Memento Mori von Mismar (Remember that you must die) ================================================================================ Kapitel 7: Sleepwalker ---------------------- Er war viel zu müde gewesen, um klar eine Entscheidung treffen zu können. Ein starker Muskelkater weckte ihn am Morgen, und er seufzte schwer, während er die verspannten Glieder streckte. Makoto klagte laut, weil er wegen Rin ein schlechtes Gewissen hatte. Um ungestört schlafen zu können, hatte er das Handy über Nacht ausgeschaltet. Vermutlich war sie schon krank vor Sorge. Verschlafen wählte er ihre Nummer, aber es schien besetzt zu sein. Er versuchte es mehrere Male, aber erfolglos. Seit wann war Rin eine solche Quasselstrippe? Es nützte alles nichts, er musste das noch zwischen ihnen klärende Gespräch auf später verlegen. Während er in die Frontscheibe seines Wagens starrte, dachte er an den gestrigen Tag zurück: Kaum hatte er sich in diesem ungemütlichen Wagen schlafen gelegt, stand seine Entscheidung bereits fest: Er würde mit Rin Asagiri Kontakt aufnehmen. Erneut klappte er das Handy auf, dieses Mal die Nummer des verstorbenen Mädchens wählend. „Hm?“ machte er leise und lauschte, auf der anderen Seite des Hörers war ein Rauschen zu vernehmen. Erst nach Sekunden des Wartens hörte er eine verzerrte Stimme sagen: „Hallo… Makoto?“ „Rin?“ Der Verleger hatte das Mädchen bereits im Diesseits kennengelernt, zumindest kannte er ihre Stimme, wenn sie drohend mit ausgestreckten Armen nach ihm gegriffen hatte. Doch diese Stimme hier… klang anders. „Makoto! Im Krankenhaus befindet sich ein Eingang zum Mnemonischen Abgrund! Es ist der einzige Weg, sich deinem geisterhaften Körper zu entledigen! Im zweiten Stock… der Fahrstuhl.“ Er musste schwer schlucken, genau dort war das Mädchen in Rot erschienen, dort hatten sie sich bereits den letzten Kampf geliefert. War das ein Zeichen? „Bist du dir… sicher?“ fragte er zögernd nach. „Ja… ich werde dir etwas per Handy schicken, öffne es vor dem Krankenhaus.“ Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, unterbrach ein Freiton das nicht gerade informative Gespräch. Seufzend lehnte er sich zurück, sie hatte keinen Grund, ihn in den Tod zu schicken. Trotz allem überkam ihm das ungute Gefühl, einen vielleicht unverzeihlichen Fehler zu begehen – aber das konnte er erst herausfinden, wenn er der Sache auf den Grund ging. Er hatte Stunden gebraucht, um das bereits seit mehreren Monaten verlassene Krankhaus zu erreichen. Es war spät geworden, letztendlich war er den ganzen Tag auf den Weg hierhin gewesen und er bemerkte die Müdigkeit, die ihn schier erdrücken und in den Schlaf zwingen wollte. Mit einem wehleidigen Blick sah er zum Eingang, dann auf das Handy. Kurz, bevor er zum Stehen gekommen war, hatte er eine Kurzmitteilung erhalten. Doch die ließ er vorerst ungeöffnet, stattdessen versuchte er Rin zu kontaktieren. „Makoto! Meine Güte, wo bist du nur? Ich habe heute all meine Freunde angerufen, ich mache mir große Sorgen!“ tadelte ihre Stimme, die allerdings auch mit Erleichterung und Freude gekennzeichnet war. Ein kleines Lächeln machte sich auf seinen Lippen breit. „Ich werde die Sache beenden… wenn ich dabei mein Leben verlieren sollte…“ „Du darfst dir nichts tun, bitte!“ „… solltest du wissen, dass ich dich liebe.“ Es war das erste, richtige Mal, dass er dies zu ihr sagte. In all den Wochen war es schwer gewesen, zwar hatten sie zusammen gelebt, sogar das Bett geteilt, aber keiner von beiden war auf die Idee gekommen, dem jeweils anderen die Liebe zu gestehen. „Makoto… ich dich doch auch… und deswegen darfst du nicht aufgeben!“ sagte sie schlunzend, scheinbar war sie den Tränen sehr nahe. Am liebsten hätte der Verleger sie in den Arm genommen, tröstend ihren Kopf gestreichelt. Aber sie war weit von ihm entfernt und es war vielleicht das letzte Wort gewesen, das sie miteinander wechselten. Auf die Lippen beißend drückte er sie weg, bereute diese Handlung zutiefst, denn früher oder später hätte er nachgegeben und wäre weiterhin durch diese elende, mit Plagegeister besetzte Welt gewandert. Bevor Rin auf die Idee kommen würde, ihn telefonisch zu erreichen, bestätigte er das SMS-Symbol, um plötzlich von einem Nebelschleier umhüllt zu werden, der ihn trostlos ins Land der Träume schickte – aber es würde sich früh genug herausstellen, dass es eher einem Albtraum glich. Unendliche Schwerelosigkeit nahm von seinem Körper Besitz. Kaum hatte er die Augen geöffnet, befand er sich im Inneren des Krankenhauses, dessen verlassenen Zustand er bereits aus der Vergangenheit kannte. Er warf einen Blick zurück, die Tür zum Ein- und Ausgang war fest verschlossen, Frost hatte sich über die Fensterscheibe gelegt, weswegen er sein geparktes Auto auf der anderen Seite nicht erkennen konnte. Er warf den Kopf hin und her, fast, als würde er seine Bedenken von sich abschütteln wollen. „Ich muss mich beeilen...“ sprach er sich selbst zu und schnellte die Treppen empor. Das zweite Stockwerk war nach wenigen Minuten erreicht und Freude zeichnete sich auf seinem Gesicht ab, weil er problemlos angekommen war – er hatte schon mit Zwischenfällen gerechnet. Während er leise keuchend den Flur entlang rannte, überkam ihm das seltsame, fast schon unheimliche Gefühl, beobachtet zu werden. Er musste nur noch um die Ecke und dann… trat schon das Mädchen im Sommerhut auf ihn zu. „Ich habe auf dich gewartet, Makoto Shirae.“ Schliddernd blieb er vor ihr stehen, einen kleinen Fluch dabei unterdrückend. „Was soll das heißen?“ „Dass du jetzt sterben musst und dieses Mal gibt es kein Entkommen.“ Sie hielt den Kopf gesenkt und schien nicht auf die Geister zu achten, die um sie beide herum erschienen. Es waren welche, die Makoto auf der mnemonischen Seite gesehen hatte – aber es waren eindeutig nicht die Opfer von Rin, aber das Gegenteil würde sich noch herausstellen. Der Verleger knurrte wütend. „Das war eine Falle?!“ „Du musst sterben… du musst das gleiche Schicksal wie wir erleiden.“ Mit ausgestreckten Armen griff sie nach seinem Körper, der unter ihrer Berührung erzitterte. Unendliche Schmerzen machten sich in ihm breit, schlimmste Pein musste er trotz seiner verstorbenen Seele über sich ergehen lassen. Er wusste nicht einmal, ob das Teil einer Einbildung war oder nicht, aber erleichtert trat er einen Schritt zurück, als sie endlich von ihm abgelassen hatte. „Ein Geist kann keinen Geist töten… aber dein menschlicher Körper ist dem Tode nahe!“ Schrilles Gelächter erklang im Flur, es dröhnte fast schmerzend in seinen Ohren. Was hatte das zu bedeuten? Er lag doch im Auto und schlief, oder? „Ich bin der Tod persönlich… und der Tod hat viele Gesichter und was wirkt unschuldiger als das liebreizende Gesicht eines verstorbenen Kindes?“ Da sich ihre Vermutung bestätigt hatte, sprach sich Rin neuerdings einen sechsten Sinn zu. „Du bleibst hier!“ sagte sie zu Take, der gerade aus seinem Wagen steigen wollte. „Aber wieso?“ Leicht pikiert beobachtete er die junge Studentin, die winkend auf dem Absatz kehrt machte und zur Eingangstür des Krankenhauses lief, die seltsamerweise einen Spaltbreit geöffnet war. „Das erzähle ich dir später!“ Ihr Herzschlag wurde schneller, fast schon schmerzhaft pulsierte es gegen ihre Brust. Makotos Wagen stand verlassen vor dem Eingang, Take hatte direkt dahinter geparkt und war ohnehin sichtlich verwirrt gewesen, wieso dieser Mann ein leer stehendes Krankenhaus aufsuchte. Aber Rin hatte das Gefühl, ihre schlimmsten Befürchtungen würden Realität werden, besonders als sie vom weiten Schritte erklingen hörte, die den Weg nach oben suchten. War es Makoto? Was wollte er nur an diesem Ort und warum ging er in das oberste Stockwerk, wollte er etwa…? Nein, so durfte sie nicht denken! Aber die immer schneller werdenden Schritte ihrerseits bestätigten indirekt, wie besorgt sie um Makotos Leben war, der es vielleicht heute Nacht beenden würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)