Der unerwünschte Mieter von Pansy ================================================================================ Kapitel 20 ---------- Kapitel 20 „Warte!“ Ein Arm packt mich und hindert mich daran, in mein Auto zu steigen. „Du hast was vergessen.“ Aurel hält mir das Bild hin, das er für mich gemalt hat. Er hält mir ein Abbild von Joshua hin. „Kannst du behalten“, murmele ich und unternehme abermals einen Versuch, in mein Auto zu steigen. „Lass mich bitte los“, raune ich leise, da er seine Hand einfach nicht von meinem Unterarm nehmen möchte. „Meinst du, ich lasse dich in deinem Zustand Auto fahren?“ Er sieht mich mit hochgezogenen Brauen an. „Ich fahre dich, wenn das okay ist.“ Nein, nichts ist okay! „Ich komme schon heil nach Hause, keine Sorge. Also wärst du nun so nett, mich endlich loszulassen?“ Ich möchte jetzt einfach allein sein. Allein mit mir und der Welt ringen. Unter dem aufgegangenen Mond dahinfahren und alles hinter mir lassen. „Bitte gib mir den Schlüssel.“ Seine Stimme ist ganz sanft. „Verstehst du denn nicht, dass ich jetzt niemanden in meiner Nähe haben möchte?“, entgegne ich gereizt und übergehe seinen sorgenvollen Blick. Mein linker Fuß scharrt über den Boden und ich presse meine Lippen fest aufeinander. Wenn Aurel nicht langsam nachgibt, kann ich für nichts garantieren. „Und ob ich das verstehe. Nichtsdestotrotz möchte ich nicht riskieren, dass du vor lauter Wut, Aufgebrachtheit und Enttäuschung gegen den nächsten Baum fährst.“ Seine stoische Ruhe passt überhaupt nicht zu dem Tosen in meinem Innern. In mir werden gerade die vielen kleinen Liebesgefühle niedergetrampelt, überrollt und vernichtend geschlagen. Und obwohl sie in der Unterzahl sind, begehren sie immer und immer wieder tapfer auf und stemmen sich dem Wall entgegen, der von allen vier Seiten stetig auf sie zugerückt kommt. „Werd' ich schon nicht“, murre ich und deute auf seine Hand. „Könntest du?“ „Dich muss es wirklich voll erwischt haben, so unvernünftig kenne ich dich gar nicht.“ Dennoch lässt er mich endlich los und wirft die Papierrolle an mir vorbei auf den Beifahrersitz. „Pass auf dich auf“, haucht er und wendet sich von mir ab. Ich strecke eine Hand nach ihm aus und erwische nur die kühle Abendluft. Na das habe ich ja toll hinbekommen. Bravo, Milly. Jetzt hast du auch noch Aurel vergrault. „Geh nicht!“, rufe ich ihm hinterher. „Tut mir leid, du hast ja recht, ich sollte nicht fahren.“ Obwohl er zunächst zögert, kommt er dann doch zurück und sieht mich mit seinen eisblauen Augen an, die sogar im schwachen Schein der Laternen ein wenig leuchten. „Die Schlüssel?“ Ich drücke sie ihm in die Hand. „Du bist zwar versichert, aber bitte pass auf mein Auto auf, ja?“ Eigentlich ist es mir nicht recht, meinen Polo herzugeben, auch wenn er mich schon so oft im Stich gelassen hat, aber ich sollte wirklich Vernunft walten lassen. Als ich neben Aurel im Auto sitze, sein Bild in meinen Händen, seufze ich laut auf. „Ich weiß nicht, ob ich dir danken soll oder nicht.“ „Dann sag' einfach gar nichts.“ Mit einer schnellen Bewegung macht er das Radio an und dreht es laut auf. Ich schließe die Augen und lasse mich von den rhythmischen Klängen treiben. Mein Kopf sinkt nach rechts, bis er auf meiner Schulter liegt. Unablässig sehe ich auf Joshua, der mir seine Kette hinhält. Ein Requisit, ein Teil von Lukas, seinem Beruf, seinem Job, seiner Rolle. Und ich Idiotin war drauf und dran, ihm alles zu glauben, die Worte von seinen Lippen zu saugen und sie tief in meinem Herzen zu verinnerlichen. So lange habe ich meinen Schutzwall erfolgreich aufrecht erhalten können. So lange habe ich es geschafft, keine Schmetterlinge in mir fliegen zu lassen, die mich am Ende von innen heraus auffressen. Die Liebe spielt oft ein bitterböses Spiel und mit mir ganz besonders gern. „Mach dir nichts draus“, meint Aurel, nachdem er die Musik wieder leiser gedreht hat. „Du kannst nichts dafür, seinem Charme ist man schnell erlegen.“ Ich öffne die Augen und richte mich in meinem Sitz wieder auf. „Klar.“ Als ob er auch noch die leiseste Ahnung davon hat, was in mir vor sich geht. Man, ich hab' ernsthaft geglaubt, dass es auf Gegenseitigkeit beruht, dass ich endlich fündig geworden bin! Doch wer mich so dreist anlügt, kann es nicht ernst mit mir meinen. Ich mag Ecken und Kanten, aber nicht solche, die aus Unehrlichkeit und Lügen bestehen. „Wo müssen wir eigentlich hin?“, fragt Aurel, als wir an einer roten Ampel stehen. Unvermittelt muss ich lächeln. „Fährst du immer einfach auf gut Glück los und fragst erst Minuten später, ob du zufällig die richtige Richtung eingeschlagen hast?“ Aber ich habe auch nicht daran gedacht, dass er ja gar nicht weiß, wo ich wohne. Er zuckt die Schultern und deutet auf mein Navi, das noch in der Scheibe hängt. „Erstens ist der Tank noch voll genug, zweitens findest du damit immer nach Hause. Schmeißt du es mal an?“ Als mein Navi das Sagen übernimmt und die Ampel in diesem Moment auf grün umspringt, wirft er mir einen musternden Blick zu. „Siehst du, nichts ist so schlimm, dass du dein Lächeln einbüßen müsstest.“ Kaum hat er das gesagt, schaue ich zur Beifahrerseite hinaus und kämpfe gegen den Drang an, meine Hände mitsamt der Zeichnung zu Fäusten zu ballen. Wenn ich das Bild jetzt verunglimpfe, ist das, als ob ich damit Aurel selbst Schaden zufügen würde. „Man hat immer leicht Reden, wenn man sich nicht selbst in einer solchen Situation befindet. Das kenne ich nur zu gut“, hauche ich gegen die Scheibe neben mir. „Meinst du nicht, dass jeder schon mal unglücklich verliebt war?“ Doch schon. Bestimmt. Vermutlich mehrere Male. Aber im Gegensatz zu mir waren sie sicherlich schon einmal glücklich verliebt. „Hältst du mich für so naiv, dass ich denke, das passiere nur mir?“ „Nein, ich möchte dich nur daran erinnern, dass es viele Menschen gibt, mit denen du dein Leid teilen kannst. Du musst nicht alles auf deinen Schultern tragen.“ „Jessi muss grundsätzlich mit mir mitleiden“, meine ich ohne nachzudenken. Sie muss ohnehin alle meine Gemütsschwankungen ertragen und ich bin unendlich froh, eine beste Freundin wie sie zu haben. Hatte nicht vorhin mein Handy gepiepst? Während mein Navi Aurel gerade anweist, in zweihundert Metern nach links abzubiegen, lege ich das Bild zwischen meine Füße und krame mein Handy aus meiner Tasche. Tatsächlich. Eine SMS von Jessi. Hallo, meine liebe Milly. Wie geht es dir? Ich vermisse deine täglichen E-Mails. Hast du Joshua schon gesprochen? Ja, aber es ist nicht so gelaufen, wie wir beide uns das vorgestellt haben. Ganz und gar nicht. Huhu Jessi, hab' ihn gesehen, doch er hatte nichts besseres zu tun als mich anzulügen. Ich schreib dir nachher ausführlicher. Bin auf dem Heimweg. *drück* Milly Kaum habe ich das Handy weggelegt, fängt das Radio an zu rauschen und kurz darauf piepst mein Handy. So schnell kann Jessi mir doch gar nicht zurückschreiben, oder? Ich schau auf mein Display und wundere mich über die mir fremde Nummer. Schulterzuckend öffne ich die SMS und erstarre. Du hast nicht 'ich wünsche mir' gesagt ;-) Ich schaue um mich, aus den Fenstern, über die Straße, die Gegenfahrbahn, die Natur um uns herum. Mich überfällt ein Frösteln. „Hast du ihm meine Nummer gegeben?“, frage ich Aurel verwirrt. „Wem?“ „Na wem wohl!“ „Gewiss nicht. Bis heute wusste ich ja nicht mal, dass ihr euch kennt.“ Während ich mich abermals nach allen Seiten hin umsehe, streiche ich mir mein Haar zurück. Dann fällt mein Blick wieder auf mein Handy, das ich durch einen Tastendruck erneut aufleuchten lasse. „Was hat er denn geschrieben?“ Ich kann ja jetzt schlecht sagen, dass es ihn nichts angeht, also antworte ich wahrheitsgemäß. „Das Schlimme ist, dass er auch noch recht hat. Ich habe das nicht als Wunsch formuliert, zumindest glaube ich das.“ „Ja und? Was ist so schlimm daran?“ Alles!? Er tut nur das, was ich sage, wenn es ein Wunsch ist und er damit seine Ehrenschulden einlöst. Mir schwant nichts Gutes. „Naja also ...“ Wie soll ich mich Aurel nur erklären? „Ach, nicht so wichtig. Vielleicht hat das gar nichts zu bedeuten.“ „Klar“, nickt er und sieht mich kurz enttäuscht an. Oh man, ich hab's heute echt drauf, Aurel vor den Kopf zu stoßen. Da mich sofort ein schlechtes Gewissen plagt, erzähle ich ihm von den drei Wünschen, die ich mir erwettet habe. „Tja und ich habe es vorhin wohl vermasselt.“ „Was hast du ihm denn genau gesagt?“ Jetzt wird’s hier aber nach meinem Empfinden zu persönlich. „Keine Ahnung, so genau weiß ich das nicht mehr. Im Endeffekt eigentlich nur, dass er mich in Ruhe lassen soll.“ „Und du glaubst, dass er das nicht tun wird?“ „Wollen wir das ernsthaft weiter analysieren?“ Eigentlich habe ich keine große Lust, dieses Thema weiter zu diskutieren, vor allem nicht jetzt. Schweigen breitet sich zwischen uns aus und glücklicherweise fahren wir gerade an Fendens Ortsschild vorbei. Nur noch einmal abbiegen, dann bin ich zuhause. „Wie kommst du eigentlich wieder heim?“, schießt es plötzlich aus mir heraus. Das gibt’s ja nicht! Ich lasse mich hier von ihm chauffieren und denke bis kurz vor dem Ziel nicht mal im Entferntesten daran, dass er ja wieder zurück muss. Vermutlich hat er in der Nähe des Theaters irgendein Pensionszimmer oder so bezogen, bis er mit den Bühnenbildern fertig ist. „Ich wohne momentan bei Kai, du weißt schon, dem Autor des Stücks. Ihm habe ich es ja auch zu verdanken, dass ich momentan hier bin. Und um auf deine Frage zu antworten, ich nehme mir ein Taxi.“ „Aber-“, setze ich an, doch er schneidet mir das Wort ab. „Das geht schon so in Ordnung. Mach' dir deshalb keine Sorgen.“ „Jetzt links, dort die ganz rechte Garage“, weise ich ihn an, als wir in meine Straße einbiegen. Ich schnappe mir meinen elektrischen Garagenöffner und drücke auf den gelben Knopf, die einzige Taste der Fernbedienung. Er hält an, während das Tor gerade hochfährt. „Vorsicht, die ist saueng.“ „Ich seh's, aber das pack ich schon.“ „Gut, ich vertrau dir“, entgegne ich und steige aus. „Danke fürs Heimbringen“, meine ich, als er ausgestiegen ist und das Tor wieder herunterfährt. „Ist es wirklich okay für dich, ein Taxi zu nehmen?“ Zweifelnd blicke ich ihn an. „Das stellt wirklich kein Problem dar. Du bist gut hier angekommen, das ich wichtiger als ein bisschen Geld. Aber du könntest mir noch sagen, wo ich hier das nächste Taxi finde.“ „Per Telefon?“ Dachte er, hier stehen sie massenweise herum und warten nur auf einen einzelnen gestrandeten Mann, der sich hierher verirrt hat, weil er sich Sorgen um eine Freundin gemacht hat? „Ich habe drinnen ein Telefonbuch, dann kannst du dir eines rufen.“ „Ist das eine Einladung?“, grinst er. „Sozusagen“, lächle ich zurück. Doch im nächsten Moment erstirbt mein Lächeln, als ich einen Schatten um die Hausecke gehen sehe. Joshua! Ich atme laut aus, als ich realisiere, dass er es nicht ist. Schlagartig hallen die Worte seiner SMS in mir wider. „Komm, gehen wir rein“, laufe ich los, bemüht, mich nicht im Kreis zu drehen und die Gegend nach ihm abzusuchen. „Das Treppenhaus wirkt etwas lieblos, hier könnte man mit ein bisschen Farbe richtig was draus machen.“ Aurel lässt seinen Blick über die fahlen weißen Wände und die wenigen unspektakulären Bilder irgendwelcher Massenproduktionen schweifen. „Magst du dich vielleicht ehrenamtlich betätigen? Ich hätte nichts dagegen.“ „Ich glaub' kaum, dass dein Vermieter das dulden würde.“ Mein Vermieter! … Herr Hilkers hätte ohnehin bei mir etwas gut zu machen. „Was würde dir denn an Gestaltung so vorschweben?“ „Ich würde dir hier ja gerne eine Oase des Wohlfühlens erschaffen, aber das lassen wir lieber mal sein. Wenn ich dir jetzt erzähle, was ich hieraus machen würde, würdest du mich nur so lange bequatschen, bis ich es in die Tat umsetze. Und ich möchte dich nicht in Schwierigkeiten bringen.“ „Wirklich schade.“ Ich schließe meine Wohnungstür auf und deute Aurel an, voranzugehen. „Die Schuhe kannst du meinetwegen anlassen, es regnet ja nicht.“ Meine eigenen Schuhe stelle ich an ihren gewohnten Platz und folge Aurel strümpfig in den Wohnbereich. „Äh ja, das ist meine bescheidene Wohnung“, äußere ich, als er sich neugierig umsieht. „Viel besser als der Hausflur. Sieht durch und durch nach dir aus.“ „War klar, dass dich diese vielen Puzzles nicht stören!“ Mir stockt der Atem und meine Augen weiten sich. Auch Aurel zuckt zusammen und überlegt, woher die Stimme kam. Das kann ich ihm sagen: Von der Galerie! Es folgt ein Knarren und dann weiteres Geknarze, als Joshua ein paar Stufen die Treppe herunterkommt. „Ihr habt aber lange hierher gebraucht.“ Lässig lässt er sich auf einer Stufe nieder und sieht auf uns herab. „Wie kommst du hier rein?“ Aurel hat wohl doch noch nicht in jeder Hinsicht eins und eins zusammengezählt. „Er hat einen Schlüssel“, entgegne ich daher. Die Veränderung in seinem Blick verrät, dass es nun auch bei ihm Klick gemacht hat. Ich glaube, jetzt wird auch ihm die Tragweite meiner Situation bewusst. „Habe ich mich vorhin nicht klar und deutlich genug ausgedrückt?“, fahre ich Joshua an. „Ach, Milly, du hättest einfach besser auf deine Wortwahl achten müssen, also gib nicht mir die Schuld. Und da du es dir nicht gewünscht hast, spricht nichts dagegen, dass ich hier bin. Also, was machen wir drei Hübschen nun?“ „Dich hochkarätig rauswerfen?“, schlägt Aurel vor. Gute Idee, hätte ich schon längst tun sollen! Obwohl ich es nicht tun sollte, lasse ich meinen Blick über Joshua wandern, über seine weiße Hose und das jadegrüne Hemd, bis hin zu seinem Gesicht. Als meine Augen seine treffen, durchzuckt mich sofort ein schmerzhafter Stich. Warum hast du mich nur belogen? „Dir fehlt anscheinend eine entscheidende Information, mein lieber Aurel.“ Joshua blickt zu Aurel und lächelt ihn selbstherrlich an. „Meinem Großvater gehört das Haus.“ Mein Blick verdunkelt sich. Möchte Joshua mir etwa drohen? „Auf diese Weise hast du es also geschafft, dich hier einzunisten.“ Joshua klatscht in die Hände. „Bravo! Unser kleiner Künstler hat es begriffen.“ „Joshua!“, knurre ich. „Könntest du meinen Gast bitte mit Respekt behandeln?“ Könntest du zudem verschwinden, ehe ich auf dich einprügele? Keine Ahnung, warum ich das nicht laut sage. „Du hast es nicht bemerkt, oder Milly?“ „Was bemerkt?“ „Sieh ihn dir an, Milly.“ Ungewollt drehe ich meinen Kopf und sehe Aurel an. Was soll ich bitte bemerkt haben? Aurel steht mit in Hosentaschen vergrabenen Händen und wütend funkelnden Augen da. „Was meinst du, Milly? Warum hat er sich vorhin in unser Gespräch eingemischt? Warum hat er meine kleine Notlüge aufgedeckt? Warum hat er dich hierher gefahren?“ Obwohl sich Aurel nicht rührt, spüre ich, dass seine Anspannung wächst. „Komm, sag es ihr, Aurel. Auf was wartest du?“ „Jetzt reicht's!“, lenke ich ein und stapfe drei Stufen nach oben, um Joshua an der Hand zu packen. „Raus hier!“ Er lässt sich mit nach unten ziehen, doch dann spielt er seine Stärke aus und hindert mich daran, ihn durch den Flur zu schleifen. Argh, dass ich ihm auch körperlich derart unterlegen sein muss! Okay, dann eben anders. „Ich wünsche mir, dass-“ „Stop!“, legt er mir eine Hand auf den Mund. Hatten wir das nicht heute schon mal? „Einen Moment bitte. Lass Aurel erst sagen, dass er dich liebt.“ Was? Ich linse an Joshua vorbei und schaue Aurel an. „Wenn er hier schon einen Kampf zwischen ihm und mir um dich heraufbeschwört, dann solltest du wenigstens wissen, wie es um seine Gefühle steht.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)