nicht wahr sein…“ „Willst du das nicht?“ fragte Brian, jetzt sanfter. „Doch! Ich kann gar nicht sagen, wie sehr! Muss ein Erbe aus der Hetenwelt sein! Erbgut mixen ergibt Nachwuchs – juhu! Aber das hatte ich mir sowas von abgeschminkt. Stattdessen… soziale Verwandtschaft, du weißt schon…“ „Ja… ich weiß. Ohne das taugt auch biologische nichts…“ „Aber… aber… was hat sie gemacht…? Sie hat unser Erbgut verquirlt… Sind wir jetzt beide Lillys Vater und Daphne die Mutter? Oder was? Oder hat Lilly gar keine biologische Mutter? Ich versteh nur noch Bahnhof!“ „Ich auch… aber ich bin betrunken… Aber Daphne muss schon noch drin stecken von wegen Weiblichkeit und so… Es sei denn sie hat eine fremde Eizelle genommen…“ „Arg, bitte nicht auch das noch! Nicht irgendwer Fremdes in Lilly…“ „Glaube ich ehrlichgesagt auch nicht… Das Ganze hört sich doch nach einem ziemlichen Alleingang von Daphne an…“ „Ja, wahrscheinlich… Aber worin bestand der???“ „Tja, da müssten wir sie schon fragen können… aber sie ist abgehauen… die Nummer dürfte ja wohl auch durch keine Ethik-Kommission gekommen sein… schwule Vaterschaft… wer will denn sowas?“ Justin schwieg kurz: „Du hast recht… Damit wäre sie nie durch gekommen… Scheiß-Land! Als könnten wir nicht auch gute Eltern sein, wir sind es…nur wegen einer gewissen Arsch-Fixierung… Aber jede Heten-Abartigkeit ist natürlich völlig okay… Bis da das Jugendamt was sagt…“ „Ach, hör auf zu grummeln, obwohl du natürlich recht hast und so… Darüber können wir uns auch Morgen noch aufregen! Wir haben ein Kind! Wir-haben-ein-Kind. Wir haben ein Kind!“ Brian hob sein Glas, Justins Züge entspannten sich, sie stießen an. „Auf Lilly!“ „Auf Lilly!“ „Da lagen wir ja anscheinend gar nicht so falsch… Deine Augen… meine Haut… irre… mir egal, ob das eigentlich unmöglich ist… vielleicht hat Daph einen Glückstreffer gelandet, sie hat ja nicht gedacht, dass es funktioniert…“ „Scheißegal… es hat. Anscheinend. Scheiße, Justin, wir haben eine Tochter… Wie abgefahren ist das bitte? Vielleicht sind wir nur die Ausnahme von der Regel?“ „Vielleicht… Aber ich hab vor einer Weile was in der Times gelesen… In New York ist eine Handvoll Babys geboren worden mit dem Erbmaterial von drei Menschen… wegen Erbkrankheiten und so… schon eine Weile her… die sind jetzt fünf… Damit sind sie damals durchgekommen… Das geht wohl schon irgendwie…“ „Aber wie ist Daphne auf uns gekommen? Wir waren ja nicht gerade am Heulen vor Depression, nicht eigenen Nachwuchs in die Welt setzen zu können. Oder hast du…?“ „Nein! Keinesfalls! Ich habe nie die Möglichkeit in Betracht gezogen oder deswegen rumgeheult… Wir waren wahrscheinlich bloß da – und die Gelegenheit günstig.“ „Und sie hat nicht damit gerechnet, dass es klappt…“ „Nein, wohl nicht… Sie hat sich selbst zum Versuchskarnickel gemacht, denke ich… und dann war sie plötzlich real, Lilly, meine ich – nicht bloß ein Zellencluster… ein Leben. Und da hat Daphne es durchgezogen… ganz allein…“ „Wie scheiße muss das denn sein…“ „Ja, arme Daphne.“ „Sie hat das verbockt. Nein. Das kann man so nicht sagen. Lilly wurde nicht verbockt…“ „Ich weiß.“ „Aber deshalb wollte sie uns wohl in Mexiko…?“ „Denke auch… Sie wusste, wir würden Lilly um ihretwillen nicht hängen lassen… und sie wusste, sie ist unser Kind…“ „Ja, das ist sie, so oder so.“ „Aber es ist schon ein irrer Gedanke.“ „Was?“ „Na, ich meine… deine und meine Gene…“ „Stimmt… da war gar keine künstliche Manipulation mehr nötig…“ „… sie wird der absolute Oberknaller.“ „Mit Sicherheit.“ „Aber das ist Gus auch.“ „Ja. Das ist er.“ „Ich liebe Gus. Er ist mein Sohn.“ „Ich weiß. Meiner auch.“ „Und ich liebe dich.“ Justin robbte an Brian heran und schloss die Arme um ihn. Brian ließ sich etwas trunken gegen ihn fallen und atmete ihn ein. „Ja…“, murmelte er schließlich. „Ich dich auch. Nicht so wie Mikey oder… irgendwen. Diese Karte habe ich nur einmal zu vergeben, die Kinder ausgeschlossen. Aber das ist etwas Anderes. Ich kann das… aber nur einmal…“ „Ich weiß“, flüsterte Justin an seinem Nacken. „Und mehr als einmal wirst du nicht brauchen. Nenn mich Nerd, nenn mich Schlampe – das weiß ich zuweilen durchaus zu schätzen – nenn mich Blödmann, was auch immer… Ich bin da, ich bin dein, ich bin alles, was du willst…“ „Ich weiß… du Schlampe.“ .... (Anmerkung der Verfasserin: Das mit dem Klonversuch mit drei Menschen stimmt – auch der Spiegel hat davon berichtet) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)