Shelter von Swanlady (Repo! The Genetic Opera | Graverobber/Shilo) ================================================================================ Kapitel 1: Shelter ------------------ Shelter Innerlich verfluchte sich Shilo für diese idiotische Idee. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Grimmig fixierten ihre Augen das schwach flackernde Feuer, welches keine besonders gute Wärmequelle darstellte. Sie wusste nicht einmal mehr, wieso sie überhaupt so überstürzt aufgebrochen war. Nach einem Streit mit ihrem Vater war sie, wie schon so oft, zum Grab ihrer Mutter geflüchtet. Eigentlich hatte sie nur etwas Ruhe haben wollen, doch dann hatten sie ihre Füße ganz automatisch an den Ort getragen, der für sie tabu sein sollte. Schon einmal hätte sie sich hier beinahe große Schwierigkeiten eingehandelt, wäre nicht zufällig ein gewisser Grabräuber auf die Idee gekommen, den Müllwagen als kostenloses Taxi zu verwenden. Nun saß sie also hier, zwischen Mülltonnen und vor einem provisorischen Lagerfeuer, das Graverobber für sie entzündet hatte. Seufzend zog Shilo ihre Beine dicht an ihren Körper und stützte ihr Kinn auf ihren Knien ab. Neugierig glitt ihr Blick zu der kleinen Gruppe von Menschen, die sich am anderen Ende das Gasse tummelten. Selbst aus dieser Entfernung konnte sie sehen, dass Graverobber Geschäfte machte. Die kleine Zydrate-Phiole, die er in die Höhe hielt, schimmerte im Dunkeln. Unwillkürlich kroch eine Gänsehaut Shilos Rücken hinauf. Sie gehörte definitiv nicht an diesen Ort, an dem es nach Dreck, Blut und vor allem Gier stank. Es gab hier nur zwei Sorten von Menschen: die, die auf der Jagd nach Zydrate waren und die, die vollkommen high waren. Die letzte Stunde über hatte Shilo mit keinem gesprochen. Mehrmals hatte man sie gefragt, ob sie denn nicht etwas Z übrig hatte, doch statt zu antworten, hatte Shilo nur verschreckt mit dem Kopf geschüttelt. Ein Teil von ihr wollte nach Hause, wollte sich bei ihrem Vater entschuldigen und sich in die Sicherheit ihres Zimmers flüchten, doch der andere – weitaus stärkere – wollte hier bleiben. War das nicht immer ihr Wunsch gewesen? Draußen die Freiheit genießen? Nein, das hatte Shilo bestimmt nicht damit gemeint. Diese Menschen hier konnten gehen, wohin sie wollten, aber sie waren nicht frei. Sie waren noch viel ärmer dran als sie selbst. Abhängig, süchtig, gebrochen. Zu diesem Schluss war Shilo gekommen, als einer der Junkies direkt vor ihren Füßen ohnmächtig geworden war. „Kind?“ Erschrocken zuckte Shilo zusammen, als eine große Gestalt ihr plötzlich den Blick auf das Feuer verwehrte. Sofort wanderte ihr Blick nach oben, blieb an dem blassen Gesicht hängen. Graverobbers Augenbrauen waren skeptisch nach oben gezogen, während er Shilo musterte und seine letzten Ampullen Zydrate sicher in seiner Tasche verstaute. Schuldbewusst begegnete die Schwarzhaarige seinem Blick, denn sie wusste, dass sie Graverobber mit ihrem Auftauchen überrascht und ihm wahrscheinlich ein paar Pläne durcheinander gebracht hatte. Man glaubte es kaum, aber auch ein Grabräuber hatte einen geregelten Tagesablauf. „Ich dachte, du wärst wieder nach Hause gegangen.“ Es lag keinerlei Vorwurf in seinen Worten; er schien sich wirklich zu wundern, weshalb Shilo immer noch da saß, wo er sie vor einiger Zeit angewiesen hatte zu bleiben. Zugegeben, nicht besonders nett, aber was hätte er denn tun sollen? Drei seiner wichtigsten Kunden waren heute aufgetaucht, Graverobber hätte sie doch nicht einfach wegschicken können. Und mit sie meinte er sowohl seine Kunden, als auch Shilo. Langsam ließ sich Graverobber neben dem Mädchen nieder, taxierte sie immer noch mit einem fragenden Blick. Was machte sie überhaupt hier? „Ich wollte nicht nach Hause“, murmelte Shilo leise und signalisierte damit auch den Grund ihres plötzlichen Erscheinens. Stirnrunzelnd versuchte Graverobber eins und eins zusammenzuzählen, doch wirklich gelingen wollte es ihm nicht. Schon im nächsten Moment verflog seine Neugier und er zuckte mit den Schultern. „Dann bleib hier“, bot er ihr an. Für ihn machte es ohnehin keinen Unterschied. Diese Gasse war nicht sein Zuhause, falls sie das dachte. Sie war nur sein Arbeitsplatz, einer von vielen. Ein Zuhause hatte Graverobber nicht. Wahrscheinlich würde er das erst wieder haben, wenn er in seinem Sarg und in einem Grab lag. Ein groteskes Grinsen erschien auf den Lippen des Mannes, als dieser Gedanke ihm durch den Kopf schoss. Bevor er jedoch endgültig in Selbstironie verfallen konnte, wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Shilo zu, die immer noch schweigend dasaß und erneut ins Feuer starrte. „Du zitterst, Kind“, stellte Graverobber sachlich fest und als Shilo wieder nicht reagierte, seufzte er auf und befreite sich geschickt von seinem Mantel. Das hatte ihm gerade noch gefehlt – ein Kind, um das er sich kümmern musste! Der Stoff des Kleidungsstücks raschelte, als Graverobber ihn um die Schultern des Mädchens legte und an seinen Platz zurückkehrte. Zum ersten Mal seit fünf Minuten sah Shilo auf und entlockte dem Grabräuber ein amüsiertes Lächeln. Sie wirkte überrascht. „Danke“, murmelte sie perplex und zog den Mantel augenblicklich enger um ihren Körper. Graverobber winkte ab und lehnte sich gemütlich gegen eine der Mülltonnen. Ja, wenn man keinen festen Schlafplatz hatte, dann fand man sogar diese Dinger irgendwann bequem. „Wieso tust du das?“, erklang plötzlich Shilos Stimme und wischte Graverobber das Lächeln von den Lippen. Unsicher verengten sich seine Augen zu Schlitzen. War das eine Fangfrage? Was meinte sie? Gerade wollte der Mann nachhaken, ob sie das Zydrate-Dealen oder seinen Mantel meinte, als Shilo fortfuhr: „Du hilfst mir immer wieder. Du behandelst mich anders. Anders als Amber Sweet. Anders als deine Kunden. Wieso?“ Für einen Augenblick starrte Graverobber sie an, als wäre sie der RepoMan höchstpersönlich, doch dann wandte er den Kopf zur Seite, um in die Dunkelheit der Gasse zu spähen und die schwarz geschminkten Lippen fest aufeinander zu pressen. Verflucht, dieses Mädchen hatte recht. Es war ihm bisher gar nicht aufgefallen. Er beschimpfte sie nicht wie Amber, er verlangte kein Geld von ihr, wenn er ihr aus der Patsche half. Zugegeben, meistens war er für diese Schlamassel verantwortlich gewesen, doch von einem Egoisten, wie er es war, konnte man selbst dann erwarten, dass er Bezahlung verlangte. Das tat er aber im Fall von Shilo nicht. Der beste Beweis dafür war die jetzige Situation. Egal, wie angestrengt Graverobber überlegte – er fand keine Antwort auf ihre Frage. Obwohl er sie nicht ansah, konnte er den stechenden Blick ihrer Rehaugen auf sich spüren. Verdammt, ein Kind würde ihn doch nicht dermaßen in die Enge treiben! „Du bist nicht so verwöhnt und selbstverliebt, wie dieses Miststück von Amber es ist. Außerdem reicht dein Taschengeld bestimmt nicht aus, um dir Z zu kaufen.“ Wieder huschte ein kurzes, charakteristisches Grinsen über das weiße Gesicht, bevor Graverobber es Shilo gleich tat und, wie sie vorhin, in die Flammen stierte. Die Antwort hatte er sich auf die Schnelle ausgedacht, aber was wollte dieses Mädchen schon hören? „Weißt du… du bist wahrscheinlich der einzige Freund, den ich in dieser Stadt habe.“ Graverobber musste ein paar Mal blinzeln, bevor er realisierte, dass Shilo das gerade wirklich gesagt hatte. Ihre Naivität amüsierte den Grabräuber so sehr, dass er lauthals auflachte, sodass man sein Gelächter in der gesamten Gasse hören konnte. Das konnte doch nicht ihr Ernst sein, oder? „Freund? Oh, Shilo… du musst noch so viel lernen. Ich kann nicht dein Freund sein, weil es für mich auf dieser Welt nur zwei Dinge gibt, die mich interessieren: Gräber und Geld.“ Schmunzelnd faltete Graverobber die Hände vor der Brust. Wenn Shilo noch mehr von diesen lustigen Sätzen auf Lager hatte, dann würde das vielleicht doch ein unterhaltsamer Abend werden! „Wieso hast du mich dann gerade beim Namen genannt?“ Diese Frage nahm Graverobber den Wind aus den Segeln. Shilo sah, wie seine Gesichtszüge entgleisten und nur noch Verwirrung darauf zu erkennen war. Seine Augäpfel huschten nervös über ihr Gesicht, als würde er sich in Erinnerung rufen müssen, was er eben gesagt hatte. Die Schwarzhaarige wartete geduldig auf ihre Antwort. Ihr war nicht mehr kalt. Der seltsamerweise recht angenehme Geruch, der von seinem Mantel ausging, beruhigte Shilo. Graverobber hielt sie für ein naives Mädchen, aber er konnte all die Dinge nicht leugnen, auf die sie ihn angesprochen hatte. Sie sah mehr, als dem Zydrate-Dealer wohl lieb war. „Du solltest schlafen gehen.“ Shilo wartete noch ein paar Sekunden, aber eine Antwort würde sie auf ihre Frage wohl nicht erhalten. Seufzend legte sie sich auf den Boden, Graverobbers Mantel noch immer um ihren zierlichen Körper gewickelt. Sie schloss die Augen, doch müde war sie überhaupt nicht. Stattdessen lauschte sie in die Stille der Nacht hinein, die nur durch Graverobbers ruhiges Atmen gestört wurde. Shilo hatte das Gefühl, dass er sie beobachtete, doch sie traute sich nicht, die Augen noch einmal zu öffnen. „Graverobber?“, flüsterte sie. „Ja?“ „Weckst du mich vor Sonnenaufgang?“ Shilo wollte rechtzeitig zu Hause sein, bevor ihr Vater merkte, dass sie verschwunden war. „Natürlich, Kind.“ Ein glückliches Lächeln zierte Shilos Lippen. Selbst mit geschlossenen Augen konnte sie heraushören, dass Graverobber ihren nicht sehr kreativen Spitznamen mit mehr Ironie als sonst ausgesprochen hatte. Hosted by Animexx e.V. 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