Shortstories von LisanimeBluehawk ((Kurzgeschichten/Gedichte)) ================================================================================ Das leere Haus -------------- Sie stand vor einem leeren Haus. Aber für sie war es nicht leer. In ihm lebte eine Erinnerung. Eine Erinnerung, die hier so lebendig war, wie sie selbst. Ihr Atem schlug Wölkchen vor ihrem Mund. Der raue Stoff ihres Mantelkragens streifte immer wieder ihre Lippen, während sie sich dem Eingang näherte. Hier war es damals passiert. Dies... Sie stieg die fünf ihr so bekannten Stufen hinauf. Zwölf Klingelschilder an der Wand, eine Tür, ein Treppenhaus. Ihr Blick war auf die Tür geheftet, wie ein Plakat an eine Litfasssäule. Sechsunddreißig Stufen und sie wäre am Ziel. Ihre Finger glitten über die Klingelknöpfe. Es ist wie damals, genau wie damals. Bei dem dritten Schild in der zweiten Reihe hielt sie inne. Würde es klappen? Sie hatte gehört, dass das Leben wie ein Film einem vorgefertigten Drehbuch gehorchte. Würde sie die Zeit zurückdrehen können wie bei einem Flashback? Oder wie wenn man eine Szene zurückspult um sie sich ein weiteres Mal anzusehen? Wenn sie jetzt klingelte, würde er ihr dann wieder öffnen? Würde er den Türöffner betätigen und würde es im Treppenhaus wieder nach Waschmittel riechen? Bei diesem Gedanken zitterte ihr Finger vor Aufregung. Sie musste es versuchen: Sie drückte auf den Klingelknopf. Nichts geschah. Sie hielt den Atem an und wartete, den Finger immer noch auf dem Klingelknopf. Sie klingelte noch einmal. Und noch einmal und weiter. Sie ließ den Finger auf dem Knopf liegen. Immer noch regte sich nichts. Und da kam plötzlich die Hitze zurück. Es war genau wie damals, auch die Hitze war wie damals. „Warum öffnest du mir nicht!?“ Ihre Stimme durchschnitt die nächtliche Stille. „Warum lässt du mich nicht rein? Warum lässt du mich nicht rein?!!“, schrie sie immer wieder und schlug mit beiden Fäusten auf die Tür ein. Die Tränen spritzten, ihre Fingernägel hinterließen halbmondförmige Abdrücke in ihrer Haut. Da war die Hitze plötzlich fort und die Kälte kroch durch alle Öffnungen ihres Mantels in sie hinein. Sie ließ die Hände sinken, immer noch zu Fäusten geballt, unfähig ihre verkrampften Finger zu lösen. Erschöpft ließ sie sich an der Wand mit den Klingelschildern hinuntergleiten. Sie hatte die Zeit nicht zurückdrehen können, sie hatte versagt und er würde ihr nie wieder öffnen. Dies war das einzige, an das sie denken konnte, während der Nebel sich allmählich über alles legte, sie schließlich mit seinen feuchten, eisigen Armen umschloss und ihr auch noch den Rest ihres Geistes aussaugte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)