Samsas Träume fallen in die Welt von Fujouri (Kurzprosa in Anlehnung an Franz Kafkas »Die Verwandlung«) ================================================================================ 01. Gregor Samsas Reflexion --------------------------- »Mit Käferbeinchen kommt man nicht weit. Sie hängen wie zitternde Stecknadeln an meinem Körper herunter und wollen sich einfach nicht aufrechtstellen lassen. Vielleicht liegt der Grund dafür bei dem dicken Panzer, der sich jetzt ›mein Rücken‹ nennt. Er ist massiv und schwer und drückt die Beinchen gegen den Boden des Zimmers, in das man mich eingeschlossen hat. Ein paar Dämmerungen sind vergangen, seit ich aus meiner Ohnmacht erwacht bin. Vater hat mich brutal ins Zimmer zurückgestoßen, nachdem ich herausgekommen bin und er mich in dieser Gestalt erblickt hat. Einen Lärm gemacht hat er wie ein Irrer, kaum menschlicher, als ich es momentan bin. Und dann hat es einen Schlag gegeben und ich bin hier, auf dem Boden meines Zimmers, wieder aufgewacht. Ich weiß nicht, was in ihn gefahren ist. Dabei bin ich doch immer ein guter Sohn zu ihm gewesen. Habe seinen finanziellen Bankrott wegen der ganzen Schulden mit diesem Reisejob wettgemacht. Viel lieber hätte ich meinem despotischen Chef mit einem satten Meinungsausspruch gekündigt und etwas Besseres mit mir angefangen. Sogar die Musikschule will ich Grete mit meiner harten Arbeit finanzieren, und das soll der Dank für all die Mühen sein? Ich heiße immer noch Gregor Samsa und bin ein Tuchhändler - und diese Verwandlung vermag nichts an dieser Tatsache zu ändern. Oder? Ab und zu öffnet sich die Tür einen Spalt breit, und Grete schleicht in mein Zimmer. Sie bringt mir etwas zu essen in einem Schälchen mit, das sie auf dem Boden abstellt und wieder zügig verschwindet. Sie versucht mich dabei nicht anzusehen, aber ich habe sofort bemerkt, dass ihr das schwer fällt. Und ich kann es ihr nicht verübeln - welches Mädchen empfindet bitteschön keinen Ekel vor einem riesigen Käfer, der in dem Zimmer ihres Bruders haust und schwer verletzt in einer Lache von mattgrünem Saft liegt? Saft. Blut möchte ich es nicht zu nennen wagen, denn Käfer bluten nicht. Kann aus einem Menschenkäfer jemals wieder Menschenblut fließen? Die Verletzungen von Vater schmerzen, aber langsam gewöhne ich mich an den umständlichen Körper. Das Essen, das Grete mir bringt, schmeckt mir nicht, obwohl es einst meine Lieblingsspeisen waren. Wenn Grete hereinkommt, verkrieche ich mich schnell unter dem Kanapee, weil ich weiß, dass sie mich nicht sehen will. Ihre Schritte sind von Dämmerung zu Dämmerung zu einem Trampeln geworden, und statt die Prozedur kurz zu gestalten, reißt sie dynamisch das Fenster auf und demonstriert mit Gesten wie dem Wedeln mit der Hand vor der Nase ihren Ekel, den sie vor mir und meinem Käfergestank empfindet. Dann bleibt sie eine ganze Weile im Zimmer und streckt sich über die Fensterbank hinweg mit dem Kopf nach draußen. Kälte zieht dabei in den Raum, und es fröstelt mich, dass ich die Beinchen anziehe und sie darum bitte, das Fenster schnell wieder zu schließen. Die Worte verebben zwischen den Reißzangen, die nicht wie Lippen funktionieren, und nichts von all den seltsamen Lauten, die wie ein gebrochenes Fiepen klingen, dringt an Gretes Ohr. Manchmal lässt sie das Fenster für den Rest des Tages offenstehen und verschwindet einfach aus dem Zimmer. Sie ist eine gute Schwester und tut das, wozu sie imstande ist. Sie hat mich nicht vergessen und liebt ihren Bruder von ganzem Herzen. Da bin ich mir sicher. Sonst würde sie nicht jeden Tag in mein Zimmer kommen und durchlüften. Sie meint es ja nur gut mit mir. Sie will bestimmt nur mein Bestes. Draußen hinter der Tür ist es still geworden. Nur selten höre ich Vater sprechen, aber mehr als Finanzprobleme und spärliche Pläne, um diese zu beheben, artikuliert er nicht. Auch in meinem Zimmer drückt die Stille. Seit meiner Verwandlung scheint das Haus an Lebendigkeit einzubüßen. Der Tod lauert in den Wänden und der Zerfall rückt näher. Wenn sie mir helfen würden, würden wir vielleicht gemeinsam einen Weg finden, um die Verwandlung rückgängig zu machen. Vielleicht würde ich wieder der Sohn und Bruder und Tuchhändler Gregor Samsa werden können, der ich noch vor wenigen Tagen gewesen bin, und Vater würde mich nicht mehr zurück ins Zimmer drängen und Grete würde mir meine Lieblingsspeisen wieder zubereiten können. Vielleicht würde ich wieder arbeiten gehen, wenn es gut um mein Glück stünde, einen besseren Job finden und für meine Familie da sein. Dann würde Gregor Samsa wieder eine Familie haben. …wenn es nur würde.« _____ Ist schon ein gutes Jahr alt, das Ding.^^ Liebe Grüße, 02. Erinnerungen an eine Stadt ------------------------------ »Wege entstehen dadurch, dass man sie geht.« - Franz Kafka - I. Als die Glocken lärmen, werde ich klein. Die schwarzen Punkte an meinem Kopf zirkulieren wie wild umher. Sie sehen viel und erkennen nichts. Ich krabbele zwischen riesigen Füßen eine schmale Gasse entlang. Der Bordstein ist feucht und kalt. Um die Beinchen herum fröstelt es mich. Die riesigen Füße stampfen auf und ab, greifen mich an, versuchen mich niederzutrampeln. Ich verkrieche mich zügig in der Ritze einer morschen Hauswand und warte, bis der Tumult nachlässt. Geschwätz schallt durch meine Ohren, und ich verstehe es nicht, denn es ist eine Sprache, die ich nicht beherrsche. Die Worte klingen belanglos. Ganz langsam wage ich mich aus der Ritze und krabbele weiter. Der Himmel ist grau und trist. Regentropfen stürzen wie Wurfgeschosse auf die Stadt, die Menschen, den Bordstein, auf mich herab. Ein Tropfen zerplatzt auf meinem Panzer und benetzt den klobigen Körper von Kopf bis Fuß. Nässe ummantelt ihn. Ich ziehe meine Fühler ein und schrumpfe noch mehr in mich zusammen. Meine Stecknadelbeinchen halten der Belastung stand; es gelingt ihnen, den trampelnden Passanten auszuweichen. Bald erreiche ich den großen Platz. Farblose Gebäude erstrecken sich meterhoch über mir und schirmen die letzten Sonnenstrahlen ab, die durch die Wolkendecke brechen. Verschiedenste Gerüche gehen von Restaurants und Essensständen aus, schwirren in der Luft, vermengen sich, beißen in den Nasenhöhlen. Fetttriefende Salamipizza wird von Touristen schmatzend verschlungen. Gegenüber verzehren sie Fleischsalat mit trockenem Brot. Weiter nördlich höre ich Besteck über Plastikteller schaben, pampiger Kartoffelbrei wird gierig gelöffelt, und meine Fühler verkrampfen sich. Es stinkt. Der Himmel verfinstert sich und der Wind wirbelt Kälte auf. Nebelschwaden machen die Lichter der Stadt bedeutungslos. Ich werde kleiner und kleiner. Die schwarzen Punkte an meinem Kopf zirkulieren wie wild umher. Sie sehen nichts und erkennen Dunkelheit. II. Als die Glocken läuten, erwache ich. Ich öffne die Augen, schaue mich aufmerksam um. Weit entfernt kann ich die Prager Burg erspähen, erkenne das kleine Café am Altstädter Ring und mache sofort bei dem freundlichen Laden mit dem selbstgeschnitzten Holzspielzeug halt, in dessen Hauswandritze ich mich einst versteckt habe. Der Strom der Menschenmenge zieht mich mit. Inmitten der Altstadt spielen Kinder. Sie rennen auf eine Schar von Tauben zu, scheuchen diese in die Lüfte, und ihr Lachen fügt sich den Glockenklängen. Der Himmel ist blau und klar. Ich gehe die Karlsbrücke entlang. Sonnenstrahlen stehlen sich auf die Moldau. Die Wasseroberfläche funkelt. Eine kühle Brise weht durch mein Haar, ein sanfter Schauer überkommt mich, und ich beginne den Straßenmusikern zu lauschen. Das Rauschen des Flusses harmoniert mit zartem Geigenspiel. Künstler präsentieren ihre Zeichnungen auf der Brücke. Ich erreiche die Neustadt. Der Duft frischer Speisen erfüllt die Straßen. In den großen Fenstern der Einkaufszentren spiegelt sich die Sonne. Allmählich taucht sie unter. Der Abend tüncht den Himmel in dunklere Farben. Ich gehe weiter. Das schummrige Licht der Straßenlaternen beleuchtet den Bordstein. Bewohner ziehen sich in ihre Häuser zurück. Die zuvor belebte Stadt findet nun zur Ruhe. Ich schließe die Augen. Die Temperatur ist angenehm kühl. Stille beherbergt die menschenleeren Gassen. Ich öffne die Augen, schaue mich aufmerksam um. Ich sehe, was ich einst nicht sehen konnte. Ich erkenne Prag. ______ Meine persönlichen Eindrücke zur Stadt Prag, die das Ziel unserer Abschlussfahrt war.^^ Man beachte: erst am letzten Tag unseres Aufenthaltes kam die Sonne raus. ;) Liebe Grüße, Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)