Frei sein. von Jessa_ (Dein Leben ist mein größter Wert.) ================================================================================ Kapitel 6: Die verschmähte Sprache ---------------------------------- Kapitel 6: Die verschmähte Sprache Worte sind Schwerter; sie schlagen dich zum Ritter oder töten dich. [Christof Wittwer] Schlaftrunken schlürfte Itachi aus seinem Zimmer auf direkten Weg ins Bad. Anstatt sich eine lauwarme Dusche zu gönnen, drehte er den Hahn auf und warf sich zwei Handvoll kaltes Wasser ins Gesicht. Er blieb mit dem Kopf über dem Waschbecken gebeugt stehen. Sein Blick war auf den weißen Marmor des Beckens gerichtet. Die vergangene Nacht war schlichtweg beschissen gewesen. Itachi wusste es selbst nicht zu benennen, aber seit langen hatte er keine so unbefriedigende Nacht mehr hinter sich, obwohl er selten gut schlief. Wenigstens träumte er in diesen Nächten nicht. Er träumte nie. Seit diesem einen verpassten Sommer vor mehr als einem Jahrzehnt hatte er mit so vielem anderen auch die Fähigkeit zu träumen aufgegeben. Dachte er zumindest. Doch diese Nacht waren Bildfetzen vor seinem inneren Auge erschienen und ebenso schnell wieder verschwunden. Er konnte sich nicht mal richtig an diese Bildfetzen erinnern und wusste nicht, was ihn mehr aufregte: Dass er überhaupt geträumt hatte oder dass er sich kaum mehr an diesen einen Traum erinnern konnte. Und auch dass es heute wohl keiner für nötig hielt, ihn zu wecken, nervte ihn. Jetzt lungerte schon ein sogenannter Sklave bei ihm rum und machte sich nicht mal nützlich. Was für eine Geldverschwendung an diesen dreckigen, dummen Bengel. Moment! Itachis Kopf ruckte ganz von selber hoch. Was für'n Scheiß dachte er da? Warum dachte er überhaupt über ihn nach? Fünf Wochen, rief er sich ins Gedächtnis, dann war das hier alles vorbei und er konnte ihn fort schicken. Fünf verdammte, lange Wochen. Noch einmal schöpfte Itachi etwas kaltes Wasser mit seinen Händen und fuhr sich damit durchs Gesicht. Heute würde ein beschissener Tag werden. Er sollte am besten zu Bett gehen und ihn direkt verschlafen. Aber mit den Gedanken an seinen schlechten Schlaf vergangene Nacht war auch daran nicht zu denken. Außerdem hatte er einen Zeitplan einzuhalten. Hoffentlich würde der Bengel seine Aufgaben zu seiner Zufriedenheit erledigt haben, dachte Itachi dann. Er hatte keinen Nerv dafür wieder eine Strafe zu verhängen. Aber er musste es einfach schaffen, dass seine Eltern und seine Brüder glaubten, er hätte einen Lebenspartner. Sonst standen etliche Dates an. In zwei Wochen konnten seine Eltern ihm etliche Frauen und Männer vorstellen und sein Bruder Shisui würde auch andauernd Weiber für ihn anschleppen. Darauf hatte Itachi schlichtweg keinen Bock. Der Bengel war eine gute Entscheidung gewesen. Nun, vielleicht nicht der Bengel an sich - der war wahrscheinlich ein Fehlkauf. Aber die Idee war gut gewesen. Der Meinung war Itachi auch jetzt noch. Außerdem sollte Bursche sich nicht so anstellen. Nach den fünf Wochen war er ein freier Mann mit einem Konto im Rücken, dessen Geld Itachi nicht haben wollte. Der Uchiha griff nach einem Handtuch, das neben dem Waschbecken auf einem Hacken an der Wand hing und trocknete sich fahrig das Gesicht und die Hände ab. Ohne seine langen Haare zu kämmen, schnappte er nach einem Haargummi und band sie zu einem Zopf im Nacken. Sich über die Stoppeln auf seinem Kinn und den Wangen fahrend, drehte er dem Spiegel über dem Becken den Rücken zu und verschwand aus dem Bad. Nun mehr gehend als schlürfend machte er sich auf den Weg in die Küche, wo er einen Teller voll Suppe auf der Anrichte stehen sah. Daneben lag eine einsame, hart gewordene Brotscheibe. Was sollte denn das? Itachi schüttelte, ein brummiges Seufzend ausstoßend, den Kopf und brühte sich einen Kaffee auf. Es war ja nicht so, als könne er das nicht. Er kam prima alleine zu Recht. Manchmal, dachte Itachi, wäre ein Leben ohne Sprache die beste Lösung. Niemand könnte einem anderen mit Worten schmerzen, niemand könnte heucheln, lügen oder schreien. Kein Mensch war mehr Rechenschaft schuldig und niemand musste Gespräche führen. Dass es dann auch keine Liebeserklärungen, keine Literatur, keine Versprechen und Gelübde, keine Reden dem Friede zugunsten und auch keine gesprochenen und gesungenen Lieder und Gebete mehr gab, würde Itachi in Kauf nehmen. Denn er war gut darin, Dinge aufzugeben, die er vielleicht sogar einst geliebt oder bewundert hatte. Itachi trank einen Schluck des schwarzen, heißen Kaffees und blieb gegen die Küchenzeile gelehnt stehen. Das Fenster stand auf Kipp und kühle Morgenluft erfrischte den Raum. Sie hatten keinen heißen Sommer, aber das war Itachi gleich. Die Sonne schien dennoch hin und wieder und manchmal mochte er selbst die nicht leiden. Er seufzte. Seine Gedanken gefielen ihm nicht. Dass er solchen Stuss dachte, war in den letzten Jahren sehr zurückgegangen. Er hatte gelernt sich unter Kontrolle zu halten. Sich von der Küchenzeile abstoßend ging er mit der Kaffeetasse in der Hand ins Wohnzimmer. Sein Blick fiel zuerst auf den Esstisch. Dort stand ein leeres Wasserglas. Der Raum war in ein Dämmerlicht getunkt, das einer kleinen Lampe in der Ecke des Raumes entsprang. So sah Itachi auch die weißen Blätter die auf dem Tisch lagen. Der Uchiha ging näher, schob den Stuhl ein Stück zurück und setzte sich. Er griff nach dem obersten Blatt. In kleinen Druckbuchstaben waren die Lösungen abgeschrieben. Itachi überflog sie und runzelte die Stirn, als es nach Aufgabe acht nicht mehr weiterging. Er durchsuchte den kleinen Stapel an Blättern, doch er fand keins mehr, dass den nächsten Teil der Berichtigung enthielt. Und auch dass die Schrift von Aufgabe zu Aufgabe krakeliger geworden war, gefiel Itachi nicht. Er legte Wert auf Ordnung. Nicht nur in der Schrift. Mit einem leisen, brummigen Seufzen legte Itachi das Papier zurück auf den Tisch und lies seinen Blick durch den Raum schweifen. Am Sofa blieb er hängen. Zuvor hatte er gar nicht realisiert gehabt, dass der Bengel dort lag und schlief. Er dachte schlicht, Kakashi hätte gestern Abend vergessen, das Licht zu löschen. Das konnte nicht wahr sein! Nicht nur dass der Bengel seine Aufgabe nicht erledigt hatte - Nein, er besetzte nun auch noch die Couch. Itachi stellte ihm ein Zimmer zur Verfügung. Es konnte nicht zu viel verlangt sein, die paar Schritte vom Wohnzimmer bis zum Gästezimmer zu gehen. Es war nicht nur so, dass Itachi darauf bestand, dass der Sklave im Gästezimmer schlief, damit er in aller Früh seine Ruhe hatte, wenn er sich durch den Rest der Wohnung bewegte. Das war ein Grund, aber viel wichtiger war die Tatsache, dass der Uchiha glaubte, der Bengel sei dreckig. Wahrscheinlich wusste der nicht mal, wie man sich richtig pflegte. Selbst das musste er ihm wahrscheinlich noch beibringen, wenn seine Lüge vor der Familie bestand haben sollte. Aber Itachi meinte auch noch das andere dreckig. Er meinte die Tatsache, dass er nicht wusste, inwieweit man den Bengel angefasst und für gewisse Zwecke missbraucht hatte. Er wollte es auch nicht wissen. Deswegen hatte er, bevor Hidan und er sich zum Haus der Schlange aufgemacht haben, das Bett frisch überzogen. Und gleichsam würde er, wenn er vom Haus seiner Eltern heimkäme und den Bengel fortgeschickt hatte, die Matratze samt Lacken, Federdecke, Kissen und Überzüge austauschen. Aber sei es drum. Schon allein weil seine Couch aus hochwertigem Leder gefertigt war, mochte Itachi es nicht, wenn jemand auf ihr schlief. Deswegen stellte er die Kaffeetasse beiseite, erhob sich und trat an das Ledersofa ran. Nur kurz lag sein Blick auf dem Sklaven. Er sah das blasse Gesicht und die kleinen Schatten unter den Augen. Die Hand die er ausgestreckt hatte, um den anderen unsanft wachzurütteln, hielt inner. Das war doch unlustig hier. Nur weil der Bengel schlecht im Gesicht aussah - die Blässe, die Schatten und die Pflaster - war er unfähig ihn zu wecken. Mit einem genervten Atemzug ließ Itachi sich nach hinten in den Sessel plumpsen. Seine Unterarme kamen auf den Armlehnen zum liegen, während sein Blick ungewollt an dem Sklaven auf seinem Sofa hängen blieb. Die rechte Hand lag unter dem Kissen, auf dem sein Kopf gebettet war. Die Linke umklammerte die beige Wolldecke, die über seinem Körper ausgebreitet war. Es sah aus, als fürchte er, man würde ihm sie von dort wegreißen. Er lag auf der Seite, ein verbundenes Knie blitze unter der Decke hervor. Itachis Stirn legte sich in Falten. Er hatte das gestern gar nicht sehen können. Der Bengel trug eine lange Stoffhose, die in der Nacht an dem einen Bein bis über das Knie hoch gerutscht war. Verbände an den Beinen waren nicht gut, wenn sie zur Hochzeit flogen. Sie könnten gesehen werden, schließlich war es möglich, dass Sasuke in Spanien - da wo die Uchihas ein Haus hatten - kurze Hosen trug. Die Uchihas und die anderen Gäste würden Fragen stellen. Das wäre alles andere als förderlich für Itachis Plan. Deswegen entschied er, die Knie des Sklaven zu schonen. Er würde ihn nicht unnötig knien lassen, bis die Wunden abgeheilt waren und dann auch keine stundenlang mehr. Er begann zu begreifen, dass für seinen Plan ein Sklave bereit sein musste, der keine Wunden am Körper besaß. Denn nur so konnte niemand Fragen stellen. Das bedeutete aber nicht, dass Itachi von seinem Zeitplan abgehen würde. Er hatte das alles nicht umsonst durchgeplant. Er würde die Sache durchziehen, auch wenn er jetzt schon nicht mehr wusste, ob Hidans Idee wirklich die Beste gewesen war. Außerdem, und das schwor er sich, würde er keinesfalls damit beginnen den Sklaven als einen Menschen zu sehen. Er würde selbst schauspielern müssen. Er würde so tun als sei der Bengel ein Mensch für ihn - ein sehr bedeutender obendrein, aber das war auch schon alles. Itachi stieß ein raues Lachen aus. Dennoch - trotz alledem - konnte er den Bengel einfach nicht wecken. Er fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht. Was war nur los mit ihm?! Als Itachi dann nach einer Weile aufstand, betrat Kakashi den Raum und konnte nicht anders, als den Kopf zu schütteln. Es war nicht so, dass er auch nur eine Sekunde daran gedacht hatte, Itachi könnte seine Einstellung über Nacht geändert haben, aber er hatte nicht damit gerechnet, dass er Sasuke schon vor Itachi beschützen musste, bevor er sich einen ersten Schluck Kaffee genehmigen konnte. Kakashi seufzte. Es war Samstagmorgen. Unter normalen Umständen würde sein Geliebter nun friedlich in seinen Armen liegen. Sie würden noch eine Stunde dösen oder manchmal auch etwas länger und dann würden sie gemeinsam frühstücken und vielleicht, wenn keiner von ihnen zuviel Arbeit Zuhause zu erledigen hatte, unternahmen sie etwas. Spaziergänge, Bummeln in der Stadt, Kinobesuche, manchmal sogar ein Konzert oder sie gingen abends essen oder mit Freunden in Clubs feiern. Doch die vergangene Nacht hatte er nicht daheim bei seinem Partner verbracht, sondern auf der Couch in Itachis Büro. Er hatte es wegen Sasuke getan und mehr als ein kurzes Gespräch letzten Abend hatte er nicht mit Iruka führen können. Er hoffte gleich Zeit zu finden, für eine Weile heim zu fahren. Er brauchte auch ein paar frische Klamotten, entschied er. Vor allem dann, wenn er noch ein paar Nächte in Itachis Wohnung verbringen wollte. Doch noch schien es nicht so, als bestehe die Chance, dass er in Ruhe nach Hause fahren konnte, denn Itachi stand vor dem Sofa und war anscheinend kurz davor gewesen den Jungen zu wecken. Er machte zwar jetzt, wo Kakashi im Raum war, keine Anstalten dazu, aber warum sonst sollte er dort stehen? „Lass ihn schlafen", brummte Kakashi unwillig. Unwillig dazu, sich mit Itachi auseinanderzusetzen. Er verstand nicht, was so schwer daran war, einen unnützen Zeitplan ein wenig umzukrempeln. Kakashi verlangte ja nicht von Itachi, dass dieser ihn ganz über den Haufen warf. Lediglich ein paar Freiheiten in der Einhaltung des selbigen sollte er Sasuke und sich einräumen. „Ich hatte nichts anderes vor", drang Itachis Stimme an Kakashis Ohr. Verwundert und mit einem Zweifeln beobachtete der Hatake seinen Kumpel dabei, wie er vom Sofa weg schritt und sich am Esstisch niederließ, wo dessen Kaffeetasse stand. Kakashi entschloss sich selbst auch einen Kaffee zu besorgen, jetzt wo Itachi saß und nicht den Anschein machte, den Jungen zu wecken. Er hätte sich von ihm dabei nicht stören lassen, also musste er wohl wirklich der Ansicht sein, dass Sasuke schlafen sollte. So sah Kakashi die Möglichkeit sich in Ruhe einen Kaffee aufzubrühen, bevor er sich mit Itachi auseinandersetzte. In der Küche wartete der Hatake darauf, dass die Hightech-Kaffeemaschine des Uchihas seine Tasse fühlte, ehe er sich mit dieser wieder auf ins Wohnzimmer machte. Itachi saß immer noch an dem Tisch und Sasuke schlummerte friedlich auf dem Sofa. Kakashi hoffte, dass es ihm gut tat. „So wie es im Moment läuft", sagte der Hatake klar heraus, während er sich ebenfalls auf einem Stuhl niederließ, „werde ich dich und den Jungen nicht allein hier lassen. Ich werde bleiben und nach euch schauen." „Falls du es noch nicht realisiert hast, Kakashi: Ich bin erwachsen", brummte Itachi mit Unmut in der Stimme. „Das spielt keine Rolle." Auch wenn Kakashi den Standpunkt seines Freundes durchaus verstand, änderte es nichts an seinem. Er würde bleiben, um nach Sasuke zu sehen, denn Sasuke brauchte jemanden der dies tat. Er brauchte einen Menschen, der sich sorgte und kümmerte. Solange Itachi dazu nicht im Stande war, würde er derjenige sein. Er konnte nicht zulassen, dass es dem Jungen schlecht ging. Das hatte er nicht verdient. Er trug keine Schuld. An nichts von alledem. Kakashi würde deswegen dafür sorgen, dass er auch nicht unter all diesen Dingen zu leiden hatte. Und er würde auch bleiben um auf Itachi achtzugeben. „Ich muss gleich ein paar Sache bei mir besorgen. Ich könnte warten, bis Sasuke wach ist und ihn mitnehmen, aber das ist alles andere als gut für seine jetzige Verfassung. Deswegen wäre es besser, er bleibt hier und ich fahre jetzt. Aber wenn er wach wird, muss ich mir sicher sein können, dass du ihm was zutrinken gibst und ihn nicht knien lässt." Kakashi wünschte er müsse solche Sachen gar nicht sagen, aber er glaubte nicht drum herum zu kommen. Er musste sich sicher sein, dass Itachi Sasuke kein Leid zufügte. Kakashi wollte dem Uchiha nichts Böses. Im Gegenteil: hier ging es nicht nur um Sasuke. Es ging um beide. Für beide fühlte Kakashi sich verpflichtet, obwohl er wusste, dass es in Wirklichkeit in keinem diese Fälle an dem war. Itachi war ein erwachsener Mann, wie er gesagt hatte und keiner war mehr in diesem Sinne für ihn verantwortlich. Und Sasuke existierte vielleicht vor dem Staat gar nicht. Er war einer der Namenlosen. Wahrscheinlich hatte er einst existiert; in einem Waisenhaus und vielleicht gab es sogar ein anonymes Grab für ein Kind dessen Leichnam nie gefunden wurde, weil es keine Leiche gab, denn dieses Kind war in Gefangenschaft groß geworden. Vielleicht aber existierte Sasuke doch und es scherte sich schlicht niemand drum, weil seit Jahren eine Vermisstenanzeige in den Untiefen der Computer der Polizeibehörden verrottete. Doch ganz egal, ob Itachi vor dem Staat als Erwachsener galt oder nicht und ganz egal, ob Sasuke vor dem Staat existierte oder nicht, Kakashi sah sich in der Pflicht auf beide achtzugeben. „Ich brauche keine Anweisungen von dir", brummte Itachi, trank einen Schluck seines lauwarme Kaffees und verschränkte die Arme vor dem Brustkorb. „Vielleicht willst du keine", sagte Kakashi schlicht, „aber momentan, fürchte ich, brauchst du im Umgang mit Sasuke welche." „Spiel dich nicht so auf, Blödmann", sagte Itachi lapidar, aber mit einem gewissen Unterton in der Stimme, den Kakashi nicht zuordnen konnte. Aber er nahm ihn nicht als etwas negatives wahr. Er war ihm auch nicht böse für diese Bezeichnung als Blödmann. Kakashi erinnerte sich an einen fünf- oder sechsjährigen Itachi, der kein anderes Schimpfwort als Blödmann gekannt hatte und daher seine beiden älteren Brüder und ihn, als solche titulierte. Immer dann, wenn sie ihn gefoppt oder geärgert hatten. Oder, schoss es Kakashi dann durch den Kopf, wenn sie sich aufgespielt hatten, weil sie älter waren. Ohne dass er es wollte, schlich sich ein Lächeln auf seine Lippen. Damals, erinnerte er sich, hatten Obito, Shisui und er Itachi Knirps genannt. Es war ein raues Husten und das Rascheln einer Wolldecke, die Kakashis Aufmerksamkeit auf Sasuke lenkte. Der Junge war aufgewacht und saß nun aufrecht auf dem Sofa. Die Decke war ihm auf den Schoß gerutscht und sein Blick wirkte unsicher. Er wusste sicherlich nicht, wie er jetzt zu reagieren hatte. Er durfte wahrscheinlich nicht ohne Erlaubnis aufstehen, aber gleichsam war er in dem Glauben aufgewachsen, dass es ihm verboten war, auf Möbelstücken zu sitzen, wenn es nicht der eindeutige Befehl seines Herrn war. Kakashi brauchte einen Moment für sich, weswegen er entschied, dem Jungen ein Glas Wasser in der Küche zu besorgen. Das würde gegen das raue Husten helfen. Sasuke hörte die Schritte Kakashis auf dem Holzboden des Raumes und sah aus dem Augenwinkel, wie dieser den Raum verließ. Nach dem gestrigen Tag und dem ganzen Handeln des Mannes bisher hatte Sasuke gehofft, er würde ihm sagen, was er nun zu tun hatte. Aber nicht ein Wort hatte er an ihn gerichtet. Deswegen durchfuhr Sasuke augenblicklich die Furcht, etwas falsch gemacht zu haben. Er wagte nicht aufzublicken, um zu schauen, ob auch die Miene seines Herrn Unzufriedenheit widerspiegelte. Sasuke schlug die Decke vorsichtig beiseite und bewegte die Beine so, dass er unter seinen nackten Füßen den kühlen Holzboden spürte. Er erhob sich und sank direkt vor dem Sofa auf die Knie, was einen heißen Schmerz durch diese jagte. Unkontrolliert zuckte er zusammen und krümmte sich ein wenig, ehe er sich wieder fing und mit versucht beherrschter Miene in seiner Position verharrte. „Du musst nicht knien", drang die Stimme seines Herrn an sein Ohr. Sie wirkte nicht besorgt. Aber auch nicht erbost. Sie wirkte gefasst. „Setz dich hin." Artig leistete Sasuke Folge und glitt von seiner knienden Haltung in eine sitzende auf dem Boden. Im Rücken spürte er die Couch, gegen die er beinahe lehnte. Er war seinem Herrn sehr dankbar, dass er sitzen durfte. Doch traute er sich nicht, seinen Dank zu äußern. Itachi zuckte nur mit den Schultern. Er hatte eigentlich gewollt, dass der Bengel sich zurück auf das Ledersofa setzte, aber wenn er nicht verstand oder nicht wollte, war es ihm gleich. Sollte er doch auf dem Boden hocken bleiben. Gerade als Itachi seinen letzten Schluck lauwarmen Kaffee trank, betrat Kakashi wieder das Wohnzimmer. Er hockte sich vor Sasuke nieder und hielt ihm ein Glas gefüllt mit Wasser entgegen. „Guten Morgen", sagte Kakashi, gab Sasuke das Wasser und bedeutete ihm zu trinken. „Wie geht es deinem Rücken und den Knien?", fragte er nach einer Weile, in der er Sasuke aus dem Augenwinkel beim Trinken beobachtete hatte. Der Junge führte das halbleere Glas von seinen Lippen weg und antwortete ehrlich: „Besser, Sir. Aber meine Knie schmerzen, wenn ich sie belaste." „Dann wäre es besser du belastet sie in den nächsten Tagen nicht. Das heißt: kein Knien, verstanden?" „Ja, Sir." Sasuke trank noch einen Schluck. Er war mit Durst und einer trockenen Kehle wach geworden und das Wasser wirkte gegen beides. Dementsprechend schnell war das Glas gelehrt und Kakashi nahm es ihm wieder aus den Händen. „Setz dich doch an den Tisch. Ich werde für Frühstück sorgen." Erneut leistete Sasuke artig Folge. Er erhob sich, ohne sich auf den Knien abzustützen oder seinen Rücken schmerzhaft zu krümmen. Das Abwenden von Schmerzen, wann immer es möglich war, war eines der Dinge, die er verinnerlicht hatte. Denn wer mit Schmerzen und bösen Worten groß wurde, lernte sich vor beidem so zu fürchten, dass er sie umgehen wollte, wenn es in seiner Macht stand. Das Erste was Sasuke sah, als er sich scheu an den Tisch gesetzt hatte, waren die Arbeitsblätter des vergangenen Abends. Seine Berichtung! Er hatte sie nicht mehr fertig bekommen gestern, weil ihn die Müdigkeit eingeholt und in die Untiefen des Schlafes gezogen hatte. Shit!, schoss ihm durch den Kopf. Furcht durchzog seinen Körper. Seine Hände begannen zu zittern und er wagte nicht mal um Entschuldigung oder Strafe zu bitten, für sein Versagen. Ja, würde er den Mut finden, würde er um Strafe bitten, weil er es so gelernt hatte. Aber er konnte nicht. Sasuke verabscheute Schmerzen und er verabscheute Strafen jeder Art, denn sie bewiesen, dass er nichts anderes als ein wertloser Sklave war. Er war Nichts. Er hatte zu gehorchen, ansonsten zog es Konsequenzen mit sich. Aber er hatte nicht gehorcht. Sasuke spürte die Schauer die ihm über den Rücken fuhr. Er spannte den Kiefer an, um nicht zu heulen. Er hasste das. Wenn die Verzweiflung Macht über ihn ergriff, begannen seine Augen zu tränen. Er wollte das nicht, aber er konnte sich nicht dagegen wehren. Doch hier, jetzt, würde er nicht heulen. Er würde da drüber stehen. Sasuke entschloss sich dazu, ein Mann zu sein, wenn er schon kein freier Mensch war. Und als Mann blieb ihm nichts anderes übrig, als still zu bleiben und seinen Kiefer weiterhin anzuspannen um nicht zu heulen. Kakashi kam beladen mit einem Tablett voller Frühstückutensilien ins Wohnzimmer zurück. Er räumte das Tablett ab, verschwand noch mal in die Küche, wo er es wieder fühlte und kam zurück um auch den Rest – Tassen, Gläser, die Kaffeekanne, Saft, Brettchen und Messer – auf den Tisch zu stellen, bevor er sich an einen der drei gedeckten Plätze setzte. Sein Blick lag eine Weile auf Itachi. Er hoffte, dass sie in Frieden frühstücken konnte. Einen Moment später glitt Kakashis Blick weiter zu Sasuke und er erschrak innerlich. Sasuke wirkte verängstigt auf ihn und er wirkte verschlossen. Binnen Minuten schien Sasuke einen Damm um sich errichtet zu haben, der zwar nicht so dick und nicht so stabil war, wie Itachis jahrelang erbaute Mauer, aber sicherlich aus einem ebenso großen Schmerz entstand. Doch was war es nur, was ihn genau in diesem Moment so reagieren ließ? Kakashi war zuvor keine Art imaginären Schutzwall um den jungen Sklaven herum aufgefallen. Warum jetzt? Er hatte, durch die langen Jahre der sonderbaren Freundschaft zu Itachi, ein Gespür für jegliche Art solcher Mauern entwickelt. Sasuke wäre ihm aufgefallen. Sie fiel ihm nun auf, weil er sie erst gerade errichtet hatte. Sie war noch dünn, beinahe durchsichtig und deswegen konnte Kakashi seine Ängste lesen. Die Ängste die das Material für Sasukes Schutzdamm waren. Kakashis richtete den Blick auf die unvollständige Berichtung, die er auf Seite geräumt hatte, als Sasuke eingeschlafen war. Sie lag genau im Blickfeld Sasukes und Kakashi wusste ganz genau, dass es die Angst vor einer Strafe war, die ihn dazu antrieb, einen Schutz um sich herum aufzubauen. Aber Kakashi würde keine Strafe zulassen. Nicht, nachdem er die Angst Sasukes wahrnahm. Sein Augenmerk richtete sich wieder auf den jungen Mann zu seiner rechten, der vom Stuhl geglitten war und nur einen Moment davor war, vor Itachi auf die Knie zu gehen und um Vergebung zu betteln. Kakashi sah die Szene vor seinem inneren Auge und er wollte sie unbedingt verhindern. „Hey, stopp okay. Sasuke, es ist schon in Ordnung. Setz dich auf den Stuhl bitte“, sagte er ungeschickte. Er merkte, dass auch er sich halb von seinem Sitzplatz erhoben hatte. Während er sich wieder zurück auf seinen Hintern fallen lies, verharrte Sasuke in seiner Position. Er konnte sich nicht einfach setzten, wo er den Befehl seines Herrn gestern Nacht missachtet hatte. Das würde doch nur noch mehr Strafe mit sich ziehen. Er hoffte, um Vergebung zu bitten würde seinen Herrn in sofern erweichen, dass er erklären konnte, warum er es nicht geschafft hatte, dem Befehl Folge zu leisten. Sasuke wusste, dass seine Hoffnungen beinahe aussichtslos waren. Er hatte schon so oft von den älteren Sklaven gehört, dass Sklaven selten gerecht behandelt wurden und nie die Möglichkeit hatten, ihr Missverhalten zu erklären. Aber gleichzeitig wusste er, dass Kakashi ihm zuhörte, wenn er seinen Ungehorsam erklären wollte. Deswegen blieb er an seinem Platz stehen, glitt nicht auf die Knie, richtete seinen Blick aber zu Boden und sagte leise: „Sir, bitte erlaubt mir zu knien. Ich möchte um Vergebung bitten.“ Sasuke wusste, dass seine Formulierung unglücklich gewählt war. Ein Sklave hatte nichts zu wollen, selbst dann nicht, wenn er es mit dem höflicheren Wort ‚möchten’ titulierte. Dennoch wagte er einen Seitenblick zu Kakashi um ihm zu bedeuten, dass er gemeint war; dass er ihn um Erlaubnis bat. Kakashi seufzte und schüttelte den Kopf. Beständig sagte er: „Bitte setz dich zurück auf deinen Platz.“ Dieses Mal leistete Sasuke Folge. Kakashi wusste, dass er unfähig war zweimal dem gleiche Befehl zu trotzen. Kakashi hatte keine Zeit den nun sitzenden Sasuke zu beobachten oder gar ein weiteres Wort an ihn zu richten, denn er sah aus dem Augenwinkel Itachis Hand, die nach der Berichtigung griff und sie unachtsam anhob und festhielt. Doch es dauerte nicht lange – keine zehn Sekunden – bis Itachi seinen Stuhl lautstark zurückschob, aufstand und mit langen Schritten und den Blättern in der rechten Hand, aus dem Wohnzimmer verschwand. Kakashi blickte ihm nach. Er sah ihn durch den Flur gehen, zu seinem Arbeitszimmer, die Tür aufmachen, in dem Raum verschwinden und dann ging die Tür zu und Itachi war fort. Kakashi atmete einmal tief durch, wandte sich dann aber wieder Sasuke zu. Würde der Junge ihn ansehen, anstatt den Blick zu senken, hätte der Hatake sich überwunden ein Lächeln auf seine müden Lippen zu zaubern, aber das wäre Verschwendung gewesen, denn noch traute der Junge sich nicht in direkt anzusehen. Es war traurig, stellte Kakashi fest. Er saß hier mit einem achtzehnjährigen Jungen am Tisch. Einem Jungen, der nicht hier sein sollte. Er sollte Eltern haben, die sich sorgen und kümmerten, die liebten und mit denen er hin und wieder streiten konnte. Vielleicht Brüder und Schwestern, einen Hund oder Fische im Gartenteich. Er sollte gute Freunde haben und eine Freundin, die er gern hatte. Sollte zur Schule gehen und nächstes Jahr sein Abitur machen, sollte überlegen, ob er studieren wollte, oder mal ins Ausland oder arbeiten. Sasuke sollte einen Hinternamen haben, ein Zimmer, ein Leben voller guter Erinnerungen, ein Handy, eine bestandene Führerscheinprüfung in der Tasche, Facebook, einen alten Teddybären und eine Seele die heil war. OO OO OO OO OO OO OO OO Sasuke folgte Kakashi in einem halben Meter Abstand die Treppe zur Eingangstür hinauf, durch die Haustur des Mehrfamilienhauses und durch die Tür im Flur des Erdgeschosses, die zur Parterrewohnung des Mannes führte. In der Diele gab es neben der Tür, die Kakashi schloss, vier weitere. Zwei davon standen offen. Eine führte in eine geräumige, helle Küche, die andere in ein gemütliches Wohnzimmer mit riesiger Sofalandschaft, Schreibtischen und gigantischen, weißen Bücherregalen. Sasuke erlaubte sich nur einen kurzen Blick, ehe er zurück zu Boden schaute. Er glaubte nicht, dass es gut war, hier zu sein. Kakashi hatte seinem Herrn nicht davon in Kenntnis gesetzt, dass er ihn mitnahm. Er hatte ihn ins Bad geschickt, ihm schlicht Kleidung rausgelegt und ihn dann mitgenommen. Aber Kakashi hatte ihm auch genug erklärt, sodass er sich nicht sorgen musste. Er wurde nicht fortgebracht oder weggeschafft. Er hatte nichts getan, was dazu geführt hätte. Kakashi nahm ihn schlicht mit zu sich nach Hause, weil er einige Dinge holen musste und ihn nicht bei Itachi zurücklassen wollte. Er war wieder ehrlich zu ihm und äußerte seine Sorgen, ohne Sasuke Angst einzujagen. Das war eine Eigenschaft für die Sasuke dankbar war. Sasuke spürte eine Hand an seiner Schulter die ihn in Richtung Wohnzimmer dirigierte. In einem Sessel, den Sasuke vom Flur aus nicht gesehen hatte, saß ein Mann. Er las, aber als Kakashi den Raum betrat, blickte er auf und schaute seinen Lebensgefährten und den Gast an. Mit einem Lächeln auf den Lippen legte er das Buch beiseite, stand auf und ging zu seinem Geliebten. Er küsste ihn kurz auf den Mund, löste sich wieder, aber lächeln tat er immer noch. Sein Blick lag auf Sasuke, aber das bemerkte der zu Boden schauende Junge nicht. Sasuke fühlte sich von einer Sekunde zur anderen nur durch die Anwesenheit des fremden Mannes sehr unsicher. Er war gerade soweit, dass er keine ständige Angst hatte, Kakashi könne ihm wehtun. Nein, es war noch lange keine Form von Vertrauen. Eigentlich vertraute Sasuke nur einem Menschen auf dieser Welt, aber von diesem war er schon eine lange Zeit getrennt. Er wusste nicht mal, ob dieser Mensch noch lebte aber er hoffte es so sehr. Hoffte, dass es irgendwo einen guten Herrn für die Frau gab, die am meisten Familie bedeutete. Sasuke biss sich auf die Innenseite der Wange um mit dem leicht stechenden Schmerz die Gedanke an sie zu verdrängen. Weil er sie vermisste. Und weil genau das so wehtat. Sasuke setzte sich unsicher auf das dunkle Stoffsofa, als Kakashi es ihm befahl. Er konnte nichts dagegen unternehmen, dass er wieder in seine eigene kleine Welt glitt. An manchen Tagen, in manchen Momenten war das eben so. Dann zwang sein Körper ihn dazu, die Welt um ihn herum nicht mehr zu beachten. In dem winzigen Kosmos, das sein Unterbewusstsein sich gebaut hatte, erlebte er als Kind große Abenteuer an der frischen Luft, weil es für Kinder wie ihn – Sklavenkinder – keine wirklichen Abenteuer an der frischen Luft gab. Als Jugendlicher träumte er vom frei sein, aber mehr und mehr schränkte man ihn ein. Wo er vorher oben bei den Frauen gelebt hatte, war er nun in dem riesigen Keller und kam sich mehr und mehr wie ein Sklave vor. Vorher hatte er lernen können und er hatte einen Menschen gehabt, der sich um ihn gesorgt und ihn vielleicht sogar geliebt hatte. Unten im Keller hatte er die Panik kennen gelernt. Vorher gab es Angst und Furcht in seinem Leben, aber als er das erste Mal in seinem Leben mehrere Tage zur Strafe in einer ziemlich düsteren, stickigen und gleichzeitig feuchten Zelle eingesperrt war, ergriff die Panik besitzt von ihm. Mit einem inneren Gefühl von Hilflosigkeit erinnerte er sich daran, wie er sich heulend zu einem Ball zusammengerollt hatte, nur um immer wieder nach Luft japsend aus seiner Position aufzuspringen. Er hatte das Gefühl zu sterben in dieser Zelle. Aber erst als er begonnen hatte zu hyperventilieren hatte man ihn daraus geholt, von den Frauen behandeln und beruhigen lassen und ihn dann in einer normale Zelle gesteckt. Von da an hatte es andere Strafen gegeben, denn sobald er diese eine Zelle wieder sah, löste es die blanke Panik bei ihm aus. Es war eine echt und keine gestellte Panik und die Aufseher wussten, dass eine solche Art der Panik zum Tode führen konnte. Tode Sklaven aber brachten niemandem was. Sie bedeuteten nur einen Kapitalverlust. Kakashi bemerkte nicht, dass Sasuke in seine eigene Welt versunken war, aber er brachte es nicht über sich seinen Lebensgefährten und Sasuke miteinander bekannt zu machen. Deswegen verließ er den Raum und hoffte, dass Iruka ihm folgte, was dieser auch tat. Er folgte ihm bis ins Schlafzimmer und beobachtete seinen Freund dabei, wie er ein paar Klamotten in eine Reisetasche packte. „Du hättest uns vorstellen können“, warf der dunkelhaarige Lehrer ein. „Ja.“ „Ich hab kein Problem mit ihm.“ „Das weiß ich.“ Kakashi wusste aber auch, dass Iruka es nicht guthieß, was Itachi getan hatte. Iruka wusste lange Zeit nichts davon, dass Konan eine Sklavin war. Sie hatten es viele Monate vor ihm verschwiegen und sie hätten es noch länger getan, wenn Hidan nicht bei einem gemeinsamen Abend bei Itachi die Nerven verloren und Konan beschimpft und geschlagen hätte. Kakashi hatte den Schock in Irukas Augen gelesen. Während der Hatake damals wünscht, all dies aus dem Gedächtnis seines Geliebten löschen zu können – weil Iruka so was gar nicht in seiner Welt haben sollte – war dieser kurz davor, alles stehen und liegen zu lassen und zur Polizei zu gehen. Kakashi war nicht im Stande gewesen, ihn davon abzuhalten, aber Iruka war nicht gegangen. Er wusste, dass Kakashi, sollte er zur Polizei gehen, nicht ohne eine Anklage davon kommen würde, denn er war von Anfang an Mitwissender. Doch Iruka liebte Kakashi zu sehr. Er hatte es nicht gekonnt und auch nun konnte er es nicht, auch wenn er die Tatsache, dass es Sklaven gab nicht ausstehen konnte. Er war ein Glückskind, mochte man sagen. Ein Mann, der als Kind in den Genuss kommen durfte, in einem guten Elternhaus großzuwerden, mit Freunden, Hobbys und einer ausgezeichneten Schulbildung. Und mit wundervollen Sommerferien. Kakashi seufzte. All das kam ihm in den Sinn, als er packte und Iruka hinter ihm auf dem Bett sitzen wusste. „Hat er ihm wehgetan?“, wollte der junge Lehrer wissen und fixierte seinen Freund. Der fuhr sich durch die Haare. Er konnte weder ja noch nein sagen. Offensichtlich waren die Pflaster im Gesicht des Jungen, doch das war nicht Itachi gewesene. Aber weh getan hatte er ihm trotzdem. Indem er ihn so lange knien ließ, Sasuke nicht den Nöten seines Körpers folgen durfte und indem Itachi ihn so behandelte, wie er es tat. Aber er wollte mit Iruka gar nicht über all das sprechen. Er hatte Sasuke gar nicht mit her nehmen wollen. Iruka sollte ihn nicht so verstört und ängstlich und unsicher sehen. Am liebsten wollte Kakashi sein Leben vor Iruka und alles was damit zusammenhing – sogar Itachi – vollkommen von seinem Leben mit Iruka fernhalten. Aber das ging nicht. Alles was vor ihm war, war dass, was Kakashi ausmachte. „Es ist schwierig. Ich mag die beiden nicht allein lassen.“ „Das ist okay.“ „Ist es nicht. Aber es geht nicht anders“, sagte Kakashi, zog den Reißverschluss der Reisetasche zu und wandte sich seinem Freund zu. „Tut mir Leid, `Ruka.“ Kakashi hockte sich vor seinen Geliebten und legte ihm die Hände auf die Knie. Er blickte nach oben und sah das leichte Lächeln auf Irukas Lippen. Er wusste, dass er seinen Spitznamen mochte. „Ich mach’s wieder gut. Alles. Ich verspreche dir das.“ Iruka lächelte immer noch und nickte. Er liebte Kakashi. Das machte alles wieder gut. Er war ihm nicht böse, auch wenn er bei Weitem nicht wirklich verstand, was alles hinter Kakashi lag. Er hatte das akzeptiert, was er wusste, weil Kakashi zu erzählen bereit war und gleichsam akzeptierte er alles, was unter der Oberfläche lag. Nur so war diese Beziehung möglich und Iruka liebte Kakashi zu sehr um nicht alles zu versuchen, damit sie zusammen sein konnten. In einer vertrauten Geste stützte Iruka sich beim Aufstehen auf Kakashis Schulter ab. „Ich biete ihm was Zutrinken an.“ Kakashi nickte. Nur weil Sasuke war, was er eben war, vergaß Iruka nicht das was seine Eltern ihm als Höflichkeit beigebracht hatten. Biete deinen Gästen etwas Zutrinken an. Sie verließen ihr gemeinsames Schlafzimmer und während Kakashi ins Bad ging um die restlichen Sachen in die Reisetasche zu packen, ging Iruka ins Wohnzimmer. Sasuke saß mit gesenktem Blick auf der Couch. Er hatte sich nicht zurückgelehnt, sondern beanspruchte nur ein winziges Stück der großen Fläche. „Möchten Sie etwas trinken?“, fragte Iruka. Für ihn war dieser junge Mann eben genau dies: Ein junger Mann und solche siezte man, wenn man sie gerade erst kennen lernte. Iruka wollte ihm nicht das Gefühl geben, wertlos zu sein. Vielleicht siezte er ihn auch deswegen. Gleichzeitig sah Iruka aber auch, dass der dunkelhaarige sich nicht angesprochen fühlte. Er blickte nicht mal auf, zuckte lediglich zusammen. Doch ehe Iruka erneut fragen konnte, stand Kakashi mit geschulterter Tasche neben ihm und schüttelte den Kopf. „Komm, Sasuke. Wir fahren wieder“, sagte er und augenblicklich erhob sich der Junge. Er trat vorsichtig, ohne auch nur ein Möbelstück zu streifen zu Kakashi und blieb einen halben Meter von ihm entfernt stehen. Kakashis Blick legte sich auf das Gesicht seines Lebensgefährten. Er hob die Hand, legte sie an Irukas Wange und fuhr mit dem Daumen fahrig über eben diese, ehe er sich zu ihm rüberbeugte, einen Arm um seine Schulter legte und ihm ins Ohr flüsterte, wie Leid es ihm tat. Er löste sich, küsste ihn zum Abschied und bedeutete Sasuke dann voran in den Hausflur zu gehen. Als Kakashi hinter sich die Wohnungstür zuzog, wusste er, dass Iruka ihm nicht böse war, aber er vermisste ihn jetzt schon. Am liebsten würde er wieder rein gehen und dort bleiben. Aber an seiner Seite stand Sasuke. So Leid es ihm tat, er konnte nicht so tun, als ginge ihn das alles nichts an. Er wünschte er könnte das. Könnte Sasuke zum Jugendamt oder sonst wohin bringen, wo man ihm ein offizielles und rechtes Leben errichtete und er wünschte sogar, er könnte Itachi hinter sich lassen, aber er konnte nicht. Er war gebunden. Für ein ganzes Leben lang. Damals, vor vielen, vielen Jahren, am Ende eines längst vergangenen Sommers hatte er diese Entscheidung binnen Sekunden getroffen. Sie war unwiderruflich. „Komm schon“, wiederholte er, wobei seine Stimme einen harschen Unterton bekam, und trat auf den Bürgersteig. Er öffnete Sasuke die Beifahrertür, bedeutete ihm einzusteigen und tat es selber auf der anderen Seite. Einen Moment blieb er so sitzen, drehte die Schlüssel nicht im Anlasser, sondern stützte die Ellbogen auf das Lenkrad. Aus dem Augenwinkel blickte er zur Sasuke. Der Junge hatte seine Arme um den Bauch geschlungen, sein Blick war zu Boden gesenkt und die Schultern hingen trostlos herab. „Was ist los?“, wollte er wissen. Seine Stimme war ruhig, verständnisvoll, aber sie war nicht wirklich sanft, stellte Kakashi fest. Dabei wollte er wirklich für Sasuke da sein. Er wollte ihm wirklich helfen. Wollte nicht so harsch sein, wie zuvor. Er wollte Sasuke nicht das Gefühl geben, etwas falsch gemacht zu haben, wenn es nicht an dem war. „Ich weiß nicht…“, murmelte Sasuke unsicher und mit einem traurigen Ton in der Stimme. Nun kam es Kakashi ganz so vor als umarme der Junge sich selber. Plötzlich wusste Kakashi genau, was los war und es war doch ganz natürlich, dass Sasuke sich so fühlte. Er war einsam und niemand konnte diese Einsamkeit in diesem Moment vertreiben. Auch er nicht. Aber er konnte es auch nicht an dem belassen. Sasuke tat ihm Leid. Er hatte das nicht verdient. Kakashi schloss die Augen, nur um sie sekundenspäter wieder zu öffnen. Wenn er schon nicht dazu bereit war, Sasuke Leiden zu beenden, indem er Itachi mit den Konsequenzen seines Handelns konfrontierte, musste er einfach alles tun, um Sasukes Zeit bei diesem so erträglich wie möglich zu gestalten. „Hör zu, Sasuke“, sagte Kakashi ruhig und blickte ihn aus dem Augenwinkel an. „Ich weiß nicht, ob du das weißt, aber in unserem Staat gilt man mit achtzehn Jahren als erwachsen. Als ein solcher möchte ich dich behandeln, deswegen bin ich ehrlich zu dir. Ich möchte auch dass du weißt, dass es mir Leid tut, wie ich gerade eben mit dir gesprochen hab. Aber ich will ehrlich mit dir sein. Ich hab erst vor zwei Tagen erfahren, dass Itachi diesen absurden Plan wirklich durchführen will.“ Kakashi schüttelte den Kopf. Er hatte einfach nicht geglaubt, dass der Uchiha das wirklich über sich brachte. „Ich meine den Plan, einen Sklaven, den er kauft, als seinen Lebenspartner auszugeben. Ich habe nichts gegen dich, Sasuke. Ich glaube trotzdem nicht, dass die ganze Sache klappt, wenn es so weiter geht wie bisher. Aber das ist nicht deine Schuld.“ Kakashis Stirn legte sich in Falten ohne dass er es merkte. „Es ist meine Schuld, wenn der Plan nicht klappt. Das wird der Beweis sein, dass ich weder in der Lage war Itachi zu schützen noch dich.“ Sie schwiegen. Kakashi wusste dem nichts mehr hinzuzufügen. Das waren die Worte, die er Sasuke einfach hatte sagen müssen. Er konnte nicht anders, als zu versuchen sich und sein Handeln zu erklären. Sasuke traute sich nicht zu sprechen. Kakashi hatte ihm einigen Stoff zum nachdenken gegeben. Schon allein der Fakt, dass er nicht nur Itachi beschützen wollte, sondern auch ihn. Kakashi war sich im Klaren, dass sie langsam zurück mussten, damit Itachi nicht wieder einen Anfall wegen seinem Zeitplan bekam. Also drehte er den Schlüssel im Anlasser, doch bevor er die Schaltung betätigte, aufs Gaspedal trat und ausparkte, griff er in seine Hosentasche und legte Sasuke sein Handy samt Kopfhörern in den Schoß. Kakashi blickte in den Rückspiegel und als er aus seiner Parklücke war, schaltete er erneut, ehe er gemächlich die Straße entlang fuhr. „Hör ruhig etwas Musik“, sagte der Hatake. Da das Menü schon auf Ipod stand, musste Sasuke nur auf Kakashis Anweißung hin den Knopf unter dem Bildschirm drücken, dann Play auf dem Touchscreen und sich die Kopfhörer in die Ohren stecken. Aus Vorsicht tat Sasuke aber wieder nur einen Ohrstöpsel ins Ohr. Er wollte nicht unaufmerksam sein. Es vergingen kaum ein paar Minuten, ehe Kakashi an der ersten roten Ampel hielt und einen Seitenblick zu Sasuke warf. Der Junge schaute auf den Bildschirm des Handys und schien ein neues Lied auszusuchen. „Es ist ziemlich schwer, sich für einen Titel zu entscheiden, wenn man die Sprache nicht versteht.“ Kakashi hatte fast nur englische Lieder auf seinem Handy. Er mochte deutsche Musik nicht gerne. Sasuke gab keine Reaktion von sich, aber das war schon in Ordnung, schließlich hatte Kakashi nichts gefragt und ihn auch nicht zum sprechen aufgefordert. Dennoch konnte der Hatake nicht aufhören, mit Sasuke zu sprechen, als die Ampel auf Grün schaltete und er wieder losfuhr. „Du kannst auch einfach auf eines klicken, hören und wenn es dir nicht gefällt, klickst du weiter.“ Kakashi achtete eine Weile auf die Straße. Dabei blieben seine Gedanken aber bei Sasuke. Wie wollte Itachi seinen Eltern nur erklären, dass der Junge, der Abitur oder mindestens ein Fachabitur über ein medienorientiertes Berufskolleg haben musste um in seiner Firma angestellt zu sein, kein Englisch sprach. Und so wie Itachi es in den Unterlagen stehen hatte, die er über Hidans Bekannte für Sasuke fälschen ließ, hatte der Junge ein Abitur mit einem ziemlich guten Schnitt. Also musste der Junge mindestens eine weitere Fremdsprache sprechen. Doch das tat Sasuke nicht. Dieser ganze Plan war zum Haare raufen! Kakashi wandte seinem Blick hin und wieder dem Jungen zu. Er konnte beobachten, wie dieser hin und wieder die Lieder wechselte, dann ein paar Sekunden hörte, manchmal länger und wieder wechselte, ehe er bei einem mehrere Minuten blieb und es sogar ein zweites Mal zu hören begang. Es war ein recht altes Lied von einer Lieblingsband Kakashis. „Home heißt übersetzt Heimat oder Zuhause“, warf der Hatake erklären ein, weil er dachte, es würde Sasuke vielleicht interessieren. Doch Sasukes Gesichtsausdruck blieb gleich. Er war kein schlechter Gesichtsausdruck, es war nur so, dass der Junge nicht wirklich reagierte, was Kakashi ein wenig enttäuschte. „Interessiert dich nicht wirklich, mh?“, hörte Kakashi sich selber fragen. Er wollte Sasuke kein schlechtes Gefühl geben, aber er konnte nicht aufhören mit ihm sprechen zu wollen. „Doch, Sir“, sagte Sasuke, weil ihm dieses Mal eine Frage gestellt wurde. „Was ist es dann?“ „Ich spreche Englisch, Sir“, sagte Sasuke leise und ohne jeden Funken Stolz in der Stimme. Kakashi war dennoch verwundert. Er hatte nicht geglaubt, dass Sasuke andere Sprachen beherrschte. Wobei das natürlich gut war. Es nahm Kakashi eine Sorge, auch wenn es eine der Kleineren war. Augenblicklich kam Kakashi aber in den Sinn, wie viel Wissen der Junge noch vor ihnen versteckte. Wissen ist Macht, sagte einst ein englischer Philosoph, dessen Namen Kakashi nicht mehr in den Sinn kam – er hatte in der Schule mal ein Referat über ihn halten müssen, dass wusste er noch. Aber auf eine Art und Weise stimmte das. Wissen war Macht. Wie viele Visionäre bauten ihre Visionen aus Wissen, weil sie sonst nur Illusionen wären? Hier, in Sasukes Fall, war es nur das beherrschen einer Sprache, aber waren Sprachen nicht auch Macht? Oder vielleicht war Macht sogar in beiden Fällen das falsche Wort, aber Kakashi fiel kein Besseres ein, obwohl es vielleicht eines der Schlechtesten war, denn Macht war selten gut. Einen Moment lang, als er an einer roten Ampel hielt, schloss Kakashi seine Lider und versuchte die Welt mit Sasukes Augen zu sehen. Nur einem Moment, zu mehr war er sowieso nicht im Stande. Es war unvorstellbar, die Welt überhaupt für ein paar Sekunden mit Sasukes Augen zu sehen, aber irgendwie schien es, als würde es ihm trotz allem gelingen. Sprache war nichts anderes als Worte. Und Worte waren gleichsam wunderschön und unberechenbar. Worte waren so vielfältig. Man konnte eine Sache mit tausenden Worten umschreiben. Worte waren heilig. Kakashi öffnete seine Augen. Und Worte – die Sprachen dieser Welt – bedeuteten Freiheit. Denn nur wer sich zu sprechen traute, konnte die Welt verändern, Mauern zu Fall bringen, Schlösser brechen, Brücken bauen, … OO step backward OO Er hatte gern über seine Träume gesprochen. Über die Bilder, die er in der Nacht vor seinen geschlossenen Augen sah. Und über seine Wünsche für die Zukunft. Es war gar nicht so lange her, da wollte er Arzt werden. Wollte Menschen gesund machen; Leben retten. Aber nun wusste er, dass all das vergeblich war. Er würde hier nie rauskommen. Immerzu sagten sie ihm das. Es war nutzlos zu hoffen. Er sollte nachgeben. Aufgeben. Seine Träume aufgeben. Das sagten sie nichts. Denn sie wussten nicht von seinen Träumen. Er sprach nicht mehr über sie. Aber er wusste, dass wenn er nachgab, dann gab er seine Träume auf und mit ihnen vielleicht alles was ihn ausmachte. So weit konnten Kinder denken. Oh, Kinder dachten in viel mehr Facetten als Erwachsene es taten. Das wusste er nicht. Aber jedes Kind spürte das. Und irgendwann vergaß es diese Tatsache, weil es erwachsen wurde. Hier waren Kinder keine Kinder und Kinder wurden auch nicht zu Erwachsenen, selbst wenn sie so lange überlebten, dass sie das richtige Alter erreichten. Hier, an solchen Orten, zu solchen Gegebenheiten waren sie Verlorene, Zurückgelassene, manchmal Vermisste. Sie blieben Menschen, obwohl sie in vielerlei Hinsicht Dinge verloren, die sie ausmachten. In solchen Situationen, an Orten wie diesem hier, passierte das. Doch all das wusste er nicht. Er lag hier, weinte und wollte fort, aber niemand kam um ihn zu holen, egal wie oft er von Menschen träumte, die genau das taten. Die kamen, ihn packten und fort brachten. An einen Ort, der sicher und warm und voller Liebe war. __________________________________________________ Leute, es tut mir so Leid. Ich hab annähernd ewig gebraucht mit dem neuen Kapitel, aber die Schule hat wieder angefangen und ich fürchte schon allein das Wissen jetzt auf dem Gymi und nicht mehr auf der Realschule zu sein, macht alles viel härter :D Dann hab ich jetzt auch länger Schule und mehr Hausaufgaben. Und, Schande über mich, hat mich Navy CIS L.A in seinen Bann gezogen und mich zusätzlich vom Schreiben abgehalten. Dann wollte ich mich letztes Wochenende an das Kapitel setzten und was ist, kurz nachdem ich meinen Laptop anmache? Ich hab einen Virus drauf… Super, sag ich euch… aber jetzt hab ich meinen Laptop zurück und endlich gibt es ein neues Kapitel. Für die, die es interessiert: Ich versuche auch mit dem Catch-Kapitel mir nicht mehr zu viel Zeit zu lassen, aber insgesamt wird die Zeitspanne zwischen dem Hochladen jetzt länger werden. Liebe Grüße Jessi :) ____________________________________________________ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)