Morbus Amatoris von Phantom (Liebeskrank) ================================================================================ Kapitel 6: est -------------- Und sie gehorchte. Erst wie das Klackern eines fahrenden Zuges, ersetzte sein Name bald jedes Ausatmen von ihr. Der klanglose, wertlose Name seines idiotischen Vaters. Der Name, den auch seine Mutter wieder und wieder gestöhnt hatte in der Nacht, da er geschaffen wurde. Tom… Tom… Er stellte sich vor, wie sein Vater breitbeinig, herrisch auf dem sündhaft teuren Biedermeiersofa saß, im Frack, und seine Mutter, in ihren bedauernswerten Kleidern, welche ihr nur noch am Becken hingen, auf seinem Schoß, sich an seinen strahlend weißen Kragen klammernd. Sie starb in jedem ihrer Küsse, die seinen markanten Zügen nicht eine einzige Regung abforderten; sie saugte aus seinen unbarmherzig grinsenden Lippen das bittere Elixier ihres Lebens. Ihre Armut an Glanz und Grazie ließ ihn herrschen, und schließlich waren es seine Machtverliebtheit, seine Selbstgefälligkeit, sein Sadismus, die ihn sich irgendwann erheben und sie auf das große Bett werfen ließen. „Mein Name… Sag’ ihn!“ Sie leistete ergeben Folge, krallte sich in sein Hemd und zog ihn zu sich hinunter. Riddles Hände zu beiden Seiten ihres Kopfes verdeutlichten ihre inexistenten Chancen zur Flucht. Illuminas schwarzes Haar floss zu allen Seiten in verspielten Strömen von ihrem Haupt fort, schmeichelte seinen wie von Pech umworbenen Fingern. Tom… Oh, Tom… „Streng’ dich mehr an, du dummes Ding. Wenn du willst, dass ich dich von deinem jämmerlichen Drang befreie, zeige mir, dass du meines Mitgefühls wert bist, wenn schon nicht mein Geld und meine Liebe.“ Sie wand sich unter ihm wie unter einem Cruciatus-Fluch, stöhnte. Stöhnte seinen Namen. „Es wird niemand anderen in deinem Leben geben, nur mich. Nur mich. Ich bin du. Du bist ein Teil von mir. Du willst ein Teil von mir sein, nicht wahr?“ Illumina nickte irrsinnig und rang um ausreichend Sauerstoff, um antworten zu können: „Ja! Ja!“ Seine belohnenden Küsse entriss sie ihm wie eine Verhungernde. „Ergib dich mir… Diene mir… Sieh zu mir hinauf… Deinem Meister.“ Als sich seine dünnen Finger zusammenzogen wie die Beine einer sterbenden Spinne, klemmten sie Bettlaken und Haarsträhnen ein. Er hob seinen Kopf. „Name…“ – „Tom…“ Der Ausdruck eines zur Verzweiflung getriebenen Leidens war in seine Miene getreten. „Noch mal…“ Tom, bitte… „Was hast du, Merope? Ist es nicht das, was du wolltest? Hast du dir diesen Moment nicht schon immer erträumt? Im Bett des wunderhübschen Tom Riddles zu liegen, mit ihm die Nacht zu verbringen? Bilde dir nichts ein, Dummerchen. Du bist nur eine von Hunderten, und eine von den hundert Hässlichsten noch dazu. Der einzige Grund, weshalb ich dich mein Zimmer verpesten lasse, ist Rache.“ Riddle warf ein Bein über die ihren, ohne den intensiven Kuss zu unterbrechen, stützte sich auf seinen Knien ab und ließ die Hände tätig werden. Merope schlang ihre Arme um ihn, presste seinen Kopf an den ihren, dass es wehtat. Fahrig wischte er über ihr bloßes Bein, wie sie es bei ihm getan hatte, doch um auf dieselbe Weise mit ihr zu spielen, fehlte ihm die Beherrschung. Beider Bewegungen folgten immer weniger einem Prinzip; es ging nur noch darum, den anderen so oft und so schnell wie möglich zu berühren. Nur eine Bitte hegte er noch: Um sie ihr verständlich zu machen, griff er mitten im Sturm dieses entfesselten Treibens nach ihrer Hand und legte sie unmittelbar über seinem Gürtel auf seinen Bauch, sodass ihre Fingerkuppen noch den kühlen Stahl des Verschlusses berührten. „Tom, ich kann nicht mehr…“ Er öffnete die glühenden Augen. „Bitte… Bitte, Illumina… Du musst es tun… Ich kann es nicht… Illumina, ich bitte dich!“ Merope stürzte sich auf alles, was sie von seinem Vater zu fassen bekam, und wie die Hexe, die sämtliche Schauermärchen in sich vereint, zerrte sie an seinem edlen, onyxschwarzen Smoking. „Wie ein Geier“, spottete Thomas Riddle auch jetzt noch. „Armes, kleines, dummes Ding. Wie seltsam, dass ich geneigt bin, mit dir diese Verbindung einzugehen. Niemals wirst du jemand anderen kriegen. Niemals wird dich irgendjemand lieben. Wie denn auch? Du selbst kannst es ja nicht! Begehre! Rede dir ein, dass du es tust! Ersticke mit jedem Kuss die Widerworte der Wahrheit; fege mit deinen sanften Händen alle Zweifel hinweg! Alles, was dir am Ende bleibt, ist Hass. Es gibt keine Liebe. Nicht für dich – Tom!“ Er schrak auf. Stolperte vom Bett und stemmte sich keuchend gegen die Stuhllehne. Weiß schimmernd klebten ihm die schwarzen Locken auf der nassen Stirn. Jedes seiner Kleidungsstücke schien vor Feuchtigkeit zu einer zweiten Haut geworden zu sein. Eine Welle des Ekels überrollte ihn. Irgendetwas in seiner Mitte fühlte sich schwer an. Er wollte gar nicht daran denken, was es war. Ansonsten? War das alles? Kein in einem Ausbruch der fanatischen Ekstase endender Rausch? Kein Zusammenbruch nach dem steilen Aufstieg mit allmählicher Rückkehr in die Realität? Kein inniger Kuss, der auf leise Danksagungen folgt, die gleichzeitig etwas versprechen? Kein Schmetterling, der mit seinen Flügeln flatternd die Pollen zarter Friedlichkeit verteilt? Wo war sie, die Liebe; war sie nicht eben greifbar gewesen? Ist sie nicht doch nur Sache des Verstandes, und ist das, was der Körper abkriegt, nicht etwas bedauernswert anderes? Hinter ihm knarrte das alte Holzbett, als Illumina sich schnaufend darin aufrichtete. „Was ist…? Oh, Tom, es tut mir so Leid. Es ist nur… Du hast mich darum gebeten, und… Was hätte ich tun sollen?“ Er presste die Augen zu. Gott, ihm war so schlecht… „Was ist mit dir? Geht es dir nicht gut? Tom, sollen wir aufh…?“ „Nenn’ mich nicht TOM!“ Er hörte sie zitternd nach Luft schnappen. Ihren panischen Blick sah er selbst noch in der schmerzenden Schwärze hinter seinen Lidern. „Beruhige dich, To… ganz ruhig. Alles ist gut. Ich… weiß nicht, was du hast… aber wir können bestimmt was dagegen machen. Komm… Komm her zu mir.“ Mit brennenden Augen wirbelte er herum. „Kapierst du es nicht?! Ich kann – keine – Liebe empfinden!“ Ihm begegnete eingeschüchterte Verwirrung, und er wusste, dass sie sich am liebsten an ihm vorbei aus dem Zimmer geschlichen hätte, wenn sie nur könnte, so wie es Illumina Nyx sekundenlang für das Beste gehalten, ehe sie ihn nach Verteidigung gegen die dunklen Künste zum ersten Mal angesprochen hatte. Hätte sie nur auf ihre Eingebung gehört… hätte sie nur… Das Nächstbeste in seiner Reichweite schleuderte er gegen den Spiegel, der kreischend in tausend Splitter zersprang. „Danke, Mutter!“ Riddle spie das Wort aus, als gäbe es keines, das er mit größerer Verachtung in den Mund nahm. Anschließend schwand seine Kraft, aus Hass geboren, und er musste sich auf den Stuhl niederlassen. Keine Haltung. Keine Anmut. Illumina hatte ihn niemals so verletzt gesehen. Sie dachte daran, aufzustehen, auf ihn zuzugehen, ihn einfach in die Arme zu nehmen, ihn zu wiegen, das Haar aus seinem Gesicht zu streichen. Warum sollte sie zögern? Einmal war sie bereits auf ihn zugekommen, und sie hatte es nicht bereut. Seine Schultern bebten. Ob er weinte? Sie konnte beim besten Willen nicht begreifen, was soeben geschehen war. Sie wusste lediglich, dass es sich um etwas Echtes und Ernsthaftes handelte, und das genügte. Tom war nicht wie andere. Tom war einsam. Tom war auch schwierig, aber das würde sie nicht verjagen. Sie liebte ihn und war entschlossen, ihm dieses Glück zu schenken, ihn lächeln zu machen, egal wie lange es brauchen würde. Behutsam schob sie ihren Fuß zur Bettkante, um ihn auf dem Boden abzusetzen. Dann hörte sie ein Kichern. Frostig, humorlos, markerschütternd. Wie verhungernde Kücken. Wie eine Säge, die durch Knochen schneidet. Riddle brach in Gelächter aus und hatte Mühe, sich zu fangen. „Du machst mir Angst…“, warnte sie ihn mutlos. Er drehte sich zu ihr, und sein schiefes Grinsen entsetzte sie. Seine Augen waren kalt, unnatürlich kalt. Nicht kalt wie Eis, sondern kalt wie – ihr fiel nichts ein, das einem Vergleich angemessener war – kalt wie eine Leiche. Illumina hatte nie eine angefasst, und doch: Jetzt vermochte sie sich lebhaft vorzustellen, wie sich so eine anfühlte. Wie konnte ein Mensch so tot sein? Die Gewissheit drängte sich ihr auf, dass er sie umbringen würde. Mit müßiger Eleganz schlich er um das Bett her und fokussierte sie mit den gierigen Augen einer Schlange. Wenn er nun sprach, verkümmerte seine Stimme gelegentlich zu einem scharfen Zischen, das ihn diesem Reptilwesen nicht unähnlicher machte. In Muggelkunde, meinte sie sich zu entsinnen, hatten sie erfahren, dass die Muggel Schlangen als etwas bösartig Verführerisches ansehen; dass eine Schlange Schuld daran habe, dass die Frau bei der Geburt so leiden muss. Sie wusste nicht genau, weshalb sie jetzt daran dachte. „Ich sehe das Unverständnis in deinen Augen, Illumina“, verriet er ihr, bedrohlich leise und doch süß wie Honig. „Gewährst du mir, deine Gedanken zu erraten? Du kannst dir nicht vorstellen, wie es möglich sein kann, der Liebe nicht fähig zu sein – es sei dir vergönnt. Schließlich bist du nur irgendeiner von allen, du bist nicht ich, du hast Glück gehabt. Oh, nur keine Panik, meine Kleine: Ich bin dir nicht böse, weil du mich nicht verstehen kannst. Ich bin dir überhaupt nicht böse. Ehrlich gesagt: Falls ich überhaupt böse bin – mache ich denn ernsthaft den Eindruck? – falls überhaupt, dann niemals auf dich, unwissendes Ding. Du bist bloß Mittel, Illumina, ein Pflasterstein auf meinem langen, beschwerlichen Weg zum Triumph, auf den ich trete und sonst nicht weiter beachte. Du willst mehr, nicht wahr? Du willst mich. Willst mich spüren. Armes, kleines Illuminchen…“ Er stützte seine Hände neben ihr auf das Bett. Ein in Flammen stehender Himmel schien sich hinter seinen Iriden zu befinden – oder noch treffender: Ein Meer von Blut. „Leider, leider ist es mit dir so spannend, wie einer Eule beim Schlafen zuzugucken. Ich fühle nichts… Nichts, Illumina. Nichts! Ich bin gefühllos. Du kannst sagen, ich bin ein Monster. Weißt du, wie es sich anfühlt, ein Monster zu sein? Nein, natürlich nicht. Und soll ich dir etwas verraten? Ich weiß es auch nicht! Denn ich fühle ja nichts!“ Riddle zuckte vor mühsam unterdrücktem Lachen. „Tom, bitte… Du machst mir Angst.“ Er schoss in die Gerade, wackelte affektiert mit den langen Händen und äffte sie mit überspitzt hoher Stimme nach: „"Tom, bitte! Du machst mir Aahaaangst"!“ In der nächsten Sekunde war er wieder ausgekühlt. „Wenn dies alles ist, was du dem Angesicht des Todes entgegenzusetzen hast, dann bist du noch armseliger, als ich befürchtet habe.“ Sie brauchte eine Weile, um zu kombinieren. „Du wirst mich töten?“ „Töten?“, wiederholte er, als hätte sie ihm vorgeworfen, auf die Mädchentoilette zu gehen. „Wie kommst du denn darauf? Ich plaudere hier lediglich mit dir über die schwarzen Abgründe meiner Seele, zerstöre nebenbei die deine, lasse dich aber danach fröhlich zurück nach Hogwarts spazieren, wo du den Lehrern berichten kannst und wirst, wie der Vertrauensschüler Tom Riddle tatsächlich tickt, und freue mich darüber, meinen tadellosen Ruf ruiniert zu haben – für nichts. Abgesehen davon, dass dir niemand glauben würde…“ „Hör’ auf… so zu reden…“ Sie schrak wimmernd zusammen, als er an sie heranschnellte wie der Kopf der giftigen Schlange, nur um mit der Nase bedächtig über ihren Hals, ihre Wange, ihren Haaransatz zu streichen, als würde er nach der geeigneten Bissstelle wittern. Dann seufzte er innig. „Wie gut du riechst… Grüner Apfel… Einnehmend und doch dezent… Neu… Hast du es für mich gekauft? Oh. Und was ist das? …Ist das etwa Angst?“ Illumina schniefte kauernd. „Du bist betrunken…“ „Und ich muss zugeben, das war eine glänzende Idee von dir.“ „Töte mich nicht…“ „Schhh…“ Riddles Augen starrten durch sie hin, während seine Hand gar mütterlich über ihr Gesicht fuhr. „Willst du mich denn gar nicht mehr? Nun kennst du meine Gedanken, mein Ich, doch mein Körper ist immer noch derselbe. Ihn wolltest du doch? Hier… Lass deine Hand horchen… Vielleicht spürst du ja mein Herz… Ich muss gestehen, ich habe dir nicht ganz die Wahrheit gesagt, als ich behauptete, gar nichts zu fühlen. Es gibt da etwas, das fühle sogar ich… sogar ich… sogar ich…“ Er küsste sie. Küsste sie wie beim ersten Mal. Er legte seine heißen Lippen auf die ihren und zog sie wieder zurück, leidenschaftlich und doch behutsam wie der Pianist, der sich in seiner Musik verlieren würde. Tom Marvolo Riddle tanzte nach seiner eigenen Musik. Eine schrille Melodie der Grausamkeit, die immerwährend in seinem Kopf spielte und die sich, je älter er wurde, je schlimmer seine Überzeugungen wucherten, lauter und lauter stellte, bis irgendwann niemand, niemand mehr zu ihm durchdringen könnte. „Töte mich nicht…“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)