Kirschblütenschauer von PenAmour ([Sorato/Koumi/Kenyako]) ================================================================================ Prolog: Prolog: Blütentanz -------------------------- Prolog: Blütentanz *** Abenddämmerung Das leuchtende Abendrot umhüllte die Stadt mit seinem wärmenden Mantel aus den letzten Lichtstrahlen des Tages, während der eine kühle Frühlingsbrise ihr Wiegenlied säuselte und die Kirschblüten noch einmal tanzen ließ. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen, während er das Bild in sich aufsaugte. So wurde er auf seine alten Tage doch tatsächlich noch einmal rührselig. „Wieso lachst du, Taichi?“ Agumon blickte neugierig zu ihm hinauf und runzelte die Stirn. Er tätschelte seinem Partner den Kopf und ließ seinen Blick über die Kirschbäume streifen, die Grünflächen des Shinjuku Central Parks auf denen sich zuvor noch so viele Menschen getummelt hatten, hin zu den Wolkenkratzern die weit in den Himmel ragten. Die weißen Wände des Tokioter Regierungsgebäudes wurden von der untergehenden Sonne mit einem roten Schimmer belegt, während der dreiteilige Gebäudekomplex alle anderen Wolkenkratzer in den Schatten stellte und über die Stadt wachte. „Ich erinnere mich, Agumon“, antwortete er schließlich dem saurierartigen Digimon, welches die Arme hinter dem Kopf verschränkt hatte, und die Menschen beobachteten, die am Parkeingang vorbeiströmten, die es in die Innenstädte und zu den U-Bahn-Schächten zog. In der Ferne war das Rauschen und Geheul des Verkehrs zu hören, der sich durch die Stadt drückte und drängelte. Doch das hektische Getümmel auf den Straßen Shinjukus berührte ihn heute nicht, während er von einer Anhöhe aus den Kirschblüten bei ihrem Tanz im Wind Gesellschaft leistete. „Wir hatten eine gute Zeit, oder?“ Ihm fielen all die Abenteuer ein, die sie zusammen erlebt hatten, die guten wie die schlechten. Die Kämpfe, die nach all den Jahren einen bitteren Beigeschmack davon trugen und deren Verluste heute schwerer auf seinen Schultern wogen, als es noch in seiner Kindheit getan hatten, in der die Frage nach Moral und Wahrheit eine eher untergeordnete Rolle gespielt hatte. Aber dennoch waren es nicht die philosophischen Fragen, die hier und da zwickten, an die er sich erinnerte, sondern die Gesichter seiner Freunde, die ihm zur Seite gestanden hatten. Sie waren seine Kameraden, Mitstreiter, Machmal-Feinde und sogar Schüler geworden. „Es war ein großer Spaß“, hörte er das Digimon, welches ihn angrinste und dabei seine weißen Schneidezähne zeigte. „Mit euch Menschen…“ Das Digimon lachte laut und sein runder, gelber Bauch bebte. Ja, die Menschen, er würde sie schrecklich vermissen, das Stand außer Frage, und es würde mitunter ein sehr einsamer Pfad werden den er im Begriff war zu betreten. Ein Blick auf seine Armbanduhr verriet ihm, dass die Zeit reif war. 18 Uhr 57. Seine Hand griff nach dem pochenden Digivice in seiner Hosentasche, der Wind rauschte über die Baumwipfel hinweg und ein zarter, rosa Schauer aus Kirschblüten umhüllte sie beide. *** Author’s Note: Wie in Schneegestöber, beginne ich auch hier mit einem kleinen Prolog. Nun stellt sich die Frage, was Taichi alleine im Shinjuku Central Park macht, nicht wahr?! Kapitel 1: Erster Blütenakt --------------------------- Erster Blütenakt *** Schmelzende Schokoherzen Dankbar griff sie nach dem Papiertaschentuch und versuchte den Abschiedsschmerz beiseite zu wischen. Seine eisblauen Augen ruhten auf ihrem Gesicht, während er ihr ein aufmunterndes Lächeln zuwarf. Sein Blick war voller Wärme und Ruhe, doch auch er konnte ihr schlechtes Gewissen nicht beiseite wischen. Schließlich würde sie ihn verlassen und das brach ihr das Herz. Doch ein kleiner Teil von ihr freute sich bereits auf das große Unbekannte – und das war viel schlimmer. Sie hatte sich redlich bemüht Haltung zu bewahren, aber als Miyako Daisuke in den Schwitzkasten nahm, nachdem er sie als dumme Gans betitelt hatte und alle in schallendes Gelächter ausbrachen, konnte sie die Tränen einfach nicht mehr aufhalten. Besorgt ließ Miyako Daisuke, der sich daraufhin melodramatisch auf die Picknickdecke fallen ließ und ein heiseres Röcheln von sich gab. „Alles in Ordnung, Sora?“ Ihre kirschroten Haarsträhnen wippten im Wind, während sich das Mädchen zu ihr beugte. „Falls du dir Sorgen um den Hornochsen machst…“ Miyako schnipste dem stöhnenden Daisuke mit der Fingerspitze gegen die Nase, woraufhin dieser erschrocken zusammenzuckte und sie mit wütenden Augen anfunkelte. „…er lebt noch!“ Sie lachte, während die Tränen sich weiter ihren Weg über ihr Gesicht bahnten und Daisuke ein empörtes Knurren vernehmen ließ. Ach, wie würde sie all das vermissen. „Da hast du es, Miyako. Mit deinem Jähzorn und dieser furchtbaren Neigung zu Gewaltausbrüchen verschreckst du die anderen vollkommen. Und das an Soras letztem Tag…“, tadelte Daisuke sie und verschränkte die Arme vor der Brust, während die Gläser der Fliegerbrille, die er auf dem Kopf trug, im Sonnenlicht schelmisch aufblitzten. Miyako quittierte dies nur mit einer Kopfnuss und ließ sich neben Ken auf den Boden fallen. Der Junge mit den seidig schwarzem Haar seufzte leise und öffnete wortlos eine Kekspackung, die schon bald die Runde machte. Der Shinjuku Central Park erstrahlte im blassrosa der Kirschblüten, die von den Ästen der Yoshino-Bäume hingen. Überall hatten sich Menschen versammelt, um den Kirschblüten bei ihrem Tanz im Frühlingswind zuzusehen, während sie durch den Central Park spazierten und es sich auf Picknickdecken oder Parkbänken gemütlich machten. Das bunte Getümmel um sie herum verblasste jedoch im Angesicht des ihr bevorstehenden Abenteuers. In wenigen Stunden würde sie die Kirschblüten gegen Weinberge und das Tokioter Regierungsgebäude, welches über die rosa Baumwipfel hinaus ragte, gegen den Eifelturm eintauschen. Sie fuhr aus ihren Gedanken, als ihr jemand die Schokokekse unter die Nase hielt. „Schokolade macht glücklich“, raunte er und fuhr sich durch das kastanienbraune streichholzkurze Haar. Sie hatte sich immer noch nicht daran gewöhnen können, dass er sich von seiner Löwenmähne getrennt hatte. „Mein Kopf fühlt sich jetzt wesentlich leichter an“, hatte er gemeint und schief gelächelt, wie nur Taichi es eben konnte. „Außerdem wurde es einfach mal Zeit…“ Er hatte den Satz nicht zu Ende geführt, aber sie wusste genau, was er meinte. Die Schokolade schmolz auf ihrer Zunge und eine wohlige Wärme breitete sich in ihr aus, während sie die Kekskrümel von ihrer Hose wischte. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie sich Hikari mit dem Rücken an Takeru lehnte, der die Augen geschlossen hielt, während er sein Gesicht der Sonne zuwendete. „Das Wetter ist einfach herrlich.“ Er legte einen Arm um die schmalen Schultern von Taichis kleiner Schwester und drückte sie für einen kurzen Moment an sich, bevor er Taichis Geduld überstrapazierte. Die Wintermonate waren sehr kalt gewesen, es hatte zwar nicht geschneit, wie einige Jahre zuvor, aber die klirrende Kälte zog sich bis in die Knochen – doch jetzt strahlte die Sonne von oben auf sie herab und alles schien perfekt, während die Kirschblüten sie in ihren zeitlosen Traum einhüllten und den Alltag auszuschließen vermochten. Piyomon schmiegte sich an sie, während es V-mon und Patamon dabei beobachtet, wie sich gegenseitig Daisukes Fußball zustießen und über die Wiese tollten. Einige der Parkbesucher warfen nervöse Blicke zu den spielenden Digimon, als hätten sie sich immer noch nicht an die Tatsache gewöhnen können, dass die digitalen Monster wirklich existierten. Andere störten sich nicht weiter an dem Anblick und setzten unbeirrt ihren Spaziergang fort. „Wenn man bedenkt, dass wir sie früher noch als unsere Kuscheltiere ausgeben mussten…“ Jyou rückte seine Brille zurecht, während Gomamon seinerseits auf den Ball zuhechtete. Sie musste lachen, während sie daran dachte. Ja vieles war einfacher geworden, seit sie Belial Vamdemon besiegt hatten und die Menschen langsam akzeptierten, dass es noch eine andere Welt gab, andere Lebensformen und unzählige Kinder, die nun aufbrachen um diese fremde Welt zu erkunden und entdecken. „Dafür haben wir all die Jahre gekämpft“, meinte Taichi schlicht und ließ seinen Blick über die Parkanlage streifen, die sich so friedlich vor ihnen erstreckten. „Wenn ich bedenke, dass bald schon die Schule wieder los geht…“, murrte Daisuke, während der Ball gegen sein Knie stieß und er ihn zu den Digimon zurück warf. „Immerhin wechselst du endlich die Schule“, erwiderte Iori, woraufhin Daisuke ihn frech angrinste. „Das hätte ich fast vergessen, der Kleine ist ja schon Mittelschüler.“ Iori duckte sich, bevor der Junge mit der Igelfrisur ihn zu fassen bekam. Iori war in den letzten Monaten gut einen Kopf gewachsen, doch die ernsten Gesichtszüge, die er schon als Neunjähriger hatte, waren unverändert geblieben, während er nun ungerührt von dem laut lachenden Daisuke wegrückte und sich ein Stück Wassermelone nahm. Erneut kullerte der Ball auf die Decke zu. Kurzerhand griff Daisuke nach dem Leder zog den verdutzen Ken mit sich schoss den Ball hoch in die Luft. „Du und ich.“ Herausfordernd baute er sich vor Ken auf, auf dessen Gesicht sich ein Grinsen stahl, bevor er den Ball mit der Brust annahm. Wortlos nahm sie seine warme Hand und drückte sie, während ihm das blonde Haar ins Gesicht fiel und er Daisukes dabei beobachtete, wie er Ken den Ball abluchste. Sie strich mit der Fingerspitze über das krause Haar, überrascht drehte er den Kopf zu ihr und Wehmut breitete sich in ihr aus, während sie in seinen Eisaugen versank, die ihr Herz nach wie vor zum Schmelzen brachten. Die Zeiger ihrer Armbanduhr rückten unerbittlich voran. 16 Uhr und 3 Minuten. Doch eine andere Hand legte sich über die Uhr und verdeckte das Zifferblatt. Taichi schüttelte kaum merklich den Kopf und klopfte seinem besten Freund aufmunternd auf die Schulter, bevor er sich umdrehte und sich zusammen mit Agumon und Gabumon über die restlichen Kekse hermachte. Sie spürte, wie sich seine Arme um sie schlossen und das vertraute Gefühl von warmen Sommernächten weckte. „Ein bisschen Zeit haben wir noch“, flüsterte er. *** Unberechenbar Er fühlte sich völlig überrumpelt. Dabei hatte er sich nichts dabei gedacht, als er die Tür geöffnet hatte. Es hatte geläutet und wie jeder normale Mensch war er aufgestanden, um nachzusehen, wer auf der anderen Seite zu finden war. Mit einem leisen Knarren öffnete sich die Tür, das blasse Licht des Hausflures flackerte und warf flimmernde Muster auf das Bucheparkett. Da stand sie, mit einem riesigen grell rosa Koffer, in einem quietschgelben, strahlenden Regenmantel und großen karamellfarbenen Augen. Und ehe er sich versah, hatten sich ihre Arme um seinen Hals geschlungen und ein zarter Duft von Kokosnuss umhüllte ihn, während seine Hände fassungslos in der Luft klebten und ihr überschwängliches Lachen ihn ganz unvorbereitet traf. Er spürte, wie ihre Locken seine Wange streiften, während nur noch ihre Zehenspitzen den Boden berührten und der sonnige Regenmantel den grauen Hausflur des Mehrfamilienhauses merklich erstrahlen ließ. „Da bin ich, Hiro-kun.“, meinte sie, als würde das irgendetwas erklären, entließ ihn aus ihrer Umarmung und war bereits mit ihrem sperrigen Gepäckstück in der Wohnung. Sprachlos folgte er ihr, die Tür fiel mit einem leisen Klicken ins Schloss, als sie ihren Mantel aufknöpfte, ihn an die Garderobe hing und sich anschließend auf einen der Stühle in der Küche fallen ließ. „Du ahnst gar nicht, was ich alles hinter mir habe…“ Sie streckte die Beine von sich und er sah den Riss in der ausgewaschenen Jeans oberhalb ihres Knies. „Am Flughafen in New York war die Hölle los – dabei sollte man meinen, dass die Leute mitten im März besseres zu tun hätten, als durch die Welt zu fliegen…“ Langsam folgte er ihr in die Küche. „Und das Flugpersonal war furchtbar unfreundlich.“ Sie schüttelte den Kopf, so dass die honigfarbenen Locken um ihr Gesicht tanzten. „Es ist ja nicht so, dass ich nach Diamanten verlangt hätte, ich wollte einfach nur keine Pilze auf meinem Pilzrisotto, das wird ja wohl noch erlaubt sein….“ Es war kaum möglich ihrem Geplapper zu folgen, welches wie ein warmer Regenguss auf ihn einprasselte. „Mit dieser Airline fliege ich kein zweites Mal“ Sie klatschte in die Hände und nahm, unter seinen beobachtenden Blicken, ein Glas aus dem weißen Hängeschrank über der Spüle.„Es hat ewig gedauert, bis ich dann an meinen Koffer konnte, bestimmt eine Millionen Jahre…“ Das Wasser in ihrem Glas sprudelte und schäumte, während sie es auf den Tisch stellte und etwas davon auf der Tischplatte verschüttete. Rasch griff er nach einem Trockentuch. „Oh, ja danke, Hiro-kun. Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, die Taxifahrt. Ich sage dir, Hiro-kun, das war vielleicht abenteuerlich.“ Sie hatte ihn überrascht, überfallen, einfach überrollt. Und nun war er ihr hilflos ausgeliefert, es schien, als wäre er verstummt, er fand einfach keine Worte, die er hätte erwidern können, während er ihr dabei zusah, wie sie ihm wild gestikulierend alle Details der Taxifahrt mitteilte, sich mit den blau lackierten Nägeln durch die langen Locken fuhr und sein Herz ihm bis zum Hals schlug. „Ach es ist so schön, wieder hier zu sein…“ Sie erhob sich vom Stuhl und baute sich vor ihm auf mit ihrem zuckersüßen Lächeln bei dem die Küche urplötzlich in ein gleißendes Licht getaucht wurde, was physikalisch überhaupt nicht möglich war und allen Gesetzen des Universums widersprach. Sie reichte ihm gerade einmal bis zu den Schultern. Ihre Hände berührten seinen Arm und ihm wurde schwindelig. „Ich hab dich vermisst, Hiro-kun“, flüsterte sie. „Was machst du hier?“ Das waren die einzigen Worte, die er mit krächzender Stimme hervorbrachte. Entrüstet verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Da fliege ich abertausende von Meilen und das ist alles was du dazu zu sagen hast?“ Ja, das war alles, was er herausbringen konnte. Sie war wie aus heiterem Himmel vor ihm aufgetaucht und sein Verstand schien sich in dem Moment verabschiedet zu haben. „Freust du dich gar nicht mich zu sehen?“ Hakte sie nach und fing seinen nervösen Blick auf, mit dem er die Küche nach potenziellen Notausgängen absuchte, und ließ ihn nicht wieder frei. „Ähm…“ Mit einer fahrigen Handbewegung fuhr er sich durch das Haar, versuchte Zeit zu gewinnen auf der Suche nach einer passenden Antwort, die sie zufrieden stellte. „Dein Besuch kommt etwas unerwartet, Mimi…“, versuchte er sich zu erklären, während sie ihn böse anfunkelte, und er sich so unwohl fühlte, wie noch nie in seinem Leben zuvor. Es war einfach unmöglich, sie zu verstehen. Nichts was sie tat war logisch. Sie war unberechenbar und schrecklich laut und er fühlte sich in ihrer Gegenwart wie ein Volltrottel. „Glaubst du etwa…“ Sie stieß ihm mit dem Zeigefinger gegen die Brust. „…dass ich mich nicht von Sora verabschiede? Was wäre ich nur für eine Freundin, wenn ich sie ohne ein Wort nach Paris ziehen ließe…“ „Ja, aber…“ Er schluckte und verbot sich ihr zu widersprechen. Mimi folgte ihren eigenen ihm unerklärlichen Gesetzen. Und auch wenn sie seit fast fünf Jahren auf einem anderen Kontinent lebte und Sora in all der Zeit kaum zu Gesicht bekommen hatte, würden diese Argumente an ihr abprallen, wie an einer Mauer. Auch, dass er es für schieren Wahnsinn hielt, dafür nach Tokio zu fliegen, ließ er unausgesprochen. Stattdessen fiel sein Blick auf die Küchenuhr. 16 Uhr und 3 Minuten. „Dann sollten wir wohl los“, räusperte er sich und deutete auf die voranschreitenden Zeiger. Doch erst nachdem Mimi für eine geschlagene Viertelstunde im Bad verschwunden war, und er seiner Mutter eine Nachricht hinterlassen hatte, auf der er das Auftauchen des riesigen Gepäckstücks zu erklären versuchte, verließen sie die Wohnung. Mimi hatte die Jeans und das bunt gepunktete Shirt gegen eine zitronengelbe Bluse und einen kaminroten Faltenrock ausgetauscht, der nun im Wind flackerte, während sie gemeinsam zur U-Bahn-Station liefen. Ihre Locken wirbelten hin und her und ihre Wangen waren leicht gerötet als das Schild der Daiba-Station in ihr Blickfeld gelangte. „Warum bist du nicht direkt zum Central Park gefahren“, keuchte er, während der Einstieg zur U-Bahn sichtbar wurde. „Dummkopf“, hörte er sie, während sich ihre Schritte verlangsamten. „Der ganze Weg nach Odaiba hinaus, das ist doch ein totaler Umweg…“, meinte er verständnislos und drehte sich zu ihr um. Mimi war mittlerweile stehen geblieben. „Ich wollte aber erst zu dir.“ Sie senkte den Blick und er spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss, während sie fortfuhr. „Ich hab dich vermisst, Hiro-kun.“ Sie flüsterte, ganz sacht und für sie völlig untypisch leise. „Ich dich auch…“ *** Knisternde Luft „Klar würde ich die Schule sausen lassen, wenn ich dafür bei einem Topverein spielen könnte. Das ist eine einmalige Chance“, antwortete Daisuke und balancierte den Lederball weiterhin auf seiner Fußspitze. „Na die letzten Jahre auf der Oberschule werden wir wohl noch über die Bühne bringen“, hörte sie Takeru neben sich unter der Mütze murmeln, die er sich über das Gesicht gezogen hatte, während er die Arme unter dem Kopf verschränkte und sich von Sonnenstrahlen berieseln ließ. Patamon hatte sich auf seinem Bauch zusammen gerollt und gab ein lautes grunzendes Schnarchen von sich. „Ich weiß nicht…“ Sora malte mit ihren Fingerspitzen über das bunte Blumenmuster der Picknickdecke. „…Bei so einer einmaligen Chance sollte man einfach zugreifen. Bevor man eines Tages aufwacht….“ Ihre nussbraunen Augen ruhten auf Yamato. „…und sich fragt, was wäre wenn?“ Sie strich sich eine der roten Haarsträhnen aus dem Gesicht und seufzte leise. Doch Jyou schüttelte vehement den Kopf, so dass ihm die Brille abermals von der Nase rutschte. „Ohne vernünftige Schulbildung sind die Chancen minimal“, erklärte er und hob dabei unbewusst den Zeigefinger, während er streng in die Runde schaute. Sie schmunzelte und fing den belustigten Blick ihres Bruders auf, der an diesem Tag ungewöhnlich still wirkte, während Yamato Jyou freundschaftlich den Ellbogen in die Seite stieß. „Das Medizinstudium hat dir wohl eine Gehirnwäsche verpasst.“ Jyou wollte etwas erwidern, doch seine Antwort ging im lauten Gelächter unter. Er grinste sie aufmunternd an und fuhr sich mit der Hand über das kurz geschorene Haar, dass immer noch so fremd wirkte und gar nicht dem Taichi ähnelte, den sie kannte und der ihr Bruder war. „Huhu!“ Ein schriller Schrei riss sie aus ihren Gedanken und in der Ferne tauchten zwischen den Kirschblüten zwei Gestalten auf, die die Arme winkend in die Höhe reckten. Und als Palmon mit einem verzückten Quieken aufsprang und auf eine der beiden Gestalten zusprintete, erkannte auch sie, zu wem die honigfarbenen Locken gehörten, die im Wind wehten während sie das Pflanzendigimon in ihrer Arme schloss. Die andere Gestalt fiel mit seinen rostroten Haaren zwischen den Kirschblüten gar nicht so sehr auf und dennoch handelte es sich unverkennbar um Koushiro, der die Hände in die Hosentaschen vergrub und sich mit gewohnt bedachten Schritten näherte. „Mimi!“ Sora umarmte das Mädchen stürmisch. „Bonjour allerseits“, begrüßte Mimi Tachikawa sie und ließ sich zwischen der jubelnden Miyako und dem verdutzten Jyou nieder, während Koushiro Taichi und Yamato mit einem Handschlag begrüßte. Mimi hatte sich natürlich verändert. In ihrem Haar glänzten kleine bunte Glitzerhaarspangen und die himmelblau lackierten Fingernägel blitzten zwischen den braunen Locken auf, während sie sich durch das Haar strich und dem sprachlosen Jyou auf die Schulter klopfte. Aber es war nicht Mimi allein die sich verändert hatte. Seit einer Weile hatte sie nun schon nichts mehr von Koushiro gehört; wenn es etwas zu bereden gab, hatte er sich an Taichi gewandt und die Patrouille in der Digiwelt absolvierte sie meisten mit Takeru oder Miyako. Das einzige Lebenszeichen war der wöchentliche Newsletter mit dem er die Digiritter aus aller Welt über Neuigkeiten und Patrouillenschichten auf dem Laufenden hielt. Das Netzwerk der Digiritter hatte sich in den letzten Jahren enorm vergrößert, so dass die Arbeit aufgeteilt und organisiert werden musste. Es schien als wäre Koushiro in der letzten Zeit um einiges gewachsen, zumindest war er beinahe so groß wie ihr Bruder, aber etwas an Koushiro selbst musste sich verändert haben, dachte sie bei sich, als er lachend die Köpfe mit Taichi zusammensteckte und immer wieder mit Mimi verstohlene Blicke austauschte. Und obwohl sie nun alle wieder beisammen waren, wollte sich das vertraute Gefühl nicht recht einstellen. Die Veränderungen waren spürbar, sie knisterten in der Luft und flüsterten ihr all die Ängste ins Ohr, die sie nicht hören wollte. In einigen Stunden würde Sora das Ende einer Ära einläuten, sobald sie in den Flieger gestiegen war, um ein neues Leben in Paris zu beginnen, wäre nichts mehr wie es einmal war. Das stand in Großbuchstaben auf den Gesichtern ihres Bruders und Yamato geschrieben, die mit angespannten Mienen auf den letzten Glockenschlag warteten. Der ungeöffnete Briefumschlag der Universität Kyoto auf Taichis Schreibtisch tat sein Übriges, um ihre Angst zu schieren, während er ungeduldig auf diesen einen finalen Moment zu warten, und wenn er es endlich wagte, ihn zu öffnen, finge auch für ihn ein neues Leben an. Auch Yamato schien zu glauben, dass das Leben mit jedem Abschied leichter würde. Sie hatte das Zugticket in seiner Hand gesehen, als er es Taichi gezeigt hatte, und ihn nach seiner Meinung gefragt hatte. „Schon so spät?!“ Jyou war aufgesprungen und deutete panisch auf das Zifferblatt seiner Uhr. 16 Uhr 43. „Meine Schicht beginnt in gut einer Stunde…“, erklärte er, während er seine Jacke vom Boden aufhob und hastig in die Ärmel schlüpfte. „Ich wünsche dir alles erdenklich Gute, liebe Sora…“ Doch bevor er seine feierliche Rede fortsetzen konnte, hatte die Rothaarige ihn in die Arme geschlossen. Tränen kullerten ihre Wangen herunter, während Jyou ihr unbeholfen den Rücken tätschelte. „Den sehen wir so schnell nicht wieder“, scherzte Taichi, während Jyou und Gomamon zwischen den Kirschbäumen verschwanden. „Das war das erste Mal seit Monaten, dass ich ihn zu Gesicht bekommen habe…“ Yamato grinste. „Unser lieber Jyou ist eben ein sehr fleißiger und rechtschaffener Student!“ Unterdessen hatte sich Iori aufgerichtet und starrte hinüber zu einer sich nähernden Gruppe, die über die grüne Parkanlage schritt. Als die Umrisse deutlicher wurden, erkannte sie unter ihnen Noriko, das kleine Mädchen, welches sie seinerzeit von der Saat der Finsternis befreien konnte, die mit ihrem Digimonpartner, einem Elecmon über die Wiese rannte. Dicht gefolgt von einem hoch gewachsenen Junge mit langem braunen Haar, einer giftgrünen Weste und einem DORUmon an der Seite, dessen fliederfarbener Schweif aufgeregt auf und ab hüpfte, während das Drachendigimon mit einem Lalamon spielte, dass zu einem dunkelhaarigen Jungen gehörte, welcher eine Brille trug und seinen Laptop auf dem Rücken schulterte. Das Schlusslicht bildete ein verträumt dreinschauendes Mädchen mit einer knallroten Baseballkappe, auf der es sich ein wespenartiges Kunemon gemütlich gemacht hatte. Iori winkte ihnen zu, während sich sein Gesicht zu einem fröhlichen Lächeln verzog. „Ja, also wir wollten in der Digiwelt patrouillieren“, erklärte er sich und richtete seine Aufmerksamkeit auf Sora, die ihm verständnisvoll zunicke, bevor er und Armadillomon zu den fremden Digirittern aufschlossen. „Sie schlagen sich gut“, hörte sie Taichi, der seinen Stolz nicht verbergen konnte, als er auf die fünfköpfige Gruppe blickte, die über die Wiese stapfte mit einem lachenden Iori in ihrer Mitte. In den letzten Jahren waren immer wieder neue Digiritter auf der Bildfläche aufgetaucht. Neue Gesichter auf denen sie die gleiche Abenteuerlust erkannte, die sie vor so vielen Jahren erfasst hatte. Neue Digimon, die neue Partnerschaften eingingen und viele unterschiedliche Teams, die dafür sorgten, dass der Frieden der Digiwelt bestehen konnte. Es waren andere Digiritter, Freidenker auf der Suche nach Abenteuern und Spaß, die keine ernsthaften oder lebensbedrohliche Kämpfe austragen mussten. „Hikari-chan.“ Takerus weiche Stimme hinterließ ein Prickeln auf ihrer Haut, während er sie bei der Hand nahm und das unheimliche Knistern für einen Augenblick verstummte. *** Author’s Note: Mimi is back! Ich liebe das Mädel ja sehr, und es war eine gar köstliche Vorstellung, wie sie Koushiro völlig überrumpelt. Außerdem vergöttere ich ihren Hang zum Melodrama. Nichts ist spannender als einer Drama-Queen bei ihren Geschichten zu lauschen! Der erste Akt ist noch recht gruppenlastig, wird aber ab dem nächsten Kapitel immer weiter aufgedröselt und individueller. Dennoch war es eine schöne Aufgabe für mich, die Gruppendynamik einzufangen. Daisuke und Miyako sind einfach goldig. Aber es geht in erster Linie um Veränderungen. Die Kirschblüte ist schließlich das Symbol für Schönheit, Aufbruch und Vergänglichkeit. Und so lässt es sich nicht vermeiden, dass die Gruppe sich zunehmend auflöst und die Digiritter ihre eigenen Wege gehen, sich von etablierten Haarfrisuren trennen und das Feld einer neuen Generation überlassen. So was kann natürlich Angst machen… Tja, bleibt nur die Frage, was Taichi in gut zwei Stunden dazu veranlasst, sie zu verabschieden, nicht wahr? Nun abwarten und Tee trinken. Bis dahin PenAmour Kapitel 2: Zweiter Blütenakt ---------------------------- Zweiter Blütenakt *** Abenteuerlust „Bon Chance, Sora“, schluchzte Miyako mit Tränen in den Augen, trat einen Schritt zurück und reihte sich bei den anderen ein, die sich im Halbkreis um sie versammelt hatten. Hier standen sie nun und nahmen Abschied von einander. Sie waren in all den Jahren ihre Familie gewesen, hatten sie begleitet und unterstützt. Jeder einzelne von ihnen war mit wunderschönen Erinnerungen behaftet. Sie hielt den Anblick in ihrem Herzen fest, prägte sich jedes einzelne Gesicht ein, um einen Teil davon mitnehmen zu können. Paris würde schrecklich einsam ohne sie werden. Es war schmerzhaft ihnen dabei zuzusehen, wie sie sich trennten und nach und nach zum Ausgang des Parks trotteten. Taichi hatte sich zu seiner Schwester vorgebeugt, der eine silbrige Kamera um den Hals baumelte. Sie reichte ihm gerade einmal bis zur Brust, so dass es für ihn ein Leichtes war, ihr mit der Hand durch das ahornbraune Haar zu fahren. Lachend versuchte Hikari ihrem Bruder auszuweichen und hob schützend die Arme über den Kopf, während Taichi Takeru kurz auf die Schulter klopfte und sich von ihnen verabschiedete. Dann fand sein Blick sie. Die kastanienbraunen Augen hefteten sich an sie, während er die dunklen Augenbrauen zusammenzog und die Hände in den Hosentaschen vergrub. Hikari hob ein letztes Mal die Hand, während Tailmons Fell in der sinkende Sonne strahlte und Patamon über ihren Köpfen zum Ausgang flatterte. Dann waren sie und Takeru hinter den Kirschbäumen verschwunden. Ein Räuspern durchbrach die Stille. „Ihr entschuldigt mich kurz…“ Yamato hielt sein Mobiltelefon in der Hand. „Akira wartet auf meinen Anruf. Wir haben noch gar nicht geklärt, wann wir uns morgen am Bahnhof treffen. Die ganze Geschichte ist ein bisschen unorganisiert, aber so sind Musiker nun mal…“ Und mit ein paar schnellen Schritten hatte er sich von ihnen entfernt und wählte eine Nummer. Sie wandte sich wieder dem Jungen zu, mit dem sie ihr ganzes Leben verbracht hatte. Mit hochgezogenen Schultern und einer gut versteckten Traurigkeit sah er sie unverwandt an. „Das war’s also…“ „Ja“, flüsterte sie und kämpfte gegen die Tränen an, während sich ein bleierner Schmerz auf ihren Magen legte und ihr die Kehle zuschnürte. Er legte den Kopf schief und versuchte sein Taichi-Grinsen. „Ich schätze, es ist an der Zeit…“ „…Erwachsen zu werden? Da hast du vermutlich recht.“, vollendete sie seinen Satz und seufzte, während er stumm nickte. Taichi war nie der schweigsame Typ gewesen, aber über all die Jahre hatte sich sein Tonfall verändert. Während er früher noch sein Herz auf der Zunge getragen hatte, ein wildes Herz voller verrückter Ideen, war es heute sein Verstand, der die Worte sorgfältig auswählte, die ihm über die Lippen kamen. Verantwortungsvolle Worte mit Erzählungen gespickt, die von den Abenteuern der vergangenen Tage erzählten. In einiger Entfernung kletterten Agumon und Gabumon auf einen der Kirschbäume, während Piyomon ihnen besorgt zusah und nervös auf und ab trippelte. „Es scheint eine Ewigkeit her zu sein, seit wir ihnen das erste Mal begegnet sind“, murmelte sie und beobachtete das Treiben der drei Digimon lächelnd. „Seitdem hat sich viel verändert.“ „Erwachsenwerden ist verdammt anstrengend.“ In seiner Stimme schwang Nostalgie und ein Hauch von Bedauern mit, während Agumon aufjohlte und ihnen von der Baumkrone aus zujubelte. Eine einzelne Kirschblüte hatte sich in seinem ausgewaschenen Hemd verfangen. Das Blau war an einigen Stellen bereits Grau und die Kirschblüte wirkte wie ein einsamer Hoffnungsschimmer auf dem tristen Untergrund. Mit den Fingerspitzen strich sie ihm über das Hemd und die Kirschblüte rieselte auf den Boden herab, wo sie vom Wind erfasst wurde und ihres Weges ging. Plötzlich schloss sich seine Hand um ihre in der Luft hängenden Finger. „Sitz nicht nur an der Nähmaschine, Sora.“ Seine Stimme klang rau und brüchig, als würde sie gleich zerbersten wie morsches Holz. „Verschließe dich nicht vor den Abenteuern, die auf dich warten, damit du neue Erinnerungen sammeln kannst. Schieße Fotos. Nicht vom Eifelturm, sondern den kleinen Gassen, von denen noch niemand weiß. Lerne neue Leute kennen – sie werden mir nie das Wasser reichen können – aber sie machen das Leben leichter und aufregender. Achte darauf, dass du wenigstens einmal in der Woche Reis isst, das europäische Essen bist du nicht gewöhnt, deshalb geh es langsam an und hüte dich vor Croissants, die schaden nur deiner Figur. Treib lieber Sport – wenn es sein muss auch Tennis….“ „Tennis ist toll, ja!“, brachte sie zwischen zwei Schluchzern hervor. Den salzigen Geschmack auf ihrer Zunge nahm sie erst jetzt war, während ein Tränenschleier die Welt vor ihr verwischte. „Oh bitte, ein paar Bälle übers Netz schlagen kann ja wohl jeder.“ Schelmisch verschränkte er die Arme, grinste und wich mit einer lässigen Bewegung ihrer zur Faust geballten Hand aus. „Du schlägst immer noch wie ein Mädchen“, stellte er amüsiert fest. Ihr Mund öffnete sich um eine gespielt schnippische Bemerkung loszulassen, doch er kam ihr zuvor. „Ich werde dich vermissen, Sora.“ *** Was bleibt Müde ließ er sich auf die Eisenbank fallen, während die Türen der Yamanote Linie hinter Ken zu glitten und die Bahn sich gemächlich in Bewegung setzte, bis der düstere Tunnel sie mitsamt seinem besten Freund verschluckte und er auf dem Bahnsteig zurückblieb, umringt von zig Fremden. Fremde, die unleserliche Mienen aufsetzten, mit glatt gestriegelten Haaren und seriös-langweiligen Anzügen und grauen Krawatten. Menschen, die das Wort Abenteuer nicht einmal aussprechen konnten und deren Leben nur dann einen Hauch von Spannung aufwies, wenn sich die Bahn, auf die sie so sehnsüchtig warteten, verspätete. „Mir ist langweilig.“ V-mons Quengeln lenkte ihn von der Fadheit des Erwachsenendaseins ab. Mit unglücklicher Miene hockte das blaue Drachendigimon neben ihm auf der Bank und rutschte unruhig hin und her, während es mit seinen Augen die Umgebung nach etwas Interessantem abtastete. „Können wir nicht in die Digiwelt?“, hakte das Digimon nach. „Wir könnten den Dragon Eye Lake überqueren und endlich herausfinden, was sich auf der anderen Seite des Sees befindet. Das wollten wir doch schon so oft versuchen, aber immer kam etwas dazwischen…“ „Das geht nicht, V-mon“, seufzte er entschuldigend und ließ den Lederball auf dem Boden aufspringen. „Ich hab doch gleich Fußballtraining.“ Nächste Woche erwartete sie ein wichtiges Spiel, da konnte er die Mannschaft nicht im Stich lassen, so sehr ein Abenteuer in der Digiwelt ihn auch reizte. „Aber wenn du zurück möchtest… Ich meine, du musst ja nicht beim Training zusehen, wenn du…“, begann er zögerlich, doch V-mon schüttelte energisch den Kopf und verschränkte die Arme vor der blauen Brust. „Ich bin doch dein Glücksbringer, Daisuke.“ Lächelnd strich er seinem Partner über das Blitzartige Muster auf seiner glatten Stirn und ließ den Ball noch einmal aufspringen. Er verstand die Unruhe des Digimons nur zu gut, die Abstände zwischen den Reisen in die Digiwelt wurden immer größer und das stete Leben unter den Menschen konnte einen schon ziemlich anöden. Dennoch besuchte V-mon ihn jeden Samstag, um ihn beim Fußballspielen zuzuschauen. Das Digimon feuerte ihn unermüdlich an, hüpfte auf der Tribüne auf und ab und ließ bei jedem Tor einen dröhnenden Jubelschrei ertönen, so dass die Tauben aufgeschreckt mit den Flügeln flatterten und flüchteten. Es war schön zu wissen, dass da jemand war, der jeden Sieg feierte und ihn bei jeder Niederlage tröstete. Dennoch war es nicht dasselbe. Es waren nicht nur die Abenteuer, die ihm fehlten. Tage wie diesen vermisste er. Denn nicht nur die Digiwelt bekam er immer seltener zu Gesicht, auch seine Freunde und Gefährten waren so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass da keine Zeit mehr für gemeinsame Unternehmungen blieb. Yamato, Taichi und Sora hatten in den letzten Monaten verbissen für ihre Abschlussprüfungen lernen müssen und auch das Arbeitspensum von Ken und Miyako hatte sich mit ihrem Eintritt in die Oberschule deutlich erhöht. Jyou war mittlerweile von Zuhause ausgezogen und bewohnte nun eine kleine Wohnung in der Nähe seines Campus, welche er durch furchtbar viele Schichten in einem Convenience Store finanzierte, während Koushiro seine Zeit mit Plänen verbrachte. Pläne, die die Digiritter in Schichten einteilten und dazu beitragen sollten, dass niemand sein Leben zu Gunsten der anderen Welt opfern musste. Also blieben nur noch Hikari und Takeru, und die beiden klebten aneinander wie Fliegen an einem Honigglas. Er hatte sich einige Male Iori und seinen neuen Digiritterfreunden angeschlossen, aber es hatte sich nicht richtig angefühlt. Sie wirkten wie ein Club, zu dem er einfach nicht mehr dazu gehörte. Aber was würde dann aus ihm? Seit V-mon in sein Leben getreten war, hatte er sich immer nur als Digiritter gesehen. Seine Freunde waren Digiritter. Seine Abenteuer bestand er in der Digiwelt und seine Kämpfe trug er gegen Digimon aus. Wenn all das wegfiel, was blieb ihm dann noch? Nicht selten ertappte er sich dabei, wie er sich einen neuen Gegner, eine böse Macht, herbeisehnte, die das Team wieder zusammenführte. „Nachdem man die ganze Welt gerettet hat, kommt einem alles andere sehr belanglos vor…“, hatte Taichi erzählt, als die Euphorie über den Sieg gegen Belial Vamdemon langsam abebbte. Taichi hatte ihn warnend angeschaut mit diesen durchdringenden kakaofarbenen Augen, die immer so viel mehr über ihn zu wissen schienen, als er selbst es tat. „Verliere dich nicht in den Abenteuern, Daisuke, sonst wirst du niemals wieder Freude an deinem Leben empfinden können.“ Damals hatte er mit den Worten nichts anfangen können, er hatte lachend den Kopf geschüttelt und Taichi war ihm in diesem Moment so unglaublich alt und weise vorgekommen, als habe er ahnen können, wie er – Daisuke Motomiya, Digiritter, Fliegenbrillenträger und Besitzer der Digimentals Mut und Freundschaft – sich in diesem Augenblick fühlte. „Ist das der offizielle Teamgeist?“ „Bitte was?“ Verwirrt hob er seinen Kopf und starrte in grasgrüne Augen. Ein Junge mit pechschwarzem Haar und einem leuchtend gelben Fußballtrikot hatte sich neben ihm auf die kalte Metallbank gehockt. „Na ist das der offizielle Ball der Fußballweltmeisterschaft 2006?“ Er klang aufgeregt, während er auf seinen Fußball deutete, den er zwischen den Händen hin und her gedreht hatte, während er seinen Gedanken nachgegangen war. „Äh ja…“, antwortete er und blickte seinerseits auf das weiße Leder. „Cool“, raunte der Junge mit ehrfürchtiger Stimme und strich räuspernd sein schwefelgelbes Trikot glatt. „Ich bin übrigens Tsubasa, Hamada Tsubasa, freut mich deine Bekanntschaft zu machen“, erklärte er feierlich und streckte seine Hand zur Begrüßung aus. „Motomiya Daisuke“, murmelte er und schüttelte die Hand des fremden Jungen, der bis über beide Ohren strahlte und kaum still sitzen konnte. „Mein Vater hat ein Jahr lang in Deutschland gearbeitet, musst du wissen“, begann der Junge – Hamada Tsubasa – unvermittelt. „Aber das war noch vor der Weltmeisterschaft. Ziemlich ärgerlich. Ich hätte mir so gerne das Endspiel angesehen. Andererseits war Brasilien nicht besonders stark in dem Turnier – ich bin nämlich Brasilien-Fan musst du wissen – von daher konnte ich doch ganz gut damit leben. Ich hoffe einfach, dass mein Vater das nächste Mal nach Südafrika versetzt wird. Warst du schon mal in Südafrika? Ich stell mir das total spannend vor. Erst auf Safari und dann ab ins Stadion.“ Er tauschte einen erstaunten Blick mit V-mon aus. „Nun ja, also…“ „Glaubst du nicht, dass Afrika abenteuerlich ist? Warst du schon mal in Afrika?“ „Nein, nicht wirklich…“ „Löwen, Giraffen – und nicht in Zookäfigen sondern in der freien Wildbahn.“ „Kann schon sein…“ „Kann schon sein? Das ist das pure Abenteuer, sag ich dir!“ Die Wangen des Jungen hatten sich vor Aufregung rot gefärbt, er öffnete den Mund um fortzufahren, als sein Blick auf V-mon fiel, welches neugierig an ihm vorbei lugte und den seltsamen Jungen betrachtete. „Wow! Was ist das denn?“ Er war aufgesprungen und hatte sich vor V-mon gekniet. Mit seinen Zeigefinger stieß er dem blauen Drachen in den Bauch, woraufhin V-mon erschrocken quietschte. „Hey, was fällt dir ein“, empörte es sich und rieb sich über den runden Bauch. Tsubasa fuhr erschrocken zurück. „Ist… ist das ein Digimon?“, fragte er mit gebannten Blick auf V-mon. „Äh, ja, das ist V-mon.“ Nervös warf er einen Blick auf den Bahnsteig, doch die anderen Leute schienen sich nicht besonders für die beiden Jungen auf der Bank zu interessieren, geschweige denn von einem Digimon Notiz zu nehmen. „Ist ja irre. Ich hab schon davon gehört. Aber bis jetzt habe ich noch nie eins zu Gesicht bekommen. Mein Vater und ich planen seit Langem einen Kurztrip in die Digiwelt, sobald er wieder Zeit hat. Er ist viel unterwegs, müsst ihr wissen. Wir sind auch gerade erst in Tokio angekommen. Mein Vater wollte, dass ich pünktlich zum neuen Schuljahr anfange. Das ist meist angenehmer als mitten im Schuljahr zu wechseln. Ich hoffe, dass sie eine Fußballmannschaft an der neuen Schule anbieten. Auf der Schule, die ich für ein paar Monate in Frankreich besucht habe, hatten sie nicht mal eine Fußball-AG….“ „Wenn du willst“, begann er zögerlich, „Kann ich dich einfach zu meinem Fußballtraining mitnehmen…“ Er warf einen Blick auf die große Uhr über dem U-Bahn-Tunnel, neben der flackernden Anzeigetafel, auf der die Abfahrtszeiten angeschlagen waren. 17 Uhr 33. „In einer halben Stunde geht’s los“, fügte er hinzu und Tsubasas Gesicht erhellte sich in Sekundenschnelle. „Das würdest du tun?“ „Klar, warum nicht?“ Er zuckte mit den Schultern. Warum eigentlich nicht…. *** Geschichtenerzählen 17 Uhr 53 Minuten. Zuhause würde es bald Abendessen geben, stellte sie mit knurrendem Magen fest. Der rauschende Verkehr und die vielen Lichter des Fuji-Fernsehturm erblassten, als sie in die Seitenstraße einbog. Manchmal erstaunte es sie, wie das pulsierende Leben so an ihrer Wohnsiedlung vorbeigehen konnte. Obwohl noch bis vor einigen Jahren ständige Kämpfe die Insel erschüttert hatten, gingen die Bewohner Odaibas ihren alltäglichen Geschäften mit stoischer Gelassenheit nach. Niemand schien einen Gedanken an das Auftauchen Vamdemons vor vielen Jahren zu verschwenden. Damals hatte das Digimon sich auf die Suche nach Hikari begeben und die Menschen in Angst und Schrecken versetzt. Doch vielleicht war es seine Niederlage die das feindliche Digimon aus den Köpfen der Menschen vertrieben hatte. Auch wenn es wenige Jahre darauf erstarkt an die Küste Japans zurückkehrte und sie in der Bucht von Tokio erneut herausforderte. Irgendwie beruhigte es sie, dass die Menschen trotz alledem ihr Leben lebten. Dass die Kämpfe in Vergessenheit gerieten, auch wenn die Digimon nun nicht mehr totzuschweigen waren. Es war wohl die Anpassungsfähigkeit, die es ihnen leicht machte, das Geschehene zu akzeptieren und ebenso die stetig auftauchenden seltsamen Gestalten, die hin und wieder der Welt einen Besuch abstatteten. Meist mit friedlichen Absichten und ganz viel Neugier im Herzen. Die untergehende Sonne lugte hinter den Flachdächern hervor, während sie den Himmel mit einem Zuckerguss aus Abendröte überzog. Eine ältere Dame mit einem grün-kariertem Kopftuch trug einen Wischeimer vor die Haustür, den sie mit einem lauten Platschen entleerte und sich die Hände an einer weißen Schürze trocknete, während auf der anderen Straßenseite aus dem mehrstöckigen grauen Familienhaus das Klimpern eines Klaviers zu hören war. Ein alter rostiger Toyota trottete über den Asphalt an ihr vorbei, doch ansonsten herrschte stille Geschäftigkeit in Odaiba. Sie überquerte die Straße und bog in eine Seitengasse, die den Heimweg deutlich verkürzen würde. Über ihrem Kopf verliefen Wäscheleinen von Hauswand zu Hauswand, dicht bepackt mit weißen Bettlaken, die im Abendwind flatterten, als sie plötzlich ein lautes Klappern und Rumpeln vernahm, dicht gefolgt von wildem Gezeter und wütendem Gebrüll. Hawkmon warf ihr einen besorgten Blick zu bevor es mit den braunen Flügeln flatterte und sich in Bewegung setzte. Hastig folgte sie dem fliegenden Digimon. Eine der grauen Mülltonnen, die neben einem Seiteneingang standen, war zu Boden gegangen und Plastikbecher kullerten über den Pflasterstein, während zwei Gestalten sich auf dem Boden rauften und deren Geschrei an den Hauswänden widerhallte. „Hey“, brüllte sie und griff nach zwei Mülltonnendeckeln, die sie schwungvoll gegeneinander stieß, woraufhin das Blech unter ihren Händen vibrierte und laut schepperte. Sogleich kehrte Ruhe ein und sie konnte erkennen, wie sich die beiden Gestalten aufrichteten und unter den zerzausten Haaren jeweils zwei ängstliche Augenpaare hervorlugten. „Haben sie endlich aufgehört zu streiten?“ Ertönte ein leises Flüstern und hinter den Mülltonnen lugte ein bärenartiges Wesen hervor. Es trug eine blaue Baseballkappe und sein schwarzes Fell schimmerte im Abendlicht. Hawkmon war neben ihr gelandet und näherte sich dem fremden Wesen vorsichtig. „Ich habe ihnen gesagt, dass sie nicht streiten sollen“, erklärte er es traurig. „Aber Hanako und Nagisa wollten nicht auf mich hören.“ „Bearmon ist mein Freund, ich habe es zu erst gesehen“, meldete sich eines der beiden Mädchen zu Wort. Es trug eine dunkle mit Flicken besetzte Latzhose, deren Träger sich während des Streites gelöst hatte. Das kurze Haar stand in alle Richtungen ab, während das Mädchen trotzig die Arme verschränkte. „Gar nicht wahr“, erwiderte das andere Mädchen empört und strich sich eine nussbraune Locke aus dem dreckverschmierten Gesicht. „Nagisa hat Bearmon vielleicht zu erst entdeckt, aber Bearmon mag mich viel lieber.“ Sie bekam die beiden Streithähne am Arm zu fassen, bevor sie erneut aufeinander losgehen konnten, und wandte sich an das bärige Digimon, dessen Blick ratlos zwischen den beiden Kindergesichtern hin und her wanderte. „Wie bist du überhaupt in der Menschenwelt gelandet, Bearmon?“ Hawkmon kam ihr zuvor und strich sich über den Schnabel, während es das fremde Digimon umkreiste und begutachtete. „Ich war so neugierig.“ Bearmon schielte ertappt auf seine Tatzen. „Ich wollte doch nur mal wissen, wie diese Welt so ist. Immer wieder erzählen mir die anderen Digimon von dieser Welt mit fahrenden Blechkästen und himmelhohen Türmen. Und sie erzählen von den Menschen, die ihre Partner sind. So viele Digimon haben bereits Partner. Überall hört man davon. Nur ich… ich habe noch kein Menschenkind gefunden, das mich lieb hat. Ich war es leid, zu warten…“ Mit gerunzelter Stirn lauschte sie Bearmons Geschichte. In all den Jahren hatte sie nur daran gedacht, wie viele Kinder sich wohl danach sehnten, endlich ein Digimon zum Partner zu haben und wundervolle Abenteuer zu erleben. Nie war ihr in den Sinn gekommen, dass vielleicht auch Digimon sich ein Kind wünschten, dass mit ihnen all die Abenteuer durchstand, die in der Digiwelt auf sie warteten. „Und so landete ich direkt in Nagisas Sandkasten. Die beiden schienen keine Angst vor mir zu haben“, berichtete Bearmon weiter. „Sie luden mich gleich zu einer Teeparty ein und stellten mich ihren Puppen und Teddys vor. Aber plötzlich haben sie angefangen zu streiten… Dabei habe ich sie doch beide gern…“ „Ich will aber, dass du mich lieber hast“, maulte Hanako woraufhin Nagisa ihr gegen das Schienbein trat. „Ich kannte mal einen Jungen, der auch mit niemandem teilen wollte…“, erhob sie die Stimme, unsicher wo sie mit dieser Geschichte enden würde, so dass die Mädchen inne hielten. „Er war ein Junge der eigentlich alles hatte, was man sich als Junge eben wünschen konnte. Liebe Eltern, gute Schulnoten und nette Schulkameraden. Aber vor allem war da ein Digimon, dass sein Freund sein wollte. Das Digimon hatte ihn so lieb, dass es ihm überall hin folgte, egal wie viel Angst es auch hatte. Doch das reichte dem Jungen nicht. Ein Freund, ein Digimon war ihm nicht genug.“ Sie zögerte für einen Moment, allerdings war sie sich ziemlich sicher, dass er ihr es nicht verübeln würde, wenn sie seine Geschichte erzählte und so einen Streit schlichtete. „Und der Junge wurde richtig gemein zu dem Digimon. Er stritt sich mit ihm, beschimpfte es und trat nach ihm und verstieß es, um sich auf die Suche nach einem stärkeren Digimon zu machen.“ Sie verstummte für einen Augenblick, während sie die Erinnerungen an die Zeit aufleben ließ. „Was wurde aus dem Jungen und dem Digimon?“ Hanako presste gespannt die Handflächen gegeneinander, während ihr Pferdeschwanz auf und ab wippte. „Nun ja, er hatte keine Freunde mehr, weil er sie alle vertrieben hatte, und kein Digimon, das ihm gut genug gewesen wäre… deshalb war er bald ganz allein.“ „Allein?“, wiederholte Nagisa und wippte ungeduldig mit dem Fuß. Sie nickte.„Er war furchtbar einsam, aber wem hätte er davon erzählen sollen? Es war ja niemand mehr da…“ Sie beugte sich zu den Mädchen und kniff ihnen in die Nasenspitzen. „Deshalb sollte man sich über jeden Freund freuen und ihn in Ehren halten.“ Nagisa warf ihrer Freundin einen beschämten Blick zu und streckte die kleine Mädchenhand aus. „Ich möchte nicht alleine sein.“ „Ich auch nicht“, murmelte Hanako und griff sichtlich erleichtert nach der Hand. „So lange musste ich auf ein Menschenkind warten, das mich gern hat und nun habe ich gleich zwei gefunden“, jubelte Bearmon vergnügt und drückte die beiden Mädchen an sich. „Hast du nicht einen entscheidenden Teil bei deiner Geschichte vergessen, Miyako“ raunte Hawkmon ihr zu, während die beiden Mädchen das Digimon herzten und drückten. „Schriftstellerische Freiheit“, flüsterte sie mit gespielter Unschuldsmiene zurück und verabschiedete sich von dem Trio, das die Gasse verließ und auf eines der Häuser mit einem großen Holzzaun zusteuerte. „Wer von ihnen wird wohl letztendlich Bearmons Digiritter?“ Hawkmon blickte ihnen nachdenklich hinterher. „Keine Ahnung“, seufzte sie und reckte die Arme gähnend in die Luft. „Nirgendwo steht geschrieben, dass ein Digimon nur einen einzigen Partner haben kann, oder?“ „Also mir reicht ein Partner völlig aus.“ Lachend streckte Hawkmon die Flügel aus und flüchtete in die sicher Luft. „Na warte!“ Mit aufgesetzter Empörung setzte sie ihren Weg fort, während die kühle Abendbrise ihr durch das Haar streichelte. Ein Glück, dass die Geschichte des Jungen noch nicht zu Ende war… *** Author’s Note: Ach ja, ein kleiner Taiora-Moment. Ich kann’s einfach nicht lassen. Yamato beweist mal wieder, dass er ein guter Freund ist, und lässt sie allein voneinander Abschied nehmen. In so einem Liebes-Freundschafts-Dreieck geht es wohl immer um Rücksichtnahme und Opfer. Taichi ist nun mal Soras bester Freund, die beiden kennen sich seit dem Kindergarten, da ist so ein kleiner Moment des Abschied das Mindeste. Ich mag die Vorstellung wie die beiden sich zwischen Spiel und Ernst bewegen, das gibt mir sehr viele Möglichkeiten, um da was draus zu schreiben. Jeder der gehofft hat, Taichis Beweggründe würden sich endlich offenbaren, den muss ich leider enttäuschen, auch wenn überall versteckte kleine Hinweise zu finden sind.^^ Daisukes Perspektive war für mich die interessanteste. Ich bin seine Perspektive nicht so gewohnt, muss man dazu sagen, deshalb ist das immer eine Herausforderung. Aber die Thematik des Abschieds und des Loslösens von alten Freundschaften war bei ihm einfach sehr spannend. Daisuke steht vor der Frage, was ihn ausmacht, wenn man alles Digimon-bezogene subtrahiert. Was bleibt dann noch? Ich denke, dass die Digiritter auch außerhalb ihrer Gemeinschaft ein Leben brauchen, dass sie in der Realität hält, unabhängig macht. Tsubasa ist super. Er kam mir in den Sinn und ich wurde ihn nicht mehr los. Eigentlich erinnert er an Daisuke. Und eigentlich erinnert er Daisuke daran, was ihn ausmacht. Und ganz eigentlich ist Tsubasa ein Abenteuer des Lebens. Deshalb. Zum Miyako-Part kann ich gar nicht so viel sagen. Natürlich handelt es sich bei ihrer Geschichte um Ken – wenn auch um eine gekürzte Fassung mit offenem Ausgang. Miyako hat eben auch eine Seite, die weiß was zu tun ist, was zu sagen ist. Nagisa und Hanako symbolisieren die neue Generation von Digimon-Mensch-Beziehung. Der Streit ähnelt einem Streit über Sandförmchen. Die beiden sind auch noch sehr jung. ^^ Das Ende war eigentlich anders geplant, aber die Geschichte wollte es anders, dem füge ich mich natürlich, bis dahin PenAmour Kapitel 3: Dritter Blütenakt ---------------------------- Dritter Blütenakt *** Der Klang des Herzens „Ich weiß noch nicht, wann ich mich bei dir melden kann…“, erklärte er entschuldigend, doch Taichi klopfte ihm nur freundschaftlich auf die Schulter. Sein Freund wusste um die Chance, die sich den Teenage Wolves bot. Eine Chance, die sein Herz zum Rasen brachte und ihm nervöse Schweißperlen auf die Stirn trieb. Dabei war die Möglichkeit auf einen Plattenvertrag völlig unerwartet eingetrudelt. Anscheinend hatten sich die letzten Jahren doch ausgezahlt, in denen er unzählige Stunden in stickigen Probenräumen und provisorischen Tonstudios verbracht hatte. Das Demotape, für das er eigene Lieder komponiert und sich mit passenden Worten für die Songtexte herumgeschlagen hatte, schien beeindruckt zu haben und zumindest bei einigen Indie-Labels das Interesse zu wecken. Und so fand sich vor gut zwei Wochen ein weißer Briefumschlag in seinem Postkasten wieder, indem sie – die Teenage Wolves – zu einem Vorspielen eingeladen wurden. „Und falls es wirklich klappen sollte, werde ich wohl eine Weile in Osaka bleiben…“, fuhr er fort und besah seinen Freund misstrauisch aus den Augenwinkeln, doch dieser lachte lauthals. „Ihr zwei glaubt auch wirklich, dass ich ohne euch nicht überleben kann, was?!“ Kopfschüttelnd warf Taichi einen Blick auf die untergehende Sonne, deren Strahlen es sich zwischen den farbigen Blüten der Yoshino-Bäume gemütlich machten. „Das ist doch gar nicht wahr…“, murmelte Sora, doch ihr Blick strafte sie Lügen. „Glaubt ihr, ich warte Däumchen drehend auf ein Lebenszeichen von euch? Oder dass ich vereinsame und mich in meinem Zimmer verkrieche, während du die Pariser Modewelt revolutionierst und du Osaka eroberst? Ihr überschätzt euch maßlos.“ Taichi verschränkte gelassen die Arme hinter dem kurz geschorenen Kopf. „Wahrscheinlich bin ich sowieso schon bald in Kyoto und studiere Wirtschaftsingenieurwesen…“ Während er sprach verzog er das Gesicht zu einer Grimasse. „Hast du denn schon eine Antwort auf deine Bewerbung erhalten?“, fragte er vorsichtig, doch Taichi schüttelte stumm den Kopf. Er wusste, dass er diesen Weg einschlug, um seinen Eltern einen Gefallen zu tun. Ingenieure würden doch immer gebraucht, hatte Taichi gemeint und betont unbekümmert gewirkt, als er ihm von seinen Plänen berichtete. Doch weder Taichi selbst, noch er konnten sich vorstellen, wie der Junge, der gegen all die bösen Mächte gekämpft und ein Abenteuer nach dem nächsten erlebt hatte, in einen Anzug passte und mit einer Aktentasche unter dem Arm tagein, tagaus ins Büro tigerte. Unvermittelte streckte Taichi seine Hand aus. „Zeig es ihnen, Alter. Und sag mir Bescheid, sobald ihr die ersten Groupies an Land ziehen konntet, dann bin ich in Windeseile in Osaka und nehme dir gerne diese Last ab.“ Dafür stieß ihm Sora mit dem Ellenbogen in die Rippen, während er lachend nach der Hand seines Freundes griff. Schweigend nickte er ihm zu. Sie hatten sich alles gesagt, was es zu sagen gab. Sein Blick fiel auf das Mädchen mit den feuerroten Haaren, das Taichi abermals mit ernster Miene ermahnte, hart zu arbeiten. „Wenn du Hilfe brauchst, wende dich an meinen Vater, er hat mir versprochen auf dich aufzupassen!“ „Ich werde doch nicht bei jedem Wehwehchen zu meinem Professor rennen, Sora!“ Sein Herz wurde schwer, wenn er daran dachte, sich von ihr verabschieden zu müssen. 17 Uhr und 57 Minuten. Ihnen blieb kaum noch Zeit übrig, stellte er fest und legte rasch einen Arm um die schmalen Schultern des Mädchens, dessen traurige Augen ebenfalls an den Zeigen der Armbanduhr klebten. „Macht’s gut!“ Taichi verstand und schob sie Richtung Parkausgang. „Agumon und ich genießen noch eine Weile das Frühlingswetter, also haut schon ab und stürzt euch ins Leben!“ Das Digimon nickte bekräftigend und winkte ihnen zum Abschied zu. „Glaubst du, er wird das Studium durchziehen?“, fragte sie zweifelnd, während sie das Eingangstor passierten, flankiert von ihren Digimon, die sich die Kirschblüten aus Fell und Federn schüttelten, und warf einen Blick zurück zu dem Jungen, der immer kleiner wurde bis er schließlich zwischen all den Kirschblüten verschwand. „Nein“, lachte er. „In spätestens zwei Monaten wird er bei mir in Osaka auftauchen, ohne einen Yen in der Hosentasche und mich anbetteln, als mein Rowdy zu arbeiten.“ Sie stimmte in sein Lachen ein und lehnte ihren Kopf an seine Schulter, während sie die Straße entlang schlenderten und das Tosen der Großstadt über sie hereinbrach. Die U-Bahn war gefüllt mit dicht aneinander gedrängten Menschen, die von der Arbeit heimkehrten und mit müden Gesichtern ins Leere starrten. Gabumon klammerte sich an seinem Hosenbein fest und duckte sich vor den scharfkantigen Aktenkoffern, während Piymon zwischen Soras Füßen saß. Schützend stellte er sich vor sie, damit sie nicht von den Menschenmassen erdrückt wurde, während ihr Kopf auf seiner Brust ruhte und seinen Herzschlag in die Höhe trieb. Sie hielt die Augen geschlossen und ein kleines glückliches Lächeln hatte sich auf ihr Gesicht gestohlen. Sanft strich er eine verirrte Haarsträhne von der porzellanfarbenen Wange und für einen kurzen Augenblick existierten nur sie beide in dem Bahnabteil und im ganzen Universum. Die knarrenden Lautsprecher verkündeten die Haltestelle, die Türen glitten zischend zur Seite und zusammen ließen sie sich im Menschenstrom treiben, während ihre warme Hand in seiner lag und es sich anfühlte, als gehörte sie dorthin, schon immer. Von der U-Bahn-Station war es nicht mehr weit bis zu Soras Familiensitz, der in einer der besseren Gegenden Odaibas lag und besonders durch den eigenwilligen Architekturstil auffiel, in dem die meisten Einfamilienhäuser gebaut waren. Es waren verwinkelte Häuser. Konstruktionen aus Holz, Metal und Stein. Er gab Gabumon ein Zeichen und das Digimon hakte sich geschwind bei Piyomon unter und zog es in die Einfahrt des Takenouchi-Haushaltes, während er auf dem Bürgersteig stehen blieb und sie zu sich heran zog. Mit verdutzter Miene blickte sie zu ihm hinauf, während sich seine Arme um ihre Taille schlangen und sich der Abstand zwischen ihnen zunehmend verringerte. Das Licht der Abenddämmerung ließ ihre Augen rostrot erstrahlen, mit denen sie ihn abwartend musterte. Langsam bewegten sich seine Füße zu einer unhörbaren Melodie und sein Gesicht streifte ihre Haare, die nach süßen Pfirsichen dufteten. Let's start running, not for anyone else, but because it's better than stopping. Leise summend strichen seine Hände über ihren Rücken, während ihre Arme sich um seinen Hals schlangen und er ein leises Seufzen hören konnte. Cutting through the clear air, turning towards the bright ocean. Bestimmt hatte sie ihn schon besser singen gehört, doch es schien sie nicht sonderlich zu stören, während sich ihre Körper im Takt der Melodie bewegten und der Gehsteig in gleißendes Abendrot getaucht wurde. Sanft streiften seine Lippen ihr Ohr und flüsterten die Worte, die aus seinem Herzen an die Oberfläche drangen. Oh keep on running, keep on running, Find out your reality. Alles um sie herum löste sich im kaminroten Schleier der Abendsonne in Nichtigkeiten auf, während seine Stimme sich über die Zeit hinwegsetzte. There's no time to hesitate in front of the new door. Just run up, jump out there, and kick the door open. Vorsichtig lösten sich die Hände von ihrem Rücken, fanden ihr Gesicht und strichen über die warmen Wangen, während er sich langsam herabbeugte. If it's you, you can definitely do it. Because you'll surely find your way. Seine Lippen pressten sich auf ihre. Die Finger verknoteten sich leidenschaftlich im seidigen Haar. Stürmisch erwiderte sie den Kuss. Ihre Handflächen berührten seine Brust, nur Zentimeter entfernt von seinem Herzen. Es glich einem rasanten Flug über die Welt hinweg, fühlte sich an, wie eine Blumenwiese auf der man sich bettete, um einen Moment innezuhalten. Spritzte wie ein Sprung ins Wasser und blieb doch so sanft wie ein Stoffballen aus fließender Seide. Und als sie sich voneinander lösten, schwer atmend und mit geröteten Wangen, einem feurigen Brennen auf den Lippen und einer schmerzhaften Sehnsucht im Herzen, hallte das Lied für einen strahlenden Moment nach, bevor der ewige Lärm der Stadt sie wieder einholte. Die Zeiger der Uhren tickten mahnend und in der Ferne blinkten die Lichter des Fuji-Fernsehturms penetrant auf. „Davon kann ich eine Zeit lang zehren“, flüsterte er leise und Soras dünne Finger fanden sein Gesicht. „…und träumen.“ Das Ticken der Zeit drängte, er räusperte sich und versuchte den Schmerz herunter zu schlucken. „Ich werde stark sein“, versprach sie. „Wir werden unsere Träume leben. Jeden Tag. Wir werden nicht aufgeben, sondern immer weitergehen. Und dann, eines Tages…“ Sie geriet ins Stocken und eine einzelne Träne hangelte sich an ihrer Wimper herab. Er küsste die Träne beiseite, atmete ihre Gegenwart ein. „Eines Tages…“, hauchte sie abermals und das süße Versprechen verhallte. „Und ich soll dich sicher nicht zum Flughafen begleiten?“ Sie hatten all das schon zig mal durchgesprochen, und doch nagte die Angst an ihm, ein Feigling zu sein, der es nicht schaffte, sie bis zur letzten Sekunde zu begleiten. Doch sie schüttelte den Kopf. „Ich möchte nicht, dass unsere letzte gemeinsame Erinnerung ein Winken zum Abschied an irgendeinem Gate ist, Yamato.“ Sie umarmte ihn, drückte sich an sein Herz. „Ich möchte dich so in Erinnerung behalten.“ Ihre Finger streiften über seine Wangen. „Und so.“ Sanft wie der Flügelschlag eines Schmetterlings. „Und so“ Ihre Stimme versiegte, als sie sich auf die Zehenspitzen stellte und ihre zarten Lippen auf seine legte. Vage nahm er wahr, wie Gabumon sich im näherte. Das Digimon schien bedrückt und unsicher, während es unschlüssig auf dem Gehweg stand und auf den Bordstein starrte, wartend, zum Aufbruch bereit. „Es wird Zeit.“ Er nickte, doch es kostete ihm alles, sich von ihr zu lösen. Ihre Hände loszulassen, den Blick von ihr abzuwenden und den Schmerz, mit dem sein Herz sich verzweifelt gegen ihn auflehnte, zu unterdrücken. Er trat einen Schritt zurück und seine Finger griffen ins Leere. Blindlings drehte er sich herum, versagte sich einen weiteren Blick auf sie und rannte. Seine Fußschritte hallten matt auf dem Stein wieder, die Straßenbeleuchtung flimmerte auf, während ihn die kühle Brise des Abends erfasste und brennende Tränen über sein Gesicht liefen. *** Aus eigener Kraft Die Türen der Yamanote-Liene schlossen sich leise zischen, während ein schrilles Warnsignal ertönte und die U-Bahn sich erneut in Bewegung setzte und vom Gleis entfernte. In der Tamachi-Station herrschte reges Treiben und der Geruch von Fisch lag in der Luft, während er auf den Ausgang zusteuerte, stets begleitet von unzähligen Schritten und dem Grummeln der Großstadt. Rasch bahnte er sich einen Weg über die große Kreuzung und wechselte die Straßenseite, während Wormon es sich in seinen Armen gemütlich machte und doch tatsächlich ein leises Schnarchen von sich ließ. Der Minato-Bezirk war für das Digimon längst alltäglich, so dass es ihn nicht sonderlich verwunderte, dass Wormon seinen grünen Raupenkopf nicht mehr vor Aufregung nach links und rechts ausstreckte. Der Convenience-Store an der Ecke, der einen schrecklichen senfgelben Anstrich besaß, und vor dem sich klapprige Fahrräder türmten, oder die vielen Autos, die über die mehrspurige Straße rollten, konnten es längst nicht mehr beeindrucken, genauso wenig wie die Leuchtreklametafeln, die an den Wänden der Wolkenkratzer flackerten. Nur unlängst entfernt wartete auch schon sein Zuhause auf sie. Mühsam balancierte er das schlafende Digimon auf dem einen Arm, während er mit dem anderen nach dem Haustürschlüssel suchte und die Tür öffnete. Das Treppenhaus breitete sich in unnatürlicher Stille vor ihm aus, während von draußen der Stadtlärm dumpf an die Fenster klopfte und um Einlass bat. Das Schloss der Wohnungstür gab mit einem leisen Klicken nach und schon strömte der Duft von gebratenem Gemüse durch den kleinen Flur, aus der Küche heraus, aus der ein Lichtstreifen drang und quer über den Boden verlief. Seine Mutter streckte den Kopf zur Tür heraus und lächelte, als sie ihn sah. „Da bist du ja, Ken. Hattet ihr einen schönen Nachmittag?“ Er trat zu ihr in die Küche und nickte, während das Bratenfett in der Pfanne laut brutzelte und seine Mutter dem gebratenen Gemüse mit dem Pfannenwender zu Leibe rückte. Sie warf einen kurzen Blick auf die Küchenuhr – 18.07 Uhr – und hantierte einen Moment an der Abzugshaube. „Wir können in einer halben Stunde zu Abend essen, dann dürfte dein Vater auch heimkommen.“ Vorsichtig legte er Wormon auf sein Bett, wo es sich genüsslich seufzend zusammenrollte und er ein leises Schmatzen vernehmen konnte. Spätestens in einer halben Stunde würde es wieder hellwach sein, da war er sich sicher. Anschließend trat er noch einmal auf den Flur und schälte sich aus der Winterjacke, die er dem ganzen Tag über nicht hatte tragen müssen. Erst als die Sonne sich für diesen Tag langsam verabschiedete, wurde es merklich kühler und eine frische Brise wehte über Tokio hinweg. „Ach, bevor ich es vergesse“, rief seine Mutter aus der Küche. „Da ist ein Brief für dich angekommen…“ Überrascht wanderte sein Blick zur Kommode, auf der neben der der Telefonstation einige Briefumschläge lagen, darunter auch ein schneeweißer, an ihn adressierter Umschlag. Das Papier knisterte in seiner Hand, während er es aus dem weißen Mantel zog und entfaltete. Er überflog die Zeilen mit klopfendem Herzen. Sehr geehrter Ichijouji-san…ihr Essay über Schuld und Wiedergutmachung… sehr beeindruckt…fundierte psychologische Kenntnisse…der treffende Vergleich zu Freuds Über-Ich…aus diesem Grunde können wir ihnen mitteilen…ihr Essay einen Platz in der nächsten Ausgabe von „Psychology Today“…Anbei finden sie einen Check über…Mit freundlichen Grüßen… „Unfassbar…“, flüsterte er und saugte abermals die Zeilen in sich auf, während er sich auf seinen Schreibtischstuhl fallen ließ. Seine Finger berührten wie von selbst die Tasten und als das Freizeichen ertönte, schien es, als erwachte er aus einer Trance. Es knackte, dann ertönte ihr Stimme. „Hallo?“ „Miyako, du wirst nicht glauben, was ich in meinen Händen hallte!“ „Ken?“ „Sie wollen meinen Essay in der nächsten Ausgabe veröffentlichen, Miyako! Meinen Essay!“ Für einen Moment herrschte Stille auf der anderen Seite der Leitung, doch dann hörte er ihren wohlbekannten Freudeschrei, der einen bis ins Mark erschüttern konnte. „Ich hab’s dir doch gesagt, dass sie ihn gut finden würden. Hab ich es nicht gesagt?“ Triumphierend lachte sie und er konnte wetten, dass ihr die Brille wieder einmal fast von der Nase gerutscht war. „Es schien nur so unwirklich. Seit die Saat aus meinem Körper verschwunden ist, war ich mir einfach nicht sicher, wie viel ich wirklich selber geschafft habe und was ich dem Einfluss der Saat zu verdanken habe. Was mich ausmacht und wie stark ich wirklich bin…“ Sein Blick war immer noch auf das Stück Papier geheftet, während Miyako auf der anderen Seite lautlos den Kopf schüttelte. „Ach was. Hab ein bisschen Selbstvertrauen, Ken! Was haben denn deine Eltern dazu gesagt? Sicherlich sind sie ganz aus dem Häuschen…“ „Ich…“, er geriet ins Stocken. „Ich bin noch gar nicht dazu gekommen, es ihnen zu erzählen. Ich wollte erst dir Bescheid geben…“ „Oh.“ Das war alles, was er von ihr zu hören bekam. „Und ich habe direkt einen Check bekommen“, begann er zu erzählen, um die peinliche Stille zu überbrücken. „Ich dachte mir, ich lade dich zu einem Eis ein. Als Dank für, na ja, du weißt schon…“ „Aber nur wenn es ein richtig großer Eisbecher ist. Mit einer Kirsche auf dem Sahnehäubchen.“ Sein Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. Das war Miyako, wie er sie kannte und… „Übrigens hast du heute eine Freundschaft gerettet“, unterbrach sie seine Gedanken. „Bitte?“ Verwirrt strich er sich über die linke Augenbraue und wartete auf eine Erklärung, die auch prompt folgte. „Das ist eine lange Geschichte…“ *** In der Hand Mit zitternden Knien hievte er die schwere Holzkiste auf das Regalbrett und ließ sich stöhnend auf den Boden sinken. Eine Schweißperle tropfte von seiner Nase und sickerte in den mintgrünen Stoff des T-Shirts, welches er während der Arbeitszeit tragen musste und ihn aussehen ließ, wie ein leicht lädiertes Pfefferminzbonbon. Vorsichtig rappelte er sich auf und wankte auf den Seitenausgang zu. Der rostige Kleintransporter war nicht einmal zur Hälfte ausgeladen und wartete ungeduldig im Hinterhof auf ihn. Mühsam hangelte er sich auf die Ladefläche, die bedrohlich wankte, und griff zur nächsten Kiste. Die Arbeit war schlecht bezahlt und mühsam, doch er brauchte das Geld mehr denn je. Schließlich hatten seine Brüder es ihm vorgelebt. Man schließt die Oberschule ab, ergattert einen Studienplatz und nimmt sein Leben selbst in die Hand. So war das bei der Familie Kido. Und Klagen darüber waren ihm nie zu Ohren gekommen. Shuu hatte sogar zwei Jobs neben dem Studium gehabt, während Shin in so rasender Geschwindigkeit sein Studium abgeschlossen hatte, dass er bereits als Assistenzarzt seinen Lebensunterhalt bestritt. Deshalb war es nicht verwunderlich, dass die Familie von ihm nun nicht weniger erwartete. Also hatte er vor wenigen Monaten in ein kleines Appartement in Hongo bezogen und versuchte genau das; sein Leben zu meistern. Und genau aus diesem Grund sah er aus, wie ein Pfefferminzbonbon, schleppte Kisten und übernahm etliche Nachtschichten in dem kleinen 24-Stunden-Laden an der Ecke. Der Weg zur Arbeit war kurz und die Arbeitszeiten kollidierten nicht mit seinen wichtigen Vorlesungen, die er, über den ganzen Tag verteilt, besuchte. Im Gegenzug dafür verzichtete er auf einige Stunden Schlaf und ein ausgedehntes Privatleben. Es fühlte sich nach wie vor ungewohnt an, nachts in die stille Wohnung zurückzukehren, zwischen den Vorlesungssälen zu pendeln, ohne ein bekanntes Gesicht in der Nähe zu wissen. Ihm fehlte die Zeit, um neue Kontakte zu knüpfen und die einsamen Momente brachten ihm Verschnaufpausen, um seine Gedanken zu ordnen. Der heutige Tag bildete ein starkes Kontrastprogramm zu seinem neuen Leben als Medizinstudent der Universität Tokio. Zwar würde er den anderen nie etwas davon erzählen, aber er vermisste sie. Obwohl sie allesamt schrecklich laut, unstet und unkontrolliert waren, so hatte er sein halbes Leben mit ihnen verbracht. Auf den Schulfluren hatte sich immer jemand gefunden, mit dem er reden konnte, die freien Nachmittage hatte er in abenteuerlichen Welten verbracht, was nicht selten mit dem Bangen um sein Leben geendet hatte. Diese schönen Erinnerungen fanden ihren Weg zunehmend in sein Gedächtnis. In den einsamen Stunden am Schreibtisch, während die Stille auf seine Schultern drückte. Dabei war er sich sicher, dass die anderen nicht minder eingeschüchtert vom Erwachsenwerden waren. Koushiros Gesicht hatte am heutigen Nachmittag Bände gesprochen. Darauf waren die Überforderung und Verwirrungen deutlich abzulesen gewesen, deren Ursache ein ganz besonders lautes und unkontrollierbares Mädchen war. Oder Yamato, der ein Studium kategorisch ausschloss und stattdessen sein Glück mit der Musik versuchen wollte. Er für seinen Teil empfand diese Entscheidung als beinahe wahnsinnig. Wie wollte ein junger Mann in der heutigen Welt ohne die Grundlagen einer vernünftigen Schulbildung sein Leben meistern? Aber Yamato hatte ihm das Wort abgeschnitten, als er ihm davon erzählte. „Ich weiß, dass du meine Entscheidung nicht nachvollziehen kannst, Jyou. Ich weiß, aber ich muss es einfach versuchen, um glücklich zu werden.“ Das hatte der Junge mit den langen, blonden Haaren zu ihm gesagt, und er hatte geschwiegen. Wie hätte er sich dem Glück eines Freundes in den Weg stellen können? Letztendlich würden sie alle ihren eigenen Weg gehen müssen. Sora in Frankreich und Yamato in Osaka. Selbst Taichi schien dies eingesehen zu haben. Er war sich ziemlich sicher, dass der Anführer der ersten Stunde mit den wilden Gedanken, seine Entscheidung ein Studium in Kyoto zu beginnen, nicht bereuen würde. All das gehörte zum Erwachsensein dazu. Und auch wenn er sich manchmal fragte, ob all die Mühen es wert waren, so wusste er doch, dass die Kindheitserinnerungen nicht ewig andauern konnten, dass die Zukunft auf sie wartete… Ein lautes Ringen unterbrach seine Gedanken, die Kiste rutschte ihm aus der Hand und krachte laut scheppernd auf den Boden. Rasch griff er nach seinem Mobiltelefon und warf einen Blick zum Seiteneingang. „Hallo?“ Der Lärm schien niemanden aufgeschreckt zu haben, stellte er erleichtert fest. „Jyou-kun!“, meldete sich eine vergnügte Stimme. „Wo bist du denn?“ „Ich arbeite“, raunte er schnaufend und versuchte die Kiste einhändig durch den Eingang zu tragen. „Das hatte ich dir doch gesagt…“ Das Holz schnitt in seine Haut, während das Regal bedrohlich wankte, als er die Kiste auf den Regalboden schob und sich einen Holzsplitter aus dem Daumen zog. „Ach, wirklich? Wie schade… Dann bin ich ganz umsonst hergekommen…“ Enttäuschung auf der anderen Seite der Leitung, während sein Blick den anliegenden Ladenraum prüfte. Das Telefonieren, während der Arbeitszeit war ihm strengstens untersagt worden. Er seufzte lautlos. Wo war sie nur immer mit ihren Gedanken? Dabei hatte er ihr seine Arbeitszeiten mehrmals aufgezählt. Mehrmals! „Sachiko-san… Meine Schicht endet erst gegen Mitternacht und dann werde ich noch einige Stunden an einem Vortrag arbeiten müssen. Ich befürchte…“ Doch bevor er seine Ausführungen beenden konnte, unterbrach sie ihn in gewohnt überrumpelnder Art. „Dann warte ich so lange auf dich, Jyou-kun. Ich mag es, dir bei der Arbeit zuzusehen. Wenn du dich in deine Hausarbeiten vertiefst, bist du immer so süß!“ Sie kicherte und er spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss. „Sachiko…“ „Ich hole dich dann von der Arbeit ab, Jyou-kun…“, verkündigte sie und unterbrach ihn abermals beunruhigend unbekümmert.. Er strich sich mit den Fingerspitzen über die schmerzenden Schläfen und holte tief Luft. „Unter der Fußmatte findest du einen Ersatzschlüssel.“ Wenn sich dieses Mädchen einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann gab es niemanden, der es davon abholten konnte. „Bitte warte in der Wohnung auf mich. Ich möchte nicht, dass du so spät noch auf Straßen herum irrst…“ Allein die Vorstellung, wie sie durch die dunklen Gassen streifte, ließ ihm einen kalten Schauer über den Rücken fahren. Sachiko schaffte es ständig, sich von einer Katastrophe in die nächste zu stürzen, nicht auszudenken, was passierte, wenn sie auf eine Jugendgang stieße… „Kido!“ Eine schnarrende Stimme hallte durch den Lagerraum. Ein bärtiger, runder Mann baute sich mit verschränkten Armen vor dem Regal auf. „Der Transporter ist ja noch nicht mal zur Hälfte ausgeräumt!“ „Entschuldigen sie, Mizuki-bucho“, hastig verbeugte er sich und ließ das Mobiltelefon in seiner Hosentasche verschwinden. Sachiko manövrierte nicht nur sich, sondern auch immer wieder ihn in unmögliche Situationen! *** Author’s Note: Da bin ich wieder. Das Kapitel wartet schon ein Weilchen auf meinem PC, aber ich musste noch etwas umstellen und umbasteln, nachdem ich feststellte, dass Ioris Platz noch nicht in diesem Kapitel war. Dafür geht es nun im dritten Akt um Beziehung, Beziehungen, Beziehungen! Verschiedene Stadien, verschiedene Arten… Wir haben das Freunde, die sich voneinander verabschieden. Ein großes Liebespaar, dass beschließt, seine individuellen Träume zu leben, ein anbahnendes Liebespaar und ein ungleiches Liebespaar.^^ Sora und Yamato – ach, welch Herzschmerz. Ich hoffe, ich bin den beiden gerecht geworden. Und wieder konnte ich direkt einen Songtext einbauen. Diesmal singt Yamato. Dabei handelt es sich um „Tobira~Door“, das Lied der Teenage Wolves, welches auch in der Serie zu hören war. (in der unsäglichen Weihnachtsfolge, die mein Herz brach!) Ich hab die englische Übersetzung gewählt, weil es sonst niemand verstanden hätte… Das Lied wurde in den verschiedenen Dubs komplett verändert, deshalb wundert euch nicht, wenn ihr es nicht gleich erkennt. Kens Part war ein wenig schwierig. Ich wusste direkt, dass er etwas veröffentlicht hat, bzw. Feedback bekommen sollte, wodurch seine Zweifel endlich beseitigt werden sollten. Die Schuldfrage und all das verschwinden ja nicht so plötzlich. Gleichzeitig wollte ich Kenyako in ganz kleinen zarten Gesten darstellen. Wir haben den Schal im Schneegestöber und das Telefonat jetzt. Kens erster Instinkt sie anzurufen, signalisiert wohl alles. Der Rest ist eine Mischung aus euren Ideen, was wohl Off-Screen stattgefunden hat und wird. Jyou dagegen befindet sich in einer wirklich zuckrigen Beziehung mit Sachiko. Die Dame hatte ihren ersten Auftritt im Schneegestöber und ich liebe sie. Und mehr kann ich nicht sagen, weil die Liebe eine Frage der Imagination ist. Ihr könnt also selbst entscheiden, während der letzte Akt auf mich wartet, bis dahin PenAmour Kapitel 4: Vierter Blütenakt ---------------------------- Vierter Blütenakt *** Immer und Immer Die gut gemeinten Ratschläge waren ausgesprochen worden und die Koffer warteten im Hausflur auf sie. Der wohlbekannte Duft von Blumenerde und Rosen umhüllte sie, als ihre Mutter sie in die Arme schloss und ihre Schultern unter leisen Schluchzern zitterten. Dabei war Toshiko Takenouchi eine sehr ausgeglichene und beherrschte Frau, deren Gefühle selbst sie als ihre Tochter oft nur schwer deuten konnte. Doch in den letzten Jahren hatte sie immer wieder einen Blick hinter die starke Fassade ihrer Mutter werfen können. Dort hatte sie Angst und Besorgnis finden können, wenn sie erneut in fremde Welten aufbrach, seltsame Wesen kennen lernte und sich in Abenteuer stürzte, die nicht selten die Rettung des Planeten beinhalteten. Es waren sicherlich keine einfachen Jahre, die hinter ihnen allen lagen, doch der neblige Schleier der Erinnerung würde sein Bestes geben, um über manchen Streit und manchen Wutausbruch hinweg zutäuschen. In einigen Jahren würde sie sich nur an das Schöne und Gute erinnern können. Sie spürte die warme Hand ihres Vaters auf ihren Schultern, während er ihrer Mutter beruhigend über den Rücken strich. Unverkennbarer Stolz schwang in seinem Blick, hinter den runden Brillengläsern mit, der auf ihr ruhte. Sie löste sich von ihrer Mutter, die sich mit den blassen Händen über das Gesicht strich und die Tränen beiseite schob. Ihr dunkles Haar war zu einem strengen Dutt zusammengebunden, so wie sie es von ihr gewohnt war, während ihr Vater sich eine silbrige Haarsträhne aus dem Gesicht strich. „Ich bin sehr stolz auf dich, Sora“, verkündete er mit tiefer Stimme, die ihr früher all die Märchen und Geschichten zugeflüstert hatte, wenn sie nicht einschlafen konnte. „Sehr stolz.“ Und dann lächelte er sein leises, weises Lächeln, das alle Geheimnise der Welt zu kennen schien. So oft hatte sie auf ihn gewartet, während er seiner Professur in Kyoto nachging und sie mit ihrer Mutter in Odaiba zurück blieb, doch nun würde sie ihn verlassen und die Geheimnisse der Welt selbst erkunden. „Otosan, Okasan…“, flüsterte sie und umschlang ihre Eltern mit beiden Armen. „Wohin du auch gehst“, erklang die Stimme ihres Vaters erneut, kaum hörbar, verschwörerisch als wisse sie um einen lang gehüteten Schatz. „Gehe mit deinem ganzen Herzen.“ Sie nickte stumm, während sie sich von ihren Eltern losmachte. Der Schmerz, der noch immer in ihrer Brust nachhallte und Yamatos Namen trug, bäumte sich für einen kurzen Augenblick auf, bevor die Tränen versiegten und sie den kühlen Messingtürgriff berührte. Der Weg der sich vor ihr ausbreitete war nur für sie bestimmt. Zu sehr ängstigte sie sich davor, den Mut nicht aufbringen zu könnte, das Flugzeug zu besteigen. In die sicheren Arme ihrer Eltern zurück zukehren, anstatt dem unheimlichen Erwachsenwerden gegenüber zutreten. Der Abendwind wehte ihr entgegen, während sie die Tür leise verschloss und auf das gelbe Taxi zuschritt, welches in der Einfahrt wartete. Die Rollen ihres Koffers klackerten ungeduldig auf dem Asphalt und ihre Hände zitterten, als sie nach ihrem Mobiltelefon kramte. Piyomons große Augen hatten sich auf sie geheftet. Das Flugdigimon mit den kaugummifarbenen Flügeln und dem großen Schnabel war in den letzten Minuten ungewohnt schweigsam gewesen. Der Taxifahrer – ein untersetzter Mann mit lichtem Haar – nahm ihr den Koffer aus der Hand und bugsierte ihn in den Kofferraum des quietschgelben Autos mit der leuchtenden Taxianzeige auf dem Dach. „Ich werde warten…“, piepste Piymon leise und die grauen Augen füllten sich mit Tränen. Ihre Arme bekamen das schillernde Federkleid zu fassen und drückten das Digimon an ihre Brust. Sie wusste, dass es eine Weile dauern würde, bis sie das kleine vogelartige Wesen tatsächlich wieder sehen konnte. Zu viel wartete in Paris auf sie, um das sie sich kümmern musste. Und obwohl sie es bedauerte, der Digiwelt den Rücken zu kehren, so aufgeregt und neugierig war sie auch auf Frankreich. „Ich werde immer auf dich warten, Sora.“ Sie lösten sich voneinander während sie den Internetzugang ihres Handys öffnete. Das Browserfenster ließ den Display erleuchten und sie spürte das altbekannte Pulsieren des Digivices in ihrer anderen Hand. „Öffne dich Tor zur Digiwelt…“ Die Worte kamen wie von selbst über die Lippen, so oft hatte sie sie ausgesprochen. Das Digitor tauchte die Einfahrt in ein unnatürliches, blaues Licht. „Immer und immer!“ Piyomons Schrei hallte über die Dächer hinweg, während es vom gleißenden Lichtstrudel erfasst und in die Digitale Welt gesogen wurde. Von einer Sekunde auf die verdunkelten sich die Baumwipfel wieder und die Abenddämmerung streifte ihr Gewand über Odaiba. Der Taxifahrer hatte bereits auf dem Fahrersitz platz genommen und den Motor gestartet, der ungeduldig brummte und tuckerte. 18 Uhr 57. Es war an der Zeit… Sie holte tief Luft und öffnete die Tür zur Rückbank. Eine kalte Brise rauschte über die Baumwipfel hinweg, die sich dem Wind beugten und ihr zunickten. Sie fischte eine Kirschblüte aus der Luft, die ihr der Wind zum Abschied heran gespült hatte und bedankte sich lautlos, bevor sie sich auf die dunkle Ledergarnitur fallen ließ und das Auto sich mit einem Ruck in Bewegung setzte. Vorsichtig streichelte sie über das seidige Blütenblatt, während die Fassaden der Häuser und Wolkenkratzer an ihr vorbei flogen und sich mit den Lichtern Tokios zu einem verschwommenen Bild vermischten. *** Tintenherz „Schau doch mal, Hiro-kun!“ Winkend hielt sie ihm eine Stoffmaus unter die Nase, die mit einer großen rosa Schleife versehen war. „Wie süß.“ Doch wie auch schon zuvor schien Koushiro Izumi kein sonderliches Interesse an dem Plüschtier zu haben und blickte vielmehr verdrießlich drein. Leise seufzend steuerte sie auf das nächste Geschäft zu. Seit einer geschlagenen halben Stunde versuchte sie nun schon seine Aufmerksamkeit zu gewinnen, doch der Junge mit den rostroten Haaren, die ihm grimmig ins Gesicht fielen, zeigte keinerlei Regung. Dabei war das Shinjuku-Viertel gefüllt mit Einkaufsmöglichkeiten und kleineren wie größeren Bars und Cafés, die zum Verweilen einluden. Es war fast ein wenig wie in New York City. Lebendig und ungezwungen, zwei Attribute, die sie sehr am Big Apple schätzte. Doch in Japan schien sie damit nach all der Zeit, die sie in den Vereinigten Staaten verbracht hatte, anzuecken. Sie konnte es auf Koushiros Gesicht lesen. Sie gehörte schon lange nicht mehr hier her. Doch wo war dann ihr Zuhause? Frustriert ließ sie seine Hand los und presste die Stirn gegen das kühle Glas des Schaufensters. Da hatte sie all die Mühen auf sich genommen und nun das! Dabei war sie sich so sicher gewesen, dass er sich freuen würde. Wenn er sie auch nur ansatzweise so vermisste, wie sie ihn, dann hätte er vor Freude über ihren Besuch in die Luft springen müssen – mindestens. Seit über einem Jahr ging das nun schon so. Seit er sie in New York besucht hatte, seit er ihr einen Sternschnuppenschauer zu Weihnachten geschenkt hatte, seit er seinen Blick über den Computerbildschirm geworfen hatte und seine kohlschwarzen Augen sich in ihrem Gedächtnis eingebrannt hatten. Dabei kannten sie sich schon so lange, bis ihr diese Augen auffielen und das Herz zum Schlagen brachten. Aber ganz plötzlich ohne jede Vorwarnung war es da gewesen, das Herzklopfen und die roten Wangen. Und nun, endlich, konnte sie ihn sehen, seine Hand halten, doch es reichte nicht. Sie vermisste die Sternschnuppen, die großen Gefühle. Das ständige Telefonieren und Starren auf sein Foto war einfach nicht genug. Nicht genug, um ihr Herz zufrieden zu stellen. „Ich will nicht mehr!“ Wütend verschränkte sie die Arme und rauschte an ihm vorbei, mit der stillen Hoffnung, er würde sie aufhalten und… „Idiot“, murmelte sie, während Palmon sie einholte. „Vollidiot.“ Ihre Füße kamen vor einer Bank zum Stehen, gegenüber der U-Bahn-Station, aus der die Menschen strömten und auf die Innenstadt zusteuerten. Enttäuscht ließ sie sich auf die Bank fallen und beobachtete das Treiben auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Autohupen dröhnten über die Wolkenkratzer hinweg und das Gerede der Menschen verdichtete sich zu einem kollektiven Murmeln. „Blödmann…“ Palmon kletterte auf die Bank und lehnte sich trösten an ihre Schulter. Die Blüten des Digimons kitzelten ihr Gesicht, während die dunklen Knopfaugen sie aufmunternd anstrahlten. Lächelnd strich sie ihrem treuen Gefährten über das blumige Köpfchen und versuchte den Ärger und die Enttäuschung zu vergessen, als sich Schritte näherten und ein Schatten über sie fiel. Sie hob ihren Kopf und stieß fast gegen die Stoffschnauze des Plüschtieres. Er drückte ihr die Maus wortlos in die Hand und setzte sich an das andere Ende der Bank. Langsam streichelten ihre Fingerspitzen über das flauschig weiche Fell des Plüschtieres. Die rosa Schleife hatte sich gelöst und hing schlaff am Hals der Maus, während die Welt sich in den dunklen Plastikaugen spiegelte. Lächelnd richtete sie die Schleife her, während Tentomon summend über ihren Köpfen kreiste. „Könnten wir dieses überfüllte Viertel endlich verlassen“, beschwerte es sich und landete vor ihnen auf dem Asphalt. Seine insektenartigen Fühler reckten sich ungeduldig, doch bevor Koushiro etwas erwidern konnte, hatte sich Palmon empört aufgerichtet. „Nun hör mal! Nimm doch ein bisschen Rücksicht auf Mimi.“ Das Pflanzendigimon verschränkte die Rankenartigen Arme vor der grünen Brust und warf einen bösen Seitenblick auf Koushiro. „Wie soll man Rücksicht nehmen, wenn sie plötzlich aus heiterem Himmel hier auftaucht…“, widersprach Tentomon seinerseits nicht minder empört und sie spürte wie ihr das Blut in den Kopf schoss. „Es sollte eine Überraschung werden, du Spielverderber“, Palmons wütende Stimme ließ nichts gutes erahnen, während sich die Blüten bedrohlich aufreckten und im Abendrot schillerten. „Mimi hat wochenlang Vorbereitungen getroffen und Geld gespart, um herzureisen. Ihre Mutter war gar nicht begeistert von der Idee – sie haben sich sogar gestritten,“ verriet das Digimon und Koushiro runzelte die Stirn. Sie versuchte ihre roten Wangen vor ihm zu verbergen, doch bevor er reagieren konnte, antwortete Tentomon bereits: „Und was haben wir nun davon? Jeder weiß doch, dass Koushiro Zeit braucht, um einen Plan auszuarbeiten. Mimi bringt ihn doch völlig aus dem Konzept. Immer wenn er sie sieht, erstarrt er und stottert. Schrecklich…“ „Tentomon!“ Koushiro war aufgesprungen und hob abwehrend die Arme, während er ihrem Blick auszuweichen versuchte. Tentomon schien sich jedoch keiner Schuld bewusst zu sein. „Ist doch wahr! Jeden Abend starrst du minutenlang ihr Foto an und…“ Bevor das Digimon weiter sprechen konnte, hatten sich Koushiros Hände auf den Mund des Insektendigimons gepresst. Verlegen flüsterte er Tentomon etwas zu, das daraufhin nur mit den Schultern zuckte und sich summend in die Luft begab, während Koushiro ihr den Rücken zudrehte und sich mit den Händen über das Gesicht fuhr. Langsam erhob sie sich von der Parkbank und streckte die Hand aus. Es waren nur einige wenige Schritte, die zwischen ihnen lagen. Ihr Herz klopfte wild und die Welt um sie herum verschwamm zu einem wundersamen Farbengemisch, als ihre Fingerspitzen sein dunkles Shirt berührten. Erschrocken straffte er die Schultern, während ihre Hände seinen Oberarm berührten und die Sehnen nachmalten, die sich unter der Haut abzeichneten. „Stimmt es?“, brachte sie atemlos hervor. „Was Tentomon gesagt hat, stimmt es?“ Es dauerte eine halbe Ewigkeit ehe ein Räuspern sie erlöste und er ihr sein Gesicht zeigte. „Mimi, ich…“, er hielt inne und musterte sie eindringlich mit diesen fast schwarzen Augen, die wie flüssige Tinte wirkten und ihre Welt zum Wanken brachten. „Ich bin einfach sprachlos, wenn du da bist“, versuchte er erneut, während seine Augen Geschichten malten. „Natürlich freue ich mich, dass du da bist… Verdammt, ich könnte vor Glück platzen…“ Noch bevor er weiter sprechen konnte, hatte sie ihre Arme um seinen Hals geschlungen und presste ihre Lippen auf seine. Sie brauchte keine weiteren Worte. Seine Augen hatten ihr bereits alles erzählt. Sie hatte sich in ihnen wieder finden können. Es war wie in den großen Romanzen auf den Kinoleinwänden, von denen sie träumte. Sie spürte wie sein Herz gegen ihres schlug, während er sanft ihr Gesicht in seinen Händen hielt. Seine Berührung glichen einer kühlen Frühlingsbrise, seine Lippen schmeckten nach salzigem Meerwasser, während das Rauschen von tanzenden Herbstblättern alles andere ausblendete und die Zeit einzufrieren schien. „Das mit uns…“ Sein warmer Atem prickelte auf ihrer Haut, während seine Hände sich in ihren Locken verfingen. „…das ist richtig, oder?“ Sie nickte, atemlos, taumelnd vor Glück. Seine Arme umschlungen sie, sodass sie seinen Herzschlag hören konnte. Und für einen Moment fühlte es sich an, als wäre sie heimgekehrt. Nur der aufkommende Nachtwind störte sie und zerrte an ihnen. Als sie die Augen öffnete, umhüllte sie ein strahlende Kirschblütenschauer, während die Sonne hinter den Baumkronen verschwand und die Abendröte in die Wolken kletterte. „Ich hab dich lieb, Hiro-kun“, flüsterte sie. Die Tinte in seinen Augen erstrahlte und er zupfte einige Kirschblüten aus ihrem Haar. „Das weiß ich doch.“ *** Neue Ufer „Wuhu!“ Jiros Jubeln ließ ein verschrecktes Owlmon hastig davon flattern, während der Junge mit dem schulterlangen braunen Haar zwischen den breiten Baumstämmen des Native Forests verschwand und sein Schrei durch den Wald echote; Dicht gefolgt von seinem Partner DORUmon, einer bizarren Mischung aus Drache und Fuchs. „Jiro, hör auf die Waldbewohner zu erschrecken“, ermahnte er ihn und warf Noriko einen Blick zu, die leise lachend über eine Baumwurzel stieg, während ihr Partner Elecmon seinen Kopf gen Baumkronen reckte. Das Mädchen hatte ihr pechschwarzes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden, der nun auf und ab wippte, während ihr Pony ihre grauen Augen fast überdeckte. Mit ihr verband ihn schon seit einigen Jahren eine gute Freundschaft. Gerade durch den Tod Oikawas hatte er sich mit den Kindern verbunden gefühlt, die Saatträger der Dunkelheit gewesen waren und sich ebenso wie er an die guten und schlechten Momente Oikawas erinnern konnten. Dafür hatten die anderen kaum Verständnis gehabt, nachdem sie Belial Vamdemon besiegt hatten. Doch Noriko schien seine zwiespältigen Gefühle zu verstehen. „Imai-kun wird sich nur wieder in Schwierigkeiten bringen“, ertönte eine schnarrende Stimme hinter ihnen, die zu Manabu Watanabe gehörte, der seinen Laptop vorsichtig auf den ausgestreckten Armen balancierte und seinen Blick auf den Bildschirm gerichtet hatte, während er Jiros Schreie mit einem Stirnrunzeln quittierte. Er wurde nicht ganz schlau aus dem schmächtigen Jungen mit der runden Brille auf der Nase. Er hatte ihn und sein Digimon Lalamon – eine wirklich seltsame Mischung - bei einem seiner Streifzüge in der Digiwelt kennen gelernt, als sie auf ein nicht besonders wohl gesonnenes Airdramon trafen und Manabu ihnen zu Hilfe eilte. Seither gehörte der Junge zu ihrer kleinen Gemeinschaft, wie auch Jiro Imai, Noriko Shizuma und der fünften im Bunde Ishi Kato, deren rote Baseballkappe zwischen den dunklen Zweigen aufleuchtete, während sie unbekümmert die Arme baumeln ließ und ihr Partner Kunemon über ihrem Kopf auf und ab schwirrte. Die Grundschülerin hatte ihn per Email kontaktiert und sich als sehr anhänglich erwiesen, wie sich später herausstellte. Dafür war sie eine zähe Kämpferin, die sich nicht so leicht beirren ließ, trotz ihres jungen Alters. Sie waren ein anderes Team, an das er sich erst gewöhnen musste. Vertrauen hatten sie erarbeiten müssen, während es mit den anderen Digirittern immer so leicht gewirkt hatte. Sicherlich hatte er seine Zweifel gehabt, als Ken zur Gruppe stieß, aber letztendlich war auch er ein guter Freund geworden. Die neue Generation hingegen wählte selbst ihr Schicksal und das hatte nicht selten zu Streitereien und Machtkämpfen unter den Digirittern geführt. Tatsächlich war er dem wilden Jiro begegnet, als dieser ihn zu einem Duell aufforderte. Und genau diese Auffassung galt es zu unterbinden, um ein friedliches Zusammenleben zu garantieren. Deshalb patrouillierten die Digiritter abwechselnd, stellten neue Teams auf und versuchten diese auszubilden. In den letzten Jahren hatten sich dadurch viele internationale Einheiten gebildet, die Neulinge unter ihre Fittiche nahmen, Wildfänge bändigten und Streitigkeiten schlichteten. Dank Koushiros Netzwerk waren sichere Strukturen entstanden, die es ihm ermöglichten in regelmäßigen Abständen nach dem Rechten zu schauen. „Iori-kun!“ Ishis Rufe rissen ihn aus seinen Gedanken. Das Mädchen hüpfte hastig über einen Baumstumpf und winkte ihm aufgeregt zu. „Das Zeichen!“ Brachte sie zwischen zwei Atemzügen hervor und deutete auf einen Baumstamm in einigen Metern Entfernung. Dort prangerte ein blutrotes Symbol auf Rinde. Auch aus der Ferne wusste er, dass es sich dabei um ein Rechteck handelte, mit zwei abgehenden Linien an den Seiten. In letzter Zeit tauchte das Symbol immer häufiger auf und ihn beschlich das Gefühl, dass es nichts gutes zu bedeuten hatte. „Ishi“, er wandte sich an das Mädchen mit den kurzen blonden Haaren die unter der Kappe hervor lugten. „Wo ist Jiro?“ Suchend warf er einen Blick in die Runde, doch von dem Jungen mit der grünen Weste, die er ständig trug, war nichts zu sehen. „Vielleicht ist er in eine Schlucht gefallen und…“ Manabu wurde von Lalamon unterbrochen, dass die Blüten erschrocken hängen ließ und ängstlich quietschte. „Sag so etwas doch nicht, Manabu, damit macht man keine Scherze“, tadelte es seinen Partner und hüpfte nervös auf und ab. „Hier gibt es keine Schluchten, Lalamon“, tröste Noriko das Digimon und warf ihm einen Seitenblick zu. Eigentlich bestand der Native Forest nur aus Bäumen, aber bei Jiros Übermut würde er selbst im Wald eine Schlucht zum Hinunterstürzen finden. Doch diesen Gedanken behielt er für sich. Unterdessen hatte sich Kunemon auf Ishis Kopf niedergelassen. „Hast du noch Rosinen, Ishi?“, fragte es gierig und stupste seinen Partner mit dem Wespenkopf, woraufhin Ishi in ihrer Hosentasche nach den Rosinen suchte, die das gefräßige Digimon vergötterte. Kunemon wurde jedoch unterbrochen als ein markerschütternder Schrei ertönte und Jiro zwischen den Baumstämmen auftauchte, dicht gefolgt von DORUmon und einer dichten Staubwolke, während der Boden unter ihren Füßen vibrierte. Geschwind zückte er sein gelbes Digivice, während Armadillomon sich in Stellung brachte und der wohlbekannte Energiestoß durch das Vice ging und das Digimon erfasste. Armadillomon – Shinka! Ankylomon. Und auch die anderen ließen ihre Digimon digitieren, während die Staubwolke sich langsam auflöste und zwei giftgelbe Augen bedrohlich zwischen den Partikeln hervorstachen. Riesige Wurzeln schlangen sich durch den Waldboden, während die Baumkrone des Jyureimon einen bedrohlichen Schatten auf sie warf. Kunemon – Shinka! Flymon. Die gigantischen Flügel Flymons breiteten sich aus, während der baumartige Feind eine Salve Cherry Bombs auf sie losließ. Die Geschosse rauschten auf sie zu und konnten gerade noch von Ankylomons hartem Panzer abgefangen werden. Lalamon – Shinka! Sunflowermon. „Ihr habt in diesen Gefilden nichts zu suchen, Menschen“, keifte das Jyureimon wütend. „Tsuta Kougeki!“ Sunflowermon wich den Lianen rasch aus, die Jyreimon nach dem Pflanzendigimon schickte. Elecmon – Shinka! Centalmon. „Dieses Gebiet ist Menschenfreie Zone“, zischte das feindliche Digimon, während weitere Attacken durch den Wald preschten. Die Bäume um sie herum ächzten und knackten. DORUmon – Shinka! DORUgamon. „Die Anti-Human-Alliance wird euch in Grund und Boden stampfen“, grölte Jyureimon, während DORUgamon sich in seiner Wurzel festbiss, bevor es von einer Ladung Cherry Bombs getroffen wurde. Die dicken Wurzeln des Baumdigimons wucherten über den Waldboden. „Es steht euch nicht zu, über uns zu verfügen.“ „Wir greifen gleichzeitig an, dann können wir es besiegen“, rief er den anderen zu und duckte sich vor einem zusammenstürzenden Baum. Centalmon begab sich in Position und, während Sunflowermon hinter ihm hervor preschte, begleitet von DORUgamon. Flymon stürzte sich aus der Luft herab und Ankylomon senkte den gepanzerten Kopf. „Hunting Cannon!“ „Cactus Tail!“ „Power Metal!“ „Deadly Sting!“ „Megaton Press!“ Gemeinsam stürzten sie auf Jyureimon und ein stürmischer Attackenhagel prasselte auf das Digimon nieder, welches unter den explosionsartigen Angriffen zu Boden ging. „Geschafft!“ Siegessicher streckte Jiro seine Faust in die Höhe, doch als sich der Attackennebel lichtete, war von den feindlichen Digimon nichts mehr zu sehen. „Verdammt“, presste Ishi hervor und rannte zu ihrem Partner, während sie suchend den Kopf hin und her drehte. „Was sollen wir tun?“ Noriko wirkte ratlos, während sie mit ihm einen Blick austauschte. „Wir können nicht riskieren, dass es auch andere Menschen bedroht…“ Doch Manabu unterbrach sie, während seine Finger über die Tasten des Laptops flogen. „Viel wichtiger ist doch, warum es uns überhaupt angegriffen hat.“ Hastig fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen, rückte seine Brille gerade und drehte ihnen den Bildschirm zu. Dort blinkte das Rechteck mit den seitlich abgehenden Linien auf. „Was soll das darstellen?“ Jiro verschränkte verständnislos die Arme. „Wir dürfen keine Zeit verlieren, Leute. Wenn wir Jyureimon nicht einholen, dann war es das!“ „Dabei handelt es sich, wie du vielleicht weißt, Imai-kun…“, begann Manabu mit einem leicht spöttischen Lächeln, „…um das Symbol für elektrischen Widerstand. Ein gängiges Symbol der Physik, das meist zur Zeichnung von Schaltkreisen benutzt wird…“ Er ließ die Erklärung für einen Moment in der Luft hängen, bis sie zu ihm durchdrang. „Du meinst also, dass es sich hier um eine Rebellion handelt“, schlussfolgerte er schließlich. „Die Anti-Human-Alliance…“, flüsterte Noriko und warf einen Blick auf den zerstörten Wald. „Ja, dann lasst uns aufbrechen“, forderte Jiro und sprang auf. „Je eher wir diese Alliance aufmischen, desto besser…“ „Sollten wir nicht erst einmal einen Plan entwerfen und den anderen Bescheid geben?“, warf Noriko zweifelnd ein. „Wir können die anderen immer noch informieren. Aber wir sollten unbedingt dieser Spur nachgehen“, murmelte er, während das blutrote Symbol, welches in den Baumstamm geritzt wurde, angriffslustig aufblitzte. „Vielleicht können wir ihren Stützpunkt ausfindig machen und erfahren sogar wer die Drahtzieher hinter dieser Widerstandsgruppe sind…“ Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. 18 Uhr 57. „Lasst uns abstimmen…“ *** Author’s Note: Der letzte Akt also, bevor wir uns noch einmal beim Epilog wieder sehen. Das besondere an diesem Kapitel ist, dass alle Teile um 18.57 Uhr enden. Wie spannend.^^ Bei Sora wollte ich noch einmal einen Elternaspekt einbringen. Sora hat eine andere Beziehung zu ihren Eltern als zum Beispiel die Yagami-Kinder, in Schneegestöber gehe ich da näher drauf ein, oder Ken und seine Eltern. Soras Vater ist nie aufgetaucht, aber das er Professor an der Universität Kyoto ist, wurde offiziell bestätigt. Also Canon-pur! Ansonsten wollte ich das Kapitel in einen Rahmen packen. Sora, die das Tor das letzte Mal aufruft und Iori, der durch das Tor tritt und neue Abenteuer findet. In der Mitte haben wir Koumi Wie schön. Die beiden müssen noch ein wenig an ihrer Kommunikation arbeiten, denke ich. Dafür haben ihre Digimon den Stellvertreter-Streit ausgeführt. Das fand ich ganz amüsant. Zumal der Digimon-Aspekt auch nicht zu kurz kommen soll. Am meisten habe ich mich die ganze Zeit auf Ioris Part gefreut (na ja abgesehen vom Epilog). Erstmal ist mir wichtig, dass – wenn schon alles und jeder Digiritter werden kann – dadurch auch Probleme entstehen und neue Konflikte auftauchen. Iori ist mittlerweile 14 und deshalb super geeignet um ein neues Team, eine dritte Generation anzuführen. Dabei habe ich die Gruppenstruktur mal vollkommen verändert. Nichts mit süßen Mädchen und knuffigen Digimon. Der seltsam-zynische Manabu hat das Lalamon, SO! Und das ist ein goldiges Team. Aber auch die anderen sind ganz wunderbare Gestalten, die plötzlich in meinem Kopf aufgetaucht sind. Jiro ist ein absoluter Google ohne Google, ein Haudrauf unter der Sonne, Ishi eine lebensfrohe Kratzbürste und Noriko das kränkelnde Mädchen aus der Saat-der-Finsternis-Kinder-Riege. Ich wollte ein neues Abenteuer in Gang setzen. Ich wollte aus dieser Geschichte mit einem Knall gehen. Ein offenes Ende – was glaubt ihr, passiert wohl – Ich wollte einen Kreislauf. Neue Digiritter, neue Aufgaben, neue Abenteuer. Bis die nächste Generation auf den Plan tritt – angeführt von Ishi, das wäre ein Spaß. So, und nun stellt sich nur noch eine, eine Frage. Was hat das alles mit Tai zu tun? Nun es dürfte nicht schaden, wenn man ein wenig Spaß am Analysieren und Interpretieren hat. Denke ich… Bis dahin PenAmour Epilog: Epilog: Schlussakkord ----------------------------- Epilog: Schlussakkord *** Der weiße Umschlag Sie winkte Takeru vom Fenster aus zu bevor er hinter dem Häuserblock verschwand und die Haustür schwingend ins Schloss fiel. Vor ihr erstreckte sich das graue Treppenhaus schweigend. Normalerweise war irgendwo immer ein Klackern oder Murmeln zu vernehmen, ein Signal des Lebens, doch in diesem Moment blieb alles verdächtig still. Allein ihrer Schritte hallten auf den Treppenabsätzen wider, während sie Etage um Etage hinter sich ließ und den Wohnungstürschlüssel aus der Jackentasche fischte. Die Tür gab nach und sie trat in die dunkle Wohnung. Sie vermutete, dass ihre Mutter noch einige Einkäufe zu erledigen hatte, während ihr Vater bei der Arbeit zu finden war, so dass der Wohnsitz der Familie Yagami einsam und verlassen wirkte, während sie in ihrer Hausschuhe schlüpfte und den Anrufbeantwortet abhörte. Keine neuen Nachrichten. Taichi war sicherlich schon heimgekehrt und gönnte sich ein Nickerchen. Bei dem Gedanken an ihren schnarchenden Bruder musste sie grinsen. Egal wie alt er sein mochte, manche Dinge würden sich einfach nie ändern, und eine beruhigende Wärme breitete sich in ihr aus. Vorsichtig pirschte sie sich an die Zimmertür ihres Bruder heran. Ein schmaler Lichtstreifen kroch durch die Türspalte auf den dunklen Flur und malte in den Farben der Abendglut auf das Parkett. Mit einem leisen Quietschen öffnete sie die Zimmertür, durch das Fenster auf der gegenüberliegenden Seite strömte das Abendlicht und tauchte den schmalen Raum in einen kaminroten Schimmer. Das Bett war leer, wie sie verwundert feststelle, und die Bettdecke war sorgsam zusammen gefaltet worden, auf dem dunkeln Teppichboden war nicht eine schmutzige Socke zu sehen und der Schreibtischstuhl türmte sich nicht mit Kleidungsstücken. Ihr Bruder hatte tatsächlich aufgeräumt. Die Regale waren sorgsam mit Büchern und Comics bestückt, die sonst ihren Platz auf dem Boden hatten und von den fragwürdigen Postern, die ihre Mutter in den Wahnsinn trieben, war an der weißen Wand nichts mehr übrig geblieben. Sogar der Schreibtisch erstrahlte im ordentlichen Glanz. Nur noch ein weißer Umschlag lag auf der Schreibtischunterlage und hob sich vom Rest des eher dunklen Raumes merklich ab. Eigentlich hätte Taichi bereits Zuhause sein müssen, auch wenn er noch eine Weile im Shinjuku Central Park geblieben war, um sich von Sora und Yamato zu verabschieden, so war es doch seltsam. Ihre Finger strichen über das glatte Papier des weißen Umschlags und malten das Emblem der Universität Kyoto nach. Vorsichtig nahm sie den Umschlag in ihre Hände, der über die Zukunft ihres Bruders entschied. Er war nach wie vor ungeöffnet. Etwas streifte ihr Bein und als sie an sich herunter blickte, sah sie ein Stück Papier, welches vom Schreibtisch geflattert sein musste, als sie den Umschlag genommen hatte. Sie erkannte die krakelige Handschrift ihres Bruders sofort, mit der er ihren Namen auf den Zettel geschrieben hatte. Das Papier knisterte erwartungsvoll, während sie es auseinanderfaltete und zu lesen begann. Imouto-chan… Ihr Bruder schrieb keine Briefe. Wenn er etwas zu sagen hatte, dann sprach er es aus. Wenn du diese Zeilen ließt, werde ich schon nicht mehr hier sein. Es tut mir leid, dass ich mein Versprechen, dich immer zu beschützen, nicht halten kann, aber ich befürchte, dass ich nicht mehr der große Bruder bin, den du oder diese Welt braucht. Sie kniff die Augen zusammen und versuchte sich einen Reim aus dem Geschriebenen zu machen, doch eine Antwort ließ auf sich warten. Wir haben diese Welt gerettet und der Digiwelt Frieden geschenkt. Meine Aufgabe ist erfüllt, befürchte ich. Mit will pochendem Herzen hetzte sie über die Zeilen. Ich hab versucht dagegen anzukämpfen, Imouto-chan, wirklich, aber all die Abenteuer, die Kämpfe und fremde Welten lassen mich nicht mehr los. Wie knüpft man ein früheres Leben an, wie macht man weiter, wenn man tief im Herzen zu verstehen beginnt, dass man nicht mehr zurück kann? Der Alltag schwebt wie ein Damokles-Schwert über meinem Kopf und ich habe das Gefühl an der Banalität zu ersticken, während mein Herz sich nach Abenteuern sehnt. Abenteuer, die ich hier nicht finden werde. Zitternd streifte sie das Papier glatt. Hier ist einfach kein Platz mehr für mich. Weder in Tokio, Kyoto oder sonst wo. Deshalb verabschiede ich mich von dir und der Menschenwelt und suche mein Glück in der digitalen, wo noch so viele Geheimnisse und unentdeckte Orte auf mich warten. Ich weiß, dass du meine Entscheidung nur schwer akzeptieren kannst, aber bitte, Imouto-chan, suche nicht nach mir; Lebe dein Leben, ein normales glückliches Leben… Die Wort ergaben keinen Sinn, verschwammen vor ihren Augen und sie schmeckte den salzigen Geschmack von Tränen auf ihren Lippen. Okasan und Otosan sollen sich keine Sorgen machen, denn Agumon ist bei mir und wird mich immer beschützen. Ich wünschte, ich könnte sie stolz machen und mich als ihr Sohn würdig erweisen, aber der Krieger in mir hat schon vor langer Zeit die Oberhand gewonnen. Ein Schluchzen durchbrach die Stille des Raumes, während das Abendrot auf das weiße Papier schien und es dauerte eine Sekunde bis sie begriff, dass es ihr Schluchzen war. Nimm den weißen Umschlag und verbrenne ihn, sein Inhalt ist bedeutungslos auf dem Pfad den ich einschlage. Pass auf dich auf, Hikari, denn du bist der kostbarste Lichtstreif an meinem Horizont. Dein Taichi Die Welt hielt für einen Moment inne. Die Zeiger der Uhr froren ein. 18.57 Uhr. Und noch bevor das weiße Blatt Papier zu Boden ging, war die Tür ins Schloss gefallen und hektische Schritte hallten durch das Treppenhaus. *** Der Weg des Kriegers Wild wehten die Kirschblüten im Abendwind und tauchten seine Welt in einen zart, rosa Schimmer. Das Digivice in seiner Hand pulsierte im Einklang mit seinem Herzschlag und er spürte Agumons Feuer, das in dem Digimon loderte, und auch ihn wärmte, während sie beide mit starren Blick auf ein Zeichen warteten und die Zeiger der Uhr über das Zifferblatt kletterten. Und dann ertönte es über das Rauschen hinweg, ein Wispern, das sich über Raum und Zeit erhob und die Geheimnisse der Welt zu bewahren schien. „Ich wusste, dass du kommen würdest, Taichi.“ Zwischen den strudelnden Kirschblüten, die sie vor der Außenwelt abschirmten, tauchte eine schemenhafte Gestalt auf, die sich langsam näherte. Es war die Gestalt eines Jungen, der ihm gerade einmal bis zu den Schultern reichte. Seine Hose war ausgeblichen und schien schon einige Abenteuer erlebt zu haben, während das weite Hemd ihm schlaff über die recht schmalen Jungenschultern fiel. Doch die mandelbraunen Augen täuschten nicht über sein wahres Alter hinweg. In ihnen spiegelten sich die Weisheit und Traurigkeit der Jahre wider. „Wie konntest du dir so sicher sein, Ryo?!“, antwortete er schließlich und musterte seinen Gegenüber. Viele Jahre war es her, dass der Junge ihn und seine Freunde aus Milleniummons Gefangenschaft befreit hatte. Damals hatten sie geglaubt Vamdemon endgültig besiegt zu haben, doch Milleniummon, der ultimative Feind der Digiritter, hatte einen Weg finden können, sie zu besiegen. Allein Agumon hatte es seiner Zeit geschafft, dem Digimon zu entkommen und einen Hilferuf zu senden. Nur einer war diesem Ruf damals gefolgt: Akiyama Ryo. Und auch wenn diese Erinnerung nur noch blass und schemenhaft wirkte, so hatte er nie ganz vergessen können, wie ein einzelner Junge sich aufmachte und sie aus ihrer Gefangenschaft befreite. Warum Ryo daraufhin nie ein Teil ihres Teams wurde, vermochte er nicht zu sagen. Vielleicht war es diese unheimliche Macht, die von dem Jungen ausgegangen war oder die Tatsache, dass er eine schicksalhafte Verbindung zu Milleniummon hatte, wie sich später zeigen sollte, als Milleniummon ihnen – wie all ihre Gegner – ein weiteres Mal den Kampf ansagte. Möglicherweise hatte Ryo ihnen aber auch nie verzeihen können, dass sie ihn letztendlich benutzt hatten. Doch damals hatte er keine andere Wal gehabt, als die Fähigkeiten des Jungen für seine Zwecke zu nutzen. Denn schlussendlich war er ein Krieger, ein Feldherr, der seine Soldaten effizient einsetzen musste. Doch der letzte von all den Kämpfen, die er gegen Milleniummon ausgetragen hatte, hatte Ryo alles abverlangt, das konnte er in den Augen des Jungen ablesen, der nun ein Gefangener in seinem Körper war, nachdem er Milleniummon endgültig besiegt hatte und zusammen mit dem Digimon verschwunden war. Er hatte Ryo für tot gehalten, bis dieser plötzlich vor einigen Wochen vor ihm aufgetaucht war, keinen Tag älter als bei ihrem letzten Aufeinandertreffen. Er hatte nicht genau verstanden, was mit dem Jungen geschehen war, aber dass Ryo sich über die Grenzen der digitalen Welt hinweg setzen konnte, sie bereiste, unabhängig von Zeit und Raum, so viel hatte er begriffen. Genug um seine eigene Sehnsucht zu wecken. „Wie ich mir so sicher sein kann, fragst du?“ Ryo lächelte, doch in seinen Mandelaugen leuchtete auch ein Funken Bedauern auf. „Du brauchst die Digiwelt so sehr, wie sie dich einmal gebraucht hat, Taichi. Du bist zu einem Teil von ihr geworden und hast dich in ihren Irrungen und Wirrungen verloren. Wie könntest du da noch ein normales Leben führen?“ Er schwieg und schloss für einen Moment die Augen. Noch konnte er umkehren. Vielleicht hatte Hikari seinen Brief noch nicht gelesen. Bis seine Nachricht Sora in Paris erreichte, würde es ebenfalls noch einige Tage dauern und auch die anderen würden von seiner Entscheidung erst erfahren, wenn er bereits verschwunden war. Dafür hatte er gesorgt. Ein stechender Schmerz fuhr durch sein Herz, während er an seine Freunde dachte und den gemeinsamen Nachmittag, bei dem er sich still und leise von ihnen verabschiedet hatte. Sie brauchten ihn nicht mehr. Jeder von ihnen musste nun sein eigenes Leben in die Hand nehmen. Es gab genügend Digiritter um den Frieden zu wahren. Seine Aufgabe als Krieger war jedoch erfüllt. Die Sehnsucht hatte ihn über all die Jahre nicht losgelassen, und als ihm Ryo, Wanderer durch Zeit und Raum, erschien, war seine Zukunft plötzlich so einleuchtend gewesen. Sein Weg erstreckte sich klar und deutlich vor ihm, ein Weg, der ihn zu neuen Orten führen würde, neuen Abenteuern und neuen Kämpfen. „Es wird Zeit“, stellte Ryo schlicht fest und fuhr sich durch das stachelige braune Haar. Sein Blick fand Agumon. „Davon haben wir schon so lange geträumt“, flüsterte es. „Abenteuer, Geheimnisse, Schätze…“ Er tätschelte seinem Partner den Kopf und lächelte, sie waren auf Ewig miteinander verbunden. Sein Blick kreuzte Ryos und sein Herz schlug aufgeregt in seiner Brust, wie an diesem verhängnisvollen ersten August vor vielen, vielen Jahren… „Bist du bereit?“ *** To live would be an awfully big adventure. (James M. Barrie – Peter Pan) *** Author’s Note: Hier sind wir nun, am Ende des Frühlings. Ich befürchte, einige von euch durch Ryos Auftreten gehörig zu verwirren. Deshalb erst mal eine kleine Erklärung. Es gibt den Tamer-Ryo und den Adventure-Ryo. Der zweite taucht hier auf. Tatsächlich hat er auch einen Cameo-Auftritt in der zweiten Staffel in Kens Erinnerungen, sowie im Film „Our Wargame“. Aber hauptsächlich ist Ryo die Figur aus den Digimongames, die sich allesamt im Adentureverse bewegen und eine Erweiterung der Handlung sind, bei denen Milleniummon in diversen Formen Ryos Endgegner ist. Insgesamt gibt es vier Spiele, aus Ryos Sicht. Ich habe keins davon gespielt, mich aber mit der Handlung beschäftigt und tierisch geärgert, dass ich davon nichts wusste, als ich FoD geschrieben habe. (das hätte einen erheblichen Einfluss auf die Handlung gehabt…) Falls ihr mehr über ihn erfahren wollt: http://en.wikipedia.org/wiki/Ryo_Akiyama und auf deutsch noch einmal hier: http://animexx.onlinewelten.com/weblog/504395/?tag=122845 So und nun zur Handlung selbst. Taichi ist für mich immer und immer ein Anführer, Krieger, Held. So sehr, dass er wahrscheinlich niemals ein Anzugträger, rechtschaffener Bürger oder sonst etwas sein kann. Kirschblütenschauer beschäftigt sich genau damit: Was bleibt nachdem der Kampf beendet ist und man so langsam erwachsen wird? Um Taichis Situation zu beschreiben, habe ich auf Frodos Worte aus Lord of the Rings zurück gegriffen: How do you pick up the threads of an old life? How do you go on, when in your heart you begin to understand there is no going back. There are some things that time can not mend. Some hurts that go too deep... that have taken hold... Natürlich ändert es nichts daran, dass es ein Abschied ist, und Hikari wird das sicherlich nicht so einfach hinnehmen. Aber es ist eben auch eine Konsequenz des Kämpfens. Vielleicht findet Taichi eine andere Digiwelt, vielleicht landen er und Ryo plötzlich in einem Paralleluniversum, in dem Menschen zu Digimon werden, Digimon ungehemmt miteinander fusionieren, oder Tamer ihren Digimon mit Karten beistehen, wer weiß, wer weiß. Letztendlich steckt in jedem Ende auch immer ein Neuanfang. Vielen Dank für euer Interesse und die lieben Kommentare, wir sehen uns im Sommer, bis dahin PenAmour Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)