Anokata von Luthien-Tasartir (Biographie einer Organisation) ================================================================================ Prolog: Sechs ------------- Manche Menschen sagen, dass Leute, die sich über andere stellen, böse sind. Dass sie immer aus Egoismus handeln. Niemals, um der Menschheit zu dienen. Niemals, um ihnen zu helfen oder sie zu einem besseren Leben zu führen. Vielleicht haben sie damit Recht. Die Menschen sind seit jeher dazu geschaffen, sich gegenseitig umzubringen. Sie sind egoistisch, daran besteht kein Zweifel. Umso abstruser erscheint in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass sich eben diese Menschen einer bestimmten Autorität unterwerfen. Diese Autorität nennt sich Staat. Sie unterdrückt die Menschen, zwingt sie zum Gehorchen, Arbeiten und doch tun diese Menschen nichts dagegen. Mehr noch! Sie verurteilen jene, die sich nicht unterordnen, sich nicht von dieser Autorität beherrschen lassen wollen. Sie schauen ihnen zu, wie sie von der Hand des Staates umgebracht werden, und empfinden Genugtuung. Wie skurril ist die Welt, dass sie nicht erkennt, wer Rechtes tut und wer dem Bösen verfallen ist. ~ „Geh nicht! Bitte! Bitte bleib bei mir!“ Die Stimme des Jungen versagte kurz. „Mutter... bitte... bleib bei mir...“ Ein Schluchzen entfuhr seiner Kehle, während er sich weiter an der blutverschmierten Bluse der vor ihm liegenden Frau klammerte. „Bitte, stirb nicht!“ Heiße Tränen liefen die Wangen des Jungen herunter auf die Brustwunde der jungen Frau. „Bitte, ich brauche dich noch. Du darfst nicht sterben. Du musst bei mir bleiben. Bitte!“ Das Öffnen des Mundes der Frau ließ ihn verstummen. Ängstlich kroch er näher an ihre Lippen, um zu verstehen, was sie sagte, ob sie was sagte. Vielleicht würde sie ja bei ihm bleiben. Vielleicht würde sie ihm gehorchen. Sie musste ihm gehorchen! Sie durfte nicht sterben! Nicht jetzt! Sie durfte ihn nicht zurück lassen. Nicht hier, nicht jetzt. Sie... „Pass' gut auf dich auf, Ryo... versprich es mir.“ Eine kurze Pause entstand, in der die Blonde rasselnd nach Atem rang. „Ich liebe dich.“ Ein schwaches Lächeln folgte ihren Worten, dann wurde ihr Blick glasig. Sie war fort. Für immer. Verzweifelt vergrub der Zurückgelassene sein Gesicht in der Brust der Toten. „Du darfst nicht sterben“, schluchzte er nach einer Weile erneut, auch wenn er wusste, dass es schon längst zu spät war. Immer wieder wiederholte er es, während er von weitem bereits die Polizeisirenen vernahm. „Du darfst nicht sterben. Lass mich nicht allein. Bitte... Mutter... bitte... lass mich nicht allein. Nicht hier, nicht jetzt... nicht hier...“ Als die Polizei kurze Zeit später eintraf, fand sie nur die Leiche der Erschossenen vor. Den über ihr liegenden völlig aufgelösten Jungen, den Augenzeugen gesehen haben wollten, kurz bevor sie die Behörde angerufen hatten, war selbst nach Stunden der Suche nicht zu finden. Erst einige Tage später konnte man ihn in der Nähe seiner Wohnung aufgreifen und brachte ihn in eines der New Yorker Waisenhäuser. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)