Der Mensch ist frei geboren von Phillia (und überall liegt er in Ketten.) ================================================================================ Kapitel 3: Periplaneta ---------------------- Es waren Schmerzensschreie, die die stickige, verrauchte Luft erfüllten. Sie brachten den Raum zum Zittern – oder waren es die schweren Schritte der Armee, die das Lokal einer Razzia unterzog? Offiziell wurde nach illegalen Suchtmitteln gefahndet. Die AFK hatte seit Jahren mit einem sich im Steilflug nach oben befindlichen Drogengeschäft zu kämpfen; allein im Jahre 1198NZ waren dreihundert Prozent mehr Menschen an illegalen Suchtmitteln gestorben als noch 1188NZ. Aber jeder, der in den richtigen Kreisen verkehrte – und das tat man, wenn man in einer Spelunke wie dem Schwarzen Schaf einkehrte – dann wusste man, dass es sich bei dieser „Razzia“ um eine Suche nach der Rebellenorganisation handelte. Diese rütteten viel stärker an den heiligen Grundfesten der AFK, als es jedes RainbowDream oder Glassand jemals konnte, welche Wirkung diese Drogen auch immer hervorriefen. Die Rebellen hatten keinen festen Namen. Man wusste sofort, wer gemeint war, wenn von den „Rebellen“ die Rede war. Unter der Hand nannte man sie die Verbotenen, die Retter, die Rächer, oder, wenn man wahrlich geheimnisvoll wirken wollte, die Kätzchen. Niemand wusste, wer sie gegründet hatte, niemand wusste, wie viele Menschen tatsächlich beteiligt waren. Das einzige, was man wusste, war, dass sie schon zahlreiche Lokomotivennetze unbenutzbar gemacht hatten, dass sie regelmäßig Raketen vom Start abhielten und niemand sie jemals hatte erwischen können, geschweige denn, auch nur einen Blick auf sie hatte werfen können. Nein, sie waren keine der anderen Rebellenorganisationen, die Namen getragen hatten wie die Ritter des Lichts oder die Wahren Agenten oder ähnliches lächerliches und nach wenigen Monaten ausnahmslos von der FAG – der Freien Armee der Gerechtigkeit, die sich keine schlechtere Abkürzung hatte wählen können – zertrümmert worden war. Wofür die Rebellen kämpften? Das wusste man genausowenig zu sagen. Nur eines schien sicher zu sein: sie waren gegen die Regierung gesinnt, und das brachte ihnen viele Sympathien in der Bevölkerung ein. Wäre das Militär nicht so stark, wäre in der AFK schon längst eine Rebellion bisher ungekannten Ausmaßes ausgebrochen. Aber die Lebensumstände der Menschen auf den Planeten gehörte nicht an diesen Ort, denn an diesen Ort gehörte, wie ein Trupp hochdisziplinierter, bewaffneter Söldner im Schwarzen Schaf stand und sofort begann, die zwielichtigen Gestalten darin zu durchsuchen – oder niederzuknüppeln mit den Kupferwaffen, die sie bei sich trugen. Nur ausgewählte Spezialeinheiten waren mit Revolvern bewaffnet, die langsam hergestellt wurden und von denen daher eine permanente Knappheit bestand. Der Rest des Fußsoldaten trugen lange, teils verrostete Rohre, die ihre Wirkung allerdings auch nicht verfehlten. Paul und Max hatten keine Ahnung, wie sie in diese unangenehme Situation gekommen waren, und vor allem, wie sie wieder aus ihr entfliehen konnten. Die fremde Gestalt ergriff ihre Hände, während die laute, dominante, aber überraschend ruhige Stimme des Hauptleutnants alle Anwesenden aufforderte, auf der Stelle still zu sein. Das erzielte den gegenteiligen Effekt als gewünscht – niemand in diesem Lokal war dem Militär zugeneigt, hatte doch jeder schon herbe Verluste erleiden müssen durch die grausamen Hände der Truppen. Es war schnell vorbei. Man konnte kaum einmal blinzeln, und das Massaker hatte schon wieder sein Ende genommen. Den Truppen war gelehrt worden, dass der Abschaum in den Vororten nicht besser war als Würmer unter ihren schweren Stiefeln, und dass sie keine Rücksicht nehmen durften. Das Militär verlor einen Mann und einen Arm. Karol hatte eine ganze Bar voller Leichen, die er später würde aufräumen müssen. Und Maximilian, Paul und die fremde Frau waren verschwunden. Die Straßen waren mit Schmutz übersät. Der Müll lagerte in großen Bergen an den Rändern des Automobilweges. Die Autos, die entlangfuhren, waren ausschließlich grau und hinterließen jeweils eine dichte Dampfwolke in der Luft. Aus diesem Grund war die maximale Anzahl von Fahrzeugen auch streng reglementiert; kein Grund, diese Regeln nicht zu umgehen und noch mehr Autos fahren zu lassen. Es war am sichersten, durch die Müllberge zu waten, wenn man nicht von den Militärpatrouillen entdeckt werden wollte, die regelmäßig, auch während der heranbrechenden Dunkelheit, die Straßen abfuhren in ihren kugelsicheren, metallenen Käfigen. Zu dritt huschten sie umgeben von den Abfällen von tausenden von Haushalten entlang, bis sich eine kleine Seitengasse auftat, in die sie schlüpfen konnten. Relativ frische Luft füllte ihre Lungen und erlaubte ihnen, wieder zu sprechen. Aber bevor einer der beiden Männer etwas sagen konnte, hatte die Frau schon die Stimme erhoben. „Meine Güte.“ Auf dem Boden krabbelten aus der Richtung des Mülls zwei Kakerlaken heran, die gnadenlos unter einem Lederstiefel zerdrückt wurden. Die fremde Gestalt sah sich aufmerksam um, dann nahm sie ihre Kapuze ab und enthüllte rote, gelockte Haare, schmale Gesichtszüge und irritierend türkisfarbene Augen, die trotz der aufziehenden Dämmerung und den meterweit in die Höhe ragenden Gebäude neben ihnen geradezu strahlten. „Wenn wir jedes Mal in eine Razzia rennen, wenn wir neue Mitglieder rekrutieren, dann aber gute Nacht.“ Paul hüstelte. Obwohl die Person lächelte, erschien ihm ihr Blick dennoch eiskalt und grausam zu sein, und eine Gänsehaut lief ihm über den Rücken. „Na, dann einfach Pause machen nach uns, wa?“ Der verwirrte Blick Maximilians war zwischen den beiden hin- und hergehuscht, bis ihm scheinbar ein Licht aufgegangen war. „Achsooo, Sie sind hier der Chef der Rebellen!! Also, unsere Kontaktperson!“ Paul ignorierte ihn geflissentlich. „Na, wie toll, Sie kennen zu lernen. Ich bin der Max!“ Freundlich streckte er der Frau eine Hand hin. Sie reagierte nicht. „Wir müssen bis um 002-512 bei unserem Schiff angekommen sein, ansonsten heben sie ohne uns ab. Bitte etwas Beeilung. Zu freundlich.“ Die Gänsehaut intensivierte sich, während sie wieder anfingen zu rennen und die andere Person, ohne sich vorzustellen, die Kapuze wieder über den Kopf gezogen hatte. Sie humpelte ein wenig, fiel Paul auf. Exakt um 002-509, also sehr knapp vor der Zeit, kamen sie am Schiff an; Paul und Max waren außer Atem, während der ewig zu dauern scheinende Dauerlauf bei der Rebellin keine Spuren zu hinterlassen haben schien. Sie schritt würdevoll durch den langen Steingarten am Rande der Stadt, wo niemand ihnen zusah. Sie waren einigen Militärkontrollen entronnen, die zurzeit noch fieberhaft nach dem vermuteten Rebellen in der Umgebung suchten. Das Schiff war nicht sehr beeindruckend – zumindest nicht für jemanden, der noch nie diese Shuttles gesehen hatte. Das bis dato komplizierteste technische Hilfsmittel, das Maximilian und Paul bekannt war, waren die Roboter, die die einfachste Polizeiarbeit erledigten, mit mäßigem Erfolg. Das Kupfer war oxidiert und glänzte dunkel. Die Sonnenschirme, die dazu dienten, das Sonnenlicht im Weltall zu fangen und als zusätzliche Energie zu nutzen, waren voller Löcher und wären wohl schon lange nicht mehr funktionsfähig gewesen, wenn man die Streben vor langer Zeit nicht schon ausgetauscht hätte. Im großen Bauch, unsichtbar für die von außen betrachtenden Zuschauer, saß die Dampfmaschine, die das Raumschiff größtenteils antrieb, und schon mehrere Jahrzehnte überdauert hatte. Jeder Flug war immer wieder ein Spiel mit dem Zufall, ob man überlebte – oder eben abstürzte. Eine kleine Luke am Rande – gerade groß genug, um einen nicht zu stabil gebauten Mann hindurch zu lassen – war geöffnet, und das allgegenwärtige Licht der trüben Gaslampen schien in die Dämmerung hinaus. Geschicht kletterte die Fremde hinein und reichte erst Paul und dann Maximilian eine Hand. Nach ihnen wurde die Luke geschlossen, und die beiden knieten erschöpft auf dem kupfernen Boden des Gefährts. Eine tiefe Stimme erklang direkt vor ihren Köpfen. 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