Memento Mori von Mismar (Remember that you must die) ================================================================================ Kapitel 5: Dollhouse -------------------- Auf dem Haustreppenabsatz sitzend rauchte Makoto seine bereits dritte angezündete Zigarette. Rin sollte sich um ihn keine Sorge machen, aber gerade wollte er nur allein sein, seine Gedanken in Rauch auflösen lassen. Es war das erste Mal gewesen, dass ihn etwas so aus der Ruhe brachte. Selbst auf der mnemonischen Seite hatte er alles viel zu locker gesehen. Seufzend fuhr er mit einer Hand über die gerunzelte Stirn. Wo sollten sie mit der Suche beginnen? Bislang waren sie nicht sonderlich weit gekommen und vielleicht hatte das eine mit dem anderen nichts zutun. Scheinbar hat das Mädchen mit dem Sommerhut ihn auf Ewigkeiten verdammt, verlorenen Seelen beim Sterben zuzuschauen. Er warf einen wehleidigen Blick auf seinen frisch polierten Sportwagen. Die plötzlich am Beifahrersitz erschienene Frau ließ ihn die Augenbraue fragend heben. „Wer ist das…?“ Er konnte nur einen Schwarzschopf sehen, der wild und widerspenstig das Gesicht der scheinbar jungen Frau umrahmte. Mit jedem Schritt, den er näher an sie herantrat, stellte er pikiert fest, dass es das Mädchen im roten Kleid war. Das hatte ihm gerade noch gefehlt… Sie schien ihn nicht zu beachten, sondern starrte gebannt auf den Bildschirm des aufgeklappten Laptops. Erst, als Makoto an der Tür des Autos stand, löste sich die Frau in Nichts auf. „Was sollte das…“ Sein Herz beruhigte sich allmählich wieder, mit diesem Geist hatte er heute am wenigsten gerechnet. Aber war das eine hilfsbereite Geste gewesen? Er öffnete die abgeschlossene Beifahrertür und holte den tragbaren Computer zutage. Sein Postfach war zu erkennen, ein roter Brief war deutlich zu sehen. Schluckend zeigte er den Inhalt an, aber statt Morddrohungen oder irgendwelchen Kindergartenkritzeleien war ein Foto von Shinichi Suzutani zu sehen, der in Lebzeiten munter in die Webcam geschaut hatte. Was sollte dieses Foto? Als der Verleger es näher betrachtete, konnte er in dem Hintergrund von Shins Zimmer etwas Weißes erkennen, das Mädchen aus dem Schrank. Ob er Rin dieses Foto zeigen sollte? Er war sich unsicher, seinetwegen hatte sie genug leiden müssen. Einen verzweifelten Blick auf das Gebäude der Kishibes werfend entschied sich Makoto für das einzig Richtige: Er musste diesen Weg allein bestreiten, zumal sie im Gegensatz zu ihm keine Geister sehen konnte und damit sich eher wegen seiner schreckhaften Art sorgte. Seufzend rutschte er auf den Fahrersitz und startete ohne zu zögern den Wagen. Bevor Rin bestürzt aus dem Haus und nach ihm rufen würde, fuhr er mit zusammengebissenen Zähnen los. Nachdem er eine kurze Strecke gefahren war, durchforste er das Internet nach einem Haus: Ein sogenanntes Puppenhaus, zumindest war der Eigentümer ein leidenschaftlicher Sammler gewesen. Da Shin hier gestorben war, musste er dort sicherlich zu finden sein. Das leerstehende Haus fand sich schnell und auf das Gaspedal tretend fuhr er zielsicher in die im Internet angezeigte Straße. Makoto blieb vor dem schäbig aussehenden Haus stehen. Seufzend zündete er sich eine Zigarette an. Während der Fahrt hatte Rin mehrmals versucht, ihn zu kontaktieren. Aber er konnte ihr nicht die Wahrheit sagen. „Warum kannst du nicht akzeptieren, dass du in diese Welt nicht mehr gehörst?“ fragte die aus dem scheinbar Nichts kommende Stimme. Verschwommen materialisierte sich das Bild von dem Mädchen im Sommerhut auf dem Beifahrersitz. Er war an diese plötzlichen Erscheinungen langsam so sehr gewöhnt, dass er sich nicht mehr erschrocken abwandte. Stattdessen schnaubte er: „Weil sich die Geister zuerst in unsere Welt eingemischt haben!“ Das Mädchen senkte ihr Haupt, der Hut verbarg ohnehin ihr komplettes Gesicht. „Aber wir akzeptieren die Menschen, sie uns aber nicht.“ So schnell wie sie gekommen war, verschwand sie auch dementsprechend wieder. Was sie wohl damit sagen wollte? War er ein Versuchsobjekt, wie Menschen in der Gegenwart von Geistern reagierten? Wenn es wenigstens ein Dutzend anderer noch treffen sollte, dann war er sogar bereit mit den Konsequenzen zu leben. Erneut läutete das Telefon, dieses Mal hob er sogar ab. „Rin… es tut mir leid.“ „Wo bist du denn? Wieso hast du mir nichts gesagt?“ hörte er die verzweifelt klingende Stimme seiner Freundin sagen. „Aber du kommst doch wieder, oder?“ „Natürlich, ich habe aber noch etwas zu erledigen. Bitte versprich mir, nicht anzurufen, ehe ich mich zurückgemeldet habe.“ Ehe sie irgendein Versprechen ablegen konnte, weil sie ohnehin es nicht hätte halten können, legte er laut seufzend auf. Er musste hier und jetzt über seinen Schatten springen. Außerdem konnten diese Geister ihn nur erschrecken, mit Berührungen würden sie ihn nicht töten können. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen stieg er aus dem Auto aus und machte sich auf den Weg in das Haus von Jun Kondo. Das Haus war im Inneren dunkel, die Fenster waren verdreckt. Überall lag Gerümpel, den nur ein wahrer Messie hätte sammeln können. Das einzig anständig aufgeräumte Zimmer war das mit Jun Kondos Puppensammlung. Er tastete die Figuren einzeln ab, bis sein Blick auf eine hellhaarige Puppe fiel, die leichte Ähnlichkeit mit dem Mädchen auf dem Foto hatte. Kaum hatte er sie in beide Hände genommen, hörte er eine Stimme exzentrisch wispern: „Das ist meine Puppe!“ Genervt mit den Augen rollend beobachtete er den Geist von Jun, der ihn hasserfüllt anzugreifen versuchte, allerdings nichts von Makoto zu fassen bekam. „Und ich nehme sie dir nicht weg.“ Mit eiligen Schritten ging er in das Nebenzimmer, das voll mit Ramsch gefüllt war und das Gehen fast unmöglich machte. Als er sich endlich einen Weg aus dem Müll gebannt hatte und in den düsteren Flur getreten war, hörte er die Hilferufe eines für ihn bekannten Geistes. „Shin…“ Der Verleger bemerkte kaum, wie er in das kleine Schlafzimmer sprintete, in dem der Mangafreak gestorben war. Sofort fiel sein Blick auf die Stelle, wo sich auf der mnemonischen Seite die von Shin liegende Brille befand. Aus einem Reflex heraus griff er danach, nur um eine nach ihm schnappende Hand zu sehen, die unter dem Bett hervor gekommen war. Aber wie auch bei Jun, bekam auch sie nichts zu fassen. Enttäuscht wimmerte Shin, der sich verängstigt unter dem Bett verkrochen hatte. Ob er in diesem Zustand überhaupt eine Hilfe war? Er schien im Gegensatz zu den Geistern nicht klar bei Verstand zu sein, aber er merkte schnell, wie sehr sich Makoto mit seiner Vermutung täuschte. Der Geist des Jungen schien sich allmählich beruhigt zu haben und sah über den Rand seiner Brille den Verleger interessiert an. „Herr Shirae…“ „Hm?“ Als er damals im Raum des Freaks gewesen war, hatte er die Leidenschaft in dem von Shin gestaltendem Zimmer allein an den ganzen Merchandises gesehen: Animierte Figuren und Übernatürliches. Neben dem Mädchen in Rot war das scheinbar sein größter Fan zu Lebzeiten gewesen. Aber wieso hatte er ihn erkannt? Ob er sich bereits am Leben eines Geistes gewöhnt hatte? Immerhin gab es viele Geister, die es irgendwann akzeptierten und einem gewohnten Alltag gingen. „Kennst du ein Mädchen, das genauso aussieht wie sie?“ fragte Makoto leicht verzweifelt, weil er im Vornherein nicht wusste, was ihm die Antwort letztendlich bringen würde. Sollten alle Versuche umsonst gewesen sein, dann hätte er wenigstens eine tragisch lange Geschichte zu erzählen, die ihm viel Geld und damit Sicherheit für Rins weiteres Leben brachte. Shin murmelte einen Namen und sagte dann kaum hörbar: „Die Schwarze Seite…“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)