Die große Leere von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 18: Vom Saulus zum Paulus --------------------------------- XVIII. Vom Saulus zum Paulus „Scheiße! Scheiße, scheiße, verfluchte, dreckige, elende Scheiße!“ fluchte Brian. Er atmete tief durch und starrte, ohne wirklich etwas zu sehen, durch die Frontscheibe der Corvette, die er heute Morgen aus der Werkstatt abgeholt hatte. Er sprang aus dem Auto, überlegte kurz, schnell noch eine zu rauchen, bemerkte aber, dass er selbst dazu keinen Nerv mehr übrig hatte und hastete die Stufen zum Loft hoch. Er schob die Tür gewaltsam auf, so dass Gus und Justin ihn aufgeschreckt anstarrten. Gus saß mit seinem Spielzeug in der Futonecke, die er inzwischen als sein Kinderzimmer okkupiert hatte, Justin wühlte in einem Bündel Papiere. Verwaltungskram, den sie zu erledigen hatten, vermutete Brian. „Was?“ fragte Justin alarmiert. Brian winkte ihn bestimmt zu sich und zog ihn auf den Flur. Justin stolperte verdattert hinter ihm her. „Brian, was zur Hölle…?“ „Diese verfickten, engstirnigen, bigotten Arschlöcher!“ entfuhr es Brian. Seine Augen glühten und er knirschte mit den Zähnen. „Wer…?“ „Lindsays verkackte Familie!“ „Was haben die Anwälte gesagt?“ „Oh, diese Satansbrut hat tief gegraben. Hätte ich mir auch denken können, wäre ja auch zu leicht gewesen. Wie heißt es so schön? Für alles, was man tut, muss man irgendwann einmal bezahlen. Nichts ist umsonst im Leben!“ „Was-ist-passiert-Brian!?“ brachte Justin ihn zur Raison. „Ach, sie haben sich lediglich die Mühe gemacht, sich ein wenig in der Pittsburgher Schwulenszene umzuhören. Haben einen Privatdetektiv engagiert oder irgendwas! Und rate Mal, was der da wohl zutage gefördert hat!“ Justin starrte ihn entgeistert an. „Steroid-Ben hätte es nicht schöner formulieren können: Die größte Hure Pittsburghs!“ schloss Brian mit einem bitteren Lachen. „Brian…!“ stotterte Justin. „Und hör auf mich zu brianen!“ wurde er angefahren. Brian ließ sich mit einem Rums auf den Treppenabsatz fallen. „Beschissener Dreck! Scheiße! Verdammte Scheiße!“ murmelte er nur. Die Zahnräder in Justins Hirn rotierten. Er könnte ihm jetzt sagen, dass sein… oder ihr… Sexualverhalten nichts über ihre Qualitäten als Schutzbefohlene für Gus aussagte. Aber es wäre naiv gewesen zu glauben, dass dieses Argument im Angesicht der meisten Richter etwas zählte. Welches Los Schwulen vor Gericht blühte, wusste er nur zu gut aus eigener Erfahrung. Man konnte Glück mit dem Richter haben, aber darauf war nicht zu wetten. „Mach einen auf Bush!“ sagte er schließlich. Brian schaute ihn an, als würde er arg an seiner geistigen Gesundheit zweifeln: „Ich soll den Konservativen beitreten, Präsident werden und den Staaten ihren Platz an der Spitze der meistgehassten Länder der Welt sichern? Oder einfach an einer Brezel ersticken? Ich könnte auch aus fadenscheinigen Gründen irgendwelchen fernen Nationen den Krieg erklären, um ihnen die Segnungen der westlichen Welt im völlig freiwilligen Austausch gegen ihr Öl zu bringen? Nebenher könnte ich natürlich Lindsays Alte mit ein bisschen friedly fire außer Gefecht setzten… Super Plan, Sonnenschein, ich muss schon sagen: einfach brillant!“ „Nein du Dösbacke!“ erwiderte Justin. „Was ich meinte: mach einen auf reuiger Sünder! Bush war in seinen jungen Jahren die totale Nullnummer und ein Alki obendrein…“ „Die Parallelen, die du hier andeutest, wecken nicht gerade meine Begeisterung…“ „Und dann hatte er ein Erweckungserlebnis“, fuhr Justin unbeirrt fort, „Gott hat zu ihm gesprochen oder sowas. Und wie ein Phönix aus der Asche stieg er an den Zenit moralischer Integrität! Ein braver Bürger! Ein guter Christ! Ein liebevoller Familienvater! Ein stolzer Hundebesitzer! Ein Vorbild für uns alle!“ „Ich habe zwar in den letzten Tagen ein paar merkwürdige Anrufe bekommen, aber Gott war bisher noch nicht dran…“ „Überleg Mal, du hast doch nicht mehr durch die Gegend gefickt, seit…“ Brian schüttelte den Kopf und wünschte sich sehnlichst eine Zigarette. „Siehst du: Klarer Fall von Erleuchtung! Trotz des räumlichen Abstandes waren wir ein Herz und eine Seele! Du reißt dir ein Bein ab für deinen Sohn! Bezahlst brav deine Steuern…“ „Uahhh, mach weiter so, dann sehe ich in der Tat gleich das Licht… am Ende des dunklen Tunnels…“ „Lass das! Nimm ihnen den Wind aus den Segeln! Leugne nichts, das wäre sinnlos und würde höchstens alles noch schlimmer machen. Aber mach ihnen klar, dass die Vergangenheit hinter dir liegt und absolut nichts über die Person aussagt, die du jetzt bist!“ Brian zog die Augenbrauen zusammen. Was Justin da sagte, war gar nicht Mal so blöde… Er grübelte. Es könnte klappen. „Okay, Justin, sieh mich an. Hurra! Vom Saulus zu Paulus. Gelobet sei der Herr…“ Sie rappelten sich wieder auf und gingen zurück in die Wohnung. Gus kam angeschossen und nahm seinen Vater unter Beschlag, während Justin sich wieder in seinen Papierkram vertiefte. Der Vertrag war gekommen, er würde ihn juristisch prüfen lassen müssen. Die Mietzahlungen für die New Yorker Wohnung wurden fällig. Er musste sich die Kaufgebote für seine Bilder ansehen und überlegen, welchen er zustimmen sollte. Einige brachten zwar weniger Geld für dasselbe Gemälde als andere, stammten aber aus der Feder renommierter Sammler, die ein Sprungbrett für ihn sein könnten. Zudem hatte er Kontakt zu Gus‘ altem Kindergarten aufgenommen. Es würde ihm gut tun, wieder mit anderen Kindern zusammen sein zu können, bevor er in ein paar Monaten eingeschult würde. Um die Schule mussten sie sich auch noch kümmern… Brian spielte gedankenverloren mit Gus. Während er seinem Sohn half, seine Legosteine nach Form und Farbe zu sortieren, schnappte er sich das Telefon. Zwei Minuten später rief er Justin zu, dass sie nachmittags einen weiteren Termin in der Kanzlei hätten, diesmal gemeinsam und ob er sich um einen Babysitter kümmern könne. Justin rief seine Mutter an, die immer noch ein wenig überrumpelt davon war, so plötzlich eine Art von Großmutter zu sein. Molly schrie begeistert aus dem Hintergrund, dass sie gerne auf Gus aufpassen wolle, was die Diskussion entscheidend abkürzte. „Justin…“, sagte Jennifer zu ihrem Sohn, „ist das alles nicht etwas überstürzt? Willst du das wirklich Schatz?“ „Mama, ich weiß, dass du dir Sorgen machst. Aber es ist gut. Vertraue mir bitte, okay?“ „Okay. Du bist erwachsen. Unglaublich, wie schnell das gegangen ist.“ „Gib Molly einen Kuss von mir“, murmelte Justin ein wenig peinlich berührt. Aber sie war seine Mutter. Sie hatte immer zu ihm gestanden. Sie durfte ihn betreffend sentimental werden. „Ich hab dich lieb, Justin“, sagte sie, „und Brian auch.“ Er hörte ein Grinsen in ihrem Unterton. „Ich dich auch“, sagte er lachend und legte auf. „Meine Mutter hat dich lieb“, rief er zu Brian hinüber. „Wusste ich es doch! Sag ihr, dass sie sich einen anderen Toy Boy suchen soll, falls Tucker ausgedient haben sollte!“ kam prompt die Antwort. …………………………………………………………………………………………………………………………………………………………… Nachdem sie Gus bei Justins Mutter und seiner Schwester abgeladen hatten, steuerten sie die Anwaltskanzlei an. Sie waren beide angespannt und redeten wenig. Man ließ sie nicht warten und ließ sie sofort in Mr. Harris Büro eintreten. Mr. Harris gehörte zu den führenden Anwälten im Bereich Familienrecht in Pittsburgh und hatte damit gewissermaßen Melanies Erbe angetreten. Man versorgte sie mit Kaffee und bot ihnen die obligatorischen Plätzchen an, die Brian mit einem vernichtenden Blick bedachte. Justin langte zu und kaute ausgiebig, während Brian Mr. Harris ihren Plan unterbreitete. Der Anwalt nickte bedächtig und strich sich dabei über den kläglichen Haarkranz, der seinen dürren Schädel krönte. Schien eine nervöse Macke zu sein – oder vielleicht wollte er damit seine intellektuelle Tragweite betonen, was aber nicht recht gelang. Er sah aus wie eine Kreuzung aus Schildkröte und Spinne. „Eine sehr gute Idee, Mr. Kinney. Damit würden wir ihnen in die Flanke fallen! Es wird zunächst eine Anhörung geben, ob der Klage überhaupt stattgegeben wird. Der Termin ist in sechs Tagen. Gibt es Leumundszeugen, die ihre Geschichte bestätigen können?“ Brian nickte. Ted würde in die Bresche springen, auch wenn dies hochnotpeinlich für Brian zu werden drohte. Aber da musste er wohl durch. Auch die anderen aus ihrem Freundeskreis konnten sie in Erwägung ziehen. Er dachte an einen möglichen Auftritt Debbies vor Gericht und stöhnte innerlich. „Aber dennoch wird es nicht einfach sein. Es gibt leider immer noch viele Leute in diesem Land – und die auf dem Richterstuhl bilden da leider nicht immer eine Ausnahme – die Homosexualität immer noch als abnorm und per se für moralisch verwerflich halten. Ich gebe ihnen den Rat, so normal wie möglich zu erscheinen. Und mit „normal“ meine ich das nicht im Sinne menschlicher Vielfalt – sondern im Sinne derer, die meinen an der Krone der sittlichen Fresspyramide zu stehen.“ „Wie stellen sie sich das vor?“ fragte Justin, der inzwischen das Gebäck unter Brians strafenden Blick bis auf den letzten Krümel vertilgt hatte und endlich wieder gesittet sprechen konnte. Bei Essen setzte Justins Kinderstube leider aus. „Nun, ich schlage nicht vor, dass sie sich binnen sechs Tagen in heterosexuelle Football-Fans verwandeln, die sonntags brav zur Kirche gehen und bei jeder Gelegenheit patriotische Flaggen hissen – aber versuchen sie die Sprache zu sprechen, die sie verstehen.“ „Und die wäre?“ bohrte Brian nach. „Sie hatten doch vor zu heiraten, bevor sie dieses Ansinnen in Hinblick auf ihre direkte Lebensplanung auf Eis gelegt haben, oder?“ „Äh, ja…?“ antwortete Justin. „Holen Sie’s nach. Nach Möglichkeit noch vor dem Anhörungstermin.“ Brian verschluckte sich an seinem Kaffee. „Wir können doch nicht einfach heiraten, nur um uns bei diesen Spießern ein zu schleimen! Gar nicht zu reden davon, dass so eine Ehe doch sowieso nicht anerkannt wird!“ versetzte er entgeistert. „Es wäre eine symbolische Geste von hoher Überzeugungskraft. Und, wenn ich Sie auch in Hinblick auf ihre Annahme des Sorgerechtes von Gus im Rahmen der Testamentsbestimmungen richtig verstanden habe, sehen sie sich doch sowieso als in einer ehegleichen Partnerschaft lebend. Es zwingt Sie niemand. Ich kann ihnen nur raten: Tun Sie’s. Am besten an einem Ort, an dem Ihnen rechtlich valide Dokumente zur Existenz ihrer Ehe ausgehändigt werden. Die werden momentan in unserem Staat noch nicht anerkannt, aber das kann sich ändern. Und sie sind deutlich überzeugender als ein bloßes Versprechen außerhalb des juristischen Rahmens, wie es hier nur möglich wäre“, meinte Mr. Harris, sichtlich zufrieden mit seiner Argumentation. Er kraulte sich schon wieder die Glatze. „Wir sollen nach Kanada?“ presste Brian heraus. Justin sah aus, als würde er gleich vom Stuhl fallen. Er wünschte, er hätte die Kekse nicht alle allein sich hinein gestopft, dann wäre ihm jetzt vielleicht weniger übel. „Ist nur ein Ratschlag“, ergänzte Harris ohne Gespür für die Befindlichkeit seiner Klienten, „aber ein ernster und mit sehr viel Nachdruck gegebener. Ich kenne mich aus mit Fällen wie dem ihren. Eine derartige Verbindung wird vom Testament implizit gefordert. Sie werden einen schweren Stand haben, trotz ihres geplanten Bekenntnisses inklusive Läuterung. Sie können jeden Vorteil gebrauchen. Und das wäre ein entscheidender. Denken Sie darüber nach und handeln Sie, wenn sie sich dazu entscheiden können, schnell! Ich gebe Ihnen die Kontaktadresse eines mir bekannten Friedensrichters bei Toronto, der ihnen auch kurzfristig weiterhelfen kann.“ Er wühlte in seinen Unterlagen und kritzelte dann etwas auf ein Stück Papier. ……………………………………………………………………………………………………………………………………………………………. Sie hatten keine Ahnung, wie sie es bis auf die Straße geschafft hatten. Der frühe Abend des Spätsommertages tobte heiter um sie herum. Justin starrte wie gebannt auf den Zettel mit der Telefonnummer und der Adresse, die ihm der Anwalt in die Hand gedrückt hatte, als sei er ein unbekanntes exotisches Tier. Brian rauchte und starrte ins Leere. Das war ein Traum, ein total schräger Traum, der ihm jemand mit einem extrem fiesen Sinn für Humor gesandt hatte. Dummerweise hatte er in letzter Zeit die Erfahrung gemacht, dass die Wirklichkeit dazu tendierte, surreale Züge anzunehmen, ohne dass man daraus hätte aufwachen können. „Was machen wir denn jetzt?“ flüsterte Justin schließlich. „Weiß nicht. Willst du mich zwangsheiraten, Hase?“ Brian war kurz davor, hysterisch zu lachen. Das war doch völlig absurd. Ihre eigenen Lügen schlugen ihnen hohnlachend ins Gesicht. „Das ist nicht witzig“, erwiderte Justin säuerlich. „Mitgegangen, mit gehangen, so heißt es doch so schön, Sonnenschein. Aber du hast recht, das wäre wirklich das hinterletzte, so zu…“ „Und was wird aus Gus?“ „Komm mir nicht immer mit diesem Totschlagargument!“ „Das ist kein Totschlagargument – das ist die Wahrheit. Wir haben gelogen, und das haben wir nun davon“, sagte Justin niedergeschlagen und ließ sich ohne Rücksichtnahme auf seine Hose auf den Kantstein fallen. „Wir können doch nicht einfach…“ „Und was erzählen wir denen vor Gericht? Dass wir die Möglichkeit dazu gehabt hätten, aber uns aus für den Normalo – und du hast Mr. Harris in Bezug auf die Normalos in Richterroben gehört – unerfindlichen Gründen dagegen entschieden haben? Dass wir’s aufgeschoben haben, bis… ach ja, Ms. Lennox hat ja noch ein Weilchen ein Auge auf uns, sie wird’s schon rausfinden. Dass wir lieber frei sind? Super Argument. Es gilt sowieso nicht in Pennsylvania, also was regen wir uns auf.“ „Du willst das doch nicht ernsthaft durchziehen“, versetzte Brian mit fragendem Unterton. „Hör auf zu sülzen, du hast schon gehört. Es wäre nur Kanada und gute Munition für unser eigentliches Anliegen. Mag uns sauer aufstoßen in Hinblick auf einst… Aber darum geht’s hier nicht. Oder willst du kneifen und ihnen lieber die Wahrheit erzählen? Dann sag Gus schon mal Auf Wiedersehen…“ Irgendetwas an Justins Logik hinkte, aber Brians Hirn konnte es nicht verorten. Immer wenn sein Verstand kurz davor war, den Finger darauf zu legen, schaltete der betreffende Teil seines Denkorgans auf aus. „Gib den Zettel her“, hörte er sich sagen und zückte sein Handy. …………………………………………………………………………………………………………………………………………………………. Traumwandlerisch hatten sie Gus von Justins Mutter abgeholt. Sie hatten sich sogar ein paar Minuten mit Jennifer und Molly unterhalten, während Gus aufgeregt von Mollys Wundertaten berichtete und dann irgendwann ungeduldig an Brians Hand zu zerren begonnen hatte. Sie konnten sich an kein Wort erinnern, das gefallen war. Beide hatten das Gefühl, das etwas über sie gekommen war, das sie gnadenlos antrieb, ohne dass sie es hätten benennen können. Wir können diesen Irrsinn noch stoppen…, dachte Justin, dann sah er Gus und Brian an, und der Gedanke verschwand. Im Loft verschanzte sich Justin hinter dem PC und begann hektisch Emails an seine neuen Agenten zu schicken, die diese dringend von ihm erwarteten. Brian setzte sich mit Gus auf dem Schoss vor den Fernseher. Spongebob hatte eine magische Miesmuschel… Brian wünschte sich auch eine. Mitten in ihrem Delirium klingelte es plötzlich an der Tür. Sie fuhren zusammen. Wer in Dreiteufelsnamen störte denn nun schon wieder? Missmutig betätigte Brian den Summer. Eine Minute später stand Michael im Loft, Jenny Rebecca in einer Tragetasche mit sich schleifend, auf dem Rücken einen großen Beutel. „Hallo ihr beiden! Ich war gerade mit Jenny beim Kinderarzt, Routinecheckup für Säuglinge, es geht ihr bestens, sie ist weit für ihr Alter, da war ich in der Gegend und dachte… schau ich doch kurz vorbei und gucke, wie’s euch geht. „Ganz okay“, sagte Brian etwas steif, „komm rein.“ Justin begrüßte ihn mit einem etwas gequälten Lächeln und nahm ihm den Beutel ab. Jenny krähte in ihrem Korb. Gus war sofort zur Stelle und griff nach seiner Schwester. Michael half ihm, das Baby zu halten, was ihm etwas ungelenk auch gelang. Jenny war schwer für einen kleinen Kerl wie ihn und musste auch mit Vorsicht gehalten werden. Justin stellte derweil mit erfahrenen Händen das Fläschchen des kleinen Mädchens in die Mikrowelle und erhitzte es auf die richtige Temperatur. Michael redete unbefangen auf sie ein, wild zwischen Trauer und Begeisterung für seinen Nachwuchs hin und her springend. Es fiel ihm zwar auf, dass Justin und Brian ungewohnt kurzsilbig waren, aber das war ja nicht unbedingt etwas Neues für die beiden, besonders in Anbetracht der Umstände. Jeder ging auf seine Weise mit dem Verlust um. Brian und Justin waren ihm durchaus dankbar für die Ablenkung, auch wenn sie nur ein Drittel von dem mitbekamen, was er sagte. Justins Emailempfang piepte, er druckte etwas aus, dann entschuldigte er sich, da er ein paar unterschriebene Dokumente noch eilig zur Post bringen musste. Brian und Michael setzten sich mit den Kindern auf die Coach. Das Gespräch plätscherte dahin. Die Beerdigungen waren auf unbestimmte Zeit verschoben worden, da die Unfallfahndung die Leichen noch nicht frei geben wollten. Das hieß wahrscheinlich im Klartext, dass sie mit dem Sortieren noch nicht fertig waren, dachte Brian bitter. Lindsays Familie hatte auch dagegen Klage eingelegt. Liebenswert. Man konnte ihre Beweggründe ja teilweise durchaus nachvollziehen – aber die Form ihres Handelns und Auftretens bereitete Brian Bauchschmerzen. Gus gähnte und drückte sich schläfrig an ihn. Brian hob ihn hoch und ging mit ihm ins Bad, um ihn für die Nacht fertig zu machen. Er und Michael konnten sich danach ruhig noch ein wenig leise unterhalten, die Geräuschkulisse beruhigte Gus beim Einschlummern. Während Brian und Gus im Badezimmer herum plätscherten, ging Michael Jenny auf dem Arm wiegend durch die Wohnung. Auf dem Schreibtisch tackerte das Fax. Michael ging an dem brummenden Apparat vorbei. Sein Blick fiel auf das sich heraus kringelnde Papier. Erst stutzte er, dann gefror er in der Bewegung. Er ging wieder einen Schritt zurück und starrte gebannt. Das konnte doch nicht wahr sein. Diese verfluchten Schweine. Sein erster Reflex war es, Brian zur Rede zu stellen. Dann besann er sich. So nicht, mein Lieber. Nicht ohne deine Familie. Er prägte sich die Daten ein. Ein Plan hatte in seinem Kopf Gestalt angenommen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)