Ikiteru ★ Fairytale von Black_Melody (Märchen) ================================================================================ Kapitel 11: E•L•E•V•E•N ----------------------- ☆ Kurz nach Neujahr verließen wir die Pension und machten uns auf den Weg nach Tokyo. Ich durfte fahren, welch Wunder, und musste mich erst an dieses Auto gewöhnen, wo auch immer Ryouga es sich 'geliehen' hatte. Selbstverständlich ohne Wissen und Erlaubnis des Besitzers und ohne das Vorhaben, es zurückzubringen. Es war kein sehr großer, dafür umso schnellerer Sportwagen, aber ich schaffte es, ihn irgendwie zu kontrollieren. Auf dem Weg mussten wir nur einen Abstecher machen, und meine Aufgabe bestand darin, den Wagen bereit zu halten. Langsam stoppte ich vor einer Villa. Reno, den Ryouga auf die Rückbank verbannt hatte, beugte sich zwischen den Sitzen nach vorn und küsste mich kurz. "Ich bin bald wieder bei dir", versprach er noch und stieg dann aus. ★ Ich spürte die Anspannung nur zu deutlich, ein falscher Schritt und ich war tot. Ich war zwar nicht das erste Mal hier, aber das erste Mal mit einer konkreten Absicht. Deutlich spürte ich die beiden Pistolen, die Ryouga mir besorgt hatte. Auch bewaffnet war ich bei meinen bisherigen Besuchen immer gewesen, aber jetzt? Äußerlich völlig sicher betrat ich das Haus und sah mich um. Meine Anwesenheit schien niemanden wirklich zu wundern oder zu stören, also wussten sie auch nichts von dem Vorwurf des Verrats gegen mich. Und das bedeutete doch wirklich, dass der Boss sich sicher genug fühlte. Entweder glaubte er, ich wäre tot, wie er es in Auftrag gegeben hatte, oder ich würde einfach so abhauen, was zwar für mich sicherer gewesen wäre, aber einfach nicht mein Stil war. Ich musste mich doch von meinem 'Vater' verabschieden, und das hätte er wissen müssen. Schweigend ging ich den Flur entlang zu einem seiner Arbeitszimmer. Tags war er immer dort anzufinden, und es war mein Vorteil, dass es im Erdgeschoss lag. Normalerweise wäre auch ein Sprung aus einem Fenster im oberen Stockwerk kein Problem gewesen, aber noch war die Schussverletzung nicht verheilt, und das hätte gefährlich werden können. Ohne Anklopfen betrat ich das Büro des Obersten und verschloss die Tür hinter mir. "Reno?", bemerkte er überrascht. "Hakuei, was sollte das?", zischte ich, und musste mich zusammenreißen, um nicht gleich eine Waffe zu ziehen. "Was meinst du?", fragte er unschuldig, wobei ich aber genau wusste, dass er es gewesen war, der den Befehl gegeben hatte. Und das regte mich noch mehr auf. "Kifumi und Tomo", erinnerte ich ihn trocken. "Ach das", winkte er ab. "Mit Verrätern wie dir kann man nicht anders umgehen. Aber wo sind die beiden denn? Ich habe seit Tagen nichts mehr von ihnen gehört." "Sie sind tot", erklärte ich kalt. "Sonst wäre ich wohl kaum hier." "Und was willst du?" Jetzt war es so weit. Schnell zog ich eine der Pistolen und richtete sie auf ihn. "Das weißt du nur zu genau. Du hast mich gezwungen für dich zu arbeiten. Du hast meine Eltern töten lassen und du wolltest mich töten lassen. Und das Schlimmste, du wolltest, dass Hikaru stirbt. Dein Ziel war es, mich zu einem willenlosen Killer zu machen, der nur noch Befehle befolgt, indem du mir auch noch das Wertvollste in meinem Leben nimmst. Das Letzte, das mir geblieben war. Oder willst du mir erzählen, dass es Zufall war, dass K und Ray ausgerechnet Hikaru gewählt haben?" Anerkennend nickte mein Gegenüber. "Haben sie es dir erzählt oder bist du von allein darauf gekommen? Ist ja auch egal. Willst du mich wirklich erschießen? Dann dreh dich einmal um." "Muss er nicht", hörte ich eine mir sehr gut bekannte Stimme hinter mir. Nur einen Augenblick später erschien Ryoga neben mir, richtete seine Waffe aber nicht auf mich sondern auch auf Hakuei, den das völlig aus der Fassung zu bringen schien. "Ich hab genug", zischte der Blonde. "Du bist zwar mein Vater, und das weiß ich, aber mehr auch nicht. Du hast meine Mutter umgebracht, um mich irgendwann zu deinem Nachfolger machen zu können. Und jetzt stirbst du, freu dich." Ich sah stur auf meinem Boss hinter dem Schreibtisch, als ich Ryoga antwortete: "Das ist meine Rache. Dir hat er deine Mutter genommen, mir fast alles. Und ich soll für Ryouga mit Rache nehmen." "Dann lass uns gleichzeitig abdrücken. Ich hoffe, du hast dann nichts dagegen, wenn ich nur dir die offizielle Schuld gebe", erwiderte mein Kollege ruhig. "Kein Problem, ich verschwinde eh", erklärte ich. "Auf drei. Eins." "Zwei." Statt der drei knallten beide Schüsse. Innerhalb von Sekunden hatte ich Ryoga seine Pistole abgenommen und war aus dem Fenster verschwunden, rannte zum Auto, von dem aus Ryouga mir Feuerschutz bot. Ich riss die Tür auf und sprang in den laufenden Wagen, der im nächsten Moment mit durchdrehenden Reifen losraste. "Warum zwei Schüsse? Hätte einer nicht gereicht?", fragte mein Kumpel leicht angepisst und hielt sich an Tür und Sitz fest, während Hikaru einfach nur noch mit Vollgas über die lange, einsame Straße raste. "Ryoga und ich haben gleichzeitig geschossen", erklärte ich grinsend. Irgendwie freute es mich. Seltsamerweise war Ryoga doch immer das Arschloch von uns gewesen. "Aha. Versteh ich nicht, aber das kannst du mir später genauer erklären." ☆ Im nächsten Augenblick wurde ich langsamer, so dass Ryouga die Waffen aus dem Auto befördern konnte, beschleunigte danach aber wieder. Ich hatte meine Anweisungen, wo es hingehen sollte, und denen würde ich folgen. Noch konnte ich Vollgas geben, selbst auf der Schnellstraße musste ich den Wagen zügeln. Es war eigentlich schade, dass Ryouga ihn anzünden wollte, aber es musste wohl sein. "Also, was jetzt?", fragte Reno und hielt sich dabei an Fahrer- und Beifahrersitz fest. "Koi, du musst nicht mit 200 über die Straße rasen, 150 tun's auch." "Weißt du nicht, dass man während der Fahrt nicht mit dem Fahrer sprechen soll?", erwiderte ich lächelnd, konzentrierte mich aber auf die Straße. "Außerdem", mischte Ryouga sich ein, "ist es gut, wenn wir einen schönen Vorsprung haben. Auf der Schnellstraße können wir nicht so schnell fahren." Konzentriert raste ich weiter, hörte Renos Erklärung darüber, was sich in der Villa ereignet hatte, nur mit halbem Ohr zu und beschleunigte den Wagen nur noch etwas. 220 war wohl das Höchste, das die schwarze Perle erreichen konnte, aber das war keine schlechte Leistung. Es machte wirklich Spaß, so schnell zu fahren, und anscheinend war nicht nur ich begeistert von der Kraft dieses Monsters. Erst als ich auf die Schnellstraße Richtung Tokyo fuhr, wurde ich langsamer, blieb aber am Limit der erlaubten Geschwindigkeit. Es war ein tolles Gefühl, so ein schnelles Auto zu haben. Wir fuhren eine ganze Zeit die Schnellstraße entlang, bis ich kurz vor der Hauptstadt abbog und in die Richtung einer stillgelegten Industrieanlage fuhr. Das war mit Ryouga so abgesprochen, auch wenn Reno keine Ahnung zu haben schien. "Wo fahren wir hin?", fragte er neugierig und ich lächelte ihn durch den Rückspiegel an. "Siehst du doch." "Schon, aber was wollen wir da?" "Wirst du sehen", stieg Ryouga grinsend in mein Spiel ein. Wir konnten Reno immerhin noch etwas ärgern, ernsthaft sauer sein würde er schon nicht. Mein Lächeln wurde breiter, als ich den schwarzen Kombi bereitstehen sah. Mein Herz schlug aufgeregt in meiner Brust. Bisher war alles wie geplant gelaufen, warum sollte es jetzt anders sein? Ich bremste unser Gefährt ab und stieg aus, strich über den schwarzen Lack. "Schade drum", merkte ich an und nahm Reno eine der Reisetaschen ab, drehte mich dann zu dem anderen Auto um, in dessen offener Tür der rothaarige Fahrer lehnte und langsam etwas auf uns zukam. Noch bevor er wirklich reagieren konnte, hing ich an ihm. "Ibuki!", jauchzte ich fröhlich und ließ die Tasche einfach fallen. "Ich habe dir gesagt, ich komme mit und voilà - hier bin ich!" Grinsend schob er mich etwas von sich weg, weswegen ich ihn nur verwirrt ansah. "Ich will nicht erwürgt werden", erklärte er, und ich folgte seinem Blick zu Reno, der die Situation gar nicht so toll zu finden schien. Schnell ging ich zu meinem Liebsten und umarmte ihn sanft. "Eifersüchtig, was?", meinte ich lächelnd und strich ihm über die Wange. "Keine Angst, Ibuki ist keine Gefahr für dich. Er ist mein bester Freund, das weißt du doch." Ein liebevolles Lächeln legte sich auf sein Gesicht und er küsste mich kurz. "Ich weiß. Aber ich weiß auch, wie es sich anfühlt, dich zu verlieren, und das will ich nicht noch einmal erleben." "Wirst du nicht", versicherte ich ihm und stellte mich auf die Zehenspitzen, um ihn zu küssen. "Oh, bitte", seufzte Ryouga genervt. "Hört auf, so kitschig zu sein." Auch über Ibukis Gesichtsausdruck, der verriet, dass er dachte, was Ryouga gesagt hatte, musste ich lachen. "Nein", erwiderte Reno grinsend. "Eifersüchtig, weil du niemanden zum Kitschig sein hast?" Ryouga zuckte mit den Schultern und sah auf die Uhr. "Wir müssen los. In zwei Stunden geht der Flieger nach Seoul." Skeptisch zog Reno eine Augenbraue hoch. "Südkorea? Das ist wohl kaum weit genug weg." "Das können wir während der Fahrt diskutieren", erwiderte ich und zog Reno mit mir auf die Rückbank des Kombis. Ich sah, dass Ryouga noch eine Benzinspur zu dem anderen Auto zog und dann mit Ibuki diskutierte, aber anscheinend als Verlierer aus dieser Diskussion hervorging. Schnell stiegen beide ein, Ibuki als Fahrer. Er hätte auch niemand anderem sein geliebtes Auto überlassen. Geräuschlos setzte das Fahrzeug sich in Bewegung und Ryouga warf etwas Brennendes aus dem Fenster auf die Benzinspur, woraufhin Ibuki beschleunigte. Ich drehte mich um und sah, wie unser 'Leihwagen' Feuer fing. Lächelnd wandte ich mich wieder nach vorn und legte meinen Kopf auf Renos Schulter. Er nahm meine Hand und verschränkte unsere Finger, legte dann seine Wange an mein Haar. Auch wenn ich Ibukis misstrauischen Blick im Rückspiegel sah, sagte ich nichts dazu. Ich hatte den Glauben, dass jetzt alles gut werden würde. Pünktlich hatten wir den Flughafen erreicht und waren auch gut in Seoul angekommen. Es gab zwei Anschlussflüge nach Europa, bei denen die Wartezeit nicht zu lang war, nach Madrid und Hamburg. Wir entschieden uns für Hamburg. In einem Café des Flughafens saßen wir schweigsam zusammen. Jeder war in seine eigenen Gedanken vertieft, das wusste ich. Wir alle wussten nicht, was und im hohen Norden Deutschlands erwartete. Ich hatte Angst, das hätte ich auch jedem gegenüber ohne Zögern zugegeben. Es war nicht so, dass ich nicht froh über unsere Flucht war, aber die Zukunft war ungewiss. Ohne meine Begleiter wäre ich wahrscheinlich einfach umgedreht und zurück nach Mito gegangen, aus Angst, das Leben in Deutschland nicht zu meistern. Aber ich war nicht allein. Ich hatte meinen Geliebten und seinen besten Freund sowie meinen besten Freund. Und den Glauben, dass wir es zusammen schaffen würden. Gut, und die beträchtliche Summe Geld, die wir alle mit unserem Ersparten hatten. "Denkt ihr, wir werden Arbeit finden?", fragte Ibuki nach einer Weile des Schweigens. "Klar", antwortete Reno. "Ryou, machen wir ein Detektivbüro auf? Menschen ausspionieren können wir immerhin." "Gute Idee", bemerkte Angesprochener und lehnte sich zurück. "Hikaru, was hast du vor?" Ich zuckte mit den Schultern. "Vielleicht irgendein sozialer Beruf, aber bis ich genug deutsch kann, halte ich mich wohl erstmal mit kleinen Nebenjobs über Wasser." "So schlecht geht es uns finanziell nicht", meinte Reno. "Aber wenn ich mir das so durch den Kopf gehen lasse… Du als Altenpfleger zum Beispiel… Wenn die Dienstkleidung in Deutschland genauso aussieht wie in Japan, gern. Darin musst du echt heiß aussehen." Lachend schüttelte ich den Kopf. "Sexist!" "Ich weiß. Und, Ibuki? Dein Plan?" "Hamburg hat die Reeperbahn mit Bordells und Stripclubs ohne Ende, ich bin Barkeeper, ich werde schon etwas finden." Und so traten wir die Reise nach Deutschland an. _________________________________________________________________________________ Irgendwie werde ich immer leicht melancholisch, wenn es darum geht, die letzten Kapitel einer Fanfic hochzuladen. Das war also das letzte 'richtige' Kapitel, es folgt noch der Epilog und dann… ist's vorbei. Und man erfährt in diesem Kapitel etwas über Ryoga. Ich gestehe, das war so anfangs nicht geplant. Sein Auftritt an dieser Stelle hat sich einfach mit rein geschlichen, aber man muss doch einsehen, dass er gar nicht so ein Arschloch ist, wenn man weiß, was ihn so hat werden lassen. In Form von einer mehr als strengen Erziehung. Wieso am Ende Deutschland? Es bot sich an. Wenn es etwas um Gesetze und Rechte geht, kenne ich mich in Deutschland einfach besser aus, und die Gegend um Hamburg kenne ich landschaftlich am Besten. Darum. Na ja, bis zum Epilog nächste Woche! Hikari Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)