Die Chroniken von Khad-Arza - Das Imperium der schwarzen Sonne von Linchan (Zweites Buch) ================================================================================ Kapitel 17: Das Mädchen des Seelenfängers ----------------------------------------- Das Tal in Suyuhhr war riesig. Es war unglaublich viel größer als Ahrgul und weit entfernt von allen Gletschern, wie es schien. Und als der Kälbermond anbrach, beherbergte das große Tal zwischen den beiden großen Gebirgsketten zwei große Lager der Menschen, die hier ums Überleben kämpften; das Lager des Imperiums, Senjo und Alymja, das von Kaiser Igrajyo Zhunkan beaufsichtigt und geführt wurde, und das kleinere Lager der tharranischen Allianz von Janami, Kisara, Intario und Tejal... und noch einer ganzen Reihe von anderen Flüchtlingen, die vorher abtrünnig gewesen waren und sich jetzt eher dem Gemeinschaftslager der Tharraner anschlossen als dem des blutrünstigen Kaisers. Auch Zuyyaner waren dabei... Gegner des Imperators, Untergrundorganisationen und Rebellen, die ihr Leben dem Sturz des Kaiserreichs gewidmet hatten. Chenoa war zufrieden mit dem Lauf der Dinge, als sie auf einer Anhöhe nördlich des tharranischen Lagers stand und das Treiben beobachtete, wie die Menschen ihre Behausungen errichteten und sich zusammenfanden. Sie hatten einen großzügig bemessenen Zaun um das Lager erbaut zum Schutz vor Raubtieren... und vor den Attentätern des Kaisers, die garantiert mit der Zeit kommen würden. So, wie die Frau den Kerl kannte, würde er diesen Verrat nicht auf sich sitzen lassen, dafür war er zu stolz. Der Imperator war es aber eigentlich nicht, der ihr Sorgen machte... mehr besorgen tat sie Ulan Manha, von dem jede Spur fehlte, seit Ahrgul den wandernden Bergen zum Opfer gefallen war. Sie war sicher, dass der Sklavenkönig noch lebte... die Frage war nur, wo. Sie hatte geglaubt, wenn er allen Ernstes mit den Plänen der Tari Randora vorhatte, sie komplett nachbauen zu lassen, weil er an die echte Tari Randora nicht heran käme, solange der Kaiser am Leben war, könnte es doch nicht allzu schwer sein, ihn zu finden. So ein Raumschiff von solcher Größe zu fertigen brauchte Platz. Eine Menge Platz... und sie ärgerte sich darüber, dass sie ihn allen Ernstes dennoch zu übersehen schien. „Ich sollte... diesem Knirps die Haut abziehen.“, grummelte sie biestig vor sich hin, „Du hast dein Schicksal gewählt, Yamuru... und leistest beeindruckende Dinge, wie es aussieht. Baut ruhig eure Tari Randora Zwei... tut es, genau genommen spielt ihr uns damit in die Hände. Sie werden... eine zweite Tari Randora gut gebrauchen können und ihr... seid trotz eurer zweiten Tari Randora auf die erste angewiesen. Genau wie ich... auf die verdammte, beschissene Batterie.“ Murrend drehte sie den Kopf, als sie ein Windzug streifte und sie spürte, dass sie Besuch bekam. Als sie Sagal erkannte, umspielte ihren Mund ein apathisches Grinsen. „Nun?“, machte sie in die Richtung des älteren Mannes, „Habt Ihr Eure Spione verteilt? Wir werden sie brauchen, sowohl zu unserem Schutz als auch zur... Offensive. Der Kaiser hat die Batterie, davon bin ich überzeugt.“ „Ihn jetzt gleich zu ermorden wäre skandalös.“, versetzte der Telepath ernst, „Und ich glaube, es wird schwieriger als es sich anhört, ich opfere ungern meine Familienmitglieder dafür. Ich habe mich mit Thamila Ayaghil in Verbindung gesetzt, meine Leute können mit der Streitmacht von Tejal kooperieren. Madanan, ihr Gemahl, ist ziemlich geschickt im Observieren und Töten, die Kerle aus Tejal haben bereits im Norden zuvor Geschick bewiesen dabei, die herum irrenden Imperialisten davon abzuhalten, die Abtrünnigen zu meucheln.“ „In der Tat, das Bündnis mit Tejal sollte uns heilig sein.“, erklärte Chenoa langsam. „Nein, ich denke auch nicht, dass wir den Kaiser einfach niedermetzeln sollten. Er ist immer noch der Kaiser und seine Macht ist noch da – auch, wenn sie schwindet. Überlasst die Drecksarbeit jemandem anderes, Sagal. Es gibt genug Männer, die des Imperators Tod wollen.“ Sie lächelte dämonisch und streckte die Hand nach ihm aus, um wie zufällig über den Ärmel seines Mantels und weiter hinab zu streichen, bis sie auf Höhe seiner Hose inne hielt. „Langweilt Ihr Euch gerade? Ich hätte da... genug Beschäftigung, werter Herr.“ Er seufzte und versuchte, seine Verlegenheit zu verbergen; darin war er überaus gut, aber Chenoa erkannte es trotzdem und hörte ihn sich verhalten räuspern, als sie näher kam, um mit den Fingern seine Hose zu öffnen und sich zu strecken, um ihn küssen zu können. Er war ein geschickter Liebhaber... und sie hatte hohe Ansprüche. Karana träumte von Schatten. Das tat er oft, aber dieses Mal war es anders... bedrohlicher, und er sah seine Schwester kichernd in die Finsternis laufen und ihm den Rücken kehren. Er versuchte, sie einzufangen, aber je schneller er rannte, desto weiter entfernte Neisa sich, bis die Dunkelheit sie verschluckte und Karana über seine eigenen Füße stolperte, um keuchend zu Boden zu stürzen. Die Erde war getränkt von schwarzem, düsteren Blut, und es klebte an seinen Knien und Händen, fesselte ihn und hinderte ihn daran, wieder aufzustehen. „Verdammt, was soll das?!“, fluchte er wütend in seinem Traum und versuchte, sich vom Boden loszureißen... dann tauchte seine Schwester aus der Finsternis wieder auf. Oder das, was von ihr übrig war, denn vor ihm stand nicht Neisa, sondern ein ausgezehrtes Gespenst mit irrem, wahnsinnigen Blick, mit Augen, die im Dunkeln glühten wie die eines Raubtieres, als sie mit bizarr verzerrter Stimme lachte und über ihm stand und ihn durchbohrte mit ihrem wahnwitzigen Blick. „Neisa!“, rief Karana panisch, „Was ist mit dir?!“ Er streckte die Hand nach ihr aus, aber sie wich kichernd zurück, wie besessen von dem Schatten, der sie verschlungen hatte. „Komm zurück zu mir, Neisa!“ „Niemals...“, zischte sie mit einer Bosheit in der Stimme, die in ihm irgendetwas zerbrechen ließ; mit einer Abscheu in ihrem Blick, der ihm klar machte, dass sie ihm für immer den Rücken kehren würde. „Ich bin nicht dein, Karana. Du machst... mich nur unglücklich! So, wie du alle um dich herum unglücklich machst... du Bestie!“ Er keuchte, als sie sich wieder in Schatten auflöste. Und die Geister lachten ihn aus und spotteten über ihn... „Dahin geht es, das Mädchen des Seelenfängers! Du hast schon seit ihrer Geburt gewusst, dass sie das... einmal sein würde, nicht wahr, Karana?“ „Nein, verdammt!“, brüllte er und fuhr aus dem Schlaf hoch; mit seinem Geschrei hatte er alle anderen in der Familienhütte ebenfalls geweckt. Er spürte Iana sich sofort neben ihm auf dem Schlaflager aufsetzen, während im Dunkeln ihrer ärmlichen Behausung seine Eltern, Neisa, Tayson und Tante Alona fassungslos die Köpfe hoben. Karana stöhnte und spürte einen brennenden Schmerz in seinem Kopf, als er sich von seinem Lager rollte, wütend seine Hosen anzog und sein Schwert packte, um ohne Worte die Hütte zu verlassen. Er brauchte frische Luft... und ihm war völlig egal, dass der eisige Wind draußen seinen nackten Oberkörper zerschnitt wie ein gutes Messer, als er an seinem Hund vorbei durch das Lager der Allianz stampfte. Er musste hier raus... er wollte die Stimmen abschütteln, die ihn verfolgten und deren Gekicher er nicht verstand. Aar bellte und folgte ihm auf den Fuß; er beachtete den Hund nicht, als er immer schneller stapfte und schließlich rannte, vorbei an dem Schutzzaun und den Wachmännern, die gerade Dienst hatten, vermutlich irgendwelche von Sagals tausenden Familiensklaven. Er hörte jemanden seinen Namen rufen, aber es war ihm gleich. Sollten sie doch rufen, er würde nicht zurückkehren! Nicht jetzt... als er ein gutes Stück weg und außer Sichtweite des Lagers mitten in der eisigen Tundra des Tals war, riss er mit einem wutentbrannten Schrei sein Schwert empor in den Himmel. „Hörst du mir zu, Vater Himmel?!“, brüllte er, „Wage nicht, mir meine Schwester wegzunehmen! Ich werde nicht zulassen, dass aus ihr so ein wahnsinniges Gespenst wird... dass sie zusammen mit dem Todesgott im Wind reitet und Chaos anstiftet!“ Der Himmel krachte, als daraus ein Blitz in die Klinge seines Schwertes fuhr und er spürte, wie die Macht der Magie durch seine Adern rauschte wie kochendes Blut. Die Macht betörte ihn und raubte ihm den Verstand, sie nahm ihn ein, bis er sie mit einem wilden Schrei von sich stieß und mit einem Schwung seines Schwertes einen Wirbelwind vom Himmel herab riss, den er davon in die Landschaft schleuderte. Donnernd zerschmetterte sein Windzauber die Erde und das beben warf den jungen Mann von den Beinen. Er fiel fast auf Aar, der kläffend hinter ihm stand, und der Hund zerrte Karana gerade noch am Bund seiner Hose weg von dem Erdspalt, den der Wirbel gerade verursacht hatte. Dann war es vorbei und Karana lag stöhnend mit schmerzenden Gliedern am Boden, während Aar jaulte. „Das Mädchen... des Seelenfängers...“, stöhnte er kraftlos die Worte der Geister. „Was... soll das bedeuten? Ich will das nicht...“ Wie sollte Neisa die Gefährtin eines Geistes und Todesbringers sein? Sie sollte doch Tayson heiraten...? Auch, wenn sie sich bisher nicht entschieden hatte. Er wollte sie festhalten... er wollte sie nicht den Geistern überlassen! Stöhnend kam er wieder auf die Beine und putzte sich den Dreck von der Hose und dem Rücken. Dann packte er das Schwert von Mihn erneut und riss es empor, machte sich bereit, einen imaginären Gegner damit zu zerfetzen. „Beherrsche deinen Geist.“, fielen ihm Saidahs Worte wieder ein, „Lass dich nie von deinen Gefühlen beherrschen. Bezwinge sie... kämpfe dagegen, Karana. Dann... wirst du auch siegen.“ Er holte tief Luft und zwang sich, sich zu beruhigen... ja, das war es. Er würde daran arbeiten und üben... er würde dieses Schwert, sein Erbstück, perfekt benutzen lernen, damit er Neisa beschützen könnte... vor den Geistern, die nach ihr angelten. Karana kam nicht zurück. Iana machte sich nicht wirklich Sorgen um ihn; es kam ja oft vor, dass er wegrannte und fort blieb, er kehrte immer irgendwann zurück. Obwohl seine Tante skeptisch war und befürchtete, dass der Kaiser im feindlichen Lager des Imperiums vielleicht nur darauf wartete, dass einer von ihnen unvorsichtig zu weit hinaus lief. Iana vertraute ihrem Gefährten... in diesem Punkt zumindest. Er war sicher der Letzte, der sich einfach fangen oder gar töten ließe, eher würde er zum Berserker werden und alles niederreißen, das um ihn herum war. Die junge Frau saß am Vormittag vor der Familienhütte der Lyras am Kochfeuer, über dem Karanas Mutter Essen kochte. Neben der Familienhütte stand eine zweite Hütte, in der die restlichen, ehemaligen Stallbewohner hausten. Obwohl Simu zur Familie gehörte, hatte er beschlossen, lieber Yarek dabei zu unterstützen, Eneela, Asta und die Seherin zu beschützen, wobei letztere wohl wenig Schutz brauchte. Sagal und seine schweigsame Heilertochter waren auch noch da; letztere half Leyya Lyra jetzt mit dem Essen. Nur Thira war nicht mehr bei ihnen – Chenoa hatte die Zuyyanerin mit sich genommen und erklärt, sie müsste ihr vieles beibringen, ehe die Sieben ihre Aufgabe antreten könnten. Iana hatte Thira seitdem nie wieder gesehen... sie fragte sich, ob es ihr gut ging. Seufzend betrachtete sie ihr wertvolles, geerbtes Kurzschwert, das sie poliert hatte, wie sie es immer tat, um sich die Zeit zu vertreiben. Sie beschäftigte sich gerne mit ihrer Waffe... ihrem einzigen Erinnerungsstück an ihren verstorbenen Vater. Es war wie ein Heiligtum für sie... und sie spürte eine seltsame, sehr tiefe Verbundenheit mit dieser Waffe, die sie sich nicht erklären konnte. Schattenschwert war der Name der Waffe... Karana hatte gesagt, es war eine Zauberwaffe, vielleicht ein Magiemedium wie sein eigenes Schwert. Und obwohl sie nur Halblianerin war, spürte sie es auch... von dem Schwert ging eine Kraft aus, die sie bewunderte und die ihr Mut gab. Sie sah, wie ein Schatten über sie fiel, und als sie verblüfft empor sah, glaubte sie zunächst, Karana wäre zurück – aber erstaunlicherweise war es sein Vater, der plötzlich vor ihr stand, auf sie herab starrte und ziemlich verdattert wirkte. „Ich habe gedacht... ich hätte einen Ohrenschaden gehabt, als Chenoa sagte... du trügst das Schattenschwert... aber jetzt, wo ich es sehe... weiß ich es besser.“ Sie blinzelte erstaunt – wie jetzt, sah er ihre Waffe zum ersten Mal? Das könnte tatsächlich angehen, er war selten bei seiner Familie als König, und sie hatte es ja nicht andauernd gezogen... „Ähm – Herr?“, fragte sie so nur verpeilt, und König Lyra hockte sich vor sie, mit respektvollem Abstand, und starrte fassungslos auf die Waffe, die sie in den Händen hielt. „Sieh es dir an, Leyya... hast du... es gewusst?“ „Was gewusst, Liebling?“, fragte seine Frau verblüfft und er raufte sich irritiert die Haare. „Dass wir seit Monden... unwissentlich dieses Schwert mit uns herum tragen... ohne, dass die Geister es für nötig halten, mir davon zu erzählen? Sieh es dir an... das ist doch Kadhúrem, oder bin ich behindert?“ Iana erstarrte. Kadhúrem? Sie fragte sich, ob sie diesen Namen schon einmal gehört hatte... als jetzt auch Karanas Mutter neben ihren Mann kam, das Kurzschwert anstarrte und erbleichte, war sie verwirrter denn je. Es war Tante Alona, die allen den Wind aus den Segeln nahm. „Ich hätte dir sagen können, dass Kadhúrem zu uns zurückgekehrt ist, Puran. Ich habe es gesehen... es muss ein wirklich seltsames Schicksal sein, dass dieses Schattenschwert wieder zu dir kommt, Puran... nachdem es jahrelang fort war.“ Iana fuhr herum. „Was?“, fragte sie, „Was meint Ihr damit? Wieso zurück?!“ Karanas Vater schüttelte mit einem hysterischen Glucksen den Kopf. „Das Schwert, das du trägst, Iana, ist nicht irgendeines. Es ist eine magische Waffe... eine sehr, sehr alte und mächtige magische Waffe. Kadhúrem... so lautet sein Name, übersetzt heißt es Schattenklinge. Es gibt nur ein einziges Kadhúrem auf Tharr... es kann nur dieses eine sein. Das Erbstück des alten Kandaya-Clans... die Waffe meiner verstorbenen Mutter, Nalani Kandaya.“ Iana war so verdutzt, dass sie nicht sprechen konnte. Moment – was hatte sie verpasst? Sie starrte auf das Schwert, dann wieder in das Gesicht des Mannes, und er lächelte jetzt etwas wehmütig. „Dieses... es... gehörte Eurer Mutter?“, fragte sie dann baff, und er nickte. „Ich erkenne es wieder... das ist Mutters Kadhúrem. Sie hat es... vor sehr langer Zeit weggegeben in Kadoh. Sie... muss gewusst haben, dass ich es eines Tages wiedersehen würde... Himmel, dich damit anzusehen... fühlt sich für mich an, als... stünde ich meiner Mutter wieder gegenüber.“ Iana durchfuhr es wie ein Blitz – jetzt wusste sie, wovon er sprach. Von dem, wovon auch ihr Vater gesprochen hatte. „Du siehst ihr ähnlich... der Frau, die mir das gab, Akada. Ihr Mann war Windmeister...“ „Eure... Eure Mutter war... eine Geisterjägerin, oder?“, keuchte sie verwirrt, „Und ihr Mann... Euer Vater... war Windmagier.“ „In der Tat. Mein Vater war nicht nur Windmagier, er war Großmeister des Windes, er hatte die absolute Kontrolle über dieses Element... eine Kraft, die ich nicht in diesem Ausmaß besitze.“ „Dann hat Eure Mutter meinem Vater das Schwert gegeben...“, keuchte die junge Frau, „Und... und er gab es mir bei seinem Tod. Ich...“ Sie zögerte, ehe sie verwirrt aufstand und ihm die Waffe hinhielt. „Ihr seid... als Sohn dieser Frau wohl der rechtmäßige Erbe davon. Ich gebe... es Euch.“ Puran Lyra stand auch wieder auf, während seine Frau und Alona sich ansahen, und er lachte leise. „Nein, Unsinn. Behalte es, mir steht es nicht zu. Kadhúrem ist ein Schattenschwert. Der Clan, aus dem meine Mutter stammte, war ein Schattenclan. Ich aber bin Windmagier wie mein Vater, und Karana ist auch einer. Keiner von uns kann mit Kadhúrem etwas anfangen. Mutter gab es deinem Vater... damit gehört es jetzt dir, es ist schon recht so.“ „Aber... i-ich bin bloß Halblianerin. Ich kann doch... auch nichts damit machen.“ „Das wissen wir noch nicht, Iana.“, sagte er ruhig und zeigte ihr ein liebevolles, väterliches Lächeln. „Du bist eine der Sieben... vielleicht hat das Schicksal seine Gründe gehabt... warum es dir Kadhúrem vermacht hat. Behalte es... und hüte es gut. Mir wäre es eine Ehre, dich es tragen zu sehen.“ Sora war ganz entzückt. Sie hätte nicht geglaubt, dass in dem Tal in Suyuhhr Früchte wachsen würden, und dennoch hatte sie kleine, mickrige Sträucher außerhalb des Lagers entdeckt, an denen verkümmerte Beeren und Bohnen wuchsen. Das würde eine gute Abwechslung in den Mahlzeiten sein, deshalb war sie mit einem kleinen Korb hinaus gerannt, um die Früchte zu sammeln. Neron hatte Eiko mit geschickt, der sie beschützen sollte; er wäre schließlich mit seinen zwölf Jahren so gut wie ein Mann, hatte es geheißen, und Mila und Saja hatten verschwörerisch gekichert, als Sora mit dem ältesten Sohn der Shais die Hütte verlassen hatte. Jetzt stand er hinter ihr und bewachte sie eisern schweigend, dabei versuchte er offenbar, möglichst seriös zu wirken. Wenn sie ihn ansprach, war er aber alles andere als seriös, er wurde immer noch krebsrot und stotterte ganz furchtbar, was sie nicht wirklich verstand. „Bist du vielleicht krank, oder so?“, fragte sie ihn so besorgt, indem sie am Boden kniete und Früchte sammelte, „Oder liegt es an mir, Eiko? Stört dich meine Anwesenheit bei euch vielleicht?“ Das täte ihr leid... aber er schnappte schon nach Luft und ließ dieses Mal vor Schreck seinen Speer fallen, den er zu ihrem Schutz trug, ehe er wieder stammelte: „N-nein, nicht doch! I-ich... ich... mag, d-dass du bei u-uns bist, Sora!“ Sie runzelte besorgt die Stirn – warum benahm er sich denn nur bei ihr immer so seltsam? Konnte es sein...? Aber nein, er war doch jünger als sie und überdies immer noch ein kleiner Junge... Sie hatte sich erhoben mit ihrem Korb und wollte gerade etwas zu ihm sagen, als sie plötzlich hinter sich eine leicht bekannte Stimme vernahm. „Hey, Neisa?! Was machst-... ach, du bist ja gar nicht Neisa, liebe Güte, von hinten siehst du völlig aus wie sie... entschuldige.“ Sora blinzelte verblüfft und Eiko errötete schon wieder, als sie sich neben ihn stellte und sie den schwarzhaarigen Gefährten von Neisa auf sich zukommen sahen. Tayson hieß er, soweit Sora wusste, sie kannte ihn nur flüchtig von der gemeinsamen Reise nach Suyuhhr. „Hallo!“, grüßte sie ihn freudig, „Nein, ich bin nicht Neisa, aber mich halten ja viele für sie. Sehe ich ihr echt so ähnlich?“ „Wenn man dein Gesicht sieht, nicht mehr.“, murmelte Tayson, der vor ihnen stehen blieb und auch Eiko grinsend zunickte, der sich bloß räusperte. „Warum, wer hält dich denn noch für Neisa?“ „Die Leute in Fann glaubten, ich wäre die weiße Frau aus ihrer Legende. Dann kam Neisa ins Lager... ich glaube, sie ist die richtige weiße Frau gewesen und nicht ich. Ich bin nur zufällig unter ähnlichen Umständen zu den Fannern gestoßen damals...“ „Wie kannst du das wissen?“, fragte Tayson sie, der in der Hand ein paar kleine Laufvögel hielt, die er wohl gejagt hatte. Ihr Gefieder hatte seltsame, aber schöne Farben. Sora lachte leise, als sie an Fann zurückdachte... und an den Tag, an dem Neisa gekommen war. „Es ist eben ein Instinkt. Und Zoras und Neisa haben sich immer angesehen... ich glaube, ich war nie Zoras' rechtmäßige Frau, die die Geister für ihn bestimmt haben. Du hättest ihn und Neisa sehen müssen, wie sie sich ange-...“ Sie unterbrach sich verdutzt, als sie Taysons Gesichtszüge entgleisen sah – Moment. Sie sprach mit Neisas Geliebten! Ach du Schreck, was plapperte sie denn da? „Oh, ähm... ach du liebe Güte! Ich bin so eine dumme Kuh!“, rief sie entsetzt und sah errötend auf Eiko, der sie nur anstarrte. Tayson hustete verblüfft und Sora versuchte hastig, ihre dummen Worte glatt zu bügeln. „Das ist doch lange her, das war in Fann. Es spielt doch keine Rolle mehr jetzt! Was treibst du hier eigentlich? Gehst du jagen?“ Sie wechselte dumm lachend das Thema – und Tayson schien beruhigt darüber zu sein, er lächelte wieder und zeigte auf die Vögel in seiner Hand. „Ich bemühe mich zumindest! Die Federn sind hübsch, ich werde sie Neisa als Brautgeschenk schenken. Ich meine, ich würde sie wirklich gerne heiraten... sie hat sich zwar noch nicht entschieden, aber vielleicht tut sie es, wenn sie Geschenke bekommt!“ Jetzt grinste er fröhlich und Sora war froh, ihm nicht mit ihrem unüberlegten Geplapper den Tag versaut zu haben. „Ich meine, ihr Frauen freut euch doch über schöne Dinge, oder?“ Das blonde Mädchen lachte leise. „Ich glaube schon. Sie sind wirklich schön... ich würde mich jedenfalls über dieses Geschenk freuen.“ Und sie lachte glücklich und sah nicht Eikos sehr interessierten Blick auf die bunten Vögel in Taysons Hand, während der Junge unmerklich seinen Speer umklammerte. Simu war wütend. Er zügelte seine Wut noch, eigentlich war er stinksauer, während er vor seiner Schwester in der dunklen Familienhütte hockte und die Gelegenheit nutzte, alleine mit ihr zu sein. Sein Vater war irgendwo, um sich mit den anderen Königen zu besprechen, seine Mutter war draußen am Kochfeuer und zeigte Asta, Eneela und Iana, wie man Suppe kochte, Karana war immer noch verschwunden und Tante Alona war es ebenfalls. Simu hatte seinen Vater einmal irgendetwas munkeln hören darüber, Tante Alona hätte eine Affäre mit Tare Kohdar; ob dem so war, wusste Simu nicht, es war ihm auch gleich. Dass seine Tante eher auf ältere Männer stand, war innerhalb der Familie längst kein Geheimnis mehr. Neisa hielt sich wimmernd den Kopf und machte einen mitleiderregenden Eindruck, aber Simu kannte kein Erbarmen mehr mit ihr. Ihre jämmerliche Erscheinung widerte ihn an; wie konnte man nur so jammern? „Du hast mir dein Wort gegeben, als wir in Ahrgul aufbrachen.“, erinnerte er sie grantig, „Das ist schon Wochen her! Sieh mich verdammt noch mal an, Neisa!“ Er bemühte sich, sie nicht anzuschreien; eigentlich verspürte er mehr noch die Lust, sie zu ohrfeigen, aber er schlug aus Prinzip keine Mädchen. Auch keine lügnerischen Frauen. „Ich kann es einfach nicht!“, wimmerte die kleine Heilerin mitleiderregend, „Tayson will mich heiraten, ich... ich kann ihn doch nicht heiraten!“ „Gerade deshalb wird es endlich Zeit! Willst du, dass er sich umsonst Hoffnungen macht, du könntest Ja sagen?! Du wirst ihm sowieso das Herz brechen, und je länger du wartest, desto schlimmer machst du es, Närrin!“ Er schnappte wütend nach Luft und lauschte kurz den Stimmen der anderen draußen, die durch die Felle der Hütte herein drangen. Er hörte Schritte und dachte zuerst, jemand käme zu ihnen, aber dann verstummte das Geräusch und Simu fuhr fort. „Warst du wieder bei Zoras, seit wir hier in Suyuhhr wohnen? Hast du wieder für ihn die Beine breit gemacht und Tayson betrogen?“ „Nein...“, schluchzte seine Schwester unglücklich, „Ich war nicht wieder da, er will mich nicht sehen...“ „Natürlich will er das nicht, solange du diesen Mist nicht geklärt hast! Sag Tayson endlich die Wahrheit... und dem Rest der Familie!“ „Sie werden mich hassen, Simu!“, heulte Neisa und er zischte sie an. „Das hättest du auch verdient für deine Lügen!“, rief er, „Das ist das einzige, was du verdienst für diesen Betrug, für diese elende Schande, hinter dem Rücken deines Gefährten mit einem anderen Mann zu verkehren! Ich werde dich zwingen, es zu sagen, wenn es sein muss, ich lasse nicht zu, dass du auch nur noch einen Tag länger diese Lügen erzählst und Kopfschmerzen hast, wenn Tayson zu dir kommt!“ Dann hörte er direkt vor der Hütte das Geräusch von irgendetwas, das auf die Erde fiel, wie ein Sack Kartoffeln etwa; es war sein Instinkt, der ihm plötzlich mit eisigen Klauen im Nacken packte und ihm sagte, was er gehört hatte... der ihm sagte, dass man sie gehört hatte. Als Neisa erbleichte und ihren Bruder anstarrte, erhob Simu sich und ging zur Tür der Hütte, die aus Häuten und Fellen bestand, um sie zur Seite zu ziehen. „Ah, wie ich sehe, Neisa... ist das gar nicht mehr nötig. Glückwunsch... hallo, Tayson.“ Und er zeigte das falsche, tote Lächeln der Zuyyaner, als er in Taysons aschfahles Gesicht sah, der vor der Tür stand und augenscheinlich alles mit angehört hatte... zu seinen Füßen lagen ein paar erlegte, bunte Vögel. Simu schob sich an dem Mann vorbei aus der Hütte, um ihn mit Neisa allein zu lassen. Neisa konnte nicht atmen. Da stand Tayson – wie viel hatte er gehört? Wie lange stand er schon da? Sie kam keuchend auf die Beine und taumelte, als ein übles Schwindelgefühl sie ergriff in dem Moment, in dem sie Taysons Blick traf. Seine grünen Augen, die sonst so aufgeweckt waren, wirkten leer... als hätte man ihm mit einem Schlag den Geist aus dem Gesicht gehauen. „Tayson...“, wisperte sie und lächelte verzerrt in der Hoffnung, sie könnte so tun, als wäre nichts gewesen... aber sie wusste instinktiv, dass es umsonst war. Er wusste es... er hatte es gehört. Dann war der Tag gekommen, vor dem Neisa sich gefürchtet hatte. Sie trat einen Schritt auf Tayson zu und er wich vor ihr zurück, dabei aus der Hütte tretend. Ohne ein Wort wandte er sich von ihr ab und ging. In dem Moment überkam sie Panik, sie stürzte ihm nach nach draußen und hielt ihn am Arm fest. „Tayson, warte!“, rief sie, „B-bitte, hör mir zu! Es ist nicht so, wie es sich angehört hat!“ „Ich habe genug gehört!“, fuhr er sie an und riss sich mit Gewalt los, worauf sie erbleichte, als er sich zu ihr umdrehte. Sein Gesicht war verzerrt von Schmerz und Wut... Wut auf sie. „Die ganze Zeit... oder, Neisa? Die ganze Zeit hast du... mich nicht geliebt. Du hattest auch nie vor, es zu tun... die ganze Zeit waren deine Gedanken bei ihm! Ist es nicht so...?“ Sie weitete hysterisch die Augen. „Nein!“, keuchte sie, „Ich habe dich gern, Tayson!“ „Gern!“, schnappte er, „Ach, wirklich! Gern genug, um dich von mir beschützen zu lassen, was?! Die ganze, verdammte Zeit... schon auf Tharr! Ja, ich erinnere mich... als Ela-Ri fiel, vor Vialla, habe ich gesehen, wie ihr euch geküsst habt! Du... und Zoras Derran! Du hast gesagt, er hätte dich überrumpelt und es wäre nicht dein Wille gewesen... du hast die ganze Zeit gelogen! Du wolltest, dass er dich küsst... du hast ihn auch geküsst, oder?!“ „Es ist schwer zu erklären, Tayson!“, wimmerte Neisa und senkte bebend das Gesicht; sie war sich bewusst, dass ihre Mutter und alle anderen Anwesenden zuhörten und sie schämte sich so sehr, dass sie im Boden versinken wollte... Simu hatte recht gehabt. Sie hatte es verdient... „Danke, ich verzichte auf deine Erklärungen.“, grollte der Mann vor ihr. „Und ich habe ernsthaft geglaubt, dich heiraten zu wollen... du falsche Verräterin, du... dreckige, widerwärtige Hure! Es ist mir gleich, was du zu sagen hast! Deine Taten haben genug gesprochen, Neisa Lyra. Du... bist verabscheuungswürdig.“ So sprach er, spuckte ihr angewidert und voller Abscheu vor die Füße und stampfte davon, ohne dass jemand ihn aufzuhalten versuchte. Neisa zitterte und ihre Kraft verließ sie, sodass sie auf dem Boden zusammenbrach. Sie vergrub keuchend das Gesicht in den Händen, um ihre Schande zu verstecken zu versuchen... es war unmöglich, jeder konnte sie sehen, jeder hatte es gehört. Sie weinte vor Verzweiflung und schämte sich für ihre eigene Dummheit... für ihr Vergehen, das sie begangen hatte. Niemand kam, um sie zu trösten... nicht einmal ihre Mutter kam, sie ließen sie am Boden kauern und sich die Seele aus dem Leib schreien, so, wie sie es verdient hatte, bis ihre Stimme versagte und sie nur noch kraftlos heulend am Boden liegen konnte, steif vor Kälte, weil sie sich keinen Mantel übergezogen hatte. Sie wusste nicht, wie lange sie da gelegen hatte, als sie plötzlich doch hochgehoben wurde und die Wärme eines Körpers spürte, der sie zärtlich aufhob. Als sie wimmernd die vom Weinen geröteten Augen öffnete, sah sie das todernste Gesicht ihres Vaters, der sie auf seine Arme genommen hatte. „V-Vater...“, wimmerte sie und drückte sich an seine warme Brust, während sie wieder zu weinen begann und spürte, wie er sie zärtlich an sich drückte. „Wir müssen reden, Tochter...“, sagte er monoton und ihr Herz gefror, als sie erkannte, dass er es wusste... ihre Mutter musste es ihm gesagt haben, als er zurückgekommen war. „Wir müssen... ganz, ganz dringend reden, fürchte ich.“ Er trug sie in die Hütte, als wäre sie ein kleines Kind, und ließ sie vorsichtig auf ihrem Schlaflager nieder, das sie mit Tayson geteilt hatte. Zitternd wischte sie sich die Augen, während ihr Vater ihr behutsam ihre Decke umlegte und ihr die Haare aus dem geröteten Gesicht strich. Sein Verhalten verwirrte sie... er wusste, was sie getan hatte, und dennoch behandelte er sie so zärtlich? Sie errötete... ihr Vater war ein so wundervoller Mann, sie verehrte ihn und hatte es immer getan... es tat ihr so leid, ihn jemals belogen zu haben, dass sie wieder zu weinen begann. „Weine nicht.“, seufzte er vor ihr und runzelte die Stirn, „Dazu hast du kein recht. Glaube ja nicht, dass es mich erweicht, du bist erwachsen... und das, was du getan hast, war in deiner eigenen Verantwortung. Ist dir sehr kalt, Neisachen?“ Sie zitterte nur und schluchzte heftig, und als sie nicht antwortete, griff er hinter sich auf sein eigenes Schlaflager und wickelte sie noch in seine eigene Bettdecke. So eingemummelt saß sie dann in der dunklen Hütte, als ihre Mutter und Simu kamen. Ihre Mutter hockte sich zu ihr und der Blick in ihren treuen, braunen Augen zeigte eine so tiefe Enttäuschung, dass Neisa schlecht wurde. Dennoch umarmte Leyya sie und zitterte selbst, als sie es tat. „Du dummes Gör!“, schluchzte sie dann, ihre Tochter festhaltend, „Wie... wie konntest du so etwas Grauenhaftes nur tun?! Schämst du dich? Ja, das solltest du, was du getan hast, ist abscheulich! Mein kleines, braves Mädchen... wie konnte nur so etwas aus dir werden?“ Neisa schniefte unglücklich und ihr Vater räusperte sich, der sich auf sein eigenes Bett fallen gelassen hatte, die Beine überschlug und sich die Haare raufte. „Still jetzt, Leyya, lass sie los. Hört auf, zu heulen, verdammt, alle beide. Simu, setz dich zu mir. Karana ist mal wieder weg, ich habe auch keine Lust, auf ihn zu warten.“ Neisa spürte, wie ihre Mutter sie losließ, und sie unterdrückte es, weiter zu weinen, als sie bebend zu ihrem Vater herüber sah. Er seufzte tief. „Jetzt mal von ganz vorne, Neisa. Ich kam heim und hörte, du habest Tayson betrogen. Du habest hinter seinem Rücken mit einem anderen Mann verkehrt. Ist das wahr?“ Sie zitterte und nickte dann. „Und du hast es schon sehr lange und sehr oft getan... jedes Mal, wenn du... bei Shais warst, habe ich recht?“ Sie nickte erneut. „Du warst niemals bei Shais... du hast mir wissentlich... ins Gesicht gelogen damals. Jetzt frage ich dich nur das eine, du dumme Tochter... Warum, zum Geier?!“ Sie schluchzte und senkte das Haupt so tief, dass ihre Haare ihr wieder ins Gesicht fielen. Sie murmelte etwas vor sich hin und ihr Vater schrie sie an: „Sprich lauter, ich verstehe dich nicht, und sieh mir ins Gesicht, stehe zu deiner Schande, Neisa! Warum?!“ „Weil ihr nie zugelassen hättet, dass ich Zoras wie einen Mann liebe!“, schrie sie laut, „Weil ich... euch alle verloren hätte, hättet ihr es gewusst... ich konnte es nicht! Es tut mir leid, es... ich weiß, dass es falsch war! Es tut mir so leid, Vati...“ „Warum hätte ich ein Problem damit haben sollen?!“, fuhr er sie erzürnt an, „Ich habe kein Problem mit Zoras Derran, mein Problem ist die Art, in der das hier passiert ist! Was soll ich jetzt mit dir machen, Tochter?! Dich ein Leben lang einsperren und dir verbieten, zu heiraten, das sollte ich! Aber das wäre Verschwendung und außerdem will ich dich nicht den Rest meines Lebens an der Backe haben. Was passiert ist, kann ich nicht rückgängig machen und du kannst es auch nicht, Neisa.“ „Wirst du ihr jetzt verbieten, Zoras Derran je wieder anzusehen?“, fragte Simu verblüfft und Neisa erstarrte bei dem Gedanken. Ihr Vater brummte. „Das wäre wohl kaum effektiv. Nein, ich denke... die Demut und die Schande, die sie ihr Leben lang mit sich herum tragen wird, ist Strafe genug. Du wirst zu Shais gehen und dich persönlich entschuldigen dafür, dass du sie für deine Lügen benutzt hast. Dich bei Tayson zu entschuldigen macht wenig Sinn, er wird dir nicht zuhören wollen und das mit recht. Nein, Tayson... wird dir das, was du getan hast, wohl damit vergelten, dass er dich jedes mal, wenn du ihn siehst, spüren lässt, was für eine... widerwärtige Frau du gewesen bist.“ Sie wimmerte und starrte ihren Vater nur aus geröteten Augen an. „Du hast... nichts dagegen, wenn ich Zoras Derran liebe?“, schluchzte sie, „Aber du... hasst doch seinen Vater...?“ „Irrtum, sein Vater hasst mich, ich kapiere bis heute nicht, was er für ein Problem hat, aber das tangiert weder dich noch Zoras. Aber diese Heimlichtuerei muss aufhören. Wenn Zoras dich will, soll er zu mir kommen und um dich anhalten. Er ist ein begnadeter Magier, er ist Teil der Sieben, er ist, soweit ich ihn einschätzen kann, ein guter Mann und du und ich, Neisa, verdanken ihm unser Leben. Wobei ich denke, dadurch, dass er das mit dir gemacht hat jetzt... er war ja wohl nicht ganz unbeteiligt... sind wir quitt.“ Neisa schauderte. Dann senkte sie den Kopf wieder und wimmerte: „U-und... Karana? Karana hasst Zoras... er wird es nicht wollen!“ „Karana ist nicht befugt, das zu entscheiden, das bin nur ich allein als dein Vater. Wenn Karana sich die Ehre gibt, wieder zurück zu kommen und sich zusammenzureißen, wird er es auch gleich erfahren. Was er dazu sagt, kann dir, mir, Zoras und allen anderen völlig egal sein.“ Er hatte kaum ausgesprochen, als die Tür zur Hütte aufflog und wie gerufen kehrte Karana zurück... bei ihm war der Hund, der winselnd ins wärmere Innere der Hütte wuselte und sich an Leyyas Füße legte. „Was ist mit mir?“, schnarrte der Sohn des Königs missgelaunt, als er seine todernst da sitzende Familie anstarrte, „Was... soll euch egal sein?“ Simu schnaubte. „Du kommst gerade richtig zur Krisensitzung, Bruder. Neisa hat dir etwas zu erzählen... nicht wahr, Schwesterchen?“ Neisa sank in sich zusammen, als sie Karanas Blick spürte, der sie durchbohrte. Sie konnte nicht sprechen... sie konnte einfach nicht, der Gedanke, es Karana zu sagen, machte ihr übel. Ihr Vater nahm ihr den Anfang ab. „Ja, deine kleine Schwester, Karana, ist ein kleines Flittchen, wie sich gezeigt hat. Ihre Beziehung zu Tayson ist hinüber, wir haben gerade erfahren, dass sie seit Monden hinter seinem Rücken eine Affäre hatte. Sie hat Schande über uns alle gebracht, am meisten aber über sich selbst und den armen Tayson. Nun, Neisa, willst du deinem Bruder nicht sagen, wer dein neuer Liebhaber ist, um dessen Willen du uns mondelang angelogen und Tayson betrogen hast?“ „Was?!“, entfuhr es Karana keuchend und er starrte auf Neisa, die nicht wagte, ihn anzusehen. Zitternd ballte sie die Hände zu Fäusten und kämpfte mit sich, um es zu sagen... ihr Vater forderte sie noch einmal etwas zorniger auf und sie schnappte bebend nach Luft. Als sie Karana in das hübsche Gesicht sah, das vor Entsetzen völlig entgleist war, holte sie noch einmal Luft und sprach dann den verhängnisvollen Namen aus... wissend, dass mit ihren Worten allein die Welt erneut zerbrechen würde. „Lauf, Mädchen... Karana wird ihn und dich töten, wenn er es hört... Karana begehrt dich zu sehr, um dich zu teilen... weil du die Urenkelin von Salihah bist... während er der Urenkel von Kelar ist. Und Salihah war es, Kelars Frau... die ihren Mann zeitlebens mit Zoras Chimalis hintergangen hat.“ „Der Mann, den ich liebe... ist Zoras Derran.“ Irgendwo in der Ferne grollte der Himmel. Zoras wusste nicht, was es war, das ihn beunruhigte... aber etwas passierte, das nicht passieren sollte, er spürte es genau. Rasch kam er auf die Beine und sah sich im Lager um, dabei seine Waffe umklammernd. Er war nervös... irgendjemand beobachtete ihn, er spürte es ganz deutlich. Das Gefühl gefiel ihm nicht. Irgendwo hörte er jemanden schreien und die Härchen in seinem Nacken sträubten sich bei dem Schauer, der ihn überkam; wurden sie angegriffen? Nein, es klang nicht nach dem Schrei eines Sterbenden oder nach Furcht... in der Luft lag der Hauch von Jähzorn. Und in dem Moment, in dem er ganz still vor der Hütte seiner Eltern stand, kamen plötzlich die Bilder der Geister, während in den Himmel die schwarze Krähe empor flog, sein ständiger begleitender Geist, der immer dann auftauchte, wenn es etwas zu sagen gab. Und er sah Neisa vor sich, ihr Gesicht vor Entsetzen erbleicht und ihre Augen gerötet, als sie in einem Anfall von panischem Wahnsinn nach der Bestie langte und versuchte, sie festzuhalten. „Um Himmels Willen, bleib stehen! Bleib hier, tu das nicht! Bitte!“ So kreischte sie, und das Monster riss sich aus ihrem Griff los, schlug sie zu Boden und stürzte davon, während es voller Zorn brüllte: „Wie konntest du mich so verraten?! Ausgerechnet... mit diesem Kerl! Ich bringe... ihn um, dass er dich angerührt hat!“ Und Zoras hörte das Brüllen und Schreien von Menschen nicht nur in seiner Vision, als die Bilder zerplatzten und ihm schwindelte... er hörte es wirklich irgendwo in dem großen Lager. Und er wusste, was es bedeutete. Dann hat sie ihrer Familie endlich die Wahrheit gesagt... und Karana ist nicht begeistert, wie erwartet. Zischend packte er seine Hellebarde und spürte eine grimmige Wut und Entschlossenheit in sich auflodern, als er nur an Karana dachte... an das Monster, das seine Neisa geschlagen hatte. Er wollte gerade gehen, um den Bastard abzufangen, ehe er zu ihm käme, da zog seine Mutter die Haut vor der Hütte zur Seite und spähte besorgt hinaus zu ihm. „Wohin willst du?“ „Es ist nichts weiter.“, sagte er zu seiner Mutter. „Ich treffe nur einen alten Freund. Sorge dich nicht.“ Das war leicht gesagt... er wusste, dass sie sich dennoch sorgte, als er ging und sich dann beeilte, das Lager zu durchqueren. Es dämmerte; der nur zu erahnende Sonnenuntergang ließ den blutigen, grollenden Himmel noch gefährlicher und bedrohlicher wirken als er es ohnehin war. Seine Instinkte trieben ihn voran, ließen ihn schneller gehen und schließlich rennen in die Richtung des Teiles vom Lager, der zu Kisara gehörte. Er wusste genau, wann und wo er auf Karana treffen würde, diesen Wahnsinnigen. Er hatte keine Angst vor Karana... die hatte er nie gehabt. Angst haben musste er nicht vor einem Verrückten, der sich nicht einmal selbst unter Kontrolle hatte. Er sah das Windmesser, einen gewaltigen Zerstörer aus purer Magie, auf sich zukommen, noch bevor er Karana selbst erblickte, und mit einem Fluchen riss er seine Waffe herum und schleuderte Karanas wutentbranntem Zauber einen Blitz aus der Klinge seines Mediums entgegen, sodass die geballte Macht der Geister zwischen ihnen explodierte und die Erde krachend erzittern ließ. Zoras japste, als die Ausmaße der Explosion umstehende Hütten und Behausungen trafen und die hier lebenden Menschen schreiend heraus gerannt kamen, um zu versuchen, ihre brennenden Häuser zu retten. „Wir werden angegriffen!“, schrien sie, „Hilfe, so helft uns doch!“ Der Schwarzhaarige konnte sie nicht beachten, weil er jetzt Karana selbst sah, der frontal direkt auf ihn zu stürzte, das Gesicht von einem solchen Hass und einem solchen Zorn verzerrt, dass er mehr denn je wie ein gefährliches Raubtier wirkte und nicht wie ein Mann. Sein Schwert voran und mit dem definitiven Willen, Zoras zu ermorden, sprang er ihn an wie eine Raubkatze und der Kleinere wich keuchend vor ihm zurück, entging der scharfen Klinge des Schwertes und stieß den wenig Älteren mit dem Stab seiner Waffe zurück. „Du!“, brüllte Karana, „Du Elender, du verfluchter Hurensohn, du dreckige, des Lebens unwürdige Made! Dass du es wagst, die Luft zu atmen, die mir zusteht! Bist du noch ganz bei Trost, meine Schwester zu bumsen?!“ Er brüllte so laut, dass das ganze Lager gehört haben musste, weshalb er sich so aufregte, aber Zoras hatte keine Zeit, rot zu werden, weil ihn jetzt alle Umstehenden anstarrten. Kaum trat er zurück, schlug Karana voller Mordlust mit seiner Waffe nach ihm, wie ein Berserker brüllte und geiferte er und schlug immer weiter nach ihm, erfüllt von blinder Wut und so abgrundtiefem Hass, wie Zoras ihn selbst bei ihm nie zuvor erlebt hatte. Sie hatten sich noch nie gemocht, aber das übertraf alles Normale. „Jetzt krieg dich wieder ein, du Hornochse!“, schrie der Kleinere zurück, „Sie ist zu mir gekommen, es ist nicht so, dass ich sie gezwungen hätte! Es war ihre Entscheidung!“ „Lügner!“, brüllte Karana ihn an und schleuderte mit einem Schwung seines schlanken Schwertes einen weiteren, krachenden Windzauber auf ihn, und Zoras riss keuchend die schmalen Augen auf. „Verdammt, rennt!“, brüllte er den umstehenden Zivilisten zu und hörte noch, wie um ihn herum die Panik ausbrach, als er seine Hellebarde gen Himmel empor riss und mit einem ohrenbetäubenden Krachen aus dem Himmel und einem Schwung zurück hinab den Schatten vom Himmel zerrte, der den Windzauber verschluckte, ehe er die Erde traf und dort grollend verschwand. Beide Kontrahenten taumelten bei dem folgenden, wütenden Beben und wären fast von den Beinen gerissen worden. Zoras hatte sich kaum wieder gefangen, da sprang Karana ihn schon wieder an, in seinen Augen der pure Wahnsinn und der Wille, zu töten; nicht nur zu töten, sondern ihn zu zerfleischen auf die brutalste Art, die nur möglich war. „Du... bekommst Neisa nicht, Zoras Derran!“, schrie er und seine Stimme überschlug sich vor Wahnsinn, als er mit seinem Schwert Zoras' Arm streifte und eine blutenden, schmerzende Wunde entstand. Zoras keuchte. „Karana, Neisa ist deine Schwester! Du führst dich auf wie ein betrogener Ehemann! Wenn Tayson so abginge, könnte ich es verstehen, aber nicht bei dir! Hör auf, verdammt, du bringst noch alle um mit deinen Zaubern!“ „Dann sei es so!“, brüllte der Wahnsinnige vor ihm und riss die Arme samt Schwert gen Himmel, „Ich bin der rechtmäßige König von Kisara! Ich bin der rechtmäßige König der Geister! Und ihr sollt knien... oder verrecken!“ Zoras weitete in blankem Entsetzen die Augen bei diesen Worten – was bildete der sich ein? Hielt er sich für einen Gott?! Er wollte bereits Luft holen und dem vermutlich tödlichen Zauber etwas entgegen setzen, doch dazu kam es nicht; plötzlich erklang das Kreischen einer Frau, und er sah mit Schrecken Neisa kommen, sie packte ihren Bruder mit einer unglaublichen Kraft und zerrte ihn schreiend rückwärts, hätte ihn dabei fast umgeworfen und umklammerte ihn dann wimmernd mit beiden Armen. „Karana!“, kreischte sie, „Um Himmels Willen, hör damit auf! Ich flehe dich an, hör auf! D-du darfst nicht weiter machen, kämpfe dagegen! Beherrsche deinen Geist, Karana... Bruder!“ „Lass mich los, du Hure!“, brüllte Karana sie an und hätte sie zur Seite geschlagen und ihr sicher das Genick gebrochen, hätte sie ihn nicht in dem Moment wirklich losgelassen und wäre ausgewichen. „Neisa, verschwinde!“, stöhnte Zoras, „Er ist absolut verrückt geworden, komm ihm nicht zu nahe!“ „Ihr dürft euch nicht gegenseitig töten!“, schrie die junge Frau weinend, „Ihr gehört beide zu den Sieben! Karana, hör auf! Hört beide auf, augenblicklich!“ Karana zischte wutentbrannt und entblößte seine scharfen Eckzähne wie ein angreifendes Raubtier, als er seine Schwester anfunkelte. Dann ließ er die Arme sinken und packte stattdessen Neisas Kragen, zerrte sie an sich heran und griff ihr mit den Händen vor Zorn bebend an die Kehle. „Du bist mein!“, brüllte er und sein Gegner blinzelte fassungslos über das, was er da hörte und sah. So benahm sich doch kein Bruder... was war nur in ihn gefahren? „Du wirst es nicht wagen, mich mit ihm zu betrügen... nie wieder, Neisa, oder ich werde dich umbringen!“ „Was redest du da?!“, kreischte sie und versuchte, sich von ihm loszureißen, aber sein Griff war zu fest. „Du bist mein Bruder, wir sind vom selben Blut!“ „Das ist mir egal!“, fuhr er sie an, „Du gehörst mir... auf ewig!“ Und er packte mit einer solchen Brutalität ihr Kinn, dass irgendetwas in ihr knackte, und Zoras konnte nur fassungslos da stehen und zusehen, als Karana seine eigene Schwester mit solcher Intensität an seinen Körper heran presste, dass sie nach Luft schnappte. Dann küsste er sie gierig auf die Lippen. Neisa erstarrte in seinem Griff und wurde schlaff wie eine tote Puppe, als er sie mit einer Leidenschaft küsste, die sich für keinen Bruder gehörte... und aus diesem Kuss sprach nicht einmal die verbotene Liebe für seine Schwester, sondern nur pure Machtgier und purer Zorn. Um sie herum versammelten sich immer mehr Leute und von irgendwo schrie jemand, durchgelassen zu werden. Zoras konnte nur starren – er war absolut unfähig, sich zu rühren, als Karana Neisa immer noch wild küsste und sich in einer Weise gegen sie stieß, als würde er sie nehmen wie ein Mann seine Frau. Der Alptraum endete ganz abrupt, als Karana plötzlich von hinten zu Boden geschlagen und von Neisa fort gerissen wurde. Neisa brach japsend zusammen und Zoras erkannte Simu, der sie hoch zerrte und aus Karanas Reichweite brachte, während hinter ihm Leyya Lyra und Karanas seltsame Gefährtin mit den schwarzen Haaren auftauchten, beide nur fassungslos auf das starrend, was hier geschah. Zoras' verstörter Blick wanderte zu Karana, der sich die blutende Lippe rieb und keuchend empor starrte zu seinem Vater, der jetzt vor ihm aufgetaucht war. Und der Herr der Geister schien noch weniger erfreut über all das zu sein als jeder andere. Der Schwarzhaarige sah den König von Kisara am ganzen Körper beben vor Anspannung, er spürte sogar auf die Entfernung seinen Zorn. „Muss ich dich jedes Mal erst verprügeln, damit du Vernunft annimmst?!“, herrschte er seinen Sohn jetzt an, „Jetzt... bist du zu weit gegangen, Karana! Reicht es nicht, dass mich meine Tochter mit ihrem schändlichen Verhalten so enttäuscht hat?! Musst du gleich mitmachen dann?! Wie kannst du es wagen, deine eigene Schwester anzurühren?! Es ist verboten zwischen Menschen, die demselben Blut entstammen, und du weißt das ganz genau! Ich... ich bin so entsetzt über das, was ich hier erlebe, dass mir die Worte fehlen!“ Karana zitterte am ganzen Leib und versuchte offenbar in einem schweren, inneren Kampf, seinen Zorn zu zügeln – völlig fassungslos dachte Zoras nicht einmal daran, seine Waffe fester zu packen. Dieser Kerl war garantiert im Inneren sogar gewillt, seinen eigenen Vater gleich zu zerfetzen, weil er es gewagt hatte, ihm in die Quere zu kommen... dann wanderte der Blick des Wahnsinnigen wieder zu Zoras und er erzitterte heftiger, ehe er auf die Beine sprang und wütend zischend drauf und dran schien, sich noch einmal auf ihn zu stürzen. „Er hat meine Schwester geschändet!“, brüllte er und wurde von seinem Vater, Simu und seiner Gefährtin zugleich an den Armen gepackt und zurück gerissen. „Du hast deine Schwester gerade geküsst, du abartiger Kerl!“, empörte letztere sich, „Bist du eigentlich noch ganz schussecht?!“ „Ich bin ein Mann, ich darf küssen, wen ich will!“ „Nicht deine Blutsverwandten auf so eine Weise!“, entrüstete sein Vater sich, dann sah er auch in Zoras' Richtung. Es wurde plötzlich still, und der kleine Mann hustete fassungslos, als ihn plötzlich alle anstarrten. „Sprich, Zoras!“, grollte der König von Kisara dann finster, „Hast du... mit meiner Tochter verkehrt?“ Der Jüngere errötete verlegen. Das in der Öffentlichkeit des Lagers auszudiskutieren gefiel ihm nicht wirklich... „Ja, Himmel.“, gestand er dann murrend, „Ich weiß, es war auch mein Vergehen, nicht allein Neisas. Obwohl sie es war, die zu mir kam, und ich habe versucht, ihr das Lügen auszureden! Da ich aber darin versagt habe, den... Trieben zu widerstehen, die Eure liebreizende Tochter so geschickt zu entflammen weiß, ist es auch meine Schuld. Vergebt mir... ich hatte nicht die Absicht, Euch oder Neisa oder irgendwen zu erzürnen.“ „Schon gut, wir sind quitt.“, seufzte Puran Lyra und der Schwarzhaarige blinzelte. Quitt? „Du hast meiner Tochter und mir vor Vialla das Leben gerettet... ich denke, du hast dir deine Vergütung dafür selbst ausgesucht.“ Zoras weitete bestürzt die Augen, während er Neisa hinten bei ihrer Mutter erschaudern sah. „Ich liebe dich...“, wisperte sie dann in seine Richtung und errötete dabei, und Zoras sah Karana im Griff der beiden Männer und seiner Gefährtin zucken und fluchen. Der Schwarzhaarige sah wieder zu Neisas Vater, der ihn mit einer seltsamen Erwartung musterte; er fragte sich, ob er irgendetwas bestimmtes hören wollte jetzt. Er hatte nichts mehr zu sagen... oder? Mit einem Seufzen kehrte er der Versammlung den Rücken, nicht ohne sich noch einmal ehrerbietig vor dem König von Kisara zu verbeugen. Die Spannung fiel von den Menschen ab, als er sich abwandte und davon ging... und dennoch verschwand das Gefühl nicht, dass ihn irgendjemand beobachtete, als Zoras die Lyras und alle anderen stehen ließ. Bevor er ganz weg war, blickte er noch einmal zurück und in Karanas vor Wut verzerrtes Gesicht; der Ältere kämpfte offenbar mit alle Macht die er besaß um seine Beherrschung. „Hüte dich, Karana... wenn du nächstes Mal so die Kontrolle verlierst, werde ich nicht in der Defensive stehen und blocken. Nächstes Mal, wenn du Gefahr läufst, wie ein Verrückter die ganze Welt zu zerstören, bringe ich dich eigenhändig um.“ In dieser Nacht war es totenstill in der kleinen Familienhütte der Lyras. Tayson war gegangen; er hatte sich zu den anderen in die Nachbarhütte zurückgezogen und mit niemandem mehr ein Wort gesprochen, was ihm keiner verübelte. Sie sprachen auch nicht mehr über die Vorfälle mit Karana im Lager, als sie später auf ihren Lagern lagen und teilweise schliefen. Karana und Iana hatten sich gegenseitig eisern schweigend den Rücken gekehrt. Keiner dachte auch nur im Ansatz daran, irgendetwas anderes zu tun als zu schlafen oder wach da zu liegen und zu schweigen. Puran kehrte seiner Frau in der Nacht auch den Rücken und fand keinen Schlaf. Sie war ihm nicht böse gewesen, dass er ihr so die kalte Schulter gezeigt hatte; es war ja nicht ihre Schuld. Er war nervös... die Geister sprachen von Unheil und der Familienfrieden war völlig verschwunden. Was heute passiert war, überstieg seine Kontrolle und die Grenzen seiner Nerven. Nicht nur Karana, der so wahnsinnig geworden war vorhin... unwirsch dachte der Mann an Zoras Derran zurück, der ihnen ohne ein Wort über Neisa zu verlieren den Rücken gekehrt hatte. Er hatte zugegeben, was er getan hatte, aber er hatte mit keinem Wort für die Frau gesprochen, die ihn so liebte... Puran fragte sich nervös, ob er denn Neisa auch so liebte. Wenn nicht... wie könnte er seine Tochter verblendet zu ihm gehen lassen, wenn sie ihren Schock überwunden hatte und es wieder würde tun wollen? Er hatte Neisa kaum angesehen im Lager vorhin... geschweige denn mit auch nur einem Wort deutlich gemacht, dass er das für sie empfand, was sie offenbar für ihn fühlte, wenn sie bereit gewesen war, für ihn Tayson aufzugeben und Karanas Zorn zu riskieren; Neisa hatte genau wie ihr Vater und alle anderen genau gewusst, dass Karana es niemals gutheißen würde, dass sie ausgerechnet mit Zoras Derran anbandelte. „Verdammt...“, murrte der Mann, rollte sich stöhnend von seinem Schlaflager und schlug die Decke zurück, um seine Schuhe anzuziehen, sich seinen Mantel überzuziehen und die Hütte zu verlassen. Nur Karanas Hund hob den Kopf und winselte fragend, aber der Herr der Geister war dem Tier gegenüber nicht zu Rechenschaft verpflichtet und sagte kein Wort. Es war stockfinster im Lager und es herrschte eine Grabesstille, die ihn unangenehm jeden verdammten Schritt furchtbar laut hören ließ, den er tat, und er hoffte, niemanden aufzuwecken, als er rastlos durch das Lager der Allianz streifte und versuchte, von den Geistern Antworten zu bekommen. Sie schwiegen ihn an und er verfluchte sie möglichst lautlos. Irgendwann blieb er unvermittelt stehen in der Nähe des Zauns, der das Lager begrenzte, als er das ungute Gefühl verspürte, verfolgt zu werden. Er sah hinter sich, entdeckte aber niemanden... aber das Gefühl blieb und unruhig hob der Schamane seine Hand, um darin eine kleine Flamme erscheinen zu lassen, die die nächste Umgebung erleuchtete. „Wer ist da?“, zischte er grantig in die Dunkelheit und Richtung des Zauns, doch die Antwort bekam er von hinten – hastig wie ein gejagtes Tier wirbelte er wieder herum, wobei die Flamme in seiner Hand flackerte, ehe sie Zoras Derrans Gesicht erleuchtete. „Wie es aussieht, bin ich nicht der Einzige, der es spürt... Majestät.“ Puran zog heftig die Luft ein, ehe er den jüngeren Mann einen Moment musterte. Er trug seine monströse Waffe wie immer bei sich und schien auf dem Weg nach draußen zu sein. „Was hast du hier verloren?“, fragte er ihn prompt und Zoras zuckte die Achseln. „Ich konnte nicht schlafen. Deshalb gehe ich raus und übe ein bisschen mit dem Medium. Ich fühle mich schon seit Tagen beobachtet von irgendetwas... das ich nicht sehen kann, ich dachte, vielleicht finde ich es bei der Gelegenheit gleich.“ Der König von Kisara seufzte leise. Das hatte er also eben gemeint... „Ja.“, murmelte er dann, „Du hast recht, ich habe es auch gemerkt. Was glaubst du, ist es? Atarus? Diese Raubtiere, die angeblich denken können?“ „Nein, ich glaube, die Beobachter sind eher Menschen. Oder sollte ich sagen, vielleicht noch eher Maschinen.“ Puran Lyra wusste, dass sein Gegenüber auf die Zuyyaner anspielte... die Jawohlmänner des Kaisers, der das andere Lager auf der anderen Seite des Tals leitete. Also doch Attentäter... es ist gefährlich, hier herum zu irren. „Ich habe mich... gewundert, dass du so schnell abgehauen bist vorhin.“, versetzte er dann, und Zoras, der schon im Begriff war, an ihm vorbei zu treten, hielt noch einmal inne. „Hast du... mir gar nichts zu sagen?“ Er erntete langes Schweigen. „Ich verstehe nicht, was Ihr meint.“, sagte Zoras dann. Der Ältere seufzte. „Ich hätte gedacht, wenn das Geheimnis jetzt ja gelüftet ist, würdest du nach meiner Tochter verlangen. Du hast es aber nicht getan... das hat mich verwirrt.“ Der Jüngere zögerte mit der Antwort. „Es... wäre mir schäbig vorgekommen, an Ort und Stelle... ich meine... das ganze Lager hat zugehört. Ich kann ohne sie leben, so nötig habe ich es nicht.“ Das war eine seltsame Antwort. „Neisa begehrt dich offenbar sehr. Sie hat gesagt, sie liebt dich... und dass du der Mann bist, für den sie sich geboren fühlt. Du scheinst... da ja anders zu empfinden.“ Zoras keuchte erschrocken. „N-nein! Herr, versteht mich nicht falsch, ich wollte nicht sagen, dass ich... nichts für sie empfinde, so ist es nicht! Ich... meine...“ Er fand offenbar keine Worte und Puran runzelte die Stirn über die offensichtliche Verlegenheit seines Gegenübers. Er war so anders als Tayson... es war eine merkwürdige Vorstellung, dass Neisa zwei so verschiedene Männer mochte. Oder gemocht hatte. Überraschend bekam der Schwarzhaarige Unterstützung, als aus der Dunkelheit eine dritte Person zu ihnen trat, in ihren Wintermantel gehüllt und so fest vermummt, dass der Herr der Geister Sora Kita zuerst fast nicht erkannt hätte. „Ich glaube, er liebt Neisa auch... das, was ich gesehen habe zwischen den beiden, spricht für sich, Majestät. Ich glaube, er ist nur zu schüchtern, um es zuzugeben.“ „Sora?!“, japste Zoras und Puran schnaubte kurz. „Ich bin nicht schüchtern! U-und ich brauche dich nicht, um für mich zu sprechen!“ „Vergib mir, ich will dich nicht beschämen...“, machte die junge Frau neben ihm und neigte vor dem König den Kopf. „Es ist... die Legende aus Fann, wisst Ihr? Sie besagte... dass ein weißes Mädchen in der Finsternis käme und dass sie... einst die Frau des Königs würde. Die Frau des Mannes, der das Zeichen trägt. Zoras trägt das Zeichen... und Neisa... ist das weiße Mädchen, das auf Zuyya nach Fann kam... um ihren Mann zu holen.“ Zoras widersprach ihr nicht, starrte sie aber entgeistert an, und der Herr der Geister zog die Brauen hoch. „Ich dachte, du... seist das Mädchen in Fann gewesen, Sora.“ „Das war ich, aber das war... nur Zufall. Ich bin mir sicher... dass die Legende von Anfang an Neisa gemeint hat. Ich... habe doch gesehen, wie sie sich angesehen haben. Es war, als... hätten die Geister... ein Band zwischen sie gebunden, das sie verbindet, für immer und ewig.“ Sie lächelte, während sie sprach; Puran fragte sich, ob in ihrem Geist wohl Wehmut mitschwang. Schließlich war sie auch einst Königin von Fann gewesen... damit Zoras' Frau. Aber sie schien so unbekümmert, dass er jetzt offenbar eine andere begehrte als sie... sie war nicht mal resigniert. Ihr hübsches Gesicht strahlte solche Zuversicht und Ruhe aus, wie er es selten bei einem Menschen erlebt hatte... höchstens bei ihrem längst toten Vater. „Senol...“, seufzte er den Namen des verstorbenen Kollegen und sah Soras Lächeln verschwinden. „Senol würde lächeln... könnte er dich jetzt hier stehen sehen, Sora. Ich hoffe... dass du eines Tages seinen Platz im Rat einnehmen wirst... so, wie Zoras den seiner Vorfahren.“ Er sah auf Zoras, der jetzt die grünen Augen weitete. „Ich? Was denn für Vorfahren?!“, entrüstete er sich, „Mein Vater ja wohl kaum!“ „Spürst du das Band, das Sora gemeint hat, wenn Neisa bei dir ist?“, fragte der Mann ihn, statt zu antworten, und der Kleinere griff seine Hellebarde und sah erst errötend weg, dann zwang er sich offenbar doch wieder, empor zu blicken, ehe er sprach. „Ja...“, murmelte er dann leise, „Das... habe ich schon sehr lange gespürt.“ „Dann ist es gut...“, erwiderte der Älteste der drei mit einem ermüdeten Lächeln. „Die Geister lügen nicht... in solchen Dingen. Wenn du das Band spüren kannst... dann irrt sich Neisa wohl nicht damit, dass du der Mann bist, für den sie geboren wurde... und sie die Frau, für die du geboren wurdest.“ Er verneigte sich flüchtig vor den beiden Jüngeren, bevor er seine Flamme erlöschen ließ und zurücktrat. Es wurde dunkel. „Das... ist alles, was ich wirklich wissen wollte, Zoras. Gute Nacht, ihr beiden – Sora, du solltest heimkehren. Alleine draußen herum zu laufen ist... gefährlich um diese Zeit.“ Das merkte der Mann nur wenige Momente später selbst, als er sich gerade auf den Weg zurück zu seiner Hütte machte und Zoras und Sora hinter sich gelassen hatte, als er plötzlich spürte, wie jemand in der Finsternis direkt vor ihn trat und eine Waffe auf seine Kehle richtete. Es war zu dunkel, um viel sehen zu können, aber mehr als bedrohen tat der Gegner vor ihm ihn offenbar nicht, statt zuzustechen hielt er Puran nur kommentarlos die außergewöhnlich gut bearbeitete Spitze eines Speers an den Hals. Es war mehr ein Instinkt, der dem Herrn der Geister sagte, was für eine seltene Konfrontation er jetzt erlebte, und als er wieder mit Vaira eine Flamme in seiner Hand entstehen ließ, um Licht zu machen, war er nicht überrascht darüber, Ram Derrans erbostes, feindseliges Gesicht zu sehen. „So weit sind wir also schon?“, brummte er Zoras' Vater unwirsch an, „Du schleichst dich im Dunkeln an und willst mich meucheln? Wie unehrenhaft von dir. Hier sieht doch niemand, wie du mich tötest, Ram.“ „Es geht mir auch nicht um Ruhm und Ehre... anders als dir.“, zischte der Schwarzhaarige grantig, ohne den Speer zu senken. Ram Derran war ein unglaublich talentierter Jäger, darin war er schon immer viel besser gewesen als Puran, selbst als sie Kinder gewesen waren war Ram ihm von den Zauberkräften abgesehen körperlich definitiv überlegen gewesen. Sie hatten sich so oft geprügelt als kleine Jungen, und so oft waren ihre Eltern deshalb zur Schuldirektorin zitiert worden... die Zeiten schienen so lange her zu sein. Puran fragte sich schon seit er Ram zum allerersten Mal begegnet war, was er eigentlich für ein Problem hatte... was es war, das seinen ewigen Hass auf ihn schürte. Soweit er sich entsann, hatte er Ram Derran nie etwas angetan... oder? „Was willst du?“, fragte er sein Gegenüber lustlos, „Ohne dir zu nahe treten zu wollen, aber sonderlich klug wäre es nicht, mich jetzt umzubringen.“ „Ich bringe dich... nicht um.“, grollte der etwas Ältere zornig. „Ich... warne dich nur. Ich will mit deiner... abscheulichen Familie nichts zu tun haben! Und deine Tochter, diese kleine Nutte, verdreht meinem Sohn den Kopf, das gefällt mir nicht!“ „Ach... seit wann scherst du dich denn um deinen Sohn? Bisher hast du ihn immer nur beschimpft und verprügelt... ist dir plötzlich eingefallen, dass du sein Vater bist, oder was?“ „Halt die Fresse, Lyra!“, zischte Ram erbost und Puran rührte sich nicht, als sich die Spitze des Speers fester gegen seine Kehle drückte und die Haut leicht verletzte. „Ich habe gesehen, was heute passiert ist. Mit Karana. Wenn Karana meinem Sohn nur ein Haar krümmt wegen deiner nuttigen Tochter, dann bringe ich sie um!“ Puran lachte hohl. „Du hast Angst vor Karana?! Das glaube ich ja nicht... und du traust ihm ernsthaft zu, deinen Sohn zu töten? Halte Zoras nicht für ein nutzloses Gör, wie du es immer getan hast... er ist mächtig, er trägt in sich das Blut von Geisterjägern. Du weißt das... du weißt, dass Pakuna die Enkelin von Zoras Chimalis ist. Der Mann, nach dem dein Sohn benannt wurde... obwohl es mich irgendwie freut, zu sehen, dass du plötzlich dein Kind schützen möchtest. Nenne meine Tochter noch einmal eine Nutte und ich vergesse mich, Derran.“ Der Ältere fluchte ungehalten. „Ich verabscheue euch alle, verdammt!“, rief er dann und dämpfte seine Stimme gezwungen, um nicht das ganze Lager aufzuwecken. „Du... und deine Familie von Bastarden! Ich werde euch niemals vergeben, ihr habt schon in Dokahsan nur Unheil über uns gebracht! Nein... in Lyrien, sollte ich sagen, oder?! Im Reich deines verblendeten Großvaters... unter dessen Fuchteln ganze Dörfer verreckt sind oder ermordet wurden, wenn sie nicht knien wollten! Ihr seid ein Haufen von Lügnern und Betrügern, die nur nach Macht hungern! Ich vergebe euch nicht, verdammt!“ „Ich habe keinen Schimmer, wovon du redest.“, stöhnte der Herr der Geister, schob Rams Speer von seinem Hals weg und trat zur Seite. „Dass mein Großvater ein Mörder und Bastard war, weiß ich doch selbst, und ich verabscheue ihn sicher genauso wie du!“ Er schwieg einen Moment und erinnerte sich düster an einen Tag vor sehr, sehr vielen Jahren – an den Tag, an dem sein Großvater gestorben war. Es war ein eisiger Winter gewesen in Dokahsan, an dem das Ende von Lyrien gekommen war... und seine Cousine war krank gewesen. Und sein Großvater hatte seinen kleinen Enkelsohn mit auf die Jagd genommen... auf die Jagd nach einem krüppeligen Reh, die zu einer Jagd auf einen kleinen, schwarzhaarigen Jungen geworden war. „Du bist... ihm begegnet als kleines Kind... dem Tyrannen Kelar. Wir... haben uns an dem Tag zum ersten Mal gesehen, als mein Großvater später starb.“ Ram Derran verengte die schmalen, grünen Augen zu noch schmaleren Schlitzen. „Ja, ich weiß. Du hast vor ihm auf dem Pferd gesessen, du kleiner, gestriegelter Schönling, deine Haut war so bleich, wie es nur bei Adeligen sein kann, die nie die Sonne sehen. Und ihr habt auf mich herunter gestarrt... als ich am Waldboden saß und das erlegte Reh an mich gedrückt habe, das ich erbeutet hatte. Es war Hungermond, es war eiskalt und wir hatten nichts zu essen in meiner Familie. Dieses Reh war die letzte Hoffnung, die wir hatten, nachdem dein wahnsinniger Großvater schon alles Wild selbst ermordet hatte oder für sich beanspruchte. Und er... wollte es mir wegnehmen, das Reh. Du hast zugesehen und gestarrt. Du hast gehört, wie dein Großvater mich und meine Familie beschimpft und beschämt hat, wir wären Würmer und unwürdig, weil wir nicht gut zaubern könnten.“ „Hättest du erwartet, dass ich dich unterstütze?“, wunderte Puran sich perplex, „Ich war verdammt noch mal fünf, ich war ein verzogenes, verwöhntes Muttersöhnchen, ich hätte dir beim besten Willen nicht helfen können. Ich erinnere mich gut an den Moment. Das war noch vor der Schule... bist du mir etwa deswegen immer noch böse heute?“ Die Erkenntnis war verblüffend... das meinte der doch nicht ernst! Doch Ram Derran spuckte ihm vor die Füße und verzog das Gesicht. „Ach, Quatsch!“, grollte er, „Ich verabscheue euch, weil ihr mich angelogen habt! Weil dein Vater kam, mit einem anderen Pferd. Er hat gesagt, ich dürfte das Reh behalten. Er gab mir sein Wort, ich sollte nicht auf seinen Vater Kelar hören und wegrennen, niemand würde mir etwas tun. Und er hat... mich angelogen. Denn als ich weg war und glaubte, ich wäre sicher, kam dein Großvater noch einmal zurück. Du warst nicht mehr dabei... aber er kam und nahm mir das Reh. Und ich habe es seit jenem Tag bereut, dem Wort eines von euch Lyras jemals Vertrauen geschenkt zu haben. Weil wir nichts zu essen hatten, ist mein kleiner Bruder in diesem Winter verhungert. Es ist eure Schuld, dass er tot ist, Puran! Ja, eure! Ich werde... euch niemals vergeben, dass ihr ihn umgebracht habt! Ich werde nicht zulassen, dass auch nur einer aus meiner Familie noch euretwegen krepieren muss! Weder mein Sohn... noch meine geliebte Frau! Wenn du es wagst, Pakuna auch nur ein einziges Mal anzusehen, bringe ich dich um... Pakuna ist meine Frau, Puran!“ Der Jüngere blinzelte ein paar Mal und versuchte im Kopf noch einmal durchzugehen, was dieser Kerl da sagte. Schließlich schnaubte er verwirrt und empört über all die Anschuldigungen. „Ah, um Pakuna geht es jetzt also?!“, entrüstete er sich, „Du siehst Gespenster, ich hatte nie Interesse an ihr, jedenfalls nicht so, wie du denkst!“ „Du hast ihr den Kopf verdreht, du bildschöner Kerl, wie dir eben alle Frauen zu Füßen gefallen sind, schon immer! Pakuna mag dich, das hat sie immer getan! Und es kotzt mich an!“ „Ich habe sie nie im Leben angerührt, dass ich jemals mit ihr zu tun hatte war, als ich verdammte zehn war, ein kleines Kind, ich hatte doch gar nichts anrüchiges im Kopf! Und sie wohl erst recht nicht mit ihren sieben Jahren. Vertraust du deiner eigenen Frau nicht? Wirst du jedes Mal so gallig, wenn sie es wagt, nicht jeden anderen Mann der Welt zu hassen? Pakuna hatte keinen Grund, mich zu hassen, und ich habe keinen, dich zu hassen! Und ebenso wenig bin ich Schuld am Tod deines Bruders! Dass er sterben musste, tut mir leid, ich hatte nichts damit zu tun.“ „Spar dir dein Mitleid!“, keuchte Ram und zitterte, als er zurücktrat. „Von dir brauche ich keins! Hotah ist tot und auch dein Mitleid wird ihn nicht wieder lebendig machen!“ „Und dein Hass auf meine Familie wird es auch nicht!“, empörte sich Puran und sah, wie sein Gegenüber erstarrte. „Was... mit meinem Großvater passiert ist damals, war eine Schande für alle Geister des Lebens. Du bist nicht der einzige, dem von ihm unrecht angetan wurde! Er war ein grausamer Mann und ich habe ihn immer gefürchtet und gehasst, Ram! Als mein Vater dir versprach, das Reh behalten zu dürfen, hat er nicht gelogen. Mein Vater war anders als Kelar! Allein Kelar ist der böse Geist, der Schuld hat am Tod deines Bruders! Willst du mir weismachen, dass du das in all den Jahren nicht selbst kapiert hast?! Willst du jetzt mich und meine ganze Familie für das verantwortlich machen, was geschah, als meine Kinder noch nicht mal lebten und ich noch ein dummes Kind war?! Werd erwachsen, Ram Derran! Kelar... ist tot. Mein Vater war es, der ihn noch am selben Tag seines Amtes enthoben und erschlagen hat.“ Er kehrte Ram den Rücken und ließ die Flamme verschwinden; wenn der andere noch vorhatte, ihn wirklich zu töten, wäre das jetzt die beste Gelegenheit. Aber Ram Derran tat nichts, er blieb einfach nur erstarrt stehen und sagte kein Wort. „Wollen wir uns jetzt wie als kleine Jungen den Schädel gegenseitig einschlagen?“, fragte er den Schwarzhaarigen dann spöttisch, „Oder haben wir jetzt... geklärt, was wir vor vielen Jahren schon hätten klären sollen? Ich bin dir nicht böse... ich habe nie kapiert, was du hattest. Aber auch, wenn wir uns immer geschlagen haben, habe ich dir nie... den Tod gewünscht. Was Kelar getan hat, war eine Schande und ein Vergehen... glaub mir, ich bezahle schon bitter für all seine Frevel. Die Geister lassen... mich nicht vergessen, was in Lyrien geschehen ist, und haben mich zu dem gemacht, was ich bin, damit ich verhindern kann, dass... so etwas jemals wieder passiert. Ich gebe dir mein Wort... dass es nicht wieder kommen wird.“ Ram Derran packte vermutlich seinen Speer fester, hob ihn aber nicht, und als Puran sich wieder zu ihm umdrehte, im Dunkeln nur seine Silhouette erkennend, spürte er instinktiv den Unwillen des Mannes; seinen Stolz, der nie zulassen würde, dass er sich eingestand, all die Jahre über einen sinnlosen Hass gegen eine Familie geschürt zu haben, die den, der wirklich Schuld trug, ebenso sehr hasste wie er selbst. „Wie könnte ich deinen Worten vertrauen, Puran?“, fragte der Ältere dann dumpf. „Dein Vater hat auch gelogen. Ob nun absichtlich oder nicht, jedenfalls konnte er sein Wort nicht halten.“ „Nun, ich werde es tun. Vertrau mir oder lass es bleiben. Geh nach Hause... ich würde das jetzt auch gern, ich bin todmüde.“ Er ging ohne weitere Worte an dem Schwarzhaarigen vorbei, ohne dass Ram ihn noch einmal aufhielt. Als er sich schon ein gutes Stück von ihm entfernt hatte, erhob Zoras' Vater noch einmal dumpf die Stimme. Er war zerknirscht, aber Puran wusste, dass der andere versuchte, ihm zu glauben... das war das erste Mal, dass sie so friedlich miteinander sprachen, wo sie sich doch ihr Leben lang nur geschlagen hatten. Das war das erste Mal, dass in Rams Stimme keine Verachtung mitschwang, als er sprach. „Wenn du dein Wort brichst... werde ich dir nicht noch einmal vergeben. Und Finger weg von meiner Frau.“ ____________________________ Ram lebt! Noch! xD Tayson ist angearscht, Zoras fühlt sich VERarscht, so von der ganzen Welt, Karana liebt Inzest, hach ich mag es wenn die Charas so behindert sind xDD Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)