Rachel von FreeWolf (Jahres-Challenge "Kunst zu schreiben" -- Januar) ================================================================================ Schnurren und blubbern und.. ---------------------------- Rachel Jeden Tag sehe ich sie auf meinen Streifzügen durch die Stadt – immer an derselben Haltestelle. Immer in einem ähnlichen Kostüm, und immer steigt sie in den 7B-Bus Richtung Hügelsiedlung ein. Vielleicht fährt sie ja von der Arbeit nach Hause, oder aber zu ihrem Zweitjob.. Was sie wohl für ein Leben führt? Ich kann nicht anders, als sie anzustarren – neulich bin sich sogar beinahe gegen einen Laternenpfahl gelaufen! Ist es denn zu fassen? Ich kenne mich ja schon beinahe selbst nicht mehr..! Er blickte von dem kleinen, schwarzen Notizheft auf und hinüber zu seinem Boss und Lehrmeister. Der Doktor war nicht zu bremsen und vertieft in seine Grübeleien. So, wie er gerade mit den vielen Blaupausen raschelte, konnte es nur eines bedeuten: Bald war wieder Zeit für einen neuen Schurkenstreich. Der Doktor hatte seinen weißen Laborkittel abgelegt und irgendwo auf einen Haufen geworfen. Wo war seine Pistole? Die war bestimmt wieder irgendwo im Nirgendwo gelandet, und bis eine der entlaufenen Laborratten sie nicht zufällig anschleppte, würde sie wohl auch verschwunden bleiben.. „Fynn! Wo bleibt mein Kaffee?“, schnauzte es da schon aus der Richtung der raschelnden Blaupausen. Der Doktor hatte es geschafft, sich darin wie in einer Höhle einzugraben. Das sprach entweder dafür, dass er ein ausnehmender Chaot war, oder aber, dafür, dass er ein wahres, innovatives Genie am Zeichentisch war. Fynn, der eigentlich Thomas hieß (was der Doktor leider etwas oft zu vergessen schien) seufzte. „Kommt gleich!“, antwortete er lustlos und erhob sich träge aus seinem Sessel. Die Kaffeemaschine war, als er sie zuletzt gesehen hatte, vor einem neuen Projekt geflüchtet, den Roboter-Piranhas. Fynn pfiff einmal durch die Zähne und sogleich hörte er das trippeln von Stahlfüßen auf dem Fliesenboden der Grotte. Er strich sich eine lange, blonde Strähne hinters Ohr, und schon zappelte sie vor ihm hin und her auf ihren Spinnenbeinen. „Na, Rachel“, sprach er die Kaffeemaschine an, „Machst du dem Doc einen Kaffee?“ Die Stimmerkennungssoftware, die er seinem persönlichen kleinen Schoßmaschinchen eingebaut hatte, reagierte sogleich. Das Gluckern der Kaffeemaschine, die sich nun am Boden niedergelassen hatte, erfüllte den Raum. Fynn blickte sich nach den Roboter-Piranhas um. Sie tummelten sich auf dem Aktenschrank und schienen völlig mit sich selbst beschäftigt – oder mit den Schrauben, die sie irgendwo gefunden haben mussten. Fynn verdrehte die Augen. Warum hatte der Doktor eigentlich darauf bestanden, diese Teile zu bauen? Bloß ein weiteres Experiment, an dem er noch etwas würde feilen müssen, weil der Doktor keine Geduld für so etwas hatte. Sie sieht immer gleich aus, habe ich das schon erwähnt? Sie verändert sich einfach nicht großartig – und genau das ist so großartig an ihr. Ich erkenne sie immer wieder. Wobei.. ich glaube nicht, dass sie mich erkennen würde. Ich kann sie einfach nicht beeindrucken, ohne ihr von meiner geheimen Identität zu erzählen.. und selbst da würde sie wohl eher abgeschreckt sein als mich anziehend finden. .. Das Böse ist einfach nicht das richtige Geschäft für einen Herzensbrecher. Viel mehr müsste ich da wohl der Held in der strahlenden Rüstung sein.. .. Der bekommt doch immer das Mädchen, nicht? Mit einem Quietschen, das an eine Ratte erinnerte, trippelte Rachel auf ihren Stelzen zum Schrank, wo sie, springend wie ein Gummiball, nach einer Tasse verlangte. Fynn lächelte schief und stellte seinem Kaffeemaschinen-Schoßtier eine Tasse hin, in welches sogleich der dampfende, heiße Kaffee floss. Der Blondschopf tätschelte Rachel liebevoll die Kaffeekanne, ehe er die dampfende Tasse zum Blaupausen-Berg trug. Surrend wie ein kleiner Motor trippelte sie um seine Beine, sodass der Gehilfe des Doktors aufpassen musste, wohin er trat. Der Zeichentisch war überhaupt nicht mehr zu sehen unter all den Zetteln, deshalb musste Fynn die Tasse irgendwo auf gut Glück platzieren. Hoffentlich kippte der Doktor den Kaffee nicht wieder über all die schönen Zeichnungen, die Fynn für ihn angefertigt hatte..! Das letzte Mal, als das passiert war, hatte der Blondschopf beinahe zwanzig Blätter neu zeichnen müssen – und das alles nur, weil der Doktor systematisch auf Computer verzichten wollte. Damit man ihn nicht ausspionieren konnte, wie er meinte.. Fynn verdrehte die Augen gen Himmel. Dabei hatte er dem Doktor doch erklärt, dass er alle Dokumente so verschlüsseln konnte, dass niemand – und zwar wirklich niemand – sie ohne die richtige Retina einsehen konnte. Aber nein, dem Doktor war ja die altmodische und viel zeitaufwendigere Methode lieber.. War der Doktor jetzt eigentlich ein Chaot oder ein Genie?, fiel dem persönlichen Assistenten des Doktors wieder seine Frage von vorhin ein. Fynn blickte an sich hinunter und trat einen der Roboter-Piranhas – kurz Roranhas, wie der Doktor glaubte sie nennen zu müssen – der an seinem Hosenbein herumzerrte. „Ich bin kein Kratzbaum, du nervtötendes Vieh!“, knurrte er und war wieder einmal froh über die Stahlkappen seiner Stiefel. Ein fieses Grinsen legte sich auf sein Gesicht, und er holte sich seinen Laptop aus dem Schreibtisch (dass der Doktor systematisch auf Technik verzichtete hieß nicht, dass er es auch tat). Beinahe automatisch rief er die Roranha-Programmierung auf. Er ließ seine Knöchel knacksen und kurz darauf flogen seine Finger über die Tastatur. Vielleicht half es ja, ihnen einen kleinen Killerinstinkt zu verpassen.. Und dann noch ein Codewort zum Angriff.. Seine blauen Augen funkelten stolz, während sich die Idee des Roranhas immer weiter verfeinerte. Irgendwo hatten sich die Laborratten niedergelassen und feierten ein ausgiebiges Fest, er konnte es hören, doch interessierte ihn das gerade nichts. Wenn sie den Käse fressen würden, waren sei eh schneller mausetot als er bis drei zählen konnte. Fynn grinste schief und schickte das Programm, das er insgeheim „Mitch“ taufte, an die Roranhas. Sie knurrten sogleich, kaum hatte sie ihre neue Programmierung erreicht. Fynn nickte zufrieden mit sich selbst. Der Doktor hustete. „Der Kaffee ist ja total bitter! Fynn!“, der Superschurke raffte seine zusammengesunkene Gestalt aus seinem Stuhl am Zeichentisch auf und blitzte ihn wütend an, „Du hast den Zucker vergessen!!“ – „Sorry, Boss“, Fynn winkte mit der Hand und ließ Rachel durch einen Befehl zum Doktor trippeln. Die Maschine piepste vorsichtig, weil sie manchmal einen Tritt vom Doktor abbekam, wenn sie nicht aufpasste. Sie war Fynns erstes Projekt im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz, und lag ihm schon allein deshalb am Herzen. Rachel lag ihm überhaupt am Herzen, wie alle seine Schöpfungen. Vielleicht war es kindisch, aber er mochte Rachel wie seinen Hund, den er in Kindertagen nie gehabt hatte. ~ Heute war sie wieder nicht an der Haltestelle der 7B-Linie. Genauso wie die ganze letzte Woche nicht. Ich weiß nicht, wo sie ist. Ich möchte es so gerne wissen, aber.. sie ist einfach weg! Wie vom Erdboden verschluckt! Ich habe bereits die ganze Stadt durchstreift, aber nichts von ihr gesehen.. Ich weiß noch nicht einmal, wo sie wohnen könnte.. Ach, verdammt! Im Moment läuft alles scheiße! Der Doktor schwächelt übrigens immer mehr. Nicht mehr lang, und unser Held hat es geschafft, ihn zu besiegen.. Verdammt nochmal. Gestern konnte ich gerade noch eingreifen – Rachel wurde dabei arg mitgenommen. Ich wusste, ich hätte ihn nicht mitkommen lassen dürfen.. Und die Roranhas waren auch keine große Hilfe. Na, zumindest tragen sie den Müll raus. Aber um den Doc, da ist es wohl bald geschehen. Ich muss mich wohl bald nach einem neuen Job umsehen, hm..? Jetzt muss ich Rachel reparieren gehen und den Doc ins Pflegeheim bringen. Himmel, ich werde sein Chaos beinahe vermissen.. oder so. Übrigens.. jetzt hab‘ ich mir doch die Glatze rasiert. Der Held hatte mich nämlich erkannt. … Habe ich nicht schon erwähnt, dass alles scheiße läuft? Thomas fuhr sich über seinen glatt rasierten Kopf und dachte mal wieder, dass er aussah wie ein Ei auf zwei Beinen.. Toll – und den ganzen Schlamassel bloß, weil der Doktor nicht hatte dichthalten können, als er ihn endlich im Heim hatte abliefern wollen. Die Insel war wenigstens mit anderen alternden Superschurken besetzt, sodass der Thomas‘ Ex-Boss sich dort bestimmt nicht einsam fühlen würde.. Beinah zufrieden blickte er sich um. Da war der leere Sekretär nebst Zeichentisch, die er nun endlich für sich alleine hatte. Die vielen Blaupausen waren endlich – endlich, was für eine Erleichterung! – im Aktenschrank verschlossen und digitalisiert. Thomas grinste schief und blickte zu seinem Arbeitsplatz hinüber. Was sollte er sich denn noch groß einen neuen Job suchen? Im Moment war ja ein Bösewicht für die Stadt gesucht..! Und er war immerhin der mit der größten Erfahrung. Schließlich hatte er als Fynn immer die zum Scheitern verurteilten Pläne des Doktors gerettet.. Rachel kam angetrippelt und rieb sich rumorend und quietschend und gluckernd an seinem Bein. „Ja, Rach, ich bleib‘ schon da. Keine Sorge, Kleine“, väterlich tätschelte er der intelligenten Kaffeemaschine den Filterhalter. ~ Ich habe sie wiedergesehen! Sie stand plötzlich wieder an der Haltestelle zum 7B-Bus Richtung Hügel. Ihre Haare sind kürzer und sie hat rote Strähnchen eingefärbt. Aber sie ist noch immer dieselbe. Diese niedliche Stupsnase würde ich überall erkennen! Sie ist also wieder in der Stadt.. aber ich kann sie einfach nicht ansprechen..! Warum habe ich mir nicht gleich gedacht, dass unser stadteigener Held sich ihr an den Hals wirft..? Aber immerhin weiß ich jetzt wie sie heißt: Rachel! Rachel, Rachel, Rachel.. Ein wunderbarer Name.. Ach.. Aber warum müssen alle verdammten Superhelden diese Show mit dem gemeinsamen Flug über die Stadt abziehen? Das nervt echt! Oh, wie ich ihn verabscheue! Dagegen kann ich doch niemals ankommen! Fynn nahm das Nachtsichtgerät herunter und massierte sich die brennenden Augen. Nein, dieser Nachtflug war bestimmt nicht gut. Überhaupt nicht. Und Rachels Gesicht.. es strahlte so schön..! Doch wenn sie bei ihm war, strahlte sie nie. Inzwischen hatte er ihr Gesicht wohl in allen möglichen Mienen gesehen: Abscheu, Hass, Wut, Widerstand… doch nie so ein Strahlen. Warum kam er bloß nicht an sie heran? Rachel, die Kaffeemaschine, rieb sich an seinem Bein, und Fynn wurde sich bewusst, dass er die wahre Rachel wohl kaum einmal bekommen würde. Entweder musste er da eine dreihundertachtziggrad-Wendung machen oder aber.. weiter versuchen, sie auf die herkömmliche Weise zu bekommen. „Ach, Rachel..“, sagte er ins Blaue und wusste nicht genau, ob er nun sein Schoßtier meinte oder aber die echte Rachel, deren Zimmerfenster er gerade im Blick hatte. Sie wollte doch nicht tatsächlich mit offenen Gardinen den Held verführen..? Fynn wandte sich ab und zog eine Grimasse. Der kleine Kaffeemaschinen-Roboter rieb sich an seinem Bein und gluckerte und blubberte und piepste, bis er sie leicht tätschelte und zu kraulen begann. Rachel hockte sich auf ihren Spinnenfüßen zu Boden und ließ ein sachtes Brummen hören. „Wenigstens bleibst du bei mir, Kleines“ ..Wenn es die echte Rachel das doch auch machen würde! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)