Triangel von Dokkaebis_Wife ================================================================================ Eins ---- Mein 18. Geburtstag war zugleich der interessanteste und schrecklichste Tag meines Lebens. Ich erinnere mich noch genau, wie ich mit meinem Großvater in seinem herrenhausartigen Wohnsitz in der dunklen Bibliothek gesessen habe und mich um die Fingerabdrücke, welche ich auf dem makellos polierten Echtholzschreibtisch hinterlassen hatte, sorgte. Doch in dem Moment wusste ich noch nicht, dass er drauf und dran war, mir zu erläutern, dass ich drei Leben habe. Im ersten Moment hielt ich es für einen Scherz und wollte gerade laut loslachen, meinen Opa für diesen außergewöhnlichen Witz loben, aber als ich sein ernstes Gesicht erblickte, blieb mir das Lachen im Halse stecken. Er hatte mir trocken berichtet, dass ich einen vererbten Gendefekt hätte, eine Unregelmäßigkeit in meiner DNA und dies nur bei männlichen Familienmitgliedern vorkam. Unfähig einen klaren Gedanken zu fassen, schweiften meine Gedanken in meine Kindheit ab. Meine Mutter hatte damals immer gesagt, dass eine Katze sieben Leben habe. Wenn ich als kleiner Junge unsere Katze „Mia“ angeschaut habe, habe ich daran geglaubt - ohne auf seltsame Lausbubengedanken zu kommen. Doch dass man mir eines Tages eröffnen würde, ich selbst hätte drei Leben, hätte ich niemals für möglich gehalten. Heute bereue ich ihn nicht mehr gefragt zu haben. Leider habe ich nun keine Gelegenheit mehr dazu und mein Vater ist diesbezüglich nicht sehr gesprächig. Also muss ich alleine mit diesem Fluch leben. Doch wie kann etwas dass von vielen für einen Segen gehalten wird, für meine Familie ein Fluch bedeuten? Nun... Der Gedanke an ein langes Leben kann beänstigend sein, wenn man zu der Sorte Mensch gehört, die noch nicht mal mit einem etwas Sinnvolles anstellen kann. Es ist der sprichwörtliche Fluch und Segen zugleich. Das erste Mal geschah es an meinem 19. Geburtstag. Ein Jahr lang hatte ich darüber nachgedacht, ob es möglich ist und das wahr sein kann. Zwölf Monate in denen ich mich fragte, ob man mich angelogen hatte. 365 Tage in denen ich mich keine einzige Minute einfach nur auf „leben“ konzentrieren konnte. Ich hatte eine gut funktionierende und reife Beziehung mit Anna gehabt, stand kurz vor dem erfolgreichen Einstieg ins Berufsleben und hatte ein geordnetes Leben. Doch in diesem einen Jahr ging alles bergab. Ich konnte an nichts anderes denken. Was sollte ich mit drei Leben anfangen? Wie alt würde ich werden? Ich musste davon ausgehen, dass ich überdurchschnittlich alt werden würde. Was nutzte mir das gewöhnliche Leben wenn ich noch so viele Jahre vor mir hatte? Wollte ich überhaupt drei Leben leben? Doch die quälendste aller Fragen war: Was genau passierte in einer Todessituation? Ich wusste nicht wie ich es tun sollte. Ich wusste nur, dass weder eine andere Person zu Schaden kommen, noch jemand ungewollt als Mittäter hineingezogen werden durfte. Somit schied Suizidversuch auf einem Bahngleis oder der Autobahn aus. Ich hatte einmal gehört, dass man sich selbst nicht ertränken kann. Der Lebenswille würde den Menschen immer kurz vor dem Ersticken an die Wasseroberfläche zwingen. Im Internet hatte ich gelesen, dass Menschen angeblich Stürze aus unglaublicher Höhe wie durch ein Wunder überlebt hatten. Doch die einzige Alternative die mir noch einfiel, waren Versuche mit giftigen oder für den Menschen tödliche Chemikalien oder Medikamenten. Doch hierzu reichte mein Wissen nicht aus. Die Beschaffung einer Pistole erschien mir zu umständlich. Außerdem wohin sollte ich schießen? Kopf? Brust? Was würde mit der Kugel in meinem Körper geschehen? Zu viele Fragen und Unklarheiten für eine Durchführung. Also ging ich in das Gebäude meiner ehemaligen Firma in einem Büroviertel, das am Wochenende einer Geisterstadt gleicht. Die Fenster und Türen waren gesichert, daher hatte ich mir eine Zugangskarte und unerlaubterweise den Sicherheitscode für den Zugang zum höchsten Stockwerk und dem Dach des Gebäudes besorgt. Die Zugangskarte entwendete ich einem ehemaligen Kollegen beim gemeinsamen Mittagessen einen Tag zuvor. Den Code hatte ich mir bereits als Mitarbeiter angeeignet, als mich besagter Kollege mit auf das Dach genommen hatte. Ich hatte ihn damals angebettelt, dass ich so gerne einmal die Aussicht genießen würde. Die Zahlen folgten einem System basierend auf dem aktuellen Datum und einer gleichbleibenden Geheimzahl. Gekleidet wie ein Bankräuber, aufgrund der Überwachungskameras, verschaffte ich mir Zugang zum Gebäude und zum 21. Stockwerk. Ich suchte mir den Platz auf dem Dach aus, von dem ich beim Aufschlag nicht von einer der Sicherheitskameras gefilmt werden konnte, denn auch außen befanden sich einige. Es war bitterkalt an diesem ersten November. Unerwartet zögerte ich einen Moment. Der Selbsterhaltungstrieb des Menschen ist stärker als man denkt. Doch dann bekam ich einen Adrenalinschub und ich dachte daran, dass mein Leben, so wie es nun war, für mich nicht mehr lebenswert war. Als ich sprang fühlte ich mich frei und ich dachte an nichts. Kurz vor dem Aufprall dachte ich an Anna, meine ehemalige Freundin. Ein wenig enttäuscht war ich jedoch darüber, dass mein Leben nicht in Bildern an mir vorbei zog. In dem Moment, in dem ich auf dem Boden aufschlug, verspürte ich eine quälend lange Sekunde großen Schmerz, ich dachte, mein Schädel würde zerspringen. Meine Knochen knacksten laut und spürbar. Schon im nächsten Augenblick jedoch konnte ich aufstehen. Außer einem großen Schwindelgefühl, extremer Übelkeit, einer blutenden Lippe und ein paar blauer Flecken, wie ich am nächsten Tag feststellen sollte, hatte ich keinen Schaden genommen. Handelte es sich lediglich um ein sprichwörtliches Wunder? Oder war es sicher, dass es kein Zufall gewesen war? Ich beschloss, dass ich es annahm und von nun an mit dem Gewissen durch das Leben gehen wollte, dass ich noch ein Leben gut hatte und im Angesicht der Erkenntnis, dass ich eines verschwendet hatte, hörte es sich furchtbar wenig an. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)