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Bis in die Ewigkeit

Eine Geschichte mit drei Enden
von

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"Es ist schon ein bisschen Ironie"

Songtextliste:

1. Revolverheld - Bis in die Ewigkeit

2. Revolverheld - Spinner

3. Revolverheld - ich werd die Welt verändern

4. Revolverheld - Superstars

5. Revolverheld - Unzertrennlich

6. Revolverheld - Wir könnten die Grössten sein

7. Revolverheld - Nichts bereuen

Alle Rechte der Songtexte liegen bei Revolverheld und Sony Music
 

Vielen Dank für euer Interesse, und ich hoffe, ihr habt Spass an der Geschichte mit 3 Enden.
 

Gewidmet: Tom

Dein Schicksal berührt mich.

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Bis in die Ewigkeit

Das hier ist deine Zeit

Bis in die Ewigkeit

Bist du für sie bereit
 

Leise summte Tom die Melodie seines aktuellen Lieblingslieds mit. Die Band Revolverheld spielte „Bis in die Ewigkeit“ in seine Hörmuscheln, die seine Ohren weich und bequem verschlossen, ihn ganz von der Umwelt abnabelten. Es war nicht so, dass diese ihn gerade gestört hatte, aber manchmal brauchte er einfach dieses Gefühl, dass ihm nichts und niemand mehr nahekommen konnte, ihn nichts und niemand mehr stören konnte, während er seinen Gedanken nachhing, und nebenbei ein bisschen zockte. Sein Avatar, sein Charakter, seine Spielfigur durchstreifte gerade eine grüne hügelige Landschaft, und erledigte Aufgaben, die ihn im Spiel weiterbrachten. Seine Lippen verzogen sich zu einem leichten Schmunzeln, als er sich nur knapp vor einem besonders bösen Monster retten konnte, dass er gar nicht bemerkt hatte, weil seine Gildenmitglieder im Chat wieder Unsinn anstellten. Er hatte sich fast verschluckt, als Felice wieder einmal einen ihrer dreckigen Witze vom Stapel gelassen hatte, und sich gemeinsam mit ihrer besten Freundin Lilie, die ebenfalls einen ihrer unzähligen Charaktere in dieser Gilde platziert hatte, scheckig gelacht hatte.
 

Das hier ist für alle Songs der Welt

Einfach das, was mich am Leben hält

Für die Tränen meiner schlechten Zeit

Für alle Freunde und jeden Feind
 

Tom beruhigte sich langsam, und nahm einen erneuten Schluck Eistee, dann konzentrierte er sich wieder auf das Spiel, während er weitersummte. Seine Mutter rief von unten irgendetwas, doch er bekam es nur am Rand mit. Gerade ging es ihm richtig gut, und er wollte dieses Gefühl noch so lange auskosten, bis ihm das Leben wieder einmal einen Arschtritt verpasste. Noch bevor er den Gedanken zu Ende gedacht hatte, musste er laut lachen. Er hörte sich ein wenig an wie ein weinerliches Mädchen. Wenn er ehrlich war, war ihm der Gedanke auch etwas zu melodramatisch. Dennoch konnte er nicht leugnen, dass die Stunden am Abend, die er für sich hatte, in denen er zockte und gemütlich Musik hörte, nebenbei etwas chattete, manchmal auch Geschichten schrieb oder las, die friedlichsten, die er hatte. Es war nicht so, als würde die Schule ihn deprimieren. Er war ganz gut, kein allzu grosser Streber, aber auch keiner, der nur mühsam die erforderlichen Leistungen brachte. Er schätzte, dass er sein Abi einigermassen gut hinter sich bringen würde. Das war es nicht, was es ihm Tag für Tag schwerer machte, den Altsteinbau zu betreten, indem er zur Schule ging.

Er rutschte auf dem Stuhl herum, um eine bequemere Position auf dem etwas zerschlissenen Bürostuhl zu finden, der anhand seines Aussehens mindestens schon 50 Jahre auf dem Buckel haben musste. Er hatte ihn noch von seinem Vater geerbt, als der sich freudestrahlend einen bequemen Massagebürosessel mit dem allerbesten Schnickschnack gekauft hatte.
 

Und wenn du nicht mehr weiter weißt

Dein ganzes Leben gegen dich

Halt dich an deinen Helden fest

Dann leben sie für dich und für mich
 

Himmel, wie er das Lied liebte. Dabei war es eigentlich gar nicht seine Musik, doch seit er darüber gestolpert war, hörte er es auf und ab, genauso wie diverse andere Lieder der Band. Schuld daran war Felice, die es wohl wiederum von Lilie bekommen hatte, denn – so schätzte er Felice ein – war dies auch nicht gerade ihre Musik. Gemeinhin stand diese eher auf Metal, was er jedoch kaum mochte. Natürlich waren Felice und Lilie nicht die wirklichen Namen, sondern sie nannten sich nach ihren jeweiligen Charakteren. Er wusste, dass Felice in Wahrheit und Lilie eigentlich Helen hiess, aber so hatte sich das im Spiel eingebürgert. Er selber wurde nur oft genug Alsharin genannt, nach seinem Hauptcharakter. Eine weibliche Elfe, eine Magierin. Doch gerade jetzt steuerte er seinen zweiten Charakter, einen hübschen Elfen. Er mochte Felice und Lilie. Er kannte sie nun schon eine Weile, beide waren seine Gildenleiterinnen, doch der Kontakt beschränkte sich nicht nur aufs Spiel. Man chattete auch ab und zu über private Dinge, man erzählte sich seine Sorgen, man quatschte ab und zu im Skype miteinander, schickte sich Musik, las gegenseitig Werke oder – in Felices Fall – begutachtete Skizzen und Zeichnungen, kommentierte. Und sie beide wussten als zwei der wenigen von seinem Gemütszustand.
 

Bis in die Ewigkeit

Das hier ist deine Zeit

Bis in die Ewigkeit

Bist du für sie bereit
 

Der Refrain des Liedes erklang noch einmal in seinen Ohren, mit den markanten zwei Gitarrenriffen am Anfang. Er konnte kaum mehr an sich halten, und sang nun lauthals mit sich, egal ob es seine Familie stören würde, wenn er um zehn Uhr Abends noch lauthals Deutschrock vor sich hin sang, und vermutlich auch noch lauthals und schief. Bei dem Gedanken musste er grinsen. Gerade ging es ihm gut. Wirklich gut.
 

„Tooom“, rief seine Mutter erneut, und er ignorierte es gepflegt, senkte die Lautstärke jedoch etwas. Es half nichts. Seine Mutter polterte auf einem Mal an die Zimmertür, und trat dann ein, oder eher, fiel mit der Tür ins Haus. Seine Tür drohte ständig aus den Angeln zu fallen, da eine Befestigung kaputt war. Wenn man sie öffnen wollte, musste man vorsichtig vorgehen. Seine Mutter hatte dies mal wieder ignoriert, und die Tür halb aus der Angel gerissen.

„Tom, um Himmelswillen, bring das mal in Ordnung.“ Tom tippte ein kurzes < AFK > in den Chat, was bedeutete, dass er gerade weg vom Computer musste, riss sich das Headset vom Kopf und funkelte seine Mutter an. „Als ob das meine Aufgabe wäre, Ma. Papa hat´s mir seit Monaten versprochen. Ich kann doch sowas nicht.“ Seine Mutter rollte mit den Augen, und stemmte eine Hand in die Hüften. Sie war eine Frau im Mittlereren Alter. Man sah ihr an, dass sie drei Kinder grossgezogen hatte, doch war sie wohl immer noch als Schönheit zu betrachten, wenn man von den schmachtenden Blicken seines Vaters ausging, die er ihr ab und zu schenkte, wenn er dachte, er wäre unbeobachtet. „Dein Vater arbeitet jeden Tag hart, und du sitzt nur hier, und spielst dieses dämliche..“ Noch bevor seine Mutter den Satz beenden konnte, komplettierte Tom ihn mit dem Wort „Computerspiel“. „Ja Mama“, seufzte er dann. „Sei mal etwas ruhiger. Deine Schwester muss ins Bett, wird höchste Zeit. Kannst du ihr was vorlesen? Ich muss dringend noch die Akte für den Fall durchsehen.“ Tom blickte seine Mutter mit einem Stirnrunzeln an. Eigentlich war Antje viel zu alt dafür, dass er ihr noch etwas vorlesen sollte, doch scheinbar gab es Dinge, auf die wollte man auch nicht verzichten, wenn man langsam in die Pubertät kam. Und Antje zeigte mit ihren 11 Jahren doch Anzeichen dafür, dass sie langsam den einen oder andern Schritt in diese Richtung machte. Doch Tom nickte nur, wandte sich kurz wieder dem Computer zu, und tippte nur einige wenige Worte in den Chat und trennte dann die Verbindung zum Spiel.

< Muss 15 Min off, komm später wieder, bb alle.>
 

„Bis in die Ewigkeit“, flüsterte er, und summte dann die Melodie des Liedes, welches ihm immer noch im Kopf rumspuckte, während er den Flur zu Antjes Zimmer hinunterging, die Tür aufstiess und nach Antje Ausschau halte. „TADAA“, kreischte diese überdreht, und sprang ihn aus dem Hinterhalt an, stiess ihm mit irgendeinem ihrer unzähligen Kuscheltiere in den Bauch, und er liess sich gespielt getroffen zu Boden fallen. „Aaah, ich sterbe, das Kuschelmonster wird mich freeeesssen“, keuchte er übertrieben. Antje kicherte, und wuschelte ihm durch die Haare. Er revanchierte sich, und kniff ihr in die Wange, woraufhin sie übertrieben quiekte. „Aaah, mach das nicht nochmal“, wehrte sie sich, und krabbelte in Sicherheit auf ihr Bett. Tom richtete sich auf, und setzte sich auf die Bettkante. „Aber sicher doch, Schwesterchen. Worauf hast du heute Lust?“

Antje zog die Knie an, und schlang die Arme darum, blickte ihn mit ihren grossen Augen an, die ihn an diejenigen eines Hundewelpens erinnerten. Genau wie die Augen einer anderen Person, die das gleiche mit ihm machten. Nur dass er bei Antje kein Magenkribbeln bekam.

Tom seufzte, und lächelte Antje dann an.

„Ich mag.. ich mag Harry Potter! Lies mir Harry Potter vor, bitte.“

Er seufzte. Es musste schon das hundertste Mal sein, dass seine Schwester sich den ersten Band von Harry Potter vorlesen liess. „Na schön, aber wir machen nicht zu lange. Vergiss nicht, morgen hast du auch wieder Schule.“

Antje nickte, und kramte nach dem Buch, drückte es ihm in die Hand. Er öffnete es bei dem Eselsohr, welches seine Schwester immer in den Büchern hinterliess, die sie las. Dann begann er vorzulesen, und genoss einen weiteren Moment der Ruhe, einen der wenigen, die er an seinen Tagen hatte. Einer der wenigen Momente, in denen er nicht über ihn nachdenken musste.

Tom begann vorzulesen: „In seinem Büro im neunten Stock saß Mr. Dursley immer mit dem Rücken zum Fenster. Andernfalls wäre es ihm an diesem Morgen schwer gefallen, sich auf.."

"Er ist allein in seinem Zimmer, steht vor dem Spiegel und singt seine Lieder"

Als sich eine Hand auf seine Schulter legte, zog er den Stöpsel aus dem Ohr. Revolverheld spielten gerade „Spinner“. Er drehte den Kopf. Robin stand vor ihm und keuchte, wie wenn er einen Marathon gelaufen wäre. „Guten Morgen“, sagte Tom etwas amüsiert, und erhob sich von dem kleinen Mäuerchen, auf welchem er gesessen hatte. „Moin.“ „Was bist du denn so gerannt? Wärst nicht mal zu spät gekommen.“ Robin fuhr sich durch die Haare, und grinste den andern an, was Tom weiche Knie bescherte. „Hausaufgaben“, war die einzige Antwort. „Hab keine Zeit gehabt für Englisch, darf ich?“ Tom seufzte ergeben, und zog sein Heft aus der Tasche, reichte es Robin, der sofort begann, die Lösungen abzuschreiben. „Danke Mann, echt genial.“ Nach 5 Minuten hatte er fertig gekritzelt, während Tom sich bemüht hatte, seinen Blick nicht allzu lange auf dem anderen ruhen zu lassen. „Nichts zu danken“, sprach er mit leiser Stimme, und sogleich wurde er übertönt vom Klingeln. „Lass uns rein.. Sonst kommen wir noch zu spät“.

Die erste Stunde hatten sie gemeinsam. Robin sass direkt vor ihm. Früher hatten sie oft nebeneinander gesessen, doch da Robin die elfte Klasse in Amerika absolviert hatte, und erst zu Anfang des Jahres zurückgekehrt war, hatte sich die ganze Sitzordnung verändert. Tom sass neben Lukas, und Robin neben Melanie, die ihn wie eh und je anschmachtete. Ihr Blick war wie festgesaugt auf Robins zerzaustem Haar, sie spielte sich im Haar herum, machte affektierte Bewegungen, und sprach einen Ticken zu hoch. Tom wusste, so schnell würde diese ihren Platz neben ihrem Schwarm nicht aufgeben und er verabscheute sie auf das Tiefste, obwohl er nicht einmal ganz genau wusste, wieso. Als Robin Melanie angrinste, und sich etwas zu ihr beugte, fiel es ihm wieder auf, warum er sie nicht mochte. Robin stand auf diese Sorte Mädchen.

Herr Wehrolt, der Englischlehrer, sprach gerade über eine besonders komplizierte Satzstellung, und Tom versuchte sich zu konzentrieren, doch der hell blondierte Haarschopf vor ihm machte es ihm schwer. Und wie so oft dachte er darüber nach, dass er den Jungen, der vor ihm sass, mehr mochte, als es eigentlich gut war.

Seine Gedanken schweiften ab, während er durch das Fenster blickte, auf die einfallende Augusthitze, die bereits um acht Uhr morgens das Klassenzimmer aufheizte. Bald würde Herr Wehrolt, den alle nur liebevoll Schweissfleck nannten, anfangen, seinen typischen Geruch zu verbreiten, und er tat Tom jetzt schon leid. Anstatt Notizen zu machen, kritzelte Tom Spiralen in die leere Seite des Hefts, auf dem nur „Lesson 5 Grammar – Future Perfect“ stand. Future.. Zukunft. Ein müdes Lächeln umspielte Toms Lippen, als sein Blick erneut auf den blondierten Haarschopf vor ihm fiel.
 

Tom wusste schon eine längere Zeit, dass er Robin mehr mochte als einen einfachen Kumpel oder besten Freund. Eigenartigerweise war es ihm irgendwie immer klar gewesen, dass er eher auf Männer stand als auf Frauen. Mit Frauen verstand er sich gut, er hatte einige gute Freundinnen, die ihm mit ihrer Sichtweisen diverse Perspektiven aufzeigten, die er selber kaum gehabt hatte. Er erinnerte sich mit einem Schmunzeln an den Tag, als er Lilie und Felice davon erzählt hatte, dass er schwul war. Felice hatte sich nicht einkriegen können vor lauter Begeisterung, und sie hatte ihn –wie so viele Frauen – putzig und süss gefunden, und hatte natürlich auch betont, wie heiss er sei, und dass er sicherlich keine Mühe hätte, jemanden zu finden. Er erinnerte sich noch an die grossgeschriebenen Begeisterungsstürme im Chat und musste lächeln. Lilie hatte ihn gefragt, ob er schon einen Freund gehabt hätte. Als er verneinte, und aus einer melancholischen Laune heraus hinzufügte, dass er sowieso nie einen bekommen würde, hatte sie ihm virtuell auf den Kopf gehauen, und innerhalb zweier Minuten dank Google mehr über Hamburgs Gay-Szene herausgefunden, als er sich je hätte träumen lassen, und ihm gleichzeitig auch noch das Versprechen abgenommen, dass sie beide, sollte sie ihn je besuchen kommen, ein Gay-Café besuchen würden. In dem Moment hatte er sich etwas überrollt gefühlt, und dann gerührt. Es war einfach Lilies Art ein Problem praktisch zu lösen, und sie zeigte dadurch, dass sie ihn mochte. Sie wusste dort noch nichts von seinem Problem mit Robin, worauf sich seine Aussage überhaupt erst bezogen hatte. Doch hätte sie davon erfahren, hätte sie auch dafür sicherlich irgendeine Antwort gewusst.

Seine Finger kritzelten mittlerweile Blümchen auf die immer noch leere Seite, und er riskierte einen weiteren Blick auf Robin, der sein Gesicht etwas zu Melanie gedreht hatte. Tom blickte in das Gesicht, welches er schon hundert, wenn nicht sogar tausendmal gesehen hatte in den letzten 6 Jahren, seit sie sich kannten. Und doch wurde er nicht satt, es zu betrachten. Die schön geschwungene Nase, die braunen Augenbrauen, die kaum zu der Haarfarbe passten, das Grübchen, welches sich beim Mundwinkel bildete, wenn Robin lächelte, der leichte Flaum am Kinn, der in den letzten Monaten entstanden war. Gierig saugte er jedes Detail auf. Die Frisur war mit Gel durcheinander gewuschelt gestylt, gerade so, dass es aussah, als hätte er nur einmal mit der Hand hineingegriffen und das Gel verteilt, doch Tom wusste, dass Robin dazu seine fünf bis zehn Minuten brauchte, damit alles sass wie er es wollte. Sein Rücken war etwas durch gebeugt, trotz seiner sportlichen Figur sass Robin krumm auf dem unbequemen Stuhl, als wäre er eine Banane. Tatsächlich sassen jedoch die meisten Schüler so da, vor allem die männlichen, deren Körpergrösse definitiv meistens zu gross war für die einfachen Holzstühle.

Toms Blick fuhr von Robins Gesicht zu dessen Schulter und dann die Wirbelsäule entlang, dann das Ganze wieder zurück, bis er sich die Augen rieb, und seinen Kopf drehte, zum Fensterhinausschauten. Es war verflixt. Robin war sein bester Freund, sein Kumpel, sein Mensch zum Pferde stehlen. Und er, Tom, war hoffnungslos in ihn verliebt, bereits seit mehr als zwei Jahren.
 

„Herr Sattler, sie haben bestimmt eine Antwort auf meine Frage, oder was gibt es draussen so interessantes zu sehen, dass sie den Unterricht verpassen?“ Die etwas schrille Stimme von Herr Wehrolt riss ihn aus seinen Gedanken und bohrte sich unangenehm in seine Gehörgänge. Er blickte betont ruhig zur Tafel, wo ein Satz stand, in dem man das Verb richtig konjugieren musste. „Will have visited“, sprach er nach fünf Sekunden überlegen, und schenkte dem etwas übergewichtigen, schwitzenden Lehrer ein gewinnendes Lächeln. „Den ganzen Satz“, blaffte dieser als Antwort. Tom seufzte. „She will have visited Paris by the end of next year.”

Herr Wehrolt brummelte irgendetwas. Vermutlich war er verärgert darüber, dass Tom seine Aufgabe so souverän gelöst hatte, obwohl er offensichtlich mit etwas anderem beschäftigt war. Robin drehte sich zu ihm um, und flüsterte „Da hast es dem Schwitzfleck aber gezeigt, Alter.“, während Melanie kicherte und ihm ebenfalls gewinnend zunickte. Tom lächelte, und nuschelte irgendeine Antwort.
 

Als es klingelte, und Tom seine Sacken packte, drehte sich Robin zu ihm hin und sagte: „Eh, Tom, hast du am Wochenende Zeit?“ Tom blickte Robin verständnislos an. Er? Am Wochenende? Sie trafen sich sonst kaum ausserhalb der Schule, da sowohl Robin als auch toms leben angefüllt war mit diversen Aktivitäten. Robin spielte exzessiv Basketball, was sich in den USA nur noch verstärkt hatte, und hatte fast jeden Tag Training. Toms Tage hingegen waren angefüllt von Chorproben, er sang Bass in einem klassischen Chor, von Orgellektionen und eigenen Übungsstunden und zu guter Letzt von seinen Tanzstunden, die Robin früher auch besucht hatte. Am Abend waren beide meistens zu platt, um noch irgendwas zu machen, und Tom verkroch sich in sein Computerspiel. „äh“, brachte er nur als Antwort hervor. „Weiss nich.“ Robin musste lachen. Schnell überschlug Tom das vor ihm liegende Wochenende, und kam zum Schluss, dass nichts Besonderes anstand. „Ja, sicher hab ich Zeit. Was liegt denn an?“, sagte er schliesslich, und versuchte möglichst cool zu klingen. Robin wollte sich mit ihm treffen. Sofort stellte sich ein flaues Gefühl im Magen ein, und sein Puls beschleunigte sich. Gleichzeitig rief er sich zur Ruhe. Das war ja albern. Er benahm sich wie ein pubertierender Vierzehnjähriger. „Ich bräuchte Hilfe bei Englisch. Kannst du mir das Ganze hier erklären?“, antwortete Robin schliesslich, den Blick auf Melanie geheftet.

Tom fühlte sich, als hätte jemand einen Kübel Eiswasser auf ihn niedergeleert. Schlagartig beruhigte sich sein Magen wieder, und er blickte Robin an. „Natürlich“, seufzte er dann. „Schreib einfach eine SMS, wenn du kommst. Samstagmorgen sind wir wie üblich auf dem Wochenmarkt, aber gegen 12 sollten wir wieder zu Hause sein.“

„Ich denk ich werd gegen 14 Uhr da sein.“ Robin grinste. „Danke, bistn echt guter Kumpel. Ich helf dir dann dafür mal bei Mathe.“ „Wie ich bereits sagte: Nichts zu danken.“, antwortete Tom, packte seine Sachen fertig. Er rief noch ein „Bis dann“ in Richtung Robin, der ihm nachschaute. Er wandte den Kopf ab.

„Bistn echt guter Kumpel“, hallte es in seinen Gedankengängen ihm nach. „Ein guter Kumpel..“

Tom ballte die Faust.

"Ich kenne diese Tage jetzt seit Jahren schon zur Genüge und es ist schon fast als ob ich mich selber gern bekriege"

Er schmiss den Rucksack in eine Ecke, irgendetwas darin knackste unangenehm, und er vermutete, dass er das Etui mit den Stiften erwischt hatte. War ihm aber auch egal. Die Tür schlug er hinter sich zu, stärker als es notwendig gewesen wäre, und dann schmiss er sich aufs Bett. Er wohnte in der Dachschräge, unter dessen schrägen Fenster sein Bett direkt platziert war. Er liebte es, dass er so direkt in den Himmel blicken konnte, egal zu welcher Tages und Nachtzeit. Manchmal lag er stundenlang einfach nur unter dem von Sternen übersäten Himmel, und versuchte Sternbilder zu entdecken. Er kannte nicht allzu viele, aber für den grossen Bären oder Kassiopeia reichte es allemal.

Der Tag war so beschissen weitergegangen, wie er angefangen hatte. Er hatte das Gefühl, einen Knoten im Magen zu haben. Wie hatte er auch nur hoffen können, dass Robin etwas mit ihm unternehmen wollte. Nein, es ging nur um blöde, bescheuerte Nachhilfe. Nachhilfe.

Er zog den Mp3-Player aus der Hosentasche, und stöpselte die Kopfhörer in die Ohren, griff nach einer Flasche Eistee, welche irgendwo neben dem Bett noch halbvoll rumstand, und trank einen Schluck, während er sich erneut beschallen liess.
 

Ich kenne diese Tage jetzt seit Jahren schon zur Genüge

Und es ist schon fast als ob ich mich selber gern bekriege

Ich kann nicht gut allein sein

Und unter Menschen fang ich an durchzudrehen

Ich kann mir viel zu viele Fragen stellen

Doch kann ich niemals klare Lösungen sehen
 

Er musste fast lachen bei der Ironie der ganzen Sache, als ihm „Ich wird die Welt verändern“ in die Ohrmuschel schallte. Niemals klare Lösungen sehen. Wo sie recht hatten.

Das Gesicht Robins stieg vor seinem inneren Gesicht auf, und er versuchte es mühsam niederzudrücken, doch wie zu erwarten gelang es ihm nicht, der Klumpen in seinem Magen rebellierte, und schien erneut etwas anzuwachsen. „Was soll ich denn tun“, dachte er. Und dann begann er über Robin nachzudenken. Seit dieser wieder zurück war von seinem USA-Austauschjahr war, konnte Tom keinen klaren Gedanken mehr fassen. Er rieb sich die Stirn. Seine Hoffnung war gewesen, dass er diese unsinnige Liebe, diese Gedanken, diese Gefühle vergessen hatte. Dass das Jahr, indem er Robin nicht gesehen hatte, und nur ab und zu seine Stimme vernommen hatte, ein paar Mails ausgetauscht und eine Postkarte bekommen hatte, ihn dazu gebracht hatte, ihn zu vergessen. Doch vielleicht war er einfach nur töricht. Was dachte er denn, dass sich alles von allein regelte? Er hatte ja noch nicht einmal Ahnung, wo er vielleicht Ablenkung finden würde, vielleicht einen Mann kennenlernen konnte, der auch tatsächlich seine Gefühle erwidern würde. Lilies Googlesuche hatte ihn nachdenklicher gemacht, und zum wiederholten Male überlegte er sich, ob er durch seine blinde Vernarrtheit in Robin vergessen hatte, dass es auch noch anderes gab als diesen bemerkenswert hübschen Jungen, den er nur einmal im Leben küssen wollte.

„Ich werd die Welt verändern“, summte er mit Revolverhelds Leadsänger mit, als die Gedanken wieder zu Robin schweiften. Eine Weile gab er sich der Illusion hin, dass er neben ihm im Bett lag, dass er ihn im Arm halten, ihm über seine blondierten Haare streichen konnte. Fast schon dachte er, den warmen Körper des anderen neben sich zu spüren. Die Gedanken waren traurig und schön zugleich, und er spürte, wie die Traurigkeit in ihm hochkam.

Abrupt zog er sich die Ohrstöpsel raus, und stand vom Bett auf. Das konnte so nicht weitergehen.
 

Er startete seinen PC hoch, und loggte sich ins Spiel ein. < Hallo Leute >, tippte er in den Chat. Sofort kamen von diversen seiner Gildenmitglieder Begrüssungen. Er musste lächeln. Die Gemeinschaft war zwar manchmal etwas skurril, aber meistens ziemlich umgänglich und gemütlich. < Ey, hat jemand Bock auf Daily Hero>, kam es da von Leyan, der im wahren Leben eigentlich Mike hiess. < Tut mir leid, bin noch zu low ;)>, antwortete er dem üblichen Gamerslang, der so populär war. „Daily Hero“ bezeichnete eine tägliche Dungeon-Aufgabe, „low“ bedeutete, dass er mit seinem Charakter noch nicht die erforderliche Maximalstufe dafür erreicht hatte. Er überlegte sich gerade, was er nun im Spiel anstellen wollte, während er sich sein Headset aufsetzte, und Musik raussuchte, als ihn jemand im Skype anschrieb. Lilie.

<He, hab weitergetippselt. Magst skypen? Feli und ich machen grad Blödsinn XD>. Er musste schmunzeln. Lilie schrieb ebenso begeistert und gerne Geschichten, wie Felice an ihren Bildern malte. Er hatte sich irgendwann stillschweigend zum Testleser gemausert, und so teilte Lilie es ihm jedes Mal mit, wenn sie weitergeschrieben hatte an ihrer World-of-Warcraft-Fanfiction. <Hör grad Musik. Mir geht’s nich so gut.>, tippte er als Antwort.

<Kannst ja lesen, das lenkt ab. ;) Was ist denn passiert?>, kam umgehend die Antwort. Er blickte einen Moment auf die geschriebenen Zeilen, und seufzte dann.

<Robin>, tippte er nur zurück.

< Blöd. :( Hat er was gesagt?>

< Hat mich gefragt, ob ich am WE was vorhabe.>

< Und?>

< Hatte Herzklopfen und so weiter. Er will nur Nachhilfe. Ich bin ein Idiot. :><

< Ach Tom :( >

Er konnte sich gut vorstellen, wie sie nun mit einer Mischung aus bedauern und Traurigkeit vor sich hin blickte.

< *hug* Tut mir leid für dich. Gibst ihm Nachhilfe?>

< Ja sicher. >

< Ists okay wenn er kommt?> In ihrer Eile vergass sie manchmal Zeichensetzung, oder vertippte sich.

< Ich seh ihn so selten. Ich will dass er kommt. Ach. Ich weiss auch nicht. Heut hat er mit Melanie geflirtet. Was soll ich bloss machen>

Tuuut, tuuut.. Er seufzte, als Lilie ihn im Skype anklingelte.

< Nimm an. Hab bei Felice aufgelegt.>

Er klickte auf den grünen Telefonhörer, und dann schallte Lilies Stimme durch sein Headset.

„Hey Tom“

„Hallo“, nuschelte er zurück.

„Sorry, muss gar noch nach der Katze schauen.“ Tom seufzte, und antwortete nicht. Noch nicht. Er hörte, wie sie aufstand, und sich mit ihrer Katze unterhielt, sich nach einer Weile wiederhinsetzte. Ihr Bürostuhl quietschte. „Also.. Was meinst du damit, was du machen sollst?“

„Ja.. ich mein.. mit Robin. Hab ich dir schon einmal das Gedicht gegeben, welches ich geschrieben hab?“

„Ja, hast du. Ich hab dir auch gesagt, dass ichs schön fand.“

„Ich weiss einfach nicht.. Ach verdammt. Weisst du, seit er von den USA wieder zurückgekommen ist, geht er mir nicht aus dem Kopf.“

„Aber du warst schon vorher verliebt, oder?“

„Ja war ich.“

„Wirst du ihm das Gedicht zeigen?“

Tom schwieg einen Moment. Das war etwas, was ihm selber nicht klar war. Er kaute sich auf der Unterlippe herum, während Revolverheld in seinen Ohren sang. Er war ironischerweise wieder bei „Ich werd die Welt verändern“ angekommen.
 

Und ich weiß dass irgendwann aus Böse auch mal Gut werden kann

Und wenn gar nichts mehr geht, fang ich einfach wieder von vorne an

Vielleicht muss ich nur die Tage zählen

Mich durch nervig lange Stunden quälen

es ist ganz egal wie lang das noch geht

weil ich weiß wer am Ende noch steht
 

Leise summte er die Worte mit. „Eeeh, Tom, schön und gut dass du singen kannst, aber du weichst meiner Frage aus.“

„Eh.. ja.. Tschuldige, Lilie. Ehm.. also.. Ich weiss es ehrlich gesagt nicht.“

„Was hast du zu verlieren, Tom?“, fragte sie ihn.

„Das ist dir nicht klar? Ich könnt ihn verlieren“, antwortete er fast schon etwas erbost.

„Hey, ich meinte das nicht böse. Ich weiss das doch. Ich wollts aber von dir hören.“ Manchmal erinnerte ihn Lilie an eine Psychotherapeutin. Sie konnte unglaublich nervig sein, denn meistens traf sie mit ihren Worten genau die Saiten in ihm, die er lieber nicht gespannt haben wollte.

„Ach weiss auch nich“, brummelte er.

„Tom, du bist schon.. wie lang in ihn verliebt? Zwei Jahre? Drei Jahre? Du gehst nie irgendwohin, du denkst nicht mal über wen anderes nach. Du weisst nich mal ob er deine Gefühle erwidert. Wie lang willst du das denn noch tun? Bis du alt und grau bist?“

„Weiss auch nich“, wiederholte er die Worte, und seufzte.

„Ich weiss ja auch nicht was das Beste wär, geb ich auch ehrlich zu, aber entweder du sagsts ihm bald mal, oder du vergisst ihn. Und da du ihn ja scheinbar nicht vergessen kannst, solltest du es ihm vielleicht endlich sagen. Weiss der Kerl eigentlich, dass du schwul bist?“

„Nein, weiss er nicht“, antwortete Tom, und fuhr sich durch die Haare. Revolverheld sang „Werd’ endlich alles besser machen, werd’ anfangen wieder klar zu kommen und mal über mich selber lachen“.

„Ich geb ja zu, die Chance ist klein, aber es könnte sein, das er genauso denkt wie du.“

„Mach mir verdammt nochmal keine unnötigen Hoffnungen. Mein Magen hat sich auch sonst schon zu sehr verknotet heute. Ich konnte noch nicht mal was zu Mittag essen.“

Lilies Seufzen drang durch die Telefonleitung zu ihm hin, und war auch nach über tausend Kilometern zurückgelegtem Weg noch klar und deutlich.

„Schlussendlich musst´s du wissen. Ich bin vermutlich nicht grad viel besser als du, ich hab auch nen Kerl über zwei Jahre lang geliebt, und nur im Theater von der Seite angeschmachtet, bis ich ihm endlich sagte, was los war.“

„Du hasts ihm gesagt?“

„Naja.. Feigerweise hab ich ihm ne Mail geschrieben, und erst mal offengelassen, wer ich bin. Aber hey, da war ich auch erst 15.“

„Nur zwei Jahre jünger als ich es jetzt bin.“

„Oh.. ich vergess ja immer wie jung du bist“, lachte sie. Dann fuhr sie fort zu erzählen. „Auf jeden Fall hab ich bei dem dritten oder vierten Mail meinen Namen daruntergesetzt. Und wie zu erwarten hab ich keine Antwort bekommen. Doch erstaunlicherweise gings mir danach besser und bald drauf hab ich ihn vergessen können. Heute lach ich nur noch über ihn. Weisste, das war so ein Jesustyp, mit langen Haaren, der nur gekifft hat und sich ständig so zugesoffen hat auf den Theaterparties, dass er irgendwo kotzend hing. Heut denk ich, er hätte mich eigentlich gar nicht verdient gehabt, aber.. naja.. so ist das Leben.“

„Ich glaub, ich würde sterben, wenn mir das passieren würde. Ich kann es mir nicht vorstellen, dass Robin mich ignoriert.“, antwortete Tom und wusste in dem Moment, als die Worte seinen Mund verliessen, dass er sich anhörte wie ein liebestoller Hund.

„Ich weiss nicht was ich an deiner Stelle tun würde. Ich war mit Lukas auch nicht so gut befreundet, muss ich zugeben. Ich weiss nicht was mir wichtiger wär. Gewissheit oder Freundschaft. Aber so kanns doch irgendwie auch nicht weitergehen, oder?“

Tom seufzte. „Nein. Da hast du allerdings Recht. So kanns nicht weitergehen.“

„Siehst du? Du findest bestimmt irgendeine Lösung. Bald komm ich auch zu dir hoch, ich Arbeit schon Überstunden, um mir Geld zusammenzusparen für die Fahrt nach Hamburg.“

Er musste lächeln. Lilie war Studentin, und fast 5 Jahre älter als er, dennoch kamen sie super aus. Nebenbei jobbte sie an einer Tankstelle, von der sie wohl gerade sprach, als sie Überstunden erwähnte.

„Du musst mich echt mal besuchen kommen.“

„Ja, aber nur wenn wir dann ein Gay-Cafe zusammen besuchen. Keine Widerrede. Ich zieh dich auch am Ohr hin, wenn du nicht willst.“

Tom kicherte. „Ist ja gut, ich komm ja mit.“

„So, ich muss jetzt aber leider los. Muss noch duschen bevor ich zur Spätschicht fahr.“ Tom blickte auf die Uhr. Es war knapp vor 16 Uhr. Lilie erledigte unter der Woche oft Schichten, die irgendwann am Spätnachmittag anfingen, und mitten in der Nacht aufhörten. „Gut, ich wünsch dir viel Spass.“

„Spass“, ächzte sie gequält. „Heute ist Freitag. Das ist kein Spass, verfluchte Scheisse.“ Mit den gewohnt derben Worten, verabschiedete sie sich dann aus dem Skype.

Er tippte noch ein < Byebye > in den Chat, und bekam einen Smiley zurück, und die Worte < Wehe, du liest das Kapitel heute nicht. Dann erwürg ich dich. ;)>.

Tom grinste.

"Er hat die Welt vor sich und alles scheint so leicht"

Tom war kein Superstar. Tom war auch kein Held. Er war nicht einmal besonders mutig. Und so klopfte ihm das Herz bis zum Hals, als der Samstag endlich anbrach, als die Nacht endlich vorbei war. Beim Wocheneinkauf auf dem Markt, wo seine Familie regelmässig frisches Gemüse und Früchte von den umliegenden Bauern und Herstellern kaufte, war er quengelig und schlecht gelaunt. Er drängte stets vorwärts, und hätte seine Mutter heute am liebsten erwürgen können, als sie gut gelaunt durch die Gassen zwischen den Marktständern schlenderte, und ein Liedchen summte, Antje an der einen Hand, eine Einkauftüte in der anderen. Aber Tom hütete sich, irgendetwas zu sagen. Er war ja schliesslich vernünftig. Die Zeit würde auch nicht schneller vorbeigehen.

Nach ungefähr einer Stunde, aber gefühlten zehn Tagen traten sie endlich den Rückweg an. Tom fühlte sich wie gerädert, und musste dagegen ankämpfen, im Auto nicht weg zu dösen. Normalerweise konnte er relativ gut in den frühen Morgenstunden aufstehen, doch seine Nacht war ziemlich schlaflos gewesen. Er hatte sich nach einem ereignisreichen Zockerabend, der sich noch bis tief in die Nacht hingezogen hatte, im Bett gewälzt und war nicht zur Ruhe gekommen. Er wusste immer noch nicht, was er tun sollte, ob er überhaupt etwas tun sollte. Nur noch wenige Stunden, bis Robin zur Nachhilfe vorbeikommen würde. Tom fluchte innerlich, als sich sein Magen wieder bemerkbar machte, und sich das kribbelig-flaue Gefühl in ihm breitmachte.

Seine Mutter sagte irgendwas zu ihm, und Antje, die hinter ihm sass, griff mit den Händen um die Kopfstützte, und wuschelte ihm im Haar herum. Er murmelte nur ein „Hmm“, und stöpselte sich die Kopfhörer in die Ohren. Zum Glück hatte er seinen MP3-Player eingesteckt.

Die ersten Takte von Superstar erklangen in seinen Ohren, und er versank erneut in Gedanken.
 

Es gibt keine Superstars

Es gibt nur Träume die zerplatzen

Es gibt keine Superstars

Die sind vergessen und verloren
 

Tom war kein Superstar. Tom war auch kein Held. Und Tom war auch nicht einmal besonders mutig. Das Blatt mit dem Gedicht, welches er für Robin geschrieben hatte, lag ausgedruckt zu Hause auf seinem Schreibtisch. Noch war ihm nicht klar, ob er es ihm wirklich geben konnte. Immer und immer wieder dachte er über Lilies Worte nach, drehte und wendete die möglichen Optionen in seinem Kopf herum. Und doch – sie hatte irgendwie Recht. Es wäre an der Zeit, seinem besten Freund zu sagen, was wirklich los war.

Und was wenn seine Träume ebenfalls zerplatzten? Gerade als der Gedanke ihm durch den Kopf fuhr, kamen sie auch schon zuhause an. Tom half nur das Nötigste mit Aus- und Hinein räumen, und drückte sich dann mit einer fadenscheinigen Ausrede vom Gemüserüsten, stieg die Stufen zu seinem Dachzimmer hinauf, und liess sich aufs Bett fallen.

So schön der gestrige Tag gewesen war, so miesepetrig schien der Himmel heute drauf zu sein. Graue Wolkenschleier zogen über seinem Fenster hinweg, an einigen Stellen fast schon dunkelschwarz waren sie Zeugen von einem bevorstehenden Sommergewitter. Die Schwüle des Zimmers schien ihn zu erdrücken, und er verfluchte sich dafür, dass er den Tischventilator nicht etwas hatte laufen lassen. Er hätte jetzt aufstehen können, und ihn anschalten, aber irgendwie fehlte ihm jegliche Motivation.
 

Es gibt keine Superstars

Es gibt nur Träume die zerplatzen

Es gibt keine Superstars

Die sind vergessen und verloren
 

Was, wenn seine Träume ebenfalls zerplatzten? Tom schloss die Augen, um den grauen Nebelschleier nicht länger beobachten zu müssen. Er wusste ehrlich nicht, was er überhaupt denken sollte. Er hatte sich in seinen Träumen natürlich immer nur vorgestellt, wie Robin ihm um den Hals fallen würde, nachdem er ihm seine Liebe gestanden hatte. Wie er ihn endlich küssen konnte, wie er ihn im Arm halten konnte. Das waren seine Tag- und Nachtträume gewesen, seine schönen Momente im allzu öden Alltag, seine Aufsteller. Doch nun, da er das erste Mal wirklich darüber nachdachte, sich zu offenbaren, kam es ihm schon fast töricht vor. War es nicht viel realistischer, dass Robin ihn verachten würde? Oder zumindest abweisen.

Langsam döste Tom weg.
 

Er wurde geweckt von energischem Klopfen an seine Zimmertür. „Toooom, Besuch is daa“, rief seine Schwester vergnügt, und hängte sich an die Türklinke. Einen Moment lang war Tom verwirrt und fuhr sich durch die Haare. Ein kurzer Blick auf sein Handy sagte ihm, dass es erst kurz vor halb eins war. Er raffte sich hoch, und öffnete die Tür.

„hallo Tom“, grinste ihn Robin an. „Sorry, dass ich jetzt schon komme, aber das Training ist verkürzt worden. Irgend so eine beknackte Geburtstagsparty vom Trainer oder so. Komm ich zu früh?“ „Nee“, antwortete Tom. „Bin nur grad nochmal weggepennt.“ Er schaffte ein Grinsen. „Komm doch rein.“

Er trat von der Tür weg, um Robin einzulassen. „Aber pass auf, nicht zu fest zudrücken, da ist irgend ´ne Türangel kaputt.“ „Ich sehs schon“, antwortete Robin.

Etwas hastiger als es für ihn normal gewesen wäre, zog Tom seinen Schulrucksack aus der Ecke, in die er ihn am Tag zuvor geknallt hatte. „Bin gleich soweit. Ich warn dich aber vor, kann sein, dass es bei uns gleich Mittagessen gibt.“, sagte er zu Robin, der interessiert sein Bücherregal inspizierte. Sogleich war es ihm etwas peinlich, und er wusste nicht einmal genau warum. „Ach, das ist schon in Ordnung. Vielleicht kann ich ja mit essen? Deine Mutter kocht so gut..“ Robin rieb sich gespielt über den Bauch. Es hatte schon Tage oder Abende gegeben, hauptsächlich vor ein paar Jahren, als sie noch nicht so ausgelastet waren mit diversen Hobbies, als Robin öfters über Nacht geblieben war, oder hier zu Mittag gegessen hatte. Tom wusste gar nicht mehr, warum sich das alles überhaupt verloren hatte. Die Schule verlangte ihnen wohl mehr ab als noch vor sieben Jahren in der fünften Klasse.

„Also.. das Future Perfect?“, fragte Tom, und schlug sein Englischheft auf, richtete seinen Blick betont auf die Zeilen mit den Buchstaben. Dann zog er den Stuhl heran, den er sich in weiser Voraussicht am Abend zuvor noch hochgeschafft hatte.

„Jep, Future Perfect. Keine Ahnung was der olle Schwitzfleck eigentlich von uns will, aber das Zeug ist viel zu schwer.“ Robin grinste, und setzte sich auf den Bürostuhl. Tom grinste. „So schwer ists eigentlich nicht, aber dann wollen wir mal.“ Er nickte und setzte sich auf den Stuhl.
 

Drei Stunden später waren beide geschafft. Ihre Mägen waren angefüllt von einer doppelten Portion Gemüselasagne und je zwei Kugeln Schokoladeneiscreme mit Schlagsahne, ihre Köpfe brummten vor lauter Future perfect. „Uff“, murmelte Robin. „Ich kann nicht mehr. Aber ich glaub, ich habs auch schon so langsam kapiert.“ Er stand auf, und streckte sich, schlenderte in Toms Zimmer herum. Wie die meisten seiner – zugegeben wenigen Gäste – war auch er fasziniert von dem Dachfenster, auch wenn er es schon öfters gesehen hatte in der Vergangenheit. Ohne um Erlaubnis zu fragen, denn Robin wusste, er musste das nicht, liess er sich auf Toms gemachtes Bett fallen, und verschränkte die Hände hinter dem Kopf.

„Echt gemütlich hast du´s hier, muss ich schon sagen.“ Tom fuhr sich fahrig durch die Haare. „Mmh.. ja.. sehr gemütlich.“ Dann stand er auf, und durchquerte den Raum, setzte sich neben Robin auf das Bett, zog die Beine an und schlang die Arme um sie. Er wagte einen kurzen Blick auf Robin, der die Augen mittlerweile geschlossen hatte. Erneut stellte sich das flaue Gefühl im Magen ein.

Wenn Robin ihm hier jetzt auf diesem Bett einschlief… Er wagte es nicht, den Gedanken zu Ende zu denken. Sein Blick blieb auf Robin liegen. Vielleicht wäre das hier jetzt der richtige Moment, um zu sprechen, doch Tom spürte, wie er sich gerade in dem bezaubernden Anblick verlor, der sich ihm bot. Er wagte sich nicht zu rühren, um das Bild nicht zu zerstören. Irgendwann würde er ihn wohl wecken müssen, aber gerade genoss er es noch, diese Ruhe. Es schien, als hätte er Robin für einen Moment einfach für sich alleine.
 

Robin schlug ein Auge auf. „Tom?“, seine Stimme klang schon etwas müde. „Mmh?“, Toms Herz schien ihm in die Hose zu sacken, und ärgerlich biss er sich auf die Unterlippe. „Sag mal.. Warst du schon mal verliebt? Also.. so richtig?“

Tom klappte den Mund auf, und starrte Robin an.

"Bist du da, wo ich auch bin? Bist du angekommen? Wo die Zeit im Wind verinnt wie Sand am Meer, wie die Wellen, die immer wieder kommen."

Tom x Robin: Das erste von drei möglichen Enden
 

Wieso fragte er ihn das? Und überhaupt.. wie zum Geier sollte er antworten? Tom spürte, wie sein Herz immer schneller klopfte, während er verzweifelt nach einer Antwort suchte. Das war der Moment und auch wieder nicht. „Wa.. warum fragst du das?“, stammelte er. Robins dunkelbrauen Augen schienen sich in ihn zu bohren.

„Na, weils mich interessiert. Du hattest noch nie eine Freundin, du erzählst auch nie, dass du irgendein Mädchen toll findest.. Ich hab grad mit Nele schlussgemacht, weisste ja.“

Tom nickte nur.

„Und dann hab ich mich gefragt, ob das alles ist. Ich mein es war nichts.. spezielles mit ihr. Genau wie mit allen andern Mädchen zuvor. In Büchern und im Fernsehen ist doch immer so dieses.. Schmetterlinge im Bauch, blabla.“ Robin richtete sich auf. Tom blickte Robin an und nahm seinen Mut zusammen. „Ja, ich war mal verliebt.“

„Echt?“ Robin wirkte interessiert.

„Ja.“, kam es Tom nur noch knapp über die Lippen.

„In wen denn? Hast du mir gar nie erzählt. Irgendwie.. reden wir weniger miteinander als früher. Warum hats nicht geklappt? Hat sie dich nicht gemocht?“

Tom knetete die eigenen Finger, und blickte irgendwo an die gegenüberliegende Zimmerwand, wo ein Poster von Revolverheld hing. Er musste an das Lied „Unzertrennlich“ denken. Er konnte den Text in und auswendig. „Endlich gefunden was längst zusammen gehört..“

Und plötzlich war alles glasklar. Wenn er es jetzt nicht sagen würde, würde er es niemals tun. Aber mit dieser Ungewissheit konnte er nicht leben. Er wandte den Blick wieder zu Robin.

„Ich bin immer noch verliebt. Aber ich weiss nicht, ob derjenige meine Gefühle erwidert.“

Er war so verliebt in diese Augen, und gerade hatte er das Gefühl, dass er keine einzige Sekunde vergeuden wollte, die ihm vielleicht noch blieben, um in diesen haselnussbraunen Augen zu versinken, bevor Robin weglaufen würde. Weil Robin sicherlich nicht an ihm interessiert wäre. Robin richtete sich auf, so dass er auf dem Bett sass.

„Das heisst, du bist.. du..?“ Er brach ab, und blickte Tom nur an. „Schwul“, beendete er Robins angefangenen Satz. „Ja. Bin ich. Weiss ich schon eine Weile.“

„Aber warum hast du mir nichts gesagt...?“ Robin kaute auf der Unterlippe herum.

„Was weiss ich? Weil ich Angst hatte? Weil ich immer noch Angst hab?“, sprach Tom, und seine Stimme war brüchig.

„Du hast Angst? Aber wovor? Denkst du.. Derjenige.. ehm.. könnte.. Sei..“

„Robin“, flüsterte Tom. Und dann war es ganz einfach. Robins Blick lag auf ihm, und ein leichtes, schüchternes Lächeln umspielte dessen Mund. Es war ganz einfach.

„Du bist es doch, du Idiot. Ich bin schon seit Ewigkeiten in dich verliebt.“

Robins Augen weiteten sich, und er starrte Tom eine Weile lang an. „Aber..“, murmelte er dann.
 

„Du bist genauso ein Idiot“, platzte es plötzlich aus Robin hervor, während er die Hände etwas anhob, und auf Toms Arm legte, der immer noch um seine Beine geschlungen war.

„Wa.. was?“ Tom lockerte seinen Klammergriff um die eigenen Beine und liess die Arme sinken, starrte Robin nur an.

Robin fuhr mit seinen Fingerspitzen über Toms Wange, und blickte ihn nur schweigend an, kaute auf der Unterlippe.

Konnte es tatsächlich sein, dass Robin.. aber.. Toms Hirn war nahe dran, auszusetzen. Er konnte es sich einfach nicht vorstellen, dass..

Er hob die Hand an, und legte sie sachte an die eine Seite von Robins Gesicht, strich mit dem Daumen über die Wange. Robin schloss die Augen.

Und dann war es ganz einfach. Tom beugte sich zu Robin, und küsste ihn. Und Robin wehrte sich nicht, sondern schlang die Arme um Tom, erwiderte den Kuss.
 

Endlich gefunden

Was längst zusammen gehört

Eine Welt aus Sekunden

Die uns alleine nur zerstört

Wie Ebbe und Flut

und Träume, die immer wieder kommen

Sie machen uns Mut

Wir haben sie uns einfach genommen

Der Augenblick schreibt unsere Geschichte
 

7 Jahre später
 

Er hörte nur ein Rascheln vom Küchentisch her, und dann schlossen sich starke Arme von hinten um seinen Körper. Tom legte den hölzernen Kochlöffel zur Seite, mit dem er gerade in der Käse-Sahnesauce gerührt hatte, und wandte den Kopf leicht zu Robin, der lächelte. „Guten Abend, Liebster. Das riecht ja gut.“ „Spaghetti mit Käse-Sahnesauce.“

„Mmmh, mein Leibgericht.“

„Gestern war noch Tortellini-Auflauf dein Leibgericht.“

„Alles was du kochst ist mein Leibgericht“, sagte Robin lachend. Dann flüsterte er in Toms Ohr: „Aber am liebsten esse ich dich.“ Erneut grinste er, wich dem Schlag mit dem Holzlöffel aus, während er sich von Tom löste. Er trat zu dem einen Schrank in der Einbauküche, und holte Geschirr und Besteck, um damit den Tisch zu decken. Tom rollte mit den Augen, und schmunzelte, während er sich wieder dem Essen widmete.
 

Später am Abend, nachdem sie gegessen hatten, sassen sie aneinander gekuschelt auf dem Sofa.. Tom hielt Robin in den Armen, und sie schauten die 3D-Tagesschau. Zum Glück brauchte man endlich nicht mehr diese nervigen 3D-Brillen. Der Beamer warf das Bild bereits plastisch in den Raum, so dass man als Zuschauer auch zuhause mittlerweile das beste Kinogefühl hatte.

Während der Nachrichtensprecher von den erneuten Kämpfen im Golf und den amerikanischen Bombenabwürfen über der iranischen Hauptstadt berichtete, massierte Tom Robin die Schultern. „Können wir das nicht abstellen?“, murmelte er. „Ich will keine schlechten Nachrichten heute. Heute ist ein guter Tag.“ Robin nickte nur, und griff nach der Fernbedienung, schaltete um, und erwischte eine Folge der 32. Staffel von den Simpsons.

„War die Arbeit heute interessant?“

„Nö, nicht wirklich“, sagte Tom zur Antwort. Robin drehte den Kopf etwas. „Warum ist heute dann ein guter Tag.“

„Jeder Tag, den ich mit dir beenden kann, ist ein guter Tag“, Tom lächelte. „aber auch abgesehen davon.. Es ist 7 Jahre her.“

„Eeecht?“ Robin wurde leicht rot. „Tut mir leid, hab ich vergessen. Sonst hätt ich was mitgebracht..“

„Ach Robin.“, Tom musste lachen. „Das ist mir nicht wichtig. Ehrlich. Mit dir hier zu sitzen.. ist das schönste Geschenk zum Siebenjährigen.“

„immerhin hab ich unseren Hochzeitstag vor zwei Wochen nicht vergessen!“, versuchte Robin noch schwach aufzubegehren. Tom nickte. Wahrlich, den hatte er nicht vergessen. Nach 6 Jahren Beziehung, mit Höhen und Tiefen, und einer mehrmonatigen Pause hatten sie sich vor zwei Jahren wieder zusammengerauft. Und vor einem Jahr waren sie schliesslich vor den Friedensrichter im Standesamt getreten. Irgendwie war Tom sehr froh darüber, dass es seit 20 Jahren möglich war, gleichgeschlechtliche Partnerschaften auch offiziell zu besiegeln.

Aus einem Impuls heraus küsste er Robin sanft auf den Hinterkopf.

„Aber ich bin echt froh, dass du es damals gesagt hast. Ich hab mich nicht getraut.“ Sagte Robin nach einer Weile. „Wenn ich mir überlege.. Was wäre gewesen, wenn du mir nicht die Wahrheit gesagt hättest?“

„Denk am Besten nicht drüber nach“, flüsterte Tom, und knabberte leicht an Robins Ohr.

„Du hast Recht. Das ist nur unnötig“, bekam er neben einem wohligen Seufzen auch noch als Antwort.

„Ich liebe dich.“, sprach er.

„Ich dich auch, Tom“, kam es als Antwort.
 

Wir sind unzertrennlich

Wir Sind unvergänglich

Wir sind unzertrennlich

In unsere Welt verloren

Wir sind unzertrennlich

Wir Sind unvergänglich

In Die Sekunde eingefroren

"Seit Tagen schon dreht sich alles im Kreis, ich kann nicht mehr sagen, was ich von dir weiss. Heute ist gestern und morgen vorbei und alles wird anders, denn wir sind allein."

Tom x Robin - Das zweite von drei möglichen Enden
 

Wieso fragte er ihn das? Und überhaupt.. wie zum Geier sollte er antworten? Tom spürte, wie sein Herz immer schneller klopfte, während er verzweifelt nach einer Antwort suchte. Das war der Moment und auch wieder nicht. „Wa.. warum fragst du das?“, stammelte er. Robins dunkelbrauen Augen schienen sich in ihn zu bohren.

„Na, weils mich interessiert. Du hattest noch nie eine Freundin, du erzählst auch nie, dass du irgendein Mädchen toll findest. Ich hab grad mit Nele schlussgemacht, weisste ja.“

Tom nickte nur. Dann blickte er Robin an und nahm seinen Mut zusammen. „Ja, ich war mal verliebt.“

„Echt?“ Robin wirkte interessiert.

„Ja.“, kam es Tom nur noch knapp über die Lippen.
 

Seit Tagen schon dreht sich alles im Kreis

Ich kann nicht mehr sagen, was ich von dir weiß

Heute ist gestern und morgen vorbei

Und alles wird anders, denn wir sind allein
 

Er musste an Revolverheld denken, an ihr Lied „Wir könnten die Grössten sein“. Innerlich summte er die erste Strophe mit, während er Robin anblickte, der den Braten sofort roch, und ihn begann, auszufragen.

„In wen denn? Hast du mir gar nie erzählt. Irgendwie.. reden wir weniger miteinander als früher. Warum hats nicht geklappt? Hat sie dich nicht gemocht?“

„Ich bin immer noch verliebt. Aber ich weiss nicht, ob derjenige meine Gefühle erwidert.“

„Das ist aber scha.. Moment mal.. Derjenige?“ Robin begriff erst nach einigen Sekunden, was Tom gerade gesagt hatte. „Das bedeutet du bist..?“ „Schwul. Ja.“ Tom wagte es nicht, Robin anzusehen, und fixierte die gegenüberliegende Zimmerwand. „Oh“, kam es nur über Robins Lippen, als er einige Zentimeter Abstand zwischen sich und Tom brachte.

„Das wusst ich nich, Mensch.. Warum hast du es mir nicht gesagt..?“

„Was denkst du denn.. Ich hatte Angst. Ich hab Angst. Ich habs noch nicht einmal meinen Eltern erzählt, obwohl die tolerant sind.“

„Ähm...“, er konnte spürten, wie unangenehm es Robin war. Oder interpretierte er zu viel mit hinein?

„Krass.. Hätt ich irgendwie nicht gedacht“, nuschelte Robin, und sein Blick wanderte zur Tür. Tom rollte mit den Augen. „Bloss weil ich Männer mag, heisst das nicht, dass ich über dich herfalle wie ein irrer Vergewaltiger, Robin.“ Robin musste kurz grinsen. „Ja, sorry, is nur grad etwas ungewohnt. Wer weiss es noch?“

„Niemand“, murmelte Tom, und zog die Beine etwas enger an. „Echt jetzt? Das muss ziemlich hart sein, hm?“ Robin sass wieder etwas lockerer da, und schien eine Art kindliche Neugier für das Ganze zu zeigen. „Also stehst du so richtig auf Männer? Auf Schwänze?“

Tom wurde rot. „Das gehört auch dazu.“ „Krass, echt.. Und warum hast du es noch niemandem gesagt?.“

„Sagte ich doch grad. Weil ich Angst hab.“

„Aber heutzutage ist das doch nichts ungewöhnliches mehr, mein ich. So viele sind ja schwul. Sogar Stars und so. Dieser Ricky Martin hat sich doch letztens.. wie sagt man das? Geoutet. Genau. Geoutet. Der mit den zwei Zwillingen. Also nicht dass ich diese Art Musik mögen würde, aber er hats halt gesagt. Naja gut, er hat auch an die 20 Jahre gebraucht, um sich zu trauen, obwohl er..“ Robin gestikulierte mit den Händen, plapperte weiter. Tom konnte nur vermuten, dass der sonst eher coole Robin gerade etwas überfordert war mit der Situation.

Und dann war es ganz einfach. Robins Hände fuhren durch die Luft, seine Lippen öffneten und schlossen sich beim Reden. Es war ganz einfach. Er würde jetzt seine Gewissheit finden.

„Robin“, sagte er. Robin hörte auf zu plappern, und blickte ihn an. „Ich bin in dich verliebt.“

Robin setzte an, etwas zu sagen, schloss den Mund dann aber wieder. Er starrte Tom nur an, der immer noch die Hände um die Beine geschlungen hatte. Dann kratzte Robin sich im Nacken, blickte etwas verlegen drein. Sein Körper spannte sich an, und er bekam nur ein „Äh“ zustande. Er stand auf, blickte zu Tom. „Also.. ich.. ehm.. Du weisst, ich steh auf Mädchen..“ Tom nickte nur. „Ich weiss“, sagte er leise. Jeden Tag sah er es. Er sah, wie er die Zunge in den Hals dieser hässlichen Nele gesteckt hatte, wie er mit Melanie geflirtet hatte, mit Carmen, mit Rosemarie. Er hatte so viele Mädchen kommen und gehen sehen in den letzten paar Jahren, er wollte sich gar nicht vorstellen, wie viele Emilys, Abigails und Ashleys Robin in den USA geküsst hatte.

„Naja, tut mir leid für dich Alter. Ich steh halt nicht so auf Schwänze.“ Robin versuchte gekünstelt zu lachen, aber es gelang ihm nur halb. „Ich pack dann mal meine Sachen. Ich sollt langsam nach Hause.“

„Ist gut“, sagte Tom, und beobachtete Robin, wie dieser mit fahrigen Bewegungen seine Sachen zusammenpackte, ihm dabei ab und zu scheele Seitenblicke zu warf. Das war alles lächerlich. Wie wenn Tom ihn sofort anspringen würde, bloss weil er ein Mann war. Fast hätte er ihm ärgerlich zurufen wollen, dass er ja auch nicht jedes Mädchen anfassen würde, welches ihm unter die Nase kam, und dass er gefälligst nicht so von Tom denken sollte, doch er tat es nicht. Er war einfach still. Er spürte, dass ihm eine Träne hochkam.

„Tschüss“, kam noch eine flüchtige Verabschiedung von Robin, ehe er aus der Tür verschwunden war.
 

Du bist gegangen, hast gar nichts gesagt

Hast mich hier vergessen und nicht mal gefragt

Du suchst nach dir selbst und findest mich nicht

Dein Leben geht weiter mit neuem Gesicht
 

7 Jahre später
 

„Du hast das Bild also immer noch, hm?“. Tom spürte, wie starke, warme Hände sich auf seine Schultern legten, dann wurde er umarmt. Er drehte den Kopf leicht, und lächelte Christian an. Dieser küsste ihn kurz auf die Wange, und nahm ihm das Bild aus den Händen. Es zeigte Robin und Tom, beide etwa im Alter von 16. Tom wurde rot. Er wusste selbst, dass er sentimental war, dass er diese Erinnerung längst hätte vergraben sollen, doch irgendetwas in ihm hielt noch daran fest.

Robin.. Seine erste grosse Liebe.

„Ja, irgendwie.. häng ich noch dran.“, murmelte er, während er das Bild wieder aus Christians Fingern klaubte, und es zurück in die Schublade steckte. Er drehte sich um, und legte die Arme um Christans Hals. Christian war erstaunlicherweise grösser als er, fast zwei Meter, und auch relativ gut gebaut. Das meiste an ihm waren Muskeln, doch hatte er auch ein, zwei Speckröllchen. Seine Haare waren kurz rasiert, und von einer undefinierbaren grau-braunen Farbe. Das Interessanteste an Christian waren sein Grübchen im Kinn, und sein Lächeln, welches einfach nur einladend und nett wirkte. Er küsste seinen Freund, und schmiegte sich dann in die Umarmung. „Ja.. Irgendiwe häng ich noch dran.“, murmelte er erneut. Christians Hand strich über seinen Rücken. Es war verflixt, irgendwie wusste der andere immer, in welchem Gemütszustand er war.

Heute Morgen war Tom über eine alte Platte von Revolverheld gestolpert, beim Aufräumen der gemeinsamen Wohnung. Eine Platte, die er auf und ab gehört hatte in jenen schicksalhaften Tagen. Und beim Lied „Wir könnten die Grössten sein“ war er in Tränen ausgebrochen.
 

Ich mal dieses Bild von der Zeit die wir hatten

Wir könnten die Größten sein

Ich kann nichts mehr tun, lass die Zeit es entscheiden

Wir könnten die Größten sein
 

„Weisst du“, begann Christian langsam, „es ist zwar ewig lang her, aber vielleicht solltest du ihn mal anrufen.“ Tom blickte in Christians Gesicht, auf dem sich neben dem lächeln auch eine Sorgenfalte auf der Stirn zeigte. Er kannte Christian nun lange genug, um zu merken, dass dieser sich bereits einige Tage Gedanken darüber gemacht haben musste.

„Ich mein.. Du machst dir immer mal wieder Gedanken darüber, vielleicht wärs gut, wenn du ihn nochmal siehst. Um Klarheit zu haben.“

„Klarheit?“

„Könnte ja sein, dass du ihn immer noch liebst.“

Tom löste sich von Christian. „Denkst du wirklich, dass ich ihn nach über 7 Jahren immer noch liebe? Obwohl ich weiss, dass er mich nicht wollte? Nein.. so dumm bin ich nicht. Ich liebe nur dich, Dummerchen.“

„Warum bist du dann so traurig?“ Christians Hand legte sich an die Seite von Toms Gesicht und strich ihm mit dem Daumen sachte unter dem rechen Auge hindurch, welches noch gerötet war.

„Ich weiss nicht.. Ich glaube.. Ich vermiss einfach ihn. Nicht aus Liebe, sondern weil wir gut befreundet waren. 7 Jahre lang, bis ich es ruiniert hab.“

„Du hasts doch nicht ruiniert. Ich finds gut, dass du ehrlich warst.“ Christian kannte die ganze Geschichte.

„Aber seither haben wir kaum mehr miteinander gesprochen, und er ging mir aus dem Weg.“, begehrte Tom auf.

„Natürlich. Er war 17.“

„18“, korrigierte Tom ihn.

„Meinetwegen halt 18. Er war ein blutjunger Teenie, der noch nicht mal Abitur hatte, genau wie du ein hormongeschwängerter unsicherer Streber warst.“

„Ich war kein Streber“, brummelte Tom und knuffte Christian.

„Natürlich nicht“, sprach dieser mit einem liebevoll ironischem Unterton, ehe er wieder ernst wurde. „Ich will dir damit sagen, dass er vermutlich von der ganzen Sache heillos überfordert war. Du weisst doch wie Teenagerjungs sind.“ Tom nickte nur. Christian löste einen Arm aus der Umarmung, und griff in rechte Gesässtasche seiner Hose, zog sein etwas zerfleddertes Portemonnaie hervor. „Was machst du?“, fragte Tom. Christian antwortete nicht sofort, sondern kramte etwas darin herum, ehe er dann einen gelben Post-It-Zettel herauszog, und ihn Tom auf die Stirn pappte. Sofort fiel er wieder herunter, weil der Kelbstreifen bereits von Staub bedeckt war. Tom runzelte die Stirn, löste sich aus der Umarmung, und griff sich das Ding vom Boden auf. Darauf stand nur eine Folge von Zahlen.

„Was ist das?“, fragte er begriffsstutzig.

Christian rollte mit den Augen. „Eine Telefonnummer.“

„Aber.. hä?“

„Robin Wincklers Telefonnummer. Ich hab für dich etwas geforscht. Er ist nicht weit weggegangen, wohnt jetzt in Schwerin drüben.“

Tom starrte Christian an. „Du solltest wirklich mal anrufen.“
 

Einige Tage später nahm Tom den Notizzettel in die Hand, und tippte die Nummer in sein Handy ein. Als es klingelte, kaute er an einem Fingernagel. „Robin Winckler.“ Tom erkannte die Stimme sofort. Sie klang immer noch gleich wie vor 7 Jahren. Er räusperte sich kurz, ehe er sprach.

„Hallo Robin, hier ist Tom. Tom Sattler.“

„Hey.. Hallo Tom“, sprach Robin, und Tom wusste, dass dieser ihn sofort erkannt hatte.

„Mensch, ist das toll, dass du anrufst.“

„Echt?“, Tom war einigermassen erstaunt.

„Ja. Naja.. Wir waren doch so gut befreundet, bis..“

„Ja. Bis. Genau.“

„Schön, dass du anrufst. Hättest du mal Lust, einen Kaffe mit mir zu trinken?“

„Ehm.. natürlich.“

„Du weisst gar nicht wie froh ich bin, dass du anrufst. Ich hab mich die ganze Zeit nicht getraut. Ich glaub, ich war ein richtiges Arschloch, hm?“

„Naja.. Ich war nicht gerade.. fröhlich darüber“, sagte Tom.

„Tut mir echt leid, Tom. Aber ich war unsicher.. Ich hab echt keine Ahnung gehabt, was ich mit dir anstellen sollte...“

Tom musste lächeln. „Ich glaub, das sollten wir beim Kaffe besprechen, hm? Wie wär es mit morgen? 14 Uhr?“

„Aber sicher doch. Wohnst du immer noch in Hamburg? Wir könnten uns im Kaffe beim Rathaus treffen, da gabs doch früher immer diese leckeren Bienenstiche, und den besten Kaffe der.. “

Während Robin vor sich hin redete, begann Tom zu lächeln, und es war ein ehrliches lächeln, ein fröhliches Lächeln. Er hatte seinen besten Kumpel vermisst.
 

Und ich suche deine Hand auf meinem Gesicht

Ganz egal was ich auch tu, es ändert sich nichts

"Wir wollen nichts, nichts, nichts bereuen, nichts, nichts, nichts bereuen"

Tom x Robin - Das dritte von drei möglichen Enden
 

Wieso fragte er ihn das? Und überhaupt.. wie zum Geier sollte er antworten? Tom spürte, wie sein Herz immer schneller klopfte, während er verzweifelt nach einer Antwort suchte. Das war der Moment und auch wieder nicht. „Wa.. warum fragst du das?“, stammelte er. Robins dunkelbrauen Augen schienen sich in ihn zu bohren.

„Na, weils mich interessiert. Du hattest noch nie eine Freundin, du erzählst auch nie, dass du irgendein Mädchen toll findest. Ich hab grad mit Nele schlussgemacht, weisste ja.“

Tom nickte nur, hob eine Hand, und begann an einem Fingernagel zu kauen. Das hatte er das letzte Mal vor vielen Jahren getan, aber seine innere Anspannung liess ihn nicht los.

„Irgendwie, ich weiss auch nicht.. Nach ein paar Monaten verlieren die alle ihre Faszination. Fangen an irgendwie zu nörgeln, wollen irgendwas an mir ändern. Echt.. Deswegen frag ich. Ist das normal. Aber naja, du hast da wohl noch nicht so viele Erfahrung.“ Robin grinste ihn an. Dass Tom bisher keine Freundin gehabt hatte, war einer der Punkte, über die sich Robin manchmal freundschaftlich lustig machte. Tom nahm es ihm nicht übel.

„Nein, hab ich nicht wirklich. Aber woran liegts denn?“, versuchte Tom von dem heiklen Thema abzulenken. „Ich weiss nicht, mich gefragt, ob das alles ist. Ich mein es war nichts.. spezielles mit ihr. Genau wie mit allen andern Mädchen zuvor. In Büchern und im Fernsehen ist doch immer so dieses.. Schmetterlinge im Bauch, blabla.. Aber das hatt ich bisher irgendwie noch nicht wirklich.“ Tom blickte Robin von der Seite an. „Echt jetzt? Warum nicht?“ „Naja.. Doch. Eigentlich schon. Einmal.“, Robin wurde plötzlich leiser. „Aber das ist eh hoffnungslos.“

„Hoffnungslos? Inwiefern?“. Erneut stieg ein winzig kleiner Hoffnungsschimmer in Tom auf. Es könnte ja sein, dass er..

„Es ist Franzi“, nuschelte Robin, und zeichnete mit dem Finger Kreise auf die Bettdecke. „Franzi? Ausgerechnet Franzi?“

„Ja. Leider.“

„Aber Franzi wollte doch mal was von dir, nicht?“

„Ja, aber da.. da wusste ich halt noch nicht.. Ich weiss nicht.. Ich mein sie ist eine gute Freundin, wir machen so vieles miteinander, aber sie hat halt ihren Lukas, mit dem sie zusammen ist. Ich glaub sie sieht in mir eh nur den besten Kumpel.“

„Den besten Kumpel, der an jeder Hand zwei Frauen hätte, wenn er es wollte.“ Tom konnte sich diese sarkastische Bemerkung nicht verkneifen. Er überspielte seinen Schmerz.

„Ich weiss echt nicht mehr, was ich tun soll. Ich dachte, ich vergess sie, wenn ich in Amerika bin. Ich hatte da auch eine Freundin, Mary. Und jetzt Nele, aber die fängt schon wieder an rum zu zicken. Wie krieg ich sie denn aus meinem Kopf? Ich kapier das echt nicht. Ich weiss nicht wie ichs anstellen soll.“

Robin seufzte. Tom seufzte auch, aber nur innerlich. Willkommen in meinem Kopf, dachte er. Robin fühlte exakt das Gleiche wie er selber, nur verkehrt. Alles war verkehrt. So sollte es nicht ablaufen. So sollte es nicht gehen.

„Ich weiss es echt auch nicht, Robin. Ich bin nicht so der gute Ansprechpartner, glaub ich.“

„Warst du echt noch nie verliebt?“, Robins haselnussbraune Augen blickten ihn an.

„Naja.. Doch. Einmal.“

„Echt? Sag, wer wars? Wie hast du sie vergessen können? Also.. ich mein ihr wart ja nicht zusammen? Oder?“

Tom schüttelte den Kopf. Und dann war es ganz einfach. Robins Gesicht zeigte einen neugierigen Ausdruck, und er fuhr sich durch die Haare. Es war ganz einfach.

„Es war Vikkie.“

„Vikkie? Viktoria? Die Viktoria?“

Es war so einfach. Er wollte Robin nicht verlieren. Unter keinen Umständen. Und es gab keine Chance für ihn und Tom, also tat er etwas, was er noch niemals getan hatte, und auch nie wieder tun würde. Er log Robin an. Tom hatte sich den erstbesten Namen aus den Fingern gesaugt. Viktoria Müller war vor einem Jahr weggezogen, irgendwo nach Berlin, weil ihr Vater einen neuen Job hatte. Er war flüchtig mit ihr bekannt gewesen, und er dachte sich, dass dies taugte für eine hoffnungslose Verliebtheit.

„Das hätt ich dir jetzt aber nicht zugetraut, ehrlich.“

Tom setzte ein wehleidiges Gesicht auf, und murmelte: „Lass uns bitte nicht weiter drüber sprechen. Es ist eh vorbei jetzt.“

Robin nickte nur, und legte sich wieder halb auf das Bett. „Sorry, dass ich dich zugequatscht hab.“

„Ist schon in Ordnung.“ Tom beobachtete, wie Robin ergeben gähnte.

„Also.. Naja. Hast du dir schon mal überlegt..“

„Hm?“

„Vielleicht tut sie ja dasselbe. Versucht dich zu vergessen, weil sie dich ständig sieht mit anderen Mädchen.“

Robin blickte ihn eine Weile begriffsstutzig an. Tom lächelte gequält. Es schien, als ob ihm das Herz zerreissen würde, doch was konnte er denn tun, wenn nicht dies? Er liebte Robin, und auch wenn es bedeutete, dass er ihn gehen lassen musste. Wenn es Robin gut ging, dann ging es ihm auch gut.

„Also.. du meinst.. ehm..“

„Ja genau. Du solltest ihr einfach mal eindeutigere Zeichen geben. Es ihr vielleicht sagen. Und dann aufhören, ständig mit Mädchen ins Bett zu steigen, von denen du eh nichts willst. Sie können dir Franzi nie ersetzen.“

Robin schluckte leer, und blickte durch das Dachfenster in den Augusthimmel hinauf.

Tom betrachtete Robin.
 

Wir wollen nichts, nichts, nichts bereuen

Nichts, nichts, nichts bereuen

Lass den Sommer in Dein Herz und lass ihn nicht mehr los
 

7 Jahre später
 

Nervös zupfte Tom an seiner Anzugsjacke. Christian schmunzelte amüsiert. „Jetzt beruhig dich doch mal. Die Welt wird schon nicht untergehen.“ „Sei du doch ruhig“, zischte Tom, und fuhr sich durch die perfekt sitzenden Haare.

Christian war seit zwei Jahren sein fester Freund. Kennengelernt hatte er ihn ironischerweise tatsächlich in einem Gay-Café, in das Lilie ihn geschleppt hatte. Sie kam mittlerweile öfters nach Hamburg, nachdem sie auch ihren Wohnsitz von der Schweiz nach Frankfurt verlegt hatte, und dort irgendetwas Journalistisches machte. Sie schnappte sich öfters einen ICE und fuhr hoch zu ihm, um ein vergnügliches Wochenende oder ein paar freie Tage in Hamburg zu geniessen. Neben ihrem journalistischen Job arbeitete sie freiberuflich als Autorin, ihr Erstling, ein Fantasyroman, war soeben erschienen, und war in den Bestsellerlisten ziemlich gut eingestiegen.

An diesem schicksalhaften Samstagnachmittag hatten sie also zusammen gemeinsam in diesem einen Café gesessen, sie hatte soeben den letzten Rest ihrer Eiscreme aus dem Becher geschleckt und sich dann zufrieden seufzend auf den gefüllten Bauch gepascht. Lilie war eine hübsche, mollige Frau, die sich mittlerweile – sie war damals 27 gewesen – mit ihrem Körper zufrieden gegeben hatte, und ihn richtig gern bekommen hatte, was ein Gegensatz zu ihrem Empfinden ihrer Jugend darstellte. So sagte sie es jedenfalls immer. An diesem schicksalhaften Tag hatte sie Toms Blicke auf Christian bemerkt, der wie so oft in einer Ecke gesessen und seinen Milchkaffe getrunken hatte, in irgendeine Arbeit vertieft. „Mensch, Junge, du hast ihn also immer noch nicht angequatscht?“, hatte sie zu Tom gesagt, und ihn angestarrt. Tom war nur rot geworden. „Naja.. also..“ „Nichts naja, und also.. Ab jetzt erledige ich das.“ Tatkräftig hatte sie ihre Handtasche geschnappt, sie umgehängt und war aufgestanden. Noch bevor Tom protestieren hatte protestieren können, war sie schon bei Christian angelangt, und hatte ihn in ein Gespräch vertieft, in dessen Verlauf sie ein, oder zweimal auf Tom zeigte, der immer noch hochroten Kopfes an seinem Tisch sass, und versucht hatte wegzublicken. So hatte das Ganze seinen Lauf genommen.

Christian lächelte ihn an. „Wenn du so weitermachst, ruinierst du tatsächlich noch deine Frisur, für die du heute Morgen eine Viertelstunde gebraucht hast.“

Tom seufzte leise. „Jetzt sei doch mal etwas.. geduldiger mit mir. Du weisst doch, dass Robin es nicht weiss.“ Christian nickte nur.

„Aber es wird an der Zeit hm? Schliesslich hat er gesagt, du sollst eine Begleitperson mitbringen. Da hat er sich nicht auf das Geschleckt beschränkt.“

„Und ich bin froh, dass du da bist, ehrlich. Aber mein Magen rumort trotzdem. Ich hab keine Ahnung wie er reagieren wird.“, antwortete Tom. „Das wird schon werden“, sagte Christian mit stoischer Ruhe, und nahm Toms Hand einfach in die seine. Dann gingen sie über den Parkplatz zu der einfachen Kirche, in der die Hochzeit von Robin und Franzi ausgerichtet werden würde.
 

Die Welt ist viel zu schön um sich noch länger nur zu quälen

Wir sind alles hier und jetzt
 

Robin stand am Eingang der Kirche, in einem gut sitzenden Hochzeitsanzug, und strahlte mit der Sonne um die Wette, die mit dem Brautpaar gnädig war, und den Tag in einen der strahlenden Sorte verwandelten. Es schien alles perfekt.

„Tom, alter Freund“, begrüsste Robin Tom mit einem Handschlag und einem Schulterklopfen. „Freut mich wirklich, dass du hier bist.“ Robin strahlte Tom an, der den Gruss erwiderte. „Hallo Robin. Freut mich, dass du mich eingeladen hast. Dass ihr mich.. ich meine.. Du und Franzi.“ Er verfluchte sich selber, dass er über seine eigenen Sätze stolperte. Christian stand hinter ihm, hatte die Hand jedoch losgelassen.

Robin grinste, als sein Blick auf Christian fiel. „He, Tom, du bist aber unhöflich. Stell mir deinen Freund doch vor?“

Tom schluckte, doch dann nickt er. „Ja.. ehm.. Tschuldigung. Also. Christian? Das hier ist Robin, mein alter Freund. Und..“, er räusperte sich. „Robin? Das hier ist Christian, mein Lebenspartner.“ Seine Stimme klang klar, und es wunderte ihn. Als er Robins unverändertes Grinsen sah, atmete er auf. „Na also, endlich. Es wurde auch mal Zeit, dass jemand diesen Hüpfer hier eingefangen hat.“

„Moment mal“, Tom blickte leicht fassungslos. „Du hast gewusst, dass ich schwul bin?“

Robin musste grinsen. „Natürlich, das weiss ich seit einigen Jahren.“

Tom klappte den Mund auf, und starrte Robin an.

„Aber..“

Christian musste grinsen, und zog Tom mit sich. „Du kannst nachher mit ihm noch reden, er hat jetzt wichtigeres zu tun.“
 

Die Feier war bereits fortgeschritten, als Tom sich vom Tisch erhob. Er und Christian hatten einige Stücke getanzt, er hatte sich mit Franzi unterhalten, dem Brautpaar Glück gewünscht, welches miteinander um die Wette strahlte. Man sah den beiden an, dass sie sich endlich gefunden hatten, und darüber sehr glücklich waren. Die Hochzeitszeremonie war bis auf einen kleinen Patzer beim Organisten ein sehr stimmiges, schönes Ereignis gewesen, und alle waren gerührt gewesen, als aus Franzi Hohenstetter endlich Franziska Winckler wurde.

Tom nahm sein Weissweinglas in die Hand, und schlenderte auf den grossen Balkon des Restaurants. Es war bereits Mitternacht. Vereinzelt standen Raucher auf dem Balkon und auf der Terrasse unten, unterhielten sich leise. Er stellte die Unterarme auf die steinerne Brüstung des Balkons, hielt das Glas in den Händen, und blickte in die Sterne.

Als sich eine Gestalt zu ihm gesellte, dachte er erst, Christian wäre ihm gefolgt. Ein Seitenblick verriet ihm aber, dass es Robin war.

„Herzlichen Glückwunsch noch einmal“, sagte Tom. „Ihr seid wirklich ein schönes Paar.“ Robin lächelte. „Ich danke dir. Aber du und Christian.. Christian hiess er doch?“ Tom nickte. „Ihr seid ein ebenso schönes Pärchen.“

„Wusstest du es wirklich schon so lang?“

„Ich denke, ich weiss es seit drei Jahren oder so.“

„Wie?“, fragte Tom schlicht.

„Eigentlich ist es ganz banal. Ich hab dich mal diesen einen Kerl küssen sehen. Diesen schlaksigen, mit den langen schwarzen Haaren. In der Innenstadt.“ Robins Blick ruhte auf ihm, als er selber aus seinem eigenen Weinglas einen Schluck nahm.

Tom seufzte. „Ach.. Marc.“

„Keine Ahnung, hab ihn nie vorher gesehen. Aber ich muss ehrlich sagen, ich hatte den Verdacht schon vor diesem Ereignis.“

„Echt?“

„Naja. Du warst eher schüchtern, hast nie von Mädchen erzählt, hattest auch keine Freundin. Ich weiss ja nicht, warum du es mir nie verraten hast, aber ich hatte gehofft, dass du es von dir aus erzählst.“

„Aber Helen..“

„Ach komm hör mir doch auf.“ Er grinste. „Helen ist deine beste Freundin, eure Liebesgetue war von hinten bis vorne Schauspielerei, hab ich recht?“

Tom stotterte verlegen: „ähm.. Ich.. eh..“

„Sie ist wirklich gut. Aber du.. Du bist definitiv als Schauspieler nicht zu gebrauchen. Man hat dir das Unbehagen auf zehn Meter angesehen.“

Toms Wangen verfärbten sich rot, und er brummelte irgendetwas.

Robin lachte leise, doch dann wurde er wieder ernst.

„Warum hast du es mir nie gesagt? Ich mein ich bin dein bester Kumpel. Bin ich doch, oder?“

„Ja, das bist du, Robin. Doch es war.. irgendwie schwieriger. Ich weiss nicht.“

„Hm..“

Und dann war es ganz einfach. Robins Blick ruhte auf ihm, der erwachsene, der verheiratete Robin, der definitiv nicht homosexuell war. Der Robin, der ihm über all die Jahre ein so guter Freund gewesen war, dass er es Tom nicht einmal übelnahm, was er ihm die ganzen Jahre verschweigen hatte. Es war ganz einfach.

„Es gab eine Zeit.. Eigentlich eine recht lange Zeit, wo ich in dich verliebt gewesen bin, Robin. Deswegen war das alles nicht so einfach.“

Robin blickte ihn an.

„Das hatte ich vermutet.“

Und Tom blickte ein zweites Mal fassungslos an diesem Tag. „Aber..“

„Ich bin froh, dass du mich nie vor die Wahl gestellt hast. Ich hatte nie solche Gefühle für dich. Aber du warst ein echt guter Freund.“

Tom nickte nur, und nahm schnell einen Schluck Weisswein, um den Klumpen in seiner Kehle hinunterzuschlucken.

„Danke“, sagte er einfach. „Für dein Verständnis. Es war echt nicht leicht.“

„Das kann ich mir vorstellen. Aber du liebst jetzt Christian, oder?“ Der andere blickte ihn prüfend an.

Tom erwiderte den Blick, und dann sagte er aufrichtigen Herzens: „Ja. Das tue ich. Ich liebe Christian.“

Und es war wahr.

Robin lächelte, und blickte in den Sternenhimmel.

Tom tat es ihm gleich. Sein Herz wurde leicht.
 

Das hier ist nicht die Zeit für Melancholie

Ich lass mich einfach fallen und lass die Dinge ziehen



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