Memento Mori von Mismar (Remember that you must die) ================================================================================ Kapitel 8: Ghost of you ----------------------- Makoto konnte nicht sagen, ob irgendwas Irdisches einem Menschen ansatzweise soviel Pein zufügen konnte, als das, was er hier erdulden musste. Immer wieder griffen die Geister ihn lachend an und er verstand nicht einmal warum, denn sie waren nicht imstande, ihn zu töten – zumal sie sich mit seiner verstorbenen Seele begnügen mussten. Alles drehte sich um ihn, normalerweise hätte er sich schon längst übergeben, aber sein Geist schien immun gegen alles zu sein, nur nicht gegen ihre Schmerz zufügenden Berührungen. Er sackte gequält auf die Knie, er wünschte sich nur noch den Tod, die seelenfriedliche Ruhe herbei. „Kannst du dir jetzt ansatzweise vorstellen, was wir in all der Zeit erdulden mussten?“ fragte das Sommerhut-Mädchen mit verzerrter Stimme. „Die Schwarze Seite war unser Fluch… wir waren bereits tot, aber ein Blick in diese Verdammnis bringende Seite sperrte uns auf alle Ewigkeit hier ein… im Mnemonischen Abgrund.“ Wie von einem Blitz getroffen sah Makoto in ihre Richtung. Erst jetzt verstand er die Bedeutung des Fotos, das Shin und das Mädchen in Weiß zeigte. Während der Freak auf der Schwarzen Seite gechattet hatte, schien die Weißhaarige ihn dabei beobachtet zu haben und registrierte nicht, dass sie sich damit ins größte Unglück stürzen würde. „Keine Sorge, gleich bist du einer von uns. Dein menschlicher Körper macht sich auf den Weg ins oberste Stock und wird sich in wenigen Minuten hinunterstürzen lassen.“ Makoto hielt sich die Brust, ihm überkam das Gefühl, sein eigenes Herz schlagen zu hören. Plötzlich weiteten sich seine Augen, etwas weiter hinten tauchte eine rötlich schimmernde Gestalt auf, die unbeirrt in Richtung Fahrstuhl zeigte. Was hatte das zu bedeuten, war das vielleicht eine Anspielung? Schmunzelnd wollte er es auf einen Versuch ankommen lassen, vielleicht würden sich diese Geister selbst verraten. „Und wieso ich? Was habe ich euch getan?“ fragte er mit der Zunge schnalzend, sich innerlich bereit machend, augenblicklich nach vorne zu sprinten. „Du solltest tot sein… du warst einer von uns. Du solltest die ewige Qual mit uns teilen, nicht wahr?“ „Ich denk nicht dran!“ sagte er schnippisch und schnellte unangekündigt geradeaus. Das Mädchen in Rot war schon längst verschwunden, zumindest wurde es ihm bewusst, als er sich dem Fahrstuhl näherte. Plötzlich wurde er zurückgerissen, sein ganzer Körper landete auf den Boden. Der Sturz machte ihm nicht schwer zu schaffen, sondern das Festhalten seiner Füße, denn die Berührung brannte wie Feuer. „Nein! Dein menschlicher Körper muss erst sterben!“ Ihre Stimme klang leblos wie eh und je, obwohl sie innerlich vor Wut hätte kochen müssen. „In paar Minuten wird alles vorbei sein!“ Atemlos erreichte sie die Stelle, an der Makoto sein Leben beenden wollte. Er stand auf einer kleinen Anhöhe des Daches und schaute mit geschlossenen Augen in die Tiefe, in die er sich fallen lassen wollte. Er breitete seine Arme aus, die pechschwarze Dunkelheit willkommen heißend. „Makoto!“ kreischte Rin verzweifelt, während sie die letzte Kraft aufbrachte und in seine Richtung eilte. Es erinnerte sie an etwas, all die schlimmen Erinnerungen benebelten ihren Verstand. Der schwarzhaarige Verleger reagierte nicht auf ihren Ruf, stattdessen ließ er sich nach vorne fallen. Verzweifelt lehnte der Verleger an der Tür, nach und nach schaute er die grinsenden, von Triumph beglückten Geister an. Er hatte sich aufgegeben, sein Körper war bestimmt eine blutige, undefinierbare Masse auf dem Straßenasphalt geworden. „Und? Wie sieht die Hölle so aus?“ wollte er wissen und versuchte, ein freudloses Lächeln zustande zu bringen. „Auf alle Ewigkeit dein und das Leid anderer zu ertragen.“ Sie richtete sich ihren Sommerhut, der durch den Kampf einwenig verrutscht war. Aber schnell stellte sie fest, dass diese kleine Unaufmerksamkeit ihren ganzen Plan zunichte machte: Die Tür, an der Makoto lehnte, wurde aufgerissen, ein Gemisch aus dunklen Farben machte sich hinter ihm breit: Der Mnemonische Abgrund. „Nein!“ Zum Glück wurde er von zwei plötzlich erscheinen Armen festgehalten, die ihn daran hinderten, rückwärts in die Verdammnis zu stürzen – anderseits konnte das jetzt egal sein, da sein Körper bereits blutüberströmt auf der Straße lag. Aber wieso sonst hatte sich die Tür geöffnet und einen anderen Weg frei gemacht? Die Antwort tauchte in der Gestalt von Reiko Asagiri auf. „Ihr seid wütend auf mich… also lasst ihn frei… er hat damit nichts zutun.“ sagte sie leicht warnend, während sie ihren Schwarzschopf auf den Boden neigte, als fürchte sie den Anblick ihrer Kontrahenten. „Wir hatten auch nichts mit der Schwarzen Seite zu schaffen und nun sind wir auf Ewigkeit hier eingesperrt!“ Die Weißhaarige hatte bislang geschwiegen, aber sie konnte das wiederkehrende Leiden nicht länger ertragen, besonders nicht in der Gegenwart ihrer Geschwister, die ebenfalls auf die Schwarze Seite aufmerksam gemacht wurden. „Gut, aber das müssen wir unter uns regeln.“ Reiko wandte sich an Makoto, der seinen Körper aus den Griffen der Hände befreien wollte. „Das ist meine Welt…“ Kaum hatte sie das ausgesprochen, nahm die Welt eine verschleierte, schwarzrote Sicht an, zitternd lösten sich die Hände um sein Gelenk, ängstlich wegen Reiko Zorn zogen sie sich zurück. Ein zarter Körper umschlang ihn, er stolperte nach hinten, fiel mit geweiteten Augen in die scheinbar endlose Verdammnis. Der Sturz schien kein Ende zu nehmen, aber er bemerkte die immer stärker werdende Umarmung von Reiko. „Es ist mein Verschulden, ich muss mich dem allein stellen.“ flüsterte sie leise. „Verzeih mir, bitte.“ „Makoto…“ sagte Rin mit Tränen in den Augen. „Warum nur…?“ Sie hielt seine Kleidung fest umklammert, zog ihn mit Leichtigkeit zurück. Beinahe wäre sein zurzeit schlafender Körper auf sie gefallen, aber geschickt fing sie ihn auf. „Bitte wach doch endlich auf!“ Wie in Zeitlupe öffnete er seine Augen, die Lider flatterten mehrmals. „Rin?“ fragte der Verleger verwirrt und sog hastig die kühle Abendluft ein. „Ich lebe?“ „Was ist das nur für eine Frage!?“ Wütend stemmte sie ihn auf beide Beine, betrachtete sein verschlafendes, aber auch nachdenkliches Gesicht. „Seit wann bist du ein Schlafwandler?“ „Ich?“ Aber dann erinnerte er sich an die Worte von dem Sommerhut-Mädchen, dass sein Körper bereits auf dem Weg hierhin gewesen war, um sich das Leben zu nehmen. „Mich würde es vielmehr interessieren, woher du wusstest, dass ich im Krankenhaus bin?“ Sie verdrehte die Augen, damit versuchte sie nur ihr weinendes Gesicht zu verbergen, denn sie war wirklich krank vor Sorge um ihn gewesen und tat es lächelnd ab. „Weil unser gemeinsames Unheil immer dieses Krankenhaus ist und nun komm!“ Sie machte auf dem Absatz kehrt und unterdrückte die noch kommen wollenden Tränen, immerhin hatte sie ihren Freund davon abgehalten, in den Tod zu springen. Kaum war sie einen Schritt weitergegangen, umarmte sie Makoto von hinten. „Du bist der Grund, wofür es sich lohnt zu leben.“ hauchte er leise und bemerkte nicht, wie Rin wegen der Worte errötete. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)