Michiru, die Geisha von Dokkaebis_Wife ================================================================================ Kapitel 1: Das Leben einer Geisha --------------------------------- Vorwort: Diese Fanfic ist eine echte Herausforderung für mich gewesen. Am Anfang gibt es leider sehr viel zu erklären. Ich hoffe dennoch, dass ich es einigermaßen hin bekommen habe und ihr wisst, was gemeint ist. In den nächsten Kapiteln wird es dann leichter zu lesen sein. Um die Stimmung der Geschichte beizubehalten, habe ich viele japanische Ausdrücke verwendet. Falls ihr Fragen habt, fragt einfach. Es war im Sommer 1939 in Gion Kobu in Kioto als ich sie kennen lernte, doch ich möchte am Anfang meiner Geschichte beginnen... Gion Kobu ist ein Bezirk, in dem Einrichtungen existieren, die "Okiyas" genannt werden. Dort wohnen Geishas und Gion Kobu ist der wichtigste und berühmteste Bezirk. Eine Okiya ist eine Art Lebensgemeinschaft, in der Geishas wohnen, während sie ihre Ausbildung zur Geisha absolvieren. Traditionell beginnen Mädchen ihre Ausbildung am 6.6.6. Das Datum bedeutet am 6. Juni im Jahre des sechsten Geburtstages. Ich begann auch in dem Alter. Da sich meine Eltern in großen finanziellen Schwierigkeiten befanden als ich vier Jahre alt war, gaben sie mich in die Okiya Dentoshi. Damit war sichergestellt, dass ich nie hungern müsste und hoffentlich ein glanzvolles Leben führen würde. Am Tag meines ersten Unterrichttages war ich sehr aufgeregt. Ich wachte sehr früh auf und ging in der Okiya umher. Es war ein sehr geräumiges Haus, in dem fünf Geishas wohnten, die Besitzerin der Okiya, zwei Dienstmädchen und ich. Es war schon früh klar, das ich die "atotori", zu vergleichen mit einer Adoptivtochter, der Okiya werden sollte. Damit wäre der Okiya der Lebensunterhalt gesichert. Die Besitzerin der Okiya, von allen der dort lebenden Geishas als "Mutter" oder "Mama" bezeichnet, begleitete mich zu meiner ersten Unterrichtsstunde. Ich wurde der Lehrerin vorgestellt und sie begann damit, mir beizubringen, wie ich mich vorzustellen habe. Ich machte ihre Bewegungen und Verbeugungen nach und sagte: "Mein Name ist Michiru Kaio. Ich freue mich, sie kennen zu lernen". Meine Lehrerin lobte mich und entließ mich für den ersten Tag. Bald darauf bekam ich meinen Geishanamen, er ist mit einem Künstlernamen zu vergleichen. Meiner lautete: Kaisui. Von da an musste ich mich immer mit diesem Namen vorstellen. Die Aufgaben einer Geisha sind nicht, wie viele Europäer meinen. Eine Geisha hat nicht nur eine anstrengende und nervenaufreibende Ausbildung zu absolvieren, sie muss das täglich gelernte verinnerlichen und perfektionieren. Ihre eigenen Bedürfnisse wie Freizeit und Liebe sind immer hinten angestellt. Sie lernt die Traditionen der Teezeremonie, des Ikebana (Kunst des Blumensteckens), des Tanzes, des Shamisen (eine Art Gitarre) spielen und der Konversation kennen. Ihr Weg zu ihrem Debüt als ausgebildete Geisha ist mit vielen Hindernissen versehen. Sie muss sich gegen eifersüchtige Geishas wehren, sie muss den hohen Anforderungen der Schule gerecht werden und mit der fortwährenden Müdigkeit fertig werden. Geishas sind eigentlich immer müde. Sie sind bis tief in die Nacht in Teehäusern, so genannte Ochayas, unterwegs und schenken den erfolgreichsten und berühmtesten Politikern oder Geschäftsmännern Sake (Reiswein) ein. Darüber hinaus muss sie lernen, sich auf ihren Gesprächspartner einzustellen und ihn bei Laune halten. Wenn der Gast sich langweilt, ist die Geisha schuld und wird darum nicht mehr in Teehäuser eingeladen. Eine Geisha verdient eine Menge Geld. Sie bekommt bei ihren Besuchen in Teehäusern das so genannte "handai", Blumengeld, pro Stunde eine gewisse Summe. Dieses Geld wandert aber vorerst nicht in ihre eigene Tasche - sie muss der Okiya die Schulden zurück zahlen, die sie als Lerngeisha durch ihre Ausbildung verursacht hat. Ich saß oft an meinem Fenster, in dem Kimono einer Lerngeisha und träumte davon, wie ich wohl aussehen würde, wenn ich einmal eine richtige Geisha bin. Ich liebte den Tanz und wollte die beste Tänzerin und erfolgreichste Geisha in ganz Japan werden. Mutter liebte mich, doch mit Yoko verstand ich mich überhaupt nicht. Yoko war kurz vor Beendigung ihrer Ausbildung und war neidisch auf mich, weil ich die Atotori der Okiya Dentoshi werden sollte und nicht sie. Ich war sehr erfolgreich und wurde wegen meines Aussehens bewundert. Meine türkisfarbenen Haare und dunkelblauen Augen hatten es jedem angetan. Mein Tagesablauf war immer derselbe. Kurz nachdem ich aufgestanden war, aß ich etwas, danach kam mein Ankleider. Jede Geisha braucht einen Ankleider, denn das anziehen eines Kimonos ist sehr kompliziert, außerdem kann ein Kimono mit Schmuck und Accessoires schon mal 20 Kilogramm wiegen. Zur Ausstattung eines jeden Kimonos zählt zum Beispiel der Obi (Kimonogürtel), ein Unterkleid, der Tanzfächer, ein bestimmter Kragen und die Tabi (Socken mit abgetrenntem Zeh). Danach musste ich in die Schule, ging nach Hause, aß wieder etwas um mich dann für den Abend zurecht zu machen. Bei meinem ersten Miyako Odori (Kirschblütentanz) im April 1928 war ich sieben Jahre alt. Es war eine wundervoll große Veranstaltung bei der ich mich sehr wohl fühlte. Ich hatte nur eine unbedeutende Rolle trotzdem war mir sofort klar, dass ich das für den Rest meines Lebens machen wollte. Elf Jahre später, ich hatte mich mittlerweile an die strengen Regeln gewöhnt, passierte etwas Schicksalhaftes. Ich ging am Nachmittag, ich hatte ausnahmsweise frei, in einem kimonoähnlichen Kleid und offenen Haaren spazieren, als ich auf einen jungen Herr aufmerksam wurde. Ich unterhielt mich Nacht für Nacht mit den interessantesten und erfolgreichsten Männern der Welt doch niemand faszinierte mich so, dass ich mich in ihn hätte verlieben können. Doch dieser Mann, der auf der gegenüberliegenden Seite lief, zog mich so in seinen Bann, dass ich beinahe ohne mich umzuschauen auf die Straße gelaufen wäre. Er hatte auch mich entdeckt und lächelte. Er passte so gar nicht in meine Welt. Das Spannenste an ihm war seine Kleidung. Da ich selten verreiste, sah ich selten westliche Kleidung und er trug welche. Es war ein hellgrauer Anzug. Ich hatte ein großes Selbstbewusstsein und war alles andere als schüchtern, aber als er auf mich zukam, wäre ich am liebsten davon gelaufen. "Entschuldigung", sagte er, wobei seine Stimme nicht wirklich männlich klang, doch ich fand es schön, "Ich kenne mich hier nicht so gut aus. Könnten Sie mir eine gute Ochaya empfehlen?". "Ja. Das Ichiriki ist ein sehr gutes Teehaus. Sind Sie zum ersten Mal in Gion?", antwortete ich ihm und sah ihn gespannt an. Er stand direkt vor mir und hatte eine Hand locker in seiner Hosentasche. "Ja, das bin ich", sagte er schlicht und nickte. Sein Aussehen war ganz außergewöhnlich. Sein blondes Haar glänzte in der Sonne wie Gold. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich gedacht, er sei eine Frau. Aber warum sollte eine Japanerin in westlicher Männerkleidung rumlaufen? "Ich wünsche Ihnen auf jeden Fall einen angenehmen Aufenthalt hier.", ich hielt ihm meine Hand hin, da ich unbedingt seinen Namen erfahren wollte, aber nicht direkt danach fragen konnte. "Mein Name ist Haruka Tenno", wie erhofft stellte er sich mir vor, "Wie ist dein Name?", er schüttelte meine Hand. "Tenno", dachte ich, "Wunderschöner Name, bedeutet ,Kaiser'". Seine Haut war sehr zart und dennoch hatte er einen sehr starken Händedruck. "Kaisui, freut mich". Plötzlich lachte er laut auf und vorübergehende Geishas starrten uns an. "Ich meinte deinen richtigen Namen". So etwas war ich noch nie gefragt worden und wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Letztendlich entschied mich dafür, ihm meinen Namen zu nennen. "Gomen-nasai", entschuldigte ich mich und sagte dann: "Michiru Kaio". "Also Michiru, würdest du mir heute im Ichiriki etwas Gesellschaft leisten?". Schon wieder eine Frage, auf die ich nicht antworten wollte. Ich hätte mich sehr gern mit ihm unterhalten, aber wann hatte ich schon mal einen Tag frei? Da es sehr unhöflich gewesen wäre, nein zu sagen, stimmte ich zu: "Ja, das würde ich gerne". "Gut. Dann sehen wir uns heute Abend im Ichiriki", er lächelte. Er hatte ein schönes Lächeln. "Ich freue mich schon", verabschiedete ich mich und machte mich auf den Nachhauseweg. Mutter war sehr erstaunt, warum ich mich anzog und schminkte, ich erklärte ihr, dass ich unbedingt an einer wichtigen Ozashiki (Dinnerparty) teil nehmen müsste. ,Aha', war ihre kurze Antwort. Ich machte mich gegen acht Uhr abends auf den Weg ins Ichiriki. Die Eigentümerin der Ochaya, also die Okasan, geleitete mich ins entsprechende Zimmer. Dort wartete Haruka und sah mich bewundernd an. "Guten Abend", begrüßte er mich. "Guten Abend", ich setzte mich und sah ihn an. Er trank einen Schluck Sake und sagte dann: "Bist du oft hier?". Die Etikette verlangte, dass ich ihn siezte, er mich aber duzte. "Es kommt darauf an, ob ich eingeladen werde oder nicht. Ist doch ganz klar", ich klang etwas besserwisserisch, er hatte aber anscheinend keinen Schimmer von der Geishakultur. Mit solchen Menschen hatte ich es am schwersten. Das Geishaleben war so komplex und so kompliziert zu erklären, dass ich genervt war, wenn ich andere auf die Traditionen aufmerksam machen musste. "Ich kenne mich mit so etwas nicht so gut aus. Ihr Geishas habt ein Leben voller Traditionen". Er war ein Ignorant und ich hasste das, dennoch konnte ich ihm nicht böse sein. Ich wollte meinen Standpunkt, mein Leben unter allen Umständen verteidigen. Diese Art Unterhaltung war eigentlich eine angenehme Abwechslung. Für gewöhnlich waren meine Gesprächspartner fasziniert von meinem Geishadasein. "Nicht nur das. Es ist auch anstrengend und fordert immer Höchstleistungen. Was sind Sie von Beruf?". "Darüber möchte ich eigentlich nicht reden", er trank einen Schluck Sake. "Na ja, gut. Ich kann sie zu nichts zwingen, Tenno-sama". Kaum hatte ich zuende gesprochen haute er so fest auf den Tisch, dass die Tassen wackelten. "Nenn mich nicht Tenno-sama! Das ist echt bescheuert! Ich bin auch kein besserer Mensch als du". Ich starrte ihn an und wusste im ersten Moment nicht, ob ich dem Drang zu weinen stand halten würde. Doch ich hielt der Versuchung stand und sagte: "Sie sind sehr unkontrolliert! Wenn sie es mir leise gesagt hätten, hätte ich es schon verstanden". Er war das genaue Gegenteil von mir, dass ich den Eindruck hatte, wir würden genauso gut wie Ying und Yang zusammen passen. "Entschuldigung", seufzte er leise. Er schenkte mir eine Tasse Sake ein und schob sie in meine Richtung. Ich trank einen Schluck und meinte: "Was treibt Sie nach Gion?". "Mein Vater, er hält sich geschäftlich hier auf und ich begleite ihn". "Und, wie gefällt Ihnen Gion?", ich sah ihm in die Augen und wurde sehr nachdenklich. "Einerseits mag ich die Großstadt, doch andererseits tut es gut, in Bezirke wie Gion zu kommen, um mich an der Kultur zu erfreuen". "Anscheinend verstehen Sie nicht viel von der Geishakultur?", fragte ich, weil ich über seine Aussage verwirrt war. "Deswegen unterhalte ich mich mit dir. Ich möchte die Geishakultur verstehen lernen", er lächelte und trank einen Schluck. "Die Geishakultur ist sehr komplex, wie ich schon sagte. Es wird also ein paar Unterhaltungen ich Anspruch nehmen, bis sie mich verstehen". Er nickte und schaute auf seine Uhr. Haruka starrte sie ungläubig an und entgegnete mir: "Das es so spät ist, habe ich gar nicht bemerkt. Ich muss langsam los". Ich nickte und wir beide tranken unseren Sake leer. Wir verließen gemeinsam die Ochaya und verabschiedeten uns draußen: "Ich hoffe, Sie kommen mich öfter in Gion besuchen?". "Ich werde es auf jeden Fall versuchen, versprechen kann ich nichts", meinte er, drehte sich um und ging ein paar Schritte, bis er rief: "Auf Wiedersehen, Michiru!". "Auf Wiedersehen, Haruka-san!", rief ich ebenso und machte mich auf den Nachhauseweg. Kapitel 2: Haruka und ihr Geheimnis ----------------------------------- "Aber Kaisui, das ist nicht dein ernst!", meinte einer der Männer, mit denen ich mich auf dem Weg zu einem Sumoring-Kampf befand. Inzwischen war eine Woche vergangen und ich war mit ein paar anderen Geishas eingeladen worden. Ich hatte dem Mann eine Geschichte erzählt, sie war natürlich nicht wahr, aber sie hatte ihn zum Lachen gebracht. Nach dem wir uns durch die anstehende Schlange gekämpft und einen guten Platz ergattert hatten, ging der Wettkampf los. Der Ringkampf war eher nebensächlich jeder in der Halle unterhielt sich. "Komm' Kaisui, wir suchen jetzt einen Ehemann für dich", scherzte Akami, eine der Geishas. Sie hatte schon meinen Arm gepackt und wollte mit mir durch die Halle laufen. Doch einer der Männer protestierte, ich solle noch eine Geschichte erzählen. "Also", sagte ich und machte eine Pause, während ich durch die Runde sah, "ich habe mal eine Geisha dabei beobachtet, als sie sich geschminkt hat. Da ich sie nicht leiden konnte, habe ich ihr am nächsten Tag die Puderdöschen vertauscht und sie hatte am wieder darauffolgenden Tag den falschen Lidschatten benutzt, den sie drei Tage später immer noch nicht hatte abwaschen können", die Männer brüllten vor Lachen, die Geishas und ich auch. Obwohl wir Geishas wussten, dass es unmöglich war, an die Schminksachen einer anderen Geisha zu kommen und Lidschatten nicht drei Tage lang hält. Aber solange die Geschichte ihren Zweck erfüllte, war uns das gleichgültig. Während die Männer noch mit lachen beschäftigt waren, ließ ich meinen Blick durch die ganze Halle schweifen. Bis mir etwas in der ersten Reihe in die Augen stach. Ich kannte es, doch ich brauchte eine Weile, bis ich es immer mehr zuordnen konnte. Es war Gold. Blonde Haare. Sie gehörten zu einer Person, die ich kannte, es war Haruka, wie ich erkennen konnte, als er sich unterhielt. Den restlichen Kampf über beobachtete ich Harukas Hinterkopf, das war auch alles was ich von ihm sehen konnte, und beteiligte mich selten an den Gesprächen der anderen. Ich war froh, als die Kämpfe zu Ende waren und alle aufstanden. Ich schaute abermals in Harukas Richtung. Er stand auch gerade auf. Doch als er stand, konnte ich mich nicht mehr bewegen, denn das was ich sah, hypnotisierte mich. Entweder, ich war verrückt und es war nicht Haruka, oder aber Haruka war eine Frau und trug ein Kleid. Akami stieß mich an und sagte: "Hey Kaisui! Wir möchten gehen, kommst du?". "Ja", sagte ich geistesabwesend und lief hinaus. Draußen verabschiedeten wir uns alle. Ich hielt Akami am Arm fest und fragte sie: "Kannst du mir einen Gefallen tun?". "Klar", antwortete sie und blieb stehen. "Wir müssen kurz warten, ja?", ich schaute sie bedrängend an. Ich hatte darauf geachtet, dass Haruka auf gar keinen Fall vor uns aus der Halle war. Ich hatte den Eingang die ganze Zeit über beobachtet. Weit hinten sah ich sie. Ich hielt meinen großen Fächer vor mein Gesicht und sagte zu Akami: "Siehst du die blonde Frau am Eingang?", Akami nickte, "Gehst du bitte zu ihr und fragst, wie sie heißt?". Akami machte sich auf den Weg und ich verhielt mich unauffällig. Nach ein paar Minuten spürte ich eine Hand am Arm, die mich nach vorne schob. Es war Akami, die mich in ein andere Straße führte. Ich sah mich um und klappte dann meinen Fächer zu. "Und?", fragte ich ungeduldig. "Sie wollte es nicht sagen, aber ein Mann hinter ihr rief anscheinend ihren Namen. Sie heißt Haruka. Warum willst du das wissen?", sie zuckte mit den Schultern. "Sie kam mir bekannt vor", sagte ich. Akami war die einzige Geisha, der ich vertraute und die meine Freundin war. "Wir reden ein anderes Mal darüber, ja? Ich bin in Eile. Ich muss zu einer Ozashiki", entgegnete Akami mir. "Ja, vielen Dank!". Sie verschwand sehr schnell und ich machte mich mit gemischten Gefühlen auch auf den Weg. Ich hatte ja schon oft das Gefühl gehabt, Haruka sei eine Frau, aber das dem wirklich so war, hätte ich nicht gedacht. Drei Tage später teilte mir Hanata, die meine Termine regelte, mit, dass ich eine Einladung für abends im Ichiriki bekommen habe. Als ich fragte, von wem, sagte sie Haruka Tenno. Da ich Haruka unbedingt noch mal sprechen wollte, nahm ich an und traf gegen halb neun im Ichiriki ein. Wir saßen in dem selben Raum wie bei unserem ersten Treffen und sie trug wieder einen Anzug. Ich hatte mir über sie ein paar Gedanken gemacht. Soweit ich mich erinnern konnte, gab es keine Situation, bei der sie hätte widersprechen müssen wie: "Ich bin kein Mann, ich bin eine Frau". Auch stellte sie sich mir nie als ,Herr' vor. Also würde ich mich jetzt ein wenig mit ihr unterhalten und sie im richtigen Augenblick darauf ansprechen. "Schön, dass du Zeit für mich hast, Michiru", sagte sie und musterte mich. Ich trug einen violetten Kimono mit Blümchenmuster und fliederfarbenem Obi. "Schön, Sie wieder zusehen, Haruka-san". Ich setzte mich. Ein Dienstmädchen kam mit Essen herein. Haruka hatte offenbar eine Sushi-Platte bestellt. Zum Glück, dachte ich. "Oh, das sieht aber lecker aus, nicht wahr?", fragte ich sie, nachdem das Dienstmädchen verschwunden war. "Ja, sehr gut sogar, ich hatte solch einen Hunger", sie begann zu essen und ich tat es ihr gleich. Nachdem wir genüsslich das Sushi gegessen hatten, saßen wir da und wussten nicht, worüber wir sprechen sollten. Es war zwar kein geeigneter Moment, aber ich hielt es nicht mehr aus, ich brannte vor Neugier, also sagte ich keck: "Sie haben ja heute gar kein Kleid an?!". Sie starrte mich an und bewegte sich einige Augenblicke nicht, sie blinzelte nicht einmal. Bis sie sich anscheinend gefangen hatte und sagte: "Ähm, warum sollte ich?". Es war ich wahrscheinlich peinlich, deswegen versuchte sie es abzustreiten. Es hätte ja sein können, dass ich nur einen Scherz gemacht habe. Um ihr es zu beweisen, dass es ernst war, erzählte ich: "Ich hab sie vor drei Tagen beim Sumoring-Kampf gesehen. Ihr Kleid war einfach wunderschön". Sie sah sich um. Aber sie war auch nicht ohne und fragte: "Du hast diese Geisha vorgeschickt, damit sie meinen Namen in Erfahrung bringt, nicht?". Ich grinste und nickte leicht. "Ich hab Akami darum gebeten". Sie lächelte, ihr Lächeln war einfach wunderschön und sagte dann: "Gomen-nasai. Ich hätte es dir sagen sollen". Ich schüttelte den Kopf und musste leicht lachen. "Sie sind vielleicht komisch", sagte ich ironisch. Sie lachte kurz. "Bitte, sieze mich nicht. Ich kann so was einfach nicht leiden", sie sah mich sanft an. "Und kein Aber", fügte sie hinzu. Ich lachte. "Wenigstens haben Sie", ich grinste, "Gomen. Hast du nicht mit der Faust auf den Tisch gehauen". Sie nickte. "Ich hab mir es gemerkt!". Ich überlegte und weil ich mich an dem Teehaus langsam satt gesehen hatte, schlug ich vor: "Komm' gehen wir etwas spazieren, es ist so schönes Wetter". "Klar". Als wir schon eine Weile unter dem Sternenhimmel unterwegs waren, fragte ich sie schließlich: "Warum trägst du einen Anzug?". "Ich wollte mal ausprobieren, wie es so ist. Außerdem wollte ich schon immer mal in eine Ochaya, weil ich aber unter keinen Umständen einen traditionellen Kimono deswegen anziehen wollte - abgesehen davon bin ich keine Geisha - hab ich halt den Anzug meines Vaters geklaut". "Und nur weil du hier nach Gion kommen wolltest, hast du ihn heute schon wieder gestohlen?". "Nein", meinte sie und blieb stehen, "Wegen dir". Ich wurde rot und hakte mich bei ihr ein. Schwieg aber. "Dein Gesicht hätte ich zu gern gesehen, als du mich im Kleid gesehen hast", sie schmunzelte. "Ich fand dich sehr schön darin. Obwohl du in einem Anzug auch sehr gut aussiehst". "Arigato", bedankte sie sich und ich lächelte. Wir kamen wieder am Ichiriki an und ich wollte sie nicht verabschieden, wusste andererseits auch nichts, was ich hätte vorschlagen können. "Ich werde dich so oft besuchen, wie es mein Vater zulässt", sagte sie. Es klang so endgültig. "Das wäre schön", ich sah sie an und lächelte. Sie sah sich um, küsste mich auf die Wange und sagte: "Auf Wiedersehen". Sie war so schnell, dass ich kaum wusste, was passiert war. "Ja, auf Wiedersehen", und schon war sie auf dem Weg. Drei Wochen später nahm ich an einer Ozashiki teil. Es war so langweilig wie noch nie. Ich dachte fortwährend an Haruka und mein Gesprächspartner war dermaßen langweilig, dass ich drohte einzuschlafen. Ich gähnte, entschuldigte mich schnell und machte mich auf den Weg frischen Sake zu holen. Ich stand in der Küche, als der Mann, mit dem ich mich unterhalten hatte, plötzlich neben mir stand. Er umarmte mich und versuchte mich zu küssen. Ich schloss die Augen und hielt meine Hände vor mein Gesicht. Einige Augenblicke später hörte ich Schritte und jemand zerrte den Mann von mir weg. Meine Augen waren noch geschlossen, als mich jemand sanft in den Arm nahm und sprach: "Alles in Ordnung? Unverschämtheit diese Männer!". Ich konnte die Stimme im ersten Moment nicht zuordnen und sah der Person ins Gesicht. Eine lächelnde Haruka sah mich an. "Was", stotterte ich, "Was machst du denn hier?". "Ich bin gerade angekommen. Ich wollte die Okasan bitten, dich einzuladen. Auf dich muss man ja ganz besonders aufpassen!". Ich seufzte froh und warf mich für einige Augenblicke zurück in Harukas Umarmung. "Ich freue mich, dich zu sehen", sagte ich. "Ich mich auch. Du nimmst gerade an der Ozashiki teil, nicht?", sie sah etwas müde aus. "Ja. Ich bin schon eine Weile dort, dann kann ich jetzt vielleicht gehen, ohne das es auffällt". "Wegen mir musst du nicht gehen". "Diese Ozashiki ist die langweiligste, die ich je besucht habe". "Na gut. Ich würde gerne wieder mit dir spazieren gehen". Ich lächelte, brachte den Sake in den Raum der Ozashiki und machte mich mit Haruka auf den Weg. Wir liefen diesmal eine andere Strecke und unterhielten uns über den Krieg, der begonnen hatte. Zwar nicht in Japan, aber in Europa. Wir hofften beide, dass Japan sich aus diesem Krieg raushalten könnte (was auch bis 1941 geklappt hat). Es war Spätsommer und die Sonne ging gerade unter. Wir liefen die Straßen etwas außerhalb Gions entlang. Trotz der angenehmen Wärme begegneten wir selten einer Geisha. Wir setzten uns schließlich auf eine Bank unter einem Kirschbaum und starrten in den Park. "Mir gefällt Gion. Wobei ich wahrscheinlich nicht die Ausdauer hätte, eine Geisha zu sein, außerdem passt das nicht zu mir", erzählte Haruka. "Ich habe meine Ausbildung traditionell am 6.6.6. begonnen. Meine Eltern mussten mich in die Okiya Dentoshi geben, da sie in schweren finanziellen Schwierigkeiten steckten". Sie sagte nichts. Schließlich fragte ich: "Was ist mit dir? Deiner Familie?". "Ich spreche nicht gern darüber". "Bitte, ich möchte gerne wissen, wie du lebst. Du weißt so vieles von mir". "Na schön. Meine Mutter ist Prinzessin und mein Vater Prinz". Sie klang so unglaubwürdig, dass ich lachen musste. Doch als sie mich vorwurfsvoll ansah, wusste ich, dass sie es ernst meinte. "Ach du meine Güte", rief ich. "Das heißt, du bist mal Prinzessin". "Ja, leider. Das einzig Gute ist der Reichtum". Ich schüttelte den Kopf und flüsterte: "Prinzessin". Sie schien etwas sauer und wandte sich von mir ab. "Das war nicht böse gemeint", sagte ich. "Ich weiß. Aber ich hasse es". Ich wusste nicht, was sie meinte, sie würde es hassen. Ich sah mich um, es war niemand weit und breit zu sehen, also lehnte ich meinen Kopf an ihre Schulter. Sie schien erst überrascht, tat aber nichts. Ich machte die Augen zu und genoss ihre Nähe. "Michiru?". "Hm?". "Macht es dir eigentlich Spaß, eine Geisha zu sein?". "Manchmal. Wenn ich so viele Berühmtheiten kennen lernen darf und wegen meines Aussehens bewundert werde schon". Sie lachte leicht. "Kann ich gut verstehen". Ich nahm meinen Kopf von ihrer Schulter und sah sie an. Sie legte ihre Hand an mein Kinn und küsste mich. Ich hatte es nicht erwartet, aber ich hatte auch nichts dagegen. Ich mochte ihre Art zu küssen. "Du bist so wunderschön", sie strich mit ihrer Hand meine Wange entlang. Danach wandte sie sich wieder von mir ab, als bereue sie es. Ich tat so, als hätte ich nichts bemerkt, zog sie an den Händen von der Bank hoch und wir liefen durch den Park. "Wie lange bleibst du in Gion?", fragte ich sie. "Nur zwei Tage". "Besser als nichts". "Ich würde dich gern einmal zu mir nach Hause in Kioto einladen. Zu einer Feier oder so etwas. Mein Vater hat bald Geburtstag, da klappt es bestimmt". "Ich würde mich sehr freuen", ich drückte ihre Hand und sagte dann: "In ein paar Minuten beginnt eine Ozashiki, bei der ich eingeladen bin". "Schade. Auf Bald, meine Kleine", sie küsste mich noch einmal, ich umarmte sie und sie war wie immer sehr schnell verschwunden. Ich wusste, dass sie sich morgen schon irgendwie melden würde. Am nächsten Tag machte ich mich nachmittags auf den Weg um einige Besorgungen zu erledigen. Ich lief zu unserem Lebensmittelladen, lud einige Lebensmittel wie Nori-Blätter (Algen für Sushi) und Morcheln (Pilze) in meinen Korb und ging zur Kasse. "Für die Dentoshis", sagte ich und der Verkäufer nickte. Wenn ich einkaufen war, ließ ich alles auf unsere Okiya anschreiben. Ich schlenderte nach draußen und sang während ich mich auf dem Weg nach Hause befand. Plötzlich kam Haruka um die Straßenecke geschossen. "Na Kleine, was singst du?", sie lächelte mich an. "Senshi no omoi. Wo kommst du denn so plötzlich her?", ich sah sie an. "Ich hab mich hergezaubert", ich sah ihr an, dass sie mich gerne berührt hätte, aber die Gefahr, gesehen zu werden, war zu groß. "Ich war gerade auf dem Weg-". "Ich hab schlechte Neuigkeiten", unterbrach sie mich. Ich sah sie traurig an und fragte: "Was denn?". "Ich muss schon heute Abend zurück reisen", sie sah auf den Boden. Ich sagte nichts und ging weiter. Sie folgte mir. "Warum ist alles so kompliziert?", fragte ich. "Weil es sonst langweilig wäre". Ihre Antwort war nicht die, die ich hören wollte. Doch was sie gesagt hatte, sagte viel über sie aus. Sie blieb stehen und sah mich durchdringend an. "Irgendwann werden wir schon einen Weg finden". "Ich hab heute leider überhaupt keine Zeit für dich. Ich muss so viele Ozashikis besuchen, dass ich auf jeder nur 15 Minuten bleiben kann. Es tut mir leid". "Es muss dir nicht leid tun. Ich werde dich wie besprochen zur Geburtstagsfeier meines Vaters einladen. Er hat für den Tag eine ganze Ochaya gebucht. In einem Raum ist er mit seinen Geschäftsfreunden und ein paar Geishas und im anderen Raum ist meine Mutter und ihre Freundinnen und so weiter". "Na gut. Wann hat er denn Geburtstag?", sie nahm meinen Korb und lief mit mir weiter. "In einem Monat". "Ich werde dich vermissen". "Und ich dich". Als wir kurz vor meiner Okiya waren, gab sie mir den Korb und einen Handkuss als Abschied. Mutter schimpfte mich, da ich so lange gebraucht hatte, aber ich hörte nicht hin. "Mama Sobuko, wie merkt man, dass man verliebt ist?", fragte ich sie. Ich hatte mit ihr noch nie über solche Sachen gesprochen. Sie sah mich erstaunt an und sagte dann: "Wenn du so verliebt bist, dass es weh tut". Ich bekam schon den ganzen Tag nichts als unnütze Antworten und diese war eine davon. "Du meinst also, jemanden zu lieben, bereitet Schmerzen?". Sie nickte und überreichte mir neue Tabi-Socken. Ich gähnte und sah mich um. Der Mann mit dem ich mich unterhielt, redete permanent von seinen physikalischen Experimenten. Er war ein berühmter Forscher und mir war es, als würde ein kleines Kind neben mir sitzen, dass rausgefunden hatte, dass Wasser nass macht. Ich dachte unentwegt an Haruka. Ich schmiedete einen Plan, wie ich mehr Zeit für sie haben könnte - und mehr Privatsphäre. Da ich meine Ausbildung zur Geisha erfolgreich absolviert hatte, war ich fast unabhängig. Mein Beruf machte mir Spaß und ich hatte gedacht, dass ich das für immer machen würde, aber damals war ich noch nie verliebt gewesen. Am nächsten Tag sprang ich ins eiskalte Wasser und sagte zu Mama Sobuko: "Ich werde hier in Gion eine Wohnung mieten. Soweit ich weiß, habe ich mich meine Schulden abbezahlt". Sie hatte ihre Brille fallen lassen und sagte etwas unsicher: "Aber warum denn?". Ich weiß, dass ich ihr kleines Schätzchen war - ,das Beste Pferd im Stall' - kurz gesagt, ich verdiente das meiste Geld. "Weil ich mehr Privatsphäre möchte". "Aha. Was tust du, wenn ich es nicht erlaube?". Jetzt wurde es ungemütlich. "Auch wenn du es nicht erlaubst, ich mache es". Sie war solche Aktionen nicht von mir gewohnt und war bestimmt auch weiterhin davon überzeugt, dass ich es nicht tun würde. Ich musste nicht lang nachdenken was ich wollte. Ich wollte Privatsphäre, Freiheit und Haruka. Kapitel 3: Ein neues Leben beginnt ---------------------------------- "Nein, nein. Bitte stellen Sie es da hinten auf", korrigierte ich die Männer, die meinen Tisch in meine Wohnung schleppten und auf den falschen Platz gestellt hatten. Ich hatte schon nach einer Woche das Passende gefunden. Die Wohnung war teuer, ich konnte einfach nicht mit Geld umgehen, aber ich würde es schon schaffen. Die Wohnung war nicht sehr groß, aber ich hatte meine eigenen vier Wände. Es gab ein Schlafzimmer, dass auch gleichzeitig der Ankleideraum war, eine kleine Küche, ein kleines Bad und im Verhältnis dazu ein sehr großes Wohnzimmer. Mein mühsam erspartes gab ich für die Einrichtung der Wohnung aus. Nachdem alles fertig eingerichtet war, saß ich an meinem Tisch und träumte vor mich hin. Ich war sehr stolz, meine Wohnung. Unweigerlich wanderten meine Gedanken zu Haruka. In einer Woche war es soweit, sie würde mich dann in die Ochaya Ichiriki einladen und mich mit zum Geburtstag ihres Vaters nehmen, da war ich mir sicher. Ich freute mich unendlich auf sie und hatte mir den Tag absichtlich frei gehalten. Meine Wohnung war genau so, wie ich sie haben wollte und die Woche war endlich um. Nachdem ich ausgeschlafen hatte, zog ich mich an. Ich hatte Lust auf ein leichtes Herbstkleid. Es hatte den Stoff und die Muster eines Kimonos, war aber ein schlichtes Kleid. Meine Haare hatte ich seit langer Zeit mal wieder offen und als ich mich leicht geschminkt hatte, ging ich hinaus und hoffte, Haruka zu treffen. Ich musste ja in die Okiya Dentoshi, um zu fragen, ob sich Haruka schon nach mir erkundigt hatte. "Hanata?", rief ich in das Haus, als ich angekommen war. "Ah, Kaisui", sie kam aus der Küche geeilt. "Es hat nicht zufällig jemand nach mir gefragt?", fragte ich sie hoffnungsvoll. "Nein, leider nicht", sie schüttelte den Kopf, bat mir einen Tee an, ich verneinte und verabschiedete mich. Ich wartete dort noch zwei Stunden, es war eine gute Gelegenheit mich mal wieder mit Mama Sobuko zu unterhalten. Doch auch in dieser Zeit rief die Okasan des Ichiriki nicht an, also beschloss ich, selbst dort nach zufragen. Doch die Okasan sah mich nur verwundert an und verneinte. Mich überkam ein bedrückendes Gefühl und ich gab auf. Erschöpft gelangte ich in meine Wohnung und legte mich hin. Ich lag eine ganze Weile da und überlegte, ob ich auch jede Möglichkeit durchgegangen war. Verzweifelt kam ich zu dem Entschluss, dass es keinen Sinn hatte, weiter zu suchen. Wir würden uns dieses Mal nicht begegnen. Merkwürdig war nur, dass sie sich noch nicht mal im Ichiriki gemeldet hatte. In der Nacht wurde mir klar, dass Haruka gar nicht in Gion gewesen war. Ich war enttäuscht und nahm mir vor, beleidigt zu sein, da sie mich verletzt hatte. Gleichzeitig wusste ich aber, dass ich jemanden wie Haruka nicht böse sein konnte. Lange musste ich warten, bis Haruka etwas von sich hören ließ. Etwa drei Wochen später hatte sie sich im Ichiriki nach mir erkundigt und darum gebeten, dass ich ihr Gesellschaft leiste. Aber mittlerweile war ich so ausgebucht, dass ich kein bisschen Zeit für sie hatte. Leider hatte uns das Schicksal auch nicht wieder zusammen geführt. Ich war ihr nicht begegnet - obwohl ich wusste, dass sie über Nacht in Gion gewesen war. Mein Leben allein in der Wohnung klappte ganz gut, ich hatte schnell gelernt, mich selbst zu organisieren. Außerdem schickte mir Mama Sobuko ein Hausmädchen, Aikyo, dass mir half. Ich freundete mich schnell mit ihr an, sie war für mich nicht nur ein Hausmädchen, sie war meine beste Freundin geworden. Sie war sehr hübsch, sie hatte jedoch eine kleine körperliche Behinderung: Ihr linkes Bein war länger als das rechte. So humpelte sie immer, ich fand das aber nicht so schlimm, es zeigte, dass sie auch nur ein Mensch mit Fehlern war. Viele Menschen in meiner Umgebung hielten so viel von sich, dass man dachte, sie würden sich für Gott persönlich halten. Es gab aber auch sehr liebe und interessante Menschen, von denen ich viel lernen konnte. Da war zum Beispiel ,Umo' (Feder), er hat mir nie seinen bürgerlichen Namen verraten, aber er war ein guter Freund von mir. Er war ein junger Künstler, der mir verschiedene Tricks verriet, wie ich meine Aquarelle ganz besonders schön werden ließe. Denn wenn ich mal Zeit für etwas fand, dann las ich oder malte Aquarelle. Umo war bei Frauen sehr beliebt und wirkte auch auf mich attraktiv, aber ich verspürte nie ein anderes Gefühl als Freundschaft für ihn. Ein anderer interessanter Mann war Ten Gyashi, "ein Philosoph im Ruhestand", wie er zu sagen pflegte. Einmal fragte ich ihn, worin der Sinn des Lebens besteht und er sagte: "Kaisui, mein Kind, du musst spüren, was für dich der Sinn des Lebens ist. Wenn du nach meinem Sinn des Lebens fragst, dann antworte ich dir, dass ich jeden Morgen mit dem Vorsatz aufstehe, niemanden in meinem Umfeld zu schaden. In jeder Situation. Mitgefühl für andere steht bei mir an zweiter Stelle. Sieh mal, wenn jeder Mensch auf der Welt Mitgefühl für seine Mitmenschen empfinden würde, gäbe es keinen Krieg. Wenn ich es dann noch geschafft habe, mit meinen Selbst in absoluter Harmonie zu leben, hab ich meinen Sinn des Lebens erfüllt". Ich dachte viel über seine Worte nach und dachte oft darüber nach, was mein Sinn des Lebens war. Ich besuchte mal wieder eine Ozashiki und unterhielt mich mit einem seltsamen Mann, er war Doktor im Bereich Medizin, er hieß Dr. Gatchiri. Er war vielleicht Mitte 30 und hatte eine nervenaufreibende Angewohnheit. Er grunzte während dem Reden, daher der Spitzname "Dr. Grunzmann". Ich hatte mir während den ersten Takten, die wir miteinander sprachen, fast nicht verkneifen können zu lachen. Als mir aber dann eingefallen war, was Herr Gyashi zu mir gesagt hatte: "Mitgefühl für seine Mitmenschen empfinden", unterdrückte ich das Lachen endgültig und beherrschte mich. Nach einer Weile bemerkte ich es gar nicht mehr und stellte fest, dass er einen guten Sinn für Humor hatte. Es ging aber nicht lange gut, gerade als die Ozashiki im vollem Gange war und ich sehr viel Spaß hatte, kam Yoko rein. Die eifersüchtige Geisha aus der Okiya Dentoshi. Sie war noch hinterlistiger und gemeiner geworden, seit ich alleine wohnte. Sie konnte sich ihren gemeinen Spruch nicht lange verkneifen und sagte absichtlich laut: "Na, Kaisui, unterhältst du dich mit Dr. Grunzmann?". Ich drehte mich um, lächelte sie arrogant an und wendete mich wieder zu Dr. Gatchiri. "Hm, das wird deinem Liebling Haruka Tenno überhaupt nicht gefallen", sprach sie weiter. Ich wusste weder, woher sie Haruka kannte, noch ob sie ebenfalls wusste, dass Haruka eine Frau war. Ich konnte mir noch nicht einmal einen Reim darauf machen, woher sie von uns beiden wusste. Ich drehte mich um, sah Yoko wütend in die Augen und sagte: "Vielleicht solltest erst mal lernen, wie man mit seinen Mitmenschen umgeht, Frau Großnase!", es war wahr, sie hatte eine wirklich große Nase. Sie zitterte fast vor Wut, sprang auf und zischte: "Obwohl, vor zwei Wochen, als Haruka-san in Gion war, hat er sich auch ganz gut ohne dich amüsiert. Findest du nicht auch, er sollte weniger Sake trinken?". Ich musste mich beherrschen um nicht, ebenfalls wie sie, einen schlechten Eindruck zu machen. Doch Yoko war das im Gegensatz zu mir egal, ihr Ruf war äußerst schlecht und dass sie überhaupt noch zu Ozashikis eingeladen wurde, grenzte an ein Wunder. "Haruka-san hat bestimmt kein Alkoholproblem. Denk dir etwas anderes aus und gewöhn' dir deine schlechten Manieren ab". Sie schnaufte, schaute arrogant nach oben und stolzierte aus dem Zimmer. Alle schauten mich irritiert an. Ich wusste aber, dass ich mich richtig verhalten hatte. Nach einigen Sekunden nickten mir einige zu und wendeten sich wieder an ihre Gesprächspartner. Die Ozashiki verlief ohne weitere Zwischenfälle. Doch in meinem Kopf herrschte keine Ruhe. Ich fragte mich immer wieder, ob das was Yoko gesagt hatte, wahr war. Haruka ein Alkoholproblem? Ich konnte mir das beim besten Willen nicht vorstellen. Wie war Yoko nur an diese Informationen gekommen? Ich hatte niemanden von Haruka erzählt. Noch nicht mal Aikyo oder Akami. Ich bekam Angst, dass Yoko Haruka und mich im Park gesehen hatte und deshalb Bescheid wusste. Der Gedanke an Haruka erinnerte mich daran, wie sehr ich sie vermisste. Ich hätte gern erfahren, warum sie vor fünf Wochen nicht da gewesen war und was vor zwei Wochen wirklich passiert war. Ich brauchte sie. Sehr früh am nächsten Morgen klopfte es an meiner Tür. Ich schleifte mich zur Tür und öffnete. "Haruka?", rief ich laut und hielt mir daraufhin geschockt den Mund zu. Sie lächelte. "Du hast mir gefehlt", sie sah sich verlegen um. "Komm doch erst mal rein". Schüchtern trat sie ein und folgte mir ins Wohnzimmer. "Du hast mir auch gefehlt, vor allem gestern Abend", sagte ich leise nachdem wir uns gesetzt hatten. "Was ist denn passiert?", fragte sie besorgt. "Ich weiß nicht, wie ich es dir erklären soll". Es entstand eine lange Pause, in der wir uns nur ab und zu verlegen in die Augen schauten. Plötzlich stürzte sie auf mich zu und küsste mich lange, bis sie flüsterte: "Es tut mir so leid, dass ich nicht da war". "Schon vergeben und vergessen", hauchte ich. Wir saßen dicht nebeneinander und sie hielt meine Hand. "Sag mal, du kennst nicht zufällig eine Yoko?". "Ja, doch. Ist das wichtig?". Ich seufzte und fragte sie, wobei ich ihre Frage ignorierte: "Woher kennst du sie?". "Aus dem Ichiriki, ich war doch vor zwei Wochen hier gewesen. Sie hatte mitbekommen, wie ich die Okasan bat, dich einzuladen. Was ist denn?". "Sie ist eine eifersüchtige Geisha aus meiner Okiya und sie hat mich gestern Abend ziemlich nervös gemacht, da sie von uns beiden wusste. Außerdem hat sie noch etwas relativ unhöfliches über dich erzählt". "Na, erzähl ich schon, ich werde es verkraften". "Sie hat behauptet, du hättest ein Alkoholproblem. Wie kommt sie dazu? Was ist denn vor zwei Wochen passiert?". Sie sah mich an und schien angestrengt zu überlegen. "Also, da du keine Zeit hattest gesellte ich mich zu einer Ozashiki und Yoko war kurz anwesend. Aber ein Alkoholproblem hab ich ganz bestimmt nicht. Ich hatte an dem Abend noch nicht mal einen einzigen Schluck Sake getrunken". "Ich hätte mir gleich denken können, dass diese neidische Frau lügt!". Haruka sah mir in die Augen und fragte dann ernst, aber auch gleichzeitig liebevoll: "Hast du den Schwachsinn etwa wirklich geglaubt?", nachdem ich einige Sekunden überlegte, bis ich antwortete, sagte sie: "Bitte sei ehrlich". "Ich war verletzt, verstehst du? Du warst am verabredeten Termin nicht da gewesen und dann trifft man auf jemanden, der behauptet, du hättest dich sehr amüsiert, als du das letzte Mal in Gion warst". Sie strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. "Michiru, ich bin jemand, der sich nicht so schnell verliebt - ja ich schwärme oft - aber dass ich mich wirklich verliebe, passiert selten, vielleicht war ich auch bis jetzt noch nie verliebt. Jedenfalls, glaube ich, dass ich dich liebe". Ich wurde rot und schluckte. Sie erwartete bestimmt von mir, dass ich ebenfalls so etwas aussprechen würde, aber ich war zu schüchtern dafür. "Ich, ... ich", war das einzige, was ich stotternd hervor brachte. "Sch...", entgegnete sie und hielt mir einen Finger auf meinen Mund. Anschließend küsste sie mich. "Ich sag das ungern, aber mein Ankleider wird gleich da sein. Es wäre nicht gut, wenn er uns beide hier sieht". Sie nickte widerstrebend und verabschiedete sich von mir. Als sie draußen war, rannte ich ans Fenster und schaute hinaus. Haruka war gerade rechtzeitig gegangen, mein Ankleider war gerade die Straße hoch gelaufen. Ich spürte noch ihren Kuss auf meinem Mund, bis mir einfiel, dass ich vergessen hatte, sie zu fragen, wann wir uns wiedersehen. Kapitel 4: Das Ende ist nicht nah, es ist da -------------------------------------------- Nervös zupfte ich an meinem Kimono, immer wieder schaute ich an mir runter, nur um sicher zu sein. "Akami, ist meine Schminke verwischt?", ein Satz den ich sie jetzt schon zum zehnten Mal fragte. "Nein, ich sag dir schon wenn", sie lächelte und tratschte mit den anderen Geishas weiter. Nur ich konnte das nicht. Es sollte alles perfekt sein. Nur heute, da durfte nichts schief gehen. Aus dreierlei Gründen. Sonst geschah immer etwas: Die Schmuckstücke in meinem Haar verrutschten, mein Kimono saß nicht perfekt, meine Bewegungen waren nicht präzise oder ich war so nervös, dass meine Ausstrahlung gleich null war. Bloß nicht heute, dachte ich verzweifelt und lugte durch den Vorhang. Die Zuschauer saßen still da, wartend auf den ersten Auftritt, auf mich. Ich frierte leicht, die ersten Blätter fielen von den Bäumen. Ich suchte nach einem bestimmten Gesicht, fand es aber nicht. Ich seufzte laut und hielt nach Mama Suboku und den anderen Ausschau. "Es geht gleich los", flüsterte meine Lehrerin und kam dann zu mir. "Du schaffst das, Kaisui", sprach sie zu mir. "Wie sehe ich aus?", fragte ich unsicher, immer noch verzweifelt. Nur heute, bitte. "Perfekt", lächelte meine Lehrerin, nahm ich drückend in den Arm und erkündigte sich bei den anderen nach deren Wohlbefinden. Ich ließ meinen Kopf hängen, kramte in meinem Obi und zog nach kurzer Zeit meinen Glücksbringer heraus. Ein Amulett von einem besonderen Menschen. Ich hatte so viele Schmuckstücke in meiner Zeit als Geisha geschenkt bekommen. Wertvolle, schöne und außergewöhnliche, doch keines war so wundervoll wie dieses simple, kleine Amulett. Ich seufzte, steckte es wieder in meinen Obi und atmete tief durch. Nur heute, es ist doch ein besonderer Tag. Ich setzte meinen perfektionierten Gesichtsausdruck auf und begann synchron mit der Musik. Ich tanzte, wie es mir gelehrt wurde und noch besser. Ausdruckstärker einfach. Akami spielte das Shamisen und jeder in dem riesigen Sommergarten hielt die Luft an. Alle Blicke waren auf mich gerichtet. Eine Bewegung nach der anderen saß und ich sollte nach der nächsten Bewegung meinen Fächer nehmen und mit ihm weiter tanzen. Ich griff schon unauffällig nach ihm, als ich bemerkte, dass mein Amulett daran hing. Hilflos entschloss ich mich dazu, den Fächer trotzdem aus meinem Obi zu ziehen. Einen Augenblick lang dachte ich, dass jetzt alles verloren war. Der Tanz sei nicht perfekt und ich hätte abermals versagt. Doch das Amulett rutschte an dem Fächer meinen Arm entlang und verschwand in meinen riesigen Ärmeln. Es hatte niemand bemerkt, niemand der meine Ungeschick registriert hatte, also tanzte ich mit gutem Gefühl zu Ende. Mir wurde ein Jubel zuteil, als ob ich die Show schon beendet hätte. Alle wussten es, alle wollten teil dieses Abends sein. Zunächst spielte Akami eine Weile auf dem Shamisen, bis ich dran war und die anderen Geishas tanzten. Alle Geishas machten winzig kleine Fehler, die niemandem auffielen, außer mir. Ich spürte dieselben Unsicherheiten, die mich damals als Lerngeisha überkamen, dieselbe Nervosität. Es fing leicht an zu regnen, als ich wieder dran war. Meine Begleitperson war Akami, die eine Rolle in diesem Tanz übernahm und Yoko, die das Shamisen spielte. Heute, ja heute war sie ausnahmsweise nett zu mir und war anständig. Der letzte Tanz und das nicht nur für diesen Abend. Ich erzählte eine Geschichte von einem Vogel, gespielt von Akami, der sich in einen Delphin, gespielt von mir, verliebt hatte. Ein Vogel, der frei sein wollte, von allem. Er flog über den Ozean und anstatt in die Freiheit zu fliegen, begegnete er einem Delphin. Einem Delphin, der insgeheim die gleiche Absicht hatte. Beide hatten sich jahrelang etwas vorgemacht. Sie taten, was von ihnen verlangt wurde, die Familie war das Wichtigste. Die Familie. Ungeachtet dessen das genau die Familie auch nur das Beste wollte und zwar für sich allein. Nicht aus Mitgefühl oder Freundlichkeit, sondern aus Egoismus. Der Vogel sah das ein und verließ seine Familie und begegnete dem Delphin, welcher von dem Vogel mitgerissen wurde. Ich liebte dieses Stück und ich konnte nicht bestreiten, dass sich meine Augen nicht Tränen füllten und ich nicht an sie dachte. Dieser Tanz war für sie. Oh mein Gott, wie sehr ich sie liebte. Einfach weil sie da war, in meinem Leben. Und ich hatte das Gefühl, dass es von jetzt an in all unseren Leben so sein würde. Sie und ich. Wir beendeten den Tanz. Wir wurden von einem mächtigem Applaus geehrt und ich verbeugte mich. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht, als ich Mama Sobuko sah, wie sie am lautesten applaudierte. Ich war froh, dass sie mir nicht mehr böse war. Obwohl ich es nicht wollte, dachte ich an unseren Streit: "Bitte, Mama Sobuko. Ich bin so nicht glücklich und kann es nicht sein. Ich bin eine Frau der Künste, doch meine Künste bestehen aus Aquarell malen und Geige spielen", ich sagte immer und immer wieder das Selbe. "Kaisui, das kannst du mir nicht antun! Wer verdient dann das Geld? Wer sorgt für meinen Unterhalt?", entgegnete sie mir ruhig, was mich noch viel wütender machte. "Ich bin fast 21 Jahre alt und kann tun und lassen was ich will. Bitte, es ist der erste Wunsch, bitte erfülle mir ihn". "Ach ja, dein erster Wunsch? Und was war mit deiner eigenen Wohnung?", sie zog eine Augenbraue hoch und sie sah mich altklug an. "Na schön, ich hab mich geirrt. Aber wenn ich das nur mit halbem Herzen tue, nützt dir das auch nichts!". "Na ja, wenigstens würdest du überhaupt Geld verdienen, ob deinen Kunden deine Laune gefällt, ist mir dann auch egal". Langsam wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Ich erzählte der Okasan des Ichiriki davon. Etwas, was ich nur ungern tat, doch überraschend war sie meiner Meinung. Wie ich bald erfahren sollte, hatte sie das Gleiche mitgemacht, sie wollte damals unbedingt nach Gion um jeden Preis. Sie hatte also denselben Kampf hinter sich, wie ich vor mir, nur das ich nicht NACH Gion wollte. Sie hatte sich einen ganzen Tag mit Mama Sobuko unterhalten. Immer wieder war ich nervös an der Tür vorbei gelaufen, bis Mama Sobuko nachgab und mich ließ. Ich verließ die Bühne und alle waren da: Meine Stammkunden, Umo, Ten Gyashi, Mama Sobuko, die restliche Familie, Aikyo und viele meiner Bekannten. Immer wieder wurde ich aufgehalten, mir wurden Blumen überreicht und oft wurde mir Bedauern ausgesprochen. Bedauern, dass ich das alles aufgab. Ich lächelte dann nur ein wenig wehmütig und entgegnete, dass ich doch nicht aus der Welt sei und niemanden vergessen würde. Denn das hatte ich auch nicht vor. Ich unterhielt mich bei einer Tasse Sake mit Umo, der vor den anderen Geishas geflüchtet war, welche ihn bedrängten - er war wohl der beliebteste Jungesselle dort. Er wiederholte im Schnelldurchlauf alles, was er mir je gelehrt hatte. Ich lächelte und vergaß, eine bestimmte Person zu suchen. Ich spürte Hände auf meiner Hüfte und kurz darauf, ohne das ich darauf reagieren konnte, auf meinen Augen. "Ich weiß, dass du es bist", flüsterte ich. Die Person nahm die Hände von meinen Augen und stellte sich vor mich, um mich zu küssen. Ich war froh sie zu sehen. Ich umarmte sie. "Ich hab es genau gesehen, du hast einen Fehler gemacht", entgegnete sie mir und sah mich an. "Wann?", ich wusste, dass es unnötig war es zu leugnen, trotzdem hatte ich Lust dazu. "Na, am Anfang. Das Amulett", sie lächelte. Ich machte scherzhaft eine Geste, sie solle nicht so laut sprechen. "Es hat niemand außer dir bemerkt - und außerdem, es war alles nur deine Schuld!", sprach ich liebevoll. "Meine Schuld, ja?", fragte sie gespielt beleidigt. "Na, wer hat mir denn wohl das Amulett geschenkt?", ich zog die Augenbrauen hoch und sah sie vorwurfsvoll an. "Na gut, ich bin schuld", flüsterte Haruka. Ich küsste sie abermals. "Darf ich Michiru mal kurz entführen?", fragte Mama Sobuko Haruka. Das erste Mal in meinem Leben, dass sie mich Michiru nannte und das erste Mal, dass sie sich gegenüber Haruka nicht wie eine verbitterte, mürrische Person verhielt. "Na klar", lächelte Haruka, freundlich wie immer. Ich ging mit Mama Sobuko und alle Geishas stellten sich für ein Foto bereit. Ich stand neben Akami, die ihren Arm um meine Schultern legte, wahrscheinlich, um locker zu wirken. Sie versuchte mir schon seit Tagen weiß zu machen, dass es ihr nichts ausmachte, dass ich weg ging. Doch ich kannte sie besser. Absurderweise stand Yoko auf der anderen Seite von mir und da sie nun "gewonnen" hatte - schließlich würde ich schon morgen keine Geisha mehr sein - nahm sie meine Hand und lächelte. Vielleicht aber auch täuschte ich mich in ihr und es tat ihr leid, was sie mir immer angetan hatte. Es ist für die zweitrangigen Geishas nie leicht, mit dieser Tatsache umzugehen. Andere würden sagen, das ich gewonnen hatte, da ich die Person mit einem Partner war. Nachdem drei oder vier Gruppenbilder gemacht wurden und sich alle wieder verteilten, schnappte ich Haruka und den Fotographen. Es entstand wohl das schönste Foto, dass je von Haruka und mir gemacht wurde: Wir stehen Arm in Arm zum Fotographen gewendet, die Wangen aneinander gepresst und der liebevolle Blick, den wir beide auf diesem Foto perfektioniert zu scheinen haben, spricht Bände. Es harmoniert einfach alles auf diesem Foto selbst die Farben: Das dunkle Lila, meines Kimonos, mit dem dunklen Blau ihres Anzugs. Trotz der dunklen Farben scheinen wir auf dem Foto zu strahlen. Nach einer Weile endete auch dieser Abend und wir verließen den Sommergarten mit unzähligen Blumen, kleinen Schmuckstücken und unseren Erinnerungen. "Bist du soweit?", fragte Haruka. Ich stand in dem Zimmer, das einst mein Wohnzimmer gewesen war und indem ich knapp zwei Jahre gelebt hatte. "Ja, sofort. Ich komme dann, ja?". Sie ging hinunter und ich stand allein in dem Raum. Obwohl ich länger in der Okiya verbracht hatte, fiel es mir viel schwerer, mich von dieser Wohnung zu verabschieden. Aber der Gedanke daran, dass ich jetzt mit Haruka allein in Osaka leben würde, machte es einfacher. In den vergangenen zwei Jahren arbeitete ich so hart wie nie. Haruka kam mich regelmäßig besuchen und jedes Mal machten wir uns um unsere Zukunft Gedanken. Jedes Mal planten und beschlossen wir etwas mehr. Bis es jetzt soweit war. Die Okasan des Ichiriki und ich überredeten Mama Sobuko mich von meinen Pflichten als Geisha zu befreien und mich nach Osaka ziehen zu lassen. Bei Haruka allerdings klappte das nicht so gut. Ihre Eltern, das berühmt-beliebte Prinzenpaar, erlaubten ihrer Tochter weder sich länger als Junge zu "verkleiden", als sie es dann heraus gefunden hatten, noch mit einer Frau zusammen zu ziehen. Dabei hatte Haruka ihnen noch nicht die ganze Wahrheit erzählt. Ich erinnere mich noch ganz genau an einem Abend im Ichiriki, als Haruka kurz vor dem Aufgeben war und die wohl wichtigste Entscheidung ihres Lebens traf: "Michiru, bald geb ich auf, sie werden mich nie nach Osaka ziehen lassen und das obwohl ich ihnen noch nicht mal erzählt habe, dass ich dich liebe", sie senkte den Kopf und seufzte. "Bitte, lass den Kopf nicht hängen. Ich hab es auch geschafft, deine Eltern werden es dir schon erlauben. Hey", ich fasste an ihr Kinn, so dass sie mich ansehen musste, "du bist doch sonst auch ein Sturkopf, so kenne ich dich ja gar nicht!". "Ach Darling.", sie nahm meine Hand und küsste meine Finger, "bald werden wir zusammen sein, ja? Für immer. Notfalls verzichte ich auf die Krone". Und das tat sie dann auch. Sie verzichtete auf alles und als ihre Mutter spürte, wie wichtig und ernst es ihrer Tochter war, organisierte sie einiges hinter dem Rücken ihres Mannes. Ein Haus in Osaka und eine stolze Summe an Geld. Außerdem war es ihr Wunsch, mich kennen zu lernen. So saßen wir eines abends in einem Restaurant und aßen gemeinsam zu Abend. Haruka war sichtlich nervös. Um ihre Mutter zu provozieren, trug Haruka Männerkleidung. Doch zu ihrer Überraschung sagte ihre Mutter: "Haruka, mein Schatz, die Männerkleidung steht dir ausgesprochen gut". Ich war mir nicht sicher, ob sie es ernst meinte oder ob sie es nur so gesagt hatte, wichtig war, DAS sie es gesagt hatte. Ich verließ meine Wohnung und ging hinunter. Haruka wartete schon vor dem Auto. Die restlichen Sachen waren eingepackt und ich stieg ein. Ich verließ nicht nur Gion, sondern auch das Leben als Geisha, um ein Leben mit Haruka zu leben. Ich würde vielleicht Kimonos entwerfen, dabei könnte ich so viel malen wie ich wollte, und Haruka würde bestimmt auch eine Beschäftigung finden. Mit einem Lächeln auf meinen Lippen sah ich, wie wir Gion und dann Kioto verließen. Nachwort: Vielleicht kam das Ende etwas plötzlich, aber ich hatte mit allen anderen Versuchen eine Ende zu schreiben, solche Probleme, dass nichts Gutes dabei rauskam *seufz* Ich möchte an dieser Stelle auf zwei Bücher hinweisen. Zum Einen auf das Buch "Die Geisha" von Arthur Golden, da hab' ich wohl unbewusst einen Charakter entnommen... ^^;; War keine Absicht. Es ist ein wundervolles Buch. Zum Anderen auf "Die wahre Geschichte einer Geisha" von Mineko Iwasaki, welche den Anlass für das Buch von Arthur Golden gab ^^ Ich habe mich an denen zwei Büchern orientiert und versucht, eine schöne Geisha-Fanfic über Haru und Chiru draus zu machen. Ich bedanke mich bei allen, die es bis zum Ende durchgehalten haben und freue mich über Kommentare :) © Copyright 2003 MissMichiru (Yvonne E.) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)