Unwirklicher Beistand von Lianait (Wettbewerbsbeitrag für LadyReyna) ================================================================================ Unwirklicher Beistand --------------------- Alles was er noch sah, war eine dieser vermummten Gestalten, die in das Haus eingedrungen waren und die nun mit einem gezogenen Breitschwert einen Schritt auf ihn zumachte, eine weitere Person, die halb verborgen in der Dunkelheit stand und ein Pfeil der durch die abendliche Luft glitt. In seinem Dämmerzustand konnte Rufus ein dumpfes Geräusch vernehmen, so als sei etwas Schweres auf den Boden aufgeprallt. Und ein rüttelndes Gefühl, als säße er wieder auf dem Karren auf dem Weg in die Stadt hinunter. Er war sich nicht sicher, wie viel Zeit danach vergangen war, doch es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, bevor er fühlte, wie kühle Lederhandschuhe sein Gesicht betasteten. „Hey!“, flüsterte eine Stimme eindringlich in der Nähe seines Gesichtes. Er zwang seine Lider dazu, sich zu öffnen, und das Erste, was er sah, waren zwei eisblaue Augen inmitten einer dunklen Vermummung aus schwarzen und violetten Tüchern. Erst im zweiten Blick erkannte er den Bogen über der Schulter des Unbekannten. „Bist du in Ordnung?“, wollte die vermummte Gestalt wissen. Ihre Stimme klang nicht so rau, wie die der nächtlichen Angreifer oder gar die seines Stiefvaters. Eine Frau? Nein, das ist Unsinn… was sollte eine Frau hier draußen zu suchen haben? Allerdings musste Rufus sich eingestehen, dass seine Fähigkeit rational zu denken, schwer durch den Schlag auf seinen Kopf eingeschränkt war. In seinem Zustand hätte sein vermeintlicher Retter auch in Form eines fliegenden, grünen Schweines erscheinen können. Scheinbar war der vermummte Schütze nicht nur an seinem Wohlbefinden allein interessiert, denn er fragte in demselben flüsternden Tonfall eindringlich weiter, ohne auf eine Antwort auf seine vorrangegangene Frage zu bestehen: „Hast du das Buch?“ Wie in einem automatischen Reflex verkrampfte sich Rufus‘ noch gesunder Arm um das Buch, auch wenn er keinen Ton herausbrachte. Ein Geräusch ließ die vermummte Gestalt aufschrecken und sie half Rufus rasch aufzustehen. Augenblicklich breitete sich ein dröhnender Schmerz in Rufus‘ Kopf aus, doch sein Retter schien sich nicht sonderlich darum zu kümmern, sondern murmelte nur etwas in einer unbekannten Sprache, als er Rufus‘ Arm über seine eigenen Schultern legte und hinter sich herzog. Mit jedem Schritt verschwammen seine Sinne immer mehr und schon bald wusste Rufus nicht mehr, was oben und was unten war, während der Schütze ihn unerbittlich und immer weiter in den nahegelegenen Wald führte. Sein ominöser Retter hatte es geschafft ihn zu einer Felswand zu bringen, die nur durch den bleichen Mondschein sichtbar wurde. Rufus‘ wahrscheinlich letzter klarer Gedanke war, dass er halluzinieren musste, weil Raben einfach nicht sprechen konnten, als der schwarze Vogel, der auf einem kahlen Ast eines nahen Baumes saß, in einer unverständlichen Sprache mit Rufus‘ Retter zu sprechen begann. Rufus zwang sich immer wieder dazu nicht abzudriften, doch sein Kopf schmerzte und sein Adrenalinstoß war lange abgeflaut, sodass sich seine Augen nur für eine kurze Weile geschlossen hatten und er drohte in die selige Welt der Träume zu entschwinden. Ein lautes, malmendes Geräusch ließ ihn wieder aufschrecken und er nahm benommen wahr, wie sich die graue Felswand vor ihm teilte und ein schwarzes Loch von Eingang preisgab. Mittlerweile war ihm eiskalt und dennoch stand ihm der nasse Schweiß auf der Stirn, während jedes seiner Glieder zu schmerzen begonnen hatte und das Buch in seinem Arm immer schwerer wurde. Er fühlte, wie sich der Bogen und der Köcher seines vermummten Retters in seine Seite bohrten, als sich dieser noch einmal umwandte und wieder etwas sagte. Doch es kümmerte ihn nicht, ob sein Retter mit einem Raben sprach oder sonst wem; er hatte genug damit zu tun sich auf den Beinen zu halten und nicht wie ein nasser Sack umzufallen. Wieder setzten sie ihren Weg fort; dieses Mal in den schwarzen Abgrund vor sich. Nach einigen, wenigen Metern ertönte erneut dieses unwirkliche, malmende Geräusch und die Felswand schloss sich wieder hinter ihnen. Allerdings bereitete es Rufus keine Sorgen mehr, dass die endlose Dunkelheit ihn, seinen vermummten Retter von einem Schützen und das verfluchte Buch, das ihm erst all diesen Ärger eingebracht hatte, zu verschlucken drohte, als er schließlich zu Boden glitt und nur noch morastige Erde roch, bevor er vollends das Bewusstsein verlor. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)