Lebenswege von Parsaroth (oder: Joey on Tour) ================================================================================ Prolog: Gedankengang -------------------- „Ähm, und du bist sicher, dass du keine Hilfe brauchst?“ „Neinein, alles paletti.“ Unschlüssig lehnte er im Türrahmen und nippte kurz an seiner Nudelsuppe-to-go vom Schnellimbiss an der nächsten Ecke, während er von seinem Sohn mit einer lapidaren Handbewegung abgewimmelt wurde. Skeptisch die Brauen verziehend beobachtete er den Jungen dabei, wie dieser akribisch verschiedene Kleidungsstücke in einen ledernen, für andere Familien vermutlich längst ausgedienten, dunkelbraunen Koffer legte und bei jeder Klamotte zufrieden mit dem Kopf nickte. Jetzt gerade wurde das ausgewaschene blau-weiße Shirt liebevoll gefaltet und zu den anderen Dingen in den Koffer getan; zu den zwei oder drei gut erhaltenen Hosen, dem einen guten Sonntagshemd und den in ihrer Farb- und Mustergestaltung unterschiedlichsten T-Shirts und Pullis. Er musste beim Betrachten der Szenerie unweigerlich seufzen, während der ihm unliebsame und ihm ein schlechtes Gewissen bereitende Gedanke erneut kam, dass sein Sohn auf vieles in seinem jungen Leben hatte verzichten müssen, etwaige Luxus- und Markenartikel allem anderen voran. Diese Tatsache spiegelte sich in dem spärlich erleuchteten Raum wieder, das Zimmer seines Erstgeborenen, welches zwar Wärme ausstrahlte, jedoch über beachtlich wenig Mobiliar verfügte. Das Bett des Vormieters, das bei jedem Sich-Herum-Wälzen erbärmlich knarzte (und – oh Himmel, das tat der Jungspund durchweg!), das notdürftig reparierte und in einer spontanen Aktion mit seinem längsten Schulfreund Tristan bunt angepinselte Holzregal, das einige nicht länger benötigte Schulbücher sowie einige Magazine über dieses Kartenspiel enthielt, dem sein Sohn so verfallen war (wie eigentlich jeder Jugendlicher, seit dieses Duel Monsters vor, na, knapp dreieinhalb Jahren populär geworden war). Der altmodische Kassettenrekorder mit CD-Abspiel-Funktion und die dazugehörigen CDs mit den angesprungenen Covern, preiswert ersteigert auf dem wöchentlichen Flohmarkt, ebenso wie der vollgestaubte Nippes und Ramsch von irgendwelchen Action-Helden, Kartenfiguren oder treudoof blickenden Hunden auf den drei Brettern, die seither als Regal dienten und mit Sicherheit so mancher Generation an kleinen Spinnentierchen ein Zuhause gewesen waren. Er ließ seinen Blick über all das wandern, auch über die angefangenen und schnell wieder verworfenen Kreuzworträtsel aus der Tageszeitung, die überall auf dem alten Teppichboden verstreut lagen und den Überresten so mancher Lebensmittelverpackungen Gesellschaft leisteten, vereinzelt auch den angebissenen Lebensmitteln selbst. Er seufzte erneut, diesmal über die Zerstreutheit seines Sohnes, die in den letzten Tagen beachtlich zugenommen hatte, seit er sich mit der Planung seines Reisetrips beschäftigte. 'Voyage, Voyage!' stand in großen, roten Lettern auf einem, an einer Seite bereits von der Wand abgegangenen, Plakat, das ansonsten einen paradiesisch wirkenden Strand in grün, blau, gelb zeigte und so das vermutlich einzige Französisch seines Besitzers eindrucksvoll einrahmte. Es war eines von vier Postern; zwei weitere in variierenden Grau- und Rottönen zeigten zwei verschiedene Musikgruppen, deren Mitglieder dem Betrachter der Bilder einmal vor ihren jeweiligen Instrumenten stehend zugrinsten und auf dem anderen mit grimmiger Mimik den Mittelfinger entgegenstreckten, sowie die gepiercte Zunge. Er hatte seinen Blick mittlerweile auf das vierte und größte Poster gelenkt, welches vier junge Männer unterschiedlicher Statur und Ausstrahlung zeigte. Während der Eine dunkle Haut und ungewöhnliche Augenfarbe hatte, hatte ein Anderer helle Haut und faszinierende Augen, der Nächste war bemerkenswert klein und wirkte dennoch erhaben, und der Vierte – nun ja, der Vierte hatte strohblondes Haar, einen feurigen Ausdruck in den braunen Augen, hörte auf den Namen Joseph Jay Wheeler Junior und war sein Sohn. Und eben dieser Sohn hob nun seinen blonden Schopf aus den ungeahnten Tiefen des alten Koffers und schaute seinen Vater, ihn, der den gleichen Namen trug, mit einem zwischen Genervtheit und Bedauern schwankenden Blick an. „Du kannst mir grade echt bei Nichts helfen, Pa, danke für das Angebot. Ich sag' dir aber Bescheid, wenn du mir ein wenig zur Hand gehen kannst, wenn du so drauf brennst...“ Sein Sohn, von allen der Einfachheit halber Joey genannt, hatte das mehrmalige Seufzen seiner Person wohl dahingehend missverstanden, dass er unbedingt behilflich sein wollte bei dem auf dem Boden stattfindenden Packen der Klamotten und sonstigen Artikeln (eine Boxershorts von beeindruckend schlechtem Geschmack fiel ihm ins Auge, die unter den extra neu gekauften Socken und der langweiligen grauen Jogging-Hose hervorlugte). „Ach was. Das einzige, worauf ich brenne, ist ein bisschen Ruhe. Der Tag war lang, wenn man nicht gerade bis in die Puppen geschlafen und ansonsten die Zeit vor einem leeren Koffer trödelnd verbracht hat...“ Wie erwartet reagierte sein Sohn prompt auf den provozierenden Unterton in seiner sich ansonsten müde anhörenden Stimme. „Ich hab' nich' getrödelt! Ich bin die ganze Zeit meinen inneren Plan durchgegangen, mit den Sachen, die ich mitnehme!“ „Du hast einen inneren Plan...?“ „Haha, Pa, sehr komisch, wirklich.“ Mit einem Typisch-Eltern-Blick sah Joey seinen Vater an, der ihn zwar erschöpft, aber nicht weniger feixend angrinste und erneut an seiner Nudelsuppe nippte. Ja, der Tag war lang gewesen, für ihn, der früh morgens aufgestanden und sich für die Arbeit zurecht gemacht hatte. Während er seine eigenen braunen Augen in der von einem Pappbecher umschlossenen, erkaltenden Flüssigkeit betrachtete, musste er daran denken, wie die Situation noch vor knapp anderthalb Jahren gewesen war. Damals war er es gewesen, der bis in die Puppen und darüber hinaus die Zeit in einem Schlaf- und Dämmerzustand verbracht hatte, den am Abend zuvor angeeigneten Alkohol-Pegel verarbeitend. Joey war zu der Zeit derjenige gewesen, der früh aus der gemeinsamen Wohnung ging, zur Schule, und anschließend zu seinen Freunden, um ihn, seinen saufenden, kotzenden und stinkenden Vater nicht um sich haben zu müssen. Manchmal, zwischen zwei anderen Gedanken, beschlich ihn die Frage, warum gerade er zu solch einem Ekelpaket und in keinster Weise gut sorgendem Vater geworden war, und genauso schnell war sie auch wieder verschwunden. Dabei glaubte er die Antwort zu wissen. Oder vielmehr hatte er, seitdem Joey den Mut aufgebracht hatte, zuerst mit seinen Freunden und dann mit den örtlichen Behörden das Alkohol-Problem seines Vaters anzugehen, versucht, sich Antworten zu suchen, um nicht gänzlich schutzlos und voller Schuld dazustehen. Sein eigener Vater, der ihn zeitweilen geprügelt hatte wie einen Hund, ohne auch nur einen Tropfen Alkohol getrunken zu haben, das missglückte Studium, die zwangsläufige Heirat mit einer Frau, mit der ihn lediglich das in ihrem Bauch heranwachsende Kind verband, die nach dem zweiten Kind und einigen Jahren erfolgte Scheidung, die schlechte wirtschaftliche Lage des Landes und so seine aussichtslose Suche nach einem Job ohne besondere Qualifikationen, einen jugendlichen Sohn, der weitaus mehr Sympathie zur Straße hegte als zu seinem eigenen, viel zu kleinen Zuhause. So wurde ihm der Alkohol sympathisch, zunehmend; je öfter Joey weggeblieben war, umso öfter hatte er zur Flasche gegriffen, und nach der mitternächtlichen Heimkehr seines einziges Sohnes hatte er ihn ein ums andere Mal im Vollsuff mit Gewalt zum Gehorchen bringen wollen. Joseph Jay Wheeler Senior schloss für einen Moment die Augen und versuchte, den bitteren Geschmack, der sich in seinem Mund und Rachen ausbreiten wollte, zurückzudrängen, und damit die Gedanken an ein mehr als unschönes, an ein totzuschweigendes und abgeschlossenes Kapitel seines Lebens. Er hatte seine Existenzkrise überwunden, mit Hilfe, arbeitete wieder, durch Hilfe, verdiente Geld und hatte sich bei seinem Sohn entschuldigt, der trotz allem nicht aufgehört hatte, ihn als seinen Vater anzusehen. Er hatte sich oft gefragt, woher Joey diese Kraft genommen hatte, ihm zu verzeihen, denn er hatte seinem eigenen Vater nie verzeihen können, und so hatte er dessen Tod vor einigen Jahren schweigend zur Kenntnis genommen und eine neue Wodkaflasche angebrochen. Vielleicht lag es daran, dass eben Joey der Begründer des Niemals-Aufgebens eines Wheelers war und nicht er selbst, dass sein Sohn über weitaus mehr Charakter und Energie verfügte als er selbst, vielleicht daran, dass Joey zu diesem Zeitpunkt bereits Fuß gefasst hatte im Mythos Freundschaft und im noch größeren Mythos dieses Kartenspiels und dadurch weitaus mehr Selbstachtung und Stärke gezogen hatte, als, und da war sich Joe Wheeler sicher, er selbst trotz der Wandlung der Umstände jemals für sich würde aufbringen können. Erneut seufzte er, und dieses Mal wurde daraus ein Gähnen, das er mit der freien Hand spärlich abzudecken versuchte. Sein Körper signalisierte ihm das dringende Bedürfnis nach Schlaf, schließlich war ein Tag auf dem Bau alles andere als gemütlich und kräfteschonend, und so entschloss er sich, es bei dieser Fülle an Gedanken des Vergangenen zu belassen und sich stattdessen dem inzwischen deutlich kälteren Fastfood in seiner Hand zu widmen. Er wandte sich wieder seinem Sohn zu, der nach wie vor mit dem Packen seines Koffers beschäftigt war. Auch deshalb beließ Joe es dabei, das Vergangene zu überdenken anstatt es mit Joey zu bereden, denn der hatte momentan definitiv den Kopf ganz woanders und hatte sich außerdem lange genug mit dem Thema der Selbstzerstörung seines Vaters auseinandergesetzt. Nein, dies war Joeys Zeit, seine Zeit zum Packen für den morgigen Aufbruch zu seiner Schwester und Joes zweitem Kind, Serenity. Nach der Scheidung von Susan Kawai, einer kleinen und zurückhaltenden Frau mit damals glänzenden haselnussbraunen Haaren und freundlichen Augen, war das zwei Jahre nach Joey geborene Mädchen zusammen mit seiner Mutter fortgezogen und hatte, aufgrund der Unstimmigkeiten zwischen ihm und seiner Exfrau, lange darauf warten müssen, wieder Kontakt zu seinem Bruder aufnehmen zu dürfen, geschweige denn, ihn zu sehen. Jetzt aber, nachdem Joe zurück ins gesellschaftliche Leben gefunden hatte und auch Joey Abstand von den Kontakten der Straße genommen und sich vermehrt der Schule gewidmet, diese sogar mit einigen befriedigenden und ausreichenden Noten bestanden hatte (besonders stolz war Joe auf das einzige 'Sehr Gut', welches Joey im Fach Sport bekommen hatte, denn hier konnte er mit Sicherheit sagen, dass hier seine Gene am Werk gewesen waren), hatte Susan Wheeler nach einigen vorangegangenen Besuchen der Jugendlichen beim jeweils Anderen zugesagt, dass Joey für eine ganze Woche zu Besuch kommen dürfe, und je nach Situation und Stimmung auch länger. Für Joey war dies eine großartige Nachricht gewesen, denn er liebte seine kleine Schwester über alles, und freute sich, seit dieser Besuch vor zwei Monaten beschlossen wurde, wie ein Besessener darauf. Seitdem vergaß er noch öfter, die benutzten Teller in die Spüle zu stellen, summte noch öfter und noch verschiedenere Lieder als zuvor und blickte noch öfter als früher tagträumend aus dem Küchenfenster, obwohl draußen nur eine der vielen karg-grauen und zudem winterlichen Straßen Dominos zu betrachten war. Das Licht der an besagter Straße stehenden Laternen war inzwischen angegangen und erleuchtete Joeys Zimmer zusätzlich ein wenig, was dieser jedoch nicht zur Kenntnis zu nehmen schien. Er hatte inzwischen damit begonnen, den kleinen CD-Stapel nach geeigneten Exemplaren zu durchsuchen und sie zu den, ebenfalls bereits ausgesuchten, Duel Monsters-Magazinen auf den Kofferinhalt zu befördern. Auch dieses Gerät lag dort, die Duel Disk, mit der diese Kartenspiele bestritten wurden, sowie eine kleine Truhe, in der Joey sein Deck aufbewahrte. Anscheinend durften diese Dinge auf der Reise nicht fehlen. Joe wusste, dass Joey vorhin ebenfalls unterwegs gewesen war – er sah es an dem leeren und auffällig staublosen Platz auf dem kleinen Fenstersims, welcher zuvor Stellplatz für die einzige Zimmerpflanze Joeys gewesen war, und die er am Nachmittag zur Nachbarin gebracht hatte, welche scheinbar an nichts mehr Freude hatte, als an dem Gießen und Pflegen längst verkümmerter Blumen der Nachbarn. Außerdem hatte Joey ihm am gestrigen Abend erzählt, dass er noch zu seinem Arbeitgeber müsse, um diesem sein einwöchiges, möglicherweise auch mehrwöchiges, Wegbleiben zu erklären. „Was hat der Pizza-Fritze eigentlich dazu gesagt, dass du die Tage nicht da bist?“, fragte Joe und gähnte erneut, während er sich nicht länger an den spröden Rahmen der Tür zu Joeys Zimmer lehnte. „Kobayashi? Och, der meinte, ich soll mich melden, wenn ich wieder da bin, und er guckt dann, ob er mich braucht. Oder einer seiner Bekannten.“ „Scheinst dir ja richtig einen Namen zu machen, in der Welt des Pizzaverkaufes, was?“ Nachdenklich betrachtete Joe seine Nudelsuppe, stellte sich im Gedankenfluss die Frage, weshalb er sich nicht lieber auch eine Pizza gekauft hatte, anstelle der chemisch wirkenden Brühe in dem allmählich durchweichenden Becherchen. „Tja, keine Ahnung, kann schon sein.“, bestätigte Joey die eher rhetorisch gemeinte Frage seines Vaters und drehte sich zu diesem um. Er sah einen erschöpft wirkenden Mann Mitte vierzig, mit in einem Pferdeschwanz zusammengebundenen, blonden Haaren und müden braunen Augen, die das Essen in seiner Hand musterten. Er trug seine Arbeitsklamotten, leicht zerschlissen und verdreckt, und wirkte dennoch sehr viel besser und vor allem gesunder als all die Jahre zuvor. „Pa“, sagte Joey, und grinste diesen leicht an, „das Futter da wandert nicht alleine in deinen Bauch, du musst ihm schon ein bisschen helfen. Ich meine, ich kann dir ja zeigen, wie man das macht..-“ „- und mir alles wegessen? Kommt nicht in Frage, ich bin hier der Hungrige!“ Demonstrativ hielt ein schlaftrunkener und dennoch grinsender Joe Wheeler die Nudelsuppe für 172,25 Yen in die entgegengesetzte Richtung seines Sohnes, da dieser nun doch von seinem Kofferpacken aufstand und in Richtung seines Vaters torkelte. „Du hast gar keine Ahnung, wer hier wirklich der Hungrige ist! Ah – uh, oh man, Memo an Hirn, Knochen tun weh nach zu langem Gehocke....“ Während Joey zuvor im Begriff gewesen war, seinem Vater die Suppe weg zu stibitzen, hatte er sich nun zurück auf den Boden fallen lassen und rieb sich die, vom zu langen Sitzen, steifen Glieder, während seine Mimik einen Ausdruck des höchsten Leidens angenommen hatte. Joe lachte. Das war der Joey, den er kannte, und den er, dass wusste er bereits jetzt, schrecklich vermissen würde, wenn dieser weg war, obgleich er es ihm auch von ganzem Herzen gönnte. Allerdings hatte Joe genug Menschen getroffen und selbst genug erlebt, um der utopischen Vorstellung aufzusitzen, sein Sohn würde nach dem Besuch bei seiner Schwester und seiner Mutter, sowie deren Freund, wieder wie gehabt bei ihm wohnen und in einem nach Bratfett und Schweiß müffelnden Pizzaladen den Ausliefererjungen mimen. Nein, Joe wusste, dass diese Reise viel mehr darstellen würde, als nur den Besuch bei lang nicht mehr gesehenen Verwandten. Er würde dazu dienen, Joey auf den Gedanken der Selbstständigkeit zu bringen, und des Erwachsenseins, mit allen Pflichten und allen Vorzügen, und er würde einen anderen Joey aus seinem Sohn machen, da war sich Joe Wheeler sicher. Aber vorerst, und jetzt gerade, war Joey einfach nur Joey, und er fand, dass das für diesen Abend ruhig noch so bleiben konnte. Also verschwieg Joe erneut seine Gedanken, da er fand, dass sein Sohn ganz von alleine auf die voraussichtliche Bedeutung dieser Reise kommen sollte. Das war er ihm schuldig, nach allem, was der Junge wegen ihm hatte durchmachen müssen. „Bleib sitzen, Blondie. Von dieser mickrigen Portion wird man doch ohnehin nicht satt. Ich bestell' uns jetzt 'ne Pizza und stell' die Cola kühl, dann machen wir's uns nochmal ordentlich bequem. Was hältst du davon, mein Sohn?“ „Find' ich gut, mein Vater“, machte Joey den Tonfall Joes lächelnd nach und schaute diesen allmählich ebenfalls müde an. Er würde morgen früh raus müssen, da würde ohnehin nicht viel Zeit für Frühstück und Verabschiedung sein, also konnte man das Ganze ruhig zum Teil heute Abend schon erledigen. Zufrieden wandte Joe sich der Küche zu, als er Joey noch sagen hörte: „Und selber Blondie!“ Habt ihr Kritik, Verbesserungsvorschläge, Anregungen, Lob? - Schreibt mir gern, ob's euch bis hierher gefällt, ich würde mich drüber freuen! =) Kapitel 1: Belastungsprobe eines Reisenden I -------------------------------------------- Leise trat er aus der Wohnungstür heraus und sofort schlug ihm die kalte Luft ins Gesicht. Die einzelne, kühles Licht ausstrahlende Lampe an der Decke surrte unentwegt und warf einen Schatten seines in eine dicke Winterjacke gehüllten Oberkörpers an die grauen Wände. Er schaute noch einmal zurück in den unbeleuchteten Flur der Zwei-Zimmer-Wohnung, die er seit der Scheidung seiner Eltern mit seinem Vater bewohnte, und zog dann behutsam die Tür hinter sich zu. Wie so oft in der Vergangenheit steckte er den Schlüssel ins Loch und schloss ab, bemüht, das aufeinander schabende Metall nicht zu laut aufächzen zu lassen, um seinen Vater nicht zu wecken. Die bereits erkaltenden Hände verstauten das kleine Schlüsselbund in dem gut gefüllten Rucksack, den er sich anschließend auf den Rücken hievte, und verschwanden dann in zwei orangenen Handschuhen. Das Treppenhaus war aufgrund der frühen Uhrzeit unbelebt und so kam Joey niemand entgegen, als er die schlichten Stufen hinab ging. Der alte Koffer in seiner Hand wog bereits jetzt schwer, aber es war der einzige, den er besaß, und da er ohnehin viel sitzen würde, störte ihn das Tragen nicht weiter. Seine Turnschuhe quietschten ab und an auf dem Linoleum und Joey fühlte die Müdigkeit, die in der Luft lag. Er war vor gut einer halben Stunde aufgestanden und hatte sich kurz und mit zusammengebissenen Zähnen unter die kalte Dusche gestellt (das sinnlose Hoffen auf warmes Wasser am Morgen hatte er inzwischen aufgegeben), sich dann den Temperaturen entsprechend angezogen und kurz gefrühstückt. Alles in Allem lag er gut in der Zeit, wie er fand. Normalerweise war er ein absoluter Morgenmuffel, den man selbst mit Kakao und Muffins nur schwer vor zehn Uhr aus dem Bett bekam, aber für den heutigen Trip hatte er sich extra den Wecker gestellt und war, trotzdem schweren Herzens und gähnend, um halb sechs aufgestanden. Dementsprechend dunkel war es, als er aus dem Treppenhaus auf den grauen Gehweg trat und die eisige Luft einatmete. Vereinzelte Regentropfen fielen vom Himmel und verfingen sich in den Mützen der wenigen Passanten, genauso wie in seiner, die von gleicher Farbe wie auch seine Handschuhe und sein Schal waren, den er sich noch enger um den Hals schlang. Obwohl der Kalender tiefsten Winter anzeigte und Joey das Gefühl hatte, in der letzten Zeit nur gefroren zu haben (was möglicherweise auch an der nicht ausreichend isolierten Wohnung lag, aber darüber wollte er lieber nicht weiter nachdenken), hatte es bisher noch nicht geschneit. Einmal hatten sie einen kurzzeitigen Schneematsch gehabt, der ihm beide Paar Schuhe durchnässt hatte, aber zu mehr hatten die Temperaturen noch nicht gereicht. Dennoch war es eindrucksvoll eisig, und das Letzte, das er jetzt gebrauchen konnte, war eine Erkältung, weshalb er sich beeilte, schnell aus den Minusgraden in die Bahnhofshalle zu gelangen. Wenngleich diese nicht viel wärmer sein würde und ihm sein warmer Atem, den er vor seinem Gesicht deutlich sehen konnte, auch dort die kalte Nase würde wärmen müssen. So drückte seine Mimik deutlich aus, wie sehr ihm die momentane Klimasituation missfiel, während er schnellen Schrittes den Gehweg entlang eilte. Der Hauptbahnhof, von dem sein Zug abfahren würde, lag im Zentrum Dominos und somit in Domino City. Joey wohnte ein wenig außerhalb, an der Hauptstraße, welche die Vororte Dominos mit den etwas schlechteren Vierteln und seinem verband und letztendlich auch in das Geschäftsviertel und darüber hinaus in die besseren Wohngegenden führte. Trotz der frühen Stunde herrschte somit bereits ausreichend Verkehr, auch am Samstag arbeiteten die fleißigen Bienchen der Gesellschaft, wie es Joeys Oma immer ausgedrückte (zumindest hatte sie diesen Spruch verlauten lassen, als er sie beim letzten Mal gesehen hatte, was auch einige Jahren zurück lag; er sollte zusehen, dass er sie demnächst mal wieder besuchte...). Obwohl er nur einer von Vielen war, die schon unterwegs waren, ließ die imposante Hochhausschlucht ihn sich klein und einsam fühlen, besonders aufgrund der Kälte und der noch herrschenden Dunkelheit, und er sehnte sich nach der Wärme seiner kleinen Schwester, die ihn immer wieder aufbaute und jegliche Reisestrapazen wert war. Bei dem Gedanke an Serenity hellte sich seine Miene wieder etwas auf und er versuchte, den schneidenden Wind zu ignorieren, der plötzlich die Straße entlang fegte, zwischen den Autos der früh arbeitenden Geschäftsmänner und Pendler hindurch und an den Straßenbahnen und Bussen vorbei, die ihrem täglichen Trott nachkamen und ihm von Zeit zu Zeit die stinkenden Abgase in sein kaltes Geruchsorgan bliesen. In einigen Geschäften konnte Joey bereits leuchtende Reklame und müde Angestellte ausmachen, die sich auf ihren heutigen Arbeitstag vorbereiteten und die Läden entsprechend herrichteten, und aus Kimuras Backstube, an der er gerade vorbeiging, kam ihm der Geruch von frischen Brötchen in die erfrierende Nase. Unwillkürlich ertappte sich der Blondschopf dabei, wie er mit dem Gedanken spielte, auf der Stelle kehrt zu machen und Kimura nach ein paar fertigen Brötchen und sonstigem Gebäck anzuflehen, so als Snack zum Mitnehmen und für Zwischendurch, selbst wenn sein Laden noch nicht geöffnet hatte. Allerdings, ermahnte sich Joey, würde das seinen Zeitplan ganz schön ins Schaukeln versetzen, denn Kimura war, was Gebäck anging, unerbittlich, und überhaupt waren Joeys Bettelversuche in der Nachbarschaft noch nie wirklich von Erfolg gekrönt gewesen. Also kämpfte er sich weiter durch den kalten Samstagmorgen, vorbei an einigen debattierenden Straßenarbeitern, sich laut zankenden Vögeln, schnurrenden Motoren protziger Nobelkarosserien (halt, war das da vorne nicht Kaibas Limousine? - Wobei, dann hätte es sich dieser sicher nicht nehmen lassen, ein gehässiges Hupen erklingen zu lassen, bei Joeys erbärmlichen Anblick...nein, dann war's wohl nicht Kaiba, besser so) und allem Anderen, das die Straßen Dominos so beherbergten und preisgaben. Um halb sieben erblickte Joey das beeindruckende Bahnhofsgebäude. Er hatte inzwischen doch was von seinem Taschengeld für ein einzelnes Busticket ausgegeben, was weniger Ausgabemöglichkeiten bei Serenity bedeutete, denn Domino war nicht sonderlich günstig und die hohen Tiere mussten sich dumm und dämlich an den kleinen Leuten verdienen, die sich kein eigenes Auto leisten konnten und somit auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen waren. Aber immerhin hatten seine Zehen so doch noch die kleine Chance, unbeschadet aus der ganzen Sache herauszukommen (hey, die waren schließlich schon ganz taub und sicherlich auch blau und außerdem hatte seine Entscheidung ja wohl in keinster Weise etwas mit zu wenig Männlichkeit und zu wenig Durchhaltevermögen und so zu tun!) und sich spätestens heute Nachmittag bei Serenity an einer wundervoll warmen Heizung wieder aufzuwärmen. Und außerdem nutzte Joey Tickets nie nur einmal, dafür hatte er zu viel Zeit mit den Leuten aus seinem Viertel verbracht, solchen, die auch vor kleinen Diebstählen und hübschen Platzwunden bei unbeugsamen Passanten mit Geldbeuteln nicht zurückschreckten. Aber das sagte er Keinem, weder seinem Vater, noch seinen Freunden, wobei er sich sicher war, dass zumindest Tristan auch des Öfteren als Schwarzfahrer unterwegs gewesen war, als er noch nicht sein eigenes Motorrad gehabt hatte. Inzwischen stand er an der Bustür, die gerade im Begriff war, sich ächzend zu öffnen, und trat erneut hinaus in die kalte Luft, die ihn gnadenlos umfing und ihn sofort frösteln lies. Der Bahnhof, auf den er sich zu bewegte, war vor zwei Jahren modernisiert worden und wirkte funktionell und geschäftsmäßig modern. Joey meinte mal gehört zu haben, dass unter Anderem Kaiba zur Neumachung und dem neuen Aussehen beigetragen oder zumindest seine Finger mit im Spiel gehabt hatte, und Joey fühlte sich bestätigt, als ihm als aller Erstes auf den technischen Werbetafel an den Wänden eine Anzeige der Kaiba Corporation ins Auge sprang und ihm erneut den ganzen Protz und Reichtum, den Kaiba darstellte, und der sich in der Bahnhofshalle widerspiegelte, an den Kopf warf. Laut ausschnaubend wandte Joey seinen Blick von der kühlen Werbemacherei ab (das Thema Kaiba war bei ihm nach wie vor eine Gefahrenzone für Außenstehende...) und richtete ihn stattdessen auf die Anzeigetafel der Zugverbindungen und ihre Abfahrtszeiten. Seine braunen Augen suchten und fanden die ihn betreffende Anzeige: Zug Kodama Zugnummer 21 Zeit 6:45 Über Domino – Shizuoka – Osaka Ziel Origino Gleis 8 Die daneben hängende Uhr zeigte ihm an, dass es inzwischen halb Sieben war, er sich also etwas ranhalten musste. Schließlich hatte er noch das Ticket abzustempeln, welches er sich vor zwei Tagen gekauft hatte, nur für den Fall, dass der Automat plötzlich den Geist aufgeben oder eine europäische Reisegruppe diesen belegen würde... Man konnte ja nie wissen, und Joey wollte in jedem Fall verhindern, dass ihm heute irgendwas dazwischen kam. Außerdem hatte er die eigens verdienten 3362 Yen, die das Ticket kostete, lieber sofort für eben jenes ausgegeben, bevor ihm irgendeine Duel Monsters-Neuerscheinung in die Quere gekommen wäre, oder ein neues Magazin mit ansprechendem Layout, also, mit ansprechenden weiblichen Mitmenschen als Layout, oder ein cooles T-Shirt von bekannten oder weniger bekannten Bands, oder das neueste Sparmenü bei Burger World, oder auch alles zusammen – auf jeden Fall hatte er das Ticket bereits und musste es nur noch einlösen. Ein unüberhörbares Gähnen nicht unterdrücken könnend (alter, es war noch nicht mal sieben Uhr, also sollte ihn die rundliche Dame mittleren Alters da vorne nicht so anklagend anstarren!) wanderte Joey durch das belebte, in Grau- und Weißtönen gehaltene Bahnhofsgebäude und machte sich an dem piependen Ding zu schaffen, das ihm seine Fahrt zu Serenity ermöglichte. Anschließend hielt er nach einem Shop Ausschau, in dem er sich noch was zu Futtern für die mehrstündige Fahrt kaufen wollte. Diese Etage des Bahnhofgebäudes bestand ausschließlich aus einer Einkaufspassage, sodass er an allen möglichen Arten von Fressecken, Drogerien, Friseuren, Supermärkten, Schreibwarenläden, Blumenläden, Ramschläden, Läden, die noch nicht aufhatten, Läden, die viel zu teuer waren, um sich dort auch nur umzusehen, Läden, die so üble Klamotten vertickten, dass Joey sich tatsächlich für zu gehoben hielt, um dort einzukaufen...., vorbei kam. Irgendwann führte ihn sein viel gelobter Orientierungssinn in einen kleinen aber für seinen Geschmack feinen Supermarkt, dessen Süßigkeitenecke auf Joey ganz bezaubernd wirkte. Klar, eine ordentliche Schnitte vorhin bei Kimura wäre bestimmt besser gewesen, nahrhafter und sättigender und so, aber der hatte ja schließlich noch nicht offen gehabt. Was also konnte er schon dafür, dass er jetzt hier stand und sich aufgrund des Überangebotes für nichts so schnell und unüberlegt entscheiden wollte? Plötzlich vernahm der blonde Junge mit dem nicht mehr ganz so müden Anblick eine Durchsage, die ihn darauf hinwiesen, dass sein Zug gerade eingefahren kam, und so griff sich Joey in anfängliche Panik versetzt das nächstbeste an Essen (zwei kleine Tüten Chips, eine Tüte mit Apfelringen und eine Tüte mit Süßigkeiten-Mischmasch), bezahlte die reichlich unausgewogene Kost und legte einen Zahn zu, um den Zug nach dem gelungenen Start nicht doch noch zu verpassen. Die Süßigkeiten hatte er sich kurzerhand unter die dicke dunkelgrüne Jacke gesteckt, davor hielt er den schweren Koffer mit beiden Armen umschlungen, und hastete mit dem Rucksack auf dem Rücken die Treppen hinauf zum Gleis Acht. Als er registrierte, dass sich die Türen bereits wieder schlossen (wo um alles in der Welt war die Zeit abgeblieben?!) stürmte er laut fluchend durch eine Gruppe europäischer Reisender (wusste er doch, dass die hier ihr Unwesen trieben!), entschuldigte sich hastig und im Rennen, als er versehentlich einer der Damen das Frühstück aus den Händen schlug, sprintete auf die halb geöffnete Tür zu und warf im Zuge eines Geistesblitzes zuerst seinen Koffer, dann seinen Rucksack und anschließend sich selbst durch die quietschende und sich mit einem Ruck schließende Tür. „Alter!!“, keuchte Joey aus, der alle Viere von sich gestreckt in dem anfahrenden Zug lag und schwer atmete, während ihm in der Jacke jetzt gerade viel zu warm war und seine Nase einen dumpfen Schmerz signalisierte. Sein Herz klopfte laut und zu dem Schmerz in seiner Nase gesellte sich nun noch ein Pochen in seinem rechten Knie hinzu. Trotzdem, man konnte sagen, was man wollte, aber die Aktion war schon nicht von schlechten Eltern gewesen! Nicht jeder Hinz und Kunz hätte es unter den Umständen noch in den Zug geschafft, der viel zu früh abgefahren war, schließlich war seine Zeitplanung doch astrein gewesen, und dadurch, dass er vorhin Bus gefahren war, hätte er doch ohnehin noch viel mehr Zeit gehabt haben müssen, und soo lange war er ja nun auch nicht durch die Einkaufsmeile geschlendert und hatte sich die Auslagen angesehen und die Essensgerüche eingesogen und- „Junger Mann, würden Sie freundlicher Weise den Platz frei machen und Ihren Kram zusammenräumen? In diesem Zug fahren auch noch andere Leute!“ Erschrocken starrte Joey den Schaffner an, der ihn übelgelaunt und mit nikotingelben Zähnen auf einem Kaugummi kauend anglotzte. Erst jetzt bemerkte der Blondschopf, dem die Zahnhygiene des Mannes so früh am Morgen auf den Magen schlug, dass sich sein Koffer durch den Knall gegen das Zuginnere geöffnet hatte und sein Inhalt zum Teil hinausgeflogen war und nun das verdreckte dunkle Laminat zierte. „Sorry, klar, mach' ich..“, stammelte Joey, nach wie vor in der warmen Jacke steckend und mit sicherlich angerötetem Gesicht (gut, das war bei der Kälte nichts ungewöhnliches, aber vor dem ungepflegten Sack wollte er nicht noch lächerlicher erscheinen, als ohnehin schon) und begann, sein Zeug wieder zusammen zu suchen und in den Koffer zu stopfen. „Ich muss dann auch die Fahrkarte sehen...“, teilte ihm der Schaffner gelangweilt und desinteressiert mit und ließ seinen Blick über die Anzeigetafel und die integrierte Uhr streifen, so als hoffe er, bald aus dem schnöden Job und dem stetig ruckelnden Zug zu entkommen. Joey fischte sein Ticket aus seiner Jackentasche, hielt es dem uniformierten Schaffner entgegen, während er sich den Rucksack über eine Schulter warf und ging, nach einer gegrunzten Bestätigung seiner Richtigkeit in diesem Zug, auf die Suche nach einem freien und gemütlichen Sitzplatz für die kommenden Stunden, denn er würde geschlagene Sieben auf diesem verbringen. Er entdeckte schnell einen freien Fensterplatz, der ihm zusagte, was kein Wunder war, schließlich saß so gut wie keiner in den Abteilen, die er einsehen konnte. Grund hierfür waren wohl zum Einen die antarktischen Temperaturen, zumindest wenn man ihn fragte, auch wenn momentan der Schnee noch fehlte (aber Joey hoffte inständig, dass diesen Winter noch welcher fallen würde), und zum Anderen, dass es gerade mal Mitte Januar war, eine Zeit also, die man eher mit und bei seiner Familie und vor allem Zuhause verbrachte, anstatt mit irgendwelchen überteuerten Zügen zu fahren. Naja, aber eigentlich machte er ja genau das, oder würde genau das die kommende Woche machen. Die Winterferien bei seiner Familie verbringen, nicht seine Winterferien, denn er ging ja gar nicht mehr zur Schule, weshalb er eigentlich durchgängig Zeit hatte (abgesehen von seinem Job bei „Kobayashi's Pizza-Fabrik“, aber auf den hatte er eigentlich ohnehin nicht mehr sonderlich Lust). Es waren Serenitys Ferien, die im nächsten Jahr ihren Abschluss machen würde, der deutlich besser ausfallen würde, als seiner, wie Joey wusste. Aber daran lies sich jetzt ohnehin nichts mehr ändern, und über Schule wollte er gerade sowieso nicht nachdenken, denn das bedeutete auch immer, über seine vergangene Zeit mit und bei seinen Freunden nachzudenken, und auf diesen Stimmungskiller-Gedanken hatte er jetzt echt mal keine Lust. Stattdessen machte er es sich auf dem Sitz bequem, legte seinen alten aber geliebten Koffer neben sich (kacke, war das da etwa 'ne fette Schramme von dem kleinen Rundflug von eben..?), legte seine Füße auf dem Sitz gegenüber ab und lehnte seinen Kopf gegen die vor Kälte beschlagene Fensterscheibe. Die Häuserfassaden Domino Citys huschten an ihm vorbei und allmählich spürte Joey, dass der Stress von eben von ihm abfiel und die Müdigkeit und Gelassenheit zurückkehrten, umso ruhiger sein Atem wurde und umso weniger laut sein Herz pochte. Der Zug war gut beheizt, sodass sich Joey nach wenigen Minuten aus seiner dicken Jacke und seiner Mütze, dem Schal und den Handschuhen schälte und diese auf die gegenüber liegende Bank verfrachtete. Würde sich schon niemand dran stören, wo doch ohnehin sämtliche Plätze frei waren, bis auf den, wo der schnarchende Mann saß und den, auf dem die alte, angenervte Alte von vorhin saß, die, die sich daran gestört hatte, dass Joey natürlicherweise und biologisch nachgewiesen und so am Morgen müde war und logischerweise gegähnt hatte. Das tat er auch jetzt, während er erneut am Fenster lehnte und ab und an sein eigenes Spiegelbild musterte, wenn ihm die eintönig wirkende Szenerie außerhalb des Fensters uninteressant erschien. Er sah inzwischen erwachsener aus, oder vielleicht schon richtig erwachsen, so genau lies sich das ja nicht sagen, aber auf jeden Fall fand Joey Wheeler sein eigenes Spiegelbild gar nicht so schlecht. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte er es nicht sonderlich gemocht, sich selbst anzugucken oder sich selbst zuzuhören. Im Grunde hatte er damals, das war, als sein Vater der schlimmste Säufer im Haus gewesen war, für sich so empfunden, wie er es heute bei Kaiba tat: weder hatte er Bock, dem Anderen gegenüber zu stehen, noch wollte er dem Anderen zuhören müssen und von diesen erstaunlich blauen aber ebenso kalten Augen gemustert werden. Ach verdammt, jetzt dachte er ja doch wieder über solche Themen nach, also, so frühere Themen, schließlich war das Kapitel Kaiba vs. Wheeler (bei dem Letzterer selbstredend immer die Nase vorn gehabt hatte, was auch sonst!) im Grunde abgehakt, 'ne abgeschlossene Geschichte, da Kaiba bekanntlich in ganz anderen Kreisen verkehrte, als er selbst und sie sich somit nicht mehr über den Weg liefen. Tatsächlich hatte Joey seinen ehemaligen Klassenkameraden seit der Abschlussfeier und dem Abschlussball, bei dem er sich gewundert hatte, dass Kaiba überhaupt da gewesen war (zumindest so lange, bis die große Masse grölend und angeheitert zu irgendwelchen primitiven House-Songs rumgehampelt hatte...), seitdem nicht mehr live und in natura zu Gesicht bekommen. Die einzige Möglichkeit, den reichen und versnobten Pinkel zu sehen, der seinen Abschluss natürlich, was auch sonst, als Einziger des Jahrgang mit 1,0 gemacht hatte, waren die Werbespots der KC, welche auf den großen Anzeigetafeln in Domino City rauf und runter liefen und niemanden von der geballten Großkotz-Aura verschonten. Gerade rümpfte Joey die angeschlagene Nase (hoffentlich sah die nicht genauso mies aus, wie sie sich momentan anfühlte..), als er aus den übrigen Gebäuden herausragend den KC-Tower erblickte, der wie ein Statement Kaibas über Domino thronte: „Diese Stadt hat nur Platz für Einen, und dieser Eine bin ich! Also verschwinde, Unwürdiger!!“, oder so in der Art. „Jaja, Kaiba, schon klar, diese Woche bist du noch mal davon gekommen, aber wenn ich wieder da bin, dann werden wir ja sehen, wer von uns hier der Eine ist! Ich hab erstmal Wichtigeres zu tun, du geölter Geldsack, nämlich mein Familienleben auszuleben! Friss das, du arroganter, einzelgängerischer, hinterhältiger Gefrierschrank!!“, war ungefähr das, was Joeys Mittelfinger auf Kaibas überdimensionalen Turm zu erwidern hatte. „Na na, also bitte, sowas!!“ Irritiert wandte sich Joey mitsamt seiner symbolischen Kampfmitteilung an Kaiba, seinem ausgestreckten Finger also, von der Aussicht ab und blickte stattdessen im Inneren des gemütlich schunkelnden Zuges ins gealterte Gesicht einer aufgebracht wirkenden Frau. Einer bereits bekannten, gealterten und aufgebrachten Frau, die in ihrer ganzen adipösen Pracht vor ihm stand und entrüstet mit dem ergrauenden Kopf schüttelte, einige deutliche „Unerhört!!“ vernehmen lassend. Joey beschlich der Gedanke, dass die Frau seine Geste auf sich bezogen haben könnte, weil sie ihn ja vorhin mit eindeutigen Blicken gemaßregelt hatte, und sprang augenblicklich in die Höhe. Erneut spuckte die Frau ein entsetztes „Unerhört!!“ in seine Richtung aus, während er entschuldigend mit den Händen gestikulierte. „Nein, hören Sie, alte Lady, das war doch gar nicht wegen Ihnen, also, ich hab' Sie doch damit gar nicht gemeint, das war bloß-“ „Unerhört, eine Unverschämtheit, diese Jugend von heute!! Kein Benehmen mehr in der Öffentlichkeit, schämen Sie sich, einer alten Person so gegenüber zu treten, Sie kindsköpfiger Pflegel, Sie!!“ „Ja, - aber -“ Ihm noch einen letzten aber mehr als deutlichen und überaus strafenden Blick zuwerfend, setzte die Frau zeternd und kopfschüttelnd ihren Weg fort und ließ einen mehr als verdatterten und untröstlichen Joey zurück, dem erneut der kurze Gedanke kam, was für eine intelligente und vor Allem angenehme Person seine Oma doch war. Anschließend ließ sich der Blondschopf seufzend sinken und überlegte leicht ernüchtert, ob sein einmal gedachter Gedanke, den Beruf eines Altenpflegers oder etwas in der Richtung zu machen, wirklich so eine gute Idee sein würde. Möglicherweise würden ja auch andere Omas und Opas ähnlich auf ihn reagieren, und ihn womöglich auch noch mit ihren ausgelatschten Puschen bewerfen...Nein, darauf konnte ein Joey Wheeler beim besten Willen verzichten, und den hatte er ja nun wirklich! Alte Leute behandelte man nicht schlecht, und es war gar nicht mal so selten vorgekommen, dass Joey alten Opis beim Überqueren der Straße oder beim wieder Aufhelfen geholfen hatte. Aber gut, letztendlich war der Gedanke mit diesem Altenpflegerkrempel nur eine fixe Idee gewesen, weil er sich nach einer solchen Hilfsmission wie eine enorm wichtige Person vorgekommen war, und sich grinsend zur eigenen Belohnung den neuesten Burger gegönnt hatte. Tatsache aber war, dass Joey nicht nur keinen Plan, sondern eigentlich auch nicht mal den Hauch von einem Plan hatte, was er mit seinem Leben in beruflicher Hinsicht anfangen wollte. Klar, so die Standardsachen hatte er auch vor, 'nen gutbezahlten Job mit vielen Urlaubstagen und Betriebsfeiern und so, und eigenes Haus mit Garten und Hund und irgendwann Kinder mit seiner vollbusigen aber intelligenten Frau, und dann viel Reisen, klar, versteht sich ja von selbst, ach und, zum weltbesten Duel Monsters Spieler gekrönt werden, mit eigener Castingshow hinterher, so nach dem Motto: „Joey sucht den Duel Monsters Superstar“, mit viel Klimbim und Täteretä und Umarmungen und Freudentränen und irgendwann dann 'n ruhiges Rentnerdasein mit Enkelkindern und Pfeife und Dackel. Was für Zukunftsaussichten! Joey spürte ganz deutlich, wie er ein zufriedenes und strahlendes Grinsen nicht abwehren konnte, während er es als überaus angenehm im Zug empfand, jetzt, wo Kaiba und sein beschissener Angeber-Protz-Turm in immer weitere Ferne rückten, und jetzt, wo von der alten aufgebrachten Lady weder Rockzipfel noch Brillenputztuch zu sehen waren! Warum sich auch so aufregen, und das in dem Alter, dachte sich Joey, während er das Zuginnere musterte. Die blauen Sitzbezüge, die beschlagenen und hier und da angesprungenen und etwas verdreckten Scheiben, die Herz-Rhythmus-Störungen, die sich bei so einer aufregenden Meckerei doch sicherlich noch verschlimmerten, die besseren Wohngegenden Dominos, die als graue Schleier und Silhouetten an Joey vorbei huschten, das Vorhaben, sich nach dem viel zu unwinterlichen Winter einen besseren Job zu suchen und noch während des Winters den Mieter auf die kalte Morgendusche und die kalten Zimmertemperaturen zuhause anzusprechen, das runzlige, boshafte Gesicht, das viel zu viel auf sich selbst bezog und ihm einen wahrhaften Schrecken eingejagt hatte, das klingelnde Handy, der wieder hochkommende Schock über den Trailer des neuesten Splatterfilmes, den er bedauerlicherweise während des Umschaltens von einer Sitcom zu anderen gesehen hatte, das klingelnde Handy in seinem Rucksack, die Durchsage, dass der Zug in den nächsten Minuten irgendwo in einem Ausläufer Dominos halten würde, das immer noch klingelnde Handy in seinem Rucksack, sein Bauch, der sich klagend zu Wort meldete und gegen den aufkommenden Hunger protesti- Moment! Klingelndes Handy in seinem Rucksack? Erst jetzt registrierte Joey den fröhlichen Klingelton, der durch das komplette Abteil schallte und ihn dazu veranlasste, in hastiger Manier nach dem Rucksack zu langen, und in großen Gesten nach dem dudelnden Telefon zu angeln. Vor Allem um der alten Lady nicht nochmal eine Möglichkeit zu geben, ihn wegen ungebührendem Verhalten in der Öffentlichkeit, oder wie auch immer das hieß, fertig zu machen... Dennoch hoffte er, dass die Melodie nicht erlosch, während er noch nach dem verflucht gut versteckten Teil wühlte, da er sich wunderte, wer ihn um diese Zeit anrief (es war inzwischen sieben Uhr dreizehn). „-my, Yummy, Yummy, I got love in my tummy, And I feel like a-lovin you: Love, you're such a sweet thing, Good enough to eat thing And that's just a-what I'm gonna do. Ooh love, to hold ya, Ooh love, to kiss ya, Ooh love, I love it so... Ooh love, you're sweeter, Sweeter than sug-“ „Hallo?“ Etwas außer Atem aber erleichtert, dass er es noch geschafft hatte, den Anruf entgegen zu nehmen, lauschte er gespannt, wer ihn am Samstagmorgen so unbedingt sprechen zu wollen schien. „Na, hast du verschlafen?“ Joey staunte nicht schlecht, als er erkannte, wer sein Gesprächspartner war. „Tristan?!“ To be continued. Anmerkung: Die Anzeige von Joeys Zug ist größtenteils frei-erfunden-zusammengewürfelt; dementsprechend gibt es keine Garantie auf ihre Richtigkeit und Origino als (Ankunfts-)Ort ist ohnehin frei erdacht. Weiter entsprechen die herrschenden Verhältnisse einem Mischmasch aus deutschem Bekanntem, Veramerikanisiertem und vermeintlich recherchiertem Japanischem - quasi Jamericaland. *lach* Warum auch nicht. Zuletzt: Songtitel - Yummi Yummi Yummi von Ohio Express Ich freue mich sehr über Rückmeldungen jeglicher Art, schreibt mir gern, ob ihr noch was vermisst oder euch etwaige Rechtschreibmängel aufgefallen sind! =) Kapitel 2: Belastungsprobe eines Reisenden II --------------------------------------------- „Tristan?!“ „Du hast verschlafen, nicht wahr? Oh man, Joey!“ Er konnte ihn quasi vor sich sehen: einen belustigt-bedauernden Blick aufgesetzt, den brünetten Schopf schüttelnd und amüsiert auflachend: sein bester Kumpel Tristan. Joey wusste nicht, ob er sich zuerst darüber freuen sollte, dass dieser ihn nach Wochen mal wieder anrief, ob er zunächst erstaunt nachfragen sollte, weshalb Tristan sich um diese Uhrzeit meldete oder ob er sich als Erstes darüber empören sollte, dass sein vermeintlicher Freund ihm einen Hang zum Verschlafen unterstellte. „Nein, hab' ich natürlich nicht! Miese Unterstellung, alter!“ Joey entschied sich für Letzteres, wohl wissend, dass er ein überdurchschnittlich hohes Talent zum Verschlafen besaß. Aber sowas konnte man doch schließlich nicht auf sich sitzen lassen! „Jaja, ist schon klar. Lass mich raten: du fragst dich gerade, warum ich jetzt anrufe, richtig?“ „Naja, um ehrlich zu sein, - ja!“ Er ließ sich auf seinen Sitzplatz zurückfallen und positionierte seine Füße, die in (für diese Jahreszeit) viel zu kalten und zudem zerschlissenen Chucks gekleidet waren, erneut auf den Sitz ihm gegenüber, während er gespannt Tristans Worten lauschte. Joey wusste, dass sein Freund eigentlich, genauso wie er selbst, gerne lange schlief und morgens nicht berauschend gut gelaunt war. Na schön, Tristan arbeite seit geraumer Zeit irgendwo bei Verwandten, wo er sich ans frühe Aufstehen hatte gewöhnen müssen. Aber heute war schließlich Samstag und da schliefen die Leute, die was auf sich hielten, bis in die Puppen! „Okay, also, die Sache ist die. Ich habe zuerst natürlich mal dein zartes Stimmchen vermisst-“ „Och, zu freundlich, Trissi!“ „-nenn' mich nicht Trissi! Du weißt, ich hasse das!“ „Ja, is' gut-“ „Abgrundtief! Kumpel geben sich nich' so dämliche Spitznamen, man!“ „Okay, Tris, hab's kapiert. Kein Trissi am Morgen! Bist wohl doch noch der Alte, was?“ Diesmal war es Joey, der sich hörbar über seinen Gesprächspartner amüsierte. Neue Gewohnheiten hin oder her, letztendlich blieb ein Morgenmuffel ein Morgenmuffel. Er lehnte sich grinsend in seinen Sitz zurück und schaute aus dem Fenster, an dem mittlerweile kahle Bäume und vereinzelt Wohnsiedlungen vorbei huschten. Domino war bereits nicht mehr zu sehen und Joey bemerkte, dass er sich erstaunlich gut fühlte. Diese kleine Reise würde er dazu nutzen, mal ordentlich auszuspannen und viel mit Serenity zu unternehmen. „Wir telefonieren gerade mal fünf Sekunden und schon hab' ich wegen dir meinen Kaffee verschüttet, du Penner!“ Tristan klang ehrlich empört und Joey meinte ein Pusten und leises Fluchen ausmachen zu können. „Dabei bin ich nich' mal im Raum! Also, bei dir! Aber hey, seit wann trinkst du Kaffee?“ „Seit ich angefangen habe, nicht mehr so ein Vollaffe zu sein, wie du!“ „Hey, ich bin kein-“ „Jaja! - Nein, die trinken hier nichts anderes, ehrlich. Immer nur Kaffee, weil der ja angeblich so wach macht und vital, sodass man effizientere Arbeit leistet und so. Ich kann' den Spruch langsam nicht mehr hören! Geh' demnächst, wenn du wieder in Domino bist, mal zu Kaiba und frag' ihn nach der tatsächlichen Wirkung von Kaffee. Ich wette, es gibt da irgendwelche Studien zu und Kaiba weiß ja ohnehin immer alles...“ Jetzt konnte Joey in Tristans Stimme eher Genervtheit ausmachen und er war sich sicher, dass dieser ein ähnliches Gesicht machte, wie er selbst vorhin, als er Kaiba per Mittelfinger seine Kampfbotschaft übermittelt hatte... „Klingt nach ziemlich viel Spaß dahinten, wenn du mich fragst.“ „Ja, irre viel Spaß!“ Joey hörte, dass dem nicht so war. Aber was erwartete Tristan auch? Er war schließlich zum Arbeiten dahinten hin gegangen und nicht zum Faulenzen oder Besaufen (was Tristan ja selbstverständlich noch nie gemacht hatte! Obwohl Joey da einige Randerinnerungen mit sich herum trug, aber das war eine andere Sache...). Fakt war aber, dass Tristans Onkel mütterlicherseits eine Ausbildungsstelle zu vergeben gehabt hatte, und sein braunäugiger Freund diese angetreten hatte. Irgendwas mit Rumschrauben an Autos und Motorrädern in einer Werkstatt. Joey fand, dass Tristan durchaus dafür gemacht war, aber für ihn selbst wäre das nichts gewesen. Er war eben nicht so der Technikbegabte. Allerdings hatte Tristan, oder eben Tris, ihm auch erzählt, dass er nach der Ausbildung zur Uni gehen wollte um letztendlich einen gutbezahlten Job ausüben zu können. Darin hatten sie sich schon immer unterschieden: Tristan plante, während Joey nach Lust und Laune und vor allem nach Bauchgefühl lebte. „Mach dir nichts draus, alter.“, sagte Joey und versuchte, beschwichtigend zu klingen. „Aber warte mal, was meinst du mit: wenn ich wieder in Domino bin? Hast du dir etwa gemerkt, dass ich heute zu Serenity fahre?!“ „Klar!“, bestätigte Tristan laut und ein leichter Tadel schwang in seiner Stimme mit. „Was denkst du, weshalb ich dich sonst um diese Uhrzeit anrufe, an 'nem Samstag? Man erreicht dich ja sonst nie! Und überhaupt, ich bin 'n guter Freund und merke mir solche Sachen, Mr. Larifari!“ „Oh man, jetzt fang' nich' wieder damit an, dass ich deinen Abreisetermin vergessen hatte damals! Ich hatte da so viel um die Ohren, mit dem Pizzaladen und so-“ „Jaja, ist schon gut. Ich bin ja nicht nachtragend. Außerdem kenne ich dich schließlich, ich hab' mich an sowas gewöhnt..“ „An sowas gewöhnt? Als ob ich ständig irgendwas vergessen würde, ich meine, so schlimm ist das ja nun auch wieder nicht und überhaupt-“ „Joey, -“ „-überhaupt hatte ich echt viel zu tun, ich musste ja auch die ganze Sache mit Serenity planen, und mein Fahrrad hat in der Zeit den Geist aufgegeben, sodass ich das zur Reparatur bringen wollte, aber dann ha-“ „Joey!-“ „-haben die Assis mir ja sogar das geklaut, ich meine, dieses Schrottding, wer macht denn sowas? Und außerdem hatte ich auch immer versucht, dich zu erreichen, aber das is' ja 'n Ding der Unmöglichkeit, und, oh, dann hat noch unsere Nachbarin-“ „Joey man, ist schon gut, ich nehm' dir das echt nicht übel, du musst dich nicht rechtfertigen! Außerdem hast du mir das alles bestimmt schon zweimal erzählt..“ „Ernsthaft?“ „Jap!“ „Oh.“ Für einen Augenblick herrschte Schweigen zwischen den Beiden, ehe Tristan das Gespräch wieder aufnahm. „Auf jeden Fall, um jetzt echt mal auf den Punkt zu kommen, ich hab' nämlich nich' mehr so viel Geld auf'm Handy, deshalb. Also, weshalb ich eigentlich anrufe ist, ja, weil, ich wollte nämlich mal fragen, was du und Serenity so alles vorhabt. Also, habt ihr irgendwie was Großes geplant und so?“ Jetzt klang Tristan ruhiger und ernster als zuvor, eben so, wie zwei Kerle miteinander ein wichtiges Telefonat führten. Schließlich waren sie das ja, zwei Kerle, rauhe Burschen und so, auch wenn Joey spürte, wie ihm beim Gedanken an seine kleine Schwester regelrecht warm ums Herz wurde. Vielleicht sahen manche Leute seine Vorfreude darauf, Serenity wieder zu sehen, als übertrieben an, aber die beiden verband trotz der jahrelangen Trennung eine starke Bindung und sie hatten schließlich auch lange genug darauf verzichten müssen, etwas gemeinsam zu unternehmen. So, wie es Geschwister eigentlich machen sollten. „Naja.“, begann Joey und wandte sich ein wenig in seinem Sitz herum, bis er eine bequemere Position gefunden hatte. Seine Nase pochte und schmerzte immer noch ein wenig, wie er feststellte, als er sie versehentlich berührte. „Wir haben uns gedacht, dass sie mir die Stadt zeigt und sowas. Origino soll wohl genauso wie Domino 'ne super Fressmeile haben. Die wär bestimmt auch was für dich!“ „Ich bin lange nich' so verfressen wie du!“ „Okay, mag stimmen. Aber auf jeden Fall gibt’s da wohl auch 'nen hübschen Park mit Sportangeboten und joggenden Ladies und so und 'nen Haufen Geschäfte mit Schicki-Micki-Krams und preiswertes Zeugs und an dem Fluss, der durch die Stadt geht, spielen wohl immer Bands, die anschließend einen ausgeben für besonders engagierte Zuhörer und-“ „Dir ist aber schon klar, dass wir Mitte Januar haben, oder? Ich mein ja nur, wegen dem hübschen Park mit den Ladies und den Bands..“ „Ja, okay, für manche Sachen isses vielleicht noch zu kalt, aber wie du ja weißt, beherrschen die Wheelers die Kunst des Improvisierens! Wir machen einfach das, wozu wir gerade Lust haben. Und außerdem meinte sie, dass unsere Mutter noch ganz viele Fotos von früher von uns hat. Die wollten wir uns auch angucken.“ „Klingt gut. Ich wünsch' euch viel Freude, man!“ „Danke, die werden wir bestimmt haben. Mit mir hat man immer Freude, weißt du doch! Is' schließlich mein zweiter Vorname!“ Joey grinste sein bekanntes Ich-bin-total-super-Grinsen und sein Tonfall entsprach dieser Ansicht. Tristan dagegen erwiderte: „Nein, ist er nicht. Dein zweiter Vorname ist 'Jay' und dein erster Vorname ist 'Joseph', da geht man zuerst mal gar nicht von Freude aus, mein Lieber!“ „Hey, willst du etwa sagen, mit mir hätte man keine Freude und Spaß und so?! Ich bin 'n super Typ, komm' schon Tris, du weißt, ich hab' recht! Und außerdem vermisst du es, mit mir abzuhängen und um die Häuser zu ziehen, nich? Is' doch so!“ „...“ „Gib's zu!“ „Ja, okay, ich geb's zu, es ist oft stinköde hier ohne dich.“ „Nicht nur da, es ist immer öde ohne mich. Ich bin halt ein Strahlemann!“ Joey wusste, dass er seinem Kumpel auf kurz oder lang mit seinem sonnigen Gemüt auf die Nerven ging, aber er freute sich dennoch darüber, dass Tristan bestätigt hatte, dass er ihn vermisste. Denn das hatte er ja, und Joey erging es genau so. Seit Tristan weg war, herrschte in Joeys Leben in Sachen Freunde und Unternehmungen eine beachtliche Leere, denn der Brünette war der Letzte der Clique gewesen, der ihre Heimatstadt verlassen hatte. Zuerst waren da Duke und Bakura gewesen, die nach der Schule zum Studieren ins Ausland gegangen waren. Anschließend Yugi, der seiner Faszination für Ägypten nachging und aller Voraussicht nach Ägyptologie studieren würde, dementsprechend also ebenfalls auf einen anderen Kontinent verschwunden war. Und kurze Zeit später hatte sich dann auch Tea aufgemacht, um ihrem Traum einer erfolgreichen Tanzkarriere in Amerika nachzujagen. So waren Joey und Tristan zunächst übrig geblieben, was den Blondschopf an ganz frühere Zeiten erinnert hatte. Die Zeit vor ihrer Gruppe, in der es nur ihn gegeben hatte, und irgendwann Tristan, und wie aus ihnen irgendwann enge Freunde geworden waren, die sich anderen gegenüber zwar nicht besonders sozial und freundlich verhalten hatten, aber sich doch zumindest gegenseitig respektiert und für den anderen eingestanden hatten, wenn es die Situation erfordert hatte. Und dann war auch Tristan fortgegangen, zu seinen Verwandten, eine vier-Stunden-Fahrt mit dem Zug und für Joey eher schlecht als recht zu bezahlen. So war ihnen bloß das gelegentliche Telefonieren geblieben, wobei Tristan von seinem Onkel sehr in den Betrieb eingespannt worden war und so über wenig Zeit verfügte. Joey wurde bei diesen Gedanken ein wenig wehmütig und so konzentrierte er sich wieder ganz auf das Gespräch, als Tristan antwortete. „In erster Linie bist du ein trotteliger Vollpfosten, aber ja, man hat mit dir meistens ziemlich viel Spaß. Und ja, wehe du erwähnst das jetzt noch extra, deshalb mach' ich's ja: man muss dich gern haben. - Bist ja auch wirklich ein niedliches Kerlchen, kleines Joeylein!“ „Okay, den ganz ersten und den letzten Teil hättest du dir echt sparen können, aber die überhör' ich jetzt einfach mal, nett wie ich bin. Und deshalb: danke für dieses liebreizende Kompliment!“ „Nichts zu danken, Kumpel! Ich weiß ja, dass du von mir genauso denkst!“ „Na logo, du bist der liebreizendste Kerl, den ich kenne! - Okay, abgesehen von Yugi, aber dann bist du eben der zweit-liebreizendste Kerl, den ich kenne!“ „Ach, und du zählst dich selbst diesmal nicht mit?“ „...okay, dann bist du eben der dritt-liebreizendste Kerl, den ic-“ „Ja, schon geschnallt. Aber, was ich eh' noch fragen wollte, und da du ja sowieso der Ansicht bist, ich wäre son' guter Kerl, also, wie ist das eigentlich, meinst du, ich könnte, also, ich könnte Serenity mal anrufen und so, und fragen, naja.. ob sie Lust hat, mal irgendwas zu unternehmen, irgendwann?“ „So liebreizend dann doch nich'!“ Diesmal war es an Joey, etwas empört auszurufen, wobei er nach wie vor gut gelaunt klang. Das Tristan ehrlich nervös wirkte, nahm Joey gar nicht so wahr, und dass er seinen Freund mit einem kurz darauf folgenden „Nein, natürlich, also, von mir aus kannst du ruhig mal irgendwann was mit Serenity machen.“ enorm erleichterte, bemerkte der Blondschopf ebenso wenig. „Uh, okay, danke, cool!“ , antwortete Tristan lapidar und atmete unhörbar erleichtert aus. Joey dagegen beugte sich vor und schnürte seine Schuhe auf, um es sich noch bequemer zu machen. „Klaro, nichts zu danken, ich mein', is' ja ihre Sache und du bist ja schließlich kein Schürzenjäger, so wie gewisse andere Personen...“ Joey betrachtete seine gespreizten Zehen in den Socken, die er sich für die Ankunft extra frisch gekauft hatte. Man konnte ja schließlich zu Verwandten nicht mit ausgewaschenen, gestopften und mit Löchern durchsiebten Socken, und ob seine Mutter es gut heißen würde, dass Joey zuhause am Liebsten barfuss unterwegs war, konnte er noch nicht sagen. „Nein, stimmt, bin ich nicht..“, sagte Tristan mehr zu sich selbst und schnaufte einmal durch den Hörer. „Weißt du, was der Typ sich geleistet hat? Also, ich meine Duke?“ „Nö, kein' Plan. Was denn?“, fragte Joey nach und gleichzeitig fiel ihm auf, dass er mit Duke auch schon seit mindestens drei Monaten keinen Kontakt mehr gehabt hatte. Gut, aber der hatte bestimmt genug anderes zu tun... „Also, ich hab' das über Tea gehört, und die hat das von Yugi-“ „Duke telefoniert mit Yugi, aber nicht mit uns? Wie schräg ist das denn?“ „Tja, nein, ich glaube Yugi hatte Duke angerufen und ihm Frohe Weihnachten gewünscht oder so, und dabei hat Duke das dann wohl halbwegs ausgeplaudert.“ „Okay, ja, was denn jetzt?“ Inzwischen war Joey gänzlich auf das Telefonat konzentriert, ein gespanntes Grinsen im Gesicht und nicht im Geringsten aufnahmefähig für seine Außenwelt. Vielleicht hatte sich ihre Gruppe auch deshalb immer so gut verstanden, weil sie, obwohl sie alle gänzlich andere Charaktertypen waren, dennoch viele Gemeinsamkeiten und gemeinsame Interessen aufwiesen. Und in diesem Fall waren es pure Sensationslust und Neugierde, die Joey und Tristan miteinander teilten. Tea hatte sie nicht umsonst Tratschmäuler getauft... „Also, Duke war zu der Zeit wohl, angeblich geschäftlich, wer's glaubt, auf irgend einer Südseeinsel. So mit Palmen und Sonne und Strand und dem ganzen Kram, und extra Cocktails für die Bestaussehendsten-“ „-also für meine Wenigkeit!“ „Alter, Joey, du bist schon genauso selbstverliebt wie Kaiba!“ „Aber bei mir isses wenigstens gerechtfertigt!“ „Pff. - Also, auf jeden Fall war Duke da wohl ordentlich unterwegs und hat jede menge Frauen angemacht, oder, wie er es wohl ausgedrückt hat, berufliche Kontakte hergestellt! Echt mal! Naja, und dabei hat er wohl gleich drei Damen aufgetrieben, die bereit waren, naja, gleichzeitig....also, zur gleichen Zeit mit ihm...du weißt schon...“ „Ohne Scheiß?! Und sowas hat er Yugi erzählt!? - Der verkraftet das doch gar nicht, der ist doch noch so unschuldig und, hier, liebreizend-“ „Joey, man, keine Ahnung! Auf jeden Fall hat Tea mir das erzählt und meinte, sie hätte das von Yugi. Aber, die Story ist ja noch gar nicht zu Ende! Weil, und jetzt pass' auf!“ Tristan legte eine bedeutungsschwere Pause ein und Joey beugte sich, tatsächlich ein wenig die Luft anhaltend, nach vorne, bereit, jeden Augenblick los zu prusten. Denn darauf musste die ganze Sache einfach hinauslaufen! Nicht nur er war ein Tollpatsch, manchmal neigten auch seine besten Freunde dazu, sich ordentlich zu verzetteln und irgendwelche oberpeinlichen Dinger abzulegen! „Als er mit den drei richtig heißen Schnitten, wie er betont hat, auf dem Weg zu...naja, zu seinem Zimmer war, kam den Vieren wohl der Freund von einer der Ladies entgegen und du kannst dir vorstellen, was der für ein Gesicht gezogen hat! Aber das war noch nicht alles, frag mich nicht, wie's dazu gekommen ist, auf jeden Fall blieb es wohl nicht bei dem einen Freund, dann kamen wohl noch andere Typen dazu, die alle meinten, sie wären der Oberstecher, und letztendlich haben die wohl die ganze Bude da auseinander gelegt! Und Duke, der Schweinehund, hat zwar 'n hübsches blaues Auge abgekriegt, hat sich dann aber wohl die Damen geschnappt und ist trotzdem mit denen aufs Zimmer gegangen, während sich die Meute da unten die Zähne ausgeschlagen hat!!“ „Pfffffffffffffffffffffffff!!!“, prustete Joey los, während er sich vor Lachen den Bauch hielt ob der eindeutigen Eskapaden Duke Devlins. Egal wo, der zog die Frauen an, wie das Licht die Motten, und Joey konnte sich die ganze Szenerie deutlich vorstellen. Entsprechend wenig nahm er wahr, dass das Zugabteil längst nicht mehr unbelebt war. „Was hab' ich gesagt? Der Typ hat echt null Schamgefühl!“ Tristan lachte ebenfalls und klang keines Wegs mehr so nervös wie noch zuvor, als er Joey nach der Erlaubnis gefragt hatte, sich mit dessen Schwester verabreden zu dürfen. Man musste eben nur wissen, wie und womit man Joey ablenken konnte... Allerdings führte diese Art der Ablenkung auch dazu, dass Joey, nach wie vor lachend und nach Luft schnappend, mit dem freien Arm wedelte und etwas lauter als genehm ausrief: „Duke ist und bleibt nun mal ein notgeiler Schwerenöter! Bei seinen Anmachen würden selbst gestandene und runzlige Frauen mit ihm in die Kiste steigen!“ „Also jetzt langt es aber!!“ „Wa-“, mehr konnte Joey nicht mehr hervorbringen, da ihm mit erstaunlicher Wucht eine gepflegte Alt-Damenhandtasche an den Kopf befördert wurde, noch ehe er Zeit hatte, sich ganz zu der aufgebracht klingenden Stimme umzudrehen. „Auu!“, jaulte Joey erschrocken und irritiert auf, und aus dem Handy vernahm er Tristans erstaunte Stimme, die ihn fragte, was gerade passiert war. Die ältere Dame von zuvor war wieder ins Abteil zurückgekehrt und hatte genau in dem Augenblick Joeys Sitzplatz passiert, als dieser seinen ungehemmten Ausruf getätigt hatte. Jetzt stand sie, nach wie vor die Tasche (in der Joey etwaige Gegenstände ausmachte, die ihn mehr als unsanft trafen..) an und auf den blonden Schopf hauend, mit vor Zorn errötetem Gesicht vor ihm und schien keines Wegs mit dem Gedanken zu spielen, so bald wieder von Joey abzulassen. Er hielt schützend seine Hände über seinen Kopf, während er versuchte, beschwichtigend auf die aufgeplusterte Dame einzureden, die ihn erneut beschimpfte („Unerhört!!!“, „Was fällt Ihnen eigentlich ein?!“„Sie unerzogener Pflegel, so über ältere Menschen zu sprechen!!“, , „Einsperren sollte man so respektlose Leute wie Sie!!“, „Unerhört, unglaublich!!“), und damit andere Passagiere auf die Situation aufmerksam machte. „Alter, was geht denn bei dir ab? Joey? Joey, alles klar?!“, rief Tristan durch das Handy und Joey, der sich immer noch vor der alten Lady zu schützen versuchte und wiederkehrend einen Schmerzenslaut ausstieß, schickte noch ein „Is' grade mehr als unpassend Tris, AU, ich meld' mich zurück irgend-Au-wann!“, ehe er das Gespräch wegdrückte und sich bemühte, trotz der umherfliegenden Handtasche aufzustehen. „Sie machen sich wohl einen besonderen Spaß daraus, alte Menschen zu beleidigen und zu belästigen, was?!“, blaffte ihn die Frau an, und Joey jammerte verzweifelnd: „Aber hören Sie mir doch mal zu, ic-AU! Jetzt hören Sie doch bitte mal auf, mir das Teil an den Kopf zu donnern, ic-AU! Lassen Sie's mich doch mal erkläre-AU, verdammt, hilfe, AU, hey, stopp, stopp, aufhör-“ „Was ist hier los?! Was machen Sie denn da? Hallo, weshalb hauen Sie denn auf den jungen Mann ein? Beruhigen Sie sich doch bitte, hallo!!“ In diesem Augenblick kam der Schaffner vorbei, und Joey war mehr als erleichtert, dessen gelbe Zähne zu sehen. Er versuchte, die aufgebrachte Frau von ihm wegzuziehen und wurde dabei von mehreren Passagieren unterstützt, die beruhigend auf sie einredeten und Joey mit zum Teil fragenden, amüsierten (immerhin hatte die Oma ihn astrein vermöbelt, wie es die kleine Beule an seiner Schläfe bezeugte und insgesamt musste er sehr lächerlich aussehen, wie er so verdattert und ohne Schuhe dastand...) und größtenteils ebenfalls empörten Blicken taxierten. Endlich ließ die Frau von ihm ab und er konnte seine Schutzhaltung aufgeben (wenn auch nicht gänzlich, man konnte ja nie wissen, vielleicht täuschte sie den vermeintlichen Frieden nur an und würde gleich wieder auf ihn losgehen!). „Was ist denn überhaupt passiert?“, fragte der Schaffner gerade, der scheinbar aus dem Zetern der Frau nicht sonderlich schlau geworden war und sich noch deutlicher als zuvor an einen anderen Ort zu wünschen schien. Obwohl Joey dessen Zähne nicht ausstehen konnte, pflichtete er ihm in diesem Punkt stumm bei. Wie konnte die beschauliche Zug-Idylle von eben so schnell kaputt gehen? Was hatte er verbrochen? Und hallo, wieso tätschelte die alte Oma eigentlich so liebevoll und tröstend ihre Handtasche, wo er doch hier eindeutig das Opfer war?! „Er hat mir eine respektlose Geste nach der anderen entgegengebracht! Und dann diese anzüglichen Bemerkungen ständig-“ „Ständig? Hatte er es auf Sie abgesehen? Ist er Ihnen gefolgt?“ „Nein, hallo, bin ich nicht! Ich kenn' die gute Frau doch gar nicht, weshalb hätte ich ihr folgen sollen? Und ständig war das auch mal gar nicht, das war bloß-“ „Du bist jetzt gerade überhaupt nicht im Sender, lass' die ältere Dame doch mal ausreden!“ Harsch wurde Joey von dem Schaffner zurechtgewiesen, ohne Möglichkeit, sich rechtfertigen zu können (wofür auch immer, denn Joey hatte der Oma ja mutwillig überhaupt nichts angetan!). Die Gruppe um die jetzt weniger zeternde als vielmehr zitternde alte Frau herum entfernte sich ein wenig und ließ einen völlig perplexen Joey zurück, dem ob der Situation sogar der Appetit vergangen war (und das sollte schon was heißen!). Lediglich ein jüngerer Mann blieb zurück und wandte sich jetzt direkt an ihn. „Du scheinst ja genau zu wissen, wie du sämtliche Aufmerksamkeit bekommst, was? Ich hab' sogar im Nachbarabteil gehört, dass hier Randale herrscht. Konnte man ja nicht nicht hören. Bin mal gekommen, um zu sehen, was los ist. Du hast dir von der Alten ja ganz schön eine verpassen lassen. Was hast du denn mit ihr gemacht, sag mal?“, fragte er, während er Joey offenkundig musterte. „Naja, das isses ja!“, setzte dieser an, während er sich selbst wieder auf seinen Sitzplatz beförderte. „Ich hab eigentlich gar nichts mit ihr gemacht, das war bloß alles 'n blöder Zufall. Also, dass sie immer dabei war, wenn...“ „Wenn...?“, hakte der junge Mann nach und seine hellen blauen Augen blickten Joey fragend an. „Naja, das erste Mal hab ich bloß gegähnt, das hat ihr schon nich' gefallen, und dann beim zweiten Mal, also, äähm, da hab...okay, da hab' ich wirklich 'ne Geste gemacht, also, da kann ich verstehen, dass sie die nicht gut fand, aber die war ja auch gar nicht für sie gedacht, und beim dritten Mal, da hab' ich gerade mit 'nem Freund telefoniert, und der hat was erzählt das...naja, das schon besonders ist irgendwie, wenn man so will, und ich hab' dann halt etwas lauter geredet, als es für mich wohl besser gewesen wäre, und genau in dem Augenblick läuft sie dann an meinem Platz vorbei, sodass sie das auch gehört hat, und dass hat die gute Frau dann wohl restlos aus der Bahn geworfen, ich meine, finden Sie das normal, dass 'ne Oma so abgeht? - Also, ich hab' noch nie-“ „Whoa, mach' mal langsam, Junge! Du redest ja ununterbrochen, wenn man dich nicht aufhält..“ Mit hochgezogenen Augenbrauen signalisierte ihm der junge Mann, dessen Statur weitaus kräftiger als Joeys war und der auch um die zehn Jahre älter sein durfte, dass er seine Frage als längst beantwortet empfand. „Sorry, stimmt, das haben mir schon einige Leute gesagt. Aber ich meine, das war schon 'ne nich' so normale Sache, ich schätze, da ist jeder erstmal baff. Erwartet man ja nich' so unbedingt von alten Leuten, dass die sich so aufregen in der Öffentlichkeit...autsch!“ Joey hatte sich an die kleine Beule gefasst, die sich zu den schmerzenden Körperteilen dazu gesellt hatte und vermutlich nicht den Anschein machte, wieder zu verschwinden, bis Joey bei Serenity und Susan angekommen war. Dabei hatte er doch versucht, in den letzten Tagen und Wochen so vorsichtig wie möglich zu leben, damit er eben nicht so lädiert aussah, wenn er bei seiner Familie zu Besuch sein würde. Aber so war das bei ihm immer – gerade dann, wenn er sich bemühte, etwas nicht falsch zu machen, ging es meistens falsch. Entsprechend tief war der Seufzer, den er dem Schmerzenslaut hinten anhängte. „Ich stell' fest, du bist echt nicht so der gewöhnlichste Typ..“ Der Mann ende Zwanzig verzog den Mund zu dem Ansatz eines Grinsens und verlieh so seinem ansonsten kantigen und abwehrenden Gesicht einen etwas sympathischeren Ausdruck. In die hellen Augen fielen vereinzelte dünne Strähnen des dunkelblonden Haares und um seinen Mund sprossen kurze Stoppeln in derselben Farbe, während das schwarze Shirt deutlich trainierte Muskelpartien erkennen ließ. Auf dem Shirt selbst prangte ein Totenkopf, umgeben von einem rot-gelben Flammenmuster. „Keine Ahnung, scheinbar nich'. Sie aber auch nich', wenn ich das so sagen darf..“, entgegnete der Jüngere, dem in diesem Augenblick die schmalen, dunkel tätowierten Striche aufgefallen waren, die sich ungleichmäßig entlang des Halses bis unterhalb des breiten Kiefers zogen. Sollten sie ebenso ein Flammenmuster darstellen..? Joey nahm es zumindest an. „Tja, das mag stimmen. Wäre ja auch langweilig. Und siez' mich nicht, klar? Mein Name ist Jason. Sehr erfreut dich kennen zu lernen..“ Ihm wurde eine kräftige Hand zum Schütteln entgegen gestreckt und Joey nahm dieses Angebot an. „Joey, freut mich auch.“ „Du kommst aus Domino, ja? Siehst nicht aus wie einer, der viel Landluft abgekriegt hat..“ Jason hatte eine recht dunkle Stimme, und etwas rauchig. Joey konnte sich gut vorstellen, dass man lieber mit seinem Gegenüber befreundet war, als ihn sich zum Feind zu machen, und er kannte sich mit sowas aus. Irgendetwas war an Jason, das ihm nicht ganz geheuer war. Und überdies wirkte er ebenfalls wie jemand, der sich eher in der Stadt aufhielt, als romantische Landschaften zu genießen. Aber Joey hatte sich für das neue Jahr fest vorgenommen, unvoreingenommen an neue Projekte und Bekanntschaften heranzugehen, zumindest hatte er das vor knapp einem Monat so in etwa auf seinem Zettelchen notiert, das einen Augenblick später im Neujahrsfeuer verglüht war. Demnach bemühte sich der Blondschopf, als er antwortete, sich nichts von der aufkommenden leichten Nervosität anmerken zu lassen, zumal er sich ja auch täuschen konnte und Jason ganz einfach etwas grobschlächtig anmutete, ansonsten aber ein netter Kerl war. „Genau, Domino, seit es mich gibt. Und du kommst aus...?“ „Oh, auch aus'm Städtischen. Ich brauche die schmutzige Luft. Ich bin kein Gärtner-Typ, weißt du..“ Obgleich Jason ihm etwas Privates zu offenbaren schien, wirkte er dennoch distanziert, was Joey weiter verunsicherte, da der große Mann bisher auch noch keine Anstalten gemacht hatte, sich zu ihm zu setzen. Er wollte ihm gerade pro forma den Platz gegenüber anbieten, als ihr Gespräch durch eine eindeutig nikotinbelastete Stimme und die dazugehörigen gelben Zähne unterbrochen wurde. „Nur damit du das weißt!“, raunzte ihn der Schaffner an, „Wir haben bis jetzt gebraucht, um die alte Frau zu beruhigen! Ich will gar nicht wissen, was du Unfähiger mit ihr gemacht hast, aber du wirst dich fortan von ihr fernhalten und wenn ich dich dabei erwische, dass du sie nochmal belästigst, werfe ich dich persönlich hochkant aus diesem scheiß Zug, haben wir uns verstanden?! Und – nein, Freundchen, spar dir deine Erklärungsversuche! -, sie hat irgendwas gesagt von wegen, du hättest am Handy rumgeschrien; das wirst du auch sein lassen! Ich erteile hiermit Handyverbot, und wehe ich sehe, wie du deine Füße da auf den Sitz stellst! Solche wie du machen die ganzen Polster dreckig, ich kann es nicht mehr sehen!! Und sammle gefälligst deine stinkenden Latschen wieder ein, bevor sich hier jemand wegen dir noch das Genick bricht!! - Haben wir uns verstanden?“ Tatsächlich verzichtete Joey, obwohl er sonst immer so stolz auf seine Gegenwehr und Widerworte war, auf eben diese und nickte dem Schaffner bloß mit einem Ausdruck des höchsten Trotzes zu. Dieser, scheinbar ganz geschafft von seiner lang anmutenden Rede, machte schnaufend auf der Stelle kehrt und verschwand grummelnd in ein anderes Abteil, die neugierigen Blicke der übrigen Menschen ignorierend. Einen Augenblick herrschte Schweigen, ehe Joey doch nicht anders konnte und missbilligend in die Stille ein „Wer ist hier der Stinker? Dieser nervige, alte Sack! Ich kann solche Typen nich' ausstehn'!“ warf. Jason lachte kurz trocken auf und tätschelte ihm gespielt tröstend die Schulter, während er sich nun gegenüber von Joey auf den freien Platz fallen ließ (dieser hatte seinen Koffer bereits vor dem Angriff der Oma auf die obere Kofferablage verfrachtet). „So ist das mit den Menschen. Dieser Alte hier ist angepisst, weil er noch den ganzen Tag in diesem Zug auf und ab laufen muss und die Sache eben für ihn bereits der Höhepunkt der Woche war. Außerdem sieht man ihm an, wie sehr es ihm in den Fingern juckt, eine zu rauchen. Wenn du nachher aussteigst, könntest du dich aufm Bahnsteig direkt vor ihn stellen und dir 'ne Fluppe anmachen.. “ Joey musste bei dieser Vorstellung grinsen, auch wenn er sich zum neuen Jahr eigentlich auch vorgenommen hatte, keine Leute mehr zu provozieren. Allerdings hätte er bei dem Typen wohl wirklich eine Ausnahme gemacht. „Is' an und für sich 'n netter Gedanke, allerdings rauch' ich nich'.“, antwortete Joey wahrheitsgemäß und überließ es Jason, darüber nachzudenken, ob der Jüngere den Glimmstängeln mal zugewandter war oder nicht. „Aber danke für die Aufmunterung. Konnt' ich grade gut gebrauchen. Sone Pissnelke! Der sollte nur zusehen, dass der hier nich' wieder vorbeikommt, weil das für seine Weichteile nämlich eindeutig unvorteilhaft wär'! Und ich bin eigentlich ungern derjenige, der Anderen ihre Männlichkeit nimmt, falls du verstehst, was ich meine!“ Joey machte eine energische und eindeutige Bewegung mit den Händen und grinste sein Gegenüber verschwörerisch an, welcher ihn zwar leicht lächelnd, allerdings mit einem undefinierbaren Blick bedachte und bei Weitem nicht so amüsiert schien wie er. Joey ließ sein Lachen eine Nuance zu hoch ausklingen und versuchte, seine Unsicherheit gegenüber Jasons stechend werdenden Blick durch ein Räuspern zu überspielen. Dessen Augen schienen ihn von oben bis unten zu mustern und irgendwie hatte Joey das Gefühl, etwas nicht mitgekriegt zu haben. „Ich denke,“, sagte Jason nach einer halben Ewigkeit mit seiner dunklen Stimme und legte seinen Kopf leicht schief, während er Joey nach wie vor anstarrte und seinen Mund ein humorloses Lächeln umspielte, „ich sollte da jetzt mal etwas klar stellen. Ich habe eben keine Aufmunterung ausgesprochen, sondern billigen Smalltalk geführt, was dein Hirn aber offenbar schon mal falsch verarbeitet hat. Und um ehrlich zu sein, nein, ich verstehe nicht, was du da eben dich betreffend gesagt hast. Ich habe nämlich etwas Anderes über dich gehört, Joseph Jay Wheeler..“ To be continued. Kapitel 3: Rechtschaffenes Urteil --------------------------------- „T-Tatsächlich?“ Joey klang genauso verblüfft und verwirrt, wie er sich fühlte. Sein Magen zog sich unangenehm zusammen, denn anscheinend hatte ihn sein Instinkt nicht getäuscht: dieser Jason war also doch irgendein zwielichtiger Typ. „Ja, tatsächlich.“, erwiderte der kräftige Mann ungerührt und er verschränkte die breiten Arme vor dem unheimlichen Totenkopf auf seiner Brust. „Woher weißt du, wer ich bin?!“ Jason antwortete nicht sofort, er starrte ihn an und Joey beschloss, dass dessen Augen doch eher grau waren, und eiskalt. Ihm Schlug das Herz bis zum Hals, gerade noch hatte er sich an seine guten, neuen Vorsätze für das kommende Jahr gehalten; weniger Cola trinken, mehr Gemüse essen, Fremden gegenüber nicht mehr so misstrauisch sein, ein gutes Buch lesen; und prompt hatte er nicht gleich auf sein Bauchgefühl gehört, das ihm vorhin schon gesagt hatte, dass mit dem Typen was nicht stimmte, und nun saßen sie hier! „Weshalb wunderst du dich so?“ Jasons Stimme war schneidend und sein Tonfall kühl. „Bist du denn etwa nicht dieser großartige Duellant?" Joey sank das Herz weiter in die Hose, er war völlig perplex und musste zunächst schlucken, ehe er ein fragliches „D-Doch..?“ zustande brachte. Er ärgerte sich darüber, dass Jason ihn gelinkt und erst so freundlich getan hatte und nun so eine seltsame Nummer abzog. „Fällt der Groschen nicht? Ich habe deine Glanzleistungen natürlich alle im Fernsehen bewundert und weiß daher, wer du bist. Schließlich gehörst du zu meinen ab-so-lu-ten Lieblingsduellanten. Ich finde ja überhaupt, dass dieses Kartenspiel etwas ganz Tolles ist!“ Diesen Wink hatte er verstanden, derart sarkastisch war Jasons Tonfall. Dieser Mann hielt offensichtlich gar nichts von Duel Monsters, und von Joey selbst ebenso wenig. Als einer der bekanntesten Duellanten des Landes und bester Freund des Königs der Spiele war Joey in Duel Monsters-Kreisen durchaus eine gefragte Person und auch ab und an im Fernsehen zu sehen gewesen. Aber es wirkte so, als würde Jason ihn nicht nur durchs Fernsehen kennen, sondern auch von irgendwo anders her, und das beunruhigte ihn zutiefst. Denn er war sich sicher, dass er sich an jemanden wie Jason erinnern würde, wären sie sich schon einmal persönlich begegnet. Doch für ihn saß dort ein streitsuchender Fremder. Instinktiv ballte er die Hände zu Fäusten und ahmte Jason nach, indem er seine Arme ebenso vor dem Brustkorb verschränkte. Er versuchte, ruhig zu bleiben und sich nicht mehr anmerken zu lassen, wie sehr sein Gegenüber ihn eingeschüchtert hatte. „Okay“, hörte Joey sich sagen, „ich hab's verstanden, wir haben anscheinend irgendein Problem miteinander, aber ich hab' keine Ahnung wieso, und ich bin mir sicher, wir kennen uns nicht, also klär' mich bitte mal auf!“ Wie immer in solchen Situationen klang Joey mutiger, als er sich eigentlich fühlte. „Du kommst aus Domino. Du lebst dort mit deinem Vater. Du hast deinen Abschluss an der Domino High gemacht und jobbst als Zeitungsausträger und Pizzalieferant.“ Jason wandte seinen Blick von Joey ab und sah aus dem Fenster, an dem die Landschaft vorbeihuschte und nichts davon erkennen ließ, wo sie sich gerade befanden. In seinem Gesicht stand eindeutig Ablehnung geschrieben, und noch etwas, das nicht zu definieren war. „Ja“, sagte Joey und sein Puls pochte ihm in den Ohren. „Woher weißt du das alles?“ In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Wer war Jason, weshalb wusste er diese Dinge über ihn und was hatte er vor, woher kannte er Joey wirklich und war es Zufall, dass sie im selben Zug saßen oder war ihm der Mann womöglich gefolgt? „Ich bin auf dem Weg zu meinen Eltern, weißt du. Sie wohnen auf dem Land, weil sie es in der Stadt nicht mehr ausgehalten haben. Kannst du dir vorstellen, wieso...?“ Wieder war Joey irritiert, während Jason nicht länger aus dem Fenster schaute sondern erneut ihn ansah. Weshalb fragte er das? „Tut mir leid, nein. Vielleicht weil es einfach schöner ist, auf dem Land..?“, antwortete Joey vorsichtig, wobei er es hinnahm, dass Jason seine Frage ignoriert hatte. Was hatte das alles zu bedeuten und wie sollte er weiter reagieren? Wenn Jason seinem Erscheinungsbild entsprechend gefährlich war, sollte er ihm gegenüber die Klappe lieber nicht zu weit aufreißen, dachte sich Joey. Er war sich sicher, dass inzwischen alle Farbe aus seinem Gesicht gewichen war. „Oder vielleicht, weil es dort bestimmte Leute gibt, die ich persönlich als den Abschaum der Gesellschaft bezeichnen würde?“, fragte Jason und es klang eindeutig rhetorisch. Das war also die Antwort, die er hatte hören wollen? Naja, darauf hätte er schon kommen können, dachte Joey bei sich. Immerhin lebte er seit jeher in der Stadt und hatte ihre hässlichsten Seiten gesehen und erlebt. Und war schließlich als Mittelschüler selbst ein ziemlicher Mistkerl gewesen... „Wie geht es denn Hirutani?“, fragte Jason gespielt beiläufig und ja, jetzt endlich fiel der besagte Groschen bei Joey. „Aha, daher weht also der Wind. Ich habe wirklich keinen blassen Schimmer, wie's dem Kerl geht“, erwiderte Joey wahrheitsgemäß, und immerhin ahnte er jetzt einigermaßen, welchen Ton dieses Gespräch haben würde. Keinen Freundschaftlichen, so viel stand fest. „Sag bloß. Ihr seid doch so gute Kumpanen gewesen in der Mittelschule..?“ „Ich hab' ihn seit 'ner Ewigkeit nicht mehr gesehen, und ich will auch nie wieder was mit ihm zu tun haben! Das Kapitel ist vorbei, und das ist auch gut so.“ „Ach..“, konstatierte Jason kalt. Joey kam der Gedanke, dass der Mann auf die anderen Fahrgäste wohl vermeintlich cool wirken musste, während er selbst sicherlich einen nervösen Eindruck machte. Dabei sah Joey seinem Gegenüber mit geübtem Blick an, dass diesem das Adrenalin inzwischen ebenso durch die Adern schoss, wie auch dem Blondschopf selbst. Irgendwie hatte er Jason zutiefst verärgert, sodass dieser an sich hielt, sich nicht auf den Jüngeren zu stürzen, sondern ganz ausgeglichen zu tun, da war sich Joey sicher. Und noch immer hatte er nicht die leiseste Vorstellung, warum Jason so wütend war. „Hör mal, ich habe ehrlich keine Ahnung, was hier grade los ist und was ich dir getan habe, aber ich sag's dir gerne nochmal: ich hab' mit Hirutani nichts mehr zu tun! Er scheint dich ja irgendwie zu interessieren, aber ich kann dir da echt nicht weiterhelfen! Du sprichst hier echt mit dem Falschen, okay, für mich ist das alles wirklich vorbei! Wenn du über ihn reden willst, dann musst du zu jemand Anderem gehen, oder halt zu Hirutani selbst..-“ „Oh, bei dem war ich auch schon, keine Sorge.“ Nun starrte Joey wiederum Jason an und verlor gleichzeitig die wenige Selbstsicherheit, die er eben noch empfunden hatte. Jason hatte sich also Hirutani vorgeknöpft, oder was sollte das bedeuten? Hieß das also, dass dieser Typ vor ihm, der genau genommen ebenso eine üble Schlägervisage wie Joeys damaliger Gangchef hatte, nun alle Mitglieder aus der alten Truppe aufsuchte und – und was? Joey wollte sich nicht im Detail ausmalen, was genau er mit ihnen womöglich machte. Er träumte manchmal durchaus noch von damals und erinnerte sich an die Schmerzen, wenn er sich mit jemandem geprügelt und sich diverse Verletzungen zugezogen hatte. Er war früher, in der Mittelschule, Mitglied in der Straßengang von eben diesem Hirutani gewesen, einem durch und durch brutalen Typen und er hatte im Zuge dessen ziemlich viel Scheiße gebaut. Und wie es schien, holte ihn das nun (mal wieder) und in Form von diesem Jason ein. „Hat dir das jetzt die Sprache verschlagen?“ Der Ältere klang weder amüsiert, noch gehässig, aber es konnte auch gut sein, dass Joey einfach zu gestresst war, um den Tonfall seines Gegenüber zu deuten. Jason klang vor allem gefährlich. Er fühlte erneut die ungeliebte Wut im Bauch, dass er von diesem Typen so überrumpelt worden war; er machte sich innerlich auf alles gefasst. Allerdings saßen sie ja in einem morgendlichen Zug, und um sie herum waren einige Leute, sodass Jason wohl kaum eine handfeste Schlägerei anzetteln würde, das hoffte Joey. Andererseits konnte er aus eigener Erfahrung bestätigen, dass einem auch in so einer Umgebung die Sicherungen durchbrennen konnten. Dann war es einem egal, was drumherum geschah, man wollte seinen Gegner einfach nur vermöbeln und sich abreagieren. Und er hatte inzwischen genau diesen Eindruck von Jason. „Was willst du, man?“, fragte Joey durch zusammengebissene Zähne und er wünschte sich nichts sehnlicher, als bei Serenity zu sein, oder noch zuhause in seinem Bett, von Burgern und Fritten träumend, oder wenigstens Tristan hier neben sich zu haben. Aber er saß diesem Mann allein gegenüber, und er musste es irgendwie hinkriegen, sich nicht auf Gewalt einzulassen, auch oder gerade weil Jason dies anscheinend provozieren wollte. „Dann hör mal gut zu, du Wichser.“ Jasons Stimme glich einem Zischen und er baute sich eindrucksvoll vor dem Jüngeren auf. Dieser lehnte sich angespannt in seinen Sitz zurück. Bleib ruhig, Joey, bleib bloß ruhig! Er hatte sich seit einer ganzen Weile nicht mehr geprügelt, und er verspürte auch jetzt nicht die geringste Lust dazu. Er war auf dem Weg zu seiner Schwester, er war der beste Freund von Yugi Muto, quasi dem gewaltlosesten Menschen der Welt, er hatte seinen verdammten Schulabschluss in der Tasche und hatte sich mit seinem Vater vertragen; er war kein mieser Mittelschüler mehr, der nur nach draußen ging, um sich mit Leuten anzulegen. Er hatte sich verändert! Also würde er, wenn der Konflikt ausarten sollte, schnell verschwinden und sich einen anderen Platz zu suchen, auch wenn das bedeutete, sich Jason unterzuordnen und kampflos aufzugeben. Immer noch besser, als mit einer gebrochenen Nase bei seiner Mutter aufzukreuzen, oder womöglich Schlimmeres. - Sofern der Andere ihn überhaupt fliehen lassen würde... „Was ich will“, Jasons wütender Blick durchbohrte ihn förmlich, „ist, dass ihr kleinen miesen Scheißer nicht ungeschoren davonkommt! Du hast eine Menge Dreck am Stecken, Wheeler, genauso wie Hirutani, und ich weiß, dass du das weißt!“ Jason wurde lauter und Joey spürte, dass ihm ein kalter Schauer über den Rücken kroch. Lass ihn doch reden, man, geh' gar nicht drauf ein - und bleib verdammt nochmal ruhig, Joey!! „Typen wie dich finde ich zum Kotzen!“, spuckte Jason ihm geradezu ins Gesicht. „Wie anständig du tust, obwohl du Leuten ohne mit der Wimper zu zucken die Fresse polierst! Ich hasse es, dass so ein Arschloch wie du sich in der Öffentlichkeit als lieber Kerl hinstellen kann, zu dem kleine Kinder aufsehen und dessen Name Mittelschülerinnen in ihren Block kritzeln, nur weil du ein paar Papierfetzen durch die Gegend wirfst und dieses scheiß Kartenspiel spielst!! “ Diesmal war es Jason, der die Aufmerksamkeit der Leute auf sich zog, weil er Joey zum Schluss geradezu angeschrien hatte. Dieser kochte innerlich vor Wut, er wollte sich rechtfertigen und Jason ebenso Beleidigungen ins Gesicht brüllen. Ihm dröhnte sein eigener Herzschlag in den Ohren und er drückte sich die verschränkten Arme weiter gegen den Brustkorb, um seine Fäuste bei sich zu behalten und Jason keinen Schlag zu versetzen. Aber die Tatsache, dass der Mann anscheinend kurz davor war, sich auf ihn zu stürzen und sein Wunsch, so schnell wie möglich bei Serenity zu sein, bekräftigten Joey darin, weiter möglichst ruhig zu bleiben und zu versuchen, die Situation irgendwie zu klären. „Okay, klar, du hast natürlich völlig recht“, Joey war bemüht, beschwichtigend zu klingen, und es gelang ihm sogar halbwegs, „ich habe viel Scheiße gebaut-“ „Allerdings!!“ „..ja, 'ne ganze Menge Scheiße, aber das ist wirklich vorbei, Jas-“ „Ja, natürlich!! Das soll ich dir natürlich abkaufen!!“ „..ja, doch, das musst du mir einfach glauben, wirklich; ich hab' damals echt gute Freunde gefunden, die mir geholfen haben, von Hirutani und den ganzen Mackern wegzukommen! Die mir geholfen haben, mich nich' mehr zu schlagen sondern Konflikte anders zu lösen, und ich mach' das jetzt halt mit Duel Monsters, und ich hatte ehrlich nie ernsthaft vor, da groß raus zukommen, das ist einfach so passiert und ic-“ „Und hast du dir jemals Gedanken darüber gemacht, was eure Scheiße eigentlich für Auswirkungen hatte?! Was ihr anderen Menschen angetan habt?!“, brüllte Jason ihn zornig an. „Es ist einfach unfassbar, dass ein Straßenschläger wie du durch dieses beschissene Spiel über die Bildschirme flackert und von niemandem zur Rechenschaft gezogen wird!!“ „Aber-“, setzte Joey an, wurde jedoch durch eine unwirsche Handbewegung Jasons unterbrochen. „Kein aber!! Ich kenne deine Polizeiakte, Wheeler, und die von deinen dreckigen Bandenmitgliedern! Ich weiß, wann du in der Arrestzelle gesessen hast und wann ihr wenigstens einige Stunden gemeinnützige Arbeit verrichten musstet! Aber das war es, viel mehr hattet ihr nicht zu befürchten, und ihr habt immer weiter gemacht und weiter unschuldigen Menschen das Leben versaut!! - Selbst wenn du jetzt nicht mehr mit Hirutani rumhängst, wäscht dich das nicht rein, du Scheißkerl, also wie kannst du da behaupten, du hättest mit all dem nichts zu tun?! Das alles hat dich genauso zu verfolgen wie uns andere auch!!“ Nun war Jason aufgesprungen und hielt den entgeisterten Joey am Kragen gepackt. Der Großteil der Passagiere hatte sich still und dezent in andere Abteile begeben und Joey war es unbegreiflich, dass es keinen aufrechten Mitfahrer gab, der schlichtend zwischen sie beide ging oder zumindest den Schaffner herbeiholte (wobei dieser vermutlich ebenso wenig gut auf Joey zu sprechen war, wie der tobende Jason). Diesem wollte er am Liebsten ins Gesicht spucken und ihn ebenso anbrüllen, aber das ließ seine Lage nicht zu. So keuchte er eher kläglich und versuchte erfolglos, sich aus dem starken Griff zu befreien. „K-Keine L-Luft..“ „Oh ja, genau so fühlt es sich an, wenn einem die Luft wegbleibt. Wenn man keine Chance hat, sich zu wehren und nichts gegen die Umstände ausrichten kann..“ Jasons Stimme war eine Nuance tiefer geworden, und im Vergleich zu dem Zorn in seinen Augen unheilvoll ruhig. Joey sah die Adern an Jasons tätowierten Hals pulsieren und spürte seinen eigenen Herzschlag und das Rauschen des Adrenalins in seinen Ohren. „B-Bitte, J-Jason, i-ich will m-mich nicht s-schlagen..“ Joey musste wieder keuchen, als Jason seinen Griff verfestigte. Dieser atmete geräuschvoll ein. „Na klar, Wheeler, und sobald ich dich loslasse, gehst du mir an die Kehle, wie deine kleinen Freunde davor! Ihr seid allesamt das Letzte!“ „N-nein, das w-werd ich n-nich'..!!“ Joey hatte allmählich ernsthafte Schwierigkeiten, Luft zu bekommen. In ihm kämpften Wut und Vernunft einen harten Kampf, in ihm schrie es danach, sich bei Jason für diese Anschuldigungen zu rächen, aber er hatte diesen Pfad vor einigen Jahren verlassen und war fest gewillt, sich nicht mehr auf Gewalt einzulassen. Er hörte auf, sich gegen den groben Griff zu wehren und sah in Jasons Gesicht, dass dieser Joeys Resignation bemerkt hatte, doch er wurde unerbittlich weiter festgehalten. „L-lass uns r-reden, o-okay?“ Joey fand von sich selbst, dass er beinahe flehend klang. Jasons Blick durchbohrte ihn, er schien nach dem richtigen Weg zu suchen, mit Joey umzugehen. „Na schön“, zischte Jason nach einigen Augenblicken, in denen es gewirkt hatte, als musste er ebenfalls hart mit sich kämpfen, um auf den Vorschlag des Blonden einzugehen. Ihre Gesichter waren nur einige Zentimeter voneinander entfernt. Dann ließ Jason Joey plötzlich los und schubste ihn grob zurück auf seinen Sitzplatz. Der Blonde schnappte nach Luft, die Hand am schmerzenden Hals. „Wie gut für dich, Wheeler, dass ich vorher mit Hirutani... gesprochen habe. Deshalb weiß ich, dass du damals nicht dabei warst.“ „D-Damals?“, fragte Joey krächzend und verwirrt und ihm schoss durch den Kopf, dass Jason wohl ebenso zu dem Schluss gekommen sein musste, dass es nicht sonderlich empfehlenswert war, sich in einem öffentlichen Verkehrsmittel zu schlagen. Der Totenkopf auf der Klamotte grinste Joey wissend an, und Jason fuhr sich fahrig durch die dünnen Haare, während seine Hände noch immer vor Wut bebten. „Ja, damals“, begann Jason mit seiner verrauchten, dunklen Stimme. Er setzte sich ebenfalls wieder hin und schien sehr unentschlossen, was er von der sich neu auftuenden Situation halten sollte. „Damals, das war vor viereinhalb Jahren. Deine und Hirutanis Gruppe zog irgendwas durch und wurde von zwei Polizisten überrascht; während der Rest sich davon gemacht hat, hat ein Gangwichser einem Polizisten ein Messer in den Rücken gejagt.“ Jason hatte seinen eindringlichen Blick auf die Fensterscheibe gerichtet, auf die verwischte graue Landschaft dahinter. In Joey bahnte sich eine Erinnerung den Weg zurück ins Gedächtnis: irgendwann damals war ein windiger Typ namens Danjuro Doi, genannt D.D., der zwei Jahre älter gewesen war als Joey und ziemlich schräge Ansichten gehabt hatte, auf offener Straße verhaftet worden, weil er zuvor einen Polizisten hatte umbringen wollen. „Ja, davon hab' ich gehört...“, murmelte Joey leise. Auf einmal fühlte er sich erschöpft, es war früh am Morgen und eigentlich hatte dies sein Tag werden sollen. Doch jetzt saß er auf einem zerschlissenen Polster in einem Vierersitz, ihm gegenüber ein undurchsichtiger Mann, der ihn vor einer Minute noch angeschrien und beleidigt hatte und der plötzlich ebenso ermüdet und nachdenklich schien. Vorhin war er sich so verdammt sicher vorgekommen in diesem Zug voller Menschen, für die er bloß ein einfacher Jugendlicher war; hatte nicht damit gerechnet, dass er ausgerechnet hier und jetzt, wo ihn doch eigentlich so viel Anderes beschäftigte, wieder mit seiner Vergangenheit konfrontiert werden würde. „Dieser Polizist war mein jüngerer Bruder.“ „..oh, scheiße..“ „Ja.“ Erneut schnürte sich Joeys Kehle zu, diesmal allerdings aufgrund einer Mischung aus Schock, Scham, Bedauern, Hilflosigkeit und - Erkenntnis. Er hatte bis jetzt gerade angenommen, Jason wäre ein ebenso skrupelloser Irrer wie seine ehemaligen Weggefährten, der sich eigennützig zum Moralapostel aufgeschwungen hatte. Um andere zu provozieren und sich zu prügeln, im Endeffekt also kaum besser zu sein, als die Typen von der Straße. Und nun offenbarte Jason ihm so etwas: das er persönlich betroffen war von einem Verbrechen, das Hirutanis Gruppe begangen hatte. Selbst wenn Joey bei der Sache damals nicht persönlich dabei gewesen war, so war er immerhin drei Jahre lang Mitglied gewesen. Und hatte andere Schlimme Dinge getan, ohne sich allzu viele Gedanken zu machen, was er da eigentlich tat. Aber Jason hatte nicht gänzlich Recht, denn Joey hatte viel mit seinen Freunden, mit Yugi, Tea und Tristan, über seine Zeit als Schläger gesprochen. Und er hatte gelernt, Reue zu empfinden, die sich nun in seinem Innersten ausbreitete. Er wusste nicht, was er sagen sollte, und rutschte unbehaglich auf seinem Platz herum, zumal Jason wieder ihn ansah. Aber dessen Stirn war in tiefe Falten gelegt, und plötzlich wirkte dieser stämmige Mann viel weniger bedrohlich als noch vor einigen Minuten. Er schien in Gedanken ganz weit weg zu sein, und Joey dachte darüber nach, wie seltsam diese ganze Situation war. Dennoch, irgendwie schien sich Jason ihm gegenüber anvertraut zu haben, und er war von dieser Offenheit wohl selbst überrascht. „Paul hatte Pläne, weißt du...“ Jason konnte doch kein so schlechter Mensch sein, wie er bis dato angenommen hatte, schoss es Joey durch den Kopf. Bei dem Schmerz, der nun in dessen Gesicht stand. Das war echt, und der Jüngere hatte ausreichend Unaufrichtigkeit gesehen (und selbst gelebt). „Er hatte ein Leben, er hatte Überzeugungen und er hatte den Mut, sich von euch nicht einschüchtern zu lassen. Er hat sich gegen euch gestellt und dafür wurde er bestraft.“ Jason hatte die Augen geschlossen und die Hände wieder zu Fäusten geballt. Kein Wunder, wenn jemand Serenity sowas angetan hätte, würde ich auch jeden fertigmachen, der damit was zu tun hatte. „..Jason, hrhrm, also, ich weiß, das bringt jetzt auch nichts mehr, aber ich - das tut mir echt..so schrecklich leid..“ Joey ärgerte sich, dass seine Stimme wieder so krächzte, aber angesichts der Thematik war es wohl kein Wunder, dass ihm ein unüberwindbarer Kloß im Hals steckte. Und dass seine Wangen vor Scham gerötet waren und er seine schwitzigen Hände an seiner Jeans rieb. „...Vielleicht, Joey Wheeler, bist du der Erste von euch, dem ich das wirklich glauben kann..“ Jason schaute ihn direkt an, und Joey sah, dass der Mann zwar sehr aufgewühlt war, sich aber wohl wieder mehr im Griff hatte. Er fuhr sich mit der Hand über die angestrengten Gesichtszüge und Joey gestattete sich, halbwegs aufzuatmen. „Vielleicht weißt du das schon, aber ich habe eine jüngere Schwester, Serenity. Wenn ihr jemand irgendwas antun würde, dann würde ich denjenigen und alle, die damit zu tun haben, auch zur Rede stellen und wollen, dass die bereuen, was sie getan haben. Ich würde hören wollen, dass es ihnen leid tut und dass sie vor Schuld nich' mehr schlafen können! - Das, was ich früher alles gemacht habe, war nich' in Ordnung von mir, das is' mir völlig klar, und es gibt keinen Tag, an dem ich es nich' bereue, dass ich so ein Arsch war. Du kannst mir glauben, wenn ich sage, dass ich kein bisschen stolz bin auf diese Zeit.“ Jason nickte stumm. Joey nestelte gedankenverloren an einem Faden seines Pullovers. „Ich bin deswegen kein bisschen stolz auf mich selbst. Im Gegenteil, ich konnte mir selbst lange Zeit nicht ins Gesicht sehen, so sehr hab' ich mich dafür gehasst, dass ich einfach nur auf Konfrontation aus gewesen bin. Dass ich niemanden respektiert hab' und alles verlacht hab' und verachtet. Ich frag' mich jetzt noch, warum ich so war. Ich hab' das Gefühl, ich war irgendwer, der einfach schwach war und deswegen Andere fertig gemacht hat, damit er sich mal nicht mehr so klein vorkommt. Aber es hat nichts gebracht, ich war trotzdem ein Versager, der nichts auf die Reihe gekriegt hat, außer sich Ärger einzufangen. Und erst als ich Yugi kennengelernt habe, hab' ich geschnallt, dass es auch anders gehen kann. Das war das erste Mal, dass ich mich nich' mehr allein gefühlt und 'nen Ausweg gesehen habe. Und dann bin ich bei Hirutani ausgestiegen; hätte das fast nich' überlebt, so wie die mich vermöbelt haben..“ „Kann ich mir vorstellen“, antwortete Jason mit hochgezogener Augenbraue und verkniffenem Mund. Joey kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Aber durch diesen Yugi hast du es in Kauf genommen, dass dich deine bisherigen „Freunde“ durchprügeln?“ „Ja, denn obwohl ich ihn wie Scheiße behandelt habe, hat er mich wie einen Menschen behandelt und mir zum ersten Mal das Gefühl gegeben, dass es okay ist, dass ich überhaupt existiere..“ „..dann steckt wohl wirklich mehr in ihm, als man sieht..“ „Ja, er hat echt das größte Herz, das ich kenne. Und ich werd' ihm auf ewig was schuldig bleiben, dafür, dass er mich von der Straße geholt hat.“ Es war seltsam, ein derart tiefschürfendes Gespräch mit einem eigentlich fremden Mann zu führen, fand Joey. Und er hatte den Eindruck, dass es Jason genauso ging. „... - Wheeler, ich bin eben ein bisschen ausgetickt...“ „Wie gesagt, ich kann das ehrlich nachvollziehen. Und ich hab' den Schock, den du mir versetzt hast, auch verdient. Dafür, dass ich mit solchen Typen abgehangen habe, die deinen-...“ Joey räusperte sich beklommen. Jason dachte sicherlich jeden Tag an das, was mit seinem Bruder passiert war. In der Truppe hatte er gehört, dass D.D. den Polizisten verblutend zurückgelassen hatte. Joey war brutal gewesen, aber er hatte niemanden zum Sterben verurteilt. Er fummelte betroffen an seinem losen Faden herum, während Jason ihn aus ersten blau-grauen Augen betrachtete. „Ich habe diesen Danjuro im Gefängnis besucht. Ich wollte sehen, was das für ein Kerl ist, der einen anderen Menschen absticht. Und ich stand einem kleinen, miesen Penner gegenüber, der nichts in seinem Leben auf die Reihe gekriegt hat und letztendlich natürlich zu feige war, um seine Strafe abzusitzen. Er hat sich in seiner Zelle selbst aufgeknöpft.“ Joey stellte sich D.D. vor, wie er in seiner Gefängniszelle saß und seinen Selbstmord plante. Das hatte er damals wiederum nicht mitbekommen, und irgendwie machte ihn auch das betroffen. D.D. mochte ein ziemlich schlechter Mensch gewesen sein, aber im Endeffekt waren sie beide aus ähnlich zerrütteten Verhältnissen gekommen. „Das ist schon irgendwie krass..“ „Wie man es nimmt, nicht wahr...Dabei ist er nicht für Mord ins Kittchen gewandert, sondern für den Tötungsversuch. Und all die restliche Scheiße, die ihr so abgezogen habt..“ „Nicht für Mord...? - Warte, heißt das...dein Bruder ist nicht..gestorben?!“ „Nein. Er erlitt schwere Verletzungen am Rückenmark und sitzt seitdem im Rollstuhl. Seine Nerven sind beschädigt, sodass er aufgehört hat, zu sprechen, weil er es nicht erträgt, dass er die richtigen Worte nicht mehr findet. Er war Polizist, so wie mein Vater, und nun sind sie beide geschlagene Männer. Paul, weil er zum Krüppel gemacht wurde und mein Vater, weil er zugelassen hat, das ein Halbstarker seinem Sohn so etwas antun konnte.“ Konsterniert blickte er Jason an. Wirklich kein Wunder, dass dieser so einen Zorn in sich trug. Dieser Vorfall hatte seine ganze Familie verändert. Sicherlich hatten es die Eltern nicht mehr ertragen, in der Stadt zu leben, in der sie beinahe ihren Sohn bestatten mussten, und waren deshalb aufs Land gezogen. Aber gleichzeitig fühlte Joey auch eine gewisse Erleichterung. „Das ist.., also, - ich bin froh, dass dein Bruder noch am Leben ist. Ehrlich.“ „Ja. Ich auch. Auch wenn er kaum mehr er selbst ist...“ Wieder schlich sich Kummer in Jasons Blick, und Joey schwor sich einmal mehr, auf seine kleine Schwester und alle anderen, die er liebte, stets gut aufzupassen. „..aber..also, - immer noch besser, als wenn.. also, als wenn er gar nicht mehr da wäre..oder?“ „Natürlich.“ „Ja..“ „Und meine Eltern kümmern sich gut um ihn. Er spricht nicht viel, aber als ich ihn das letzte Mal besucht habe, hat er gesagt, ich soll die Vergangenheit ruhen lassen, man könnte nun nichts mehr an den Geschehnissen ändern. Und dass er kein schlechtes Leben hat.“ Nachdenklich fuhr sich Jason über das stoppelige Kinn und sah wieder aus dem Fenster. Joey musterte den Mann ihm gegenüber, und überlegte, ob dessen Bruder Paul wohl ein ebenso ausdrucksstarkes Gesicht hatte. „Er hat gesagt, dass ich derjenige von uns Beiden bin, der sich einfach nicht mit der Tatsache abfinden kann, dass es so ist, wie es jetzt ist.“ Über Jasons Gesicht legte sich ein resignierter Ausdruck, ehe seinen Mund ein leichter Spott umspielte, als er wieder Joey anblickte: „Dann hat er im Fernsehen dieses Kartenspiel geguckt, und ich habe nicht schlecht gestaunt, als ich dich mitten in einem Duell gesehen habe. Ich habe ihm daraufhin gesagt, du wärst eines der Bandenmitglieder, und dass ich dich zur Rechenschaft ziehen würde, aber er wollte bloß weiter diese Kartensendung ansehen..“ Gerade wollte Joey antworten, als er - ***~ dimdimdim ~*** - erschrocken zusammenfuhr. „Nächster Halt: Denbe. Ausstieg in Fahrtrichtung links. Vorsicht am Gleis.“ Er empfand die Störung als ziemlich taktlos, zumal auch Jason aufgeschreckt wirkte. Dieser fuhr sich in seiner typischen Manier durch die Haare und straffte die Schultern, während um sie herum die ersten Leute (von denen Joey nur am Rande mitgekriegt hatte, dass sie verstohlen in das Abteil zurückgekehrt waren) ihre Zeitungen, Ohrstöpsel oder Smartphones einpackten und sich auf den Ausstieg vorbereiteten. Manche dösten auch einfach weiter vor sich hin. Draußen konnte Joey die ersten Ausläufe einer Kleinstadt ausmachen und allmählich verringerte der Zug seine Geschwindigkeit. Er schielte nach der Uhrzeit auf der digitalen Anzeigetafel - 08:36 - während Jason sein Handy zu Rate gezogen hatte. Dabei fiel dem Jüngeren eine filigrane Tätowierung am Handgelenk seines unverhofften Gesprächspartners auf, die ihm vorher entgangen war. You'll never walk alone stand dort in die Haut geschrieben. Und Joey konnte nicht umhin, aufrichtigen Respekt für den Mann vor sich zu empfinden. Er war entgegen seiner äußeren Erscheinung kein Hau-Drauf-Typ, sondern ein kluger und wohl in der Regel beherrschter Mensch, der sich für die einsetzte, die er liebte. „Tja“, sagte Jason, steckte sein Handy wieder in die Hosentasche, erhob sich von seinem Platz und blickte Joey an. „Ich steige hier aus. Habe meiner Frau Mutter zugesagt, dass ich zum Frühstück komme.“ „Pünktlich um neun, was?“, witzelte Joey vorsichtig und erhob sich ebenfalls. „So ist es. ...Wheeler – Joey“, korrigierte Jason sich selbst und wirkte beinahe ein wenig unbeholfen. „Ich hatte nicht geplant, dich in einem Zug anzutreffen; ich war wirklich erstaunt, als ich dich vorhin hier entdeckt habe. Das war tatsächlich ein Zufall. Eigentlich wollte ich dich, so wie die Anderen auch, in Domino ...besuchen. Aber jetzt haben wir uns hier kennengelernt, und auch wenn ich dich vorhin noch angebrüllt habe, muss ich jetzt zugeben, dass es insgesamt nicht so unerfreulich mit dir war, wie ich es angenommen hätte. Du bist tatsächlich anders als die anderen Typen. - Bleib' dabei, in Ordnung?“ Diesmal erlaubte sich Joey sein gewohntes Grinsen. „Das mach' ich, Ehrenwort!“ „Gut. - Und tu mir den Gefallen und sei dir dessen immer bewusst, dass jeder die Verantwortung für sein Handeln selbst trägt. Auch für vergangene Handlungen. Sieh zu, dass du dich wirklich nicht mehr dazu hinreißen lässt, Dinge mit Gewalt regeln zu wollen. Grade weil du jetzt dieses beliebte Kartenspiel spielst und dir die Kinder auf die Finger gucken und dich zum Vorbild nehmen. Ich werde mich zwar niemals mit diesem Spiel anfreunden, aber es ist nicht schlecht, dass du das für dich entdeckt hast.“ Er reichte Joey zur Verabschiedung die Hand mit der Tätowierung und der Jüngere nahm dankbar an. Mittlerweile war der Zug im Bahnhof eingefahren und vor den Türen hatte sich eine ansehnliche Menschentraube gebildet. „Ich werd' mir deine Worte zu Herzen nehmen, versprochen. Und ich werde weiter lieber ein Kartenduell austragen, als ein Duell mit Körpereinsatz. Und ich wünsch' dir ein leckeres Frühstück.“ „Danke. Hat mich gefreut, dich kennen zu lernen, und diesmal meine ich das wirklich..“ Jason lächelte ihn zum ersten Mal ehrlich an, während der Zug zum Stehen kam. „Mich auch!“, grinste Joey kameradschaftlich zurück. „Wünsche dir eine gute Weiterreise. Vielleicht erzähle ich Paul gleich, dass ich dich zufällig unterwegs getroffen habe. Im Gegensatz zu mir gefällt ihm dieses Kartenspiel ja nun. Und er mag diesen ulkigen Uhr-Zauberer..“ „Oh, du meinst den Zauberer der Zeit?“ „Kann schon sein..“ Mit einem spöttischen Grinsen wandte Jason sich um und ging in Richtung der Türen. Joey stand ein wenig verloren zwischen den vier Sitzen, seine Schuhe lagen nach wie vor ausgezogen auf dem Boden, und der Ältere war bereits nah am Ausgang, als er sich noch einmal umdrehte. „Man sieht sich immer zweimal im Leben, Joey..“ Die Türen öffneten sich mit einem Zischen, eine Schar von Leuten verließ das Gefährt, und bald darauf war Jason verschwunden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)