Die große Leere von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 12: Heimkehr -------------------- XII. Heimkehr Brian saß auf der Rückbank des Mietwagens und starrte müde auf die vorbei sausende Landschaft. Justin hatte für den ersten Teil der Fahrt das Steuer übernommen. Sie waren beide erschöpft, also hatten sie beschlossen, sich die Fahrerei zu teilen, so dass der jeweils andere bei Gus sitzen und ein wenig Kräfte sammeln konnte. Gus war schon rasch wieder eingeschlummert. Das Brummen des Autos schien beruhigend auf ihn zu wirken. Brian hatte die Zeit genutzt, um einige dringende Telefonate zu tätigen. Er hatte sich von Ted über den Stand der Dinge informiert, bei Michael angerufen und dankenswerter Weise Ben erwischt, der ihm ruhig die Lage schildern konnte. Dann hatte er bei Melanies ehemaliger Kanzlei angeklingelt. Ihre Kollegen waren erschüttert, als er ihnen erzählte, was geschehen war. Aber sie waren professionell genug, ihm sofort Rechtsbeistand anzubieten und darauf hinzuweisen, dass Melanie und ihre Partnerin juristisch valide Verfügungen hinterlassen hatten, die im Falle ihres Ablebens in Kraft treten sollten. Sie würden sich darum kümmern, sich so rasch wie möglich mit dem Testamentsvollstrecker in Verbindung zu setzten. Außerdem existierten wohl auch noch Lebensversicherungen zugunsten der Kinder. Um Gus College-Geld hatte sich Brian nicht ernsthaft Sorgen gemacht, aber er wusste, dass Michael und Ben eine solche Unterstützung Jennys sehr zu schätzen wissen würden. Er musterte seinen Sohn. Viel von Lindsay hatte er rein äußerlich nicht mitbekommen. Die etwas hellere Haut, vielleicht. Das freundliche Wesen. Aber war sowas erblich? Oder hing es nicht vielmehr von dem Umfeld ab, indem man aufwuchs? Er musste an seine eigene Kindheit denken. Die Zeichen der Zuwendung, die er von seinen Eltern bekommen hatte, konnte er an den Fingern abzählen. Sie hatten von ihm erwartet, dass er funktionierte. Er hatte selten geschafft, ihrer hohen Messlatte zu entsprechen. Später hatte er begriffen, dass sie Dinge von ihm forderten, denen sie selbst nie gerecht geworden waren. Als sei er nur eine Verlängerung ihrer selbst, in die sie ihr eigenes Versagen projizierten. Er hatte sich, sobald er begann auf eigenen Füßen zu stehen, seine eigenen Werte, seine eigene Welt geschaffen, so weit weg von den Erfahrungen seiner Kindheit, wie es nur möglich war. Aber die Vergangenheit ließ sich nicht ungeschehen lassen. Nur der Erfolg gab einem Recht. Liebe war ein riesiger Haufen Scheiße, verkitschte Biologie, die nur zu Hass führen konnte. Das waren lange Zeit seine Credos gewesen. Und nun? Er sah Gus an, dann Justin. Er wusste es nicht. Aber die Regeln von einst hatten ihr Verfallsdatum erreicht. Sie würden ihm heute nicht mehr helfen können. Es war schon später Nachmittag, als sie sich Pittsburgh näherten. Justin zeichnete auf der Rückbank Comicfiguren für Gus, der ihm staunend zuschaute. Hoffentlich nichts aus Rage… „Papa, Justin kann ganz toll malen!“ verkündete er. „Ich weiß, Gus. Er hat auch das Bild gemacht, dass dich und deine Mutter zeigt, als du noch ein Baby warst.“, antwortete Brian, während er die Straße im Blick behielt. Und das, auf dem er sich nackt mit einem sehr schmeichelhaft in Szene gesetzten Schwanz in den Laken räkelte… Gus schaute Justin verdattert an. „Das hast du gemacht?“ Justin nickte. „Toll. Dann bist du ja ein Künstler, wie Mama!“ „Ich bin dabei, es zu werden“, antwortete Justin vorsichtig. Es waren nur noch ein paar Meilen, als Brian vom Highway abbog. „Häh? Wo willst du denn hin?“ wunderte sich Justin. „Shoppen“, antwortete Brian. „Nicht schon wieder!“ entfuhr es Justin. „Nicht was du denkst… Aber du hast mich ja freundlicherweise darauf hingewiesen, dass Gus jede Menge Kram braucht, um bei mir nicht vor die Hunde zu gehen. Und er wird einiges brauchen, wenn er allein die erste Nacht in meinen Fängen heil überstehen soll. Also Zähne zusammengebissen und rein ins Vergnügen!“ befahl Brian. Sie hielten vor einem großen außerstädtischen Einkaufszentrum. Gefühlte drei Wochen später war das Auto bis zur Kapazität vollgestopft. Neben kindertauglichen Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen hatten sie mit Müh und Not ein zusammenbaubares Kinderbett in den Kofferraum gequetscht. Ein Abstecher durch Toys’r‘us hatte dafür gesorgt, dass auch die letzte Nische gestopft war. Justin hielt Gus auf dem Schoss, damit es ihnen überhaupt gelang, sich auch noch hinein zu stopfen. Gus war zunächst aufgekratzt gewesen und hatte von den Dingen erzählt, die er zu Hause habe und die er daher eigentlich gar nicht brauche. Sie hatten es nicht übers Herz gebracht, ihm zu erklären, dass sie nicht wussten, was aus seinem zu Hause werden sollte. Wer würde den Hausstand in Kanada auflösen? Lindsays Eltern? Was würde mit all den Dingen geschehen, die von dem Leben der beiden Frauen zeugten? Die Trauer lag wie ein schwerer Schatten über ihnen, während sie durch das blitzende Einkaufsparadies gingen. Gus war zunehmend müde geworden und begann ein wenig zu quengeln, dass er Hunger habe. Ein giftig aussehendes Wassereis machte ihn – und Justin – kurzfristig wieder munterer. Als sie gehen wollten, hatte Gus sich noch die Nase am Schaufenster eines Zoohandels platt gedrückt. Seine Augen waren weit aufgerissen, er gluckste und zeigte mit dem Finger auf das Objekt seiner Sehnsüchte. „Was ist das denn?“ fragte Brian entgeistert. „Das, mein Lieber, sind Meerschweinchen“, belehrte ihn Justin schadenfroh. „Ich war mal in Mexiko. Da gab’s die als Hauptspeise. Nicht schlecht, ein wenig wie Hühnchen…“ Justin knuffte ihn in die Rippen: „Untersteh dich!“ „Papa, sind die nicht süß?“ fragte Gus hingerissen. „Äh…“, antwortete Brian hilflos. Justin musste sich zusammen reißen. Wenn Brian sich jetzt zu der Äußerung hinreißen ließe, dass er die Meerschweinchen auch süß fände, hätte er etwas, um ihn den Rest seines Lebens regelmäßig zu piesacken… Falls sie sich ab und an wieder sehen würden… Wer wusste das schon… Brian räusperte sich und murmelte: „Ja, die sehen echt lec… liebenswert aus.“ Justin starrte ihn strafend an, aber Gus lächelte glücklich. „Mama hat gesagt, dass ich, wenn ich zur Schule komme, auch ein Meerschweinchen bekomme, um das ich mich dann kümmern muss, wie sie sich um mich und Jenny kümmert!“ Brian kniff die Augen zusammen. Oh weh… Hatte sie das wirklich gesagt oder haute ihn sein kleiner Sohn gerade in die Pfanne? Was war jetzt die pädagogisch richtige Reaktion, Gus klar zu machen, dass sein Vater und diese debilen kleinen Pelzfetzen zusammen gar nicht gingen? „Bis du zur Schule kommst, ist es noch lange hin“, drückte er sich. „In ein paar Monaten schon!“ berichtigte ihn Gus. Na prima. Auf der endlosen to do-Liste vor Brians innerem Auge entstanden die nächsten Eintragungen: Schule finden. Pelztiere vermeiden. ……………………………………………………………………………………………………………………………………………………………. Gegen neun Uhr abends erreichten Sie endlich das Loft. Gus wurde dazu verdonnert, die Tür aufzuhalten, während Brian und Justin ihre Erwerbungen und Justins Gepäck in den Aufzug wuchteten. Der Lift rumpelte bedrohlich, brachte sie aber dennoch pflichtgerecht ans Ziel. Brian schloss die Tür auf. Die Luft war abgestanden. Er war schon seit Wochen nicht mehr hier gewesen. Und davor nur, um kurz etwas zu holen, um dann fluchtartig wieder in Richtung Firma zu entschwinden. Die Putzfrau kam nach wie vor regelmäßig, alles war sauber und ordentlich. Justin führte Gus an der Hand herein und sah sich kurz um. „Hast du was verändert?“ fragte Justin mit gerunzelter Stirn. „Nö, wieso?“ „Sieht irgendwie so leer hier aus.“ „Alles beim Alten. So jung und schon so vergesslich…“ „Mmm“, machte Justin nur, aber es klang nicht zufrieden. Sie parkten Gus vor dem Fernseher und schoben ihm eine neu erworbene Spongebob-DVD rein. Das mochte zwar nicht unbedingt die wertvollste Art der Kinderbetreuung sein, aber es ging ihnen erst mal darum, Gus abgelenkt und beschäftigt zu wissen. Kindertante Riesenglotze vollbrachte ihr Wunderwerk. Dann machten sie sich daran, ihre gesammelte Beute in die Wohnung zu schleppen und nach Funktion zu sortieren. Justin riss den Kühlschrank auf, um die Lebensmittelberge zu verstauen. Jede Menge Sachen, die gesund für Kinder waren, ihnen schmeckten oder denen Justins hungriger Blick aus diversen anderen Gründen nicht hatte widerstehen können. „Himmel Brian, wovon lebst du? Da ist ja nicht mal Schnaps oder Poppers im Kühlschrank!“ „Esse meistens in der Firma“, antwortete Brian kurz angebunden, während er aus den neuen Klamotten seines Sohns die Etiketten schnippelte. Sobald Justin außer Sichtweite war, stand ein Besuch bei Junior-Armani an, das schwor er sich. Justin brutzelte irgendetwas in der Küche, das verflucht lecker roch und garantiert pro Bissen mindestens 500 Kalorien hatte. Brian hatte derweil Gus‘ Waschzeug im Badezimmer aufgebaut, seine Kleidung in seinen Schrank geräumt und das Spielzeug übergangsweise in der Ecke mit dem Futon verstaut. Etwas zögerlich schnitt er jetzt die Verpackung von dem selbst zu montierenden Kinderbett. Das hatte schon sein müssen, obwohl dieses Modell sein ganzes innenarchitektonisches Konzept zunichtemachte. Er würde beizeiten schon noch was anderes finden. Aber seinen Sohn in dem Bett schlafen zu lassen, in dem er hunderte von Kerlen gevögelt hatte – irgendwie erschien ihm das nicht richtig. Wahrscheinlich war er gerade dabei, alt und verklemmt zu werden. Vor seinem inneren Auge erschien Lindsay und erzählte ihm, was sie davon hielt. Ach Linds… Er spürte das inzwischen wohl vertraute Würgen in sich aufsteigen und schüttelte sich. Er puhlte die Einzelteile des Bettes aus der Packung und ordnete sie auf dem Boden an. Er musterte die Bedienungsanleitung. Konnte ja eigentlich nicht so schwer sein, wenn er an die Vollpfosten dachte, die sowas normalerweise kauften. Ächzend machte er sich daran, die Einzelteile zusammen zu pfriemeln. Nachdem er sich das zweite Mal übel den Finger geklemmt hatte, ohne dass ein nennenswerter Fortschritt zu sehen gewesen wäre, rief dankenswerter Weise Justin zum Essen. Gus setzte sich artig auf seinen Stuhl, schaute aber etwas knapp über die Tischkante. Brian schob ihm behelfsweise zwei Kissen unter den Hintern, so dass er auf eine angemessene Höhe kam. Brian überschlug kurz, welche Türme von Futter er voraussichtlich vertilgen würde, bis er auf seine angestrebte Körpergröße gekommen sein würde. Die Chancen standen nicht schlecht, dass sein Sohnemann ihm die Haare vom Kopf fressen würde. Aber das kannte er ja schon. Er riskierte einen Seitenblick auf Justin, der hochkonzentriert sein Essen in sich hinein schaufelte. Angesicht dessen, was hier gerade auf ihn zukam, konnte er wahrscheinlich auch ein paar Kohlenhydrate nach sieben vertragen, dachte sich Brian und langte zu. Nach dem Essen erbarmte sich Justin und montierte mit wenigen reduzierten Handgriffen kommentarlos das Bett zusammen. Sie schoben es in den Zwischenraum zwischen Brians Bett und dem Badezimmer, wo Gus seinem Vater nahe sein konnte und nicht vom Licht gestört werden würde. Brian ging mit Gus ins Bad, half ihm beim Waschen, putzte mit ihm die Zähne, übte mit ihm, wie man im Stehen pinkelt, und steckte ihn in einen seiner neuen Schlafanzüge. Beim Kauf hatte er nicht bemerkt, dass Gus sich zielsicher einen ausgesucht hatte, der über und über mit kleinen verkitschten Meerschweinchen bedruckt war. Das nahm ja bedrohliche Züge an. Er musste aufpassen, sonst würde aus seinem Sohn am Ende noch eine Schwuchtel… Brian blieb bei Gus, bis dieser in seinem neuen Bett – oh Gott, das war ja Spongebob-Bettwäsche! In seinem Loft! – eingeschlummert war, dann trat er zu Justin, der im Hintergrund leise die Reste ihrer Montage-Aktion beseitigt hatte. „Ist es okay, wenn ich heute Nacht auf dem Sofa penne?“ fragte dieser ihn. „Es ist schon spät. Morgen kann ich Debb oder Michael wegen einer Bleibe fragen…“ „Natürlich ist das okay. Und wo du pennen willst, musst letztlich du entscheiden. Du bist hier willkommen. Das war einmal dein zu Hause. Und Gus braucht dich im Moment. Wenn du keinen Bock aufs Sofa hast, können wir dir auch was anderes besorgen“, Brian biss sich auf die Zunge. Hatte er sich zu weit vorgewagt? Er wollte nicht, dass Justin ging, soweit war es ihm klar. Aber er hatte gelernt, dass klammern genauso wie wegstoßen und wild fremdficken auf Dauer Justin in die Flucht trieb. Das konnte doch nie klappen. Vielleicht war es doch besser, wenn Justin ging. Justin nickte langsam. „Okay“, sagte er. „Das Sofa ist schon in Ordnung. Wir können ja erst mal schauen, wie die Dinge sich in den nächsten Tagen entwickeln, solange bleibe ich.“ …………………………………………………………………………………………………………………………………………………………… Brian erwachte im Morgengrauen. Gähnend rappelte er sich auf und schlurfte mit halb geschlossenen Augen hinüber zum Bad und stieß die Tür auf. Er erstarrte. Durch das milchige Glas der Dusche schimmerte ein nackter Männerkörper, mit dem Rücken zu ihm. Milchig weiße Haut, nass zurück gestrichenes goldblondes Haar, ein perfekt gerundeter einladender Hintern… Er hatte ein Deja vu. Genauso hatte Justin ausgesehen, als er ihn nach ihrer ersten gemeinsamen Nacht unter der Dusche gefunden hatte. Er hatte daraufhin gleich mit zwei seiner Gewohnheiten gebrochen. Er hatte ihn noch einmal gevögelt, obwohl ihre Nacht bereits vorüber gewesen war. Und er hatte mit ihm geredet. Damit hatte er sich wahrscheinlich die eigene Grube geschaufelt. Es war, als wäre eine Figur aus einem Film, die man sonst bequem wegklicken konnte, plötzlich zum Leben erwacht. In Brians Fall war das wohl ein Porno gewesen. Genau genommen hatte er gerade das getan: In einem Porno gelebt. Sein Aussehen und Auftreten hatte es ihm möglich gemacht, das zu erleben, das Ted nur mithilfe der Flimmerkiste realisieren konnte. Der Unterschied war nur der gewesen, dass er für sein Verhalten auch noch Lorbeeren bezog. Und sich die Syphilis eingefangen hatte. Brian Kinney, der geilste Hengst von Pittsburgh. Gut, dass Selbstachtung so ein seltenes Gut war – die Typen hatte Schlange gestanden, um sich von ihm benutzten zu lassen. Oder hatten sie ihn benutzt? Egal, wenn er mit ihnen fertig war, hatte er sie weggeklickt wie Ted seine Programme. Aber Justin hatte sich nicht wegklicken lassen. Sturer kleiner Hurensohn! Brians Augen streichelten über Justins Kehrseite. Seine Nerven schrien danach, neben ihn zu gleiten, über ihn herzufallen, als gäbe es kein Morgen. Damit würde er alles ruinieren. Das Gleichgewicht zwischen ihnen hielt leidlich, ohne dass er auch noch ausrastete und versuchte, Justin an die nicht vorhandene Wäsche zu gehen. Sein ganzer Körper schrie danach. Es war so lange her… In Justin zu versinken… Er würde noch den Verstand verlieren. Die Zähne zusammen beißend schloss er unbemerkt wieder die Tür. Sein Herz pochte und er war steinhart. Er wühlte im übervollen Kühlschrank und fand eine eiskalte Cola-Dose, die er sich in den Schritt drückte. „Papa, was machst du da?“ fragte ihn plötzlich Gus mit staunendem Blick. „Das verstehst du“, würgte Brian hervor, „wenn du älter bist.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)