Shortstories von LisanimeBluehawk ((Kurzgeschichten/Gedichte)) ================================================================================ Runaway ------- „Schön, dich wieder zu haben.“ Mickis Freude war kaum zu übersehen. Ihre grünen Augen strahlten gerade zu und sie musste sich immer zu die blonden Haare aus der Stirn streichen. „Ja.“ Sebastian lächelte schwach und drückte ihre Schulter. Sie hatten zusammen seine Koffer gepackt. Jetzt warteten sie darauf, dass einer den ersten Schritt tun und sie beide diesen Ort verlassen würden. Es war keine wirkliche Überraschung für ihn gewesen, als der Arzt ihn vor einigen Tagen zur Seite genommen hatte. „Sebastian“, hatte er gesagt und ihn mit seinen durchdringenden blauen Augen forschend angesehen. „Ich verfolge Ihre Genesung schon, seit Sie hier her gekommen sind. Und ich denke, sie haben es endlich geschafft. Nicht nur, dass sie den kritischen Bereich bereits verlassen haben. Sie wirken auf mich schon wieder wie ein ganz normaler, gesunder Mensch.“ Sebastian hatte darauf genickt und gesagt, dass er sich freue, aber in Wirklichkeit hatte diese Neuigkeit nicht einmal ein winziges Kribbeln in seinem Magen ausgelöst. Als er jetzt mit seiner besten Freundin auf der Terrasse stand und dem Flüstern des Windes in den grünen Blättern lauschte, dem Schaben der Äste an den Fensterscheiben und dem Gesang der Vögel, fühlte er sich immer noch nicht so leicht und frei, wie er es sich immer vorgestellt hatte. Irgendwie so, als wäre er ein Luftballon voller heißer Luft, die ihn nach oben zog, doch gleichzeitig wurde er von einem schweren, Übelkeit erregenden Betonklotz in seinem Bauch davon abgehalten sich in die Lüfte zu erheben. All die Geräusche, Gerüche und Gefühle drangen nur wie durch einen dichten Nebel zu ihm durch. Damals, als er vor zwei Jahren hierher gekommen war, war er schwer krank gewesen. Schwer suizidgefährdet. Niemand hatte an seiner baldigen Genesung gezweifelt. Seine Eltern nicht. Sein Bruder nicht. Seine Freunde nicht. Micki nicht. Die Ärzte auch nicht. Niemand außer ihm. „Komm“, sagte Micki und nahm ihn bei der Hand, „lass uns gehen. Zu hause warten alle.“ Mit beschwingten Schritten lief sie ihm voraus. Er folgte ihr weit weniger flink. Sie wollte in den Freizeitpark mit ihm. Eine Party mit all seinen alten Freunden feiern, Grillen, zusammen mit ihm in den Urlaub fahren. In den Süden. Irgendwo dahin, wo es warm ist. Sie verstand nicht, dass es für ihn noch lange nicht zu Ende war. Sie konnte es nicht spüren, dieses dunkle harte Etwas, das sich da immer noch in ihm versteckte. Es würde ihn nie verlassen, das wusste er. Aber die anderen Menschen sahen es nicht. Sie konnten nicht einsehen, dass mancher Schmerz nie nachlässt, dass manche Wunden nicht heilen. Vor allem dann nicht, wenn man sie sich selbst zugefügt hat. Micki hievte einen der Koffer in die Höhe. Sebastian trottete zu ihr und nahm ihn ihr aus der Hand. Sie lächelte ihn dankbar an und küsste ihn auf die Wange, ganz flüchtig, und dann schnappte sie sich seinen Rucksack und verließ das kahle Zimmer durch die Tür. Sebastian sah sich noch einmal um, dann trat auch er auf den Flur hinaus. Weiße Wände. Ruhige, eintönige Bilder. All das würde ihm nicht fehlen. Eine kühle Brise strich über die Haare an seinem linken Arm. Sein Ärmel war hochgerutscht und seine alten Narben gut sichtbar für die Außenwelt freigelegt. Micki wartete am Auto. Der Kofferraum war offen. Sebastian packte Koffer und Rucksack hinein und wandte sich dann noch einmal dem Haus zu und den Leuten, die sich jetzt davor versammelt hatten, um ihn zu verabschieden. Hände wurden geschüttelt, leere Blicke gewechselt. Dann stiegen sie ein und fuhren einfach davon. Ein humorloses Lächeln umspielt seine Lippen. Davonfahren, davonlaufen. Er hatte schon alles versucht, aber es ging nicht immer. Manchmal muss man sich seinen Dämonen stellen. Erst recht dann, wenn sie in einem selbst schlummern, einem den Verstand vernebeln, bis man nichts mehr spürt, als dieses Brennen, das einen fast zerreißt. Ausweglosigkeit und Verzweiflung. Angst. Panik. Schmerz. Und Hass. Nicht vor allem kann man fliehen. Aber man kann es versuchen. Der Wagen blinkte und sie gingen in die Kurve. Micki neben ihm schrie auf und dann war da nur noch Dunkelheit. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)