Der Mensch ist frei geboren von Phillia (und überall liegt er in Ketten.) ================================================================================ Kapitel 8: Gerris ----------------- Es war in diesen Zeiten noch schwieriger als sonst, sich seinen Lebensunterhalt als Pirat zu verdienen. Nicht nur suchte die FAG schon seit Jahren wie verrückt nach allen Piratenschiffen, und sie waren bei ihrer Jagd ihrem Ziel, die Piraten auszurotten, näher gekommen, als sie es selbst ahnten, nein, jetzt waren die Anstrengungen und Mannstärke der FAG dank Peschendorfs Bemühungen verdoppelt worden, und auch die Rebellen waren den Piraten auf den Fersen. Es mochte wie eine unmögliche Arbeit erscheinen, in nur fünf Tagen das Universum zu durchkämmen auf der Suche nach den Piraten, aber die Rebellen hatten nicht wirklich eine andere Wahl. Und im Gegensatz zur FAG ging es bei den Rebellen um eine existenzielle Frage, ob sie die Piraten fanden oder nicht. War die Viktoria der Rebellen schon ein Haufen Schrott, so waren die Piratenschiffe nur noch herumfliegende Einzelteile. Besonders ein Weltraumkreuzer tat sich hervor als am improvisiertesten. Das Schiff von Kapitän K. war noch funktionstüchtig, aber das hauptsächlich aufgrund der Kreativität, mit dem es verändert worden war. Ehemals ein Schiff des Militärs war es unter herben Verlusten der Maschinerie gekapert worden – die Dampfmaschinen hatte eine Zeit lang gar nicht funktioniert und das Schiff war antriebslos nur mit Sonnensegeln durch das All getrieben. Die kleine Mannschaft hatte Ersatzteile aus allen Ecken des Universums aufgetrieben, und dann hatte man dem Schiff sogar einen Namen spendiert, ein Name, inspiriert durch eine inzwischen ausgestorbene Lebensform auf DE-X24, dem Heimatplaneten des Kapitäns. Die Sardine durchkreuzte mehr oder minder repariert mit ihrer Mannschaft das All, und die Piratenflagge lag zusammengeknüllt im Schlafraum der vier Freibeuter. Gehisst wurde sie schon lange nicht mehr, zog das doch zu viel Aufmerksamkeit des Militärs auf sich, und ein majestätisches Flattern war im Weltraum an sich nicht möglich; aber sie war da, sie erinnerte an die Vergangenheit. Anna Krüss machte gerade ihren morgendlichen Rundgang und überprüfte, ob jeder ihrer Untergebenen die Arbeiten gut verrichtete, als sie steuerbord hart getroffen wurden, sodass das ganze Schiff vibrierte und verschiedene Gegenstände durch die Luft geschleudert wurden. An der Außenhülle entstand ein Leck, noch nicht tief genug, um auch die Innenhülle zu durchbrechen, aber das würde ohne Zweifel beim nächsten Dampfschuss des FAG-Kreuzers geschehen. Es war ein Kampf David gegen Goliath. An Deck des anderen Raumschiffs, fünf Mal so groß, mit einer hundert Mal größeren Besatzung, stand Otto Stahmer, jüngster Pilot der FAG seit der Gründung, und betrachtete durch die riesigen Fenster seine Opfer. Er zog sich die Mütze tief ins Gesicht. Seine Crew hantierte geübt. Noch ein Schuss, das Loch vertiefte sich, und Verbindungsröhren wurden an diesem Loch installiert. Otto nahm seinen Revolver und verschwand gemeinsam mit den Gefreiten, fünf Feldwebeln und zwei Hauptleutnants das Schiff, bereit zum Entern. Kapitän Krüss war nicht untätig geblieben, seit der Schuss die Sardine getroffen hatte. Sie kannte dieses Schiff, das sie getroffen hatte, das war die Schwertfisch, und wenn die Schwertfisch hier war, dann konnte Otto nicht weit sein, der kleine Junge, den sie auf ihrer Heimat zurückgelassen hatte. Sie packte das am Griff rostige Schwert und hieb zwei Mal hart gegen eine Röhre, die dumpf vibrierte und allen Crewmitgliedern Bescheid gab, dass sie im Begriff waren, geentert zu werden. Anna Krüss gab nicht kampflos auf, und sie wusste, dass ihre Crew das auch nicht tun würde. Sie wusste auch, dass Vier gegen circa Vierhundert irgendwie aussichtslos war, aber das war besser, als sich kampflos zu ergeben. Sie wollte gar nicht kämpfen. Sie hatte nie kämpfen gewollt. Die Umstände hatten es von ihr verlangt, seit sie von ihren Eltern verstoßen worden war und auf einem Schrottplatz beim berüchtigten Piraten Arthur Kirkland angeheuert hatte. Niemand wusste, wo er sich heute aufhielt, aber Anna hatte ihr eigenes Schiff, endlich hatte sie ihr eigenes Schiff, und sie würde das nicht in die Hände derjenigen geben, die ihr das Leben immer schwer gemacht hatten mit ihren Zöllen und Soldaten und Gewalt. Nein, Anna war kein Freund von Gewalt. Sie hatten einen Revolver, er war in den Händen von ihrem ersten Maat und Maschinisten und Mädchen für alles Bernd Cranach. Wenn jemand im Alleingang Hunderte von Soldaten aufhalten konnte, dann war er es, in ihm lag ihre ganze Hoffnung, und würde ihre Hoffnung enttäuscht, so wären sie alle mausetot. Durch die dünnen Wände war das wütende Grummeln zu hören, und dann das Entsichern von Bernds Waffe. „Schon wieder?!“, beschwerte er sich und trat mit einem bösen Blick auf den Gang. „Wurden wir nicht erst vor zehn Tagen angegriffen?!! Meine Güte, diese Blödföne von der FAG!! Die Brummochsen ham sie auch nicht mehr alle!!!“ Anna musste unangebrachterweise über Bernds Ausdrucksweise schmunzeln. Was mit den beiden Matrosen war, wie sie sie nannte, wusste sie nicht, aber sie wusste, dass sie sich angemessen verteidigen konnten. „Bitte sei nicht zu brutal...“, bat Anna ihren besten Verbündeten, der nur wütend schnaubte und den Gang entlang lief, in die Richtung, aus der das charakteristische Klacken von Verbindungsröhren zu hören war. „Klappe, Chef!!“, warf er über seine Schulter in Rage vor Annas Füße und war um die Ecke verschwunden, und dann konnte man Schüsse hören und Schläge und das Geräusch von Metall auf Metall. Anna wartete ruhig. Sie spiegelte sich in der kleinen Pfütze Kondenswasser auf dem Boden, wo Wasserläufer winzige Wellen verursachten und ihr Spiegelbild verzerrten. Wenige Lampen brannten an der Decke, baumelten und warfen ihren gespenstigen Schein auf den Gang. Neben Anna tauchten die Brüder auf. Der Ältere hielt eine Eisenstange in der Hand, der Jüngere ein Schwert, so wie Anna. „Hein, du bleibst beim Kapitän, ich geh' zu Bernd!“ Das ansonsten wie festgetackerte Grinsen war von den Lippen des älteren Bruders verschwunden und er sah seinen jüngeren Bruder ernst an. Ein schwaches Nicken, so, als wolle er eigentlich nicht nicken, war die einzige Antwort, und dann rannte Roland genau wie Bernd in sein Verderben. Die Soldaten tröpfelten langsam durch die Berserker, die um die Ecke um ihr Leben und das der beiden Schützlinge kämpften. Anna hob ihr Schwert, aber bis zum Ende des Tages würde diese Waffe kein Blut berühren. Hein kämpfte für Zwei. Er wusste, wie sehr es dem Kapitän widerstrebte, anderen Menschen Schaden zuzufügen, und er wollte ihr das ersparen. Gleichzeitig versuchte er, die Angreifer möglichst nicht zu töten, sondern ihnen nur Beine oder Arme abzuhacken, damit sie keine Gefahr mehr darstellten. Anna wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, bis Otto langsam auf sie zutrat. Er nahm ihre Hand. „Anna.“ Mit großen Augen starrte er sie an, und er erkannte sie, das Mädchen, das sich um ihn gekümmert hatte, als er niemanden sonst gehabt hatte. Sie lächelte, bevor ihr Schwertgriff auf Ottos Hals niederging und er ohnmächtig zu Boden sank. Irgendwann kamen keine neuen Soldaten. Stille kehrte zurück. Stille ohne Roland und Bernd. Auf dem Boden vor Annas Füßen lag Otto. Kein Roland. Kein Bernd. Auch, als sie um die Ecke blickten, waren sie nicht auffindbar. Ein Hauptleutnant der FAG, aber das konnten weder Anna noch Hein zu diesem Zeitpunkt wissen, hatte die beiden mitgenommen auf die Schwertfisch während dem Rückzug der Soldaten. Das Schiff war gerettet, die Crew nicht. Die Schwertfisch war schon lange im Schutz der Stille verschwunden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)