Dark Circle von Darklover ================================================================================ Kapitel 38: 38. Kapitel ----------------------- Etwa fünf Minuten später öffnete Paige einigermaßen bekleidet die Badezimmertür und sah zu Ryon hoch. Sie kam sich ein wenig vor wie ein Baby, aber der Weg bis zu ihrem Bett schien ihr mit dem blau angelaufenen Knöchel wirklich weit. Also ließ sie sich hochheben und zurück tragen, wo Ryon sie absetzte und sich selbst auf der Bettkante niederließ. Das Bett war schmal. Man könnte sogar sagen verdammt klein. Das war auch der Grund, warum Paiges Stimme so leise und zurückhaltend klang. Unter gesenkten Wimpern sah sie Ryon an und konnte wieder nicht anders, als nach seiner Hand zu greifen. „Sag mal, du hast kein eigenes Zimmer, oder?“ Dass Paige sich ohne Widerrede so fügte, machte Ryon nicht deshalb so zufrieden, weil er seinen Kopf durchgesetzt hatte, sondern weil es ihn einfach beruhigte, etwas tun zu können. Er konnte ihr weder die Schmerzen, noch die Last ihrer Hilfsbedürftigkeit nehmen. Da war es für ihn zumindest klar, dass er ihr dann wenigstens bei den Dingen half, die in seiner Möglichkeit standen und dass er darüber nicht mit Paige lang und breit debattieren musste, war eine unglaubliche Energieeinsparung. Denn er würde mit ihr diskutieren, wenn es sein musste. Sogar die ganze Zeit über, bis sie wieder vollkommen genesen war. So aber war er nach außen hin besänftigt, als er sich zu ihr ans Bett setzte. Dieses Mal ergriff sie von sich aus seine Hand, was er beinahe mit einem wohligen Schnurren quittiert hätte. Aber ihr Tonfall hinderte ihn daran. Was sollte er auf ihre Worte sagen? ‚Nein, ich habe kein Zimmer, weil ich zu sehr damit beschäftigt war, dich in der Badewanne zu ertränken, anstatt mit dem Empfangschef zu reden?‘ Oder sollte er ihr erklären, dass er nicht einmal an die Möglichkeit gedacht hatte, er könne einen Schlafplatz gebrauchen, da stattdessen nur Sorge um sie in seinem Gehirn herum geschwirrt war? Alle möglichen und unmöglichen Antworten wären fehl am Platz gewesen, also blieb er bei der schlichten Wahrheit. „Nein, habe ich nicht.“ Seine Finger schlossen sich bei diesem Eingeständnis eine Spur fester um ihre Hand und er senkte den Blick. Vorhin mochte er vielleicht den Breiten markiert haben, aber ihr jetzt auch noch seine Gesellschaft aufzudrängen, brachte er nicht über sich. Oder besser gesagt, brachte er es nicht fertig, ihr zu gestehen, dass er lieber auf dem Badezimmerboden schlafen würde, als räumlich von ihr getrennt zu sein. Wenn etwas passierte, während er vielleicht zu tief schlief, könnte er sich das niemals verzeihen. Zumal ihn die Sorge vermutlich ohnehin nicht schlafen lassen würde. Ryon musste Paiges Atmen, ihren Herzschlag und das Rauschen ihres Pulses hören, um zumindest momentan die grausamen Bilder des Kampfes verdrängen zu können, die sich ihm sicher aufdrängen würden, wenn er alleine wäre. Irgendwo knisterte die Plastiktüte auf dem Bett, als Paige sich ein wenig bewegte. Wieder schien ihr Körper aus der eigenen Haut und wieder hinein fahren zu wollen. Und das bloß, weil er ihre Hand hielt. Obwohl es unmöglich schien, versuchte Paige für einen Moment logisch zu denken und die Geschehnisse der letzten Stunden für sich selbst so weit in eine verständliche Ordnung zu bringen, dass sie sich sicher sein konnte. Ryon war zu ihr gekommen, weil er der Meinung gewesen war, sie sei krank. Dass es sich dabei um etwas Anderes als eine Grippe handelte, war ziemlich schnell klar gewesen. Dann hatte er ihr geholfen das Monster in ihr loszuwerden, hatte sich um sie gekümmert und... Wieder schlich sich ein kleines, fröhliches Lächeln auf Paiges Lippen. Er hatte sie geküsst. Einfach so, ohne Vorwarnung. Und vor allem, ohne seine Tat anschließend ungeschehen machen zu wollen oder sich dafür zu entschuldigen. Mit rosa Wangen sah sie ihn an und überlegte, ob ihre Frage dumm war. Ihre größte Angst war es, dass sie ihn schon wieder dazu bringen würde, sich in das eisige Gefängnis seines Verstandes zurück zu ziehen. So wie er es schon mehrere Male getan hatte. Immerhin wusste sie absolut nicht, was in Ryon vor sich ging. Sie konnte nur sehen, dass er immer noch bei ihr war. Dass er ihre Hand festhielt und seine Augen voller Leben waren. Bei jedem Anderen wäre das genug der Beweise gewesen. Doch Ryon würde immer ein Spezialfall sein. Vor allem, wenn es die Nähe zwischen ihnen betraf. Das hatte Paige versucht seit Ägypten zu akzeptieren. Und doch saß sie hier, mit einem klopfenden Herzen auf ihrer Zunge und überlegte sich, wie sie dafür sorgen konnte, dass er nicht ging. „Ich weiß nicht, ob sich das für dich zu aufdringlich anhört...“ Er sah hoch und beinahe hätte es Paige die Sprache verschlagen. Was hatte sie sagen wollen? Verdammt, sie war doch schon so weit gekommen. „Es... Du könntest doch... Also, das Bett ist ziemlich klein, aber...“ Mit einem tiefen Seufzen holte sie noch einmal Luft. „Ich fände es sehr schön, wenn du hier bleiben würdest.“ Augenblicklich machte sich Angst in ihr breit. Was hatte sie gesagt?! Nicht nur, dass sie ihn fragte, ob er im Zimmer bleiben wollte, nein, sie bot ihm an, im gleichen Bett zu schlafen?! Paige biss sich auf die leicht zitternde Unterlippe und harrte Ryons Urteil. Es tat ihr jetzt schon leid, dass sie ihn in die Bredouille gebracht hatte jetzt einen eleganten Ausweg zu finden. Am liebsten hätte sie eine Entschuldigung hinterher geschoben und ihm versichert, dass er natürlich nicht neben ihr schlafen müsse. Aber Paige blieb stumm. Es war vielleicht nicht das Beste, was sie tun konnte, aber dieses eine Mal wollte sie sich für ihr Angebot nicht entschuldigen. Natürlich konnte er nein sagen. Das würde sie vollkommen verstehen. Aber allein für die Möglichkeit, dass er es nicht tat, hatte sich die Frage gelohnt. Ihm schwirrte der Kopf so sehr, als hätte er ihn in die Kloschüssel gesteckt und ein paar Mal kräftig gespült. Was hatte sie ihm da gerade angeboten? Sie wollte sogar, dass er bei ihr blieb? Oder war das lediglich ein Hirngespinst von ihm gewesen, der seinen Gedanken unbedingt Ausdruck verleihen wollte? Ryon musste sicher gehen, weshalb er Paiges Gesicht eingehend musterte. Er sah die leichte Röte auf ihren Wangen, das unsichere Funkeln in ihren Augen und wie sie ihre Unterlippe bearbeitete, als wäre sie sich gar nicht darüber im Klaren, was das bei ihm auslöste. Alles in ihm begann zu kribbeln. Als würden sich aber Millionen kleiner Ameisen mit Samtschühchen unter seiner Haut entlang arbeiten. Das Kribbeln war so intensiv, dass es ihn eigentlich nicht verwundert hätte, wenn Paige es auf ihrer eigenen Hand gespürt hätte. Mit einem Mal wurde Ryon nervös wie ein schüchterner Schuljunge, der vor der versammelten Klasse einen Vortrag über die menschliche Sexualität halten sollte. Nein, er hatte sich Paiges Vorschlag definitiv nicht eingebildet. Da war er sich nun sicher und dass es für sie garantiert nicht leicht gewesen war, ihm diese Möglichkeit anzubieten, sah er ihr an der Nasenspitze an. Unfähig die sich immer länger ausdehnende Stille zwischen ihnen zu brechen, da ihm einfach keine passende Antwort einfiel, die auch nur annähernd seine Gefühle ausgedrückt hätte, hob er seine freie Hand und berührte damit Paiges Wange. Sein Daumen strich über ihre Unterlippe, damit sie diese nicht noch länger mit den Zähnen bearbeiten konnte. Zugleich machte ihn dieser Anblick fast wahnsinnig. „Es würde mich sehr beruhigen, hier bleiben und mich um dich kümmern zu dürfen.“, erklärte er schließlich, mit dem Anflug eines Lächelns. Nur widerwillig ließ er seine Hand wieder sinken. „Falls du es dir noch anders überlegen solltest, gebe ich bestimmt auch einen prima Bettvorleger ab. Sogar mit eingebauter Fußheizung.“ Nun trat ihm tatsächlich der Schalk in die Augen, aber auch nur, damit er sie über die Tatsache hinwegtäuschen konnte, dass sein Herz wie wild raste und er eigentlich nur noch an eines denken konnte, obwohl er genau das nicht sollte. Er wollte sie noch einmal küssen. Sich der Sehnsucht in seinen Augen bewusst, sah er hastig zur Seite und räusperte sich leise, ehe er sich ihr ganz entzog, um aufzustehen. „Wenn es dir nicht allzu viel ausmacht, würde ich noch gerne ein paar Sachen besorgen, an die ich gestern nicht gedacht hatte. Ich will eigentlich nicht gehen, aber…“ Er warf einen flüchtigen Blick auf sie, wie sie da so in ihrem übergroßen Schlafshirt auf dem Bett saß, die schwarzen Haare offen über ihre Schultern und mit diesen tiefen Augen, in die man sich nur allzu leicht verlieren konnte. Gefährlich nahe daran, sich genau dem hinzugeben, gab er sich stattdessen einen gewaltigen Dämpfer, in dem er Paiges blau angelaufenen Knöchel und die Kratzspuren daran ansah. „…ich will dir etwas gegen die Schmerzen besorgen. Ein Kühlbeutel wäre auch nicht schlecht, damit die Schwellung schneller abklingt. Außerdem werden wir noch mehr zu Essen brauchen.“ Er kam wieder näher, setzte sich aber nicht mehr. Dazu war er nun viel zu aufgekratzt. „Ich verspreche, bald wieder da zu sein. In der Zwischenzeit solltest du versuchen, dich auszuruhen.“ Paige nickte nur mit einem fast schon entrückten Lächeln auf den Lippen. Er würde hier bleiben. Das hatte er doch zumindest gesagt. Ob nun nur im gleichen Zimmer oder tatsächlich im gleichen Bett, das würde sich heraus stellen. Immerhin konnten sie beiden nicht sagen, ob die Schlafstätte breit genug für sie beide sein würde, damit es möglich war überhaupt Schlaf zu finden. Ryons plötzliche Aktivität ließ Paige eine falsche Bewegung machen, die wieder ihre Nackenschmerzen auf den Plan rief. Also gar keine schlechte Idee, dass er ihr etwas gegen die Schmerzen besorgen wollte. Auch wenn sie robuster war, als sie für ihn anscheinend wirkte. Immerhin heilte auch ihr Körper schneller als der eines Menschen. Wenn auch nicht annähernd so zuverlässig und in atemberaubendem Tempo wie der eines Gestaltwandlers. „Du musst dir keine Sorgen machen, ich werde nicht weglaufen.“, meinte sie grinsend und lehnte sich ein wenig nach vorn, um nach ihrem Zimmerschlüssel zu kramen, der mit dem roten Handy und ihrem Geldbeutel in der Schublade des Nachtkästchens lag. „Hier, dann kannst du dich selbst rein lassen.“ Erst als Ryon schon verschwunden war, bemerkte Paige ihren Blick, der noch dort hing, wo er sich die Schuhe und die Jacke angezogen hatte. „Doch, es ist seltsam.“, meinte sie leise zu sich selbst und griff nach dem Kissen, um ihre Bedürfnis nach einer Umarmung an irgendetwas auslassen zu können. Ihren Mund in den Stoff vergraben saß sie eine Weile lächelnd da und versuchte nicht in allzu verschlungenen Bahnen über die ganze Sache nachzudenken. Natürlich würde es sie brennend interessieren, was Ryon dachte. Oder vielmehr, was er empfand. Bei all dem und ... für sie. Ihre Stirn kräuselte sich, als es schwieriger wurde einen anderen Gedanken zu verdrängen. Einen einzigen heftigen Schlag ihres Herzens musste Paige aushalten, bis sie sich aufraffte, um die Überreste des kleinen Picknicks auf dem Bett zusammen zu räumen und zumindest in soweit Ordnung zu schaffen, dass die Decken und Kissen so dalagen, dass es einladend aussah. 'Einladend'... Wenn sie so weiter machte, würde sie sich bis zu Ryons Rückkehr noch um den eigenen Verstand denken. Sie hatte doch noch nicht einmal gewagt ihn zu küssen... Gerne wäre Paige Ryons Ratschlag gefolgt, aber so nervös, wie sie die ganze Situation machte, war an Ruhe sicher nicht zu denken. Stattdessen schaffte sie es auf einem Bein bis zum Fenster, um ein wenig zu lüften und dann auch noch ein paar der Fotos vom Fußboden aufzusammeln und sie in die Mappe zurück zu stopfen, wo sie das dunkle Ding und seinen Verwandten in der Essenz ihres Vaters am liebsten für immer vergessen hätte. Eigentlich hätte ihn die nasskalte Luft, die Bewegung und die Beschäftigung seiner Gedanken mit den Einkäufen beruhigen müssen, stattdessen wurde er immer aufgedrehter und unruhiger. Fast schon lief er die Gänge des Supermarkts entlang, ließ seine Blicke analytisch über die Waren gleiten, schnappte sich ab und zu etwas und warf es in den Einkaufswagen, ehe er zur Kassa hetzte, um zu bezahlen. Anschließend machte er einen Spurt bei einer kleinen aber gut sortierten Apotheke vorbei, bei der er sich dieses Mal mehr Zeit ließ. Obwohl es sich furchtbar verbogen und falsch anfühlte, daran zu denken, dass Marlene bei Paiges Verletzungen sofort gewusst hätte, was zu tun war, konnte er es doch nicht verhindern. Die eine Frau mit der anderen in einem gedanklich sortierten Satz zu vermischen war … seltsam. Aber es war nun einmal eine Tatsache, dass seine Gefährtin sich mit Verletzungen und deren Heilung tausendmal besser ausgekannt hatte als er, weshalb er sich in der Apotheke auch lang und breit beraten ließ, um Paige die bestmöglichste Versorgung bieten zu können, ohne sie in ein menschliches Krankenhaus bringen zu müssen. Am Ende war er so voll gepackt mit Einkäufen, dass er Koordinationsschwierigkeiten beim Aufsperren von Paiges Zimmertür hatte, was auch noch dadurch erschwert wurde, dass ihm seine tropfend nassen Haare in die Augen hingen und er sie sich nicht zurück wischen konnte. Immerhin begnügte sich das Wetter im Augenblick nicht nur mit leichtem Nieselregen, sondern hatte lieber gleich alle Schleusen geöffnet. Dennoch schaffte es Ryon, nicht ganz patschnass zurück zu kommen. Endlich, da er die Tür hinter sich geschlossen, die Einkäufe abgestellt und Paiges Anblick eingefangen hatte, fiel seine Hektik und Unruhe von ihm ab. Er war wieder bei ihr, was sich ungefähr so anfühlte, als würde man ihm einen Hinkelstein von der Brust nehmen. Dann erst bemerkte er, dass sie wohl etwas aufgeräumt hatte. Ihm war es nicht so wichtig erschienen, aber man merkte sehr wohl den Unterschied. Auf dem Boden waren überall Bilder gelegen, die nun spurlos verschwunden waren. Was für Bilder das gewesen waren, wusste er. Aber im Augenblick wollte er nicht einmal daran denken. Stattdessen schnappte er sich eine Flasche voll Wasser, kramte in der Tüte mit den Medikamenten herum und holte die Schmerztabletten heraus, die man ihm empfohlen hatte. Auf den Weg zu Paige, schüttelte er kurz seine Haare aus dem Gesicht, um sie besser sehen zu können. Danach reichte er ihr das Wasser und die Tabletten. „Eine müsste für Vierundzwanzig Stunden genügen. Falls nicht, kannst du gefahrlos noch eine halbe dazu nehmen. Wenn du im Moment sonst nichts brauchst, gehe ich schnell duschen.“ Nur mit Mühe konnte er ein Gähnen unterdrücken. Bei dem Einkauf hatte er sich noch schnell ein neues Shirt in XXXL Format besorgt und farblich darauf abgestimmte Shorts. Keine Unterwäsche zu tragen war nicht nur verdammt verwegen, sondern für ihn und seine Erziehung absolut nicht tragbar. Außerdem war es nicht gerade angenehm, wenn sein bestes Teil ständig am Jeansstoff scheuerte, wo es doch an echte Seide gewöhnt war und zum Schlafen würde er die ausgewaschene Jeans erst recht nicht anbehalten. Obwohl er das in Anbetracht der Bettnotlage vielleicht noch einmal überdenken sollte. Ryon verschob diese Angelegenheit auf später. So wie auch den Rest seiner müden Gedanken. Während er unter der Dusche stand, ging er schon einmal die Dinge durch, die er Paige vor dem Schlafengehen noch angedeihen lassen würde. Er hatte eine kühlende Sportlersalbe für ihren Knöchel bekommen. Zusätzlich mit einer Bandage, würde das Ganze schnell kein Problem mehr sein. Die Apothekerin hatte ihn noch nicht einmal seltsam angesehen, als er ihr die ganzen Verletzungen geschildert hatte. Quetschungen, Blutergüsse, Verdacht auf Prellungen, Schürfwunden usw. Normalerweise könnte man bei dem Haufen annehmen, dass Fragen aufkämen, aber ein Blick auf seine Statur, und die Frau hatte ihm gerne mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Vermutlich hatte sie ihn für einen Footballspieler oder so etwas in der Art gehalten. Das war auf alle Fälle besser, als ein brutaler Ehemann zu sein, der seine Frau regelmäßig misshandelte und danach selbst wieder zusammen flickte. Frisch geduscht, in einem orange schwarzem Shirt und den dazu passenden Shorts, befand sich Ryon schließlich am Fußende von Paiges Bett, ihren Knöchel auf einem Kissen abgelegt, das sich auf seinen Schoß befand und trug vorsichtig massierend die Salbe auf die verfärbten Stellen auf, ehe er alles sorgfältig mit einer Bandage umwickelte. Inzwischen konnte er sich ein Gähnen ab und zu nicht verkneifen. Ob nun im Bett, auf dem Boden oder auf einer glühenden Herdplatte, im Augenblick könnte er überall schlafen. Während sich Ryon sehr sorgsam um ihren Knöchel kümmerte, hatte Paige Zeit die Atmosphäre des Raumes in sich aufzusaugen. Draußen schüttete es wie aus Kübeln, der Regen schlug ab und an von stürmischen Böen getrieben gegen die Fensterscheiben und ließ diese leise in ihren Rahme klappern. Außer einem Leselicht über dem Bett brannte nur die gedimmte Stehlampe in der gegenüberliegenden Ecke und tauchte den Raum vermischt mit der Dunkelheit draußen in schummriges Licht. Paige liebte es bei so einem Wetter drinnen zu sein. Irgendwo wo es warm war und man das graue Wetter mit gebührendem Abstand begutachten und auf diese Weise sogar genießen konnte. Sie nippte an ihren letzten Schlucken Tee und betrachtete Ryon aufmerksam dabei, wie er ihren Knöchel verband. Es war immer wieder erstaunlich, wie sehr sich der Eindruck einer Person änderte, wenn man sie nicht in den gewohnten Klamotten sah. In ihrem jetzigen Fall wanderten Paiges Augen über Ryons dunkles T-Shirt und die dazu passenden Shorts. Interessiert besah sie sich die muskulösen Oberschenkel und auch den Rest seiner Beine, soweit sie sie sehen konnte. Die Kleidung wirkte im Gegensatz zu seinem sonst recht strengen Auftreten sehr leicht. Auf eine Art, die Paige selbst nicht erklären konnte, machte der Aufzug Ryon ... berührbarer. Ein weiterer Schluck Tee verhinderte, dass ihre vor Freude funkelnden Augen den gesamten Raum erhellten. Seine Haare waren nach der Dusche vollkommen durcheinander. Wahrscheinlich sein persönlicher Albtraum, wenn man bedacht, wie korrekt er sie normalerweise zu frisieren pflegte. Paige konnte sich an den wirr durcheinander stehenden, umso bunter wirkenden Haaren gar nicht satt sehen. Irgendwann würde sie ihm sagen, dass das sehr viel attraktiver aussah. Als hätte er ihre Gedanken gehört, legte Ryon ihren Fuß vorsichtig auf die Matratze, was Paige dazu veranlasste, ihre Tasse weg zu stellen. Sie sahen sich gegenseitig so ratlos an, dass Paige lachen musste. „Vielen Dank für den Verband. Fühlt sich gut an.“ Mit den Händen abgestützt rutschte sie auf eine Seite des schmalen Bettes und schlug die Decke nach unten. „Ich weiß nicht, wie's dir geht, aber ich bin fertig für heute.“ Paige strich sich über die müden Augen und steckte ihre Beine vorsichtig unter die Decke. Alles so langsam, dass die Zeit, die Ryon zum Aufstehen brauchte und dafür, zur anderen Seite des Bettes zu kommen, überbrückt wurde. Bereits als er sich setzte, konnte Paige sein Duschgel riechen. Und frisch gewaschene Haut, die gerade dank seiner eigenen Körperwärme trocknete. Paige versuchte ihr aufgeregt klopfendes Herz mit Schlucken daran zu hindern ihr aus dem Hals zu springen. Ihre Finger waren vollkommen zittrig und daher fast nicht dazu zu gebrauchen die Stehlampe mit einem Schiebeschalter zu löschen. Paige legte sich hin. Eine Position zu finden, die nicht auf irgendeinen blauen Fleck drückte, war schier unmöglich, also ließ sie die Versuche nach einer kurzen Weile einfach bleiben und legte ihren vor Müdigkeit schweren Kopf auf dem Kissen neben Ryon ab. Ob sich dieses Lächeln je wieder aus ihrem Gesicht verabschieden würde? Wahrscheinlich nicht, solange er hier war. Ihr Herz schien Paige zerreißen zu wollen, während ihre dämonische, wie auch ihre menschliche Haut sie vor fröhlicher Aufregung ebenfalls fast um den Verstand brachten. Dabei hatte sie doch gar nichts vor. „Gute Nacht“, wünschte sie lediglich und sah Ryon weiterhin in die Augen. Ihr Gute-Nacht-Kuss war etwas länger, aber kaum fühlbarer, als seiner vom Nachmittag. So leicht, dass sie die Wärme seiner Lippen nur wie eine Andeutung spüren konnte, berührte sie ihn. Das breite, vor Glück strahlende Lächeln war immer noch da, als sie sich von ihm löste, das Licht ausschaltete und ihren Kopf wieder in das Kissen kuschelte. Da sein Mund viel zu trocken war, um anständig zu antworten, nickte er nur. Oh ja, er war sowas von fertig, aber ob ihm das beim Einschlafen helfen würde, konnte er bei Gott nicht sagen. Weshalb es vermutlich auch klüger war, dass er einfach nicht daran dachte, was gleich kommen würde. Stattdessen räumte er die Salbe und restlichen Bandagen weg, ging um das Bett herum und legte sich zu Paige. Steif wie ein Brett, kam er zum Liegen und konnte kaum fassen, dass er tatsächlich hier war. Sein ganzer Körper war so angespannt, dass ihm bestimmt bald die Augen zufallen würden, wenn er weiterhin so viel Kraft aufwandte, um sein verräterisches Zittern zu unterdrücken. Er war so verdammt nervös, wie schon lange nicht mehr. Unzählige Szenarien, Gedanken und Vorstellungen wollten sich in seinem Kopf breit machen. Alles hatte damit zu tun, dass er hier so dicht neben Paige in einem Bett unter der gleichen Decke lag, dass er nicht nur ihren Duft riechen und schmecken, sondern die sanfte Wärmer ihrer Haut förmlich auf sich spüren konnte. Als Paige ihm einen schlichten Gute-Nacht-Kuss gab, mutierte er vollends zur Salzsäule. Zum Glück machte sie schon einen Moment später das Licht aus, was es ihm wenigstens ermöglichte, ihr ‚Gute Nacht‘ zu erwidern. Aber das war auch schon alles, was er fertig brachte. In dem Wissen, dass sie ihn bei dieser Dunkelheit unmöglich sehen konnte, starrte er sie von der Seite her an. Natürlich beobachtete auch sie ihn, allerdings mit weniger Hartnäckigkeit. Immerhin konnte sie nicht so wie er, an jedem Gesichtszug hängen bleiben. Ihn eindringlich studieren und tief in sich aufnehmen. Ryons Hunger nach bestimmten Gefühlen wurde stärker, je länger sie sich gegenseitig in die Augen blickten, ohne sich wirklich sehen zu können. Also schloss er sie. An Schlafen war zwar nicht zu denken, aber er musste dem ganzen Wirrwarr in seinem Kopf nicht auch noch Nahrung geben. Und während er versuchte, einfach an nichts mehr zu denken, entspannten sich seine Muskeln plötzlich, als hätte man ihm die Luft aus dem Reifen gelassen. Er seufzte noch einmal tief, ehe er erschöpft einschlief. Es war so stockdunkel im Zimmer, dass selbst, als sich ihre Augen an die Nacht gewöhnt hatten, sie absolut nichts erkennen konnte. Was die Tatsache, dass Ryon immer noch neben ihr lag noch unwirklicher erscheinen ließ. Er hatte ihr ebenfalls eine gute Nacht gewünscht und sie konnte hören, dass er atmete. Ganz leise und ein wenig abgehackt, bis er seufzte und seine Atemzüge schnell ruhiger und tiefer wurden. Man hätte meinen können, dass er noch müder war als sie selbst. Oder hielten sie nur ihre blauen Flecken und Blutergüsse wach, die Paige daran hinderten eine wirklich bequeme Position zu finden? Wie schmal das Bett wirklich war, fiel ihr erst jetzt auf, da sie neben Ryon lag und versuchte ihm unter der Decke nicht unanständig nahe zu kommen. Da er noch nicht einmal ihre Hand genommen oder ihren Kuss erwidert hatte, wollte sie ihm nicht auf die Pelle rücken. Stattdessen hörte sie eine Weile seiner Atmung zu, schloss die Augen und versuchte sich zu entspannen. Es gab sehr viele Gründe glücklich zu sein. Zuerst einmal hatte sie gleich mehrere Monster auf einmal besiegt. Die Essenz ihres Vaters und gleichzeitig sogar ein Stück seiner Macht, die er immer noch über sie gehabt hatte. Paige hatte gesehen, was zur Alternative stand. Und jetzt musste sie umso genauer, dass sie niemals anders sein wollte, als sie war. So halb und unvollständig sie manchem vorkommen musste, es war doch das, mit dem sie zufrieden war. Ein wenig drehte sie sich auf die Seite, legte eine Hand auf Ryons Schulter und versuchte gerade noch einen weiteren sehr wichtigen Punkt zu überdenken, der sie glücklich machte, als sie bereits lächelnd eingeschlafen war. Ihr Mund öffnete sich weit zu einem Schmerzensschrei, der ungehört einfach in einem Meer aus schäumenden Luftbläschen unterging. Er drückte noch fester zu. Spürte, wie sich die Sehnen ihres Halses so fest gegen seine Hände anspannten, dass sie fast zu reißen drohten, während sich ihre Fingernägel in sein Fleisch gruben. Sie kratzte ihn aus purer Verzweiflung blutig, schlug nach ihm, wand sich unter seinem Griff und starrte ihn dabei mit einem Blick an, der nicht nur den schmerzhaften Verrat an ihr offen legte, sondern auch das verlöschende Leben darin klar erkennen ließ. Ihre Abwehr wurde schwächer, während seine Finger sich nur noch enger um den zarten Hals wanden, wobei sich seine Krallen tief in ihre Kehle bohrten, bis das vom Kampf wild tobende Wasser sich rot färbte. Seine Finger waren eiskalt und fast vollständig taub, genau wie der Rest seines Körpers, doch das pulsierende, glühend heiße Leben unter ihnen spürte er nur zu deutlich. Aus dem Verlangen heraus, mehr von diesem brennenden Gefühl zu spüren, die Leere in sich damit auszufüllen und einen flüchtigen Moment lang der Einsamkeit zu entrinnen, schlang er seine Hände noch enger um diesen Lebensstrom, wollte ihn festhalten und wusste doch zugleich, dass er ihn verlieren würde, umso mehr er ihn begehrte. Egal wie sehr er sich an diesem Leben festklammerte, sein Verlangen war es, das es ihm letztendlich entriss. Das den pochenden Lebensstrom zum Versiegen brachte, bis sich die verzweifelten Hände von ihm lösten und lautlos im blutroten Wasser versanken. Tote Augen starrten ihn anklagend unter der trüben Wasseroberfläche an. Haare so schwarz wie Ebenholz breiteten sich wie Fächer auf der sich beruhigenden Fläche aus und dann veränderte sich plötzlich das Bild vor ihm. Das schimmernde Rot auf ihrer makellosen Haut kam nicht mehr nur von dem Blut. Die Haut ihres Gesichtes schien aufzureißen, sich zu verändern, obwohl ihre Gesichtszüge gleich blieben und der Ausdruck ihrer Augen sich nicht wandelte. Wo vorhin noch Haut war, bereitete sich ein Schuppenkleid aus. Weich, geschmeidig und doch fest und schützend. Allerdings kam ihr Schutz zu spät… Paige war tot. Ihr Leben durch seine eigenen Hände entrissen, da er damit das unendliche Loch in sich hatte füllen und die Kälte damit hatte vertreiben wollen Er hatte sie getötet. „Paige‼!“ Mit einem Schrei purer Verzweiflung fuhr Ryon aus dem Schlaf hoch. Einen Moment lang war er vollkommen orientierungslos. Sein Herz hämmerte ihm wie eine Kanonensalve gegen die Brust. Bombardierte ihn förmlich mit jedem Schlag, bis er seine Arme um sich schlang, um es an Ort und Stelle zu halten. Er bebte am ganzen Leib und seine Krallen zerrissen den Stoff seines Shirts, da er sich selbst so fest hielt, als würde er sonst in tausend Stücke zerbrechen. Unfähig normal zu atmen, schnappte er immer wieder heftig nach Luft, als würde sein eigener Alptraum seine Hände nach seiner Kehle ausstrecken und nun ihm das Leben daraus quetschen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)