Der Mensch ist frei geboren von Phillia (und überall liegt er in Ketten.) ================================================================================ Kapitel 7: Typhaeus ------------------- Ein Tag verging, ohne, dass irgendetwas geschah. Paul und Max durften sich eine Kabine aussuchen und gewöhnten sich ein wenig an die anderen Crewmitglieder. Sie konnten kaum schlafen. Alles schwankte ein wenig, die Maschinen lärmten und das automatische Licht konnte nicht abgeschaltet werden. Am Morgen des nächsten Tages, während sie noch immer quälend langsam durch das Weltall glitten, nachdem eine Nicole mit tiefen Augenringen ihnen auf dem Gang entgegen gekommen war und sie in der Küche ein paar Schwarzbrote hatten ausfindig machen können, fragten sie Hans, wo die anderen Rebellen waren. Er lachte sie an und klopfte den beiden simultan auf die Schultern. „Wir sind die Rebellen! Jaaa, alle Rebellen! Okay, nicht ganz, aber wir sind so ziemlich die einzigen, die zählen.“ Er zwinkerte. „Wenn die Idioten da oben von den Rebellen reden, dann meinen sie uns.“ Mit einem selbstzufriedenen Gesichtsausdruck beobachtete er, wie sich die Überraschung auf den Gesichtern vor ihm ausbreitete. „Ja, drei Leute. Verständlich, dass wir ein wenig Hilfe brauchen, nicht wahr?“ Erneut schlug er den beiden auf die Schultern. „Aber hey, Jungs, ich muss jetzt nach oben, die Dame hier fliegen. Jette will sich nochmal auf's Ohr hauen, bevor wir unser Rendezvous haben. Die kann auch viel besser labern als ich.“ Eine Nachfrage, was für ein Rendezvous auf sie wartete, brachte kein Ergebnis. Sie hätten nicht nachfragen müssen. Nur zwei Stunden später trafen sie auf einen Fliegenden Händler, und sie traten ein, Hans blieb auf dem Schiff zurück und die beiden Frauen führten den Weg durch die Verbindungsröhre in das viel kleinere Raumschiff Peschendorfs. Die blauen Augen des Händlers leuchteten auf, als er sie empfing, aber von irgendeiner Freude war nichts zu sehen. „Frau Jenisch und Co., wie kann ich euch heute helfen?“ Peschendorf erhob sich vom langen Glastisch und nahm ein seltsames, mit Lack bemaltes, von der Decke baumelndes Musikinstrument in die Hand. „Eine Tanbur von TR-X1?“ Pauls Augen weiteten sich unmerklich. „Oder wie wäre es mit diesem Teeservice aus CH-X19?“ Der Verkäufer hatte das Instrument achtlos losgelassen, sodass es in rythmischen Bewegungen im Kreis schwang, und hatte sich einem Teeservice zugewandt, das zwei Schritte entfernt auf einem Hügel Waren balancierte, kurz davor, hinunter zu fallen. Das erste, was Jette tat, war, sich auf den Boden zu setzen, während Nicole sich mit großen Augen umschaute und alle möglichen Gegenstände anfasste, unter anderem eine Tasse des Teeservices. „Das brauchen wir!!“, teilte sie ihrer Kollegin mit, während ihr Blick fasziniert über die blauen Zeichnungen auf dem edlen Porzellan huschte. „Wir sind nicht wegen Objekten hier.“, erwiderte Jette kühl. Paul setzte sich neben sie auf einen großen Sitzsack und versank fast darin. Er konnte kaum noch zu Peschendorf sehen; inzwischen hatte es wieder seinen Platz ihnen gegenüber hinter dem Glastisch eingenommen und spielte mit einem kreisrunden Gegenstand aus Holz, einem Material, das heutzutage kaum noch gebraucht wurde, gerade für Spielzeuge. Metall war viel einfacher herzustellen, fester und flexibler. Es gab keinen Grund, sich für Holz zu interessieren, außer, man war ein fortschrittsphobischer Exzentriker, und das wollte niemand vor der Regierung sein, die darin schon fast ein Kapitalverbrechen gegen die Allianz sah. Jette schob Peschendorf einen kleinen Umschlag zu. Nicole war irgendwo im riesigen Haufen der Gegenstände verschwunden und konnte nur noch durch das Klappern, das sie verursachte, gehört, aber nicht mehr gesehen werden. Mit spitzen Fingern nahm Peschendorf den Umschlag, öffnete ihn und studierte den Inhalt genau. Dann wurde die Stirn gerunzelt und Jette sowie Paul genau angesehen. „Ihr?“, fragte Peschendorf mit ruhiger Stimme. Jette nickte kurz und abgehackt. „So.“, fügte die andere Person noch an und versank in ein nachdenkliches Schweigen, das Nicoles Gewühle nur noch lauter zu werden schien. Plötzlich kreischte sie schrill und tauchte aus dem Müllhaufen auf. „Was machen denn Mistkäfer hier?!“ Außer sich schüttelte sie die Hand, bis ein Mistkäfer auf den Glastisch flog und panisch mit den Flügeln schlug, ehe er an die Decke floh. Paul wusste nicht ganz, in welch seiner Situation er sich gerade befand. Er hatte den Kontakt zu den Rebellen aufgenommen, weil er gedacht hatte, sie würden armen Arbeitern in Städten helfen, hatte gedacht, sie würden Eisenbahnen kapern und die Lebensmittel sowie das Geld verteilen, er hatte gedacht, sie würden in letzter Instanz das Militär stürzen können. Und was taten sie? Sie saßen hier bei diesem kleinen, unscheinbaren Menschen herum, der nachdachte und keinen Plan von nichts zu haben schien. Die Rebellen bestanden nur aus drei Menschen, was an sich schon enttäuschend war und noch enttäuschender wurde, wenn man sich ihre Zusammensetzung genau ansah: ein Kind, ein Krüppel und ein Mann, der die Intelligenz nicht mit Löffeln gefressen haben zu schien. Nicht zu vergessen das Schiff, das scheinbar oftmals auseinander zu brechen schien. Und inwiefern sollten sie beiden eine wertvolle Ergänzung darstellen? Dieses Team würde doch nie einen Unterschied machen können... Wo war eigentlich Max? Er sah sich um. Nichts zu sehen. Nur aus der Ecke, aus der auch der penetrante Geruch von Öl kam, waren die Geräusche von klebenden Fußstapfen zu hören. „In Ordnung. D. hat mir gestern Informationen über die AFK zukommen lassen. Ihr kennt die Sechs, die hinter allem stehen?“ Jette nickte, was Peschendorf dazu anregte, weiter zu reden. „Also,-“ „Wart mal,“, fiel Paul ins Wort, „was für Sechs? Ich dachte, der PRÄSIDENT-“ Ein Seufzen von Jettes Seite unterbrach ihn. „Ich erkläre dir alles später. Lass Peschendorf jetzt reden.“ Paul blieb ruhig. Er brauchte dringend ein wenig Stoff. „Also, diese Sechs werden am letzten Tag des Zeitabschnitts Drei dieses Jahres alle in der Hauptzentrale zu sein.“ Peschendorf beugte sich nach vorne. Erst ab diesem Punkt wurde die Geschichte scheinbar interessant für die Rebellen, die sich unter normalen Umständen niemals in die Höhle des Löwen trauen würden. „Das ist in sechs Tagen. Und ratet mal, was zu diesem Zeitpunkt auch sein wird.“ Den Rebellen wurde nicht einmal die Chance gegeben, zu erraten, worum es sich handeln könnte, denn sofort sprach Peschendorf weiter. „Eine Überprüfung der Energieversorgung. Zwischen 001-2959 und 002-0000 planetarer Zeit werden sie keinen Strom haben. Kein Strom bedeutet kein Sicherheitsnetz. Wenn ihr Hand anlegen wollt an diese Menschen, wäre das die ideale Gelegenheit.“ Jette sah den Verhandlungspartner mit einem interessierten Blick in den Augen an. „Sie wissen genauso gut wie wir, dass wir niemals einfach so in die am strengsten bewachte Zentrale der Welt kommen.“ Peschendorf nickte. „Deswegen...“ Eine Hand wanderte unter den Tisch und kramte ein paar alte, braune Dokumente heraus. „...habe ich auch die Möglichkeit, euch Autorisationen zu fälschen. Damit solltet ihr zumindest einen Tag lang unbehelligt in die Zentrale kommen. Ich halte eine Telegraphenleitung für euch offen.“ „Und die Bezahlung?“, fragte Jette. Niemand in diesem Universum arbeitete umsonst. Peschendorf lächelte. „Bringt die Piraten zur Strecke. Ich will sie tot sehen... ich will den Kopf vom Anführer. Und dann kriegt ihr so viele gefälschte Pässe, wie ihr wollt. Sie müssen sterben.“ Kaum waren die Rebellen wieder im Schiff, landete Pauls Hand auf der Metallwand neben Jette. „Erzähl. Was meinte dieses Peschendorf-Dingsda eben mit den Sechs?“ Mit unbewegtem Gesicht sah sie ihm direkt in die Augen. „Paul. Nimm die Hand weg von dort.“, forderte sie ihn auf. Nichts geschah. „Hey Leute“, warf Nicole ein, „ich glaub, wir haben Max vergessen.“ „Ich hole ihn.“ Jette hatte scheinbar ihren spendablen Tag. „Nicole, du kannst Paul alles erklären, wenn er es unbedingt wissen will.“ „Ich muss das wissen!“, entgegnete er sofort scharf. „Ich gehöre jetzt zu euch. Ich muss alles wissen, was ihr auch wisst.“ Kaum war Jette wieder beim fliegenden Händler, setzte Nicole an, während sie mit dem kleinen Löwen spielte, indem sie ihm immer wieder einen Staubballen zuwarf. „Also. Der PRÄSIDENT ist im Grunde nur eine Puppe. Der echte Boss ist so 'ne Art Generalstab von dem alten Mann. Und der besteht aus sechs Leuten. Äh, wart mal... ja, genau. Und die wollen wir eliminieren, also töten oder wegbringen oder so, hauptsache, sie machen nichts mehr. Hans hat gesagt, dass wir die einzigen Rebellen sind, die zählen. Das ist wahr, weil nämlich, die anderen haben alle kein Hirn, aber dafür Waffen. Naja. Wir wollen also diese sechs Leute wegschaffen; dann ist die Allianz bewegungsunfähig. Und dann greifen wir an. Also nicht wir, sondern alle Rebellen. Die mit den Waffen halt. Und dann machen wir wieder Demokratie!“ Beim letzten Wort strahlte sie. „Was sind das für sechs Leute?“, hakte Paul nach. „Mal sehen. Also, da wäre einmal so eine komische Kuh... Eichinger oder so. Die ist nach außen hin sehr aktiv. Rote Haare, Sommersprossen, immer zwei Zöpfe, sehr altmodisch. Man sagt, dass sie im Geheimen noch religiös ist, aber das ist nur ein Gerücht. Sie ist 'ne Unterratsministerin, offiziell, wird aber bestimmt bald befördert.“ Noch immer spielte sie mit dem Löwen und sah Paul nicht an, während sie erzählte. „Dann der Ahrens. 'N Unterregierungsdirektorrat. Also im Regierungsrat, in der zweiten Kammer. Der tritt oft zusammen mit Eichinger auf bei öffentlichen Bekanntmachungen und sowas. Ist sehr still. Wir glauben, dass er sehr wichtig ist.“ Bevor Nicole weitermachen konnte, kehrte Jette zurück; die rechte Hand hielt das Ohr von Maximilian umklammert, als wäre er ein unartiger Schuljunge. Ihr rechter Mundwinkel zuckte auf eine unheilverkündende Art und Weise, ehe sie drei Mal gegen ein Röhre schlug, das Signal für Hans, endlich abzuheben. Dann ließ sie Max los. „Er war in einem von Peschendorfs Müllhaufen.“ Sie rümpfte die Nase. Paul betrachtete seinen Freund näher, und er sah, dass er von oben bis unten mit schwarzen Flecken besprenkelt war. „Hat sich gewehrt.“ Max lächelte verschmitzt. „Dafür hab' ich Öl!“ „Na super. Damit kannst du ja auch so viel anfangen.“ Jettes Stimme triefte geradezu vor Sarkasmus. „Kann ich dann jetzt weitererzählen, hmmm?“, warf Nicole ein, und bevor jemand antworten konnte, tat sie wie angekündigt. „Also das waren die beiden von der Regierung. Dann sind da noch zwei vom Militär. Brigadegeneral Fontane. Der ist bei der FAG. Sehr still. Gerüchte sagen, dass er kein Mensch ist. Sondern ein Roboter. Und dass er tödliche Laserstrahlen aus seinen Augen schießen kann.“ Paul musste ein wenig lächeln. Das klang doch eher unglaubwürdig. „Und so'n Hauptobersturmgeneral. Häberle. Über den ist kaum was bekannt. Aber die Leute sagen, er hätte noch mehr Probleme als der Beilschmidt.“ „Beilschmidt?“, fragte Paul. „Jahaaaaa“, Nicole genoss ihre Rolle sichtbar, „Gilbert Beilschmidt. Komischer Albino, weiße Augen, rote Haare, oder umgekehrt, keine Ahnung.“ Jette mischte sich ein. „Da er ein Albino ist, Nici, hat er helle Haare und helle Augen. Und er sieht ziemlich unattraktiv aus.“ „Ja, er ist ein Monster! Er ist Hauptbrigadegeneral, also 'n richtig hohes Tier beim Militär, und er hat so viel Blut an den Händen wie andere Leute im Herz!“ „Und dann gibt es noch seinen Bruder.“ Jette hatte sich an die Wand gelehnt und ungeduldig die Arme vor der kümmerlichen Brust überkreuzt. „Der Obersekretär des Ministers für Innere Angelegenheiten. Etwa dreißig Jahre alt, eins achtzig Meter, nie ohne Uniform anzutreffen. Mehr weiß man nicht, der Mann ist ein einziges Mysterium.“ Sie machte eine kurze Pause. „Er ist das Gehirn. Er hält alles zusammen. Wenn wir ihn aus dem Verkehr ziehen, dann sind das fünfzig Prozent der ganzen Arbeit. Das Problem ist sein Bruder, sein Bruder und das gesamte Militär.“ Paul nickte. Er verstand. „Dann treten wir dem Militär mal in den Arsch.“ Jette lächelte nicht, und er verbuchte dies als einen Erfolg. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)