Assoziatives Schreiben von Duvessa (unzensierte Tintenkleckse) ================================================================================ Der eine oder andere ... ------------------------ ... würde ihm Glauben schenken, wenn er ihn anspräche, und ihm helfen. Doch die Menschen zogen vorüber. Sie blickten nicht auf die Gestalt, die dort am Rand des Weges saß, der eigentlich nicht mehr als ein ausgetretener Pfad war. Vor wenigen Tagen war dort ein Feld gewesen. Inzwischen zog sich eine dunkelbraune schlammige Schneise durch das niedergetrampelte Gras. Die Luft war noch feucht vom Regen, fraß sich durch baumwollene Kleidungsschichten und formte Tropfen auf den Regenjacken mancher Wanderer. Der junge Mann, kaum des Kindesalter entwachsen, hob den Blick nicht, starrte nur stur auf ein Ding vor seinen Füßen, auf einen Punkt, auf Etwas, das nur er zu sehen im Stande war. Trotz der vielen Menschen, die vermummt und bepackt trägem der Masse folgten, lag eine Stille über der Ebene, die einem schrill in den Ohren klang. Lediglich die schmatzenden Schritte und das Keuchen vereinzelter Wanderer waren zu hören. Und doch war es, als würde eine alles verschlingende, drückende Lautlosigkeit über der Szenerie schweben, welche einem jener Endzeitfilme entsprungen sein könnte, in denen Kannibalismus und Hoffnungslosigkeit vorherrschten. Er hob den Kopf und blickte mich an. Es war, als hätte er meine Gedanken gehört, auf sie reagiert. Konnte man Gedanken hören? Vermutlich nicht. Doch inmitten dieses schweigenden Trosses hätte es mich nicht gewundert. Der Ausdruck, der in den dunklen Augen lag, unter denen noch dunklere Ringe lagen, erschütterte mich bis in mein Innerstes. Er drang in mich ein und etwas Kaltes, etwas Eisiges, streifte meine Seele. Ich sah nichts. Und doch sah ich etwas. Hoffnungslosigkeit. Die vollkommene Abwesenheit jedes Gefühls. War Hoffnungslosigkeit denn kein Gefühl? Man konnte nicht nichts fühlen. Zumindest suchte ich in diesem Gedanken Trost, Hoffnung, während ich auf die Gestalt hinab blickte. Immer wieder schritten Menschen an mir vorüber, unterbanden unseren Blickkontakt für wenige Sekunden. Und immer wieder begegneten mir diese Augen aufs Neue, sandten kleine Schauer über meine Haut. Eine ältere Frau mit krummem Rücken und einem schweren Ächzen auf den Lippen schritt an mir vorbei, kappte das unsichtbare Band erneut. Als mein Blick ihn wieder fand, hingen seine Augen an meinem Körper. Ich wusste was er sah, konnte regelrecht fühlen, wie sich seine Augen durch den Stoff der Hose fraßen und das kleine kantige Stück, das sich darunter abzeichnete, mit seinen Gedanken abtastete. Einem Impuls folgend setzte ich mich wieder in Bewegung. Doch schwamm ich nicht weiter mit der Menschenflut, die sich in langsamem Tempo, einem sanften Bächlein ähnelnd, weiter durch das nasse Braun der Schlammlandschaft schleppte. Vielmehr bahnte ich mir einen Weg durch den Fluss, wobei mir lethargisch Trottende scheinbar intuitiv auswichen. Eine Armlänge entfernt blieb ich vor dem Fremden stehen. Seine Wangen wirkten eingefallen, seine Züge dennoch fein geschnitten. Wie die eines Kindes. Das Haar war fettig und wirr. Wie ein verwahrlostes Tier. Der Blick dieser dunklen Augen wanderte höher, zu meinem Gesicht, dann senkte er den Kopf wieder und stierte erneut auf das, was nur er zu sehen vermochte. Es war, als würden all die anderen Menschen nicht existieren, nicht dort sein, nicht an uns vorüber schreiten. Man hörte ihre Schritte noch immer. Nicht einmal das Rascheln ihrer Jacken konnte man überhören. Aber es war, als wäre ich mit jenem Fremden und niemand sonst. Nur er und ich. Und die Stille, die keine Stille war. Mit einem Mal ergriff Müdigkeit meinen Geist. Ich fühlte mich träge, matt und stumpf. Einem weiteren Impuls folgend ließ ich mich neben ihm nieder. Augenblicklich tränkte das feuchte Gras den Stoff meiner Hose, griff mit kühlen, nassen Fingern nach meiner Haut. Nach kurzem Zögern folgte ich seinem Blick, suchte mit meinen Augen die Stelle dessen, das ihn so in den Bann zu ziehen vermochte, während ich mir zeitgleich den Rucksack abstreifte. Das Ding in meinem Hosenbund drückte unangenehm in meine Leiste. Erst war da nichts. Nur feuchte Erde und platt getretenes Gras. Doch ich konnte auch gar nicht zu genau hinsehen. Viel mehr lenkten die Menschen, die weiter stur vorüber wanderten, als hätten sie noch nie etwas anderes in ihrem Leben getan, meinen Geist ab. Aus diesem Blickwinkel wirkten sie groß und mächtig. Dieses Bild war anders als jenes, das man wahrnahm, wenn man mit ihnen lief. Als meine Augen zu dem Punkt vor seinen Füßen zurückkehrten, erkannte ich, was er sah. Unter den umgeknickten Grashalmen lugte eine kleine Blüte hervor, deren Blätter sich zart dem matten Tageslicht entgegenstreckten, während ein Tautropfen sich verzweifelt an der Kante eines weißen Blattes festklammerte. Die Füße der anderen verfehlten das kleine Versteck der Blume nur knapp. Wieder und wieder erschrak ich, weil ich glaubte, einer der festen Stiefel würde diese Schönheit vernichten. Ich ertappte mich selbst dabei, wie ich bangte, wie ich im Stillen hoffte, der nächste der vorüber kam, würde nicht der sein, der die Blüte zertrat. Und auch nicht der darauf folgende. Schuldbewusst, dass ich in Gedanken Anspruch auf etwas erhob, das nicht mir gehörte, senkte ich den Blick, richtete ihn wieder auf das Gesicht des jungen Mannes, der neben mir saß. Mit kindlicher Neugier musterte ich sein Profil. „Warum pflückst du sie nicht?“ Die Worte hatten meinen Mund verlassen, ehe ich ihrer gewahr wurde. Bei dem Klang meiner Stimme erschrak ich selbst. Sie klang rau und heiser. Er hob seinen Blick nicht. Er tat nichts, saß stumm dort, als hätte er meine Worte nicht gehört. „Was pflücken?“ Er starrte weiter auf das fragile Bild der halb verdeckten Blüte. Wie lange hatte er geschwiegen? „Die Blume“, antwortete ich erstaunt. „Warum pflückst du sie nicht?“ Er neigte den Kopf ein wenig zur Seite, als müsse er meine Worte abwiegen. Dann schloss er die Augen, verbarg die matten, dunklen Seen hinter seinen Lidern. „So schöne Dinge sehe ich nicht.“ Als er die Lider wieder anhob und mir sein mageres Gesicht zuwandte, erkannte ich die Bedeutung der faden Hoffnungslosigkeit in seinen Augen, während einer der ersten Regentropfen auf seine Wange perlte. Schuldbewusst wandte ich den Blick ab und blickte erneut auf die weißen Blütenblätter, bevor sie unter einem schlammverschmierten Stiefel verschwanden. Das Innerste meiner Seele schmerzte. „Ich fühle sie nur“, sprach er leise weiter. Seine Stimme ertrank im Regen, legte sich einer warmen, wollenen Decke gleich um meinen Geist. Dort saß ich, neben einem Blinden, auf einem Feld, während saurer Regen die Erde und unsere Kleider tränkte, die Natur und unsere Herzen vergiftete. Dort saß ich und betrauerte die Schönheit einer Blume. Weinte der Vergänglichkeit stumme Tränen nach, weinte, weil ich begriff, dass die Hoffnungslosigkeit, die ich in seinen matten Augen gelesen hatte, nichts weiter war, als der Schatten dessen, was er in meiner Seele lesen konnte. Ich zog das kleine Notizbüchlein hervor, welches in meinem Hosenbund steckte. Meine Haut hatte es gewärmt. Als ich eine Seite aufblätterte, hob er den Kopf. Die Menschen zogen weiter still an uns vorüber. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)