100 Storys - es lebe die 'Un'übersicht von Trollfrau ================================================================================ Kapitel 1: 1. Freiheit ---------------------- Benny atmete tief durch, als die schwere Tür hinter ihm, wieder ins Schloss zurückgezogen wurde. Der kühle Luftzug, welcher ihn dabei traf, ließ ihn kurz frösteln. Aber nur ganz kurz, denn die Mittagssonne brannte erbarmungslos auf ihn herab. Hier, im Niemandsland, würde also sein Weg wieder von vorne beginnen. Er hatte die Chance auf einen Neuanfang bekommen. Wie lange hatte er hier gesessen? Es war ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen, doch im Augenblick schienen all diese Jahre wie weggeblasen. Benny griff sich seinen kleinen Koffer, mit den wenigen Habseligkeiten, die er mit hier her genommen hatte und verließ endlich das Gelände des Gefängnisses, in welchem er die wohl besten Jahre seines Lebens festgesessen hatte. Raubmord war der Grund gewesen. Er war ein böser Junge gewesen und die Tatsache, dass sich einzig seine kleine Schwester darauf freute, dass er endlich entlassen worden war, wurmte ihm enorm. Nicht seine Mutter, nicht sein Vater. Selbst alle Anderen schienen sich abgewandt zu haben. Benny hatte Zeit gehabt, über all das nachzudenken. Gedanken, die er jetzt jedoch zu verdrängen versuchte. Das einzige was für ihn im Augenblick zählte, war der Gedanke an Gracy. Seine kleine Schwester... Wieso nur hatte er nicht auf sie gehört? Warum hatte er von all dem nicht die Finger gelassen? Sie hatte, bei ihrem ersten Besuch hier, große Krokodiltränen vergossen und das ausgerechnet wegen ihm. Was war er nur für ein mieser Bruder gewesen... Bennys Schritte beschleunigten sich, als das breite Tor endlich in greifbare Nähe rückte. Zwei Polizisten flankierten dieses. Beide bewaffnet und mit Funkgerät ausgestattet. Sein herannahen wurde auf dem Kiesweg sofort bemerkt und einer der Beiden wand sich um. Benny wollte sie mit irgendwelchen Worten begrüßen, doch nichts kam über seine Lippen. Er wollte einfach nur von hier weg. Der im Inneren stehende Polizist gab über das Funkgerät die Anweisung, dass Tor zu öffnen, was auch keinen Augenblick später geschah. Benny wurde unruhig. Er war kein besonders geduldiger Mensch und im Augenblick platzte er fast vor Anspannung. Endlich. Wenn er dieses Tor passiert hatte, würde er endlich wieder einen Namen haben. Nicht mehr länger nur eine Nummer sein, von vielen. Auf das Nicken des Wachmannes hin, trat er schließlich hinaus. Nur kurz blieb er stehen und zwang sich dazu, noch einmal zurück zu blicken, dann sah er jedoch zu, dass er von hier weg kam. Weit ab, von der Zivilisation stand der vergitterte Bau, der für einige Jahre sein Zuhause geworden war. Und erst jetzt, wo er Gitter, Mauer und Stacheldraht den Rücken zugezehrt hatte, roch er den Duft der Freiheit. Auch wenn diese im Augenblick eher nach dem Gestank eines Schwerlasttransportes roch, der eine schwarze Abgaswolke hinter sich herzog. Frei! Endlich wieder frei! Benny hob den Blick. Bis zur nächsten Bushaltestelle würde er noch ein ganzes Stück laufen müssen. Er hätte auch Gracy anrufen können, doch er wusste dass ihr Dienstplan immer recht wenig Zeit ließ. So hatte er wenigstens Zeit, wieder runter zu kommen. Dieser Fußmarsch würde ihm gut tun. Von hier aus war es jedoch nicht mehr allzu weit, bis ins Industriegebiet dieser Stadt. Die Umrisse der ersten Fabrikanlagen waren gut sichtbar. Benny hätte aufschreien können vor Glück. Ein Gefühl, welches er so lange schon nicht mehr gespürt hatte. Doch er tat es nicht. Nein, er versuchte sich zusammenzureißen. Aber das Bedürfnis, eine Zigarette zu rauchen, war plötzlich zurück. Er hatte sich das Rauchen im Gefängnis abgewöhnt. Viel zu oft gab es einfach Schlägereinen der vermaledeiten Klimmstängel wegen. Er hatte irgendwann keine mehr, also musste er nicht darauf Acht geben. An der Bushaltestelle angekommen, blickte er fast schon wie ein Hinterwäldler auf den Fahrkartenautomat. Wie war das noch gleich? Hatte er überhaupt jemals so ein Ding bedient? Die Antwort darauf, war nach einer kurzen Überlegung jedoch ein klares Nein. Er war sogar überhaupt kaum mit dem Bus gefahren. Dann würde er eben das Ticket beim Fahrer kaufen. Diese Möglichkeit gab es ja auch noch. Benny wollte sich gerade auf der metallenen, gelblackierten Bank niederlassen da rollte der Bus auch schon ein. Na das klappte doch wunderbar. Beim betreten des Busses blickte Benny sich kurz um. Nur eine Handvoll Leute saßen hier. „Einmal Zentrum bitte“, sagte er schließlich und blickte ihn erwartungsvoll an, während er seine Geldbörse hervorzog und einen Zehner zur Hand nahm. Argwöhnisch hing der Blick des Busfahrers an ihm. Er wusste scheinbar, woher sein augenblicklich neuer Fahrgast gekommen war. Benny jedoch lächelte nur und wartete darauf, dass er endlich seine Fahrkarte bekam. Er war einfach viel zu gut gelaunt, als das ihn irgendetwas jetzt hätte aus der Ruhe bringen können. Als er endlich bezahlt und sein Ticket erhalten hatte, trat er fast bis ganz nach hinten durch. Ihm gegenüber saß ein Kerl, mit Kopfhörern in den Ohren und die Kapuze ziemlich tief ins Gesicht gezogen. Er würdigte ihn nicht eines Blickes. Benny ließ sich nieder und stellte den Koffer auf dem Boden ab. Sein Blick fiel sofort aus dem Fenster und er genoss es nahezu, dass sich die Landschaft keinen Augenblick später immer schneller an ihm vorbeischob. Und wieder musste er an seine Schwester denken und den Grund, warum er eigentlich hier eingesessen hatte. Gracy war Krankenschwester. Der Kerl, den er damals überfallen und angeschossen hatte, war zu allem Überfluss in ihre Hände gekommen. Sie und die Ärzte hatten um sein Leben gekämpft, es jedoch nicht retten können. Gracy hatte ihm das bei ihrem ersten Besuch sofort gesagt. Auch das war wieder einer der Gründe, warum er sie bewunderte, dass sie ihm nicht auch den Rücken zugewandt hatte. Benny schloss die Augen und versuchte abzuschalten, was nach all dem leichter gesagt war, als getan. Die weitere Fahrt über passierte nichts bewegendes mehr. Benny war sicherlich eine halbe Stunde unterwegs gewesen, bis er mit einem Gefühl der Überwältigung an der Haltestelle ausstieg. Er kam sich vor, als wäre er nie in dieser Stadt gewesen. Alles schien verändert. Nahezu wehmütig trat er schließlich über den Zebrastreifen, als die Fußgängerampel endlich grün zeigte. Seine Schwester hatte eine kleine Mietwohnung nicht weit von hier. Gracy hatte ihm gesagt, dass er so lange bei ihr wohnen konnte, bis er etwas Eigenes gefunden hatte. Und wegen einem neuen Job würde es wohl ohnehin noch ein bisschen dauern. Dennoch sah er der Sache optimistisch entgegen. Er hatte endlich die Zügel seines Lebens wieder in seine Hände zurück bekommen und dieses Mal würde er sie anständig führen! Das hatte er sich geschworen und das hatte er auch seiner kleinen Schwester versprochen. Am Haus, in dem sie wohnte, angekommen, klingelte er zunächst, doch auch nach dem widerholten Klingeln, zeigte sich keine Reaktion. Sie war also auf Arbeit. Wie Benny bereits angenommen hatte. Also würde er Option zwei wählen. Er nahm abermals die Geldbörse heraus und zog aus dem Münzfach den Haustürschlüssel hervor. Sie hatte ihm diesen irgendwann gegeben. Wenn er in der Nähe war, konnte er jederzeit hinein. Sie hatte ihm immer vertraut, auch nach seinem fatalen Fehler. Dennoch hatte er jetzt irgendwie den Verdacht, dass dieser Schlüssel vielleicht gar nicht mehr passte. Vielleicht wurde in dieser Zeit ja das Schloss ausgewechselt? Seine Vermutung bestätigte sich nicht. Schnellstens trat er ein, dass er endlich von der Straße weg kam und eilig hastete er in den dritten Stock. Vor der Wohnungstür angekommen, machte sich sofort ein Grinsen in seinem Gesicht breit. Sie hatte doch tatsächlich noch immer das gleiche Versteck, für den Ersatzschlüssel, falls sie sich mal wieder ausgesperrt hatte. Die kleine pinkfarbene Blumenvase, auf dem Schränkchen, neben der Tür, in welcher eine weiße Kunststoffrose steckte. Und auch jetzt fand er beide Dinge wieder unheimlich hässlich. Zudem war die Blume schrecklich verstaubt. Ohne zu zögern nahm er die Vase zur Hand, zog die Rose heraus und schüttete sich den Schlüssel in die Hand. Ja, er hatte sich nicht geirrt. Schnellstens trat er ein und ließ den Koffer gleich neben der Tür stehen. In dieser Wohnung hatte sich ebenfalls nichts verändert. Auch jetzt sah die Grünpflanze, die auf dem Fensterbrett, gegenüber der Wohnzimmertür stand, jämmerlich aus. Benny ließ es sich nicht nehmen und gab ihr einen anständigen Schluck Wasser, dann trat er in die Küche. Auf dem Tisch, in der Küche, lag ein Zettel und das einzige was darauf geschrieben stand, war das Wort: KÜHLSCHRANK! Ob diese Information für ihn war? Für sich selbst hatte sie diese sicherlich nicht hier hingetan. Sie hatte wohl damit gerechnet, dass er hier hereinkam, oder war diese Info für irgendjemand anderen? Er würde es gleich wissen, so hoffte er. Als er die Kühlschranktür öffnete, fiel ihm sofort die für ihn riesige, eckige Sahnetorte ins Auge. Hatte jemand Geburtstag? Gab es etwas zu feiern? War dieser Kuchen doch für irgendjemanden anderes bestimmt? Doch dann sah er endlich die Aufschrift, welche mit rotem Zuckerguss darauf geschrieben stand: WILLKOMMEN ZURÜCK IN DER FREIHEIT, GROSSER BRUDER! Für einen Augenblick setzte sein Herz aus. Das konnte doch nicht wahr sein! Benny spürte sofort, die Tränen aufsteigen. Wie hatte er Gracy nur so weh tun können. Augenblicklich hasste er sich selbst und schloss schnellstens wieder die Tür. Seine kleine Schwester... Den Kuchen würde er anschneiden wenn sie zurück war. Wie freute er sich darauf und wenn es sein musste, würde er davon so viel essen, bis ihm übel wurde. Benny rieb sich die Augen und schlurfte sichtlich gerührt, ins Badezimmer. Als er am Spiegel anhielt, bekam er gleich erst einmal einen Schreck. Du meine Güte! Wer war denn dieser Kerl, mit den schrecklichen Augenringen? Und furchtbar unrasiert sah er aus. Er würde sich ganz dringend noch rasieren müssen, bevor sein Schwesterchen hier auftauchte. Immerhin wollte er doch einen guten Eindruck machen. Er freute sich so sehr, sie zu sehen. Das Klingeln an der Wohnungstür hörte er wegen des Rasierapparates erst beim widerholten male. „Gracy?“, ging es ihm sofort durch den Kopf. Aber warum klingelte sie? Hatte sie ihren Schlüssel vergessen? Den Ersatzschlüssel hatte er jedenfalls mit in die Wohnung genommen. Wie dumm von ihm. Völlig unbedacht öffnete er die Wohnungstür und blickte sofort in den Lauf einer mit einem Schallschutz versehenen Waffe. Wie zu Stein erstarrt verharrte Benny in der Bewegung. Wer war dieser Kerl? Was wollte er hier? Oder von ihm? Kannte er ihn? Oder war das ein Auftragskiller? Woher wusste er, dass er hier war? War das etwa sogar der Kerl aus dem Bus? Hatte er ihn verfolgt? Wie war er überhaupt hier ins Haus gekommen? Ein gedämpfter Schuss hallte keinen Augenblick später durch das Treppenhaus. Kapitel 2: 2. Himmel (Gedicht) ------------------------------ Der Himmel So leuchtend Blau. Die kleinen Wolken, sie ziehen. Gerade so, als verjagte man sie, gerade so, als würden sie fliehen. Der Himmel eine Veränderung beginnt. Wind fegt darüber, mehr und mehr. Von Norden kommt der Sturm. kühlt ab die Luft. ungemütlich sehr. Der Himmel die Farben verblassen, stetig, er wird immer grauer. Schönheit löst sich auf. bis Schwärze alles umhüllt, wie eine Mauer... Kapitel 3: 3. Bikini -------------------- Nahezu wolkenlos war der Himmel. Die Sonne schien fast ungehindert auf die Erde herab, erfüllte diese mit angenehmer Wärme und zwischen den Wicken, die in voller Blütenbracht standen, bewegte sich etwas - Moritz. Eine grau getigerte Katze, welche mit ihrem Frauchen bereits seit einigen Jahren dieses Haus hier bewohnte. Ein großes Haus, wohl gemerkt. Ein Haus, in dem es genug zu entdecken gab – oder kaputt zu machen. Wie man es eben sah. Aber er war keine reine Hauskatze. Genauso gerne war er hier im Garten unterwegs. Wie gerade eben auch. Mit einem Satz war er aus dem Pflanzen herausgesprungen, schüttelte sich und hechtete über den Pflasterweg. Dann schlug er eine enge Kurve, um die nächste Hausecke und kam dort abrupt zum stehen. Seine Aufmerksamkeit fiel auf die, in der leichten Brise, wehende Gardine, im ersten Stock. Hier war die Küche seines Frauchens. Nur kurz verharrte er, dann setzte er seine Weg, mit erhobenem Schwanz, fort. Wachsam war sein Blick auf seine Umgebung gerichtet. Moritz schlich um den Feuerholzstapel herum und setzte seinen Weg auf dem Trampelpfad, der zu den Obstbäumen führte, fort, doch das Knarren eines Fensterladens ließ ihn abermals verharren. Seine Ohren zuckten, als er die genaue Richtung eben jenes vernommenen Geräusches ausmachte. Er wand sich abermals ab und näherte sich nun dem alten Wasserfass, an der Ecke des Schuppens, welcher an der Mauer stand, hinter welcher bereits das Grundstück der Nachbarn begann. Mit einem gezielten Sprung landete er auf den halbvollen und zum Glück abgedeckten Fass und hopste von dort aus auf das flache Schuppendach. Mit geschmeidigen Bewegungen flanierte er darüber hinweg. Gerade so, als wäre das hier ein Catwalk und von dort aus sprang er schließlich auf die Mauer. Moritz dehnte sich ausgiebig und ließ sich auf dem hohen Aussichtspunkt in der Sonne nieder, doch lange hielt es ihn dort nicht, denn etwas Anderes hatte bereits wieder sein Interesse geweckt. Moritz spazierte die Mauer entlang und reckte schließlich den Hals. Auf Nachbars Wäscheleine wehte etwas im Wind. Er sah Schnüre im Wind tanzen. Das perfekte Spielzeug! Um näher heranzukommen sprang er jedoch zunächst noch auf das kleine Vordach, des Nachbarhauses. Von hier aus war es nicht mehr weit. Doch wie das Leben eben so spielte, musste gerade in diesem Augenblick die Nachbarin an ihr Fenster treten. Moritz zuckte kurz zusammen, ließ sich von ihrer Gegenward jedoch nicht von seinem Vorhaben abhalten, doch seine Nachbarin hatte wohl den Braten gerochen. „Untersteh dich!“ Die junge Frau, mit der südländischen Erscheinung und ihrem ebenfalls auffallend südländischen Akzent, kniff verärgert die Augen zusammen. Moritz ließ sich jedoch nicht beirren. In leicht geduckter Haltung näherte er sich weiter der Dachkante. „Wirst du wohl von unserem Dach verschwinden!“, schimpfte die junge Frau verärgert. „Du Teufel!“ Dann sah sie sich im Zimmer nach etwas um, was sie werfen konnte, doch genau in diesem Augenblick setzte der Kater auch schon zum Sprung an. Zielgenau landete er mit den Vorderpfoten in einem orangefarbenen Bikinioberteil und riss dieses von der Leine. Die hölzerne Klammer, welche das Kleidungsstück dort gehalten hatte, flog in hohem Bogen davon. Geschickt landete der Kater auf der ungepflegten Wiese und besah sich seine Beute, doch so, wie sie jetzt hier auf dem Boden lag, ohne dass sich die dünnen Schnüre bewegten, hatte er sein Interesse daran kaum einen Augenblick später bereits wieder verloren. Von der jungen Frau am Fenster war schließlich nur noch ein Schreien zu hören, als sich der Katzer eiligst davon machte. Kapitel 4: 4. Brennen --------------------- Enttäuscht hatte er sich schließlich auf den Weg zurück gemacht. Zu Fuß. Und in diesem Augenblick war ihm nicht einmal mehr bewusst, dass man ihn ja bereits suchen könnte. Dass die Bullen längst hinter ihm her waren. Er hatte zwar die Waffe verschwinden lassen, aber seine Verkleidung hatte mehr als zu wünschen übrig gelassen. Schlurfenden Schrittes durchquerte er die beleuchteten Straßen der Innenstadt, sah dabei weder nach rechts, noch nach links. Das war es also. Er hatte gemordet und das auch noch umsonst. Ein Seufzen entfuhr Ádám, als er am Zebrastreifen kurz anhielt. Auf der Gegenüberliegenden Straßenseite war ihm zu viel Gedränge. Eine neue Bar hatte aufgemacht und genauso überlaufen war auch der Gehweg. Er setzte also seinen Weg auf der Seite fort, auf der er sich eben befand. Hatte er sich doch vorgenommen, sich mit seiner Schwester nach dieser Sache abzusetzen. Weit weg gehen und nie wieder zurückkommen. Nur er und Janika, doch was war passiert? Hatte er doch geglaubt, diese Leute hätten zumindest ein Fünkchen Ehre im Leib, er war bitter enttäuscht worden. Von wegen, er hätte den Auftrag nicht erfüllt. Sie wollten ihn einfach nur drankriegen. Die Sache mit dem Drogenverkauf in ihrem Revier hatten sie ihm wohl übler genommen, wie er gedacht hatte. Sie hatten sie umgebracht und nun? Nun stand er alleine da. Noch weitere Aktionen gegen diese Bastarde würden zu nichts führen. Sie hatten ihn am Arsch und sollte er es dennoch wagen, würden sie ganz bestimmt irgendwen schicken und dieser würde seinen Auftrag auch ganz sicher zu ihrer Zufriedenheit erfüllen. Ádám bog in die nächste Straße ein und wenige Häuser weiter kam er zu einer Tankstelle. Gedankenverloren hielt er an und heftete seinen Blick auf das Firmenlogo über der Preistafel. Sollte er? Sollte er wirklich? Er zog die Geldbörse aus der Hosentasche und überprüfte den Inhalt. Es würde reichen. Mit dem dort gekauften und gefüllten Kanister Benzin machte er sich auf den Weg zurück nach Hause. Warum sollte er hier noch weitermachen wollen? Janika war seine einzige Familie und Janika war tot. Sein Spiel war gespielt. Er hatte nichts mehr zu verlieren und die Bullen würden ihn ohnehin kriegen. Als er die Wohnungstür öffnete stank es nach Rauch. Ein stickiger Geruch, der ihm allerdings mehr als vertraut war. Seine Schwester hatte diese Wohnung gehasst, aber sie lebte ja auch bei einer Freundin von ihr. Auch wenn es ihm zunächst nicht geschmeckt hatte, hätte er sie unmöglich dazu zwingen können, hier mit zu leben. Aber genau diese Tatsache, dass sie nicht in unmittelbarer Nähe gewohnt hatte, hatte es für diese Bastarde so leicht gemacht, sie zu entführen. Ádám betrat das Bad und stellte den Kanister auf dem Toilettendeckel. Dann ließ er Wasser in der Wanne ein und wartete mit einer Zigarette im Mund darauf, dass genügend Wasser eingelaufen war. Unruhig spielte er dabei mit dem Feuerzeug herum. Es war silberfarben und die Kontur einer nackten Frau war darauf zu sehen. Er mochte es, wie es in der Sonne oder im Schein der Flamme glänzte. Als er den Blick wieder hob, war die Wanne für sein Vorhaben voll genug. Er drehte das Wasser ab und nahm den Kanister zur Hand. Schweigend öffnete er den Drehverschluss und ließ den Inhalt ebenfalls in die Wanne laufen. Mit einem hübschen Benzinfilm auf dem Wasser ließ sich sicherlich etwas machen. Ohne länger zu überlegen stieg er, so wie er war, in die Wanne. Selbst die Schuhe ließ er an seinen Füßen. Das stinkende Wasser um ihn herum raubte ihm für den ersten Moment die Luft, doch er versuchte es zu ignorieren und konzentrierte sich stattdessen auf das Feuerzeug in seiner Hand. Noch wenige Augenblicke… Sein Kopf fühlte sich zum Glück völlig leer an. Dann entfachte er die Flamme. Die nackte Lady auf dem Feuerzeug glänzte in den schönsten rötlichen Farben. Dann senkte er die Hand. Ganz langsam. Ádám war irgendwie zu keiner schnellen Bewegung in der Lage. Es kam ihm vor, als würde ihm jemand eine Zeitlupe aufzwingen. Um ihm die Sache noch qualvoller zu machen. Dann war die Hand bereits unter Wasser und als die Flammen mit dem Benzin in Berührung traten, bereiteten sie sich schlagartig aus. Die Zeitlupe war aufgelöst. In Windeseile stand er in Flammen. Ein Brennen, welche sein Shirt sofort zerfraß. Es wanderte an ihm hinauf. Er spürte es keinen Moment später in seinem Gesicht. Ádáms Augen begannen zu tränen, doch er hielt sie zusammengekniffen. Sein Weg war hier zu Ende. Für ihn gab es kein Zurück mehr. Als er schließlich doch die Augen öffnete, war er umgeben von Flammen. Er spürte das Brennen deutlich an jeder Stelle seiner Haut und er begann zu hoffen, dass er es bald überstanden hatte. Doch mit einem Male fuhr er auf. Die Sirene einer Feuerwehr brachte ihn wieder zu klarem Verstand. Als er den Blick hob, stand er noch immer an der Tankstelle und genau in diesem Augenblick fuhr ein Feuerwehrauto in rasender Geschwindigkeit hinter ihm vorbei und verschwand in der nächsten Straße. Ádám warf einen Blick an sich herab. Er stand nicht in Flammen. Er war in Ordnung. Doch das Brennen schien noch da zu sein. In seiner Brust loderte es weiter. Kapitel 5: 5. Zigarette ----------------------- Vom schummrigen Licht und dem eigenwilligen Geruch dieser Bar umgeben, saß er am Tresen und ließ den Tag Revue passieren. Eigentlich wollte er nicht nachdenken und doch tat er in diesem Augenblick genau das. Sein Leben war ihm aus dem Fingern geglitten. Es war zwar zuvor schon nicht besonders rosig gewesen und schien steiler bergab zu gehen, wie er es erwartet hatte, doch jetzt war ihm alles genommen worden. Völlig allein da zustehen war eine Erfahrung, die er nie machen wollte. Eine kalte, innere Leere hatte ihn erfasst. Der Gedanke an den komischen Traum vor der Tankstelle ließ ihn ebenfalls nicht los. Der Traum, von den Flammen, die ihn umgaben und die er selbst herbeigeführt hatte. Doch das einzige, was er sich dort anschließend gekauft hatte, war diese Schachtel Zigaretten, die er hier nun vor sich liegen hatte. Neben dem Feuerzeug mit der Frauengestalt. Den Blick gesenkt, fuhr er mit dem Zeigefinger über ihr Gesicht. Dann spürte er wieder den Stich in seinem Herzen. Seine Schwester war tot. Wieso!? Wieso hatten sie sie umgebracht? Er hatte das, was sie von ihm verlangt hatten, doch erledigt! Dieser Drecksack! Ádám spürte deutlich, wie sein Herz erneut schrecklich zu rasen begann und er griff sich sein Bierglas, um schnellstens einen Schluck zu trinken. Was sollte er jetzt nur tun... Das Quietschen eines Stuhls weckte schließlich schwach seine Aufmerksamkeit. Es kam aus dem Zimmer, hinter dem Tresen. Der Mann, der bis eben noch hier gestanden hatte, saß nun da drin und nur wage konnte Ádám erkennen, dass dieser wohl Kreuzworträtsel löste. Er schien sich zu langweilen. Ádám hob knapp den Blick und schaute sich um. Außer ihm, schien niemand hier zu sein. Es war eben mitten in der Woche und so besonders zentral gelegen war diese Bar nun auch wieder nicht. Dazu kam wohl ebenfalls die eher lieblose Einrichtung. Nicht gerade ein Kundenfang. Ein Seufzen entwich ihm und er presse die Augen fest zusammen. Denn auch dabei musste er wieder an Janika denken. Als sie das erste Mal in seiner Wohnung war, hatte sie so reagiert, wie sie es hier wohl auch getan hätte. Sie hatte dies und das bemängelt, wollte hier und da ein Pflänzchen oder eine Deko hinstellen und so weiter. Mit dieser Macke war sie voll und ganz nach ihrer Mutter geraten. Die bunten Kissen, welche ihm Janika irgendwann auf die Couch gestellt hatte, hatte er jedoch wieder verschwinden lassen, weil sie ihn verrückt gemacht hatten. Davon hatte sie nie etwas erfahren. Das brennen in seinen Augen war nicht länger zu ignorieren. Irgendwie brachte ihn im Moment jeder Gedanke zu seiner Schwester. Was sie wohl mit ihr gemacht hatten? Er wollte es nicht wissen. Ein Luftzug und das anschließende knarren einer Tür, ließ ihn aufhorchen. Jemand hatte die Bar betreten. Ádám vernahm eine gemurmelte Begrüßung, dann nahm jemand auf dem Barhocker neben ihm Platz, ohne jedoch erst die Jacke abzulegen. Der Barmann, mit dem wohl eher unfreiwillig grimmigen Blick, war sofort zur Stelle und schenkte das, vom eben eingetretenen Kunden, bestellte Bier ein. Dann jedoch verschwand er bereits wieder nach hinten. Einige Minuten saß Ádám schweigend neben dem fremden Kerl und die Stimmung, welche der andere verbreitete, war keine andere, wie es schien. Das erdrückende Schweigen zweier Männer, die genug gesehen hatten, in ihrem Leben. Nur kurz warf er einen Blick zu ihm hinüber, um dabei festzustellen, dass dieser seinen Blick fest auf das Feuerzeug gerichtet hatte. Die kleine, silberne Lady, mit den perfekten Rundungen. Das Glas hatte er dabei nur in der Hand. Machte keine Anstalten, es anzuheben, um einen Schluck zu trinken. Er saß einfach nur da und starrte auf das Feuerzeug. Seufzend wand Ádám den Blick wieder ab und hängte ihn stattdessen an die Zigarettenschachtel. Er hatte die Folie noch nicht abgezogen. Sie war so, wie er sie gekauft hatte, in seine Jackentasche gewandert, doch in Gegenward des Anderen begann er sich zunehmend unwohler zu fühlen. So sehr, dass ihn diese Beklemmung schließlich dazu brachte, vom Barhocker aufzuspringen. Er brauchte jetzt ganz dringend eine Zigarette, doch da hier in diesem Teil der Bar das Rauchen verboten war, würde er jetzt in das kleine Räumchen gehen, welches sich rechts neben dem Tresen befand und genau dafür vorgesehen war. Diese verdammte Rauchverordnung hatte auch in diesem Laden nicht halt gemacht, obwohl es völlig egal war, wo man hier rauchte. Im Grunde stank der ganze Laden. Aber jetzt hier von diesem Kerl wegzukommen, war ihm mehr als recht und wenn er ehrlich sein wollte, sein eigentliches Ziel. Ádám hatte sich kaum auf der schlecht gepolterten Eckbank nieder gelassen, die Folie der Schachtel abgezogen und die Packung geöffnet, da wurde die Tür mit dem Glasfenster ganz vorsichtig aufgezogen und als er aufblickte, durfte er feststellen, dass es doch tatsächlich dieser Kerl wieder war. Er war ihm gefolgt und stand nun unschlüssig in der Tür. „Ich will Sie nur ungern belästigen“, begann er schließlich und sah auf den Tisch, „aber könnte ich vielleicht eine Zigarette haben?“ Überrascht hob Ádám die Augenbraue. War das sein Ernst? Diese Frage verirrte ihn. Hatte er keine eigenen? „Sicher“, gab er jedoch zurück. Warum auch nicht. Er konnte nur hoffen, dass dieses gemeinsame hier sitzen, nicht in einer Unterhaltung endete. Darauf hatte er jetzt nicht die geringste Lust, wenn man einmal davon absah, dass er sich nie gerne unterhielt. Zum einen war er einfach nicht der Typ für tiefgründige Gespräche und zum anderen war er dieser Sprache auch jetzt noch nicht so ganz mächtig, dass ihm hin und wieder einfach die richtigen Worte fehlten. Der Fremde ließ sich nieder und selbst Ádám entging es nicht, dass er sich dabei nicht im Geringsten wohl fühlte. Was für ein Zufall. Und doch hatte er sich dazu durchgerungen? Um seine Anspannung zu lösen, hielt Ádám ihm die geöffnete Schachtel rasch entgegen. „Vielen Dank“, bekam er dafür als Antwort und der Blick seines Gegenübers sagte ganz klar aus, dass er erleichtert war, diese Hürde gemeistert zu haben. Beim Feuerzeug bediente er sich schließlich selbst. Doch anstelle es zu benutzen, sah er es sich genauer an und drehte es in den Fingern. „Schönes Feuerzeug“, gab er Ádám schließlich zu verstehen. Dieser nickte lediglich und verkniff sich ein Seufzen. Nun hatte er sie doch am Hals: eine Unterhaltung. Oder waren das bereits alle Worte? Er hoffte es, doch er sollte enttäuscht werden. „Eigentlich hatte ich damit aufgehört...“, murmelte sein Gegenüber schließlich und nahm weiteren einen Zug. Ádám blickte ihn kurz an, während er seinen blauen Dunst ausstieß. „Dann sollten Sie froh sein, es geschafft zu haben und gar nicht erst wieder anfangen.“ Er hatte es schließlich auch versucht, wiederholt, aber er hatte es nicht geschafft, von diesen Dingern wegzukommen. Froh, diesen Satz halbwegs fehlerfrei herausbekommen zu haben, lehnte er sich auf der Bank zurück. Mit dieser Sprache tat er sich manchmal noch immer schwer. Er war zwar bereits sein einigen Jahren hier im Land, aber hin und wieder fehlten ihm einfach die rechten Worte. Darum hatte er sich auch angewöhnt langsam zu sprechen. Janika hatte sich da weniger schwer getan. An den verschiedenen Sprachen war sie schon immer interessiert gewesen. Er hingegen wollte immer lieber seine Ruhe haben, als sich mit allen Völkern der Welt verständigen zu können. „Ich...“ Ruben aschte den Glimmstängel ab und begann diesen nahezu fasziniert zu betrachten, während er ihn mit den Fingern hin und her drehte. „Das Leben kann auch ohne diese Dinger so schnell vorbei sein.“ Wem sagte er das? Ádáms Magen verkrampfte sich. Ihm brauchte er so etwas sicherlich nicht erklären. Er kannte beide Seiten und er hatte beiden Seiten hilflos gegenüber gestanden. Sollte das jetzt eine Gefühlsduselige Unterhaltung werden? Das war genau das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte. Nicht einmal in einer schummrigen Bar wie dieser war er also vor so etwas sicher und er begann sich irgendwie zu ärgern, dass er dem Kerl hier überhaupt eine Zigarette angeboten hatte. „Ich habe heute einen guten Freund und Kollegen verloren“, begann der Andere schließlich zu erzählen und nahm einen weiteren tiefen Zug. Ádám horchte auf und hatte urplötzlich ein seltsames Gefühl in der Magengegend. Unruhig begann er ihn zu beobachten, doch um zu fragen, was passiert war, fehlte ihm der Mut. Er würde es schon erzählen, hoffte er. Schließlich war er bis jetzt doch auch recht redselig gewesen. „Haben Sie von dieser Schokoladensache gehört?“ Diese Worte brachten ihn schließlich aus seinen Gedanken. Ádám runzelte die Stirn und schüttelte anschließend den Kopf, was Ruben dazu brachte, die Sache zu erläutern, ohne jedoch zu genau zu werden. „Sehen Sie keine Nachrichten?“ Immerhin lief diese Sache im Augenblick auf den Sender förmlich rauf und runter. Doch auch jetzt schüttelte Ádám nur den Kopf. Um zu erfahren, dass jemand gesucht wurde, der einen Exknacki und einen Passanten erschossen hatte? Besser nicht. Unwohl klammerte er sich an seinem Glas fest. „Auf jedem Sender läuft die Warnung vor dem Verzehr dieser Schokolade. Sämtliche Bestände in den Geschäften wurden zurückgerufen.“ Auch jetzt bekam er nur einen unwissenden Blick zurück. „Ich weiß nichts von einer Schokolade“, sagte er schließlich, um seine Versuche, ihm das Geschehene nahezubringen, endlich zu unterbinden. Ruben seufzte und weitete die Sache nun allerdings doch noch ein bisschen mehr aus. „Die vermeintliche Mordreihe, an der mein Kollege und ich dran waren, hat sich nun wohl als Erpressungsversuch an diese Firma herausgestellt. Oder wer auch immer seine Finger dort im Spiel hat. Eine chemische Substanz, die nun in sämtlichen, sich auf dem Markt befindlichen Tafeln der Sorte Traube-Nuss nachgewiesen wurde.“ KOLLEGE, hallte es in Ádáms Kopf wider, ohne irgendwie auf den restlichen Inhalt dieser Worte einzugehen und ein ungutes Gefühl beschlich ihn, aber das konnte unmöglich sein. Der Kerl, den er erschossen hatte, war kurz zuvor aus dem Knast entlassen worden. Oder vielleicht die anderen Beiden, die plötzlich vor der Haustür gestanden hatten? Ihm wurde es heiß. „Sie sind bei der Polizei?“, war schließlich die Frage, die seinen Mund ohne Rückhalt verließ. Sein Gegenüber nickte und Ádám musste sich furchtbar beherrschen, nicht in Panik zu geraten, oder sich sonst irgendwie verdächtig zu machen. Stattdessen zog er eine weitere Zigarette aus der Schachtel und hielt diese auch Ruben erneut entgegen. „Das tut mir leid.“ Er musste sich beruhigen! Und anschließend so unauffällig wie möglich verschwinden! War sein Gesicht vielleicht aus diesem Grund noch nicht in den Medien aufgetaucht? Irgendwie zweifelte er jedoch an diesem Gedanken. Waren doch Mordfälle Dinge, auf welche sich die Medien wie hungrige Wölfe stürzten. Lediglich mit einem dankbaren Nicken, nahm sein Gegenüber die weitere Zigarette an. Schweigend vergingen die nächsten Minuten. Ganz so, als hätten Beide genug gesagt. Als gäbe es nichts mehr, was noch gesagt werden musste. Unter Männern war es eben anders, als unter den meisten Frauen. Zeit verlor an Bedeutung. Ádáms Blick hing an seiner angefangenen Zigarette in seiner Hand. Er beobachtete die Rauchschwaden. Irgendwie faszinierend. Er rauchte schon so lange und doch hatte er sie nie auf diese Weise betrachtet. Als er den Blick wieder hob, bemerkte er, dass sein Gegenüber ihn zu betrachten begonnen hatte. Ádám nahm einen Zug und versuchte unbeteiligt zu wirken, als die Tür plötzlich geöffnet wurde. Eine junge Frau war es, welche eintrat. Sie war sehr blass und wirkte irgendwie unterernährt. Vielleicht nahm sie auch Drogen und das bereits seit längerer Zeit. Gesund sah sie jedenfalls nicht aus. „Guten Abend , die Herren.“ Ihre tiefe Stimme verwirrte Ádám für den ersten Moment. Sie passte nicht zu ihrer schlanken, zierlichen Gestalt. Die Fremde hatte ein Glas Wein in der Hand und ihr Lächeln wirkte aufgesetzt. „Darf ich mich zu Euch setzen?“ Noch bevor Ruben dazu kam, etwas zu erwidern, hatte sie bereits neben ihm Platz genommen. Wie es schien, war sie kein Kind von Traurigkeit, kam es Ádám in den Sinn. Von Schüchternheit keine Spur. Dabei sah sie noch so jung aus. Was sie wohl wollte? Nur zaghaft nippte sie an ihrem Rotwein. Das die beiden Männer nicht einmal Ansatzweiße auf ihre Gegenward eingingen, schien ihr wohl nicht sonderlich zu gefallen. „Hat nicht einer von euch beiden Hübschen Lust, mich nach Hause zu begleiten?“ Abwechselnd sah sie die Zwei dabei mit einer gewissen Erwartung im Blick an. Ádám runzelte die Stirn und begann sie ebenfalls genauer zu mustern. Ihre Aufmachung ließ ihn an eine Hure denken. Brauchte sie vielleicht Geld? Sollten ihre Worte ein Scherz sein? Seine letzte Rasur lag Tage zurück. Er sah wohl alles andere als gut aus. Eher wie ein Halbwilder. Sein Blick fiel wieder zu Ruben. Dieser schwieg jedoch, war allerdings ein Stück von ihr weggerückt. Diese Lady schien ihm nicht minder Unheimlich zu sein. Auch wenn sie versuchte, ruhig zu wirken, sagten ihre hektisch umherblickenden Augen etwas ganz anderes. Man hätte meinen können, sie sei auf Beutezug, oder hatte es zumindest besonders eilig, um an ihr Ziel zu kommen. „Kein Interesse“, sagte Ádám schließlich trocken und schenkte ihrem nur leicht bekleideten Busen nicht einen Blick. Er hatte sich nie Mühe gegeben, auf eine Frau einen guten Eindruck zu machen. Seit er auf die schiefe Bahn geraten war, hatte bei ihm das Interesse an Frauen irgendwie nachgelassen. Vielleicht steckte ja doch irgendwo in ihm ein guter Kerl, der die Frauen dabei nicht unnötig in Gefahr bringen wollte. Aber mit einer Hure wollte er gleich recht nichts zu tun haben. „Hören Sie, Miss...“ Ruben brachte ohne eine Miene zu verziehen, seine Polizeimarke hervor und hielt sie ihr kurz aber gut sichtbar unter die Nase. „Sie sollten sich etwas überziehen und nach Hause gehen.“ Damit ließ er die Marke wieder verschwinden. Ádám schluckte und wurde nun erst recht nervös. Auch wenn sie nicht ihm gegolten hatte, war der Respekt dem Mann ihm gegenüber angestiegen. Er musste von hier weg! Vielleicht erinnerte sich dieser Kerl ja doch irgendwann noch an sein Gesicht. Das konnte er nun wirklich nicht gebrauchen. Die leichtbekleidete Lady erhob sich daraufhin wieder, ohne ein Wort. Abschätzig betrachtete sie stattdessen die beiden Männer. Nur kurz jedenfalls. Dann stellte sie ihr Glas auf den Tisch und verließ das Raucherzimmer. Ádám kam nicht umhin, ihr nun doch nachzublicken. Was sollte das nur jetzt gerade gewesen sein? So etwas war ihm noch nie passiert. Als die Tür zuschlug, drückte Ádám die Zigarette aus und schob Ruben die Schachtel zu, während er sich erhob. Dieser sah verwirrt zu ihm auf. Er wollte zwar noch warten, bis diese Dame verschwunden war, um keinen falschen Eindruck bei seinem Gegenüber zu hinterlassen, doch das war ihm egal. Ihn hielt hier nichts mehr. Die Polizeimarke hatte ihm gerade den Rest gegeben. „Diese Zigarette war vielleicht ohnehin meine letzte...“ Sein Mundwinkel zuckte, doch ein Lächeln war das ganz bestimmt nicht, dann legte er Ruben kurz die Hand auf die Schulter, um ihm zu sagen: Kopf hoch, das Leben geht weiter! und verschwand ebenfalls ohne ein weiteres Wort. Der Chef dieses Ladens stand auch jetzt nicht am Tresen. Selbst der Stuhl, auf dem er vorhin gesessen hatte und sein Rätzel löste, war jetzt leer. „Hallo?“ Ádám erhielt keine Antwort. „Ich möchte Zahlen.“ Angespannt lauschte er. Wo er wohl steckte? Er warf einen unruhigen Blick zur Tür des Raucherzimmers und entschied sich dazu, nicht länger zu warten. So schnell wie möglich wollte Ádám hier weg. Er stellte das leere Glas auf den Tresen und ein komisches Gefühl begann sich in ihm breit zu machen. „Hallo?“, rief er erneut. Auf den Gedanken, vielleicht nach hinten zu gehen, oder zumindest um die Ecke zu schauen, kam er nicht. Vielleicht war er auch nur auf Toilette? Dann fiel etwas klirrend zu Boden und ein Murmeln war zu hören. Ein sicheres Zeichen, dass der Barmann wohl doch nicht weit war. „Der Rest ist für Sie.“ Ádám legte das Geld unter das Glas und verschwand. Kapitel 6: 6. Dich (Gedicht) ---------------------------- Dich, die ich habe gefunden. Dich, nach all dieser Zeit. Dich, nach unzähligen Stunden. Wir, nun sind wir zu zweit. Du, die zum rasen bringt mir mein Herz. Du, die mir wärmt mein Gemüt. Du, die mir lindert der Einsamkeit Schmerz. Wir, wie bin ich doch verliebt. Uns, eine Chance du bist zu geben bereit. Uns, wir beide, Du und ich. Uns, lässt verschwinden meine Schüchternheit. Wir, denn ich liebe nur Dich. Kapitel 7: 8. Gelb (Gedicht) ---------------------------- Ein Gedicht wollte ich hier verfassen. Der Unsinn war doch längst vorprogrammiert. Hätte ich dies bloß lieber gelassen. Für Sinn und Logik wird nicht garantiert! Gelb wie im Garten die Hyazinthe. Gelb wie die Regenjacke von Onkel Fritz. Oder der Hut von Tante Gerlinde. Und auch ihre Schlappen, ganz ohne Witz. Die Sonnenblume und die Rose. Die Biene, welche fliegt emsig herum. Gelb wie meine alte Zuckerdose. Gelb die Banane, die immer ist krumm. Das Quietscheentchen mit der Mütze. Auch der Zitronenfalter in der Luft. Schmelzen schon fast in der Sonne Hütze. Ich hörte gerade, wie einer verpufft. Der Mais auf dem Feld und auch der Raps. Gelb ist außerdem auch die Zitrone. Selbst der ein oder andere Schnaps. Beides zu mischen ist nicht ganz ohne! Gelb wie Großmutters Häkelgarn. Die Teetasse und der Käsekuchen. Und ihr geliebter Kaiserschmarrn. Auch ihr solltet Beides einmal versuchen. Die Gummistiefel meiner Mutter. Eiter, was nichts Schönes ist. Margarine, Rama und Butter. Die große Gieskanne neben dem Mist. Gelb wie der gerühmte Simpson Bart. Gelb wie die Post und DHL. Der Bus, für den ich Geld hab gespart. Einer fährt langsam der andere schnell. Gelb wie der stinkige Käse im Zimmer. und meines Bruders Unterhose. Da gibt’s kein Gezeter oder Gewimmer. Paprika und auch Chilli aus der Dose. Nun werd ich besser den Unsinn beenden. Mit mir hat einzig der Schalk gerungen. Bevor ihr alle tut euch von mir abwenden, doch die Worte sind mir herausgesprungen (gewidmet: franek) Kapitel 8: 9. Dünn ------------------ Dünn... Nur ein Hauch... Hauchdünn sozusagen. Etwas Derartiges hatte er noch nie gesehen. Oder vielmehr noch nie bewusst wahrgenommen. Dies sollte wirklich ein Kleidungsstück sein? Er spürte beim Betrachten deutlich die Gänsehaut, welche sich auf seinen Armen auszubreiten begann. Aber da war noch etwas Anderes... Wie versteinert stand er da und schaute. Selbst die Blümchengardiene, welche im anhaltenden Wind wehte, vermochte seine Augen nicht von seinem Ziel fern zu halten. Der transparente, glitzernde Stoff über Sonnengebräunter, straffer Haut. Ein Seufzen entfuhr ihm. Mehr unbewusst, als alles andere. Warum... Warum stand er hier unten und kam nicht näher heran? Was für eine Qual... Alles um ihn herum begann zu verschwimmen. Der Straßenlärm, das schlecht verschlossene, quietschende Gartentor, welches in den Garten nebenan führte, die fauchende Katze an seinem Bein... Nur ein paar Meter näher und sein Sein wäre perfekt. Fast jedenfalls. Was sollte er auch sagen? Er würde kein Wort hervor bekommen. Seine Gedanken begannen zunehmend schneller zu kreisen, dass ihm dabei nahezu schwindelig wurde. Sofort schloss er die Augen und atmete dabei tief durch. Dann zählte er in Gedanken bis drei. Das Knurren der Katze war wieder zu hören. Dann eine Gardine, an welcher gezogen wurde. Sofort riss er die Augen auf und starrte nach oben. Ein dunkles Augenpaar umrahmt von dunklen Locken starrte wütend zurück. Die schönste Frau, die er jemals sah. Und sie war nur mit diesem Hauch von Nichts bekleidet und sah verdammt wütend aus. Diesem dünnen Stoff, der ihren wohlgeformten Busen deutlich sichtbar hervorbrachte. Warum nur? Warum nur hatte sie ihn bemerkt? Ihr Blick wurde noch finsterer. „HEY!!“ Die schrille Stimme von oben ließ ihn zusammenzucken. „Elender Spanner! Verschwinde aus meinem Garten!“ Dann kam etwas geflogen. Die Schöne von oben schleuderte etwas nach ihm. Nur im letzten Augenblick gelang es ihm, den Kopf einzuziehen und der Wecker segelte um Haaresbreite an ihm vorbei. Dann sah er zu, dass er Land gewann. Kapitel 9: 14. Fisch -------------------- Wachsam war sein Blick auf dieses Ding gerichtet, dass sich schon die ganze Zeit immer im Kreis bewegte. Dieses komische Ding, in dem runden Glas. Er wusste schon länger, dass es dieses gab, doch bis jetzt hatte man ihn immer wieder von der Kommode gejagt. Eigentlich kannte er es, seit sie hier in diesem neuen Haus lebten. Jetzt war er unbeobachtet. Moritz presste die Nase gegen das Glas, dass dieses bereits beschlug. Was war das nur für ein Ding? Kurz hob er den Kopf und zuckte mit den Ohren, als er glaubte, dass sich Schritte näherten, doch die Geräusche aus dem Nebenzimmer wurden nicht lauter. Nein, es kam keiner. Die Zweibeiner gingen wohl anderen Dingen nach. Nachdem er einige Male um das Glas herumgelaufen war, hatte er sich nun auf den Hintern gesetzt. Nur noch schärfer fixierte er jetzt das schwimmende Ding hinter dem Glas. Sein Schwanz zuckte dabei unruhig. Ob es wohl schmeckte? Die Bewegungen dieses Wesens wurden schneller. Immer schneller schwamm er in diesem Glas herum. Es hatte wohl Angst? Leider konnte er das nicht riechen. Eine Maus hätte er gerochen. Abermals blickte Moritz prüfend auf, dass ihn hier jetzt auch keiner davon abhalten würde. Sein Fluchtweg stand bereits fest. Er hatte immer den gleichen. Runter von der Kommode, dann nach links unter den Stühlen entlang, hinter dem großen Blumenkübel und dann ab durch die Tür. Auf diesem Wege war er ihnen bereits öfters entkommen, doch dieses Mal ließ sich keiner blicken. Frauchen sprach mit Irgendjemand. Er erkannte sie an der Stimme. Wieder hängte der graugetigerte Stubenkater den Blick auf den Fisch im Glas. Dieses Mal würde er es wagen! Er ging auf die Hinterbeine und stützte sich mit den Vorderpfoten am Glas ab. Es war glatt und er rutschte ein paarmal weg, dann jedoch hatte er einen festen Stand. Von oben betrachtet sah dieses Ding darin ganz anders aus und seine Bewegungen wurden immer hecktischer. Wieder ein kurzer Blick zur Tür. Keiner kam. Jetzt, oder nie! Er streckte die Pfote danach aus und zuckte zurück. Nass! IEHH! Erschrocken schüttelte er die Pfote aus. Was war das denn? Dasselbe Zeug wie in seinem Trinknapf? Igitt! Und darin war dieses Ding? Auch noch freiwillig? Seine Bewegungen darin wurden noch hecktischer. Wenn er schnell genug war, würde seine Pfote vielleicht nicht noch nasser werden. Er musste es einfach schaffen! Seine Krallen waren doch scharf genug! Das hatte er doch bereits das ein oder andere Mal an den Gardinen getestet, woraufhin es bis jetzt jedes Mal Ärger gegeben hatte. Also los! Den Blick wieder fest an dieses Ding geheftet, folgte er jeder der noch so kleinen Bewegungen und dann schlug er zu, doch ein markerschütternder Schrei, der aus dem Garten gekommen war, ließ Moritz so heftig zusammenzucken, dass dieser aufsprang, das Glas umriss, dieses von der Kommode rollte, alles Wasser mit dem Ding im hohen Bogen auf dem Teppich ergoss und selbst schließlich auf dem Dielenboden zerbrach. Moritz hatte zugesehen, dass er aus dem Zimmer kam. Zur Flucht hatte er dieses Mal den direkten Weg genommen. Bloß weg hier! Und der doofe Fisch war ihm plötzlich egal... Kapitel 10: 15. Kerze (Gedicht) ------------------------------- Kerze brenne, erleuchte mir die Nacht, sende weit deinen hellen Schein. Kerze brenne, halte hier für mich Wacht, an diesem dir gedenkenden Stein. Kerze leuchte, mach die Nächte zu Tagen, scheuch die Schatten der Dunkelheit fort. Kerze leuchte, selbst wenn ich kaum kann ertragen, zu verweilen an diesem Ort. Kerze wärme, mir Herz und Seele indessen, all dem guten Gedenken zuvor. Kerze wärme, lass mich niemals vergessen, wen ich einst so früh schon verlor. Kapitel 11: 18. Halten ---------------------- Reflexartig wollte er nach den fallengelassenen Hundeleinen greifen, welche ihr aus den Fingern gefallen waren, doch diese ruckartige Bewegung fuhr ihm erneut mit einem Stechen in den Leib. Einige Sekunden verschnaufte er, dann trat er mit dem Fuß entschlossen auf die Enden der Leinen, dass die beiden Beagle nicht doch noch stiften gingen. Sich nach unten zu bücken, ließ er lieber im Augenblick sein. Stattdessen richtete er seinen Blick wieder auf die Frau, ihm gegenüber. „Was?“ Gracys Augen waren weit aufgerissen und noch immer starrte sie ihn an. „Ich hab doch gesagt, dass sich das albern anhören muss.“ Ihre Miene blieb starr. Ganz so, als hätte er etwas gesagt, was sie in einen Schockzustand versetzte. Diese Sache gefiel ihm nicht und er begann sich unwohl zu fühlen. „Ist...alles in Ordnung?“ Zu seinem Leidwesen schüttelte sie den Kopf und man konnte förmlich beobachten, wie ihr Gesicht an Farbe verlor. „Kleines?“ Ihre Unterlippe zuckte. „Ja. Ich weiß auch nicht, aber genau dieses Wort lag mir eben auf der Zunge. Tut mir leid. Ich hätte mich vielleicht gewählter ausdrücken sollen.“ Unruhig sah er sie weiterhin an und entschied sich dann doch dazu, sich langsam nach den Hundeleinen zu bücken. Als er diese endlich hatte und sie der Besitzerin zurückgeben wollte, bemerkte er, dass ihre Augen so glasig waren, als ob sie jeden Moment losweinen würde. „Benny?“ Ihre Worte waren nur ein Flüstern. Stirnrunzelnd sah er sich kurz um, doch wie es schien, war er es wohl gewesen, den sie damit gemeint hatte. „Nein, ich bin immer noch Dennis.“ Ein Schluchzen entwich ihr. „Kleines hat mich mein Bruder immer genannt...“ Dennis Gesichtszüge schliefen ein. „Als ich ihn das letzte Mal besucht habe, hat er gesagt: Kleines, wenn ich hier raus bin, pass ich wieder auf dich auf.“ „Was?“ So langsam glaubte er, verrückt zu werden. „Das konnte ich unmöglich wissen.“ „Nein...“ Die ersten Tränen rollten ihr über die Wangen. Er verstand es nicht. Nie hatte er jemanden so genannt. Wie konnte ihm diese Stimme nur genau diese Worte in den Kopf setzen? Ohne zu zögern trat er einen Schritt auf sie zu und schloss sie in die Arme. Dankbar nahm sie diese Umarmung an. Sie klammerte sie förmlich an ihn. Was auch immer ihn dazu bewegen hatte, sie so zu nennen. Behutsam strich er der Krankenschwester über den Rücken. Sie hier so zu halten, fühlte sich gut an. Es hatte etwas unerklärlich Vertrautes, dabei war sie für ihn doch eher eine Fremde. Kapitel 12: 22. scharf ---------------------- „Ziemlich gut gewürzt, würde ich sagen“, brachte Janika hervor und trank schnellstens einen Schluck aus der Flasche, ungeachtet dessen, dass es sich dabei um Rotwein handelte. „Fast schon ein bisschen zu sehr, wenn du mich fragst“. Ihr argwöhnischer Blick blieb an der Masse in der Pfanne hängen, die sie nicht so recht definieren konnte. Irgendwie sah sie nach nichts aus, was aber wahrscheinlich daran lag, dass Marik nicht so recht sah, was er da zusammengerührt hatte. Aber es schmeckte, wenn auch viel zu scharf. „Findest du?“ Keinen Moment später stand der Koch persönlich bereits in der Tür. Ganz nah trat er hinter sie an den Herd und nahm ihr dann erst den Löffel ab, um selbst zu probieren. Und auch während er das tat, trat keiner von Beiden einen Schritt voneinander weg. Stattdessen konnte Janika fasziniert beobachten, wie deutlich es bei ihm sichtbar war, wenn sein Gehirn und seine Geschmacksnerven arbeiteten. Doch da war ihre Aufmerksamkeit mit einem Male auf etwas anderes gelenkt. Ein Grinsen machte sich auf ihrem Gesicht breit, während sie nach oben sah und mit einer flinken Bewegung hatte sie seine Brille in der Hand und verließ fluchtartig die Küche. „Verflucht noch mal!“, murrte Marik ungehalten und legte den Löffel ab, jedoch neben die Pfanne auf den Herd. Aber immerhin auf den Herd. Mit schnellen Schritten war er sofort hinter ihr, hielt nach einigen Metern jedoch wieder an, da ihm klar geworden war, dass er hier in einer fremden Wohnung war und er sich erst wieder in die Erinnerung rufen musste, wie diese eingerichtet war. Die Mittagssonne brannte erbarmungslos zum Fenster herein. „Janika!?“, schalt er sie. „Das finde ich nicht komisch!“ Aus der rechten hinteren Ecke, von ihm aus, erklang ein Kichern, dem er sich sofort zuwandte. Doch noch während er langsamen Schrittes darauf zu lief, um nicht gegen Irgendetwas zu stoßen, wechselte sie längst wieder ihre Position, was er jedoch nicht mitbekam und schließlich ins Leere fasste. Genervt ließ er die Schultern sinken. „Das ist großer Mist, weißt du das?“, sagte er, ohne sich zu ihr umzudrehen. Für ihn war es im Augenblick egal wo sie stand. Er konnte sie doch nicht sehen. „Diese Brille ist ja ungeheuer dunkel. Ist das ein besonders Glas?“ Damit hatte sie sich wieder verraten. Zum einen, wo sie war und zum anderen, wo genau die Brille abgeblieben war. Mit ein paar zügigen Schritten trat er an sie heran und wären er sie mit einer Hand an der Schulter hielt, um sie am erneuten davonlaufen zu hintern, griff er sich mit der anderen Hand seine Brille. Nur kurz verzog er ärgerlich den Mund, verschwand dann jedoch wieder in der Küche. Als er wieder zurück war setzte er sich schweigend auf die Couch. Janika wusste nicht so recht, was sie jetzt sagen sollte. „Bist du jetzt sauer auf mich?“ Dass er jetzt die beleidigte Leberwurst spielte, hatte sie nicht gewollt, doch von seinem jetzigen eigentlichen Plan hatte sie bis dahin keine Ahnung. Er spielte nur den Beleidigten und das wohl recht erfolgreich. Janika ließ sich neben ihm auf der Couch nieder und legte ihm ihre Hand aufs Knie. „Es tut mir leid. Ehrlich. Das war kindisch von mir.“ Erwartungsvoll hoffte sie auf eine Reaktion, doch er schien sie zu ignorieren. „Ach komm schon Marik.“ dieser zog jedoch lediglich einen Schmollmund. „Das ist jetzt albern von dir, weißt du?“ Janika sah ihn dabei ganz genau ins Gesicht und bekam aus dem Grund nicht mit, wo er unauffällig seinen Arm hinbewegte. Jedenfalls merkte sie nichts, bis seine Hand ihre Taille berührte und als sie dabei zusammenzuckte, war für ihn klar, was jetzt folgen würde. Ohne zu zögern wand er sich ihr zu, rutsche heran und packte sie auch mit der zweiten Hand und das aus einem einzigen Grund: Kitzelfolter! Janika entwich ein quieken und sie schlug sie schnellstens die Hände vor den Mund. „Nein, nein, nein. Bitte nicht.“ Doch von diesem Worten ließ sich Marik nicht abhalten. Als es auf der Couch zur Sache ging war auch Xerxes sofort zur Stelle. So etwas ließ sich dieser nicht entgehen und jetzt wo Janika damit beschäftigt war, sich aus Mariks Griff zu winden nutzte er diese Gelegenheit seinerseits, in dem er sie anständig abschleckte. Vergeblich versuchte sie sich schließlich wenigstens den Hund vom Halse zu halten. „Bitte Jungs, nein, oh mein Gott!“ Sie zappelte wie eine Verrückte. Und genauso lachte sie auch. „Gnade. Bitte. Marik ich tu es nie wieder, versprochen...“, flehte sie und ließ dabei sogar den Hund außer Acht. So langsam kamen ihr auch die Tränen. Bittend sah sie nach oben. Wenn er sich nur nicht hinter dieser Brille verstecken würde... Marik beendete schließlich seine Attacke und rückte wieder ein Stück von ihr weg. „Beim nächsten Mal kitzel ich dich so lange, bis du dir einmachst vor Lachen, verstanden?“ Janika versuchte zu nicken, musste dann jedoch husten. „Es tut mir so leid“, japste sie, rang nach Luft und rieb sich erst einmal die Augen trocken. Ihr hatte jetzt richtig der Bauch zu schmerzen begonnen vor Lachen. Es war ihr wie eine Ewigkeit vorgekommen. Ein auf seltsamerweise gutes Gefühl. „Das sollte es auch.“ Triumphierend Lächelnd sah er auf sie herab, wie sie auf der Couch liegend erst einmal verschnaufen musste. Xerxes hatte sein Treiben nun ebenfalls eingestellt, aber auch jetzt wippte noch seine Schwanzspitze, während er Sitz gemacht hatte auf dem Boden. Janika hatte erst einmal genug Sabber abbekommen. Die Ruhe war wieder eingekehrt, so schien es, doch keinen Augenblick später änderte sich ihr Blick und sie streckte abermals die Hand nach seiner Brille aus. „Hey?“ Er klang mehr überrascht als erschüttert. „Worüber haben wir eben noch gesprochen?“ Dabei griff er behutsam ihr Handgelenk, um sie davon abzuhalten. „Ich.. nehm sie dir nicht weg. Ich lege sie da drüben auf den Couchtisch, ok? Ich möchte dich gerne ansehen.“ Mit einem unwilligen Schnaufen ließ er es schließlich zu. Marik war klar, dass er ihr jetzt in diesem Moment wieder ausgeliefert war. Für ihn verschwand erneut die Umgebung, als Janika sich ein Stück aufrichtete und ihm die Brille abnahm. Dann legte sie diese, wie versprochen, auf den niedrigen Tisch neben der Couch. Doch bereits dabei fesselte sie sein starrer Blick, den sie das erste Mal ganz genau sehen konnte. Dieses milchig, trübe in seinen Augen sah wirklich erschreckend aus. Erst recht aus unmittelbarer Nähe. „Das... muss so furchtbar gewesen sein“, murmelte sie, ganz so, als würde sie eher mit sich selbst sprechen. „Das ist es auch jetzt noch.“ Dass sie bei diesen Worten mit ihrer Hand vor seinem Gesicht hin und her schwenkte bemerkte er nicht. Was er jedoch spürte war, dass sie anschließend sein kratziges Kinn streichelte. Marik schloss die Augen, die ihm in diesem Moment ohnehin nichts brachten und genoss ihre zärtliche Geste. „Du solltest dich mal wieder rasieren“, flüsterte sie und entlockte ihm dabei ein Lächeln. „Ich weiß“, gab er zurück, doch weiter kam er nicht, denn da spürte er bereits ihre Lippen auf den seinen. Ein Zucken fuhr durch seinen Körper und mit einem Male war ihm fürchterlich heiß. Erst recht, als sie ihre Arme um seinen Nacken legte und ihn damit noch ein Stück näher an sich heranzog. Es fühlte sich so gut an und die Leidenschaft, die so lange in ihm geschlummert hatte, brach mit einem Male aus ihm heraus. Widerspruchslos klammerte er sich an ihren schlanken Körper. Dann erhob er sich jedoch und zog sie mit sich. Sie zu heben war für ihn kein Problem. Dieses bestand jetzt einzig darin, das Bett zu finden, ohne es sehen zu können. Kurz musste er überlegen, in welche Richtung er genau jetzt gehen musste, ließ jedoch die Lippen dabei nicht von der Frau in seinen Armen. Als er kurz den Weg im Kopf durchrechnete und mögliche Stolperfallen mit einkalkulierte, entschied er sich schließlich dazu, rückwärts zu gehen. So umging er vielleicht eher das Problem, ihr wehzutun, wenn er doch stürzen sollte. Warum zum Teufel war diese Vorhänge aufgezogen worden! Langsam tastete er sich rücklinks voran, bis er an der linken Wade das Bettgestell spürte. Zu gerne wollte er ihr jetzt in die Augen sehen, um in ihrem Gesicht abzulesen, was jetzt in ihr vor sich ging, aber das war leider nicht möglich. Marik trat also gerade heran und ließ sich schließlich nach hinten fallen. Die junge Frau dabei noch immer fest im Griff. Als er sich nach hinten fallen ließ lösten sich ihre Lippen. Dann begann sie ihn zu betrachten. Das er scheinbar nirgendwo hin schaute, bereitete ihr Unwohlsein. „Marik?“ „Hm…? Sie ließ sich neben ihn aufs Bett gleiten und rutschte eng heran. Dabei fuhr sie ihm über die Brust. Marik drehte sich ihr zu und strich ihr das Haar aus dem Nacken, um sie dort zu küssen, doch dann hielt er inne. Er sollte das nicht tun, das wusste er. Fest kniff er die Augen zu. Er war bestimmt viermal so alt wie sie, aber das war ihm im Augenblick egal. Was ihn störte, war diese andere Sache... Ohne Zweifel musste er mit ihr zuerst darüber reden, auch wenn es ihn fürchterlich schmerzte, sie jetzt loszulassen. Bevor sie sich hier in etwas verrannte, dem sie vielleicht gar nicht gewachsen war. Er musste erst sicher sein. Vielleicht wollte sie dann sogar von ihm weg? Rannte schreiend davon? Um einen Vorwand zu haben, hob er den Kopf und schnupperte. „Verdammt! Das Essen!“ Er sprang auf und lief den möglichst selben Weg zum Couchtisch zurück. Dann griff er seine Brille, als er sie endlich gefunden hatte und spurtete in die Küche zurück. Xerxes folgte ihm auf dem Fuße. Vollkommen irritiert blickte Janika ihm nach und brauchte einen Moment, bis sie sich wieder gefasst hatte. Dann schlug sie mit der Hand neben sich auf das Bett. „Marik!“, knurrte sie. Wie konnte er sie hier jetzt so sitzen lassen? „Wie zum Teufel kannst du jetzt nur ans Essen denken...!?“ Kapitel 13: 23. Feder [Drabble] ------------------------------- Wie sie fliegt, so weiß, so weich. Vom seichten Windhauch getragen – Eine Daunenfeder. Verließ die schützende Kissenhülle, um frei zu sein. Ihr Weg führte sie durch das Fenster, hinaus in den Garten, in die Freiheit. Doch was ist das? Schnelle Schritte nähern sich. Im Sprung eilt sie heran, bereit, sie zu fangen – Eine Katze. Ihre Bewegungen sind geschmeidig, schnell. Sie nimmt die Verfolgung auf. Mit gezieltem danach Schlagen, entwischt ihr die Feder jedoch. Von neuem Wind angetrieben segelt diese um die nächste Hausecke und verschwindet im Kellerfenster. Die Katze lässt nicht davon ab, folgt ihr hinein – Das Fenster schlägt zu. Kapitel 14: 26. Mitternacht --------------------------- Das hektische Klopfen, an seiner Fensterscheibe, ließ Marik hochschrecken. Sein Blick fiel auf die Uhr. Mitternacht. War er doch tatsächlich eingenickt? Er blickte in das verärgerte Gesicht, des Portiers. Eilig ließ er die Scheibe herunter. „Du hast sie allen Ernstes allein gelassen? Was bist du nur für ein Leibwächter?!“, geiferte er gänzlich auf Förmlichkeiten verzichtend. „Leibwächter? Hören Sie. Ich habe sie lediglich auf einem Parkplatz aufgelesen, weil sie verfolgt wurde. Ich kenne die Kleine im Grunde überhaupt nicht.“ Was ging es denn diesen Alten an? Erst Recht sein Gemecker? Das ihn dieser Kerl hier heruntermachte, missfiel Marik. „Sind die etwa hier?“ Eine Frage, die sich ihm dennoch aufdrängte. Er nahm sich die Wäsche und stieg aus dem Wagen. Dann betrachtete er erst den Alten, die Umgebung und wieder den Alten. Es sah hier nicht anders aus, als vorhin, als er weggegangen war, nur die Miene des Motelbesitzers passte nicht zur Gesamtsituation. „Sagen wir, sie waren hier. Im Augenblick besteht keine Gefahr.“ Damit hätte Marik nicht gerechnet. Vera hätte von dieser Raststätte aus nun wirklich überallhin verschwinden können, nach ihrer Flucht, aber dass sie ihnen tatsächlich gefolgt waren, wollte ihm nicht in den Kopf. „Sie waren hier?“ „Ich habe mich darum gekümmert.“ Was sollte das nur wieder heißen? Ungläubig blickte er dem Alten nach, der sich wieder ins Motel zurückziehen wollte. Eines der Zimmer benutzte er wohl selbst. „Was haben Sie angestellt, Mr.?“ Der Alte blieb stehen und schenkte ihm einen grimmigen Blick. „Ich habe lediglich Recht und Ordnung wieder hergestellt. Mehr werde ich dazu nicht sagen.“ Abermals wand er sich zum gehen. „Tu bloß nicht so, als wäre ich der einzige, mit Geheimnissen...“ Er lief auf sein Zimmer zu und schloss die Tür auf. Erst dann wand er sich erneut zu Marik um, dessen Mund kurz offen gestanden hatte. „Ich kann dir sagen, warum sie hinter ihr her sind. Es geht nicht einfach darum, sie umzulegen. Die Kleine hat etwas gesehen, was sie nicht hätte sehen sollen.“ „Woher wissen Sie das?“ Marik beschleunigte seine Schritte und packte den Alten am Arm, bevor dieser verschwinden konnte. Vollkommen ungerührt sah dieser auf Mariks Hand. „Ich habe in euren Seelen gelesen. In den, der beiden Kerle, in der der Kleinen und auch in deiner. Ich weiß längst, dass du etwas Besonderes bist.“ Marik gab seinen Arm frei und presste die Lippen fest zusammen. So langsam wurde ihm dieser alte Mann unheimlich. Er spürte eine Nervosität in sich aufsteigen, die kaum unangenehmer sein konnte. „Diese Sache mich betreffend, behalten Sie hoffentlich für sich?“ „Aber natürlich. Ich kann schweigen, wie ein Grab.“ Tief atmete Marik durch. Das konnte noch heiter werden. Wenn der Alte es jetzt bereits wusste? Aber etwas Besonderes zu sein, konnte nun wirklich viele Bedeutungen haben. Allerdings wollte er diesen Gedanken nicht näher auslegen. „Sir?“, wand er sich stattdessen erneut an ihn. „Würden Sie mich vielleicht in unser Zimmer lassen? Ich hatte ihr gesagt, dass sie abschließen soll und dass ich klopfe, wenn ich zurück bin, aber ich will sie jetzt nur ungern wecken. Ihre Woche war ganz bestimmt beschissen und schlaflos genug.“ „Aber sicher.“ Der Ärger war mit einem Male aus dem Gesicht des Alten gewichen, ganz so, als wäre dieser nie dagewesen. Er schloss sein Zimmer erneut ab und bestieg die Treppe nach oben. Marik folgte ihm auf leisen Sohlen. An der Tür angekommen, traf ihn jedoch erneut der ernste Blick des Alten. „Und achte nun besser auf sie. Sie kann deine Hilfe gebrauchen.“ „Können Sie mir vielleicht sagen, was genau sie gesehen haben soll, was sie nicht hätte sehen dürfen?“ Mariks Interesse war geweckt, aber viel mehr wollte er einfach wissen, wie gefährlich das Spiel für ihn noch werden konnte. „Tut mir leid, aber so deutlich waren diese Bilder nun auch nicht. Da wirst du sie schon selbst fragen müssen.“ Er schloss auf und trat aus dem Weg. Mariks Blick folgte dem Portier, bis er um der Ecke verschwunden war. Was hatte er gesagt? Die Bilder waren undeutlich und er hatte sich darum gekümmert? Wie nur sollte er sich das alles vorstellen? Dieser alte Mann kam doch kaum diese Treppe hinauf. Spielte er etwa nur den Gebrechlichen? Mit einem Schulterzucken trat er schließlich ein. Kaum war die Tür einen Spaltbreit geöffnet, streckte ihm Xerxes bereits die Schnauze entgegen. Marik musste sich beeilen, dass er seinen Hund beruhigt bekam, bevor er mit seinem Gehopse und Gejaule die Schlafende weckte. Sofern sie denn schlief. Er hob prüfend den Blick, während er seinen vierbeinigen Freund graulte. Ja, Vera schlummerte zusammengerollt unter einer der Decken. Ein Lächeln stahl sich kurz auf seine Lippen, dann nahm er die Sonnenbrille ab, während er sie weiterhin genau betrachtete. Was hatte sie nur gesehen, was den Portier so nervös gemacht hatte? Und vor allem ihn jetzt auch noch, ohne dass er wusste, was er gemeint hatte. Sein Weg führte ihn erst einmal ins Badezimmer. Frisch geduscht und wieder in voller Montur verharrte er erneut neben dem Bett. Wie sollte das jetzt ablaufen? Marik war so verunsichert. Er konnte doch nicht seine Deckung ablegen. Das ging nicht! Sie würde davonrennen! Er sollte sie doch beschützen. Sie zu erschrecken konnte also nicht falscher sein. Um kurz von diesen Gedanken wegzukommen, packte er erst einmal ihre Klamotten aus. Hübsch zusammengefaltet legte er das Häufchen auf den runden Tisch an der Wand. Beim zusammenlegen hatte er für einen kurzen Augenblick wieder diese Beklemmung gespürt, aber es war immerhin schon ein paar Tage her, dass er Damenunterwäsche in den Fingern gehabt hatte. Ihr Shirt war zudem ziemlich ruiniert. Xerxes hatte sich derweil wieder auf dem Teppich in der Ecke nieder gelegt. Sein wachsamer Blick folgte seinem Herrchen genau, als sich dieser, anstelle sich hinzuzulegen, ans Fenster trat. Auf dem Parkplatz, auf welchen man von hier aus einen guten Überblick hatte, war keine Bewegung zu sehen. Nichts. Fast schon gespenstische Ruhe um diese Zeit. Mit der Brille in der Hand, überlegte er schließlich nicht länger. Er setzte sich diese wieder auf und legte sich auf die freie Betthälfte, ohne erst unter die Decke zu kriechen. Kaum einen Augenblick später bekam keiner mehr mit, dass sich nun doch etwas draußen tat. Ein Tier war es, welches sich von der Innenstadt her genähert hatte. Mit der Größe eines Wolfes bewegte es sich tapsig wie ein Bär über den Parkplatz zwischen den Wagen hindurch. Hin und wieder blieb es dabei stehen und hob die Nase witternd in die Luft. Doch dann verschwand es bereits in Richtung des kleinen Stores. Die Abfallcontainer waren sein Ziel. Kapitel 15: 27. Schokolade -------------------------- Das war wirklich zu Mäuse melken. Officer Murphy tippte sich mit dem Kugelschreiber gegen sein Kinn. Sie kamen in diesem Fall einfach nicht weiter. Die Papiere auf seinem Tisch begannen sich zu stapeln. Es hatte diese Woche mittlerweile den vierten Toten gegeben. Es war kein Einbruch gewesen. Nirgendwo waren brauchbare Spuren gefunden worden. Die Nachbarn hatten auch nichts gesehen. Egal wer gefragt wurde: keiner wusste etwas. Jason Murphy seufzte genervt. Wie er so etwas hasste! Wie er es hasste, wenn er an irgend einem Fall nicht weiter kam. Er warf einen Blick auf die Uhr über der Tür. 22:12 Uhr! Sein Schreibkram musste auch noch erledigt werden, von den Belanglosigkeiten, die sonst noch Tagsüber angefallen waren, aber seine Gedanken waren immer noch bei jenem Fall. Versonnen kaute er auf einem Stück Schokolade herum, als doch tatsächlich das Telefon schellte. „Ja?“ Der Gerichtsmediziner war am Apparat. Diese Leute schienen auch keinen normalen Tagesablauf zu haben. Jason lauschte angespannt. „Sie haben was? Schokolade?“ Er blickte irritiert auf die angerissene Tafel Traube-Nuss auf seinem Schreibtisch, und es war ihm augenblicklich vergangen, diese weiterzuessen. „Ich verstehe. Endlich ein brauchbarer Hinweis.“ Wieso diese Mediziner da nicht eher daraufgekommen sind? „Eine Ihnen unbekannte Chemikalie?“ Kaum zu glauben. „Vielen Dank.“ Jason Murphy legte auf und starrte auf die Traube-Nuss auf seinem Schreibtisch. Griff dann jedoch kurzerhand danach und ließ sie im Mülleimer verschwinden. Den Schreibkram würde er morgen machen. Dafür hatte er jetzt gar keinen Geist und die Hinweiße liefen ja auch nicht davon. Jason Murphy würde sich jetzt erst einmal eine Mütze voll Schlaf gönnen. Am nächsten Morgen, zu gegebener Zeit machte sich Jason Murphy sofort zum letzten Tatort auf. Er war hier nicht alleine. Ein weiterer Kollege war bereits hier. „Es gibt einen Hinweis, wonach wir suchen müssen.“ Sein Kollege schaute ein bisschen verzerrt. „Und?“ „Schokolade. Glenn hat gestern Abend noch angerufen und mir mitgeteilt, dass in der Schokolade eine ihm unbekannte Chemikalie gefunden wurde.“ Mit diesen Worten beugte er sich unter der Absperrung hindurch und trat ein. In der Wohnung selbst roch es komisch. Jason versuchte den Geruch zu ignorieren und sah sich nun zielgerichtet um. Schokolade... irgendwo musste etwas angerissenes herumliegen, hoffte er. Im Schafzimmer wurde er fündig. Im obersten Schubfach des Nachtschränkchens. Dieser Kerl musste echt verzweifelt gewesen sein, wenn er so etwas an jenem Ort lagerte. Mit einem Gummihandschuh bewaffnet, griff er sich eben jenes Objekt und trat fast schon stolz ins Wohnzimmer zurück, doch sein Kollege hatte ebenfalls eine in der Hand. Und dabei auch noch ausrechnet eine von jener Sorte, welche er gestern Abend in seinem Mülleimer verschwinden ließ. „Auch das noch.“ Jason Murphy wurde bleich um die Nase. „Was?“ Sein Kollege tütete das gute Stück derweil ein und war dabei so konzentriert, dass seine Antwort eben eher etwas knapp ausgefallen war. Jason erwiderte nichts. Ihm war einfach nur übel. Er konnte nur hoffen, dass er nicht selbst auch einfach umfiel, aber das wäre vielleicht bereits in dieser Nacht geschehen, hoffte er. Oder viel besser: er hoffte, dass es sich um seine Tafel handelte, die er gerade gefunden hatte. So in Gedanken versunken bemerkte er erst im letzten Augenblick, dass sein Kollege vor ihn getreten war und ihm die Tafel abnahm. „Na schön. Dann werden wir diese zwei mal untersuchen lassen“, stammelte er nur und verließ bereits wieder die Wohnung. Murphy brauchte dringend frische Luft. Er trat auf den Fußweg und sah über die Straße. Um diese Zeit war hier reges Treiben und hin und wieder war auch ein aufgebrachtes Hupen zu hören. Auf einmal wurde ihm schwindelig und das aufschlagen auf dem Boden bekam er schon gar nicht mehr mit. Kapitel 16: 32. Nebel --------------------- Nun saß er hier. In dieser, für ihn, viel zu engen, altertümlichen Toilette, aber damals waren sie wohl nicht anders gewesen. Mit engen Räumen hatte er so seine Probleme, darum war er auch Gärtner geworden und war somit den lieben langen Tag draußen an der frischen Luft, oder in einem geräumigen, hellen Gewächshaus. Dieses Zimmer jedoch war so klein, dass es hier nicht einmal ein Waschbecken gab. Das war sicherlich vor der Tür irgendwo. In einem anderen Zimmer wahrscheinlich. Einzig Platz für einen Toilettenpapierhalter und eine Klobürste war hier. Und nicht zu vergessen einer vorsintflutlichen Wasserspülung, welche den Spülkasten weit über seinem Kopf hatte. Seufzend versuchte sich Scott zu beruhigen. Sein Magen rumorte noch immer. Fest hing sein Blick an der Ecke, hinter der Tür, an welcher eben eine Spinne nach oben kletterte. Wo war er hier nur hingeraten? Durch das offene Fenster, zu seiner rechten, wurde ihm immer wieder die geblümte Gardine gegen den Kopf geweht. Sie hielt ihn davon ab, mit den Gedanken aus dem Hier und jetzt zu verschwinden und zwang ihm stattdessen die Gedanken an all das wieder auf, was ihm heute Morgen passiert war. Ein Wechselbad der Gefühle. Eine nähere Beleuchtung aller Erlebnisse, brachte ihn darauf, dass es wohl eindeutig mehr schlechte Dinge gewesen waren, die er heute hatte durchstehen müssen. Einzig der Gedanke, an eine leichtbekleidete Frau konnte man wohl als gut bezeichnen. Sie hatte ihm zwar einen Wecker an den Kopf werfen wollen, als er in ihrem Garten stand und wie ein Spanner Maulaffen feil hielt, aber sie hatte ihn damit nicht getroffen, was ihn selbst überraschte, wo er doch sonst nicht der Schnellste war. Doch die Sache mit den Knochen im Nachbargarten, indem er gerade ein Blumenbeet anlegen wollte und der Gedanke an die gruselige Großmutter mit ihrem Hang, mit Gedärmen zu spielen, hatten ihn schließlich hier her gebracht. Nachdem sich Scott anständig übergeben hatte, hatte er sich auf dem Toilettendeckel niedergelassen und nun saß er noch immer hier und starrte auf die Spinne in der Ecke. Ein Klopfen ließ ihn zusammenzucken. „Scott?“ „Hm?“, gab er schließlich nach einigen Augenblicken zurück. „Geht es dir gut?“ Nein!, wollte er ihr sagen. Dieser Tag ist die Hölle! Ich habe Genug! Ich will nach Hause! Doch was er sagte war: „Ich w... weiß nicht.“ „Meine Großmutter will sich bei dir entschuldigen“, sprach sie weiter, doch aus dem Nebenzimmer konnte er ganz klar die Stimme der Alten hören: „Das werde ich nicht!“ ‚Bärbeißige Alte!‘, dachte er sich grimmig, dann war wieder ein Klopfen zu hören. „Komm schon Scott. Sie hat es nicht so gemeint. Sie wollte dir doch nur die Zukunft voraussagen.“ „Mit Dä... ärmen?“ Er schüttelte den Kopf. „Ja.“ Fernanda Seufzte. „Sie hat diese Methode von ihrer Mutter und diese wohl von ihrer Mutter. Sie macht das schon immer so und hin und wieder liegt sie mit dem, was sie sieht auch gar nicht so falsch.“ Wieder war das Gemurmel der Alten im Hintergrund zu hören, doch jetzt hatte Scott kein Wort davon verstehen können. Sein Blick blieb wieder an der kleinen Spinne hängen. ‚Wie ein trotziges Kleinkind! Du führst dich auf, wie dein kleiner Bruder! Du solltest dich Schämen!‘ Die Stimme in seinem Kopf war ebenfalls gegen ihn, wie es den Anschein hatte. ‚Geh raus und beherrsch dich gefälligst!‘ Sowie er diesen Gedanken im Kopf hatte, stand er auch bereits kerzengerade im Raum. Sein Herz hatte plötzlich zu rasen begonnen, also schloss er die Augen und atmete tief durch, doch als er sie wieder öffnete, um nach dem Schlüssel der Tür zu fassen, welcher ihm den Weg zurück in die Freiheit öffnete, schien es ihm, als sei er von Nebel umgeben. Scott schloss erneut die Augen kurz und zwinkerte anschließend einige Male, doch es änderte sich nichts. Eine Gänsehaut begann ihn zu überziehen. War ein Feuer ausgebrochen? Er schnupperte, doch er konnte nichts riechen. „Brennt es?“, war schließlich die Frage, die seinen Mund verließ. „Was?“ Die Stimme hinter der Tür klang verwirrt. „Nein. Wie kommst du denn darauf?“ „Hier i...ist N...nebel...“ Er wusste selbst, wie lächerlich sich das anhören musste. Wurde er jetzt verrückt? Mit zitternden Fingern fasste er schließlich nach dem Schlüssel, um diesen endlich im Schloss zu drehen, doch seinen Blick konnte er dabei nicht von der seltsamen Veränderung in diesem kleinen Raum lassen. Was war nur jetzt wieder los? Als er es endlich geschafft hatte, den Schlüssel zu drehen, formte sich der der Nebel vor seinen Augen und ein Gesicht sah ihn an. Scott stieß einen heißen Schrei aus und während er nach draußen stürmte und dabei Fernanda nahezu umriss, verfehlte ihn die Hand, welche ebenfalls aus dem Nebel geworden war... Kapitel 17: 36. Schicksal ------------------------- Nervös trat er von einem Bein auf das andere, als er nach dem Klingeln darauf wartete, dass man ihm öffnete. Dennis besah sich dabei den Namen, welcher bei der Klingel stand. Hayashi? Ob er hier wirklich richtig war? Aber ihre Kollegin hatte ihm doch diese Adresse genannt. Das sie vorübergehend bei einem Freund wohnte. Einem Freund? Wie auch immer man das definierte. Er begann schließlich auf die Fußmatte zu starren, auf welche irgendwelche Zeichen standen, die er nicht lesen konnte, als die Wohnungstür geöffnet wurde. „Ja?“ Ruckartig blickte er auf und sah sofort in ein Asiatisches, mürrisch dreinblickendes Männergesicht und sein Blick wurde noch ernster, je länger er Dennis zu betrachten begann. Dieser fand nach einigen Augenblicken erst wieder zu sich. „Guten Tag“, stammelte er. „Ich wollte zu... ist Gracy Edwards da?“ Dann versuchte er es mit einem Lächeln. Der Wohnungsinhaber schien seiner Worte wegen nicht wesentlich erfreuter. „Darf ich fragen, wer Sie sind? Sie hatte mir keinen Besuch angekündigt.“ Dennis war also richtig. Na immerhin. Er räusperte sich. „Genaugenommen bin ich auch unangekündigt hier. Eine Kollegin von ihr nannte mir diese Adresse.“ Erst dann bemerkte er, dass er sich noch immer nicht vorgestellt hatte und die plausible Erklärung, was er hier verloren hatte, fehle ebenfalls noch. „Mein Name ist Dennis Morrison und ich bin einer ihrer Patienten gewesen.“ Er hoffte, das würde genügen. Masato musterte ihn weiter und schien dennoch keine Anstalten zu machen, das Gespräch auf irgendeine Weise voranzutreiben, als Dennis Geräusche aus der Wohnung vernahm. Fiepende, wimmernde mit einem leichten Hauch eines Versuches zu Bellen. Dann näherten sich Schritte. Erst tapsige, dann die einer Person. „Ich gehe mit den Hunden raus“, vernahm er schließlich eine Frauenstimme, welche ihm bekannt war, was ihn erleichtert aufatmen ließ. Doch die Erleichterung hielt nicht lange, als die Tür aufgezogen wurde und Gracys Blick an ihm haften blieb. Scheinbar vollkommen entsetzt starrte sie ihn an, aber sie musste nicht lange überlegen um sich zu erinnern, wen sie da vor sich hatte. „Sie?“ Ihr Blick fiel kurz auf Masato, welcher unwissend mit den Schultern zuckte, dann hatte sie endlich ihre Fassung soweit wieder. „Mr. Morrison“, sagte sie und klang dabei für Dennis unerträglich sachlich. „Wie geht es Ihnen?“ „Ich..“ Ihre Stimmlage verwirrte ihn. „Ganz gut, denke ich... können wir reden?“ Sie Seufzte kurz, während sie ihre Stiefel richtete. „Sicher.“ Als sie wieder aufblickte, hing ihr Blick erneut an Masato. „Soll ich vielleicht mitkommen?“ Irgendwie wirkte er besorgt. „Ach Unsinn.“ Gracy winkte ab und versuchte zu Lächeln. Sie hatte doch keine Angst vor diesem Kerl. Einzig die Tatsache, welche sie verband, schmeckte ihr nicht. Es schmerzte so sehr, ihn anzusehen, denn das allein genügte, um wieder an Benny zu denken. „Wir gehen nur um den Block. Dauert also nicht lang.“ Damit lief sie an ihrem Freund vorbei und betrat die Treppe nach unten. Dennis Blick folgte ihr sofort und sein Vorhaben, hier her zu kommen, bekam einen bitteren Beigeschmack. Aber ihre Reaktion auf sein Auftauchen war genaugenommen völlig verständlich. Er hätte es wissen müssen. Dennis nahm die Hände in die Taschen und warf Masato einen knappen Blick zu. „Schönen Tag noch.“ Dann sah er auch schon zu, dass er wegkam. Hier her würde er sicherlich nie wieder kommen. Als er endlich auf der Straße stand und den beiden Welpen beim herum wuseln zusehen konnte, löste sich die tiefe Anspannung, die ihn beim betreten des Hauses ergriffen hatte, aber wohler fühlte er sich dennoch nicht. „Ich hätte nicht herkommen dürfen.“ Mit gesenktem Blick folgte er Gracy und lief schließlich neben ihr her, doch Gracy ging auf diese Worte gar nicht ein. „Woher wussten Sie, wo ich bin?“ Mit der freien Hand in der Tasche und mit der anderen die beiden Hundeleinen fest im Griff lief sie neben ihm her. Dabei hing ihr Blick am Kopfsteinpflaster. Dennis sah kurz in ihre Richtung und unterdrückte ein Schmunzeln, welches ihm trotz seiner Unruhe plötzlich gelingen wollte. „Ich habe eine Kollegin von Ihnen nahezu bekniet, mir zu sagen, wo ich Sie finde.“ Gracys Kopf schnellte auf und sie begann Dennis zu mustern. „Eine Kollegin?“ „Ja.“ Er überlegte kurz. „Ich habe ihren Namen leider nicht mitbekommen. So eine große, dunkelhäutige, der man besser nicht dumm kommt. Ich habe sie bestimmt eine halbe Stunde belagert.“ Gracy musste daraufhin selbst schmunzeln. „Cassidy. Ohne Zweifel.“ Noch tiefer ließ sie die Hand in der Tasche verschwinden. „Sie kann manchmal so ungeheuer stur sein, aber wenn man sie einmal weichgeklopft hat...“ Gracy Edwards brach ab. Wenn sie an Cassidy dachte, dann kam ihr auch sofort wieder in den Sinn, dass sie es gewesen war, die ihr die Hiobsbotschaft über den Tod ihres Bruders überbracht hatte. „Ich hoffe, sie bekommt jetzt meinetwegen keinen Ärger, dass sie es mir gesagt hat. Ich meine sie... hatte gar keine andere Wahl.“ „Ach Unsinn.“ Sie winkte ab. „Sie wollten reden?“ Dennis seufzte. Ja, das wollte er, aber das sie jetzt direkt dieses Thema anschlug, missfiel ihm. Im Grunde wollte er nur aus diesem Haus heraus. Weg von dem Kerl, der ihn so missbilligend angeschaut hatte. Hier auf der Straße fühlte er sich wohler. „Es mag sich vielleicht seltsam anhören“, begann er schließlich und kratzte sich unruhig am Kopf „und vielleicht halten Sie mich jetzt für einen Verrückten, aber eine Stimme in meinem Kopf sagte mir, dass ich nach Ihnen sehen soll.“ Dennis senkte den Blick und beobachtete die beiden Beaglewelpen. „Eine Stimme?“ Gracy verzog merklich das Gesicht. „Ich wüsste nicht, wie ich es sonst erklären soll.“ Er griff in die Gesäßtasche, um sich seine Zigaretten aus dieser herauszunehmen. Zündete eine davon an und nahm einen tiefen Zug. Die junge Krankenschwester betrachtete ihn dabei schweigend eine Weile. Sie wusste nicht, was sie von diesen Worten halten sollte. Vielleicht hatte es sich jetzt einfach nur so angehört, aber an Hokus Pokus glaubte sie nicht. Doch die Frage, die ihr nun unter den Nägeln brannte, konnte sie nicht länger zurückhalten. „Und was sagt die Stimme jetzt? Jetzt, wo Sie nach mir gesehen haben?“ Dennis blickte irritiert auf und machte mit einem Male einen irgendwie abwesenden Eindruck. „Mach dir keine Sorgen Kleines, jetzt passe ich wieder auf dich auf.“ Mit einem Ruck blieb Gracy stehen und starrte Dennis an. Dabei ließ sie die Hundeleinen fallen. Kleines hatte sie Benny immer genannt... Kapitel 18: 41. Sicherheit -------------------------- Mit den Gedanken noch immer bei der Puppe hängend, die er gerade in diesem Waldstück gefunden hatte, öffnete er die hintere Tür seines Wagens, um seinen Hund einsteigen zu lassen. Genau genommen war es eigentlich dieser gewesen, der diese Puppe gefunden hatte. Marik beschlich ein seltsames Gefühl bei diesem Spielzeug. Wie lange sie wohl schon dort lag? Und vor allem wer sie wohl dort verloren hatte? Und wieso sie keiner geholt hatte? Fragen über Fragen. Er stieß die Tür zu und machte sich daran, selbst vorn einzusteigen, doch kaum hatte er die Fahrertür geöffnet, blickte er in den Lauf einer Waffe. „Einsteigen! Sofort!“ Die derben Worte einer jungen Frau, die plötzlich auf dem Beifahrersitz saß, ließen ihn zusammenfahren. Wie war sie hier hereingekommen? Hatte sie seinen Wagen aufgebrochen? Unwillig ließ er sich auf den Sitz rutschen und betrachtete die Lady dabei lediglich aus dem Augenwinkel. Sie sah aus, als hätte sie einiges durchgemacht. „Was wollen Sie...?“ Betonungslos verließen diese Worten seinen Mund, denn er versuchte Ruhe zu bewahren. Xerxes auf der Rückbank spürte ebenfalls genau, dass nichts Gutes vor sich ging. „Tür zu! Wir fahren!“ „Was?“ Nun wand er ihr doch den Blick zu. Die Waffe war noch immer auf ihn gerichtet, doch jetzt konnte er auch mit Sicherheit sagen, dass es nicht seine eigene war. Sie hatte wohl selbst so ein Spielzeug. „Starte endlich deinen beschissenen Wagen!“ Ungehalten begann sie mit der Waffe herumzufuchteln und Xerxes wurde jetzt auch hörbar nervös. „Und sag deinem Köter, dass er die Klappe halten soll!“ Das war zu viel für Marik. „Keinen Meter wird dieses Auto fahren!“ Er sprang wieder heraus, ohne zu zögern. Sie würde nicht schießen. Sie brauchte offensichtlich einen Fahrer und das wohl dringend. Wenn nicht, hätte sie den Wagen sicher längt kurzgeschlossen und wäre damit bereits abgehauen – oder sie hätte es zumindest versucht. Sie würde sich nicht getrauen zu schießen. Und immerhin hatte sie hier noch einen Rotweiler im Wagen sitzen und Xerxes würde sie angreifen, wenn sein Herrchen Schaden nahm. Dem war sie sich wohl bewusst, wie es schien. „Steig sofort wieder ein!“, murrte sie, während sie mit der Waffe noch immer auf ihn zielte selbst dann noch, als er mit großen Schritten um sein Auto herumlief und mit einer schnellen Bewegung die Beifahrertür aufriss, welche auf den Ersten Anschein hin, nicht aufgebrochen worden war. „Raus aus meinem Wagen!“ Seine Stimme klang unheilvoll und er fügte ein Knurren an, welches alles andere als menschlicher Natur war. „Jetzt gleich!...“ Die Unbekannte zuckte leicht zusammen. Marik ließ nicht gerne seine unmenschliche Art heraus, aber wenn ihm nichts anderes übrig blieb, dann musste es eben sein. „Wird’s bald!“ Erneut knurrte er und brachte sie damit abermals zum zusammenzucken. Die Sicherheit, die sie in diesem Wagen erwartet hatte, war längst passé. Wenn sie hier nicht sogar in noch größerer Gefahr war... In einem von ihr unachtsamen Augenblick nahm er ihr die Waffe ab und brachte sie außer Reichweite. Die Fremde schnappe erschrocken nach Luft. Souverän sicherte Marik die Waffe und ließ das Magazin in seiner Hosentasche verschwinden. Die leere Waffe reichte er ihr jedoch nicht. Wer wusste schon, ob sie nicht zufällig noch irgendwo Munition hatte. „Hast du keine Manieren, Mädchen? Marik drehte den Kopf schief und starrte sie durch seine Sonnenbrille an. „Das war nicht sehr nett. Ich lasse mich nicht in meinem eigenen Wagen von einem Mädchen bedrohen, klar?! Und jetzt verschwinde!“ Marik packte sie grob am Arm und zog sie einfach aus der Tür, welche er hinter ihr einfach wieder zustieß. „Sie dürfen mich nicht hierlassen“, sagte sie und war mit einem Male ganz kleinlaut und zur Förmlichkeit zurückgekehrt. Marik ignorierte sie und das Zittern in ihrer Stimme dennoch einfach. Er war zu wütend. Während er um seinen Wagen wieder herumlief, wagte sie es nicht, einfach wieder einzusteigen. „Die sind noch hinter mir her. Die werden mich umbringen...“ Bei diesen Worten wurde er nun doch hellhörig. Während er seine Tür schloss, ließ der das Fenster auf der Beifahrerseite herunter. „Wer?“, fragte er jedoch nur. „Ich weiß nicht, wer diese Kerle sind“, sagte sie wahrheitsgemäß und schaute ihn mit ihren großen, grünen Augen unschuldig an, in der Hoffnung, Marik würde sie wieder in den Wagen bitten, aber das tat er nicht. Er wollte sie schmoren lassen. Strafe muss sein. Auch wenn er sonst nicht der Unnahbare war. Marik hatte immer versucht zu helfen, wo er konnte und nett zu sein, zu jedem, der ihm über den Weg lief, aber genau das hatte es wohl schließlich zu diesem „Unfall“ kommen lassen, an dem er noch heute zu leiden hatte und woran er wohl bis an sein Lebensende litt. „Du redest nicht zufällig von einem breitschultrigen, ziemlich fetten, Kerl mit zerschlissener Jeans, einem ruinierten Hemd und einem scheußlichen Schnurrbart?“ Bei diesen Worten wurden ihre Augen groß. „Oh Gott...“, flüsterte sie. „War der etwa hier?“ Sie blickte sich unruhig um. „So einer war vorhin im Bistro und hat am Telefon verkündet, jemanden verloren zu haben...“ Aschfahl wurde die junge Frau und sah abermals flehend in Mariks Richtung und so wie sie ihn anschaute, was das für sie kein Spiel. „Na schön, steig ein“, ließ er sich schließlich erweichen. Er wollte nicht am Tod einer jungen Frau schuld sein. „Dankeschön.“ Doch noch bevor sie ihren Hintern erneut auf dem schwarzen Ledersitz platziert hatte, hielt er sie mit ausgestrecktem Arm erneut an. Im letzten Augenblick nur konnte sie noch abbremsen. „Aber nur unter einer Bedingung:“ Erwartungsvoll schaute sie ihn an. „Ich will wissen, was los ist.“ Ihr zaghaftes Nicken darauf war für ihn Antwort genug. „Gut.“ Als sie endlich wieder eingestiegen war, atmete sie tief durch, doch ihr Blick wirkte alles andere als beruhigt. Denn erst jetzt begann sie sich den Kerl, den sie eben noch bedroht hatte und in dessen Wagen sie wieder saß, genauer anzusehen. Schon seine Aufmachung war eher Geschmackssache. Schwarzes Leder. Er machte auf sie irgendwie den Eindruck, als käme er geradewegs aus den 80ern. Und welcher Mensch trug schon bei finsterster Nacht eine Sonnenbrille? Und dann war da noch dieser Rottweiler auf der Rückbank, auch wenn er sie Hechelnd anschaute und dabei nur bedingt gefährlich wirkte. Sie mochte Hunde, ganz klar, aber dieser hier war schon ein ganz schöner Brummer. „Also?“ Marik verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich zurück, doch sich dazu durchzuringen, ihm zu antworten, fiel ihr plötzlich schrecklich schwer. Stattdessen begann sie unruhig ihre Hände zu falten. Marik bekam das natürlich mit. Die junge Frau roch derartig nach Angst, dass es kaum auszuhalten war. Mit einer zügigen Bewegung schloss er wieder das Seitenfenster und verriegelte die Türen. „Besser so?“ Sie verzog abermals den Mund, denn immerhin war sie hier nun bei diesem Kerl gefangen, der ihr ebenfalls alles andere als geheuer war, aber sie hatte es doch so gewollt, also begann sie zu erzählen, um ihn nicht noch länger warten zu lassen. „Die haben mich entführt wegen meinem Bruder. Er hat wohl wieder Mist angestellt und das einzige was ich weiß ist, das er einen Auftrag für sie erledigen soll und wenn er das nicht macht, bin ich dran.“ Sie zog tief die Luft ein. „Er hat diese Sache wohl nicht gemacht.“ „Was für eine Sache?“ Marik blickte sie jetzt wieder direkt an und die Kleine presse die Lippen kurz fest zusammen. „Ich glaube, er sollte jemanden erschießen...“ Kopfschüttelnd wand er den Blick wieder ab. Wie konnte die Welt nur so werden? „Schusswaffen gehören verboten...“ „Ich weiß es doch nicht genau.“ Unruhig rutschte sie auf dem Sitz herum. „Und dieser Kerl sollte dich aus dem Weg schaffen?“ Sie nickte und wieder hing ihr Blick an Xerxes. „Ich habe ihn verarscht und bin abgehauen...“ „Kopf runter“, unterbrach Marik sie mit einem Male in ihrer Erzählung und versuchte diese Worte so leise wie möglich zu äußern. „Da hinten kommt er...“ Die junge Frau rutschte sofort in den Fußraum und kauerte sich zusammen. Eine Sache die Xerxes sehr interessant fand, denn am liebsten wäre er hinterher. Marik konnte ihn nur im letzen Moment packen, um ihn davon abzuhalten. „Schaut er her?“, flüsterte sie kleinlaut und lugte zu Marik hinauf. Dieser vergewisserte sich kurz. „Ich denke nicht, aber ich werde jetzt besser fahren. Er kommt in unsere Richtung.“ Mit diesen Worten startete er den Wagen. Kapitel 19: 47. Single ---------------------- Alles hatte mit dieser komischen Single-Party begonnen. Zunächst wollte er nicht dort hin, aber dann hatte er diese Wette verloren und seine Kumpels waren da ungemein streng. Jedenfalls konnte sie es sein. Wenn es gegen einen ging, der in ihren Augen Mist gebaut hatte, aber es nicht zugeben konnte. Er hätte eben sein Maul nicht so aufreißen dürfen. Bradley hatte keine Ausrede mehr gehabt und das wars. Ein Grinsen legte sich kurz auf seine Lippen, während er den alten Ford um die nächste Kreuzung lenkte und er daran denken musste. Wieder. Und wieder. Er war mit den Gedanken gar nicht bei der Sache. Denn nur kurz hatte er sich geärgert, dort, auf dieser Party zu sein. Es hatte nämlich nicht lange gedauert, da war ihm bereits diese Frau ins Auge gefallen. Ungemein hübsch, schwarzhaarig, wilde Frisur... Ihr kecker Blick ließ es um ihn geschehen. Auch wenn sie sonst nicht im Geringsten sein Typ war. Er – der Sonnyboy und sie – ein Grufti... Oder so etwas in die Richtung. Oder warum sie auch immer so herumlief. Konnte das überhaupt sein? Es war ihm egal. Sie sah so blass aus und doch hatte sie vom ersten Augenblick an eine Ausstrahlung, die ihm die Knie hatte weich werden lassen. Sie sah umwerfend aus in diesem Kleid und der engen Korsage. Und ihr Name ging runter wie Öl: Charlene... Unruhig warf er einen Blick auf die Navi an der Frontscheibe. Er hatte das Geplapper abgeschaltet und verließ sich jetzt einzig auf die Richtungspfeile. Die Stimme seines Navigationsgerätes war ihm bereits beim ersten Test auf die Nerven gefallen. Wenn er dabei jedoch an die Frau von der Singleparty dachte... Eine so weiche und tiefe Stimme hatte er noch nie gehört und eigentlich passte sie auch nicht so recht zu diesem zierlichen Wesen. Aber jedes ihrer Worte ließen bei ihm eine Gänsehaut entstehen. Verstohlen sah er auf den Beifahrersitz. Dort saß sein Arbeitskollege und guter Freund. Keiner von den Kumpels, denen er diese Frau verdankte. Nein, Scott war anders. Er war nicht gerne unter Leuten. Schon gar nicht so vielen und gleich recht nicht fremden. Scott war viel zu schüchtern und wurde zudem viel zu schnell nervös. Ein netter Kerl eben. Einer, mit dem man über alles reden konnte. Naja fast. Die Sache mit dieser Frau hatte er ihm nicht erzählt. Ihr erstes Treffen außerhalb dieser Single Veranstaltung war einfach zu unheimlich gewesen. Wenn er nur daran dachte, wurde ihm bereits wieder heiß. Was für eine Frau. Er hatte sie bei sich zu Hause besucht. Sie hatte ihm sofort ihre Adresse gegeben. Zunächst hatte ihn das noch verwundert, dass eine so zierliche Frau keine Scheu hatte, sich bereits einen Kerl ins Haus zu holen, den sie doch eigentlich noch gar nicht kannte, aber als er dort ankam, waren seine Bedenken deswegen zunächst verschwunden. Unheimlich war vielleicht das richtige Wort für ihre Wohnsituation und irgendwie passte diese auch zu ihrer Erscheinung. Er hatte zwar zunächst gehofft, diese Aufmachung auf der Party wäre nur eine Art „Kostüm“ gewesen, aber ihr ganzer Lebensstil schien genauso zu sein. Einerseits wäre er lieber wieder verschwunden aber andererseits kam er nicht von ihr weg. Als hätte sie ihn verhext. Wie von einem Magnet angezogen. Wo er doch sonst nicht mit sich spielen ließ, weil er selbst der Typ dazu war, aber gegen diese Lady hatte er keine Chance. Nicht die geringste. Sie war wie ein Vulkan und Bradley war wie benommen, als sie mit ihm fertig war. Und jetzt hatte er diese komischen Einstichlöcher am Hals. Ob sie ihm etwas gespritzt hatte? Irgendeine Droge, die ihn so wirr und abwesend gemacht hatte? Er hatte keine Ahnung. Als er am nächsten Morgen aufgewacht war, was sie nicht auffindbar gewesen und eine Nachricht hatte er auch nicht gefunden. Also war er irgendwann einfach gegangen. Die Sache mit einer möglichen Droge bereitete ihm Kopfzerbrechen. Die Haut um diese Stelle an seinem Hals herum war richtig blau geworden und auch jetzt hatte er aus reiner Vorsicht ein Halstuch um. Wenn sein Kollege das sehen würde, würde er bestimmt Fragen stellen, auch wenn dieser sonst für gewöhnlich recht Wortkarg war. Bei einem Arzt war er deswegen jedoch nicht gewesen. Irgendwie hatte er bei diesem Gedanken kein gutes Gefühl. Bradley sah erneut auf das Navi und anschließend wieder zu Scott. „Was glaubst du, ist das für eine Familie?“ Sein Freund zuckte zusammen, als er unvermittelt angesprochen wurde und wusste im ersten Augenblick nicht so recht, was Brad meinte. „Na unser Kunde heute. Schäfer. Diesen Nachnamen habe ich noch nie gehört. Wo die wohl herkommen?“ Mit seinem Geplapper versuchte er sich selbst nur zu beruhigen. „W..weiß nicht“, brachte Scott stotternd zusammen. Er griff sich die Mappe mit dem Auftrag und dem Plan des Grundstückes. „Frau Grete Schäfer...“, las er laut vor, runzelte die Stirn und zuckte schließlich mit den Schultern. Aber genaugenommen konnte es ihm auch egal sein, wo diese Leute herkamen. Die Navi deutete schließlich an, dass es nur noch 100 Meter wären. Brads Blick fiel auf eine Mauer, die sicherlich drei Meter hoch war. „Eine Festung“, scherzte er, doch mit einem Male fuhr ihm eine Stimme in den Kopf. Sie rief ihn. Es war Charlene. Bradleys Gesicht schlief ihm augenblicklich ein. Dass er das Gefühl hatte, sie in seinem Kopf zu haben, war ihm nicht neu. Das hatte er bereits erlebt. Wiederholt. Seine Hände begannen zu zittern und er hatte schwer mit sich zu kämpfen, das Lenkrad gerade zu halten. Doch dann hielt er mit einem Ruck an und verschnaufte kurz. Scotts Blick hing sofort sorgenvoll an seinem Kollegen. „Geht es d...dir nicht gut?“ Warum rief sie ihn nur gerade jetzt? Es war ihm egal. Er wollte augenblicklich zu ihr und nahm Scotts Frage nur noch wage war. „Doch, doch, alles bestens“, log Brad ihn sofort an. „Hör mal. ich muss noch ein paar Sachen besorgen. Ich befürchte wir haben gar nicht alles dabei und bei der Größe dieses Grundstückes kommen wir mit der Schnur vielleicht auch nicht hin, die wir dabei haben.“ Für gewöhnlich war das Scotts Aufgabe, alles Nötige zusammenzusuchen und es einzuladen, weil er einfach der ordentlichere war, doch im Augenblick kam er nicht auf den Gedanken, dass ihn sein Kollege hier anlog. Er wollte einen Blick zurück auf die Ladefläche des himmelblauen Pick Ups werfen, doch da fuhr Brad bereits wieder an. „Ich setz dich einfach ab und beeil mich. Fang doch einfach schon mal an.“ Brad fuhr in die nächste Straße ein und sah beeindruckt am hohen Tor hinauf. „Meinst du, du kommst zurecht?“ Sein Blick fiel wieder auf Scott und dieser nickte zaghaft. Ihm war klar, dass er ihm da einiges zumutete, aber er hatte im Augenblick etwas anderes im Kopf und das im wahrsten Sinne des Wortes. „In ein bis zwei Stunden bin ich zurück. Fang doch schon mal an.“ „Na schön“, gab ihm sein Kollege zurück und ließ die Tür aufspringen. Dann nahm er sich den Grundstücksplan aus der Mappe, faltete diesen zusammen, ließ ihn in der Latzhosentasche verschwinden und stieg aus, um sich noch den Spaten von der Ladefläche zu holen. Sicher war sicher. „Ich beeil mich“, bekam Scott noch zu hören, bevor sein Kollege bereits abbrauste. Kapitel 20: 48. Knochen ----------------------- Scott war noch nie der Schnellste gewesen. Wie oft war er deswegen bereits verlacht worden, doch richtig betrachtet, was das nie seine Schuld gewesen. Es hatte begonnen im Bauch seiner Mutter. Dort hatte er nicht genügend Sauerstoff bekommen und genau von daher rührte sein „Schaden“. Er vergaß schnell Dinge. Hatte manchmal schwer damit zu kämpfen logische Zusammenhänge zu erkennen. Bekam, wenn er aufgeregt war, die einfachsten Rechenaufgaben nicht heraus und neigte zu stottern. Dennoch war er es Leid, sich immer und immer wiederrechtfertigen zu müssen. Scott atmete tief durch, als er am hohen Zaun angekommen war. Hier würde er also die nächsten Tage seiner Arbeit nach gehen. Ja, ihr habt richtig gelesen. Er hatte einen Job! Und das trotz seines „Schadens“. Das konnten in der heutigen Zeit nicht alle von sich sagen. Er war Gärtner. Eigentlich hieß es ja Landschaftsgestalter, aber er mochte die Bezeichnung Gärtner lieber. Die war einfacher. Sein Kollege hatte ihn gerade hier abgesetzt. In ein bis Zwei Stunden würde dieser wiederdazustoßen. Scott sollte sich von diesem Grundstück erst einmal selbst ein Bild machen. Schon am Zaun stehend wurde ihm klar, dass dieses Projekt wohl das Größte sein würde, an dem er bis jetzt gearbeitet hatte. Und er freute sich darauf. Scott freute sich riesig, obwohl ihm jedoch auch mulmig war. Die Familie, die hier lebte, hatte sicherlich anständig Geld. Also lag es an ihm, den Garten so zu gestalten, dass es diesen Leuten und dem Grundstück mit dem riesigen Haus überhaupt gerecht wurde. Scott zurrte seine grüne Latzhose zurecht, nahm seinen mitgebrachten Spaten auf und griff nach der Klinke des Gartentores, welches sich mit einem quietschen öffnete. Als er endlich eingetreten war, wurde ihm das Ausmaß dieses Grundstückes erst bewusst. Bereits von hier aus, konnte er in den hinteren Teil des Gartens sehen. Dort standen Apfel und Pflaumenbäume. Und hier vorne, bestand der Garten noch hauptsächlich aus Grünfläche. Aber das würde sich bald ändern. Dafür war er schließlich hier. Scott zog eine fein säuberlich gefaltete Zeichnung hervor. Auf dieser war der vordere Teil des Gartens aufgezeichnet. Er drehte die Zeichnung erst einmal hin und her, da er sich nicht sicher war, wie genau er jetzt hier darauf schauen musste. Es gab nicht nur ein Tor und er wollte schließlich nichts falsch machen. Dann hatte er es endlich. Rechts, neben dem Tor, durch welches er hier eben eingetreten war, sollte er anfangen. Dann weiter nach rechts. Hier musste der Pflasterweg ein Stück verlegt werden, wenn er das so anlegen würde, wie auf der Zeichnung. Er nahm seinen Zollstock hervor und nahm bereits ein Maß auf. Ja, er hatte recht. Hier musste der Weg verlegt werden. Als er ein weiteres Maß abnehmen wurde, öffnete sich hinter ihm die Haustür. Der Gärtner war so erschrocken, dass er seinen Zollstock augenblicklich fallen ließ. Mit einem Ruck wand er sich um. War er doch tatsächlich so vertieft gewesen, dass er mit keiner Silbe daran gedacht hatte, erst einmal zu klingeln und den Hausherren davon in Kenntnis zu setzen, dass er hier war. Stattdessen schlich er hier im Garten herum. „G gu.. guten Mor.. morgen“, brachte er hervor und senkte den Blick. Die Nervosität übermannte ihn augenblicklich. Eine Frau, mittlerein Alters war heran getreten. „Sie sind der Gärtner?“ Scott nickte. Seine Arbeitskleidung hatte in längst verraten. „Sind Sie etwa alleine hier?“ „M.. mein Ko... Kollege ist nur schn.. schnell noch etwas be.. besorgen. Er kommt in Kürze zurück.“ Wie froh er doch war, diese Worte endlich heraus zu haben. „Ich soll sch...schon mal anfangen.“ „Gut.“ Die Hausherrin lächelte überheblich „Dann werde ich Sie nicht länger abhalten.“ Mit diesem Worten verschwand sie wieder im Haus und Scott atmete erleichtert auf. Wenn er sich nur nicht so schwer tun würde, mit anderem Menschen zu sprechen. Er wusste, dass er sich dabei jedes Mal zum Idioten machte, aber er konnte es nicht abstellen, egal wie viel Mühe er sich gab. Als er endlich alleine war, wand er sich sofort wieder seiner Arbeit zu. Die einzige Sache, die ihn ruhiger stimmte. Wenn er etwas zu tun hatte, vergaß er alles um sich herum. Scott legte die Zeichnung auf dem Rasen ab und griff sich erneut den Zollstock. Diesen platzierte er an jener Stelle, wo die Rasenkante abgestochen werden sollte und er begann mit der Arbeit. Schnell kam er voran. Die einige Meter breite Fläche, die er hier freilegte, War von Wurzeln durchzogen. Sicherlich hatten hier irgendwann Bäume gestanden und die Reste dieser, erschwerten ihm jetzt jedoch die Arbeit. Scott setzte den Spaten tiefer und stemmte mit aller Kraft dagegen, dann endlich gab es nach, doch was ihm dabei zwischen die Finger geriet, war alles andere als üblich, gerade hier gefunden zu werden. Eine Uhr weckte sein Interesse. Prüfend hob der den Blick, ob die Lady ihn beobachtete. Als die Luft für ihn rein zu sein schien, packte er die goldfarbene Uhr derweil in seine Hosentasche. Hier konnte sie nicht wegkommen. Er hatte nicht vor, die Hausherrin jetzt wieder herzubestellen. Viel eher war er froh, dass er hier alleine war. Diese Uhr lief ja nicht weg. Schnell griff er sich wieder den Spaten und versuchte erneut den Wurzeln Herr zu werden. Mit der scharfen Kante seines Werkzeuges würde er diese wohl in Stücke hacken müssen. Als ihm das endlich gelungen war, schaufelte der die Wurzelreste auf einem Haufen neben der abgestochenen Fläche, doch dann glaubte er sich versehen zu haben. Was war das? Zwischen dein Wurzelresten war doch noch etwas anderes. Knochen? Scott schluckte hart. Das konnte doch nicht sein. Er schaute genauer hin, doch er hatte sich nicht versehen. Waren da etwa noch mehr? Er schippte an jener Stelle weiter, wo er bereits gearbeitet hatte und stieß mit dem Spaten plötzlich gegen etwas hartes. Unruhig und mit zitternden Händen grub er schließlich im verwurzelten Boden, doch als sein Blick plötzlich auf einem menschlichen Schädel hängen blieb, den er soeben freigelegt hatte, stieß er einen heißen Schrei aus. Kapitel 21: 49. Wieder ---------------------- Nach seinem eiligen Aufbruch vom Parkplatz der Raststätte, war er sofort auf die Autobahn gefahren und zwar mit dem Vorhaben, diese, auf der nächsten Abfahrt sofort wieder zu verlassen. Doch während er gezwungenermaßen an der dieser vorbeifahren musste, weil diese aus bautechnischen Gründen gesperrt war, überkam ihn dieses Déjà-vu-Gefühl. Wieder war er bei Nacht unterwegs und wieder hatte er eine Frau in Nöten aufgelesen. Und höchstwahrscheinlich würde er sich auch jetzt wieder dabei Ärger einhandeln. Irgendwie war er wohl der Typ, für derartige Fettnäpfchen. Nur schien es dieses Mal noch eine Spur schlimmer zu sein. Beim letzten Mal, als er sich in eine unschöne Sache einmischte, waren es zwar zwei Halbstarke gewesen, die dieser Frau an ihr Geld und womöglich auch die Wäsche wollten oder was auch immer sie geplant hatten, was so gesehen keineswegs harmlos war, doch jetzt waren sie wohl offensichtlich auf ihren Tod aus. Wenn diese Kerle so besessen darauf waren, würden sie bestimmt auch vor ihm nicht halt machen, aber wollte er wirklich sterben, wegen einer Unbekannten? Dazu noch einer, die ihn hier selbst mit einer Waffe bedroht hatte? In seinem eigenen Wagen? Die Antwort war ganz klar: NEIN! Er musste sie also schnellstens wieder loswerden. Marik warf einen Blick zu ihr hinüber. Wie apathisch hockte sie neben ihm, auf dem Beifahrersitz und starrte ins Dunkle hinaus. Er hatte einige Minuten auf sie einreden müssen, bis sie endlich aus dem Fußraum herauskletterte und sich setzte. Und jetzt starrte sie wie paralysiert vor sich hin. „Ist... alles in Ordnung soweit? Hat er dich angefasst?“ Marik startete einen zaghaften Versuch der Konversation. Nicht gerade die klügsten Fragen, aber besser als Nichts. Eine Antwort bekam er jedoch nicht und da das Radio nicht lief, herrsche sofort beklemmende Stille. Doch mit einem Mal riss sie den Kopf herum und sah zu ihm herüber. Aus dem Augenwinkel heraus sah er sofort, dass jetzt alles auch ihr herausbrach und sie zu weinen begonnen hatte. Alle Anspannung, die mit einem inneren Knall von ihr abfiel. Ihr Schluchzen brannte ihm förmlich in den Ohren. Es tat ihm leid, aber dann auch wieder nicht, wenn er dabei an sein eigenes Leben dachte, also konzentrierte er sich wieder auf die Straße vor ihm und hoffte auf eine baldige Abfahrt, welche jedoch noch auf sich warten ließ. Wenn es ihm nur nicht so schwer fallen würde, den Unnahbaren zu spielen. „Wie bist du überhaupt in meinen Wagen gekommen?“, fragte er schließlich und wartete abermals auf eine Antwort. Die Unbekannte legte die Arme um sich herum, ganz so als würde sie frieren. „Sie hatten Ihn beim Verlassen nicht abgeschlossen...“ Kurz dachte er über ihre Worte nach. Konnte das sein? War er so nachlässig gewesen? Wo er sonst eine Sache lieber einmal mehr kontrollierte, als zu wenig? „Die Förmlichkeiten können wir uns sparen denke ich“, war es schließlich, was er darauf entgegnete. Als sie ihn bedroht hatte, hatte sie ihn schließlich auch nicht gesiezt. „Hast du einen Namen?“ „Vera“, sagte sie schließlich kleinlaut. „Ist dir kalt?“ Er wartete jedoch nicht erst auf eine Antwort und drehte stattdessen die Klimaanlage wärmer. „Ich bin Marik.“ Doch dann vernahm er ein Geräusch, welches er zunächst seinen Hund unterstellen wollte. Ein Magenknurren der Sorte: für alle gut hörbar. Er blickte in den Rückspiegel, doch von Xerxes war dieses wohl nicht gekommen. Dennoch hatte auch er es gehört. Es kam also von der Frau neben ihm. Ohne zu zögern griff er nach dem Baguette im Fach der Fahrertür und reichte ihr dieses. Unsicher starrte sie kurz darauf. „Nimm schon. Ich habe das vorhin erst im Bistro gekauft.“ Vera zögerte noch immer, ganz so, als würde er ihr Gift andrehen. „Wenn du mir nicht vertraust: Warum bist du dann wieder hier eingestiegen?“ Ein Argument, welches kaum plausibler sein konnte.. „Vielen Dank.“ Ziemlich rasch hatte sie die erste Hälfte herunter geschlungen. Zwei Fliegen mit einer Klappe, dachte sich Marik nur. Er war das Baguette losgeworden und hatte dabei noch jemandem einen Gefallen getan. „Du solltest schnellstens die Polizei davon in Kenntnis setzen“, sagte er schließlich und sah bereits die nächste Abfahrt. Mit einem gewissen Maß an Erleichterung wechselte er auf die rechte Spur. Ihr Blick hatte bei Mariks Worten jedoch einen überaus entsetzten angenommen. „Keine Polizei!“ Hastig wischte sie sich das Gesicht trocken. „Auf keinen Fall! Ich will meinen Bruder nicht in Gefahr bringen.“ Marik glaubte sich verhört zu haben und zog verärgert die Stirn in Falten. „Hör mal. Die wollten dich eben erschießen. Seinetwegen. Dein Bruder hat dir die Sache doch erst eingebrockt. Was glaubst du, wie sicher du jetzt noch bist? Wenn das ein größerer Verein ist, haben die sicherlich überall ihre Leute und...“ „Keine Polizei...“ Seufzend gab er auf. Erst einmal zumindest. Er war nicht in Stimmung zu streiten. Das konnte doch nicht wahr sein! Er musste sie loswerden. Er musste! Wenn die Sonne aufging, würde sie wissen, was mit ihm los war. Beim letzten Mal hatte das auch nur Probleme gegeben. In Form von zwei Frauen, aus denen er nicht schlau geworden war und einer Wohnung, die man ihm für eine Woche aufzwingen wollte. Warum zum Geier waren Frauen so kompliziert? Vera ließ seufzend die Schultern hängen und starrte aus dem Seitenfenster. „Er ist der einzige, den ich noch habe, verstehst du? Meine ganze Familie...“ Marik schwieg. Eine weitere Debatte mit ihr würde wohl zu nicht viel führen. Ein anderer Plan musste also her. Er hielt sich rechts und bog schließlich auf einem Parkplatz ein. Dieser war ziemlich groß und zu seiner Erleichterung komplett leer. Die sich nicht weit davon befindliche Halle hatte den Charme einer großen Diskothek. Heute schien sie geschlossen zu sein. Er hielt den Wagen irgendwo in der Mitte der Parkfläche und schaltete den Motor ab. Mit verschränkten Armen lehnte er sich anschließend zurück. Vera blinzelte in seine Richtung. „Was jetzt?“, fragte sie unsicher. „Das frage ich dich.“ Marik sah zu ihr hinüber. „Ich... Ich weiß auch nicht.“ Xerxis steckte den Kopf zwischen den Sitzen hindurch und brachte die junge Frau erneut zum zusammenzucken. Marik schenkte seinen vierbeinigen Freund ein Lächeln und kraulte ihn kurz, während er überlegte. „Dann solltest du vielleicht zumindest deinen Bruder anrufen und ihm Bescheid geben, dass es dir gut geht.“ Ohne Umschweife hatte er auch bereits sein Handy zur Hand und hielt es ihr entgegen. Nur zaghaft fasste sie danach und versuchte eine Nummer zu wählen, doch das Display blieb dunkel. Sie drehte es hin und her und kam schließlich nicht umhin, ihren Retter fragend anzusehen. „Scheint kaputt zu sein.“ Marik nahm es ihr mit einem Ruck aus der Hand. Es war nicht kaputt. Nur eben ohne Displaybeleuchtung. Er hatte nicht daran gedacht. Diese hatte er stets abgestellt und hier, auf einem Parkplatz, auf dem nicht eine Straßenlampe brannte, waren die Zahlen für die junge Frau nicht zu lesen. Zumal er ja nicht einmal die Wagenbeleuchtung angeschaltet hatte. Alles war finster, nur für ihn eben nicht. Einmal mehr hatte er nicht daran gedacht. „Einen Augenblick.“ Er änderte schnell die Einstellungen und reichte es ihr erneut. „Versuch es noch einmal.“ Unsicher griff sie erneut danach. Und tatsächlich. Das Telefon war nicht defekt. Lediglich verstellt gewesen. Vera wählte eine Nummer und lauschte konzentriert. Eine Sache, welcher auch Marik nachging. Seine Vermutung, sie habe überhaupt keine Nummer gewählt, bestätigte sich nicht, soweit er es hören konnte. Der Teilnehmer ist nicht zu erreichen, hörte er die Computerstimme murmeln. „Oh komm schon! Geh ran!“ Vera wurde unruhig. Sollte sie etwas auf die Mailbox sprechen? Zu verunsichert ließ sie es bleiben und legte auf. Mariks Vorhaben, einfach zu verschwinden, verpuffte wie heiße Luft. Das war also die letzte Möglichkeit gewesen, erneutem Ärger aus dem Weg zu gehen. Wieder einmal lief nichts, wie geplant. Aber warum wunderte er sich darüber überhaupt noch? Mit festem Griff fasste er das Lenkrad, ganz so, als wollte er es zerdrücken. „Prima!“, entwich es ihm murrend. Dass sie nicht länger erwünscht war, war aus diesem Wort mehr als deutlich herauszuhören. „Es tut mir leid“, flüsterte Vera kleinlaut. „Aber ich kann die Polizei nicht anrufen.“ „Es gibt noch mehr Sachen, die er verbrochen hat?“, schlussfolgerte Marik prompt. Die junge Frau senkte daraufhin nur den Kopf. Bestätigung genug, für einen Mann, der eins und eins zusammenzählen kann. „Ein wirklich toller Bruder.“ Mit diesen Worten riss er die Fahrertür auf und stieg hastig aus. Erschrocken blickte ihm Vera nach, doch der Kerl in Schwarz hatte lediglich angefangen, genervt hin und her zu laufen. Ihr misstrauischer Blick fiel auf den schwarzen Hund, der sie noch immer hechelnd musterte. Ihn anzufassen wagte sie nicht. „Meinst du, er ist arg sauer?“ Xerxes Ohren zuckten, als er von ihr Aufmerksamkeit bekam und er versuchte erneut die fremde Frau abzuschlecken, doch diese wich ihm geschickt aus und verließ ebenfalls den Wagen. Als die Tür zuschlug, hob Marik den Blick. Zerknirscht sah die junge Frau aus, als sie ihm folgte. Mit um den Körper geschlungenen Armen trat sie heran. Ohne zu zögern trennte sich Marik von seiner Lederjacke und reichte sie ihr. Als sie ihm diese abgenommen und sich übergezogen hatte, wand er sich von ihr ab. „Dann werden wir wohl ein Zimmer nehmen und du wirst es später noch einmal versuchen.“ Wie ihm diese Worte doch widerstrebten. Er wollte nicht bleiben, erst recht nicht bei ihr und schon gar nicht unter den im Augenblick herrschenden Umständen. Vera nickte, als er sie wieder ansah. „Dann muss die Polizei eben noch warten.“ Vera wollte protestieren, doch Marik ließ sie mit erhobenem Zeigefinger gar nicht zu Wort kommen. „Du wirst ihnen sagen, was passiert ist. Dieser Mistkerl hat dich entführt und festgehalten und wollte dich erschießen. Dabei spielt es keine Rolle, was dein Bruder angestellt hat! Einzig dein Leben zählt!“ Der plötzliche Befehlston in seiner Stimme ließ es nicht zu, dass sie erneut widersprach. Schweigend sah sie zu ihm auf. Der Sichelmond spiegelte sich in seinen Brillengläsern und sein grimmiger Blick gefiel ihr gar nicht. Aber sich jetzt einfach von ihm verabschieden? Einfach verschwinden und selbst sehen, wie sie klar kam? Dazu fehlte ihr der Mut. Sie wollte jetzt nicht allein sein. Nicht schon wieder. Ganz bestimmt würde sie dabei schneller wieder eingefangen werden, als ihr lieb war und das wäre dann ihr Ende, da war sie sich sicher. „Ich gehe dir auf die Nerven, richtig?“ Mariks grimmiger Blick legte sich rasch. Stattdessen sah er nun betroffen auf sie herab. „Nein“, gab er ihr zu verstehen. „Es liegt nicht an dir.“ So nah wie er jetzt neben ihr stand, kam sich Vera augenblicklich klein und nichtig vor. „Ich bin nur nicht gerne unter Menschen, verstehst du?“ Ihr unruhiger Blick hing erneut an seiner Brille. Sie wusste nicht mehr, was sie denken geschweige denn tun sollte. Und die Gegenwart ihres menschenscheuen Retters war ihr auch mittlerweile alles andere als recht. Marik seufzte tief und versuchte anschließend seine, die junge Frau verwirrende, Miene abzulegen. „An einer der Straßen, an der wir hier her vorbei gekommen sind, habe ich ein Schild gesehen, welches ein Motel ausgewiesen hat. Lass uns von hier verschwinden, bevor sie uns doch wieder aufspüren können.“ Kapitel 22: 56. Puppe --------------------- Ziemlich zügig war er unterwegs, als er die Autobahn, über die nächste Ausfahrt, verließ. Auch noch, als er bereits den nächsten Parkplatz ansteuerte, der ihn zu dieser Raststätte führte. Erst hier angelangt, wurde ihm dies bewusst und verlangsamte rasch sein Tempo. Schließlich wollte er niemanden umfahren. Auf dem Parkplatz selbst, war nicht viel los. Nur wenige Pkws standen hier. LKWs waren es ein paar mehr, doch diese standen am anderen Ende der eher unübersichtlichen Fläche, da diese wohl an einem Wald zu enden schien. Marik steuerte mit seinem Wagen auf einen der Parkplätze zu, der sich nicht unmittelbar im Licht der hell erleuchteten Raststätte befand. Er war eher an der Seite des Gebäudes und hier stand er nahe am Liefereingang. Als er den auffälligen, großen, schwarzen Wagen, mit den getönten Scheiben endlich geparkt hatte, wurde auch sein vierbeiniger Freund, auf der Rückbank, endlich wach. Der junge Rottweiler hob sofort den Kopf, sah neugierig aus seinem Fenster und begann anschließend zu murren, als Zeichen, dass er aussteigen wollte. Marik warf einen Blick auf die Uhr und hob überrascht die Brauen. Hatte sein Hund doch tatsächlich länger ausgehalten, als es sonst der Fall war. Drei Stunden am Stück. Und das, wo er sonst nach einer halben Stunde meist bereits schon wieder quenglig wurde. „Du überrascht mich, mein Lieber“, ließ Marik verlauten und drehte den Rückspiegel so, dass er seinen Hund sehen konnte. „Wie mir scheint, besserst du dich langsam. Wirst wohl erwachsen.“ Er grinste kurz und fasste sofort nach dem Türgriff, um diesen zu öffnen und um auszusteigen. Draußen angekommen, streckte sich der hochgewachsene, dunkelhaarige, schlanke Mann erst einmal ausgiebig. Tief sog er dabei die, ihn umgebene, Nachtluft ein. Eine Sache, die er sich vielleicht lieber hätte sparen sollen, denn die Luft war durchzogen von den Abgasen der Fahrzeuge von der Autobahn, die nicht weit von hier entfernt, entlangführte. Das Rumoren der Autos war mehr als deutlich zu hören. Ja, es war nahezu spürbar. Mit dem Blick, abwesend in eine der Straßenlampen gehängt, musste er sofort wieder daran denken, wo er gerade eben hergekommen war. Obwohl ‚gerade eben‘ vielleicht nicht der richtige Ausdruck war. Immerhin war er schon wieder zwei Tage unterwegs. Seinem eigentlichen Ziel wieder ein Stück näher: Island. Nach einem mehr als übereilten Aufbruch aus dieser Stadt, in welcher er für einige Tage unfreiwillig gestrandet war und in der wohl jeder zweite Verrückt zu sein schien, war er nun hier auf diesem Rastplatz gelandet. Hier gab es keinen, der ihn mit Ratschlägen nervte, oder ihm mit grenzenloser Arroganz in den Ohren hing. Irgendwie beruhigend. Ja, so war ihm das lieber. Hier war es ruhig, bis auf das gleichbleibende Brummen der Motoren im Hintergrund. Keine Menschenseele war um diese Zeit unterwegs. Die meisten Trucker schliefen sicherlich in ihren Fahrzeugen und die Anderen waren wohl alle in der Raststätte, wo er sich auch endlich hinbegeben sollte. Marik öffnete endlich die hintere Tür seines Hummers, dass sein Hund aussteigen konnte. Der Rottweiler sprang sofort heraus, schüttelte sich und begann sich anschließend ausgiebig am Hals zu kratzen. Mariks Blick fiel dabei sich versichernd auf seine Umgebung, doch das war eigentlich gar nicht nötig. Er schloss den Wagen ab, fuhr sich noch einmal schnell durch sein - für seinen Geschmack - bereits wieder zu langes Haar, richtete seine Lederjacke und Beide machten sich endlich auf den Weg zur Raststätte. „Entschuldigen Sie, Sir, aber Hunde sind hier drin nicht erlaubt.“ Die Stimme einer Frau ließ ihn zusammenzucken, gleich nachdem er die Tür überhaupt richtig geöffnet hatte. Wie angewurzelt blieb Marik stehen und sein Hund tat es ihm ausnahmsweise gleich, anstatt wie sonst, sofort loszurennen, da alles erkundet werden musste. Erst ein paar Augenblicke später bemerkte er den mürrischen Blick, der jungen Verkäuferin, hinter dem Tresen, von welcher wohl auch diese Worte gekommen waren. Hier drin war es einfach zu hell und seine Orientierung war mehr als schlecht. „Oh“, war es schließlich, was er lediglich hervorbrachte. Marik blickte auf seinen Hund herab und fasste schnellstmöglich erneut nach der Türklinke, um den Laden wieder zu verlassen. Hatte er etwa ein Schild nicht gesehen, welches klar ein Verbot aussagte? Beim Verlassen des Gebäudes und beim genaueren mustern der Tür fiel ihm das Schild endlich auf. Groß genug war es schließlich, dass auch er es hätte sehen sollen. Er war eben nicht so ganz bei der Sache gewesen. Schulterzuckend wand er sich an Xerxes. „Tut mir leid Großer, aber du darfst da nicht rein“, sagte er, obwohl er sich sicher war, dass Xerxes nicht so ganz verstand, aber wenn er ehrlich war, gefiel ihm der Gedanke nicht, ihn im Wagen zu lassen. Nur ging es im Augenblick nicht anders. Zum einen hatte er ein dringendes Bedürfnis und zum anderen nagte der Hunger so langsam an ihm. Eiligen Schrittes machten sich beide auf dem Weg zurück zu seinem Wagen und nur wiederwillig hopste Xerxes erneut hinein. „Ich beeile mich“, flüsterte Marik und knuddelte den Rottweiler anständig durch, woraufhin sich dieser dennoch beleidigt auf die Rückbank zurückzog. Seufzend schloss er die Tür und begab sich nun ohne Begleitung erneut zur Raststätte. Ihm gefiel dieser Gedanke nicht und wahrscheinlich würde er sich ohnehin wieder auffällig verhalten, ohne dies jedoch zu wollen. Doch bevor er sich wieder ins „Getümmel“ stürzte, würde er erst einmal etwas wegschaffen gehen. Als er die Toilette betrat, war er zunächst noch allein. Marik überlegte kurz, entschied sich dann jedoch, kein Risiko einzugehen und verschwand in einer der Sitzkabinen. Nicht das hier einer der Kerle noch neidisch wurde... Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, denn bereits dieser nicht ganz zu Ende gedachte Gedanke konnte falsch verstanden werden. Schon irgendwie komisch. Dann jedoch ging die Tür und er war froh, dass er hier drin verschwunden war. Beim erneuten betreten des Bistros fühlte er sich augenblicklich schrecklich beobachtet. Ob das vielleicht an seiner Aufmachung lag? Schwarze Lederjacke und Lederhose? Gepaart mit einer Sonnenbrille bei Nacht? Kurz musste er bei diesem Gedanken wieder grinsen. Immerhin versuchte er doch damit eine gewisse Abschreckung zu erzielen, aber irgendwie überraschte es ihn noch immer, wie gut das doch funktionierte. Am Tresen stand auch jetzt keine Kundschaft, also trat er heran und der Blick, der Verkäuferin brannte förmlich an ihm und sie strahlte eine Unruhe aus, die für ihn mehr als deutlich spürbar war. „Tut mir leid, Sir. Ich hatte nicht vor, sie eben so anzugehen.“ Marik sah auf und musterte die blonde junge Frau, welcher das Unbehagen förmlich ins Gesicht geschrieben stand. „Keine Angst, das sind Sie nicht. Ich hätte eben an der Tür auf das Verbotsschild achten sollen.“ Er lächelte kurz und sah sich anschließend flüchtig im Laden um. „Dennoch habe ich irgendwie Angst, dass er mir den Fahreraum zerlegt, da ich ihn für gewöhnlich nicht im Auto lasse.“ Warum auch sollte man einen Blindenhund im Wagen zurücklassen, aber das zu erklären, würde zu viel Zeit und Verständnis kosten und da er weder Lust dazu hatte, sich zu erklären und diese Frau nicht wirklich danach aussah, dass sie es vielleicht verstehen könnte, ließ er es bleiben und betrachtete mit diesen Worten stattdessen wieder die Auslage, welche er jedoch nicht wirklich erkennen konnte. Sie war viel zu hell beleuchtet, aber da musste er eben nach dem Geruch gehen. „Zwei von denen hier“, sagte er schließlich und deutete auf die Auslage, wobei er hoffte, dass von jenen Baguettes wirklich noch zwei zu haben waren. Da er nur noch seine Nachtsicht hatte, die ihm durchs Leben half, war er ohne jedes Farbsehen unterwegs. Eine Sache, an die man sich zwar gewöhnen konnte, da sie durchaus besser war, als gar nichts, doch in so manchen Situationen war diese eindeutig zu wenig. Zum Beispiel wenn man rote von grünen von gelben Paprikas unterscheiden musste, was im Augenblick jedoch zum Glück nicht von Belang war. „Und eine Limonade.“ „Zum mitnehmen?“ Marik überlegte kurz, entschied sich dann jedoch dagegen. Während die Verkäuferin seine Bestellung auf ein Tablett packte, kam er endlich dazu einen Blick auf ihr Namensschildchen zu werfen. D. Baker war da zu lesen. Beim Betrachten des Namens musste er unwillkürlich an seine Zeit als Küchenchef denken. Seine Mitarbeiter hatten auch Namensschilder bekommen, da es Zeitweiße so drunter und drüber ging, was es neue Kollegen anging, dass er nach einer Zeit nicht mehr nachgekommen war, sich alle Namen zu merken. Ein Kapitel seines Lebens, welches jedoch ein unschönes Ende genommen hatte. Unwillkürlich entwich ihm ein Seufzen, als er schließlich den von ihr genannten Preis zahlte. Mit dem Tablett in der Hand steuerte er ohne zu zögern die dunkelste Ecke an, die es hier in diesem Bistro zu finden gab. Jedoch wehrte das nicht lange, denn die Verkäuferin schaltete natürlich augenblicklich eben jene Lampe über dem Tisch ein. Sollte er ihr vielleicht sagen, dass das nicht nötig, ja sogar eher unnötig war? Marik ließ es lieber sein. Hier waren ihm zu viele Leute und mit einer Frage wie: Könnten sie vielleicht das Licht wieder ausmachen, es ist mir hier zu dunkel, wäre er wohl eher ein Fall für den Klapsdoktor. Er setzte sich also so, dass ihn das Licht am wenigstens behinderte und machte es sich bequem. Dabei dachte er nicht mit einer Silbe daran, sich von seiner Lederjacke zu trennen. Kurz ließ er noch einmal den Blick schweifen, um sich anschließend den Baguettes zu widmen, doch beim Betrachten seines Kaufs legte sich seine Begeisterung schlagartig. Leberkäse? Er konnte Leberkäse nicht ausstehen! Frustriert trank er erst einem einen Schluck Limonade. Und wieder war es passiert. Sein Geruchssinn war überfordert gewesen und hatte ihm einen Streich gespielt. widerstrebend betrachtete er seinen Kauf. Und nun? Augenblicklich ärgerte er sich, dass er nichts Süßes genommen hatte, doch umtauschen ging nicht und wegwerfen kam nicht in Frage, also begann er doch zu essen. Als die Tür schließlich unfein aufgerissen wurde, hoben einige der Leute hier die Köpfe. Xerxes hätte jetzt sicherlich verrückt gespielt, denn dieser Kerl roch drei Kilometer gegen den Wind, aber ganz bestimmt nicht nach Seriosität. Heruntergekommene Erscheinung, ungepflegt, bekleidet mit einer verschlissenen Jeans und einem Hemd, welches dringend eine Waschmaschine von innen sehen sollte. Sein mürrischer Blick fiel prüfend auf alle, die sich hier befanden. Dabei schenkte er der gut gefüllten Theke jedoch nicht einen Blick. Ganz klar suchte er jemanden, aber dieser Jemand schien nicht hier zu sein. Marik stellte das Kauen nicht ein. Er wollte nicht auffällig wirken und beobachtete ihn einfach weiter. Durch seine Brille war die genaue Blickrichtung ohnehin nicht auszumachen und keinen Moment später war der Unbekannte bereits wieder verschwunden. Doch auf den Parkplatz war er noch nicht sofort getreten. Marik lauschte am gekippten Fenster, konnte zunächst jedoch noch nichts hören. Sicherlich suchte er jetzt auch noch die Toiletten ab. Die Frau hinterm Tresen ließ ihren Blick unruhig schweifen. Sie schien in Alarmbereitschaft. Dann ging die Eingangstür und Marik konnte Schritte hören. Er spitzte die Ohren und bekam trotz des Brummen im Hintergrund und des Geschwätzes, hier im Bistro folgende Worte mit: „Sie ist abgehaun, Boss.“ Dann war wieder Stille. Sicherlich bekam er gerade eine Standpauke. „Ja, Boss.“ Dann folgten wieder Schritte und der Kerl im verkeimten Hemd trat am Fenster vorbei und schien zu verschwinden. Zur Erleichterung der Frau hinter der Theke. Komischer Vogel, dachte sich Marik, obwohl dieser wohl der Letzte war, der sich über irgendwelche Äußerlichkeiten aufregen sollte. Ein kurzes Grinsen legte sich dennoch auf sein Gesicht, dann warf er einen Blick auf sein Brötchen. Das zweite würde er unmöglich schaffen. Also stand er auf und trat erneut an die Theke. „Könnten Sie mir das vielleicht einpacken?“ „Sicher.“ Die Frau dahinter machte auf ihn jetzt einen abwesenden Eindruck, doch wurde mit einem Male gesprächig. Ganz so, als wolle sie sich selbst beruhigen. „Dieser Mann ist seit einigen Tagen regelmäßig hier“, flüsterte sie und sah sich unruhig kurz im Laden um, dann schob sie das Baguette endlich in die Papiertüte. „Er kauft einige Brötchen, etwas zu trinken und verschwindet dann wieder.“ Damit reichte sie Marik die Tüte und zwang sich ein Lächeln auf. „Bitteschön.“ „Vielen Dank.“ Und ohne ein weiteres Wort verließ er dann auch bereits das Bistro, aber was hätte er auf ihre Geschichte auch erwidern sollen. Draußen angekommen, dachte er über die Worte der Verkäuferin allerdings noch einmal nach. Sie schien wohl verwirrt, dass dieser Kerl dieses Mal nichts gekauft hatte. Und vor allem dass er sonst regelmäßig hier war. So ungewöhnlich kam Marik das jedoch nicht vor, immerhin konnte dieser Kerl ja auf dem Arbeitsweg immer an der Selben Stelle halten, aber so wie dieser gerochen hatte? Er war sich nicht sicher, was er davon halten sollte. Erst recht, wenn er daran dachte, was dieser Mann am Telefon gesagt hatte: Sie ist angehauen? Sie? Kopfschüttelnd lief er schließlich auf seinen Wagen zu. Er musste zusehen, dass er an einen unauffälligen Ort kam, wo er die Nacht und den morgigen Tag verbringen konnte. Er konnte zwar auch hier bleiben, aber tagsüber an einer Autobahnraststätte festzusitzen, war nicht in seinem Sinne. Auf dem Weg zurück zu seinem Wagen, kam ihm niemand entgegen. Auch nicht der Kerl, den er eben belauscht hatte. Alles war ruhig, bis auf ein paar Nachtaktive Vögel in der Ferne. Er zog die Fahrertür auf und ließ das Brötchen im Fach der Tür verschwinden. Dann warf er einen Blick auf den Rücksitz. Xerxes hob nur knapp den Kopf. Wie es schien, hatte er wohl ein Nickerchen gemacht. Doch mit einem Male saß er Kerzengerade. Marik betrachtete ihn noch eine Weile und entschied sich dann, mit seinem Vierbeinigen Freund noch eine Runde zu drehen, bevor es weiter ging. Dass sich unweit von hier gleich ein Wald anschloss, kam ihm dabei mehr als gelegen. Zielstrebig lief der Rottweiler von selbst in die richtige Richtung voran. Doch nachdem der befestigte Boden endete, begann er zunehmend unruhiger mal hier und mal da zu schnuppern. Eine Sache, die Marik gar nicht gefiel. Er hatte zwar einen zuweilen recht zappeligen Hund, aber so wie er sich gerade aufführte? Mit einem Pfiff brachte er ihn kurzzeitig wieder auf Reichweite. Die Worte des Kerls und die der Verkäuferin kamen ihm wieder in den Sinn. War hier vielleicht in den Wäldern noch jemand unterwegs? Für so unwahrscheinlich hielt er diesen Gedanken gar nicht. Er hob den Blick und in einer Entfernung fielen ihm Lagerhallen auf. Mehrere wie es schien und sie hatten wohl nach der anderen Seite eine Anbindung an die nächste Stadt. Während er so auf die Hallen sah und nach möglichen Bewegungen Ausschau hielt, war Xerxes bereits wieder im Unterholz verschwunden. Ein ärgerliches Murren entwich Marik, als er mit Rufen keinen Erfolg hatte. Wo steckte dieser Hund nur? Er bog in jene Richtung ab, in der er ihn vermutete und trat dabei direkt in einen Ameisenhaufen. „Ach Mist!“ Dann vernahm er ein Knacken und lauschte. Nachdem er die Ameisen abgeschüttelt hatte, folgte er dem Geräusch und dann konnte er auch endlich seinen Hund ausmachen. Mit erhobenem Schwanz kam dieser endlich wieder auf ihn zu, doch er hatte etwas im Maul und Marik schaute nicht schlecht, als er endlich sah, was ihm sein treuer Freund da herbei geschafft hatte. Ziemlich verschlissen, schmutzig und sie stank förmlich vor Dreck. Die Kleider zerrissen und eines ihrer Beine fehlte. Eine Puppe... Kapitel 23: 58. Angst --------------------- Und schon war er wieder von ihr umgeben. Sie war überall. Brennend wie ein Feuer. Er spürte die Hitze und doch war ihm kalt. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals. ANGST! War er doch vor wenigen Augenblicken davor davongelaufen. Um nicht sehen zu müssen, was hier gerade geschehen war. Eng an die hohe und bröckelige Steinmauer gepresst, stand er hier und starrte erneut auf den Fund, den er hier in diesem Garten gemacht hatte. Scott war Landschaftsgestalter - ein Gärtner - und er hatte hier lediglich versucht, seiner Arbeit nachzugehen. Doch dann fand er diese Gebeine. Genau an der Stelle, an der er begonnen hatte, die Wiese aufzugraben, da an dieser Blumenbete angelegt werden sollten, stieß er darauf. Knochen! Die Knochen eines Menschen. Zunächst war seine Vermutung noch nicht sicher, doch dann grub er auch noch einen Schädel aus. Diese Tatsache war zu viel für ihn gewesen. Zu viel für einen Mann, den man geistige Zurückgebliebenheit zuschrieb. Fest klammerte er sich jetzt an die Steine hinter ihm und schloss die Augen. Wann kam endlich sein Kollege wieder? Dieser wollte doch nur noch ein paar Sachen besorgen und dann sofort zurückkommen, doch er blieb weg. Vielleicht hatte sich aber auch Scotts Zeitgefühl verabschiedet. Er hätte ... ja angerufen, aber er war nicht im Besitz eines Handys. Er hatte irgendwann mal eins, aber er war damit nicht zurechtgekommen. Und die Hausbesitzerin zu fragen, ob er ihr Telefon benutzen durfte, war ihm irgendwie nicht in den Sinn gekommen. Wenn er jetzt doch nur irgendwo hin gehen könnte... Das Gefühl, nirgendwo hin zu können erdrückte ihn schier. Die Hausherrin hatte nach seinem Schrei, den aus ausgestoßen hatte, sofort die Polizei allarmiert. Sie hatte ihm gesagt, dass sie sich darum kümmern würde. Aber sie hatte ihm auch gesagt, dass er hier bleiben solle. Hierbleiben und warten, bis die Polizei eintraf. Bei diesem Gedanken wurde ihm richtigschlecht. Und wieder fuhr die ANGST brennend in ihn. Sie würden Fragen stellen. Da war er sich sicher. Immerhin hatte er diese menschlichen Überreste gefunden, aber er konnte doch mit Menschen nicht reden. Schon gar nicht, wenn er so aufgewühlt war, wie jetzt. Seine ANGST schlug nahezu in Panik um. Warum musste gerade ihm so etwas passieren? Scott hob kurz den Blick, als er Schritte hörte. Es war die Hausherrin und nicht die Polizei, wie er zunächst vermutet hatte. „Sie sind auf dem Weg, aber es dauert noch ein Weilchen“, informierte sie ihn. Dabei sah sie ihn irgendwie mitleidig an. Wie er so etwas hasste! Sie hier, hielt ihn wohl auch längst für einen dummen Jungen. Scott nickte auf ihre Worte hin lediglich. Was hätte er auch sinnvolles sagen sollen? Er hätte doch ohnehin nur vor sich hin gestottert und damit ganz gewiss wieder nur zur Belustigung beigetragen. Die erdrückende Erkenntnis, hier nun warten zu müssen, gefiel ihm nicht. Wehmütig hängte er wieder den Blick an das Tor, welches zum Nachbargrundstück führte. Dahin hatte es ihn nach seinem Fund verschlagen. Er war in den Nachbargarten gerannt, um sich die Knochen nicht länger ansehen zu müssen, doch dort kam ihm etwas vor die Augen, was ihn nicht weniger paralysiert hatte. Er hatte keinen Moment dort gestanden, da war ihm diese Frau aufgefallen. Sie hatte nahe dem Fenster im ersten Stock gestanden und das bisschen was sie am Leib trug, konnte man unmöglich als Kleidung bezeichnen. Scott hatte seinen Blick nicht von ihr lassen können. Wie ein Spanner hatte er in ihrem Garten gestanden und sie angestarrt. Bis sie schließlich ihren Wecker nach ihn geworfen hatte, als sie seine Gegenward bemerkte. Sie hatte ihn zwar nicht getroffen, doch seine Flucht zurück in den Garten, wo die andere ANGST auf ihn lauerte, war unvermeidlich gewesen. Nun stand er wieder hier. Allein. Die Polizei war noch nicht da, die Hausherrin war wieder im Gebäude verschwunden und hatte ihn hier einfach stehen lassen und auch Bradley ließ auf sich warten. Was sollte er nur tun? Diese Warterei schlug ihm auf den Magen. Ganz bestimmt würde er sich dabei wieder Durchfall einfangen. Er wollte gar nicht daran denken. In seinem Magen rumorte es doch jetzt bereits. Unruhig löste er sich schließlich von der Wand und sah erneut in den hinteren Teil des großen Gartens, der zu diesem riesigen Haus gehörte. Da hinten waren die Obstbäume. Vielleicht sollte er dorthin gehen, um sich abzulenken? Eine gute Idee, wie er fand und allemal besser, als hier zu stehen und immer wieder diese Knochen vor den Augen zu haben. Doch er war kaum am schmalen Gartentor, welches zum Nachbargrundstück führte, vorbeigelaufen, da packte ihn eine Hand von hinten an der Schulter. Vor Schreck hätte er fast abermals einen Schrei losgelassen, doch er bekam seine Hand vor den Mund und erstickte diesen noch rechtzeitig. „Na? Hast du zufällig etwas verloren?“ Scott stockte der Atem, als er ihre Stimme vernahm. Diese Person kam gar nicht auf den Gedanken, ihre Worte förmlich zu wählen, ganz so, als würde sie ihn bereits kennen, aber es war nicht die Besitzerin dieses Hauses. Wobei sie ihn gar nicht mit Du angesprochen hatte, wie ihm schließlich einfiel. Der Griff an seinem Arm lockerte sich und Scott wand sich danach um. Was er sah, war eine dunkelhaarige, junge Frau, die er jedoch im Moment nicht einordnen konnte, da sein Augenmerk auf dem Büchlein, in ihrer Hand, lag. Hatte er tatsächlich sein Notizbuch verloren? Unruhig begann er seine Taschen abzutasten und tatsächlich: Es war nirgends. Es musste sich also um seines handeln. Sie reichte ihm das Buch schließlich entgegen und grinste seltsam. „Du hast nicht wirklich ein Gedicht über die Farbe Gelb geschrieben?“ Zum Antworten ließ sie ihm jedoch gar keine Zeit. „Wie verrückt muss man sein?“ Ihr Grinsen ging in ein Lächeln über. Dennoch fühlte sich Scott dabei keinen Deut wohler. Ihr Blick wirkte auf ihn dabei nicht weniger Schadenfroh. Mit einer ruckartigen Bewegung hatte er sich vorgenommen, ihr sein Büchlein aus den Fingern zu reißen, aber nicht einmal das bekam er hin. Mit zitternden Fingern nahm er es ihr schließlich schweigend ab. Angstschweiß! Ein noch viel beklemmenderes Gefühl überkam ihn, als es bei den Knochen bereits der Fall gewesen war. Sie hatte darin herumgeschnüffelt? Auch das noch. Scott spürte, wie ihm übel wurde. Dann hatte sie sicherlich auch seine Notizen darin gelesen. Für den Ein oder Anderen mussten diese gänzlich belanglos und unverständlich sein, aber für ihn waren sie so manches Mal eine Hilfe gewesen. Selbst zur Orientierung. Er merkte sich eben schlecht Dinge, Zahlen oder Orte. „Ich...“ Er wollte sich dazu äußern, doch es ging nicht. Dieses Gedicht war aus einer Laune heraus entstanden und wenn er ehrlich war, erheiterte es ihn auch jetzt noch, wenn er die unsinnigen Reime las. Ein Lächeln legte sich bei diesem Gedanken auf seine Lippen und er hob den Blick, doch als er sie erneut genau ansah, wurde ihm endlich bewusst, wem er sich hier abermals gegenüber befand. Seine Augen wurden groß und er begann erneut heftig zu schwitzen. Das war die Frau, die er vom Garten aus begafft hatte. Scott schluckte hart und rang um seine Beherrschung. Der Blick der dunkelhaarigen Schönheit wurde kalt. „Ich hoffe, du hast vorhin genug gesehen“, murrte sie und verschränkte die Arme vor der Brust, wobei sie ihren kritischen Blick nicht von ihm nahm. Wie es schien, machte es ihr Spaß, ihn nervös zu machen. Er war sich sicher, dass sie längst gemerkt hatte, dass er mit den Nerven am Ende war aber das nicht nur ihretwegen. Sie hatte ihn also erkannt. Aber das war auch nicht schwer gewesen. war er doch der einzige hier, der mit einer grünen Latzhose bekleidet war. Hastig schaute er sich nach einem Mauseloch um, in welchem er schnellstens verschwinden konnte. Ihm war nun richtig schlecht geworden. Ein Ziehen in seinem Magen, welches ihm sagte: „Übergib dich jetzt und hier!“ „Ich... k...kann das erklären“, brachte er hervor und wich von ihr einige Schritte zurück. Dann verstaute er endlich sein Buch sicher in der Hosentasche. „Ach ja? Kannst du das? Da dann lass mal hören, was du in unseren Garten wolltest...“ Ihr Blick war schneidend, wie Glas. „Ich... habe...“ Scott presste die Lippen fest zusammen. Er wollte sie doch nicht anlügen. Wobei er ohnehin ein schlechter Lügner war, weil ihm dafür für gewöhnlich die Ideen fehlten. Die junge Frau hob schließlich den Blick. Ihr war der Dreckhaufen aufgefallen und wie es schien wirkte dieser auf sie wohl interessanter, als diese Unterhaltung. „Was machst du denn da drüben?“, fragte sie neugierig. Scott zog tief die Luft ein. „G.. geh d..da nicht hin!“Er wollte sie am Arm packen, doch er war zu langsam, genau wie mit seinen, sie warnenden, Worten. Sie ließ sich von ihm nicht aufhalten. Schnurstracks lief sie auf die Ausgrabungsstätte zu. Scott folgte ihr auf dem Fuße. „Bitte...“, versuchte er es erneut. „S.. sieh da n.. nicht hin.“ Mit großen Schritten hatte er sie recht schnell eingeholt. Ruckartig hielt sie jedoch an und keinen Moment später schlug sie die Hände vor den Mund. „Oh mein Gott...“ Sie besah sich die Knochen, dann den Schädel, wieder die Knochen, bis ihr Blick abermals am Menschenschädel hängen blieb. „Wie schrecklich...“, flüsterte sie. Scott kam hinter ihr zum halten. „Ich... weiß.“ Er wusste nicht, was er sagen sollte. Ihm war ja selber nicht wohl dabei, diese menschlichen Überreste anzusehen. Wegen ihnen war er ja auch aus dem Garten verschwunden, was ihm nicht sonderlich lange gelungen war. Die junge Frau machte mit einem Ruck wieder kehrt, um das nicht länger sehen zu müssen, doch da Scott ungemein nah hinter ihr gestanden hatte lief sie bei ihrer Drehung genau gegen ihn. Erschrocken blickte sie zu ihm auf, da er doch ein ganzes Stück größer war als sie selbst. Zu seiner Überraschung stieß sie ihn jedoch nicht von sich weg. „Hast du diese Knochen gefunden?“, fragte sie stattdessen. Scott nickte. „Dann... warst du es auch, der vorhin geschrien hat?“ Auch jetzt nickte er wieder. „Ich b... bin aus d... dem Garten ge...laufen, w... weil ich diesen...“, er verschnaufte kurz und versuchte sich zu konzentrieren. „...Anblick n... nicht länger ... ertragen konnte...“ „Oh man...“ Noch immer ungemein nah vor ihm stehend, wand sie abermals den Kopf langsam in die Richtung der Fundstelle und berührte Scott dabei mit dem Kopf an seiner Brust. Dieser schloss sofort die Augen und spielte mit dem Gedanken, einen Schritt von ihr wegzutreten, ließ es dann jedoch sein. Es war ja nicht unangenehm, sie so nah bei sich stehen zu haben, auch wenn es ihn ungeheuer nervös machte und für einen Moment waren dabei sogar die Knochen vergessen. „Welcher Mensch hat nur so eine schreckliche Tat fertigbringen können...“, flüsterte sie und ihre Stimme zitterte dabei merklich. „Ich w... weiß nicht. A... aber ich denke...“ „Sie müssen schon sehr lange dort liegen“, brachte sie seinen Satz zu Ende und blickte zu ihm auf. Scott nickte daraufhin wieder nur. Irgendwie war er froh, dass sie diesen Gedanken selbst weitergeführt hatte. „Oh mein Gott“, entwich es ihr abermals im Flüsterton. „Und ich lebe schon so lange im Haus nebenan...“ Die junge Frau blickte sich auf die Arme. Sie waren mit einer Gänsehaut überzogen, wie auch Scott feststellte. Von ihrer, ihn einschüchternden, Art war mit einem Male nichts mehr zu spüren. Vielmehr war sie es jetzt, die für ihn fühlbare ANGST verströmte. Doch in Scott löste das nicht diese überhebliche Gehässigkeit aus. Nein, viel mehr tat sie ihm jetzt leid. Sie war wohl doch nicht so stark, wie sie zunächst den Eindruck auf ihn erwecken wollte. Scott öffnete den Mund, um ihr irgendetwas Beruhigendes zu sagen, aber natürlich fiel ihm nichts ein. Wie hätte es auch anders sein sollen. Das quietschen einer Türklinke ließ ihn aufblicken. „Bei der Polizei dauert es wohl noch einen Augenblick. Sie haben ein Problem mit... Was... haben Sie hier verloren?!“ Die Stimme der Hausherrin wurde mit einem Mal hart, doch ihr Blick bei ihren Worten war überraschenderweise gar nicht auf Scott gerichtet. Mit zusammengekniffenen Augen fixierte sie die junge Frau. „Ich habe ihm lediglich sein Notizbuch zurückgegeben“, kam es von ihr sofort und sie sah bei diesen Worten wieder ziemlich arrogant aus. Doch sie zitterte irgendwie. Keineswegs fühlte sie sich hier wohl. Das fiel sogar dem Gärtner auf. Hatte sie etwa ANGST vor dieser Frau? „Verschwinden Sie“, brachte die ältere betonungslos hervor. Ihr war wohl klar, dass sie aus einem ganz anderen Grund hier war. Dieses neugierige Mädchen von nebenan war ihr von Anfang an ein Dorn im Auge. Scott war ein bisschen irritiert. Konnten sie diese Beiden nicht ausstehen? Dem war wohl so, denn die Haltung seiner augenblicklichen Auftraggeberin war verkrampft. Die junge Frau überlegte nicht lange. „Na schön“, sagte sie dann. „Dann werde ich ihn hier kurz entführen...“ „Was?!“ In Scotts Kopf schrillten Alarmglocken, als sie ihn am Arm griff und in Richtung des Gartentürchens zog. „NEIN!“ Die nächste Panikattacke hatte ihn ergriffen. Verdammt! Was sollte das denn jetzt werden? Wie er es hasste, wenn er nicht wusste, wie ihm geschah. „Ich muss d... doch warten, bis...“ „Sie sagte doch, es dauert noch.“ Dabei warf sie nicht einen Blick zurück und von der Auftraggeberin kam auch kein Wort des Widerspruches. Sie wusste ja, wo Scott zu finden war, wenn er hier gebraucht werden würde. „Sie hasst mich!“, stieß die junge Frau verärgert aus und versicherte sich, dass das Gartentor auch richtig verschlossen war. „Dabei ist es ihre dämliche Katze, die hier ständig Schaden anrichtet.“ „Eine...graue?“ „Ja. Hast du sie hier auch sehen?“ Scott nickte. Sie war an seinem Bein herumgeschlichen und hatte geknurrt, als er... Da war er wieder. Der Gedanke an seine heimliche Gafferei, die nicht lange unbemerkt geblieben war. „Ich wollte d... dich nicht be..obachten... vorhin...“ Scott senkte verschämt den Blick. Ganz bestimmt war er mittlerweile rot im Gesicht. „Ich...“ Unruhig setzte er sein Basecap ab kratze sich kurz am Kopf. Dabei sah er sich ebenfalls verstohlen um. Scott kam sich hier mehr und mehr vor, wie ein eingesperrtes Wildtier. Unruhig trat er auf der Stelle herum. Er wollte weg, nur wohin? Für ihn gab es im Augenblick keinen anderen Platz. Er war hier mehr oder weniger gefangen. Aber rüber zu den Knochen wollte er auch nicht. Aber er musste warten. Konnte nichts tun, außer warten. Was für eine Qual. „Du bist ein verdammter Schisser!“, schalt er sich in Gedanken. „Und daran wird sich wohl nie etwas ändern in deinem Leben. Nie!“ Welch traurige Tatsache... „Schon gut.“ Sie lächelte kurz, nachdem sie erneut zum Türchen gesehen hatte.“Ich denke, ich weiß jetzt, warum du hier warst.“ Ihr Blick wurde traurig. „Wenn ich nur daran denke... Eine Leiche in meinen Nachbargarten...“ „Wer ist dieser fremde Mann?“ Eine Stimme von der Terrasse ließ ihn abermals zusammenzucken. Hörte das denn heute nie auf? So langsam hatte Scott wirklich genug. Was er jedoch erblickte, war eine alte Frau, doch ihr Blick war mehr als mürrisch. Sie musste bereits unheimlich alt sein. Ihre kleinen Augen funkelten ihn böse an. „Großmutter, dass ist...“ Erst dabei fiel ihr ein, dass sie keine Ahnung hatte, mit wem sie hier sprach. „Scott Cleaver, Mam“, sagte er und war selbst überrascht, wie leicht ihm sein Name über die Lippen kam. Dennoch musste er ziemlich mit sich Ringen, sein freundliches Lächeln aufrecht zu erhalten. Diese alte Dame da oben machte ihm irgendwie auch ANGST, erst recht mit ihrem mehr als grimmigen Blick. „Hm...“ und ein Schnauben war ihre Antwort darauf, kurz bevor sie wieder im Haus verschwand, um niemandem mehr eines Blickes zu würdigen. Scott heftete seinen ratlosen Blick auf die Frau neben ihm. „Sie ha...hasst mich.“ „Großmutter kann niemanden leiden“, gab sie ihm allerdings zurück und zuckte mit den Schultern. „Sie ist sehr... eigen. Mein Name ist übrigens Fernanda. Freut mich dich kennen zu lernen.“ Schweigend sahen sich beide einen Augenblick an. Scott atmete tief durch. So langsam wurde er etwas ruhiger. Endlich! Nach all dem, was er hier jetzt in dieser kurzen Zeit durchhatte, wollte er sich nur zu gerne irgendwo zum schlafen niederlegen. Er begann kurz die auf ihn exotisch wirkende, junge Frau wieder zu beobachten. Fernanda war ihr Name? Der klang wirklich schön. Dann sah er sich wieder kurz um. „Darf ich dir vielleicht einen Tee machen? Einen zur Beruhigung?“, durchdrang ihre Stimme das Vogelgezwitschern. Scotts Kopf ruckte herum. „Ich... weiß nicht.“ Obwohl dieser Gedanke gar nicht einmal so schlecht war. So ein Tee würde ihm vielleicht wirklich helfen. Im Augenblick jedenfalls. Aber warum tat sie das? Tat ihr vielleicht irgendetwas leid? Oder wegen der Tatssache drüben auf dem anderen Grundstück? „Dann komm.“ Wie es schien, wollte Fernanda nicht länger in ihrem Garten herumstehen. Sicherlich wollte sie selbst auch einen Tee. Als Scott nicht reagierte, weil er noch einen Moment brauchte, um ihre Worte ganz aufgenommen zu haben, stand sie bereits neben ihm und fasste abermals seinen Arm. Scott erschauderte. Ihm war gar nicht wohl bei dem Gedanken, in ein Haus zu gehen, in der eine grantige Großmutter lauerte... ANGST... „Kö..können wir nicht...?“ „Jetzt reiß dich doch bitte zusammen, Scott. Sie ist eine alte Frau. Sie wird dich schon nicht fressen...“ „Sie nicht“, murmelte er, „aber...“ Kapitel 24: 60. Blut (Gedicht) ------------------------------ Blut Der Schuss ist längst verklungen. Die Stille wird plötzlich so laut. Blut Aus meiner Brust gedrungen. Ein Brennen, dass mir unvertraut. Blut Rinnt zwischen meinen Fingern. Seh, wie es auf den Boden tropft. Blut Ein Pochen in meinem Schädel. Dieser Schmerz zerreißt mir den Kopf. Blut Voll davon ist nun mein Mund. Geschmack von Metall macht sich breit. Blut Ich gehe jetzt wankend Boden. Nun scheint es endlich soweit. Blut Vor meinem inneren Auge. Wie es scheint, ist es jetzt überall. Blut Ein Pochen hart unter den Schläfen. Es kündet an meinen Verfall. Blut Unter mir zwischen den Steinen. Unaufhörlich läuft ein Rinnsal breit. Blut Die Welt um mich herum verschwimmt. Der Herzschlag verebbt – Dunkelheit... Kapitel 25: 61. Das Richtige ---------------------------- Der alte Sessel knackte, als sich Ádám darin zurücklehnte. Kurz stierte er auf den Riss an der Decke, seiner Einzimmerwohnung und atmete tief durch. Dabei krallte er sich an den Armlehnen fest. Wie er sein Leben doch hasste! Es war völlig aus der Bahn geraten. Diese Gemeinschaft hatte ihn in der Hand. Hätte er damals nur nicht in ihrem „Revier gewildert“. Jetzt hatten sie seine Schwester... Er wollte doch nur seinen Stoff verkaufen. Dabei war er leider an die falschen Leute geraten und nun? Dieser Bastard von einem Bandenkopf hatte tatsächlich seine geliebte Schwester entführt und ihm nun ein Ultimatum gestellt. Dieser Auftrag wurde ein Erfolg, oder sie würde sterben. Und er würde sie umbringen. Das wusste Ádám. Für diesen Mistkerl hatte ein Menschenleben keinen Wert. Wieder hängte er seinen Blick auf den Lauf seiner Waffe, welche neben ihm auf dem dreibeinigen Hocker lag. Er hatte sie erst seit einigen Monaten, doch da er bereits damals als Junge mit seinem Vater schießen geübt hatte, wäre es für ihn ein leichtes, diese nun gezielt einzusetzen. Ádám wusste mehr als genau, dass dies keineswegs das Richtige war, aber er hatte keine andere Wahl. Erneut zog er tief die Luft ein und eine Träne bahnte sich unaufhaltsam ihren Weg an seiner Wange herab. Er machte sich nicht die Mühe, diese wegzuwischen. Es war ohnehin niemand hier, der ihn so sehen konnte. Seine braunen Augen wanderten in Richtung des kleinen Regals, auf dem ein Bild von ihm und seiner Schwester stand. Unzertrennlich waren sie damals gewesen. Und das würden sie auch wieder sein, wenn er diesen Aufrag erledigt hatte. Auch wenn sein Auftraggeber ein Mistkerl war, stand er zu seinem Wort, wenn seine Aufgaben zu seiner Zufriedenheit erfüllt wurden. Ein Verräter aus ihren Reihen, hatte einen der besten Männer umgebracht und jetzt war es Ádáms Aufgabe, diesen zu richten. Das Leben seiner Schwester, für den Tod von Benjamin Edwards! Heute wäre die einfachste Gelegenheit, an diesen Kerl heranzukommen. Informanten hatten ihm eine Uhrzeit und auch den Ort mitgeteilt, wo er ganz wahrscheinlich zu finden war. Aber er wollte nicht erst warten, bis sein Ziel zuhause angekommen war. Er würde eher zuschlagen. Dieser Auftrag musste ein Erfolg werden! Ádám Radványi stand mit einer zügigen Bewegung auf und griff sich bereits dabei seine Waffe, die er hoffentlich danach nie wieder einsetzen musste. Sein Plan stand fest. Er war ihn bereits oft genug in seinem Kopf durchgegangen. Sein knapper Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er noch zwei Stunden Zeit hatte. Ádám nahm sich im vorbeigehen noch seine Sonnenbrille vom Tisch und setzte sich diese auf die Nase. Dann ließ er seine Waffe in der Jacke verschwinden. Da sie mit einem Schallschutz versehen war, würde sie ein ganzes Stück mehr Platz brauchen, aber auch so war sie unter seiner Jacke nicht auszumachen. Ádám warf einen letzten Blick in den Spiegel. So sah also ein Kerl aus, der in wenigen Stunden ebenfalls ein Mörder war... Immerhin kannte er diesen Benjamin nicht einmal, aber seine Schwester war ihm wichtiger, als irgendein fremder Kerl. Er verließ schließlich seine Wohnung und bahnte sich seinen Weg durch die unzähligen Fußgänger, die in der Innenstadt unterwegs waren. Dass er keineswegs das Richtige hier tat, wusste er, doch er hatte keine andere Wahl... Kapitel 26: 68. Anders ---------------------- Wenn ihn etwas nervte, neigte er zu kopflosem Handeln. Wie gerade eben. Das beste Beispiel seit langem. Wütend über sich selbst, starrte er kurz in den Spiegel, während er die Hände zu Fäusten ballte, entschied sich dann jedoch zu duschen. Kalt! Vielleicht half ihm das, den Kopf wieder klar zu bekommen. Doch noch während er sich auszog, vernahm er bereits die Wohnungstür. Janika war verschwunden. Obwohl er es bedauerte, einmal mehr eine Sache angefangen und nicht zu Ende gebracht zu haben, hielt er es im Augenblick für besser, wie die Sache eben ausgegangen war. Auch wenn es ihm leid tat um dieses Mädchen. Wenn sie sie nun aber zu fassen bekamen? Aber immerhin würde nicht sein Kopf auch noch rollen. Ihr nachrennen und sie abhalten? Wenn sie ihn jetzt aber scheute und gar nicht mehr um sich haben wollte? Er seufzte tief und trat in die Kabine. Wie konnte er mittlerweile nur so gleichgültig sein? Aber in den letzten Jahren war eben nichts so gelaufen, wie er es gerne gehabt hätte und diese Tatsache hatte ihn wohl ausgezehrt. Wie viel Zeit er unter dem kalten Wasser verbrachte, konnte er nicht sagen, doch als er das Badezimmer verließ, traf ihn fast der Schlag. „Ich hätte schwören können, dass du gegangen bist...“ Mitten im Raum blieb er stehen und sah sie überrascht an. Lediglich mit einem Badetuch um den Hüften. Er hatte einfach nicht mit ihrer Anwesenheit gerechnet. Er hatte die Tür zwei Mal gehört, aber diese war wohl beim zweiten Mal wieder von innen geschlossen worden. Janika saß hier im Wohnzimmer und sie hatte auch nur die kleine Lampe auf dem Beistelltisch brennen. Dunkel genug, dass Marik sie sehen konnte. „Das wollte ich auch, aber...“ Liebevoll kraulte sie Xerxes dabei am Ohr. Er hatte es sich neben ihr auf der Couch bequem gemacht und den Kopf auf Janikas Knie gelegt. So ließ es sich aushalten. Mit einem Seufzen schaute diese schließlich auf und ihr Blick blieb zunächst an Mariks leichter Brustbehaarung hängen. „Darf ich ihn mal sehen?“ Ein Zucken durchfuhr ihn. Vor allem war es aber seine Schwanzspitze. Diese zuckte immer, wenn er nervös wurde und dazu hatte er im Augenblick allen Grund. Sie wollte ihn sehen? War das wirklich ihr Ernst? Aber richtig betrachtet, war er es doch gewesen, der damit angefangen hatte. Krampfhaft versuchte er ihn dennoch hinter dem Bein vor ihren Blicken zu verbergen. „Bist du sicher?“ Viel lieber würde er wieder rückwärts im Badezimmer verschwinden. Ihr Nicken, welches er lediglich als Antwort bekam, machte ihm nicht viel mehr Mut, dem nachzukommen, ihr erwartungsvoller Blick daraufhin jedoch schon. Mit einer Bewegung, die ihn an eine Schlange erinnern ließ, zog er einige Wellen hinter sich und brachte Janika dazu, die Luft anzuhalten. Nur ganz langsam lief er dabei auf sie zu. Wenn sie es jetzt lieber vorzog, doch zu gehen, würde er sie nicht aufhalten, doch dazu war sie gar nicht in der Lage. Wie erstarrt hockte sie auf der Couch. Sah auf das, was sie hier gerade gezeigt bekam und traute ihren Augen dennoch nicht. Ihr Herz raste und das Kraulen hatte sie längst eingestellt. Ihre Starre löste sich erst, als sich Marik neben ihr nieder ließ. Unruhig begann er die junge Frau neben sich zu beobachten. Er fühlte sich gar nicht gut. „Vielleicht ist es nur eine Missbildung?“ Ihr fragender Blick hing sofort an seinem Gesicht. „Ich meine, so etwas gibt es. Manchen Menschen fehlt von Geburt an ein Bein oder ein Arm. Warum also sollte es nicht möglich sein, dass...“ Unschlüssig brach sie ihren Satz ab. „Im Fernsehen habe ich da schon alles Mögliche gesehen...“ Sie war ratlos und das mehr als offensichtlich. „Meinst du, dann könnte ich ihn so bewegen?“ Mit einer geschmeidigen Bewegung, wie man sie vielleicht bei einer Katze vermuten würde, strich er ihr mit der vermeintlichen Fehlbildung über den Schenkel. Ganz langsam und Janikas starrer, verbissener Blick folgte jeder Bewegung. „Aber wenn du damit besser klar kommen würdest...“ Marik lehnte sich zurück und streckte die Beine aus. Dabei wand er auch den Blick ab und genau das war es, was Janika nutzte, um ihn an jener Stelle zu packen. Wie von der Tarantel gestochen, sprang er auf, kaum dass sie ihn dort berührt hatte und auch sein Hund war sofort auf den Beinen und von der Couch gesprungen. „Du meine Güte.“ Janika erhob sich und blickte ihn irritiert an. „Was war denn? War ich zu grob?“ Sofort schüttelte er den Kopf und musste sein Badetuch festhalten, dass es ihm nicht abhandenkam, als es zu rutschen begann. „Nein ich... ich war nur nicht darauf vorbereitet.“ Dann grinste er gequält. „Kitzelig?“, mutmaßte Janika sofort. „So ungefähr...“ Aber das war genaugenommen gelogen. Wie lange hatte ihn da keine Frau mehr angefasst. Er wollte gar nicht darüber nachdenken. Aber auch nach all der Zeit war ihm das keineswegs unangenehm. Hastig wand er sich ab. Schnellstens musste er wieder ins Bad. Nur weg. Fort von ihrem Blick. Wie nervös sein Schwanz jetzt zuckte bekam sie beim kehrtmachen allerdings ganz klar mit. Im Bad angekommen raufte er sich erst einmal die Haare und musste den Kopf über sich selbst schütteln. Er führte sich auf, wie ein unreifer Teenager, denn richtig betrachtet war er an diesem Alter längst vorbei. War es so lange her? Janika hatte keine Ahnung, was sie bei ihm auslöste und dass sie jetzt nicht schreiend davon gelaufen war, machte die Sache nicht besser. Oder doch? Was es nicht genau das, was er seit Jahren suchte, ohne jedoch direkt danach gesucht zu haben? Eine Frau, die damit klar kam? Oder doch nicht? Hatte er es vielleicht doch bereits aufgegeben und war deshalb so geschockt darüber? Reichliche zwanzig Jahre war nun seine Scheidung von Gail her. In dieser Zeit hatte er lediglich eine kleine Liaison mit Clarice, einer der Pflegerinnen aus dem Wohnheim, gehabt, aber sonst? In der Zeit, in der er wieder bei seinem Vater eingezogen war, war nicht viel passiert und nach dessen Tod, hatte er sein Haus verkauft und war mit seinem Wagen zu dieser Reise aufgebrochen. Ein Klopfen an der Badezimmertür ließ in zusammenzucken. „Ist alles in Ordnung?“ „Ich...“ Er wand den Kopf ruckartig zur Tür. „Ich denke schon.“ „Hättest du vielleicht Lust auf ein Glas Rotwein?“ „Sicher. Ich ziehe mir nur eben wieder etwas an.“ „Okay.“ Als sich ihre Schritte entfernten, hängte er seinen Blick wieder an den Spiegel, vor sich und ein Lächeln, der Erleichterung machte sich in seinem Gesicht breit. Würde es dieses Mal vielleicht anders laufen? Kapitel 27: 70. Nichts ---------------------- Nichts würde ihn davon abhalten. Von seinem Vorhaben, welches er sich jetzt gesteckt hatte. Keiner. Weder die pöbelnden Jugendlichen, an der Straßenecke, an denen er sich sonst nur widerwillig vorbeiwagte. Noch die Menschenmenge, die hier gerade anstand, wegen einem neuerschienenen Buch. Niemand. Auch nicht die Beschwerderufe der Wartenden, als er sich einfach an ihnen vorbei drängte. Sein Ziel war ein anderes. Nicht die Bücher hier in diesem Laden. Oder Ansichtskarten, wie sie die Touristen kauften. Sondern die schönste Frau, die er jemals getroffen hatte. Ihr Lächeln. Ihre Lippen. All seine Angst und Zweifel hatte er für sie über den Haufen geworfen. Für ihn zählte jetzt nur der Augenblick. Und da tauchte sie auf, wie aus dem Nichts. Mit einem Leuchten in den Augen, welches sein Herz zum rasen brachte. Ihm wurde augenblicklich heiß und kalt. „Hallo Scott.“ „Hi.“ Kapitel 28: 71. Unsichtbar -------------------------- „EIN GEIST!“, schrie er aufgebracht, während er aus der Toilette stürzte und seine neue Bekannte aus dem Weg riss. Fernanda taumelte zwar, konnte sich jedoch mit einem schnellen Griff an das kleine Hängeregal hinter der Tür noch rechtzeitig fangen, wobei jedoch zwei dieser hässlichen kleinen Keramikfiguren herunterfielen, welche dabei allerdings leider nicht zu Bruch gingen. „Was redest du da?“, rief sie ihm nach, als Scott die schmale Treppe nach unten stürzte, um sofort von hier zu verschwinden. Jetzt reichte es ihm wirklich. Ein beschissener Tag, welcher unbedingt au seinem Kalender und seinem Kopf gestrichen gehörte. Fernandas Großmutter bekam große Ohren. Sie wischte sich schnellstens die Hände an der Schürze sauber und eilte am ihrer Enkelin vorbei, ebenfalls ins Treppenhaus. „Warte, Junge“, rief sie ihm nach, doch Scott war bereits im Garten verschwunden. Dort verschnaufte er jedoch, denn in den Nachbargarten wollte er, wenn er ehrlich sein sollte, auch nicht. Dieser Knochenfund bei den Umgrabearbeiten für die neue Gartengestaltung steckte ihm ebenfalls noch tief in den Gliedern. Noch während er darüber nachdachte, was wohl das gescheiteste wäre, hatte die Alte ebenfalls den Garten erreicht. „Warte... bitte“, japste sie und verschnaufte ebenfalls. Dann schenkte sie Scott ein Lächeln, welches diesem für den ersten Moment viel furchteinflößender vorkam, wie ihr mürrischer Blick. „Du hast es gesehen?“, fragte sie erwartungsvoll. Scott blinzelte sie an, nickte, sagte dann jedoch „nein.“ Er war sich nicht sicher gewesen, was er gesehen hatte, aber ein Geist? So etwas gab es nicht! Das war ihm längst klar. Er verzog lediglich den Mund und schaute sich hilfesuchend um. „Komm schon! Wenn du einen Geist gesehen hast, sag es mir. Schon viel zu lange habe ich das Gefühl, das hier etwas nicht stimmt.“ Fernanda war der Alten endlich gefolgt und auch sie sah ihn jetzt so seltsam an. „Es g.. gibt keine Geister...“ Um sicher zu gehen, dass er damit jetzt niemandem auf die Sprichwörtliche Füße trat, sah er sich kurz hektisch um, aber außer den beiden Frauen war keiner hier... nur das Skelett im Nachbargarten... Moment! Nachdenklich runzelte er die Stirn und kratzte sich am Kopf, doch er kam nicht dazu, den Gedanken zu Ende zu bringen, denn die Großmutter war nah vor ihn getreten und schaute wieder so komisch. „Was ist denn nun?“ Auch sie sah sich um. „Vielleicht sollten wir drinnen reden.“ Der Griff ihrer faltigen Hand war stärker, als Scott erwartet hätte und auch wenn er nicht zurück wollte, wagte er es nicht Gegenwehr zu leisten. Immerhin wollte er die Alte nicht aus dem Latschen kippen. Kaum hatte sie die Haustür durchschritten, überkam ihn wieder das seltsame Gefühl, dass doch noch jemand hier war. Unruhig sah er sich um und dann sah er es wieder. Das nebelartige Gesicht einer Frau. Um nicht aufschreien zu müssen, biss er sich auf den Finger. Ein fieser Schmerz, welcher erst recht einen Aufschrei gerechtfertigt hätte. Als er wie gebannt dabei in dessen Richtung sah, kam es auf ihn zu und er riss sich doch von der Hand der Alten los. „D... da drüben.“ Mit zitternden Fingern bekam er einen Richtungszeig zustande. Fernanda sah sich aufgeregt um. „Wo denn? Ich sehe es nicht.“ Die Großmutter sah sich ebenfalls suchend um, doch auch sie wirkte mehr als ratlos. Scott schluckte hart, als die Erscheinung plötzlich nur wenige Zentimeter vor seinem Gesicht schwebte. Das Gesicht eines Mädchens, ohne Zweifel. Und sie lächelte auch noch. Gänzlich außer Stande sich zu bewegen, musste er es über sich ergehen lassen, dass die geisterhafte Gestalt die Hand nach ihm austreckte und ihn berührte. Dem jungen Gärtner wurde es plötzlich eiskalt. Es kam ihm vor, als würde er von innen erfrieren. Nicht einmal ein wimmern brachte er heraus. Dann sah ihn das Geistermädchen wieder an und als sie die Hand wieder von ihm nahm, war die Kälte verschwunden und bewegen konnte er sich auch wieder. „‚Hilf mir...‘“ Er hörte eine Stimme und er war sich sicher, dass dieser Geist mit ihm gesprochen hatte, doch ihre Lippen hatte sie dabei nicht bewegt. Stattdessen schaute sie jetzt traurig. „Ich?“ Scott war mit den Nerven am Ende. Das hier noch immer die beiden Frauen standen, bekam er gar nicht mehr mit. Seine volle Aufmerksamkeit war auf dieses Ding vor ihm gerichtet. Der Geist nickte. „Warum ich?“ Schweigend deutete sie auf seine Hosentasche. Kapitel 29: 72. Hunger ---------------------- Ausgesetzt. Weggeworfen wie Abfall. Die Pflastersteine unter seinen Füßen waren kalt. Er zitterte am ganzen Leib. Wie lange er jetzt hier schon hockte, wusste er zum Glück nicht. Einer wie er hatte kein Zeitgefühl. Mit einem Fiepen versuchte er auf sich aufmerksam zu machen, doch der einzige, der darauf reagierte, war sein Brüderchen. Er war nicht alleine hier. Genaugenommen waren sie zu viert. Allerdings waren zwei von ihnen bereits so schwach, dass sie die kalte Nacht wohl nicht überstehen würden. In einer ausgefransten Pappkiste hatte man sie hier hinter den Mülltonnen dieser uneinsichtigen Gasse abgestellt. Mittlerweile war diese völlig aufgeweicht, weil sich ein Rinnsal seinen Weg unmittelbar dort hindurch gebahnt hatte. Als sie hier ankamen, war es wenigstens noch hell gewesen, aber jetzt... Sein Fell sträubte sich. Er hatte schreckliche Angst und er hatte Hunger. Fürchterlichen Hunger. Aber nicht nur er. Allerdings war er der fitteste hier und war somit auch in der Lage gewesen, den ein oder anderen herumliegenden Abfall zu fressen, der ihm vor die Nase kam. Aber satt hatte ihn das nicht gemacht. Keksreste, einen Kaugummi und er hatte auch eine Pappschachtel, mit dem Rest eines Burgers aufbekommen. Darunter war allerdings auch ein Zigarettenstummel gewesen, was ihm jedoch alles andere als gut bekommen war. Sein kleiner Magen knurrte erneut ungeheuer laut, als wäre er ein Bär und erschreckte ihn für den Moment selbst. Seine Ohren zuckten, doch dann machte er wieder kehrt und tapste zu seinen Geschwistern, um sich an ihnen zu wärmen. Wenigstens das. Eng schmuste er sich an das Fellknäuel in der aufgeweichten Kiste und sein Magen knurrte vor Hunger... Kapitel 30: 80. Psychoanalyse ----------------------------- Der Portier war gerade im Hinterzimmer verschwunden, als die Eingangstür erneut geöffnet wurde. Zwei zwielichtige Gestalten traten ein. Einer von Beiden hatte ganz klar ein Figur,- und Hygieneproblem. „Guten Abend“, sagte der andere, eher unscheinbar wirkende Mann, als der Alte wieder herausgetreten war. „Was kann ich für Sie tun?“ Argwöhnisch beobachtete er die Beiden und sein Blick wurde starrer, als er die ersten negativen Schwingungen empfing. „Ein Zimmer für zwei?“, fragte er schließlich, um sie glauben zu lassen, er sei ein unwissender, alter Mann. „Nein Sir“, gab der Andere zurück und beugte sich ungemein nah zu ihm herüber, dass sein Atem die Sicherheitsglasscheibe beschlagen ließ. „Wir sind auf der Suche nach einer jungen Frau. Sie ist 22“, gab ihm der Schlanke zu verstehen. „Sie ist meine Tochter, wissen Sie“, führte der Andere die Auslegung fort. „Sie ist weggelaufen.“ Der Portier runzelte die ohnehin bereits faltige Stirn. Diese beiden Gestalten hielten ihn wahrlich für einen Schwachkopf. „Lassen Sie mich überlegen.“ Er schloss die Augen und hatte mit einem Male den vollen Zugang zu ihren Gedanken. Ihr Inneses war für ihn ein offenes Buch. Seine Augen weiteten sich. Ihr Vater? Von wegen! Er schluckte unruhig, setzte dann jedoch ein Lächeln auf und nickte. „Ja, sie ist hier. Vor wenigen Augenblicken hat sie hier ein Zimmer genommen.“ Ihren Begleiter verschwieg er. „Wo ist Sie?“ Der Dicke wurde ungeduldig. „Jetzt sprich!“ „Einen Moment bitte...“ Der Alte warf einen Blick in seine Aufzeichnungen und suchte scheinbar nach der Zimmernummer, oder wonach auch immer. Aber in Wirklichkeit versuchte er nur Zeit zu schinden. Er brauchte einen richtigen Plan! Konnte er die Beiden mit dem, was er im Augenblick im Kopf hatte, wirklich übertölpeln? Es musste klappen! Er griff einen der Zimmerschlüssel, welcher im Augenblick in ein unbewohntes Zimmer führte, verließ ohne zu zögern seinen Raum und trat zu ihnen in den Gang. Dass Beide eine Waffe hatten, bemerkte er erst jetzt. „Folgen Sie mir.“ Mit diesen Worten zog er die Haustür auf und trat auf den Parkplatz vor dem Motel. Hier war keine Menschenseele zu sehen. Sich versichernd suchte er auch noch sämtliche Fenster ab, aber in keinem konnte er ein Gesicht erkennen und auch Lichter brannten keine mehr. Das war gut. So konnte sein Plan vielleicht klappen. So tatterig wie er konnte lief er schließlich zur Treppe. Er konnte nur hoffen, dass die Kleine jetzt nicht aus der Tür kam. Hoffentlich schliefen die Beiden bereits. Er wollte sie keineswegs in Gefahr bringen. Nicht nachdem er gelesen hatte, was in diesen beiden Herren hier vor sich ging. Die Gedanken, welche er den zwei Gestalten hier entnommen hatte, gefielen ihm gar nicht. Mühsam quälte er sich schließlich die Treppe hinauf. Die beiden Verbrecher folgten ihm ungeduldig. Einer von beiden hatte auch sofort die Waffe zur Hand, wie er hören musste. Der Alte ließ sich nichts anmerken. Stattdessen trat er zügig an der ersten Tür vorbei. Dann jedoch wurde er langsamer. Beabsichtigt natürlich. Er blieb stehen und begann für alle gut hörbar zu schnaufen, bis er schließlich zu Wanken begann und der schlanke Kerl die Schritte beschleunigte, um den Alten zu stützen. „Nicht umklappen, alter Mann“, brachte er schließlich noch hervor, während er sich bei ihm einhakte. „Welches Zimmer ist es?“ Dem Anderen riss so langsam der Geduldsfaden. „Gleich dort“, war die ungenaue Antwort des Portiers. Er lief noch ein paar Schritte und kniff dabei die Augen fest zusammen. Mit einem leisen Summen blieb er jedoch wieder mit einem Ruck stehen. Eine Sache, die dem Muffeligen gar nicht zusagte. „Welches Zimmer Gott verdammt!?“ Er trat an den Alten heran und hakte ihn ebenfalls ein mit der freien Hand. „Los jetzt!“ Als der Alte die Berührung des Anderen endlich spürte, riss er die Augen mit einem Ruck auf. Sein Herz raste und er merkte sofort, dass die Beiden Mörder augenblicklich schwächer wurden. Je tiefer der Alte atmete desto schneller schien dies von statten zu gehen. „Was zum Teufel...“ Dem Heruntergekommenen Mörder wurden die Knie weich. Nur mit Mühe konnte er sich auf den Beinen halten und dem Anderen ging es keinen Augenblick später genauso. Sie rutschten förmlich zusammen. Kraftlos und plötzlich schwer Atmend. Der Alte ließ sie keinen Augenblick dabei los. Ihn erfüllte diese Berührung mit Stärke und seine Augen leuchteten dabei vollkommen schwarz, wärend sein Gesicht von einem strahlenden Lächeln erhellt war. Kapitel 31: 83. Stau -------------------- Jonathan war genervt. Ja, er war mehr als nur das! Er war stinksauer und dazu gab es auch mehr als nur einen lappigen Grund. Gelangweilt trommelte er auf dem Lenkrad seines Vierzigtonners herum und starrte weiterhin geradeaus. Stau! Für ihn gab es kaum etwas Schlimmeres. Außer vielleicht einen platten Reifen, aber da wusste er ja, was zu tun war und wann es in etwa weiter gehen konnte, aber bei Stau? Da wusste man nie. Das wusste der Gleichberechtigung halber keiner hier. Scheinbar unzählige Scheinwerfer... nach vorne und auch bereits hinter ihm. Von hier aus, war nichts Genaues zu erkennen. Weder was passiert war, noch wie lang der Stau vor ihm eigentlich bereits war. Es war einfach zu dunkel. Mitten in der Nacht, um genau zu sein. Verärgert starrte er auf die Uhr. Noch zwei Stunden und dann würde er ohnehin Pause machen müssen. Schließlich musste er doch seine Lenkzeiten einhalten. Stand er wirklich schon drei Stunden hier? Was zum Geier war passiert!? Während er seine Gedanken kreisen ließ, ging ein Funkruf ein. Jonathan meldete sich routinemäßig und sah sich um. Der Trucker, welcher den Kontakt aufgenommen hatte, stand wenige Kilometer entfernt, hinter ihm. Die zahlreichen Scheinwerfer, auf dessen Führerhaus, waren nicht zu übersehen im Seitenspiegel, da er hier mit seinem LKW in einer leichten Kurve stand. Als er bemerkt hatte, dass vor ihm nichts mehr ging, war er sofort auf den Seitenstreifen gewechselt. „Eine Ahnung, was da vorne passiert ist?“, schnappte er schließlich auf und wand den Blick wieder nach vorne. „Nein, tut mir leid“, gab er dem Leidensgenossen zu verstehen. „Jedoch stehe ich schon seit Stunden hier.“ Der Kerl hinter ihm sicherlich auch. So weit war er ja nicht von ihm entfernt. Er hängte das Sprechgerät nach einer knappen Verabschiedung wieder an den Haken und lehnte sich gelangweilt auf seinem Sitz zurück. Wie lange das hier wohl noch dauern würde? Vielleicht sollte er sich einfach hinlegen und sein Nickerchen vorziehen? Wenn es aber dann gerade weiter ging? Er hatte einen festen Schlaf. Das wusste er. Wenn er einmal im Land der Träume war, konnte ihn nicht einmal eine Horde Elefanten wecken. Jonathan nahm die Papiere zur Hand und warf einen erneuten Blick darauf. Er hatte zwar dieses Mal nichts Verderbliches geladen, aber das machte die Sache für ihn nicht besser. Wie er es hasste, im Stau stehend, Zeit zu verschwenden. Er kannte seinen Chef nur zu gut. Dieser wusste zwar, dass so etwas mit einkalkuliert werden musste, aber wenn es ums Geschäft ging, war dieser Kerl ein echter Kotzbrocken. Das Rauschen, aus dem Radio begann ihn allmählich zu nerven. Der Trucker legte die Papiere auf den Beifahrersitz zurück und begann am Kanal herumzudrehen. Empfang gab es hier scheinbar auch so gut wie keinen. Nur das leise Flüstern einer Frauenstimme, das hin und wieder zu ihm durchdrang. Also Musik war das nicht. Nachrichten vielleicht? Er lauschte genauer. Vielleicht erfuhr er endlich, was da vorne los war? Aber nein, er irrte sich. Das wurde ihm klar, ale er halbwegs den Sender gefunden hatte. Das was er hier heranbekam, war so eine Quasselsendung. Irgendwer rief dort an und wurde beraten. Irgend so eine Psychotante gab irgendwie Ratschläge oder so etwas und im Augenblick sprach eine junge Frau. Sie klang schrecklich aufgelöst. Sie hatte wohl in dieser Nacht ihren Bruder verloren, welcher erst heute aus dem Gefängnis entlassen worden war. Man hatte ihn erschossen in ihrer Wohnung gefunden... „Herz Schmerz und Leid“, murrte Jonathan verärgert. „Als ob ich nicht selbst genug Sorgen hätte.“ Seine Frau hatte ihn verlassen, weil sie mit seinem Job ganz plötzlich nicht mehr klar kam. Sein Hund musste eingeschläfert werden, weil ihn irgend so ein Bekloppter angefahren hatte und er dabei zu schwer verletzt worden war. Sein großer Sohn hatte den Kontakt zu ihm abgebrochen... Ellenlang schien die Liste nunmehr zu werden. Vielleicht sollte er dort anrufen? Ihnen sagen, wie bescheuert er eine solche Talkshow mitten in der Nacht fand und dass er gerade gezwungen war, sich diesen Mist anzuhören, weil er hier keinen anderen Sender hereinbekam? Fragen, ob diese Leute nichts Besseres zu tun hatten, als im Selbstmitleid zu ertrinken? Im Augenblick hatte er ohnehin Zeit. Jonathan blickte wieder gerade aus und verwarf seinen gerade gefassten Gedanken schleunigst wieder. So ein Schmarren! Bei so einer Tante anrufen und dann erkannte ihn vielleicht noch irgendwer? Ganz bestimmt nicht! Mit einem Seufzen griff er sich schließlich sein Handy. Vielleicht konnte er wenigstens seinen neuen Kollegen erreichen. Da hatte ihm sein Boss aber einen Spinner an die Seite gesetzt. Eigentlich sollte er ihn ja abholen, aber so? Das dauerte sicherlich noch. Wieso er nicht eher darauf gekommen war, ihn anzurufen... Er wählte die gespeicherte Nummer und wartete, während er wieder mit dem Finger auf dem Lenkrad herumtrommelte. Nach dem vierten Tuten ging schließlich die Mailbox ran. Er war also nicht zu erreichen. Warum nur war er nicht verwundert? Dieser Kerl war so unzuverlässig. Was sich sein Boss dabei gedacht hatte, als er ihn einstellte. Der sah aus wie ein Zuhälter. Jedenfalls für Jonathan. Überall tätowiert. Vor allem die Arme, vom Rücken ganz zu schweigen. Und diese Ohrringe erst... Gruselig. Ein besseres Wort fiel ihm dazu nicht ein. Jonathan versuchte es ein weiteres Mal, hatte allerdings auch jetzt keinen Erfolg, ihn zu erreichen. Unzuverlässig eben. Vielleicht lag dieser Spinner auch schon wieder irgendwo herum? Zugedröhnt meinetwegen. Man hatte ihm zwar bis jetzt nichts nachweißen können, doch der Gedanke, diesen Kerl seinen LKW fahren zu lassen, widerstrebte ihm. Ein paar Mal waren sie ja bereits zusammen unterwegs gewesen. Zugegeben, es war nichts passiert, aber... Genervt legte er auf. Dann würde er eben seinen Chef anrufen. Gedacht - getan. Sofort stand die nächste Leitung und hier hatte er sofort Glück. Sein Boss klang nicht gerade munter, aber wenn einer der Jungs noch unterwegs war, war dieser auch am Telefon zu erreichen. „Ich bin es, Jonathan“, sagte er und lauschte kurz. „Der Stau war bereits in den Nachrichten? Na super. Hier bekommt man leider keinen Radioempfang.“ Er schnaubte verärgert. Und lauschte weiter. „Nein, ich habe diesen Morrison noch nicht erreicht. Ich habe es versucht. Nicht nur einmal. Leider weiß ich auch nicht wirklich, wo ich ihn auflesen soll.“ Wieder schwieg er. „Sie kümmern sich darum? Und der Kunde ist auch bereits informiert? Vielen Dank.“ Irgendwie erleichtert atmete er auf. Na wenigstens etwas, nach all dem Ärger. Ein Notarztwagen fuhr an ihm vorbei und Jonathan hob kurz den Blick. „Nein, ich habe leider keine Ahnung, wie lange ich hier noch brauche. Ich rufe Sie an, sobald es weiter geht. In Ordnung.“ Dann legte er wieder auf. Er warf einen prüfenden Blick in den Seitenspiegel und entschied sich umgehend, sich die Beine kurz zu vertreten. Die kühle Nachtluft machte ihn vielleicht ein bisschen munterer. Im Augenblick bewegte sich hier eh nichts und wenn es doch endlich weiterging, war er ruck zuck wieder eingestiegen und der Motor gestartet. Ohne noch länger darüber nachzudenken, warf er sich seine Jeansjacke über und sprang aus dem LKW. Sirenengeheul war jetzt zu hören. Als er auf die Straße hinter sich blickte, durfte er feststellen, dass er nicht der einzige war, der nun hier stand. Und auch weiter vorne standen noch mehr Leute. Jonathan ließ die Hände in den Taschen verschwinden und lief schließlich nach vorne um sein Fahrzeug herum und sofort spürte er den beißenden Wind, welcher auf dieser Seite wehte. Um etwas näheres zu erkennen, war es zu finster, doch als er sich ein Stück über das Geländer beugte durfte er feststellen, dass er ausgerechnet auf einer Brücke stand. Das er dies nicht eher gemerkt hatte? Unter ihm lief eine andere Schnellstraße quer, auf dieser fuhr jedoch kaum ein Fahrzeug entlang. Hier konnte er sie nahezu zählen. Und das tat er schließlich auch, aus purer lange Weile. „...drei, vier...“ Nach vorne gebeugt stand er da und zählte. Da! Ein PKW, an welchem nur ein Scheinwerfer funktionierte. „fünf, sechs, sieben...“ „NEIN! Ich bitte Sie.“ Jonathan verstummte augenblicklich, als er ein ganzes Stück neben sich die Stimme einer Frau vernahm. Langsam hob er den Blick in ihre Richtung. Sie näherte sich von hinten, kam jedoch auf dieser Seite an seiner Zugmaschine nicht vorbei, da er recht weit an der Seite stand. Sie hätte sich also durchquetschen müssen, was sie jedoch nicht tat. Am Anhängerende blieb sie stehen. „So gehen Sie doch von der Brüstung weg. Ich bitte Sie.“ Jonathans Augenbrauen zuckten ungläubig. Was wollte die denn von ihm? Irgendwie klang sie... besorgt? Konnte das sein? Dann ging ihm ein Licht auf. Dachte sie allen erstes, er hatte Dummheiten vor? Hatte sie ihn vielleicht zählen hören? „Sie glauben doch nicht etwa, dass ich...?“ Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Ich hatte nicht vor zu springen, Miss. Keine Angst.“ Kaum zu fassen. Diese fremde Frau machte sich tatsächlich Sorgen? Hatte sie vielleicht auch diese Quacksalbersendung gehört? „Nicht?“ Mit ihren großen Augen musterte ihn die Unbekannte genau. Jonathan schüttelte als Antwort den Kopf, woraufhin sie erleichtert ausatmete. Das war doch kein Abgang für einen Mann wie ihn! Ganz bestimmt nicht! Niemals! Egal, wie satt er sein Leben so manches Mal auch hatte: Dazu kam es ganz sicher nicht! Seine schlechte Laune schien augenblicklich wie weggeblasen. „Nein Miss. Da müssten Sie mich hier schon eigenhändig hinunterwerfen.“ Er lächelte smart und trat wieder näher an die Brüstung heran. Ihren entsetzten Blick, auf seine Worte hin, bekam er dabei nicht mit. Dafür fiel ihm in der Ferne jetzt etwas anderes auf. „Kommen Sie rüber“, sagte er stattdessen. Die Unbekannte schien verwirrt, denn sie verharrte in der Bewegung. Jonathan versuchte es erneut, woraufhin sie aus seinem Blickfeld verschwand und schließlich hinter ihm wieder auftauchte. Sie war verdammt hübsch und auch sicherlich noch recht jung. Ihre vollen Lippen gefielen ihm und ihr schwarzes, langes Haar war zu einer wilden Lockenfrisur nach oben gesteckt. Jonathan winkte sie heran und machte ihr dabei Platz, dass auch sie endlich sah, was er hier gerade zu betrachten begann. Die Sonne ging eben auf und brachte die Schluchten der Skyline der nächsten Stadt, die in nicht allzu weiter Entfernung auftauchte, zum glühen. „Wie schön“, hauchte sie nur. Kapitel 32: 95. Vater --------------------- „Jetzt beruhige dich wieder“, murrte Dennis, während er mit den Händen in den Taschen neben seinem Vater über den Bürgersteig lief. „Du tust gerade so, als würde ich etwas Verbotenes machen, dabei habe ich einfach nur seit ein paar Wochen einen neuen Job. George schüttelte den Kopf. „Das weiß ich, aber warum gerade Fernfahrer? Wozu hast du studiert? Wozu haben deine Mutter und ich dir dieses Studium finanziert? Hm? Sag mir das mal.“ Dennis verdrehte die Augen. Er konnte es einfach nicht mehr hören. Immer wieder dasselbe. Und das, seid sein alter Herr davon wusste. „Du verdienst jetzt nicht einmal mehr die Hälfte von dem, was du vorher hattest“, brachte sein Vater erneut an. „Warum kannst du nicht verstehen, dass ich in diesem Labor nicht glücklich war?“ „Glücklich...“ George schüttelte erneut den Kopf. „Es geht aber nicht darum, immer glücklich zu sein. Wenn du dir eine anständige Zukunft aufbauen willst, brauchst du eben Geld...“ Dennis nahm sich schweigend seine Zigarettenschachtel aus der Gesäßtasche und zündete sich eine davon an. „Und dass du rauchst gefällt mir auch nicht!“ Bei diesem Worten blieb Dennis mit einem Ruck stehen. „Dad! Ich bin 30! Verdammt nochmal! Wie lange willst du mich noch wie ein Kind behandeln?“ „Bis du zur Vernunft kommst! Und mit den ganzen Tätowierungen siehst du aus wie ein Clown.“ Das war es also wieder. Auch eines der leidigen Streitthemen. Grimmig kniff Dennis die Augen zusammen und starrte seinen Vater an. Dabei begann er ihn genauer zu betrachten. Grau war dieser geworden und die Falten an seiner Stirn waren nun dauerhaft da und nicht nur, wenn er wütend das Gesicht verzog. Ein alter Mann war er geworden. Zu viel Stress und zu viele Sorgen, die er sich stets um Andere machte... Um seine Gedanken von seinem Vater wegzubekommen, nahm er einen tiefen Zug von der Zigarette und sprach schließlich weiter, während er seinen Weg fortsetzte und sein Vater ihm folgte. „Ich werde jetzt zwei Wochen nicht da sein. Nächstes Wochenende komme ich nicht Heim. Sag das Mutter bitte.“ Er überlegte kurz, ob er noch etwas ergänzen sollte. In etwa: dass sein Vater dann endlich mal Zeit hatte, wieder runterzukommen, sich zu beruhigen, darüber nachzudenken, was er hier wieder für eine Szene gemacht hatte, doch er sagte nichts. Dennis wollte es nicht noch schlimmer machen. Er wollte sich mit dem „alten Mann“ doch nicht anlegen. Er liebte seinen Vater. Sie liefen weiter durch die Fußgängerzone. Zu ihrer rechten standen nun in gleichmäßigen Abständen alte Linden, welche ihren Platz eingebaut zwischen den Pflastersteinen hatten. Ein laues Lüftchen begann zu wehen und brachte die Blätter zum Rascheln. „Deine Mutter wird damit auch nicht klar kommen“, sagte George schließlich, als sie unter den Bäumen hinweg liefen. Links neben ihnen waren nun die einzelnen Eingänge einer der Wohnblocks. „Sie wird damit auch klar kommen...“, murmelte Dennis nur und griff sich sein Handy um auf die Uhr zu sehen, während er den Zigarettenstummel wegschnipste. Sein Vater blickte diesem nach, bis er auf den Steinen zum liegen kam. Eine der Haustüren, an denen sie eben vorbeigetreten waren öffnete sich und anschließend näherten sich zügige Schritte. Dennis blieb sofort stehen, um sich danach umzusehen. Dieser Jemand hatte es, wie es schien, recht eilig und er wollte ihm aus dem Weg treten, bevor ihn dieser umrannte. Doch als er sich danach umgewandt hatte, überkam ihn augenblicklich Panik. Der langhaarige Kerl, der dort eben herausgekommen war, hatte eine Waffe in der Hand. Sein verbissener Blick war unter der großen Sonnenbrille kaum auszumachen. „Scheiße...“ Dennis trat eilig aus dem Weg, doch der Lauf der Waffe war plötzlich auf ihn gerichtet. Völlig wortlos hatte der Kerl mit der Waffe den Arm gehoben und folgte mit dem Lauf Dennis, dann jedoch seinem Vater. Was sollte Dennis nur tun? „HLFE!“ Wahrscheinlich war dieser Schrei das wohl falscheste, was er hätte tun können, denn der Kerl mit der Waffe zuckte zusammen, sah dann jedoch zu, dass er Land gewann. Erleichtert atmete Dennis auf, doch er hätte sich nicht zu früh in Sicherheit wiegen sollen, denn nachdem der Verrückte bereite einige Meter vorbei war, wand er sich tatsächlich erneut nach den Beiden um. Geistesgegenwärtig riss Dennis seinen Vater aus dem Weg und auf dem Boden, doch dabei durchzuckte ihn augenblicklich ein stechender Schmerz. Der Schuss war kaum zu hören gewesen, doch ein Feuer begann in ihm zu brennen. Dennis wollte etwas sagen, sackte jedoch wortlos zu Boden. Als George ihn hinter sich aufschlagen hörte, war dieser schneller wieder klar im Kopf wie gedacht. Eilig wand er sich nach seinem Sohn um, ohne an die Schmerzen in seiner wohl ausgekugelten Schulter und seinem aufgeschlagenen Kopf zu denken. „Junge!“ Behutsam versuchte er mit einer Hand Dennis ein Stück zu ihm umzudrehen, doch das war leichter gedacht, als getan. Sein Mund war voller Blut. „Va...ter...“ Kapitel 33: 97. Sterben ----------------------- Oscar fühlte sich plötzlich Hundeelend. Ganz deutlich spürte er, wie ihm seine Lebensgeister entzogen wurden. Er lag mittlerweile mit dem Gesicht auf dem Boden. Einen seiner Arme noch immer im verkrampften Griff des alten Mannes, dem dieses Motel gehörte. Er hatte sie gelinkt – ihn und seinen Kollegen hier! Der lag gestimmt noch immer neben ihm und der Alte hatte ihn mit der anderen Hand fest im Griff. Von wegen die Kleine war hier! Wie hatte er sich nur reinlegen lassen?! Es gelang Oscar nicht, sich umzusehen. Er konnte sich nicht bewegen. Aber was geschah hier nur mit ihm? Was war das für ein Kerl? Dieser Alte? Ein Monster? Er hatte so gebrechlich gewirkt und nun starb er durch die bloße Berührung dieses Greises! „Was...?“ Oscar brachte noch ein Wort hervor, bevor er sich an der eigenen Zunge verschluckte. Dann konnte er sich selbst kaum noch spüren. Außer Schwere und Dunkelheit. Mit einem Ruck ließ der Alte die Beiden los und ihre Arme schnellten ungebremst auf den Boden. Das strahlende Lächeln in seinem Gesicht war zu einem hässlichen Grinsen geworden. Mit teuflischer Zufriedenheit besah er sich sein Werk. „Ihr hättet ihr nicht folgen dürfen“, hauchte er und man sah seine spitzen Zähne, welche ihm jetzt in seinem Gesicht prangten. Die schwarzen Augen fest auf die beiden Sterbenden gerichtet. Ob sie ihn noch verstanden, war ihm egal. Der Alte hob den Blick und sah sich versichernd um. Nicht, dass die junge Frau oder der Andere jetzt hier auftauchen würden. Das wäre... schlecht. Wohl vor allem für das Mädchen. Doch er war allein. Tief durchatmend hob er den Blick gen Himmel. Es nieselte noch immer. Diese Beiden hier hatten nur so vor Energie gestrotzt, auch wenn der eine zudem auch schrecklich zum Himmel gestunken hatte. Der Portier fühlte sich so gut, wie seit langem nicht mehr. Ewigkeiten schien es her zu sein. Genüsslich leckte er sich die Lippen und brachte dabei seine bemerkenswert lange, spitze Zunge kurz zum Vorschein. Auch wenn er seine beiden Opfer nicht mit den Zähnen berührt hatte, hatte es sich für ihn so angefühlt. Ein Festmahl eben. Als hätte eine andere höhere Macht sie ihm geschickt, dass er endlich wieder einmal anständig satt wurde. Vielleicht sollte er sich bei der Kleinen Bedanken? Ein Lächeln huschte ihm über die Lippen, dann starrte er auf die beiden Sterbenden herab. Diese musste er nun schnellstens loswerden. Der Müllcontainer des Stores war wie geschaffen dafür. Der Alte hatte nicht zu fürchten, dass sie seine Fingerabrücke irgendwo finden würden. Er hatte keine – zumindest nach menschlichen Maßstäben. Er musste sie jetzt nur ungesehen verschwinden lassen. Wie sehr hoffte er, dass seine Gäste alle schliefen. Er packte den Mörder und Vergewaltiger und den Erpresser am Genick und zerrte sie ohne jegliche Kraftanstrengung zur Treppe zurück und diese auch hinunter. Auf jeder Stufe konnte man das dumpfe aufschlagen ihrer Körper hören, was hoffentlich niemanden weckte. Ihre erstarrten Gesichter nach vorn gerichtet, hätten sie jede dieser Bewegungen genau gesehen, doch ihre Augen waren tot. Genau wie der Rest. Einer der Beiden hatte, als sie unten angelangt waren, auch noch einer seiner Schuhe verloren. Den würde er später holen. Und ihre Waffen? Die lagen wohl auch noch oben irgendwo. Jetzt zerrte der Portier sie erst einmal in Richtung seiner Wohnung und sah sich dabei ganz genau um, dass auch wirklich keiner sein Treiben bemerkte. Er durfte nicht schon wieder auffallen. Beim letzten Mal waren dabei nach seinem Geschmack zu viele Unschuldige noch draufgegangen, auch wenn man ihm, dem alten tatterigen Mann nichts hatte nachweißen können. Zu viel Aufwand, wenn nur einer oder zwei beabsichtigt zu gehen hatten. Und der Kleinen wollte er nun wirklich kein Haar krümmen müssen. Dieses süße, junge, verschreckte Ding. Seufzend schloss er seine Tür auf und zerrte die Beiden hinein. Er wollte sie erst verpacken, bevor er sie einwarf, doch jetzt würde er erst einmal ihre Waffen holen. Eine ganze Weile war vergangen, bis er endlich mit seinem Ergebnis zufrieden war. Da sie nun nur noch einen Teil ihrer ursprünglichen Größe hatten, war es kein Problem gewesen, sie einmal gefaltet in je einen Müllsack zu packen. In jeden Sack hatte er dann noch eine der Waffen mit hineingelegt. Und nun stellte er die gut verschnürten Säcke erst einmal vor die Tür. Noch immer nieselte es leicht, als er sich auf den Weg zu den benachbarten Müllcontainern begab. Sie dorthin zu tragen, war auch jetzt für ihn kein Problem. So gestärkt hatte er sich wirklich lange nicht mehr gefühlt. Er überquerte die leere Straße und lief zielstrebig auf die Container zu, da kam ihm nun doch ein Wagen entgegen. Ein ziemlich großer, schwarzer, der zudem auch noch ohne Licht fuhr. Der Alte wand sich schnellstens zur Hauswand und wartete, bis dieser an ihm vorbei war. In dieser Zeit erinnerte er sich auch endlich an den Fahrer. War das nicht der Kerl, der die Kleine hier her gebracht hatte? War der gar nicht im Motel gewesen? Wie hatte es ihm denn entgehen können, dass er verschwunden war und vor allem das sein Wagen nicht mehr hier gestanden hatte? Beim Verlassen seines Zimmers hätte ihm das nun wirklich auffallen müssen. Er sah sich nun doch nach dem Wagen um und tatsächlich: dieser hielt wieder auf dem Parkplatz der Unterkunft. Kopfschüttelnd ging er endlich seinem Vorhaben weiter nach. Nicht auszudenken, wenn sein Plan gescheitert wäre und dann vielleicht auch noch die Kleine herausgetreten wäre... Murrend stellte er die Säcke neben dem Container ab, um ihn mit beiden Händen gewaltsam zu öffnen. Dann warf er die Säcke so schnell wie es ging dort hinein. Doch der Container war vorher bereits gut gefüllt gewesen und so musste er den Inhalt noch ein bisschen hin und her schieben, bis er alles darin untergebracht hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)