Lust wird rege zum Gesang von Lomea ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Montag, 2. Stunde, Latein Ich hasse Latein! Montags haben wir immer eine Doppelstunde, eine habe ich schon hinter mich gebracht, die zweite steht nun an. Ich will nicht, ich verstehe eh nichts, diese tote Sprache kann mich mal! In der vorigen Stunde sollten wir einen Originaltext übersetzen. Ich hab die Zeit damit verbracht, mein Blatt zu verschönern, es zieren nun Strichmännchen, Blumen, Schmetterlinge und diverse Muster. Ich schaue aus dem Fenster und seufze. Ach ja, ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt, mein Name ist Kai Griesen, bin 18 Jahre alt und im 2. Semester der Oberstufe. Wie schon erwähnt, habe ich mit Latein nicht viel am Hut, überhaupt liegen mir Sprachen nicht so gut. Warum ich dann ausgerechnet Latein gewählt habe? Wegen ihm! Mein schwarzhaariger Prinz Charming, wie ich ihn insgeheim nenne, sitzt in der zweiten Reihe und amüsiert sich gerade über ein Bild, das ihm ein Freund zeigt. Sein Lachen erfüllt den ganzen Klassenraum und insbesondere mein Herz. Schon seit Anfang der 11. stehe ich auf Elias Schmidt, Typ sportlicher Alleskönner, aber das halte ich tunlichst geheim. Dass ich schwul bin, weiß eigentlich schon fast die ganze Klasse, seit ich dem Mädchen aus der Parallelklasse eine hässliche Abfuhr gegeben habe. Ich war an dem Tag schlecht gelaunt, es hat mir im Nachhinein furchtbar Leid getan und ich habe mich gleich am nächsten Tag entschuldigt. Aber seitdem wissen die meisten, dass ich auf Jungs stehe. Zum Glück war das kein großes Problem, ich bin eigentlich auf allgemeine Akzeptanz gestoßen. Das hat mir das Leben wenigstens etwas erleichtert und ich will es mir nicht unnötig erschweren, indem ich zugebe, dass ich in Elias verknallt bin. Er ist der Mädchenschwarm und Star schlecht hin! Alle würden mich hassen, wenn ich ihn anmachen würde, mal ganz abgesehen davon, dass ich eh keinen Erfolg haben würde. Ich seufze wieder und schiele kurz zu ihm herüber. Ich kann einfach nicht ablassen von ihm. Elias ist einfach mein Traumtyp, auch wenn ich ihn nicht so gut kenne. Wobei das schon reichlich übertrieben ist, eigentlich weiß ich nichts über ihn, was über die Schule hinausgeht. Aber bisher hatte ich ja auch noch keine wirkliche Möglichkeit dazu. Ich bin nicht der Typ, der einfach mit jemanden, den er noch gar nicht kennt, ins Bett hüpft. Das brauch ich nicht! Klar, ich will schon gern mit ihm schlafen, aber erst nachdem ich ihn kennen gelernt habe und finde, dass wir zusammen passen. Ich muss schon wieder seufzen und beobachte ein Amselmännchen, das sich mit einem anderen kloppt. Wir könnten zusammen einen Kaffee trinken gehen, unsere Lebensgeschichten erzählen, er könnte mir in Latein helfen… Wobei lieber nicht! Dann streiten wir uns noch am Ende. „Kai, würden Sie jetzt so freundlich sein und aufhören zu seufzen und aus dem Fenster zu starren und stattdessen den nächsten Satz übersetzen?!“, reißt mich meine Lehrerin aus meinen Träumen. Scheiße! Ich hab den Anfang der Stunde überhaupt nicht mitbekommen und weiß nicht, wo wir sind. Eine eigene Übersetzung habe ich zwar auch nicht, aber wenigstens eine aus dem Internet. „Ähm, wo sind wir denn?“ „Wenn Sie sich ein wenig mehr auf den Lateinunterricht konzentrieren würden statt auf ihre Umwelt, wüssten Sie es! Aber ich werde mal nicht so sein.“ Oh wie großzügig, ich verfalle gleich in tiefste Demut! „Der Satz lautet: In nova fert animus mutatas dicere formas corpora.“ Ich suche schnell die entsprechende Stelle und lese die Übersetzung laut vor. „Lust wird rege zum Gesang.“ Während ich lese, wird mir klar, dass das unmöglich sein kann. Verdammt, warum hab ich mir den Text nicht wenigstens einmal vorher durchgelesen?! Warum muss ich mir diese Blamage bieten? Natürlich bricht die ganze Klasse augenblicklich in brüllendes Gelächter aus. Ich senke beschämt den Blick und verfluche mein Leben. So etwas kann auch nur mir passieren! Ich hasse Ovid!!! „Meinen Sie das ernst?“ //Als ob!//, schreit es in mir. „Nein, ich hab die Übersetzung aus dem Internet“, lege ich die Karten auf den Tisch. „Sie täten gut daran, wenigstens ihr Abgeschriebenes durchzulesen. Mir ist es schleierhaft, warum Sie diesen Kurs weiter besuchen, wenn Sie sich nicht anstrengen wollen.“ Super, jetzt bin ich ganz unten durch, meine Vier kann ich mir wohl abschminken. Aber viel schlimmer ist es, dass das lauteste Lachen von Elias kommt und er den Satz immer wieder wiederholt. „Elias, nun kriegen Sie sich wieder ein und übersetzen Sie den Satz.“ Ich will sofort im Erdboden versinken, nein noch besser, mich einfach in Luft auflösen! Jetzt bleibe ich vielleicht eine Weile in seinem Gedächtnis, aber als totaler Volltrottel! Den Rest der Stunde verbringe ich damit, auf den Tisch zu starren. Beim Klingelzeichen springe ich sofort auf und verlasse den Raum. Auf blöde Kommentare kann ich jetzt echt verzichten. Schnurstracks laufe ich zum Sekretariat und täusche starke Kopfschmerzen und Übelkeit vor. Manche werden jetzt denken, ich lauf davon und denen muss ich Recht geben. Aber ich bin lieber ein Feigling, als mir sechs Schulstunden blöde Kommentare anzuhören. Es wird zwar akzeptiert, dass ich schwul bin, aber das heißt nicht, dass ich mir nicht immer mal wieder blöde Witze anhören muss! Und solche Blamagen sind ein guter Nährboden. Außerdem ist mir wirklich ein wenig schlecht. Die Sekretärin glaubt mir zum Glück und schickt mich nach Hause. *** „Hallo!“, rufe ich laut. Keine Antwort. Es scheint keiner da zu sein. Mein Vater ist arbeiten, meine kleine Schwester im Kindergarten und meine Mutter wahrscheinlich einkaufen, also habe ich unser ganzes Haus für mich. Leider kann ich mich darüber überhaupt nicht freuen… Ich ziehe meine Schuhe aus und verziehe mich in mein Zimmer unterm Dach. Es ist sehr angenehm ein eigenes Bad zu haben und vom Rest etwas abgegrenzt zu sein. Ich schmeiße mich auf mein Bett und vergrabe mein Gesicht im Kissen. So bleibe ich erst einmal fünf Minuten reglos liegen. Nur mein Kopf arbeitet auf Hochtouren. Wie konnte mir das nur passieren? Warum zum Teufel habe ich nicht vorher den Satz wenigstens überflogen? Und warum hat Elias sich so darüber lustig gemacht??? Ich sollte den Kurs schmeißen, hat eh keinen Sinn mehr! Nach der Sache kann ich mir auch nicht mehr Hoffnungen machen, irgendwann sein Kumpel zu werden. Ich war schon vorher jemand, der nicht beachtenswert war, aber jetzt bin ich seinen Augen bestimmt der absolute Volldepp. Ja, ich geb’s zu, ich suhle mich gerade in Selbstmitleid, aber es tut echt weh. Meine Brust zieht sich zusammen und das Schlucken fällt mir schwer. Ich fühl mich einfach schlecht, unglücklich verliebt zu sein, ist scheiße!!! Kann ich niemandem empfehlen! Ich drehe mich auf den Rücken und schaue zur Decke. Ich schaue auf einen breit grinsenden Totenkopf mit Kopftuch und gekreuzten Schwertern. Ich hab meine Lieblingspiratenflagge an die Decke gehängt, da ich keinen Balkon habe. Früher wollte ich immer Pirat werden, über die Meere segeln, Abenteuer erleben und Schätze finden. Ich hab echt jeden Film geschaut und jedes Buch über Piraten verschlungen. Aber leider musste ich irgendwann feststellen, dass dieser Traum nicht wirklich zu erfüllen war. Außer ich ginge vor die somalische Küste und würde da irgendwelche Transportschiffe ausrauben. Doch das hätte für mich keinerlei Zauber! Wenn nicht Captain Sparrow, dann eben Indiana Jones! …Ja, ich träume gerne, aber ich bin nicht realitätsfern, ich weiß schon, wie es in der Welt läuft. Aber Banker oder Jurist will ich nicht werden und für Informatik bin ich zu blöd. Irgendwie steige ich nie hinter diese Systeme. Ich bin froh, wenn mein Computer das macht, was ich will, auch wenn ich nie weiß, warum! In Sprachen bin ich auch nicht besonders gut. Ich weiß echt nicht, was ich mal machen will. Aber ich hab genug davon, mir darüber den Kopf zu zerbrechen, auch wenn es gar nicht mehr solange hin bis zu meinem Abschluss ist. Eigentlich habe ich gerade ein viel schwerwiegenderes Problem in naher Zukunft. Ich bin für Elias nichts, außer vielleicht ein Idiot. Nein, ganz bestimmt ein Idiot!!! Ich wälze mich auf meinem Bett hin und her und schließe die Augen. Es ist eine Qual, dieser Herzschmerz. Ich sollte schleunigst mit dem Kapitel ‚schwarzhaariger Prinz Charming’ abschließen. Ich rufe mir sein Gesicht ins Gedächtnis, stelle ihn mir an einem heißen Sommertag vor, wie er aus einem Pool steigt, klitschnass, die Haare nach hinten wirft und die spritzenden Wassertropfen um ihn herum im Sonnenlicht glitzern. Er kommt langsam auf mich zu und eine feuchte Hand streicht über meine Wange. Sein kühler Körper schmiegt sich an meinen, sein Gesicht kommt meinem immer näher und… STOOOOPPPP!!! Ich wollte doch mit ihm abschließen, diese Gedanken sind dazu aber nicht gerade hilfreich! Ich rolle mich auf die Seite und beginne in Gedanken Schäfchen zu zählen. //Ein Schaf hüpft über die Wiese, zwei Schafe hüpfen über die Wiese, drei Schafe hüpfen über die Wiese, vier Schafe hüpfen über die Wiese, fünf Elias’ hüpfen über die Wiese… Von den fünf kann ich doch einen abhaben, oder nicht? …// Als ich erwache, tun mein Kopf und meine Augen weh. Mist, ich habe vergessen meine Kontaktlinsen herauszunehmen. Ich wanke ins Bad und entledige mich dieser Dinger. Nur leider liegt meine Brille nicht in der Nähe. Es ist nicht so, dass ich gar nichts ohne sehe, aber besonders toll ist es auch nicht. Also gehe ich zurück ins Zimmer und versuche mich zu erinnern, wo ich sie zuletzt gelassen habe. Ich glaube sie lag auf dem Schreibtisch, aber ich bin mir nicht hundertprozentig sicher. Trotzdem taste ich mich vorsichtig vor und habe ausnahmsweise mal Glück. Mit Brille sieht die Welt gleich viel klarer aus! Ich schaue auf die Uhr, es ist zwanzig nach zwölf. Ich hab ne ganze Weile geschlafen, aber ich bin auch in der Schulzeit immer chronisch übermüdet. Ich habe keine Lust hier weiter herumzusitzen und entscheide mich lieber dafür, in den Park zu gehen. Vielleicht wird mein krankes Hirn durch ein bisschen frische Luft mal frei gepustet. Ich schnappe mir ein Buch und meinen MP3-Player und mache mich auf in den nächsten Park. Es ist ein warmer Frühlingstag, alles ist grün und Vogelgezwitscher tönt in der Luft. Ich mache es mir auf einer Bank mit Blick auf den See gemütlich und lasse meinen Blick schweifen. Dort hinten geht ein Rentnerpaar spazieren und auf der Wiese tollt eine Kindergartengruppe umher, von zwei gestresst aussehenden Erzieherinnen beaufsichtigt. Sonst dreht ein Jogger seine Runde um den See und mehrere Leute mit Hunden sind unterwegs. Allerdings ist immer noch, auf Grund der frühen Uhrzeit, recht wenig los. Ich will gerade mein Buch aufschlagen, als ich lautes Gekläffe höre und ein kleiner Hund direkt auf mich zurast. Wild mit dem Schwanz wedelnd bleibt er vor mir stehen und bellt mich an. Ich gehe langsam in die Hocke und halte ihm meine Hand zum Schnuppern hin. „Na, wo kommst du denn her?“, ich streichle ihm sanft über den Kopf. Begeistert springt der junge Langhaardackel an mir hoch und versucht mir das Gesicht abzuschlabbern. Dabei stößt er mir die Brille von der Nase. „Pepe!“, erklingt ein Ruf. „Pepe!“, die Stimme kommt näher. „Pepe, komm sofort hierher!“, die Männerstimme hat mich fast erreicht. Ich taste nach meiner Brille, setze sie auf und erstarre. Vor mir steht Elias. Schnell schaue ich nach unten. Vielleicht hat er mich ja nicht erkannt. Mir fällt das karierte Halstuch auf, welches der kleine Dackel trägt, in das der Name ‚Pepe’ gestickt ist. Er wird mich erkennen und ich kann mich nicht mehr aus dem Staub machen! „Hey, bist du nicht Kai aus meinem Lateinkurs?“ Wow, er erinnert sich sogar an meinen Namen. „Du hast doch heute diese bescheuerte Übersetzung vorgelesen!“ Meine Freude zerbricht sofort in tausend Splitter. Natürlich kann er sich auch daran erinnern. „Ja, du hast ja deinen Hund jetzt gefunden, also tschüss!“, ich erhebe mich und will schleunigst gehen. „Hey, warte doch mal!“, er hält mich am Arm fest. Ich drehe mich um und schaue ihm in die nussbraunen Augen, so schön… „Tut mir Leid, dass ich so gelacht habe. Ich hab dich nicht ausgelacht, du hast ja diesen Mist auch nicht verzapft. Es klang einfach echt witzig!“ Ich kann der Entschuldigung noch nicht wirklich trauen. Warum sollte er sie auch ernst meinen? „Red doch keinen Scheiß, du hältst mich doch für den letzten Trottel!“ „Gar nicht, ich finde nur, dass du kein Talent für Latein hast!“, er grinst mich freundlich an. Ich bin irritiert, damit habe ich nun gar nicht gerechnet. „…Da hast du wohl Recht“, ich versuche zu lächeln. Da meldet sich Pepe wieder zu Wort. Winselnd und kläffend hüpft er zwischen unseren Beinen herum, da wir ihm beide keine Aufmerksamkeit geschenkt haben. „Ist ja gut Pepe!“, Elias geht in die Knie und krault ihn hinter den Ohren. „Ist er dein Hund?“, frage ich um seine Aufmerksamkeit wieder auf mich zu lenken. „Ja.“ „Du hast einen Dackel?“ „Was dagegen?“, kommt seine Gegenfrage gereizt. Das hatte ich nun wirklich nicht bezwecken wollen. „Nein! Ich mag Hunde und Pepe ist echt niedlich!“, versuche ich die Situation zu retten. Seine Gesichtszüge entspannen sich wieder und er setzt sich auf die Bank. „Warum bist du heute so schnell geflüchtet?“ Ich lasse mich ungefähr einen Meter weit weg neben ihm nieder. „Mir ging’s nicht gut…“, druckse ich herum. „War dir der Satz so peinlich?“ Ich schaue zu Pepe, der auf die Bank springt und es sich zwischen uns gemütlich macht. „Ich wollte mir keine blöden Kommentare anhören müssen…“, sage ich leise und streichle dem Hund übers weiche Fell. „Ich glaub kaum, außer der Lehrerin, waren doch alle begeistert.“ „Ich bin… ich hätte mir sicher noch den einen oder anderen Witz anhören müssen“, zwar weiß er es bestimmt, aber ich erwähne es lieber nicht noch mal. Gerade bin ich einfach nur glücklich, dass er neben mir sitzt und mit mir redet. Er grinst mich an und will irgendetwas sagen, aber da piepst sein Handy. Er schaut auf den Display und steht auf. „Sorry, ich muss leider gehen! Wir sehn uns in Latein. Komm Pepe, wir gehn nach Hause!“ Der Dackel springt freudig auf und rennt schon ein Stück voraus. Elias geht zügig hinterher und ich schaue ihm enttäuscht nach. Doch nach einem kurzen Stück dreht er sich noch mal zu mir um. „Vielleicht hast du ja mal Lust, mir was vorzusingen!“, ruft er. Ich falle aus allen Wolken und meine Wangen färben sich rot. Zumindest vermute ich es, so heiß wie sie sich anfühlen. Wie hat er das gemeint? War das jetzt nur einfach ein Witz oder hatte es eine tiefere Bedeutung? Wie kann er mich mit so einem Satz stehen lassen?! Ich muss unbedingt wissen, was er damit gemeint hat! Verdammt, Elias komm zurück und rede Klartext! …Sonst mache ich mir nur unnötige Hoffnungen. Niedergeschlagen und durcheinander gehe ich nach Hause. *** Freitag, 4. Stunde, Latein Ich hab Elias seit Montag kein einziges Mal mehr gesehen. Da ich nur Latein zusammen mit ihm besuche, habe ich immer in den Pausen nach ihm Ausschau gehalten. Sogar Daniel, mein bester Freund, hat mir geholfen, obwohl er es total albern findet, was er immer wieder laut betont hat. Aber keine Spur von meinem schwarzhaarigen Prinz Charming. Entweder verbringt er seine Pausen immer an einem bestimmten Ort, den ich nicht kenne oder er war die Zeit nicht in der Schule oder er geht mir gezielt aus dem Weg. Ich hoffe inständig nicht Letzteres! Latein ist meine letzte Hoffnung ihn in dieser Woche zu sehen. Ich war sogar jeden Tag im Park, aber kein Elias oder Pepe weit und breit. Ich schaue in den Klassenraum, er ist nicht da… Aber vielleicht kommt er ja später! Immer wieder schaue ich erwartungsvoll zur Tür. Schließlich klingelt es zur Stunde und die Lehrerin kommt. Wie kann er mir das antun? Dann hätte er mich doch lieber weiter ignorieren oder zumindest nicht so einen Satz heraushauen sollen. Oder interpretiere ich einfach zu viel hinein, sollte es wirklich nur ein Scherz sein? Jetzt muss ich auch noch diese dumme Lateinstunde hinter mich bringen…ohne Elias. Ich verkneife mir ein seufzen, um die Lehrerin nicht auf mich aufmerksam zu machen und starre auf meinen Ordner. Hoffentlich geht es schnell vorbei! Ich probiere es nachher noch einmal im Park und dann gebe ich auf. Ich verbringe den Rest der Stunde damit, mir mögliche Situationen auszumalen, wenn ich ihn nachher treffen sollte. Ich sitze wieder auf der Parkbank und warte, schon seit zwei geschlagenen Stunden. Ich traue mich kaum in mein Buch zu schauen, um ihn nicht zu verpassen, falls er vorbei laufen sollte. Musik höre ich auch keine, es könnte ja Pepe bellen. Nach zwei weiteren Stunden habe ich genug und trotte geschlagen nach Hause. Da vernehme ich auf einmal ein vertrautes Kläffen und der kleine Langhaardackel kommt mir entgegen gerannt. Begeistert hüpft er mir zwischen den Beinen umher und springt immer wieder an mir hoch. Freudig kraule ich ihn hinter den Ohren und hoffe, dass auch gleich sein Besitzer auftaucht. „Bist du Kai?“, fragt mich eine Frauenstimme. Ich schaue auf und vor mir steht eine hübsche, große, schlanke Frau in einem Joggeroutfit. „Ja, wieso?“, frage ich irritiert. „Ich soll dir von Elias ausrichten, dass er dich am Sonntag um zwei an der Bank treffen möchte“, sie klingt reichlich genervt. „An der Bank treffen?“, wiederhole ich wie hypnotisiert. Sie muss meinen Blick allerdings anders interpretiert haben. „Ja, frag mich bitte nicht, welche Bank!“ „Nee, ist schon klar. Danke“, murmle ich immer noch wie in Trance. „Bitte, komm Pepe!“, sie joggt weiter und der kleine Hund folgt ihr freudig, nachdem er noch mal um meine Beine gewuselt ist. Ich kann’s nicht fassen! Er will sich mit mir treffen, am Sonntag! Ich schnappe mir mein Handy und rufe sofort Daniel an. Voller Begeisterung erzähle ich ihm von meiner Begegnung. „Na, freu dich mal nicht zu früh!“, erklingt es ernst aus dem Lautsprecher. „Wieso denn nicht, er will mich schließlich treffen!“, ich bleibe optimistisch. „Du weißt doch noch gar nicht, wer die Frau war. Vielleicht ist sie ja seine Freundin und wohnt bei ihm!“ „Als ob…niemals!“ „Ach, weißt du’s?“ „Schön, dass du dich so für mich freust und mir Mut machen willst!“ Daniel seufzt am anderen Ende der Leitung. „Ich will nur nicht, dass du furchtbar enttäuscht bist, wenn es nicht so kommt, wie du dir es erträumst.“ Er hat ja Recht, ich sollte mir nicht zu viele Hoffnungen machen, aber ein paar Klitzekleine sind doch erlaubt? „Jaaaa, ich bin nicht mehr so enthusiastisch. Zufrieden? Aber freuen tue ich mich trotzdem auf Sonntag!“, bevor er was erwidern kann, lege ich auf. *** Sonntag, 13.30 Uhr, Park Nervös sitze ich auf der Bank und zapple ein wenig hin und her. Ich bin eine halbe Stunde zu früh, aber ich hab’s zu Hause einfach nicht mehr ausgehalten. Wobei der Unterschied nicht groß ist, vergehe ich halt hier vor Aufregung. Aber wenigstens kann ich nicht zu spät kommen. Vielleicht mag er es nicht und geht dann nach fünf Minuten wieder, das wäre schrecklich! Oder er erklärt mir wütend, dass wir ja Freunde hätten werden können, aber mit so einem unverantwortlichen Idioten will er nichts zu tun haben! Ich raufe mir die Haare. Wenn er überhaupt kommt, vielleicht war es auch nur eine Verarschung von seiner genervten Freundin. Oder er hat sie geschickt um mich zu veralbern und sie war davon genervt… Ich sollte damit aufhören! Um mich abzulenken beginne ich auf dem Boden herumzuscharren. Irgendwann zeichne ich Symbole in den Sand, erst ein Kreuz, dann eine Blume und schließlich ein Herz, in das ich K+E schreibe. Mann, bin ich heute wieder witzig! Ich will es gerade wegwischen, als Pepe laut bellend auf mich zugestürmt kommt. „Na, mein Kleiner?“, ich begrüße ihn freudig. „Wo hast du denn dein hübsches Herrchen gelassen?“, ich schaue mich um, kann ihn aber nirgends entdecken. Hoffentlich ist nicht wieder diese Frau mit dem Hund unterwegs und es war doch alles nur ein Scherz. Pepe schafft es mir das Gesicht abzulecken, da ich immer noch in die Botanik schaue. Lachend schiebe ich ihn von mir, dabei fällt mir ein Zettel auf, der an seinem Halstuch befestigt ist. Ich nehme ihn und falte ihn auseinander. ‚Such mich an der Statue! :D’, steht darauf geschrieben. Sofort flammt wieder die Hoffnung in mir auf, das ist doch Elias’ Schrift. Ich springe auf. Die einzige Statue, die ich in diesem Park kenne, ist eine Reiterstatue ein Stück weit weg von hier. „Komm Pepe!“ Der Dackel folgt mir sogar. Ich weiß nicht, warum er mich so schnell ins Herz geschlossen hat. Vom ersten Augenblick an war ich ihm anscheinend sympathisch. Endlich erreichen wir die Statue und ich schaue mich aufgeregt um, aber ich kann Elias einfach nicht entdecken. Fünfmal gehe ich um den blöden Reiter herum und bleibe schließlich enttäuscht stehen. Er ist nicht hier, also habe ich mir doch vollkommen umsonst Hoffnungen gemacht! …Aber was macht dann Pepe hier? Ja, genau der Hund, warum bin ich nicht gleich darauf gekommen?! „Los Pepe, such das Herrchen!!!“ Der kleine Dackel sieht mich treuherzig an, kläfft aufgeregt und rennt los. Ich hinterher. Doch nach kurzer Zeit habe ich ihn aus den Augen verloren, aber das macht nichts, ich weiß wo er hin will. Auf der Bank sitzt Elias mit einem breiten Grinsen und Pepe hüpft aufgeregt um ihn herum. Ich spüre mein Herz bis zum Hals schlagen und ein angenehmes Gefühl steigt in mir auf. Wird aber gleich darauf etwas abgeschwächt, als ich das dicke Pflaster in seinem Gesicht und den Verband um seinen Kopf erkenne. „Was ist passiert?“, sprudelt es aus mir heraus. Er zuckt mit den Schultern. „Ach, am Montag ist Pepe auf die Straße hinter dem Park gelaufen und ich hinterher. Pepe ist nichts passiert, aber ich wurde von einem Auto angefahren, hab aber nur ein paar Schnittwunden und ne leichte Gehirnerschütterung davongetragen.“ NUR?! Wie kann er das so locker sagen? In mir steigt furchtbare Sorge und auch Scham auf. Ich dachte er geht mir aus dem Weg und dabei hatte er einen Unfall und lag bestimmt im Krankenhaus… „Guck nicht so besorgt! Ich bin nicht aus dem Krankenhaus geflohen, sondern wurde entlassen. Mir geht’s gut! Willst du dich nicht setzen?“ Mir fällt auf, dass ich immer noch vor ihm stehe, nicke und will mich setzen. „Vorsicht, du trittst noch auf das Herz!“, er zieht mich zur Seite und platziert mich dicht neben ihm auf der Bank. Oh Scheiße! Ich will sofort verschwinden! Das Herz ist noch da und er hat es gesehen. Was denkt er denn jetzt? Ich kann ihn einfach nicht ansehen und starre auf den Boden. „…Ähm, wer war denn die Frau, die mir deine Nachricht überbracht hat?“, ich halte das Schweigen einfach nicht mehr aus und außerdem will ich es unbedingt wissen. „Ach, das war Sonja meine Schwester. Immer genervt und schlecht gelaunt!“, sagt er mit amüsierter Stimme. JUHU!!! In mir jauchzt es ausgelassen, aber da fällt mein Blick erneut auf das Herz und mir steigt die Schamesröte ins Gesicht. Wieder schweigen wir beide. Plötzlich habe ich Pepe auf dem Schoß. Elias hat ihn genommen und auf mich gesetzt. Grinsend sieht er mich an. Ich senke sofort wieder den Blick und streichle den Hund. Unter seinem Halstuch steckt schon wieder ein Zettel. Vorsichtig nehme ich ihn, entfalte ihn und erstarre. In dicken Lettern hat jemand ‚te amo ♥’ auf den Zettel gekritzelt. Verwirrt schaue ich ihn an. „Wie…was…???“ „Ich weiß, du bist nicht gut in Latein, aber ich dachte, das verstehst auch du!“, er grinst übertrieben breit und sieht umwerfend gut dabei aus. „Ja, aber…“, ich kann nicht anders, als herumzustottern. Ich bin zu sehr geschockt, das kann er doch unmöglich ernst meinen! „Ich finde dich schon lange echt süß“, er beugt sich zu mir und sein Gesicht kommt immer näher. Ich halte vor Aufregung den Atem an. Nur noch ein kleines Stück und er küsst mich! Allerdings macht Pepe uns einen Strich durch die Rechnung, wild wedelnd springt er an Elias hoch. Der magische Moment ist zerstört und er bringt wieder etwas Abstand zwischen unsere Gesichter. „Böser Hund!“, meckert er mit dem Kleinen. Aber den scheint es nicht zu stören, denn er leckt ihm freudig über die Nase. Ich hab ja Pepe echt lieb, aber das war ganz schön gemein von ihm! Schweigend schaue ich zu, wie Elias ihn anleint und aufsteht. Will er etwa schon gehen? Enttäuschung macht sich in mir breit, da nimmt er meine Hand und zieht mich hoch. „Wenn du willst, kannst du noch mit zu mir kommen. Pepe würde sich sicher freuen!“, er lässt meine Hand nicht los. „Und sein Herrchen?“, frage ich interessiert nach. „Das bestimmt auch“, er grinst schelmisch und zieht mich hinter sich her. Doch mir ist etwas eingefallen und ich halte ihn auf. „Warte Elias, ich hab meinen Zettel liegen gelassen!“, schnell gehe ich zurück zur Bank und hebe ihn auf. „So wichtig ist er nun auch nicht“, sagt er etwas verlegen. „Ich hab mich noch nie so über einen lateinischen Satz gefreut!“, meine ich empört. Er muss lachen, beugt sich zu mir herunter und küsst mich. Seine Lippen schmecken wunderbar und schmiegen sich weich gegen meine. Dann löste er sich wieder von mir, ich seufze enttäuscht. „Lust wird rege zum Gesang. Ich würde dich gerne mal singen hören!“, er grinst neckisch und küsst mich wieder. Ich erröte und beiße ihm leicht auf die Unterlippe. 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