Die große Leere von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 17: Inquisition ----------------------- XVI. Inquisition Brian lag rauchend auf der Coach. Das verdammte Telefon wollte auch nach Michaels Anruf keine Ruhe geben. Melanies Anwälte hatten angerufen und ihn gleich mit zwei wenig vergnüglichen Botschaften gequält. Zum einen würde bereits heute Nachmittag die vom Testamentsvollstrecker losgetretenen Sozialtussi bei ihnen einfallen, um die Situation zu checken. Gut, dass er bereits aufgeräumt hatte. Vielleicht sollte er nach der Kippe noch mal ordentlich durchlüften… Zum anderen hatten – wie auch nicht anders zu erwarten gewesen war – Lindsays Eltern das Testament in Hinblick auf die Sorgerechts-Regelung angefochten. Sine Juristen waren bereits am rotieren, Morgen würde er sich mit ihnen treffen müssen. Er drückte die Zigarette aus und presste sein Gesicht in die Kissen. Sie rochen noch immer ein wenig nach Justins warmen Körper. Und diesmal bildete er es sich nicht bloß ein. Er rollte sich auf die Seite und grub die Nase in die seidige Oberfläche. Das nächste, was er mitbekam, war das Geräusch der aufgleitenden Loft-Tür. Er musste eingeschlafen sein. Justin trat mit Gus ein, dessen Gesicht immer noch Spuren des gerade vertilgten Eises zeigte. Genaugenommen sah Justin nicht besser aus. Zwei Fässer ohne Boden… Justin lächelte Gus weich an, zeigte aber zugleich jenen wachen entschlossenen Blick, der mit seiner verschmierten Schnute herbe kontrastierte. „Siehst du Gus, wir schuften uns den Buckel krumm – und Papa genießt den Morgen schnarchend auf dem Sofa. Ich denke, wir sollten ihm dabei helfen, etwas munterer zu werden…“ Justin beugte sich zu Gus herab und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Brian schwante Ungemach. Er versuchte, schleunigst auf die Füße zu kommen, aber er war zu langsam für seinen ungestümen Nachwuchs. Gus stürzte sich auf ihn, und begann ihn in die Seiten zu pieken und zu kitzeln. Er japste und versuchte das wild gewordene Kind einzufangen, ohne ihm weh zu tun, was sich als schwieriger gestaltete, als er angenommen hatte. Justin trat breit grinsend mit Kennerblick zu ihnen. „Nicht schlecht, Gus“, kommentierte er, als der Kleine Brian so traf, dass dieser unwillkürlich zusammen zuckte, „aber versuch’s mal hier.“ Blitzartig schoss er vor und traf Brian mit der Fingerspitze an einem Punkt auf der Hälfte der Taille, der diesen nach Luft schnappend aufjaulen ließ. „Hört auf, ihr hinterfo… fiesen kleinen… aua… wesensgroßen… ahhh… Folterknechte!“ keuchte Brian hervor. „Und hier…“ fuhr Justin gemein grinsend fort und erwischte Brian unter der Achselhöhle. Brians Körper schnappte schützend zusammen. Justin beugte sich herab, während Gus begeistert seinem Vater unbeirrt die kleinen Finger in die Seite jagte „Und hier…“ sagte Justin und ließ seine Fingerkuppen über Brians nackte Sohle tanzen. „Ahhh… du elender…!“ entfuhr es Brian. Er witterte seine Chance und langte nach dem vornüber gebeugten Justin, umklammerte seine Taille und zog ihn über die Sofalehne, so dass der Jüngere einen kurzen Augenblick hilflos im Leeren baumelte. „Siehst du Gus, so geht es Leuten, die alte blinde Männer überfallen“, sagte Brian mit einem Blitzen in den Augen. Justin versuchte, sich aufzurappeln, aber Gus hatte bereits verstanden. Ein kleiner spitzer Finger landete in Justins Seite, dass dieser fast quiekte. Er versuchte, sich nach vorne abzurollen, aber Brian erwischte ihn, zog ihn nach hinten und nahm ihn in den Schwitzkasten. „Los Junior, zeig deinem lieben Justin mal, wie gesund Lachen ist!“ forderte den freudig quietschenden Gus auf. „Ja, Papa“, antwortete Gus kreuzbrav. Dem Kleinen war es inzwischen egal, welchen seiner beiden Erziehungsberechtigten er malträtieren konnte. Er machte sich über Justin her, der verzweifelt versuchte, sich aus Brians Griff zu befreien. Aber dieser erwies sich als eisenhart, so dass ihm nichts Anderes übrig blieb als sich zu ergeben. Er versuchte, sich zu entspannen in der Hoffnung, dass das dem tobenden Jungen den Wind auf den Segeln nehmen würde. Der Erfolg gab ihm recht, nach quälenden fünf Minuten gab Gus erschöpft auf und kam auf seinem Bauch zum liegen. Brians Arme lockerten sich endlich, lösten sich aber nicht. Sie bildeten eine Pyramide aus verknoteten Gliedmaßen, Brian auf dem Rücken ganz unten, Justin an seine Brust gezogen, Gus bäuchlings auf ihnen. Eine merkwürdig friedvolle Stimmung machte sich breit. Brian langte nach unten und streichelte über Gus‘ Kopf. Justin wagte kaum zu atmen. Er wollte den Augenblick festhalten, an nichts denken. Er bemerkte, wie Brians andere Hand sich bewegte und sich dann vorsichtig in seinen Schopf grub. Justin schloss die Augen. Er streckte sich langsam nach Gus aus und legte die Hand schützend auf seinen Rücken. Schluckend fasste er mit der anderen Hand nach hinten und bekam Brians weiches herbstfarbendes Haar zu fassen. Er ließ sie kurz liegen, aber es kam keine Gegenwehr. Sanft streichelte er durch die seidigen Strähnen, massierte sachte Brians Kopfhaut, bis diesem ein wohliges Seufzten entfuhr. Gus auf seinem Bauch döste friedlich. Justin wagte, den Kopf leicht nach hinten zu drehen. Brians Augen waren geschlossen, die langen Wimpern warfen Schatten, sein Mund war entspannt, ein leichtes Lächeln lag auf ihm. Justin ließ die Finger langsam über die hohen Wangenknochen gleiten, ertastete die geschwungenen dichten Augenbrauen, zogen die Konturen der geraden Nase nach, als habe er dafür jede Ewigkeit reserviert. Unvermutet schlug Brian die Augen auf. Im Sommerlicht glänzten die Pupillen in einem warmen Braun, in dem goldene Sprenkel und moorgrüne Schlieren trieben. Er sah ohne zu zwinkern in Justins aufgerissene Pupillen. Dann senkte er seinen Kopf, während Justin sich nach hinten bog. Ihre Lippen lagen warm aufeinander. Es war nichts Verlangendes in diesem Kuss, nur ein stilles Einvernehmen und eine stumme Sehnsucht. Sie verharrten lange so, während ihre Münder sich unmerklich gegeneinander bewegten. Justins Nacken begann zu schmerzen, ohne dass er es zur Kenntnis nahm. Dann erwachte Gus wieder zu Bewusstsein und streckte sich aus, dass ihnen beiden die Luft aus den Lungenflügeln getrieben wurde. „Ich hab‘ Hunger“, sagte er bestimmt. „Er kommt definitiv nach dir“, bemerkte Brian. Sie mussten beide lachen. Nach dem Intermezzo auf dem Sofa machten sie sich an die Arbeit. Brian klärte Justin über die Lage auf. Justin war nicht besonders überrascht, nickte nur pragmatisch und verkrümelte sich in Richtung Küche. Anfänglich war Brian immer ein kalter Schauder über den Rücken gelaufen, wenn er Justin am Herd werkelnd erwischt hatte – um nichts in der Welt wollte er ihn in der Rolle der braven Ehefrau sehen, die ihm ein leckeres Essen vor die Nase setzte, wenn er sich von der Arbeit zu kommen bequemte. Mit der Zeit musste er einsehen, dass Justin in erster Linie für sich selbst kochte. Zum einen schien es ihn zu entspannen, zum anderen war er gnadenlos verfressen und dabei durchaus anspruchsvoll. Justin freute sich, wenn Brian seine kulinarischen Werke gefielen – aber er schuf sie nicht aus diesem Grund. Ansonsten wären es wohl kaum derartige Kalorienbomben… Wo auch immer Justin das ganze Futter ließ… wahrscheinlich verbrannte er in seiner quirligen Art ungeahnte Mengen, für die Brian sich stundenlang auf dem Laufband abstrampeln musste. Nun gab es ein weiteres Maul zu stopfen. Justin setzte Gus mit einem Malbuch an den Küchentresen. Der Junge kritzelte zufrieden, während er alles, was Justin tat, mit Argusaugen beobachtete und ihm dazu Löcher in den Bauch fragte. Brian musste einsehen, dass er wohl fürs erste abgemeldet war. Er schnappte sich den Autoschlüssel, um für den anstehenden Besuch der Sozi-Tussi ausstehende Besorgungen zu machen. Er schaute sich um – wie hatte Jennifer Taylor es so schön gesagt? Seine Wohnung sah aus wie eine Fickhöhle. War sie ja auch… gewesen. Mochte nicht den allerbesten Eindruck auf jemanden machen, der seine Vaterqualitäten aufs Korn nehmen sollte… Er seufzte und trollte sich. „Wir bekommen nachher Besuch“, sagte Justin zu Gus. Er hatte das Geschirr in die Maschine geräumt, dem Jungen den Mund sauber geputzt, und half ihm jetzt, die passenden Farben für einen dicken, fröhlich grinsenden Drachen in seinem Malbuch auszusuchen. Gus hatte ihm eine Brille und einen Schnurrbart verpasst. „Mmm, wer denn?“ fragte Gus, während er den Drachen mit konzentrierter Miene bunt geringelt ausmalte. „Schau mal, sieht aus wie Tante Debbie!“ präsentierte Gus sein Werk. „Stimmt – besonders der Bart ist sehr gelungen… Also nachher kommt eine Frau, die nachsehen soll, ob es dir hier bei uns gut geht…“ Gus schaute ihn groß an: „Nein! Ich will nicht von euch weg!“ Justin hörte die Angst in der Stimme des Kindes und etwas in seinem Inneren zog sich zusammen. „Schhht, Gus“, beruhigte Justin ihn und hob ihn auf seinen Schoß. „Du kommst nicht von uns weg! Dein Papa und ich tun alles… wirklich alles… damit du bei uns bleibst!“ „Ich will nicht weg!“ wiederholte Gus mit fast panischem Unterton. „Nein, nein, nein, Kleiner, nein. Das sollst du doch nicht! Sie soll nur schauen, ob es dir gut geht! Ob wir alles richtig machen für dich! Deine Mamas wollten, dass jemand nachschaut, ob es dir auch wirklich gut geht!“ „Es geht mir gut!“ rief Gus und sein Gesicht verzog sich ein wenig. „Wir tun unser Bestes“, murmelte Justin an seinem Nacken, „das verspreche ich dir!“ Als Brian zurück kehrte, lag Gus auf der Coach und machte ein Nickerchen. Justin saß neben ihm und las. Brian hob überrascht die Augenbrauen. Er hatte Justin noch nie ein Buch lesen gesehen. Sie waren ja auch meist mit anderen Dingen beschäftigt gewesen. Andererseits hatte der Jüngere einen beeindruckenden Schulabschluss hingelegt und war in einem gediegenen Haushalt aufgewachsen – das beinhaltete garantiert auch eine breitgefächerte Lektüre. Seine Malsachen hatte er nicht hier, Zeichnen strengte seine Hand noch immer rasch an und den Fernseher konnte er mit Gus neben sich wohl auch kaum anschalten… dennoch war es merkwürdig. Justin wandte sich zu ihm und stand auf leisen Sohlen auf. Er hatte sich umgezogen und trug jetzt eine dunkle Stoffhose und ein dezentes hellblaues Sweat-Shirt - elegant und leger, ohne künstlich oder aufgesetzt zu wirken. Genau die richtige Mischung für das anstehende Ereignis. Justin blieb vor ihm stehen, und Brian kippte die Tüten aus. Wortlos griff Justin zu. Brian hatte die verbleibenden Lücken im Bestand gestopft: Zahnbecher, Handtuchhalter, Kleiderhaken – alles, was die ständige Anwesenheit eines Kindes erforderte und bezeugte. Justin machte sich an die Montagearbeiten, während Brian einsortierte. Zum krönenden Abschluss hatte er eine teuer gearbeitete Überdecke für sein Bett gekauft, die der Offensivität seiner Schlafstätte etwas die Schärfe nahm, ohne völlig verlogen zu wirken. Er würde niemals sein Bett mit karierter Frotteewäsche beziehen, eher würde er Ted seine ewige Liebe gestehen - aber so mochte er vielleicht durch die Sache durchkommen! Gegen drei verbreitete die Kaffeemaschine einen angenehmen Duft. Brian hatte sich und Gus auf Hochglanz gebracht und Justins Vorbild entsprechend eingekleidet. Gepflegt, aber nicht aufgesetzt. Und verdammt gutaussehend! Die Türklingel läutete. Auf in den Kampf. Bei der Frau, die ihnen auf den Zahn fühlen sollte, handelte es sich um eine rundliche Farbige im eleganten grauen Hosenanzug. Sie musterte sie mit aufmerksamem Blick und stellte sich als Mrs. Lennox vor. Gus drückte sich zunächst verschüchtert zwischen Brian und Justin, aber als Mrs. Lennox sich freundlich lächelnd zu ihm herab beugte, um ihm die Hand zu schütteln, brach es aus ihm heraus. „Ich will nicht weg!“ heulte er. „Ich will bei Papa und Justin bleiben! Ich will nicht weg!“ Mrs. Lennox‘ Lächeln verbreiterte sich. „Du musst keine Angst haben Gus!“ sagte sie in warmen Tonfall. „Ich bin nicht hier, um dir weh zu tun. Ich soll nur dafür sorgen, dass alles seine Ordnung hat und es dir gut geht.“ „Mir geht’s gut!“ flüsterte Gus trotzig. „Sicher Gus“, sagte sie beruhigend und schüttelte seine kleine Hand. Dann richtete sie sich mit amüsiertem Blick auf und sag Brian und Justin fragend an. „Was haben sie ihm erzählt?“ „Nur das, was Sie ihm auch eben gesagt haben“, antwortete Justin entschuldigend, „aber Gus zählt rasch eins und eins zusammen. Der Verlust seiner Mütter ist noch frisch… da ist es doch ganz natürlich, dass er sich fürchtet?“ „Da haben Sie wohl recht“, nickte Mrs. Lennox, die ihnen den Zwischenfall nicht übel zu nehmen schien. Brian löste sich aus seiner Erstarrung, nahm Gus auf den Arm, und bat sie herein. Justin holte ihnen Kaffee und bot der Frau ein paar Plätzchen an, die Brian im weiser Voraussicht mitgebracht hatten. Er kannte sich mit Frauen zwar nicht sonderlich gut aus – aber gut genug, um zu wissen, dass die meisten, gleichgültig aller Diätvorsätze, mit Süßkram durchaus zu locken waren. Ganze Industrien bauten darauf auf. Bei Mrs. Lennox lag er auf jeden Fall nicht falsch. Sie setzten sich in die Sofaecke, während die Frau das Gebäck sehnsüchtig musterte. Brian bot ihr mit ausgesuchter Höflichkeit die Schale an, und sie bediente sich mit routiniertem Griff. „Nun“, sagte sie, „nachdem sie mich so gekonnt bestochen haben, schauen wir doch mal, was jetzt ansteht. Ich würde gerne zunächst mit ihnen beiden reden, dann sollte ich mir die Wohnung anschauen. Wie wäre es mit Ihnen, Mr. Taylor? Ihr Partner könnte ja derweil ein wenig mit Gus spielen?“ Brian verstand den Wink mit dem Zaunpfahl. Er schnappte sich Gus und verkrümelte sich mit ihm in die andere Ecke der Wohnung, wo er sich von Gus die neusten Werke aus seinem Malbuch vorführen ließ. Der Drache erinnerte ihn an Debbie… Es kostete ihn einiges an Mühen, den Jungen von den beiden anderen Personen auf dem Sofa abzulenken. „Nun, Mr. Taylor, sie sind durch tragische Ereignisse gewissermaßen Vater geworden. Sie haben sich bereit erklärt, gemeinsam mit ihrem Lebenspartner, der der biologische Vater des Jungen ist, Gus aufzuziehen. Ich muss sicherstellen, dass Sie sich der Tragweite dieser Entscheidung bewusst sind und in der Lage, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Sie sind sehr jung…“ „Zweiundzwanzig. Viele haben in meinem Alter bereits Kinder – wer fragt die?“ „Gus ist nicht ihr leibliches Kind.“ „Das spielt für mich keine Rolle. Gus war vom ersten Tag seines Lebens an Teil meines Lebens. Ich war schon früh für ihn verantwortlich als Freund seiner Mütter, als sein Babysitter, als Brians Partner. Gus um mich zu haben und mich um ihn zu kümmern ist keine neue Erfahrung für mich.“ „Ein Kind aufzuziehen bedeutet einen enormen Aufwand – nicht nur finanziell, sondern auch zeitlich, emotional. Dinge, die ein junger Mann wie sie vielleicht erleben möchte, sind so teilweise nicht mehr möglich.“ „Ich habe bereits viel erlebt. Zuweilen mehr, als mir lieb war. Ich musste mich schon früh alleine zurechtfinden. Nicht zuletzt dank des Verhaltens meines eigenen Vaters. Ohne die Hilfe meiner Freunde, allen voran Brian, Lindsay und Melanie, hätte ich es wahrscheinlich nicht geschafft, jetzt da zu stehen, wo ich jetzt bin. Und das ist nicht der Ort, wo andere meines Alters sich vielleicht jetzt befinden.“ Justin erzählte ihr von seinem Galerievertrag. Sie nickte anerkennend und machte sich Notizen. „Sie sind also karrierebewusst und beruflich erfolgreich… bleibt ihnen da noch Raum, sich um ein Kind zu kümmern?“ „Ich kann von zu Hause aus arbeiten und bin dabei zeitlich extrem flexibel. Ist das nicht gerade optimal für Gus? Und außerdem bin ich ja nicht alleine da.“ „Wichtig für unser Unterfangen ist auch, dass Sie und Mr. Kinney einen gemeinsamen verlässlichen Rahmen für Gus bieten?“ „Brian und ich sind schon viele Jahre zusammen. Wir wollten sogar heiraten – aber das würde in diesem Land ja keinen Unterschied machen. Wir brauchen keine Ringe und Schwüre. Ich weiß, dass ich Brian bei allen wichtigen Dingen absolut vertrauen kann – und er mir. Und ich liebe ihn, daran gibt es für mich keinen Zweifel. Und die höchste gemeinsame Priorität, die wir beide haben, ist Gus Wohlergehen. Vielleicht empfinden sie hier noch nicht alles als optimal – aber ich versichere Ihnen, dass wir unser Bestes geben!“ Sie stellte noch einige weitere Fragen und machte sich ein paar Notizen. Justin schielte auf ihren Zettel, konnte aber nichts erkennen. Er fand, dass er sich ganz gut schlug. Schließlich war sie zufrieden und bat Ihn, den Platz mit Brian zu tauschen. Brian verbarg seine Unsicherheit hinter einem gewinnenden Lächeln, dennoch hatte er das dumpfe Gefühl, vor einem Inquisitionsgericht zu sitzen. Von dieser Frau hing ab, wie sein Leben weitergehen sollte. Mit Gus… mit Justin… oder allein. Er straffte sich. Mrs. Lennox erschien sanft, aber er spürte hinter jeder ihrer Fragen ihren wachen Geist und ihre schnelle Auffassungsgabe. Sie fragte ihn zu seiner Beziehung zu Justin, zu Gus, zu seiner beruflichen Situation. Er bemühte sich, seine Verbundenheit mit seinem Sohn und seinem… Justin deutlich zu machen, ohne zu verschweigen, dass es ein langer Weg für ihn gewesen war. Und immer sein würde. Nichts war selbstverständlich. Sie bohrte nach, als er ihr von Kinnetic erzählte. Hier musste er improvisieren. Er hatte sich ehrlich gesagt noch keinen tiefgreifenden Plan zurecht legen können, wie es mit seiner Firma weitergehen sollte. Es war ihm klar, dass der Dauereinsatz der vergangenen Monate der Vergangenheit angehören musste. Momentan hatten Ted und Cynthia die Sache gut unter Kontrolle. Aber ohne seinen Elan, seine Ideen, seine Anwesenheit würde es auf Dauer auch nicht vorwärts gehen. Kinnetic war sein Baby, er hatte keine Ambitionen, Vollzeitvater und Hausmann zu werden… Schon bei dem Gedanken daran überkam ihn das Würgen. Ohne seine Arbeit würde er sich wie kastriert fühlen – er konnte sich zu gut an seine zeitweilige Arbeitslosigkeit erinnern… Er beschloss, ehrlich zu sein, deutlich zu machen, dass er zwar kürzer treten werde, aber nach wie vor eine Firma zu leiten hatte. Zumindest konnte er versichern, dass für Gus finanziell gesorgt sein würde. Und dass Lindsays Lebensversicherung garantiert für ihn kein Faktor war, das Sorgerecht für Gus haben zu wollen. Schließlich nickte Mrs. Lennox und beendete ihre Befragung. Justin kam mit Gus an der Hand wieder zu ihnen hinüber, als sie sich erhoben. Mrs. Lennox nickte ihnen beiden zu und sagte: „Nun, mein erster Eindruck von Ihnen ist positiv, vor allem, wenn man bedenkt, wie wenig Zeit sie hatten, sich mit der neuen Situation zu arrangieren. Ich glaube Ihnen, dass Ihre Sorge um Gus aufrichtig ist. Aber das Leben mit einem Kind stellt so einiges auf den Kopf, sie sehen noch vielen Herausforderungen entgegen. Ich werde Sie weiterhin regelmäßig aufsuchen müssen, um die Gesamtsituation profund beurteilen zu können und der Rechtslage Abbitte zu leisten. Eine Sache gibt es allerdings schon, die mir Sorge bereitet…“ Sie schaute sich bedeutungsvoll um, während Justin und Brian das Herz in der Kehle klopfte. „Ihre Wohnsituation mag dem Umstand geschuldet sein, dass sie mit der Übernahme des Sorgerechtes und Gus‘ daraus folgender ständiger Anwesenheit nun nicht rechnen konnten. Dennoch scheint mir die aktuelle Lage nicht… günstig.“ Sie schielte in Richtung Brians Schlafzimmerhöhle. „Oh, natürlich ist uns das bewusst!“ schaltete sich Brian aufrichtig nickend ein und schlang einen Arm um Justins Schultern, während er die Hand auf Gus Kopf ruhen ließ. Ein Herz und eine Seele. Demonstratives Familienglück. Justin setzte sein schönstes Lächeln auf und war gespannt, was nun kommen sollte. „Gus braucht schließlich sein eigenes Zimmer. Sie sehen hier nur die Übergangslösung, bis unser Haus fertig instand gesetzt ist. Eigentlich wollten wir uns erst daran machen, wenn Justin unter anderen Umständen aus New York nach Hause gekommen wäre…“ Von wegen, dachte Justin. „… daher wird es noch ein wenig dauern, bis es bezugsfertig ist. Aber es ist an alles gedacht!“ schloss Brian mit einem zufriedenen Lächeln. „Ah, gut Mr. Kinney, das freut mich zu hören! Ich verabschiede mich dann für dieses Mal und freue mich auf unser nächstes Treffen!“ „Die Freude ist ganz unsererseits“, entgegnete Justin strahlend und schlang nun seinerseits vertraulich den Arm um Brians Taille. Gus erfasste die Situation instinktiv und griff mit kulleräugigem Blick nach Justins Hand. „Puhhhhh!“ stöhnten sie beide leise, als die Tür hinter Mrs. Lennox ins Schloss fiel. Brian streckte die verspannten Glieder und schüttete ihnen wortlos einen Drink ein. Die Bar hatten sie vorsichthalber in das höchste Küchenregal verbannt. Gus schaute neugierig. „Nix da, Sonnyboy, das hier ist nur für die großen Jungs! Aber du kannst ein Glas Fanta haben.“ Gus schaute zwar enttäuscht, nahm das süße Blubbergetränk jedoch dennoch dankbar entgegen. Auch er wirkte erschöpft, aber Mrs. Lennox schien ihm keine Angst mehr zu machen. „Ich geh‘ spielen“, verkündete er und entschwand in Richtung der Ecke mit dem Futon. Justin ließ sich in den Sessel plumpsen, Brian reckte auf dem Sofa alle Viere von sich. Sie nippten schweigend an ihren Gläsern. „Du hast Britin nicht verkauft?“ fragte Justin schließlich. Er hatte fest damit gerechnet, dass Brian alle Spuren seiner Verirrung schleunigst abgestoßen hatte. Brian schüttelte nur den Kopf und sagte kurz angebunden: „Hatte keine Zeit, mich darum zu kümmern.“ Näher an der Wirklichkeit wäre gewesen, dass er keine Lust gehabt hatte. Die Beschäftigung mit Britin hätte ihn gezwungen, an das zurücklegende Geschehen… und an Justin… zu denken. Und das hatte er gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Ob das Haus leer herum gammelte oder nicht – er konnte es sich schließlich leisten. „Gut“, sagte Justin nur. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)