Der Traum des Magiers von Leia_de_Flourite (zwei Magier, zwei kaputte Existenzen) ================================================================================ Kapitel 1: Der Traum des Magiers -------------------------------- Smile like you mean it And let yourself let go 'Cause it's all in the hands Of a bitter, bitter man Say goodbye to the world you thought you lived in Mika, “My Interpretation/Any Other World” ___________________________ Es heißt, wenn eine Seele verletzt wurde und sie wund und offen frei liegt, dann ist sie empfindlich für die Schmerzen jener, die ähnliches durchgemacht haben. Es heißt, wenn zwei Seelen ähnlich gelitten haben, wenn es Überschneidungen in den Schicksalen ihrer Besitzer gibt, dann kann es sein, dass sie sich in der Welt der Träume berühren. Wenn dieses Phänomen auftritt, dann spielt es keine Rolle, wie weit man voneinander entfernt ist oder welche Sprache man spricht. Wir erhaschen dann einen Einblick in das Leben anderer. Einen Einblick darauf, was wir hätten anders machen können. Und manchmal ist das das Einzige, das wir brauchen um eine neue Perspektive für die Dinge zu bekommen. Oder um uns in unserem Weg zu bestärken. Das unnatürliche Quaken einer Kröte, das dem Geräusch eines erstickenden Menschen glich, zerriss die Stille der Nacht. Der Junge bekam davon nichts mit, er war gefangen in seinen Alpträumen und die Prinzessin wälzte sich von einer Seite zur anderen, wie sie es im Schlaf unzählige Male zu tun pflegte. Fyes Hände verkrallten sich in dem Gras, als der Magier ruckartig sein verbliebenes Auge aufschlug. Während er seinen Oberkörper aufsetzte – er schlief bevorzugt auf dem Bauch – noch halb im Traum versunken und unfähig, seine lächelnde Maske schon aufzusetzen, wischte er sich mit der Handkante über die Wange wie ein sich putzendes Kätzchen. Ein trauriges Kätzchen. „Schlaf weiter, Idiot“, tönte ein leises Knurren unter dem Mondschatten eines Baumes. Zwei rote Augen funkelten in der Dunkelheit. „Es war nichts.“ „Wenn du das glauben würdest, Kurogane, warum warst du dann kurz davor dein Schwert zu ziehen?“, fragte Fye und für einen Moment sah sein Auge tatsächlich aus wie das einer Katze; golden, mit einer verengten Pupille, die kaum mehr war als ein Schlitz. Das Vampirblut in seinem Körper hatte einige seiner Sinne geschärft, sodass er die Silhouette des Ninjas deutlich sehen konnte. Auch die Hand, die langsam von Souhi’s Griff zurück gezogen wurde. Beim nächsten Wimpernschlag war die Iris wieder blau leuchtend, von der Farbe brennenden Butangases. Der Stoff von Kuroganes Kleidung raschelte, als dieser die Arme vor der Brust verschränkte und zurück blaffte: „Du hast Dreck an der Wange!“ Fye grinste über diese so offensichtliche Art seines Reisegefährten seinen Unmut darüber auszudrücken, dass man ihn ertappt hatte. „Dann sollte ich ihn wohl lieber mal abwaschen gehen, was?“, erwiderte der Magier und stand auf, stieg mit eleganten und selbstsicheren Schritten den kleinen Hügel vor dem Waldrand herunter. Dieser führte zu einem Teich, der die Quelle weiterer erstickter Geräusche war. „Verdammt“, knurrte Kurogane, weil er dem Magier einen Vorwand gegeben hatte sich zu verdrücken. Etwas Warmes bewegte sich in seinen Kleidern, also packte er es und schleuderte das weiße Wollknäuel von sich weg. „Such dir einen anderen Schlafplatz, verdammt.“ Und damit legte der Ninja sich wieder auf die Seite, gab vor weiter schlafen zu wollen. Mokona schüttelte sich, hätte am liebsten laut geschimpft, aber sie wollte Sakura und „Shaolan“ nicht wecken. Außerdem spürte sie eine große Einsamkeit, die von Fye ausging. Also hüpfte das weiße hasenartige Wesen dem Magier hinterher. Sie hatte so eine Ahnung, dass Kuro-sama sie absichtlich geweckt hatte, um dem blonden Gesellschaft zu leisten, weil er sich Sorgen um den anderen machte. Sie beschloss, den großen Schwarzen später damit aufzuziehen und bewunderte ihren Mut, sich solcher Gefahr auszusetzen. ~*+*~ Der Magier kniete am Rande des Teiches, sammelte Wasser in seinen Handflächen und starrte dann auf die Oberfläche der Pfützen, als wolle er darin sein Spiegelbild betrachten. Das war natürlich nicht möglich, weil das Wasser stetig durch seine Finger rann und auf seine Oberschenkel tropfte, sodass es keine ruhige Oberfläche gab, an der das Mondlicht sich spiegeln konnte. Hätte er wirklich sein Spiegelbild sehen wollen, dann hätte er auf den See blicken müssen, doch in Wahrheit hatte Fye Angst, was ihn für ein Anblick erwarten würde. Es war möglich, die Zukunft in den Gesichtern zu lesen. Er selbst beherrschte diese Art der Wahrsagerei zwar nicht, aber welche Zukunft konnte schon in dem Gesicht eines Lügners, Betrügers und Verfluchten liegen? „Hast du schlecht geschlafen, Fye?“ Sein Auge weitete sich, aber als er erkannte, dass es Mokona war, die ihm gefolgt war, legte sich der beunruhigte Ausdruck wieder. Für einen Moment hatte er damit gerechnet... Nun, das war nicht wichtig. Er setzte ein Lächeln auf, aber seit sie Tokyo verlassen hatten, wirkte es nicht mehr so ausgelassen. „Nein, ich hatte nur das Bedürfnis, mir ein wenig die Beine zu vertreten.“ „Du kannst Mokona nicht belügen, denn Mokona weiß, wenn jemand schlecht träumt. Das ist eine meiner 108 Geheimtechniken!“ Sie legte eine dramaturgische Pause ein und Fye spendierte ihr einen kleinen halbherzigen „Das ist ja toll“-Applaus. „Und Fye? Wovon hast du geträumt?“, fragte das Fellknäuel. Der Magier setzte sich in eine bequemere Position, die Beine an den Körper gezogen und die Arme um die Knie gezogen. Ja, es hatte etwas von einem Kind an sich, aber es gab auch niemanden, der ihn so sehen würde außer dem Wesen, dass seine Einsamkeit ohnehin spüren konnte. Für den Moment gab es nichts zu verstecken. „Ich weiß nicht, ob ich davon erzählen darf. Es war nicht wirklich ein Traum, es fühlte sich mehr wie Erinnerungen an. Aber nicht meine. Das ist ulkig, denn ich bin kein Traumseher.“ „Yuuko sagte mal, wenn zwei Seelen sich nah genug stehen, wenn sie parallel laufen, dann kann der Eine mit den Augen des Anderen sehen.“ „Was bedeutet das, ’wenn sie parallel laufen’?“ Mokona schüttelte den Kopf. „Das weiß ich nicht; Yuuko hat es mir erklärt, aber ich habe es nicht verstanden.“ Es war die erste Lüge, die Mokona je erzählte, aber es war eine Notlüge, denn wenn sie die Wahrheit gesagt hätte, dann hätte Fye darüber geschwiegen. Und wie sollte Mokona ihm dann helfen weniger einsam zu sein? In das Leben eines anderen zu blicken war nur möglich, wenn es genügend Schnittstellen gab – gravierende Ereignisse von Bedeutsamkeit, die die Seele verletzten und an der Stelle wund und empfänglich machten. „Also weißt du, wer es war? Meinst du, wir werden ihm noch begegnen?“, piepste das Wesen. „Es war jemand mit einem lustigen Nachnamen. Und er war ein Magier, auch wenn dieses Wort für ihn eine andere Bedeutung hat. Aber die Welt, in der er lebt, scheint keine zu sein, in die wir gelangen können.“ Das Gefühl, das der Traum hinterlassen hatte, war schwer zu umschreiben, denn die Umgebung war von einer merkwürdigen Textur gewesen, die den Verstand schmerzte. [1] ’Aber er fühlt sich beobachtet. Bei allem, was er tut, weiß er, dass er beobachtet wird.’ Dieses Gefühl zu erfassen war einfacher gewesen, weil es vertrauter war. „Ist er einsam?“, fragte Mokona. „Ja. Er hat das verloren, was ihm am wichtigsten war. Er weiß, dass er es nie zurück bekommen wird und er versucht, sich damit abzufinden, dass er es verloren hat, indem er die Person jagt, die es ihm genommen hat.“ Fast unbemerkt wanderte Fyes Hand zu seiner Schläfe und massierte sie. Der Magier aus Ceres hatte keine Kopfschmerzen, aber während seinem Traum hatte er sie gehabt, konstant pochend, als hätte man den schlimmsten Kater seines Lebens. Dieser Schmerz war ein Überbleibsel gewesen, Phantomschmerzen eines Verstandes an der Grenze zwischen Wahnsinn und Wahrnehmung. Fast konnte Fye noch den Geruch alten Leders riechen, der ihn heimgesucht hatte und in seinem Geist flackerte ein rotes Zeichen auf. Mit Blut gemalt, gehörte es keiner Schrift an sondern einer weit universelleren Art der Kommunikation. Wenige Striche in einem Kreis, die ein schadenfroh grinsendes Gesicht darstellten. Aber es war die Farbe, die es so makaber und geschmacklos wirken ließ. So grell – sie musste noch frisch sein. „Er hat ihre Fingernägel angemalt...“, sagte Fye zu sich selbst, für den Moment war Mokona vergessen. ’Er malte sie rot, mit ihrem eigenen Blut. Deshalb gaben sie ihm diesen Namen… Red John.’ Mokona wimmerte, litt unter der Düsternis, die in Fyes Gedanken lag. „Er war selbst schuld, dass das passiert ist“, fuhr der Magier fort, versuchte sich dadurch zu erinnern, dass er es sich selbst vorsagte. Seine Gedanken weilten jetzt nicht mehr bei dem Mann, der jenes Zeichen hinterließ, er konzentrierte sich auf den, dessen Erinnerungen er geteilt hatte. „Es war seine Entscheidung, die zum Tod der von ihm geliebten Menschen geführt hat.“ Er musste sich zusammen reißen, um nicht zu weinen, denn das Gefühl war ihm so bekannt, dass es schon fast wie heimkommen war. Doch es war ein kaltes, lebloses Heim mit einem verlassenen Bett, in dem selten jemand schlief. Die Erinnerungen an den Traum verblassten, zurück blieb nur ein Gefühl von Einsamkeit, Schuld und etwas, dass Fye in diesem Ausmaße nicht gewohnt war: Rachsucht. Dieser Mann aus seinem Traum... er hatte die Personen um sich auf Distanz gehalten, mit einer Mischung aus Arroganz und Freundlichkeit. Hinter seinem falschen Lächeln verbarg sich nichts als Wut und doch beneidete Fye ihn irgendwie. Dieser Mensch – Jane, richtig, das war sein Name gewesen – handelte. Es spielte dabei keine Rolle, ob Janes Entscheidungen sich letztlich als das Falsche oder das Richtige erwiesen, so etwas ließ sich ohnehin nie vorhersagen. Sie waren beide Magier ohne zu zaubern und beide Gefangene ihrer Ängste; Spielfiguren im Plan eines grausamen Spielmeisters. Nur der Eine war ein wenig freier als der Andere. Fye beneidete Jane darum, aber er wusste auch eines: Entscheidungen brachten Verantwortung mit sich. Und ganz egal, was er tat, Menschen würden leiden. Menschen, die ihm ans Herz gewachsen waren. Er wollte nicht die Verantwortung dafür nehmen. Eigentlich wollte er nur mit seinem erbärmlichen Leben das Beste anfangen indem er die Scherben von all den Dingen auflas, die er zerbrochen hatte. Er wollte seine kleine Prinzessin nur noch einmal lächeln sehen; wollte Kurogane von diesem schrecklichen Blutband erlösen, dass der Ninja ihnen beiden aufgedrängt hatte und er wollte sein Leben seinem Bruder schenken; wohl wissend, das der echte Fye mehr damit anzufangen wüsste, weil an seinen Händen nicht die Sünde des Brudermords klebte. Ganz egal, wie viele Lügen er noch auf dieser Reise erzählen musste – sein Tod würde aufrichtig sein. Auch wenn das bedeutete, dass er den Menschen, der ihm am meisten bedeutete, von sich weisen musste. Es war okay, wenn er den Anderen gleichgültig wurde. Er hätte es ohnehin nicht ertragen, wenn man ihm nachtrauerte. Er hatte es nicht verdient. Fye stand auf und streckte seine Glieder. Seine Beine kribbelten schon, wären fast eingeschlafen „Fye?“, fragte Mokona traurig und hüpfte dem Blonden entgegen, der es geschickt auffing, „ist wirklich alles in Ordnung?“ Er schaffte es, sich in ein aufgesetzt heiteres Lächeln zu flüchten. „Aber natürlich. Es war nur ein Traum. Na komm, lass uns zurück gehen. Wer weiß, ob wir in den nächsten Tagen zum schlafen kommen, nicht?“ Auch wenn Mokona seine Fassade durchschaute – Fye musste lächeln. Das war der beste Weg, sie auf Distanz zu halten: sie glauben zu lassen, seine Sorgen wögen nicht so schwer wie die ihren. So war es besser für sie alle. ___________________________ If half of what you say is true And half of what I do, too It could be different Mika, “My Interpretation” ___________________________ Er wachte auf, weil der Schmerz ihn übermannte, scharf und stechend. In kalten Schweiß gebadet schreckte der blonde Mann hoch und bedeckte sein linkes Auge. Dann rieb er es vorsichtig, als wolle er sich vergewissern, dass es noch da ist. Es war noch da. Er war noch da. Er war noch derselbe, der sich am Vorabend zu Bett zur Ruhe gelegt hatte, komplett bekleidet. Derselbe einsame Zyniker. Alles war wie an jedem morgen; die Alpträume und die Kopfschmerzen dominierten seinen unregelmäßigen Schlaf-Wach-Rhythmus. Und doch war etwas anders, auch wenn er nicht mit dem Finger darauf deuten konnte. Dabei war er gut mit den Details, das konnte jeder bestätigen. Er seufzte und fuhr sich durch die Haare, brachte die kurzen Locken in Ordnung. Ein tadelloses Äußeres erspart einem lästige Fragen nach dem Befinden von Menschen, die die Antworten ohnehin nicht wissen wollen. Zumindest nicht die ganze Wahrheit. Es ist bequemer, das Team auf Abstand zu halten, sie wüssten ohnehin nichts mit seinem Kummer anzufangen und er kann es sich nicht leisten, dass sie ihn auf dem Weg zu seinem einzigen Ziel ihm Weg stehen. Sein Nachtlager liegt in einem Raum, der einst ein Schlafzimmer war, nun hat es nichts heimeliges mehr an sich. Das einzige Möbelstück ist die Matratze, auf der der Mann von Zeit zu Zeit schläft; darüber prangt das blutige Zeichen, das ihn stets daran erinnert, was er verloren hat. Aber es bedeutet auch, dass das Monster, das er jagt, kein Phantom ist sondern real. Es ist sein Mahnmal, sein Versprechen und die Fessel, die ihn an Red John kettet. Red John, der irgendwo außerhalb seiner Reichweite saß und Pläne schmiedete, die an Raffinesse alles übertrafen, was ein verrückter Geist je hervor gebracht hatte. Das alles steht in diesem Smiley geschrieben und er muss sich zwingen, es anzusehen. Es ist Selbstzermarterung, aber so verlor er wenigstens nie den Blick für sein Ziel. Er stand auf, aber der Traum ließ sich schwer abschütteln und noch schwerer rekonstruieren. Das vertraute Gefühl von verlorener Liebe bringt den Mentalisten kurz ins Wanken. Es war eine Weile her, dass er es so stark empfunden hatte. Der Schmerz ist frisch und schlimmer als die körperlichen Wehwehchen aber irgendwann schaffte er es doch, ihn zu verdrängen. Patrick Jane bricht auf zu einem weiteren Tag der Verbrecherjagd, der vielleicht oder vielleicht auch nicht einen Hinweis auf Red John bringen wird. Doch bevor er die Tür verschließt, tut er etwas, dass er sonst nie tut: er blickt zurück. Das morbide Smiley ist nicht verschwunden. Es hat sich auch nicht verändert. Und doch... Er weiß nicht woher, aber ein Satz steht ihm plötzlich klar vor Augen und Jane spricht die Erkenntnis aus, die nicht ihm gehört. „Nur weil du lächelst, heißt das noch lange nicht, dass du glücklich bist.“ Ein Versprechen. Eine Drohung. Er kann noch nicht einmal mit Gewissheit sagen, ob er damit sich oder Red John meint. In dieser Welt voller Variablen gibt es eigentlich nur eine Gewissheit. Lisbon wird ihm die Hölle heiß machen, wenn er zu spät kommt. --- [1] Stellt euch vor ihr wärt zweidimensional und könntest in eine dreidimensionale Welt blicken. Das fällt euch schwer? Okay, stellt euch vor, ihr könntet in eine vierdimensionale Welt blicken... ganz genau. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)