Thirteen Steps Leading Up to the Gallows von Phillia (Der Gärtner ist immer der Mörder.) ================================================================================ Kapitel 1: Step 1 ----------------- Bedrohlich hatten sich die Wolken zusammengezogen, und als würden sie die Welt unter sich verschlingen wollen, starrten sie finster auf die Passanten hinab, die gerade aus der grauen, schmutzigen Pferdekutsche stiegen. Der Wagen ächzte, als die Türen geschlossen wurden, aber so war er eben. Mit einem ernsten Nicken verabschiedete sich der Kutscher – erst in sechs Stunden würde er an diesen abgelegenen Ort zurückkehren, um seine Gäste abzuholen. Das einzige, was der Himmel sich noch nicht erlaubt hatte, war, seine Wut in Form von Regen auf die Erde zu schicken, aber so, wie zwei müde Augenpaare das sahen, würde es nicht mehr lange dauern, bis dies geschehen würde, und so beeilten ihre Besitzer sich, unter das Vordach zu gelangen, das Wärme und einen Auftrag versprach. Es war ein imposantes Haus, mit blendend weißer, verschnörkelter Fassade. Am Rande der Treppenstufen vor dem Eingang bewachten je ein mit Blattgold verzierter Löwe und ein Bär das Gebäude. Man konnte aufgrund der zugezogenen Vorhänge nicht einen einzigen Blick in das Innere des Hauses werfen. Ein paar Momente verstrichen, dann griff Albrecht Fontane – gekleidet in einem schlichten braunen Tweedanzug – nach dem die schwere Mahagonitür dominierenden Türklopfer in Form eines sich selbst verspeisenden Adlers und klopfte ein einziges Mal. Nur wenige Sekunden später wurde die schwere Tür aufgezogen und eine kleine Frau blickte die beiden Männer unter dichten Locken an. Zuerst betrat Fritz das Haus und sah sich mit desinteressiert wirkendem Blick um. Die Frau sprach Albrecht an. „Sind Sie der Detektiv?“, fragte sie in neugierig-verstörtem Tonfall. Albrecht hob in einer abwehrenden Geste die Hände, dann blickte er kurz zu Fritz. Die drei Fliegen, die ihn ansonsten immer surrend begleiteten, hatten es sich auf dem dunklen Bowler gemütlich gemacht und der ältere Mann sah sich noch immer abwesend um. Albrecht kannte diesen Blick. Er nickte der jungen Frau zu. „Ja.“ Sie knickste auf wackeligen Beinen. Man sah auf den ersten Blick, dass sie ein Hausmädchen war und sie schien auch recht selbstsicher zu sein – nur nicht in Anwesenheit dieser beiden Männer. Schwielige, an harte Arbeit gewöhnte Hände schlossen die Tür wieder, und sie lief den beiden voraus. „Bitte folgen Sie mir. Die Dame erwartete Sie sehnsüchtigst.“ Das Haus war alt und lang, und es verströmte den typischen Geruch altmodischer Häuser nach süßlicher Verwesung. Die Gänge reichten bis in tiefe, samtene Dunkelheit hinauf, denn die Petroleumlampen an den Wänden verströmten nur ein oberflächliches Licht. Albrecht ließ sich etwas zurückfallen, bis er Seite an Seite mit Fritz laufen konnte. Seine Stimme war genauso gedämpft wie das Licht. „Chef, sie denkt, ich sei der Detektiv.“ Keine Reaktion von Fritz. „Äh, wenn Sie das Missverständnis aufklären wollen, jetzt am Anfang wäre es bestimmt klug.“ Erneut keine Reaktion. Geduldig wartete Albrecht einige Minuten lang ab. Der abgenutzte Läufer au dem Boden – reich verziert und gleichzeitig schmutzig – reichte noch eine Weile. „Nein.... das ist gut so.“ Fritz nickte, eher zu sich selbst als zu Albrecht, und ließ seinen Blick über die lange Ahnengallerie schweifen. Jedes Gemälde an der Wand war von einem eigenen goldenen Rahmen eingefasst und zeigte die Anfänge des heimischen Geschlechts bis in das schwärzeste Mittelalter hinein. Am Ende des langen Ganges stand ein hochgewachsener Mann und deutete ein Verbeugung an, als die drei in Sichtweite kamen. Das Hausmädchen – sie hatte sich ihnen als „Anna“ vorgestellt – verschwand in einer Seitentür, nun, als der Chefbutler die Gäste in Empfang nehmen konnte. „Guten Tag, die Herren. Sollten Sie irgendetwas benötigen, dann zögern Sie nicht, mich anzusprechen. Mein Name ist Georg.“ Der elegante schwarze Anzug wurde in einer weiteren angedeuteten Verbeugung verknittert. „Sind Sie bereit für die Dame des Hauses?“ Albrecht, nachdem er sichergestellt hatte, dass Fritz noch immer damit beschäftigt war, die Portraits an den Wänden anzustarren, nickte schweigend, und die Flügeltüren öffneten sich in einen größeren Raum. Auch hier waren die Fenster von Vorhängen bedeckt. Der Läufer verwandelte sich magischerweise in einen asiatisch anmutenden, feinen Seidenteppich; jenes Flair wurde von den Laternen auf den Lacktischen und den Wandteppichen mit Szenen aus dem koreanischen Alltagsleben unterstützt. In einem modern wirkenden Stuhl saß eine Frau in einem grünen Kleid mit feinen Silberbestickungen, und sie hielt ein Baby in den Armen; auf dem dunklen Tisch neben ihr saß ein etwa fünfjähriger Junge und sobald die beiden Detektive eingetreten waren, war er aufgesprungen und war zu ihnen gerannt. Seine Haare waren unglaublich hell, fast schon weiß, als er Albrecht am Anzug zog und etwas unverständliches krähte. Der Butler betrachtete das Kind mit einem enervierten Blick und scheuchte es mit einer Handbewegung fort. Sofort stand die Frau auf, und es enthüllte sich, dass ihr linkes Bein nur noch ein langes Stück Holz war. Sie lächelte breit und Albrechts Nackenhaare stellten sich auf. Er war gewöhnt daran, dass die Frauen der vornehmen Gesellschaft alles zu sein schienen, was sie nicht waren, aber diese Frau schien die Kunst der Illusion perfektioniert zu haben. Die Mundwinkel schienen aus Blei gegossen und unverrückbar zu sein. Friedlich schlief das kleine blonde Baby auf ihren Armen. Der Butler verneigte sich vor ihr. „Misses, die beiden Detektive.“ Er warf den beiden einen Blick zu. „Und das ist Frau Henriette, die Herrin des Hauses. Ihr-“ „Danke Georg“, erklang ihr Stimme und sie brach ihren Bediensteten abrupt ab, „den Rest kann ich auch selbst mit den Herren besprechen. Aber bringen Sie bitte Roland zu seinem Hauslehrer.“ „Natürlich, Misses.“ Er trat einen Schritt zurück und schien mit der Wand zu verschmelzen, während er Roland an der Hand nahm und mit ihm aus dem Zimmer schritt. Albrecht zog seinen Hut und drückte ihn an seine Brust. Fritz' Blick war glasig nach vorne gerichtet; sein Bowler blieb schief auf seinem Kopf. In Henriettes Augen zeigte sich subtile Irritation. Als nach fünf Sekunden noch immer nicht die übliche, der Etikette entsprechenden Handlung geschehen war, schien sie sich entschieden zu haben, darüber hinwegzusehen. Nach dem üblichen Geplänkel fanden sich Albrecht und Fritz auf zwei Stühlen wieder, mit je einem Glas Scotch in der Hand und mit der Hausherrin ihnen gegenüber sitzend. Das Baby schlief noch immer friedlich und ruhig. „Meine Herren, herzlich Willkommen in unserem bescheidenen Heim. Darf ich Ihnen meinen Sohn Hein vorstellen?“ Stolz sah sie auf den blonden Jungen mit lichtem Haar auf ihren Armen hinab. „Mein anderer Sohn hört auf den Namen Roland. Er möchte eines Tages der Polizei beitreten, aber für einen Jungen seines Standes ist das natürlich unangebracht, wie meine verehrte Mutter auch immer sagt.“ Sie lachte leise und höchst unamüsiert. „Nun, weswegen ich Sie rufen ließ... es geht um unser geliebtes Haustier, Maria, ein Schwertfisch. Seit einem Tag scheint die Arme spurlos verschwunden zu sein aus unserem kleinen Teich. Auch Otto, unser Knecht, der für den Fischteich verantwortlich ist, weiß nicht, was mit ihr geschehen sein könnte. Sie, meine Herren, sollen den Fisch wiederfinden.“ Albrecht sah sie verwirrt an. Sie hatte den besten Detektiv der Stadt rufen lassen, um einen Fisch wiederzufinden? Das war seltsam, verlangte Fritz doch eine hohe Bezahlung und erschien diese Familie nicht unglaublich wohlhabend. Natürlich, reich genug für Bedienstete und dieses beeindruckende Haus, aber dennoch gehörten sie auf jeden Fall nicht zu der obersten Schicht, die normalen Kunden ihrer kleinen Detektei. Außerdem verursachte sie ein flaues Gefühl in seinem Magen. Von irgendwo kannte er diese Frau, er konnte nur den Finger nicht genau darauf legen. Diese Verwirrung teilte er seiner Umwelt mit. „Ein Fisch?“ Er hob eine Augenbraue. Fritz betrachtete indes den Lacktisch und die Spiegelung der simplen Decke in seinem Getränk. Henriette nickte. „Sie können sich keine Vorstellung davon machen, wie wichtig dieser Fisch für uns ist.“ Ihr Blick huschte auf eine große Standuhr, dann erhob sie sich und strich mit einer freien Hand ihr Kleid glatt. Nachdem sie eine Klingel geläutet hatte, eilte die Amme – ein junges, braunhaariges Mädchen mit gestickten Kirschen auf der Schürze – herbei und nahm Hein aus den Armen der Mutter. „Wenn Sie wünschen, können Sie als erstes den Tatort besichtigen und mit Otto reden.“ bot sie den beiden Detektiven an. Albrecht nickte. Fritz widersprach nicht, im Gegenteil, er stand auf und folgte Henriette schwerfällig, also schien er von diesem Plan angetan zu sein. Die drei Fliegen summten laut und die Stille durchschneidend um seinen Kopf herum. Der Teich befand sich in einem Wintergarten. Nachdem sich die langen Finger der Hausherrin um den Türgriff gelegt hatten und die Tür schwungvoll öffneten, erstarrten die drei Menschen. Mit diesem Anblick hatten sie nicht gerechnet. Kapitel 2: Step 2 ----------------- Auf dem Boden lag, mit dem Gesicht nach oben und seltsam deformiertem Hinterkopf, ein blonder Junge. Sofort schlug Henriette die Hand vor den Mund. „Otto!“ sagte sie ruhig, mit belegter Stimme, und beugte sich zu dem Jungen hinab, aber Albrecht hielt sie an der Schulter auf. Seine Augen hatten sich verengt – ein Gespür, das sich über Jahre entwickelt hatte, sagte ihm, dass man vorsichtig sein musste. „Er könnte tot sein.“ Sie schien zu zittern und blieb stehen. Fritz beugte sich über den Körper und berührte vorsichtig die Halsschlagader. Er nickte langsam und vorsichtig. Dann glitt sein aufmerksamer Blick über den Körper. Erst nach einer ganzen Sekunde räusperte sich Albrecht. „Nun?“ „Oh.“ Es war das erste Mal, dass Fritz in Anwesenheit Henriettes sprach. „Er ist tot.“ bemerkte er knochentrocken. Mit der flachen Hand fächerte sich Henriette als Reaktion auf diese Enthüllung erschrocken Luft zu. „Tot? Der Ärmste!“ Ihre Stimme klang erstickt. Und wieder war die Illusion der Oberschicht zu sehen. Albrecht, aufgewachsen in einem Waisenhaus und später als Privatdiener eines reichen Bengels, war vertraut mit der Scheinheiligkeit all dieser reichen Schnösel, die diese tägliche Schauspielerei in perfektem Maße gemeistert hatten. Er rollte mit den Augen. Fritz' Blick blieb lange auf der Leiche liegen. Erst nach einem gefühlten Monat stand er auf und teilte der Hausherrin ruhig mit, dass man die Polizei rufen sollte. Sie nickte. Das machte Sinn – der genaue Todeszeitpunkt musste ermittelt werden, die Autopsie musste durchgeführt werden, eben alles, was zwei einsame Detektive nicht allein erledigen konnten. Sie fächerte sich weiter Luft zu und verließ den Raum auf der Suche nach dem Hausmädchen, das man auf dem Rücken eines Pferdes auf dem schnellsten Weg in die dicht bevölkerte Stadt schicken konnte, um die Polizei einzuschalten. Fritz murmelte etwas, während die beiden verlassen bei der Leiche standen. Albrecht nickte nachdenklich. Otto war noch nicht lange tot. Er war noch warm, es konnte höchstens eine halbe Stunde seit Todeszeitpunkt vergangen sein. Außerdem hatte Albrecht bemerkt, dass keine Spuren eines Kampfes an seinem Körper zu bemerken gewesen waren, das bedeutete, dass er seinen Mörder gekannt haben musste – vermutlich einer der Angestellten, oder gar der Hausherr, der auf einem „Spaziergang“ unterwegs war, ganz allein, ohne ein Alibi; aber bisher auch ohne Motiv. Albrecht wollte keine voreiligen Schlüsse ziehen, und so wartete man, bis Henriette und Georg alle Anwesenden der letzten halben Stunde zusammengefunden hatten und sie sich nebeneinander im Salon aufgestellt hatten. Es war keine überaus reiche Familie, und so gab es auch nicht überaus viele Angestellte. Natürlich die Hausherrin selbst und ihr Chefbutler sowie ihre beiden Kinder. Zumindest Hein konnte man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als Täter ausschließen, und aus Rücksicht war auch Roland aus dem Kreise der Verdächtigen herausgezogen worden. Also blieben noch sechs Menschen übrig, abzüglich des Ehemanns Henriettes, der noch immer nicht nach Hause zurückgekehrt war. Zunächst war da natürlich Georg, der treue Diener des Hauses, mit seinen wie in Wachs gegossenen Gesichtszügen, der kerzengerade aufrecht stand und die beiden Detektive ruhig betrachtete, als hätte er niemandem jemals ein Härchen gekrümmt. Neben ihm stand, mit einem für den Berufsstand eher unüblich, ein großer, ungepflegter, ja geradezu dreckiger Mann, der sich ihnen mit eben diesem verdächtigen Grinsen als Hans vorstellte. Wiederum auf seiner anderen Seite kniete, etwas verängstigt, die Amme, die Hände um ihre Hüften geschlungen und sich nervös und zitternd umschauend. „Ist es wahr, dass er tot ist...?“ fragte sie leise, und dabei schien sie fast in Tränen auszubrechen. Die Köchin, ein eher zierliches, blondes Mädchen namens Nicole, warf der größeren und scheinbar auch älteren Frau nur einen Blick zu und hielt sich dann selbst mit Anzeichen von Nervösität den linken Unterarm. Hinter ihr stand der letzte der Angestellten, der Gärtner. Der Gärtner war immer der Mörder. Er stellte sich ihnen als Bernd vor und wischte sich die schmutzigen, von Dreck verkrusteten Hände an den Klamotten ab, und sein Blick war genervt und unruhig. Neben Bernd stand Anna, das Hausmädchen, das sie anfangs kennengelernt hatten, und ihr Blick war weder unruhig noch nervös, sondern es spiegelte sich darin tiefes, unerschütterliches Selbstbewusstsein wider. Albrecht schüttelte den Kopf. Es schien unmöglich zu sein, eine Gruppe noch verdächtigerer Menschen zu finden. Fritz blickte durch das Fenster nach draußen und beobachtete die sich im Wind wiegenden alten herrschaftlichen Bäume. „Wann ist Ihr Ehemann zurück?“ fragte er leise und beinahe zerbrechlich. Henriette schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund. „Oh Gott! Was, was wenn der Mörder ihn auch-“ Ihre Augen weiteten sich und sie nahm Hein, der still ruhend in einem Kinderbettchen lag, in ihre Arme. „Das könnte ich niemals ertragen!“ Albrecht musste sich wegdrehen, ansonsten würde ihn die Falschheit dieser Person noch umbringen. Allein dieser Tonfall sagte ihm alles, was er wissen musste über die Beziehung von dieser Frau und ihrem Ehemann. „Wir müssen ihn auf der Stelle suchen! Georg, bringen Sie-“ Ohne sie aussprechen zu lassen, öffnete sich die Tür, und Albrechts Herz blieb stehen. Kapitel 3: Step 3 ----------------- „Was'n hier los?“ Mit vom Wind zerzausten, braunen Haaren brachte ein junger Herr ein wenig Schlamm von draußen auf den dunklen Holzfußboden des Salons. Albrecht konnte es nicht sehen, weil er damit beschäftigt war, den Neuankömmling anzustarren, aber für den Bruchteil einer Sekunde verdüsterte sich Henriettes Blick, bis sie mit dem Kind auf den Armen einige beinahe stolpernde Schritt auf den Mann zutat. „Paul! Ich dachte, du wärst tot! Gott sei Dank hat er dich nicht erwischt.“ Diesmal konnte Albrecht sie nicht hören und kein Urteil darüber abgeben, wie verflucht gelogen jede einzelne Silbe war. Diesmal hing sein Blick auf den blauen, grenzenlos weiten Augen des anderen, und alle Erinnerungen kehrten zurück, die ihn jahrelang gequält und gleichzeitig das Paradies in Aussicht gestellt hatten. Paul. Paul von und zu Albrecht, zweiter Sohn der verarmten Herzogs Gilbert von und zu Albrecht – der Mann, der ihn aus dem Waisenhaus geholt hatte und seinen beiden Söhnen als Spielmaterial überlassen hatte. Das waren die schrecklichsten Jahre in Albrechts Leben gewesen. Er hatte für diese beiden verzogenen, rotzfrechen Bengel den Aufpasser spielen müssen, und für jede Dummheit, die einer von ihnen angestellt hatte – und Paul und Eitel hatte es nie an Ideen zu Dummheiten gemangelt – war er bestraft worden. Zudem hatte er seinen kleinen Bruder im Waisenhaus zurücklassen müssen, und bis heute hatte er nicht herausfinden können, wo Nikolai war – ob er überhaupt noch lebte. Darüber hatte er nie nachdenken wollen. Und dann, als Paul erwachsen geworden war, und als Eitel die Nachfolge seines Vaters angetreten hatte, da hatte man ihn einfach entlassen, hatte ihm die Tür vor der Nase verschlossen und hatte ihm gesagt, dass man ihn nie wieder sehen wollte. Nur Paul hatte eine Gardine zurückgeschoben, und Albrecht hatte sich eingebildet, dass er ihm durch elendig hängende Wimpern bekümmert nachgesehen hatte. Aber das bedeutete heute nichts mehr. Heute war Albrecht Partner des bedeutendsten und erfolgreichsten Detektivs der Hauptstadt. Heute hatte er seine Kindheit hinter sich gelassen; heute war er ein Mann, und auch Paul war ein Mann, und sie begegneten sich auf Augenhöhe. Mit der Ausnahme, dass Albrecht nie darüber hinweggekommen war, dass Paul ihm niemals mit den gleichen Gefühlen entgegengekommen war wie er sie für ihn hegte und pflegte und nicht abtöten konnte, so sehr es sich auch wünschte. Albrecht schluckte, und er ging einen stolpernden Schritt zurück, und dann klammerte er sich an dem erstbesten fest, was er zum Festklammern fand, und das war ganz zufälligerweise der Anzug des Chefbutlers, der ihm daraufhin einen angewiderten Blick zuwarf, aber nicht im Geringsten reagierte, sondern wieder nach vorne starrte. Paul hob abwehrend die Hände, denn Henriette war von der Rolle als besorgte Ehefrau in die Rolle einer ziemlich angesäuerten Ehefrau gewechselt, die ihren Ehemann böse ansah, weil er es gewagt hatte, ihr Sorgen zu bereiten. Dann schien sie sich daran zu erinnern, dass sie ein Gesicht zu wahren hatte, und ging mit stolzen Schritten zurück in die Mitte des Raumes, ihren Gemahl mit einem zuckersüßen Lächeln zu sich winkend. „Wie es aussieht, ist Otto tot.“ Paul fiel vor Schreck die Zigarre aus den Mundwinkeln, die er aus Gewohnheit immer im Mund trug, ob sie nun angezündet war oder nicht. Sein dünner Schnurrbart, der es im Gegensatz zu den Schnurrbärten von Fritz oder Bernd niemals zu stattlicher Größe geschafft hatte, erzitterte. „Otto? Der kleine Bursche? Warum, was ist denn mit ihm los?“ Überrascht schien Paul erst in diesem Moment zu bemerken, dass irgendetwas seltsam war an der Versammlung der Menschen in diesem Raum, und er blickte alle Anwesenden mit einem misstrauisch-forschenden Blick an. „Was macht ihr alle hier? Und warum ist hier so ein Dete-“ Augenkontakt zwischen ihm und Albrecht wurde hergestellt, und er verschluckte sich an seiner Sprache. Wiedererkennen glomm in seinen Augen auf, und in einer reflexartigen Reaktion wollte er das Gesicht unter der dünnen, braunen Mütze auf seinem Kopf verstecken, aber er behielt dann doch den Augenkontakt bei. Seine Stimme war rau, kratzig und niemand hätte diese Stimme wiedererkannt, wenn nicht jeder beobachten würde, dass sie aus Pauls Mund stammte. „Du?“ war das einzige, was er sagte, und dann schien er sich gefangen zu haben, und er lächelte und legte eine Hand auf Albrechts Schulter, die innerhalb eines Sekundenbruchteils abgeschüttelt wurde. Albrecht drehte sich weg und ging mit einigen staksenden Schritten an die Seite seines Partners, der von allen vergessen worden war. Daher war ihm Henriette bekannt vorgekommen. Er hatte ihr Gesicht gesehen auf dem Bild, das ihr Vater – ein schwerst neureicher Kaufmann – den Adeligen gesendet hatte in der Hoffnung auf die Vermählung mit einem der beiden Söhne der Familie. Und als die Entscheidung gefallen war, dass Paul sich ihrer würde annehmen müssen, war Wut auf diese Frau in ihm aufgekommen, Wut und schrecklicher Neid, den Albrecht Fontane sich weder erklären konnte noch wollte. „Du weißt doch, dass Maria fort ist. Und nun sind diese beiden Detektive angekommen, und Otto ist tot.“ Henriettes Stimme war kühl. „Also-“ „Was, hä, Otto? Otto der Fischjunge??“ Roland war zu seinem Vater gerannt und hatte die dünnen Arme um das Bein das Mannes geschlungen. „Wie, tot? Tot wie Großmutter?“ Er sah seinen Vater aus hilflosen, großen Augen an, und Paul, noch immer schwer verwirrt von allen Ereignissen, die sich hier überschlugen, konnte nur matt nicken. Roland Griff wurde enger und schmerzhaft. „Aber er ist doch nicht weg!“ Unfähig, dieses Kind zu trösten, das anfing, voller Unverständnis zu weinen, wanderte Pauls Blick von einem zum anderen, bis er bei Albrecht hängen blieb. „Alb-- ka-, kannst du nicht- dass er nicht mehr-“ Bevor Albrecht irgendetwas tun konnte, hatte Henriette seufzend den Kopf geschüttelt und war mit klappernden Schritten auf Paul zugegangen. Sie strich mit einer freien Hand ihrem Sohn über das Haar, und augenblicklich wandte er ihr seine Aufmerksamkeit zu. Pauls Blick lag weiterhin hilflos und überfordert auf Albrecht, dann jedoch schien sich ein Schalter umzulegen und seine Augen erhielten den Glanz, der Albrechts Herz immer davor bewahrt hatte, abzusterben. Der Hausherr entfernte sich von seiner Familie und kam auf die Detektive zu. „Guten Tag, es ist schade, Sie unter solch tragischen Umständen- ach, ist doch auch egal, ich bin Paul, meine Frau und Kinder haben Sie ja schon kennengelernt, und ich war spazieren, wie jeden Tag. Mann, ist der Junge ehrlich tot?“ Dabei ruhte sein Blick stur auf Albrecht, der es nicht wagte, ihn zu erwidern, sondern ein Bild auf der gegenüberliegenden Seite der Wand verschwommen fixierte. Also war Fritz dazu gezwungen, zu reden, und da er nicht reden wollte, erhielt Paul keine Antwort. Er drehte sich um und blickte einen nach dem anderen seine Angestellten an. „Ach kommt schon, als hätte einer von denen Otto umgebracht, das kann doch nicht Ihr Ernst sein!“ rief er aufgebracht aus und ließ sich dann mit überkreuzten Beinen auf einer Chaiselongue nieder. Erst zu diesem Zeitpunkt sah sich Fritz gezwungen, zu sprechen. „Stehen Sie auf. Auch Sie sind verdächtig.“ Kapitel 4: Step 4 ----------------- Einen Moment lang lag die Stille in der Luft wie ein schweres, mit Wasser vollgesogenes Tuch. Dann zuckte Paul mit den Schultern, stand auf und lehnte sich mit dem Ellbogen auf die Schulter von Georg, wofür er sich ein wenig auf die Zehenspitzen stellen musste. Der Butler starrte unentwegt mit unverändertem Gesichtsausdruck nach vorne. Eine Schweißperle tröpfelte seine linke Wange hinunter. Albrecht räusperte sich. Er hatte Arbeit. Er würde auch später noch vor Paul fliehen können. Ein Seitenblick auf Fritz, der sich selbst auf die nun unokkupierte Chaiselongue gesetzt hatte und an die Decke sah. Dann blickte er jedem der Anwesenden, mit Ausnahme von Paul, tief in die Augen und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. Bevor jedoch der Meisterdetektiv Albrecht Fontane auch nur mit seinen Befragungen beginnen konnte, erklang ein erschütterndes Klopfen an der Haustür und bevor jemand antworten konnte, öffnete sich die Tür und man konnte drei Paar Füße vernehmen, die in Richtung des Salons kamen; zwei davon ruhig und erwachsen, ein Paar eher aufgeregt. Ein brauner Haarschopf schob sich als erstes durch den Türspalt zum Salon, begleitet von einem Paar blauer Augen und dem Anflug eines schalkhaften Lächelns. „Wir wurden für einen Mord gerufen?“ Die Stimme der Person war androgyn, genauso wie ihre Kleidung. Was aber auffälliger war, war der seltsame Dialekt, der seltsam ungezähmt in der Luft waberte. Hinter der kleinen Person trat eine riesige Frau mit langen blonden Haaren ein. Sie legte eine Hand auf die Schulter der anderen. „Genug, Robin. Wir kommen schnell genug zum Tatort, damit du dein Bild machen kannst.“ Die Polizeiuniform strahlte geradezu in dem Raum mit der hohen Decke, und auch der Begleiter der Frau, ein eher zu kurz geratener, rothaariger Mann war eindeutig jemand, der daran gewöhnt war, Kriminelle in ihre Schranken zu weisen. Albrecht hob eine Augenbraue. „Inspector Grete, Constable Leopold... wie schön, Sie beide hier zu sehen. Und das ist...?“ Die Stimme des unbekannten Wesens kam zwitschernd, vogelähnlich und dennoch unangenehm durch ihre Sprachmelodie an all ihre Ohren. „Robin Peschendorf, ich arbeite für die Weekly City News, und ich werde diesen Fall für die Nachwelt festhalten!“ Henriette trat vor die drei Neuen. Sie hatte wieder ihr unausstehliches Lächeln aufgesetzt. „Herzlich Willkommen, meine-“ „Ruhe.“ durschnitt der Inspector grob die Anrede und ließ einen forschenden Blick durch den Raum gleiten. „Wir wollen den Tatort sehen.“ fügte sie noch an. Mit gerümpfter Nase wandte sich Henriette an ihren Chefbutler. „Georg...“ Er nickte und wandte sich an seinen untergebenen Butler. „Hans...“ „Hmmm?“ Unfähig, die Situation zu verstehen, ohne dass man sie ihm buchstabierte, grinste Hans seinen Boss nur an. „Was ist?“ Ein Seufzen. „Bitte geleite die Herrschaften zu Otto.“ „Okidoki!“ Albrecht ging mit den Polizisten; Fritz verblieb bei den Verdächtigen im Salon. Diese Rollenaufteilung hatte sich bewährt. Nur in den äußersten Ausnahmefällen wurde Fritz bemerkt, und das prädestinierte ihn dazu, die Ohren zu öffnen und dabei zuzuhören, was die anderen untereinander sprachen. Nur wurde er ausgerechnet an diesem Tag abgelenkt. „Das ist der Otto! Er ist tot.“ erläuterte Hans beim Eintreten die Situation. Robin war als erste Person in dem Wintergarten angekommen und stellte sofort aufgeregt eine der Neuanschaffungen der Zeitung auf – eine Kamera, um Fotografien herzustellen. Es wurde alles vorbereitet, um ein Bild dieses grausigen Anblicks aufzunehmen; der blonde Junge war nicht einmal erwachsen, und schon gestorben in dem Haus dieser reichen Adeligen, grausam gemeuchelt! Ob er mit der Hausherrin das Bett geteilt hatte und sich die Eifersucht ihres Ehemanns zugezogen hatte? Oder war es gar die Köchin gewesen, die ihn ermordet hatte, weil er ihr einen verdorbenen Fisch untergejubelt hatte? Oder war es der Gärtner gewesen – denn der Gärtner war immer der Mörder?? Was auch immer herauskommen würde, bis dahin würde Robin eine Eins-A-Headline haben. Mit zusammengezogenen Augenbrauen sah sich derweil Grete die Leiche an. Leopold stand daneben und notierte Daten in ein kleines Notizbuch, das er aus seiner Manteltasche gezaubert hatte. Albrecht wirkte gelangweilt. Sie hatten schon oft mit diesen beiden zusammengearbeitet, und mit dem Mädchen kam er eigentlich ganz gut zurecht, aber dieser stille, verschrobene Mann war ihm unsympathisch. Als Polizisten waren die beiden, vom Menschlichen abgesehen, seiner Meinung nach allerdings unfähig und hielten das Detektivgespann nur unnötig auf. Was Fritz von ihnen dachte, war ihm unklar; ihm war oft unklar, was sein Partner dachte. „War es der Gärtner? Es muss der Gärtner gewesen sein.“ Sie sah ihn ernst an. Albrecht verzog die Mundwinkel. „Wir wissen noch nicht-“ „Aber ihr seid doch schon ewig hier. Natürlich wisst ihr was.“ Streng sah sie ihn an, dann fing sie an, laut loszulachen. Ihre roten Augen blitzten auf. Leopold sah sich unruhig um und berührte ihren Unterarm sachte; er murmelte einige leise Worte, die die Frau mit einem Schwank ihrer Hand abwehrte. „Also, Albi? Alibis?“ „Nun... Frau von Albrecht, der Butler und die Kinder haben ein Alibi. Die Frau war mehr als eine halbe Stunde lang bei uns, der Butler auch fast und als er nicht bei uns war, hat er den Sohn zu seinem Hauslehrer gebracht, der einige Minuten entfernt wohnt, weswegen wir ihn auch als Verdächtigen ausschließen können. Von den anderen haben wir keine Aussage, aber denen sollten wir auch nicht trauen, denn sie könnten sich gegenseitig decken. Was allerdings viel wichtiger ist, sind die Motive... wer sollte schon einen sechszehnjährigen Knecht umbringen wollen? Was sollte das nützen?“ Grete zuckte mit den Schultern, als hätte diese rhetorische Frage sie angesprochen. „Keine Ahnung. Spaß? Leo, alles notiert?“ Er nickte. „Robin, hast du dein Bild?“ „Moment!!“ erklang es aus Richtung der Kamera. „Wir nehmen die Leiche mit. Guck dir nochmal den Tatort an, damit nicht wieder sowas passiert wie damals bei den Coburgs.“ Sie grinste bei der Erinnerung an das Malheur, das damals geschehen war; Albrecht war nach Weinen zumute. Sorgsam legte er den Blick auf Otto und alle anderen Gegenstände, dann schüttelte er den Kopf. „Nehmt ihn mit.“ sagte er ruhig, und während die Leiche abtransportiert wurde, ging er zurück in den Salon. Das erste, worauf sein Blick fiel, war der Umstand, dass Fritz nicht mehr allein saß. Neben ihm hatte sich Henriette niedergelassen und versuchte, mit gedämpfter Stimme mit ihm eine Konversation anzustrengen. Dies misslang. Ihrem Ehemann schenkte sie nur eins, und das war rigorose Ignoranz. Als Albrechts Schritte auf dem Fußboden erklangen, öffnete der kleine Hein die Augen und fing an, ganz fürchterlich zu schreien. Sofort kam die Amme, sich wieder sicher fühlend, da sie endlich eine Aufgabe hatte, und nahm das Kind liebevoll auf den Arm, aus dem Schoße seiner etwas überforderten Mutter. Schon wieder musste Albrecht sich räuspern, um etwas Aufmerksamkeit der Anwesenden zu erlangen. „Wenn Sie so freundlich wären, uns zu erzählen, was Sie alle in der letzten halben Stunde taten...“ forderte er die Verdächtigen auf, und Fritz' Augen schienen einen seltsamen Glanz zu erhalten. Kapitel 5: Step 5 ----------------- Das Verständnis der Situation schien mit dieser Bitte in die Köpfe der Menschen zu dringen – sie waren dringend tatverdächtig. Sie waren keine trauernden Bekannten und Freunde mehr, nicht nur; diese Detektive, die einfach so eingedrungen waren in ihr Heim, verdächtigten sie. Augenblicklich wurde die Luft kühler, und eine gewisse Aggressivität legte sich auf die Gesichtsausdrücke der Menschen. Wartend blieb Albrecht stehen, wieder mit hinter dem Rücken verschränkten Händen, und kaum hatte er seinen Verstand daran gewöhnt, zu arbeiten, öffnete Paul sein loses Mundwerk und brachte die gesamte Selbstbeherrschung des Detektivs zu Fall. „Also ich war Spazieren. Draußen in unserem Park. Ich habe ein Reh getroffen, vielleicht kann das bezeugen, dass ich draußen war. Oder du vertraust mir einfach, Albrecht.“ Er lächelte breit, und Albrecht bemerkte, dass er inzwischen wieder eine Zigarre in der Hand hielt. Kurz war Albrecht versucht, zu antworten, dann entschloss er sich dagegen und wandte das Gesicht, auf dem sich eine zarte, roséfarbene Färbung ausbreitete, in die andere Seite des Raumes. Der Gärtner fühlte sich berufen, zu sprechen. „Ich war draußen im Garten. Das ist meine Arbeit, weißt du. Und während wir hier sitzen und ich ungerechtfertigt beschuldigt werde, den Fischjungen getötet zu haben, gehen meine Pflanzen ein. Ehrlich mal, was soll-“ Henriettes schneidende Stimme durchfuhr die Worte von Bernd, der gerade dabei war, sich so in Rage zu reden, dass das grüne Blatt, das sich in Bernds Schnurrbart verfangen hatte, anfing, zu kokeln. „Es reicht, Bernd, wir verstehen es.“ Nicole warf ein, dass auch sie nicht begeistert davon ab, jetzt hier stehen zu müssen und erklären zu müssen, was sie getan hatte. „Aber wenn ihr es genau wissen wollt, ich war die ganze Zeit allein, und ich habe eine Gans im Ofen, und die ist inzwischen wohl verbrannt. Das ist natürlich nicht schlimm, weil Otto ist ja tot, das ist wichtiger, aber bevor das Haus Feuer fängt...“ Albrecht rollte mit den Augen. Statt dem Mädchen aber zu erlauben, sich um das Essen zu kümmern, fiel ihm wieder die Hausherrin ins Wort, die die Zügel ziemlich streng zu straffen schien in diesem Haushalt. „Das ist in Ordnung, Nicole, aber jetzt solltest du gehen, um zumindest das Anwesen zu retten. Danach kannst du ja wiederkommen und die Herren zufrieden stellen.“ Eifrig nickte die Köchin und war verschwunden, bevor Albrecht auch nur die Chance gehabt hatte, Protest einzulegen dagegen, dass seine Autorität vollkommen übergangen worden war. Der nächste, der sprach, war Georg. „Nun, Mister, ich war bei Ihnen. Danach brachte ich Roland zu seinem Lehrer. Dann war ich wieder hier, aber ich glaube, als ich zurückkehrte, war Otto schon aufgefunden worden, nicht wahr? Und dann habe ich den jungen Herrn zurückgeholt.“ Auch in diesem Moment war Roland nicht weit von dem Butler zu finden; er saß hinter ihm auf einer hohen Kommode und ließ fröhlich und unbesorgt die Beine baumeln. Albrecht nickte. „Und ich hab' mich um die Vorbereitungen für den morgigen Ausflug gekümmert!“ warf Hans viel zu freudig, als es der Situation angemessen war, ein. „Ausflug?“ fragte Albrecht nach. „Ja, klar! Frau von Albrecht und die Kinder wollen an den Hafen fahren, damit die Kleinen mal sehen, wo sie aufgewachsen ist!“ „Ich schätze, dies wird nicht stattfinden, Hans.“ Henriettes Stimme war staubtrocken, und nachdem er kurz nachgedacht hatte, nickte Hans. „Klar! Also, jedenfalls, ich hab mir die Kutsche angesehen und dann hab ich nach den Essensvorräten geschaut und hey, da hab ich mit Nici geredet, und dann hab ich mich um die Waffen gekümmert und dann sollten wir uns alle hier aufstellen, oder? Ja, so wird’s gewesen sein.“ „Ich...“ schloss Anna direkt an Hans an, „... bin ihm zur Hand gegangen.“ Hans nickte heftig. „Dann war ich aber in der Vorhalle zum Staubwischen. Und dann bin ich los, die Polizei rufen, und wie Sie wissen, hat das funktioniert.“ Die einzige, die übrig blieb, war die Amme, die sich auf das Sofa neben der Chaiselongue gebettet hatte und das Baby wiegte, während sie ihm ein leises Lied vorsang. Albrecht wollte sie nicht stören und blieb stumm. „Und Sie?“ fragte also Fritz mit seiner wie üblich ausgeglichenen, harmonischen Stimme und neigte den Kopf etwas, dass er Loreley ansehen konnte. Sie schreckte auf. „Ich? Ich habe geputzt. Die Betten der Kinder gemacht. Ich habe die Spielsachen ausgelegt... und... ich habe gegessen... und... die Vögel beobachtet... u-und dann habe ich... äh... ja... das war's...“ Fritz wartete geduldig, aber sie wandte sich hochrot wieder dem Baby zu und schien nichts Weiteres sagen zu wollen. Also warf er Albrecht einen vielsagenden Blick zu. Ein schwaches, kaum sichtbares Nicken. „Also, meine Damen und Herren, haben nur zwei der hier Anwesenden ein wirklich sicheres Alibi...“ „Ach komm, Albrecht!“, warf Paul ein, „Ich habe den nicht getötet, das schwör ich dir, du kennst mich!“ „Woher?“ fragte Henriette mit einer fast freundlichen Stimme. Albrecht starrte das Fenster an und wollte nie wieder wegschauen. „Egal.“ antwortete er tonlos und brüchig. Wieder legte sich eine Dunkelheit auf ihren Blick, und dann rannte Roland wie von der Tarantel gestochen auf seine Mutter zu und kletterte auf ihren Schoß, sodass sie abgelenkt wurde. Erneut räusperte sich Albrecht. Ob er krank wurde? Er sollte nach Tee fragen, oder nach anderer Medizin. Irgendetwas. Und er sollte seinen Herzschlag unter Kontrolle bekommen. „Es gibt hier sicherlich einen abgeschiedenen Raum. Ich würde Sie gerne einzeln befragen. In der Zwischenzeit können die anderen dann ihren Aufgaben nachgehen.“ Henriette nickte. „Das halte ich für einen guten Plan. Rechts ist eine kleine Besenkammer.“ stimmte sie zu. Der Gärtner schnaubte und murmelte etwas zu sich selbst, was sich verdächtig nach „Die Zustimmung wird der Detektiv gebraucht haben, olle Schreckschraube...“ anhörte. Albrecht nahm Augenkontakt mit Hans auf und winkte ihn zu sich. Fritz ließ er wieder allein mit all den Verdächtigen, während er sich daran machte, diesen Fall zu klären. Kapitel 6: Step 6 ----------------- Weder die Befragung des Unterbutlers, noch die des Hausmädchens oder der Amme oder des Gärtners oder der Köchin, die gnädigerweise zurückgekommen war, um den Tod des Knechts aufzuklären, brachten Albrecht irgendwelche Ergebnisse. Stattdessen war er nun geradezu gezwungen, sich mit Paul auseinanderzusetzen, denn, fiel ihm siedend heiß ein, als es zu spät war, musste er auch ihn befragen. Allein. In einer dunklen Besenkammer ohne viel Licht. Könnte sein Leben noch besser verlaufen? Er brachte Nicole mit einem laschen Händedruck nach draußen und wartete, ohne Paul anzusehen, der von seiner Ehefrau in Richtung des Raumes gescheucht wurde und die, wieder mit Kind auf den Armen, sich verdächtig nahe bei Fritz aufhielt und ihm scheinbar gerade einen Rundgang durch das Gebäude anbot. Albrechts Augen verengten sich, dann war Paul da und all seine Gedanken zerstieben wie Puderzucker, als sich die Tür schloss. Die schemenhafte Umrisse eines Lächelns waren zu erkennen, während Paul redete. „Also ich weiß nicht, was das bringen soll, Albrecht. Ich habe dir alles gesagt, was ich getan habe, und das war's, Punkt. Da habe ich nichts mehr hinzuzufügen.“ Albrecht war froh über die Dunkelheit, und gleichzeitig verdammte er sie. Aber zumindest konnte Paul nicht sehen, wie er die Augen krampfhaft auf seinen Schoß gerichtet hatte. „Ich will dir doch helfen. Ich- ich weiß, dass du ihn nicht ermordet hast.“ Paul fing an, zu grinsen, aber auch das wurde von der Dunkelheit verschluckt. „Du bist vielleicht ein Sadist, aber kein Mö-“ „Ich?! Ich und ein Sadist??“ Die Überraschung war laut und deutlich zu hören. „Moment, was ist das überhaupt?“ „Jemand, der andere gerne leiden sieht.“ „Oh Mann, nein, sowas bin ich ganz und gar nicht, Albrecht, das solltest du am besten wissen!!“ „... Ach ja?“ Eisige Kälte lag urplötzlich in Albrechts Stimme. „Ich habe doch immer versucht, dich zu beschützen.“ „Das war aber nicht sehr erfolgreich. Paul, es ist gut. Es ist vorbei. Lass uns nicht über die Vergangenheit reden.“ „Und wenn ich das will?!“ Paul hatte sich nach vorne gebeugt und, wie Albrecht mit Horror feststellte, seine Hand gepackt, und genau in diesem Moment peitschte helles Licht ihre Augen, die sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, und beide blickten zutiefst erschrocken zu der Tür der Kammer, die aufgerissen worden war. „Paul, bist du das?“ fragte eine Albrecht unbekannte Stimme, und Paul kniff die Augen zusammen. Als er redete, war nur noch das Ende eines Wortes zu erkennen, und das war ein verwirrtes „...ian?“ „Hey! Was macht ihr beide denn da???“ Die drei Fragezeichen am Ende der Frage schwebten durch die Luft und drängten sich Albrecht und Paul auf, gruben sich geradezu in ihre Ohren hinein. „Das ist doch ein Mann bei dir, oder? Du weißt schon, dass das ganz schön verboten ist, was ihr so treibt!!“ Endlich ließ Paul die Hand seines alten Bekannten los und trat in das Licht des Salons zurück. „Max, das ist ein Detektiv, der mich befragt hat.“ Der junge Mann mit dem blonden Pferdeschwanz beäugte erst Paul und dann Albrecht misstrauisch, und dann setzte sich ein schiefes Lächeln auf seine Lippen. „Achso. Ich dachte schon, ihr... naja... ist ja auch egal.“ Erneut räusperte sich Albrecht. Er hatte scheinbar wirklich eine Krankheit eingefangen. Außerdem waren seine Wangen erhitzt wie selten zuvor. „Und was tun Sie hier, wenn man fragen darf?!“ Zudem klang seine Stimme, und das war ihm in diesem Moment so gar nicht bewusst, gereizter als sonst. „Nicht so böse, Freundchen!“ lachte Maximilian ihn an und trat einen Schritt zurück. „Zenzie hat von Peschendorf erfahren, was passiert ist, und da sind wir hergekommen. Wir können doch Jette und dich nicht diesen stümperhaften Detektiven überlassen, was, wenn der Mörder noch immer auf freiem Fuß ist?“ Albrechts Lippen verzogen sich zu einer unglücklichen Grimasse, und in diesem Moment bemerkte er auch die anderen drei Menschen, die neu dazugekommen waren. Eine rothaarige Frau mit zwei Zöpfen hatte sich über Hein gebeugt und gab seltsam hohe Geräusche von sich. Ein schwarzhaariger Mann stand auf der anderen Seite des Raumes und hatte ihm, aus dem Fenster blickend, den Rücken zugewandt. Ein zweiter blonder Mann stand einen Meter hinter demjenigen, der von Paul als Maximilian bezeichnet worden war, und betrachtete die Szene vor seinen Augen mit einem stillen Lächeln auf den Lippen. Die Rothaarige und der Schwarzhaarige trugen beide opulente, ausstaffierte Stoffe und wirklich teuer wirkende Kleidung; bei den beiden Blonden erhielt man diesen Eindruck ebenfalls, aber weniger durch das Material ihrer Kleidung, sondern durch die Art, wie sie ihre Anzüge trugen. Paul schüttelte den Kopf. „Stümperhaft sind sie nicht. Das sind zufälligerweise die besten Detektive der Stadt. Selbst Königin Victoria wird keine besseren anheuern können.“ „Haben sie den Gärtner schon verhaftet?“ fragte Maximilian, und Albrecht sah ihn verwirrt an, was den Mann hinter ihm scheinbar dazu aufforderte, näher zu treten und anstelle von Max zu reden. „Gestatten, Lukas, ich bin dem sein Partner. Wir wurden unterrichtet, dass der Mord an einem kleinen Kind in diesem Gebäude von einem Gärtner verübt wurde. Dementsprechend-“ „Nein.“ sagte Albrecht kühl. „Wir werden Zivilisten nicht den Stand unserer Nachforschungen anvertrauen. Woher haben Sie diese Information, aus dem Munde von Peschendorf? Das ist Nonsens.“ Zufrieden nickte Lukas. „Vielleicht können wir Ihnen ja behilflich sein bei der Aufklärung.“ „Jetzt red keinen Quatsch!!“ widersprach Max, „Die Hornochsen kriegen sicherlich nichts gebacken, schau sie dir doch mal an!!“ „Es ist wahr, dieser hier sieht eher ärmlich aus, und wer ärmlich aussieht, hat auch einen ärmlichen Verstand. Aber wenn Paul meint, sie wären die Besten, dann sollten wir ihm vertrauen. Also, wie gesagt, falls Sie zum Beispiel Geld brauchen, ist Zenzie sicherlich für Sie da.“ „Zenzie?“ fragte Albrecht. Paul ergriff das Ruder. „Die rothaarige Frau. Und der andere Mann heißt Karol Chatten. Diese Vier haben alle ihr Vermögen gemacht, meine Frau kennt sie seit ihrer Jugend und auch heute sind sie alle noch befreundet und treffen sich regelmäßig. Meistens, um Geschäfte abzuschließen. Aber das sagst du auf keinen Fall weiter, ja? Es darf nicht nach draußen gelangen, dass Jette die Geschäfte abschließt und nicht ich.“ Albrecht, wieder von den Ereignissen überrumpelt, nickte matt. Wenn er schon verwirrt war, wie ging es dann erst Fritz? Ein kurzer Blick, und er stellte fest, dass der andere Detektiv noch immer neben Henriette saß und diesmal tatsächlich in ein Gespräch verwickelt war zwischen ihr und dieser Zenzie. Das Auftauchen dieser reichen Bande würde den Fall um einiges schwieriger zu lösen machen, und Albrecht hatte ein ungutes Gefühl im Magen. Er wusste noch gar nichts über den Mörder – der jederzeit wieder zuschlagen konnte... Kapitel 7: Step 7 ----------------- „Schickt die wieder weg.“ verlangte Albrecht mit einer Stimme, die weniger stark war, als er es sich wünschte. Paul warf ihm nur einen Seitenblick zu. „Stellst du dir das so einfach vor? Das sind die reichsten Menschen der Stadt. Gegen die sind wir arme Schlucker. Wenn die etwas nicht wollen, dann zahlen sie genug Geld, bis es einfach nicht passiert. Und glaub mir, ab einer bestimmten Summe wirft jeder seine Ideale fort.“ Verkniffen sah Albrecht zur Seite. Die Welt hatte sich verschworen, ihm das Leben so schlimm wie möglich zu machen. Dann näherten die beiden sich der Mitte des Raumes, wo sich ein Großteil der Anwesenden versammelt hatte. Selbst Karol hatte sich vom Fenster loseisen können und stand am Rande des Kreises. Die einzigen Abwesenden waren Nicole, die Köchin, die erklärt hatte, sie würde sich um den Tee kümmern, und Bernd, welcher darauf bestanden hatte, sich um seine Pflanzen zu kümmern. Henriette erläuterte ihren Freunden gerade, was sich an diesem schicksalhaften Tag bisher alles zugetragen hatte. „Inzwischen ist es ja fast schon ein Glücksfall, dass Maria gestohlen wurde. Ansonsten wären die beiden Meisterdetektive niemals zur rechten Zeit hier gewesen.“ „Die beiden??“ fragte Zenzie verwirrt und sah sich um. Henriette nickte. „Albrecht Fontane und Sir Fritz. Stellt euch das vor, er wurde von der Königin für seine außerordentlichen Dienste am Land zum Ritter geschlagen!“ „Warte... Maria wurde gestohlen?“ fragte Karol irritiert. „Ich habe sie in einem Seitenarm des Flusses gefunden bei einem Ausflug gestern. Sie ist zurzeit in meinem Salzwassersee. Und ich bin mir sicher, dass Otto sie auch gesehen hatte, denn er war gestern bei mir anwesend und hat sich gemeinsam mit Anna angesehen, wie wir uns um die Arbeit kümmern.“ Albrecht spitzte die Ohren. Na, das war ja interessant... Karol hatte den Fisch „gefunden“ und Otto hatte diesen Umstand seiner Hausherrin verschwiegen? Warum sollte er das tun? Womöglich hatte er selbst etwas mit dem Kidnapping von Maria zu tun. „Es geht ihr gut?“ Zum ersten Mal, seit sie dieses Haus betreten hatten, wirkte die Herrin wahrhaft glücklich und erleichtert. „So ein Glück! Danke, danke Karol!“ Er wunk ab. „Du kannst sie zurückkaufen, wann immer du willst.“ Sie schmunzelte. „Karol, bitte sagen Sie alles, was sie zu diesem Fisch wissen!“ unterbrach Albrecht das Geplänkel. „Es könnte elementar sein zur Lösung des Falles.“ Der andere nickte nüchtern. „Es ist nicht viel. Ich war gestern früh auf einem Spaziergang durch meine Ländereien, durch die ein Nebenarm des Flusses führt. Dort habe ich einen Schwertfisch im Wasser gesehen. Es gibt nicht viele Schwertfische in der Gegend, und Maria würde ich auf den ersten Blick erkennen, so oft, wie wir uns schon im Wintergarten getroffen haben. Also habe ich sie zu mir bringen lassen, wo sie sicher ist, damit Henriette sie wiedererlangen kann, gegen eine kleine Unkostenerstattung.“ Ein dünnlippiges Lächeln war auf sein Gesicht geschlichen. Henriette verdrehte die Augen, Albrecht nickte. „Damit wäre also der Fall des Schwertfisches geklärt... nun, aber wie ist der Fisch nach draußen gelangt? Wenn es so ein seltener Fisch ist, warum hat man ihn dann nicht behalten? Ausgebrochen ist er ja wohl kaum. Ha, ha.“ Niemand lachte über seinen Witz. „Nein, das ist er nicht.“ Eine der Türen zum Salon öffnete sich und ein Mann, über und über mit Erde verschmiert – selbst in seinen Haaren hatten sich Wurzeln verfangen – trat ein. Er wirkte, als wäre er direkt aus der Pflanzenhölle gekommne, und wenn Albrecht ihn nicht vor kurzem noch ohne Bewuchs gesehen hätte, hätte er sich vor Schreck einen Herzinfarkt eingefangen. Aber dieser Anblick schien normal zu sein; niemand sonst warf ihm auch nur einen zweiten Blick zu, mit Ausnahme von Karol, der daraufhin schnell den Kopf abwandte. „Er ist nicht ausgebrochen.“ Das provozierte einige Blicke, die an ihm hängen blieben. „Ich habe Maria entführt.“ Henriette schlug sich wieder einmal erschrocken die Hand vor den Mund. „Du, Bernd?! Du hast sie entführt?! Wie- warum??“ Er schien einen Moment mit sich zu hadern, oder zu überlegen, oder beides. Dann sprach er wieder. „Mann, das ist ein blödes Tier, und ihr verwöhnt das, als wäre es euer Kind. Das ist doch übertrieben.“ Er schüttelte den Kopf. „Da dachte ich, muss man euch mal beibringen, dass das voll übertrieben ist. Man behandelt doch einen Fisch nicht wie sein Erstgeborenes.“ „Ja, weil du so genau darüber Bescheid weißt, wie man Kinder behandelt...“ fügte Karol verbittert an. Die Stille, die den Raum einen Moment lang dominierte, war erstickend und giftig. Bernd wandte ihm den Rücken zu. „Egal. Ich habe den dummen Fisch in den Fluss ausgesetzt. Dann feuert mich jetzt eben, pah, ich finde schon eine neue Stelle.“ Die Nase steil nach oben gereckt sah niemand außer Fritz, wie Bernds rechte Hand nervös die linke umklammerte und dieselbe Nervosität sich in Bernds Blicken zeigte, die er Karol zuwarf. Und plötzlich machte alles Sinn für den besten Detektiv der Stadt, und er fing an zu lächeln – aber das bemerkte niemand. Kapitel 8: Step 8 ----------------- „Du kannst zu mir.“ Karols Gesicht war ernst, während er dem Monster aus dem Garten eine Hand entgegenstreckte. „Ich denke, ich kann die Vergangenheit hinter uns lassen.“ „Vergangenheit?“, hakte Albrecht nach. Immer neue Dimensionen der feinen Gesellschaft taten sich in diesem Fall auf. Karol versuchte, dem Blick des Detektivs auszuweichen. „Das könnte wichtig sein.“ Bernd seufzte auf. „Mein Gott, da ist echt nicht viel! Ich hab bei denen gelebt, bei den Chattens, und ich hatte die Aufgabe, auf den kleinen Karol aufzupassen, weil, ich war billiger als ein Kindermädchen.“ Diese Geschichte kam Albrecht verdächtig bekannt vor. „Und aus irgendeinem Grund meint Karol, ich hätte diese Aufgabe nicht gut erledigt, aber ihm ist nie etwas passiert. Nur mir ist das was passiert, als er im Wald verloren gegangn ist, ich wurde gefeuert und habe nicht einen Groschen gesehen von den Chattens für all die Jahre harte Arbeit. Das war's schon. Mehr war da nicht.“ Karols Blick war finster. „Ach, und was ist mit diesem Tag vor einem Jahr?“ „Ichweißnichtwovon du redest!!“ Bernds Wörter überschlugen sich bei dem Versuch, Karol so schnell wie möglich das Wort abzuschneiden. Seine dreckigen Fingernägel gruben sich tief in seinen Arm. Albrechts Augenbrauen zogen sich zusammen und er trat einen Schritt auf Bernd zu. „Herr Gärtner, wenn Sie uns wichtige Infor-“ Die Tür öffnete sich und Albrecht schreckte auf. Die imposante Gestalt Robins stand im Türrahmen und hielt ein Stück Papier in den Händen. „Die Ergebnisse der Autopsie sind da.“ Denen konnte man im Allgemeinen eher nicht vertrauen, das war bekannt, aber in etwa der Hälfte der Fälle waren sie korrekt, und man konnte darauf aufbauen. Albrecht nickte. „Und?“ „Hehe. Hier, hier, kommt beide her.“ Fritz erhob sich und ging gemeinsam mit Albrecht, um die Ergebnisse mitgeteilt zu bekommen. Robins Stimme senkte sich zu einer niedrigen Lautstärke, bis sie zu einem konspirativen Wispern wurde. „Leopold meinte, der Mörder wollte auf Nummer Sicher gehen. Das Opfer ist vergiftet und erschlagen worden. Der hat den Otto echt gehasst!“ Fritz nickte nachdenklich. „Natürlich...“ fügte er an und ließ sich wieder auf der Chaiselongue nieder, wo noch immer auf seiner anderen Seite Henriette saß und das Baby im Schoß festhielt. Albrecht nickte nachdenklich. Vergiftet und erschlagen... vergiftet und erschlagen... Moment... was, wenn Bernd...?! Ruckartig wandte er den Blick zu dem Gärtner, dann zu Karol, und dann zu Paul. Dieser sah sich in allen Richtungen um und wirkte allgemein nicht ganz so sorgenlos, wie Albrecht ihn in Erinnerung hatte. Jetzt noch ein Beweis, und er würde diesen Fall lösen können, und dann würde er aus diesem verfluchten Haus fliehen können und würde Paul nie wieder sehen müssen. Er würde wieder allein sein in seiner Wohnung, es gab nicht einmal ein Haustier, das ihm Gesellschaft leistete, und er würde mit Fritz gemeinsam große und kleine Fälle auflösen. Alles wäre wieder normal, und das Chaos in seinem Inneren würde aufhören, ihn um seinen messerscharfen Verstand zu bringen. Aber Paul machte ihm da einen Strich durch die Rechnung, indem er einfach so auf ihn zukam. Einfach so, ohne um Erlaubnis zu bitten. Er ergriff wieder Albrechts Hand, und wie auf Befehl erschien Maximilian, Hüter der Moral, an seiner Seite, bereit, jedes Gespräch zu belauschen, das sich seinen Ohren bieten sollte. Irritiert sah Paul ihn an. „Max, könntest du bitte weggehen? Ich habe etwas privates zu besprechen.“ „He, ich will dich doch nur davor bewahren, im Gefängnis zu landen!! Weißt du noch, als du mich besuchen gekommen bist? Haha, das war lustig!!“ Eigentlich war es nicht lustig, in einem der Zuchthäuser der Stadt eingekerkert zu sein. Paul schüttelte, erneut irritiert, den Kopf. „Nein, das hier ist doch nicht- Max, man hat euch-“ „Hey hey hey, kein Wort! Was in diesem Haus passiert ist, bleibt in diesem Haus!“ „Was ist in diesem Haus passiert?“ Albrechts Stimme klang neugierig – auf der einen Seite, weil jeder Hinweis in diesem Fall zur Lösung führen konnte, andererseits, weil das Paul davon ablenken würde, seine Hand noch fester zu umklammern. „Nein, mein lieber Detektiv, da bin ich stille wie ein Mäuschen, hahaha.“ „Behinderung der Aufklärung dieses Falls?“ fragte Albrecht angesäuert nach. „Na aber klar doch, Herr Detektiv, dafür bin ich doch da! Aber hey, ihr beide solltet nicht anfangen zu flirten.“ Er beugte sich vor zu Paul. „Ich mach mir nur Sorgen. Was, wenn der Gärtner noch einmal zuschlägt? Erst der Fisch, dann der Knecht, als nächstes ist ganz sicher der Hausherr dran! Sieh dich vor, Paul!“ Dann ergriff er Albrecht am Unterarm und zog ihn, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, mit sich in Richtung des Fensters. Albrecht wollte protestieren, aber niemand hörte ihm zu, und dann hatte Maximilian das Fenster geöffnet und lehnte sich nach draußen. Warme, verblassende Nachmittagssonne schien in den Raum hinein, und von hinten konnten sie hören, dass Nicole den Tee und das Gebäck brachte. „Albrecht, so heißt du doch, oder?“ Der Angesprochene richtete seine Kleidung und blickte den anderen Mann kühl an. Eine Erwiderung folgte nicht. Auch Augenkontakt wurde strengstens vermieden; während Maximilian nach draußen in den schönen Garten blickte, hatte Albrecht seinen aufmerksamen Blick auf Bernd gelegt, der an der Tür lehnte und die Arme vor der Brust verschränkt hatte. „Ja, ist ja auch egal, wie du heißt. Hey, du kennst mich nicht, aber ich bin der absolute Menschenversteher, okay? Ich und Empathie, wir sind sozusagen Zwillinge.“ „Ah ja. Ja, natürlich.“ „Ja, klar! Und ich seh's dir sowas von an. Oder, guck mal in einen Spiegel. Hier, in das Fenster zum Beispiel.“ „Äh.“ „Guck! Guck in das Fenster!!“ „... in Ordnung...“ „So, und was siehst du? Was siehst du da in deinen Augen? Ah, und du musst natürlich an Paul denken, während du dich anglotzst.“ „Äh.“ „Ich sage dir, was du siehst!!“ Maximilian ergriff Albrechts Handgelenk und statt ihn in die Scheibe des Fensters blicken zu lassen, blickte er ihm direkt in die Augen. „Du siehst- du siehst, dass du ihn willst, verflucht.“ Seine Stimme war leise und kaum hörbar. „Ich weiß nicht, was zwischen euch vorgefallen ist, aber ich kann dir sagen, dass du dir Paul auch einmal ansehen solltest.“ „Es reicht jetzt.“ Albrecht zog sein Handgelenk grob aus dem Griff des anderen. „Ich bin nicht hier wegen meiner Beziehung zu Paul. Außerdem wird da nichts geschehen. Ich bin hier, um diesen Fall zu lösen, und ich brauche nur noch einen Beweis, um ihn aufzuklären. Also halten Sie mich bitte nicht auf. Ich bin nicht daran interessiert.“ „Hahaha!“ antwortete Maximilian laut. „So ein Schwachsinn!!“ Albrecht wandte ihm den Rücken zu. „Lassen Sie mich einfach in Ruhe.“ Maximilian schien ihm nicht im Geringsten zugehört zu haben. „Ich habe ja nichts dagegen. Es wäre klasse, wenn Paul glücklich werden würde. Aber nicht zu öffentlich, gell? Nicht so wie in der Besenkammer, wo ihr-“ „Lassen Sie mich einfach in Ruhe!!“ Albrecht war einen fliehenden Schritt fort von diesem Verrückten gegangen. Maximilian hinter ihm lachte los. „Klar, aber lass bloß du Paul nicht mehr in Ruhe!“ gab er mit ihm mit, und dann war der seltsame Mann zurückgeeilt zu seiner Gruppe, hatte sich zwischen Zenzie und Karol gedrängt und fuhr zusammen, als er die Hand seines blonden Partners auf der Schulter fühlte. Albrecht schüttelte den Kopf. Er weigerte sich, über die Worte des anderen nachzudenken. Es traf sich ganz gut, dass sein Blick in genau jenem Moment auf den Beweis fiel, den er so lange gesucht hatte. Kapitel 9: Step 9 ----------------- Wieder einmal musste Albrecht sich räuspern, um die Aufmerksamkeit des Raumes wieder auf sich liegen zu wissen. Es war unmöglich, welch einen Lautstärkepegel so viele Leute in einem Raum verursachen konnten, der dennoch so groß war. „Entschuldigung? Entschuldigung!“ Erst langsam wandte man Albrecht den Kopf zu, und bis auch Bernd, dessen finsterer Blick stur auf Karol lag, zu ihm sah, war sicherlich eine ganze, wertvolle Minute vergangen. Nur Fritz blickte am Ende noch den Kronleuchter an, der von der Decke hing, und schien in einer völlig anderen Welt zu leben. „Wos gibt’s, Schmalspurdetektiv?“ Zenzie hatte die Arme überheblich vor ihrer Brust verschränkt. Albrecht warf ihr einen kurzen Blick zu, ließ sich aber nicht weiter stören und stellte sich kerzengerade hin, mit den Händen hinter dem Rücken und dem Blick friedlich auf allen Anwesenden ruhend. „Wenn ich Sie alle bitten dürfte, einfach so zu verharren, wie Sie gerade sind. Der Täter hat sich nämlich eben selbst verraten.“ Angespannte Gesichtsausdrücke überall. Albrechts Kehle fühlte sich wie ausgedörrt an. Er nahm einen Schluck Tee. Wenn dieser Plan funktionierte, dann würde er dem Täter sein Geständnis entlocken. Wenn nicht, hatte er immer noch den Beweis in seiner Hinterhand. Konzentriert ging er einige Schritte auf dem Teppichfußboden entlang und musste husten, nahm noch einen Schluck Tee und fixierte dann Georg. „Herr Chefbutler, Sie haben ein Alibi. Wasserfest, denken Sie wohl.“ Eine kurze Pause. „Das denken wohl auch Sie, Henriette. Aber das ist nicht wahr. Denn die Todesursache deutet auf...“ Was war mit ihm los? Wieder hustete er, und als er in seine Teetasse blickte, sah er, dass er das angenehme Getränk schon völlig ausgetrunken hatte. „Sie deutet darauf hin, dass es...“ Ein Hustenanfall schüttelte ihn, und besorgt eilte Paul an seine Seite. Albrecht sank auf die Knie und hielt sich die Hand an die Kehle. „Albi?! Albi!!“ Paul schüttelte ihn, aber das verschlimmerte das Husten von Albrecht nur noch, bis einige Tropfen Blut auf den dunklen Boden fielen und Albrecht in Embryonalhaltung gekrümmt dort lag. Fritz nickte still und besah sich mit traurigem Blick alles um ihn herum. „Albi, lass das!!“ Bestürzte Stille legte sich über den Raum, nur durchbrochen von Albrechts Husten und Pauls hysterischen Schreien, und dann blickte Albrecht den anderen Mann mit verhangenen Augen an, und was er murmelte, war nur für Paul verständlich. Und dann starb Albrecht Fontane, und Paul weinte allein und einsam über dem toten Körper gebeugt. „Ein geschickter Schachzug des Mörders.“ stellte Georg ruhig fest. „Den Detektiv töten, bevor er verraten kann, um wen es sich handelt. Ich vermute, dieser Tee war vergiftet.“ Alle Augen mit Ausnahme von Pauls wandten sich Nicole zu, die den Tee hineingebracht hatte. Sie schüttelte verzweifelt den Kopf. „Nein, nein, ich habe ihn nicht umgebracht!! Ich- warum hätte ich denn Otto-“ „Nun, Nicole, ich meine mich zu erinnern, dass ihr vor Kurzem einen ziemlich schlimmen Streit hattet.“ Loreleys Stimme war eiskalt und geschliffen. Vehement schüttelte Nicole den Kopf. „Das ist falsch, ich war's nicht, ich war's nicht!“ „Das ist wahr...“ mischte sich Henriette ein, die nicht einmal mit der Wimper gezuckt hatte, seit ihr Ehemann aufgelöst über dem toten Körper Albrechts kniete, „... woher hätte denn ausgerechnet Nicole Gift nehmen sollen? Ich kenne diese Symptome, die der werte Detektiv gezeigt hat. Das war ein Gift aus der Sammlung meines Mannes. Und Zugriff darauf haben er, Georg und auch ich, wodurch sich der Kreis der Verdächtigen auf uns Drei einschränkt.“ Georgs Augen verengten sich. Alle anderen schienen aufzuatmen. „Aber der Herr wird doch nicht Albrecht umgebracht haben, so, wie er jetzt trauert.“ fügte Anna an. Dem wurde sofort von Henriette mit dem Argument widersprochen, dass das nur eine Taktik sein könnte, mit der Paul sie alle davon überzeugen wollte, dass er bestimmt nicht der Täter war. Maximilian kniete neben Paul und versuchte, ihm irgendetwas zu sagen, was ihm helfen könnte, dieser Menschenkenner, aber Paul hörte nur das Blut in seinen Ohren rauschen. Das war die erste Chance seit Jahren gewesen, sich Albrecht wieder zu nähern, der für ihn Bruder und Mutter und bester Freund gewesen war. Auch, wenn es unter diesen Umstände hatte passieren müssen, so war Paul dennoch fast vor Glück geplatzt, als er realisiert hatte, was für eine einmalige Chance dies war, eine Chance, sich mit Albrecht zu versöhnen, ohne dass dieser seine Briefe ignorierte oder vor ihm weglief. Und nun hatte er doch einen Weg gefunden, wegzulaufen, und Paul zerbrach daran; der einzige, von dem er gehofft hatte, dass er ihm in dieser erbärmlichen Ehe ein Rettungsseil zuwerfen konnte, war tot, getötet durch den Mörder Ottos, der sich irgendwo in diesem Raum befand. Nach zwei Minuten schloss Paul die Augen Albrechts und erhob sich. Sein Blick, mit von Tränen verhangenen Augen, durchschnitt die Luft wie ein kaltes Messer. „Oh, so einfach ist das nicht...“ teilte er mit emotionsloser, abgestorbener Stimme den anderen mit, dass jedem einzelnen ein Schauer über den Rücken lief. „Der Giftschrank ist zwar abgeschlossen, aber ich habe ihn diesen Morgen aufgesperrt – und nicht wieder zugeschlossen, ich habe es vergessen. Sie können es gerne überprüfen, aber ich bin mir sicher, dass er verschlossen ist.“ Eben noch mit dem Rücken zu den anderen Anwesenden, drehte er sich nun um und fixierte jeden einzelnen nacheinander. „Einer von euch ist der Mörder, und ich werde ihn an den Galgen bringen.“ Kapitel 10: Step 10 ------------------- Plötzlich operierte Pauls Verstand schärfer und besser als jemals zuvor. Er war kein rationaler Mensch, sondern eher emotional, im großen Gegensatz zu seiner Frau. Aber das, was durch Albrechts Tod in ihm abgestorben war, hatte sich entwickelt und war zu etwas Furchtbarem herangewachsen. „Ausschlussverfahren wird hier nicht funktionieren. Dieses Pferd muss man von der anderen Seite aufzäunen. Außerdem sind hier noch einige Fragen offen. Bernd!!“ „Ja?!“ Der Gärtner schreckte zusammen. „Was geschah vor diesem Tag vor einem Jahr mit Karol?“ „Ach, Paul, das-“ „Nein, Bernd. Erzähl es, oder ich werde dich mit diesen Händen in das Zuchthaus befördern, ob es nun gerecht ist oder nicht.“ Karol schritt ein, bevor Bernd – durch diese Provokation schon gefährlich nahe daran, der roten Wut in sich selbst seinen Körper zu überlassen – die ganze Situation noch weiter verschlimmern konnte. „Wir sind uns zufällig auf der Straße begegnet, das erste Mal, seit er aus den Diensten meiner Eltern entlassen wurde. Er hat mich angeschrien, aber im Gegensatz zu meiner Kindheit bin ich nicht- nun, ich konnte zivilisiert mit ihm reden, und plötzlich war er sanft wie ein Lamm. Ich dachte, man könnte sich vielleicht versöhnen, aber noch am gleichen Abend griff er zu Gewalt. Physischer Gewalt. Ich kappte alle Bande, die uns noch verbunden hatte, auch die, die ich in meinem Inneren aufrechterhalten hatte. Aber Bernd...“ Er schüttelte den Kopf. „Ich glaube, Bernd ist nie darüber hinweggekommen, dass ich nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte.“ Paul nickte. „Wie ich es mir dachte. Bernd. Du erinnerst dich nicht mehr daran, aber als wir vor einem halben Monat gemeinsam im Black Cap saßen und beide recht benebelt waren, hast du mir erzählt von dem Bengel, der immer panische Angst vor dir hatte. Wie alt war er, als er dich verlassen hat, etwa zehn Jahre? Du hast erzählt, wie sehr du an ihm hängst, und dass du jeden töten würdest, der ihm Unheil willst, trotz allem, was er dir angetan hat.“ Bernd knirschte mit den Zähnen und schien kurz davor zu sein, zu explodieren. „Weiter. Karol hat Maria. Und Otto wusste davon. Ich schätze mal, er wollte Jette davon erzählen, und du kennst meine Frau genauso gut wie ich, sie kann einem ganz schreckliche Angst machen.“ Einen kurzen Moment lang glomm der normale Paul in seinen Augen auf, der Paul, der immer den Drang zu fliehen verspürte, wenn Jette ihn auch nur schief anguckte. Aber dann kehrte die Erinnerung an den warmen Körper in seinen Händen zurück, und Pauls Blick wurde hart und unnachgiebig. „Ihr habt miteinander geredet, stimmt's? Du wolltest ihn davon überzeugen, dass er einfach nichts sagen soll über die Geschichte und dass es ja nicht so schlimm wäre, dass der Fisch fort sei. Aber Otto verstand das nicht, nein, Otto wollte den Fisch wiederhaben. Und Bernd, du bist cholerisch. Du hast ihn im Affekt erschlagen. Gib's zu. Und Albrecht-“ Bei der Erwähnung dieses Namens zogen sich Pauls Eingeweide schmerzhaft zusammen. „-Albrecht musste sterben, weil er dich aufdecken wollte. Wo hast du das Gift her?“ Bernd wich zurück. „Also, also erstmal hast du keine Beweise, Paul! Das ist alles völlig aus der Luft gegriffen, und es ist eine Frechheit, wie du mein Privatleben hier vor aller Ohren einfach so zur Schau stellst! Und-“ „Beweise willst du? Ha! Die Tatwaffe. Peschendorf, komm her und zeig mir deine Fotografie!“ Robin gehorchte, ging ein paar zitternde Schritte auf Paul zu – das war die Geschichte des Monats, wenn die Zeitung sie richtig aufziehen würde!! - und reichte ihm ein empfindlich eingepacktes Paket. Paul besah sich das Bild, dann nickte er. „Sieht ganz danach aus, als hätte man Otto eine Schaufel über den Kopf gezogen. Wenn du leugnen willst, bitte, dann schicken wir all deine Instrumente zu der Polizei und überprüfen, ob sie zu der Verletzung passen.“ Bernd knurrte. „Wenn's meine Instrumente sind, dann könnte die aber auch jeder andere-“ „Falsch. Du behältst deine Instrumente bei dir wie einen Schatz und behütest sie sorgsam. Du würdest niemals zulassen, dass dir jemand etwas Großes wie eine Schaufel stiehlt. Nur, woher hattest du das Gift, um Albrecht zu töten? Das war doch sicherlich nicht geplant...“ Gerade wollte Bernd den Mund öffnen, um zu antworten, als Georg sich räusperte. „Es ist durchaus möglich, dass Herr Cranach und Herr Chatten zusammengearbeitet haben. Stellen Sie sich vor; Cranach hat ausgesagt, er hätte den Fisch einfach so ausgesetzt, aber was, wenn er ihn zu Chatten gegeben hätte, in dem vollen Wissen, dass dieser Fisch ein Vermögen Wert ist. Im Gegenzug könnte Herr Chatten ihm versprochen haben, in Anbetracht der gemeinsamen Geschichte der beiden, ihm zu vergeben und ihn bei sich arbeiten zu lassen. Dann wäre Chatten heute gekommen und hätte zur Vorsicht Gift bei sich gehabt, nachdem er in der Zeitung gelesen hatte, dass der beste Detektiv der Stadt anwesend ist. Um diesen Detektiven auszuschalten.“ „Nein!!“ durchfuhr Bernds Stimme den Raum. Er hatte den Blick gesenkt und die Hände tief in seine Hosentaschen vergraben. „Das Gift hab ich aus Pauls Sammlung geklaut, die war offen. So als Sicherung. Falls was schieflaufen sollte. Ich- es ist, wie Sie's gesagt haben. Er hat gedroht, Karol vor ein Gericht zu zerren. Das würde seine ganze Existenz kaputt machen!! Das hab' ich nicht zulassen können. Ich weiß nicht. Ich wollte das echt nicht.“ Jeder wich etwas von ihm zurück, aber Bernd, der starr auf den Fußboden blickte, bemerkte das nicht. „Ich wollte ihn doch nur beschützen.“ „Du bist krank.“ Karols Stimme bebte voller Verachtung – und mit, das konnte er zumindest vor sich selbst nicht leugnen, Zuneigung zu diesem Wahnsinnigen, der für ihn über Leichen ging. Paul nickte zufrieden. „Und du kommst auf das Schafott, sofort! Du wirst dich nicht mehr herausreden können, Freundchen!!“ Es dauerte nicht lang, bis Anna noch einmal losgegangen war zu der Polizei und Grete und Leopold gemeinsam Bernd in die Stadt begleiteten. Die Gesellschaft im Haus löste sich in kleine Grüppchen auf. Kapitel 11: Step 11 ------------------- „Hättet ihr das gedacht?“ Die Angestellten hatten sich zu einer Krisensitzung versammelt. Loreley kniete ohne Baby in einer Ecke, Hans hatte draußen im Garten gelassen und die restlichen hatten sich in einen Kreis gesetzt oder gekniet. Angst machte sich zwischen ihnen breit. Sie hatten doch alle Bernd so gut gekannt... da hätten sie nie damit gerechnet, dass er zu solch einem Doppelmord in der Lage wäre. Robin hatte sich in die Mitte der Anwesenden gesetzt und hatte in der einen Hand einen Stift, in der anderen das Notizbuch gezückt, bereit, sich alles zu notieren, was beitragen könnte zum Gelingen dieser Superstory. Nachdem von allen Angestellten, sogar von Roland, ein Kommentar eingegangen war, hastete Robin zurück zur Zeitung, und die neue Ausgabe kam noch an diesem Abend auf die Straßen. Gärtner (31) verübt Doppelmord! Eine grausige Geschichte trug sich im Hause des von und zu Albrechts zu. Bernd Cranach (Abbildung oben rechts), Sohn eines Monsters und einer unbekannten Prostituierten, schlachtete hemmungslos einen unschuldigen Jungen ab. Nachdem er schon gegen Mittag verdächtigt wurde, wurde der Täter aufgrund der Unfähigkeit der örtlichen Polizei erst am Nachmittag verhaftet – und dadurch dazu verführt, ein erneutes Blutbad anzurichten! Der sympathische junge Detektiv Albrecht Fontane (Abbildung unten rechts), stadtbekannt als fröhlicher, unbeschwerter Mann, der jeden Fall gutbürgerlicher Menschen lösen kann, fiel dem tödlichen Gift des ekelhaften Mörders zum Opfer. Aufgeklärt wurde der Mordfall erst durch das heroische Einschreiten des Hausherren, Paul von und zu Albrecht, der nicht mehr in der Lage war, das Wüten des geistesgestörten Gärtners in seinen Hallen zu ertragen. Leider waren weder Herr von und zu Albrecht noch seine Ehefrau zu einem Interview verfügbar. Loreley, die Amme der Familie, sagte jedoch: „Bernd! Er war schon immer sehr cholerisch... einmal hat er einen Tisch umgeschmissen!“ Der Chefbutler enthielt sich jeglichen Kommentars, sein Untergebener Hans war kooperativer: „Jaja, der Bernd... ich bin dem immer aus dem Weg gegangen, schrecklich.“ Auch das Hausmädchen konnte dem nur zustimmen: „Er hat mich geschlagen.“ Nach Polizeiberichten wurde das erste Opfer blutigst erschlagen. Ein Glück, dass uns Bürgern dieser Stadt der Held Fontane zur Hilfe geeilt ist, oder wir würden nie wieder ruhig schlafen können. Gegen acht Uhr klopfte es an der Tür, und da zu diesem Zeitpunkt weder Paul noch Henriette anwesend waren, öffnete Georg den Gästen. Ein lautes Kläffen kündigte an, dass ein kleiner Mops auf der Türschwelle stand und Georg sogleich auf die geputzten und polierten Schuhe sprang, nachdem er geöffnet hatte. Mit einer gehobenen Augenbraue sah er nach unten und sah dann wieder nach oben, und er bemerkte, dass das Königspaar stand. Leise Worte stotternd stolperte er zurück, aber als Profi konnte er sich beherrschen und richtete sich sofort wieder die Krawatte. „Eure... eure Majestät!!“ Der Mops fing an, in eine Ecke zu pinkeln. Georg verbeugte sich bis an den Boden. Victoria neigte den Kopf etwas zur Seite. „Dies ist der Ort, an dem Fontane starb?“ erkundigte sie sich, und sofort nickte Georg. „Im- im Salon.“ Mit ihrem Ehemann und seinem Hund gemeinsam stieg sie bis in den Salon, wo noch zwei Blutflecken an die Vergiftung Albrechts erinnern. Sie nickte. „Gut. Ich schätze, ihr habt alles getan, um ihn zu retten?“ Inzwischen waren auch die anderen Angestellten in diesem Raum, und der Mops sprang hochmotiviert auf Loreley, die leise kreischte. Verwirrt nickte Georg und wurde von einem „Aber klar doch!!“ von Hans unterstützt. Victorias Ehemann übernahm das Zepter. „Herr Fontane hat uns einen großen Dienst erwiesen, als mein Hund Paolo fortgerannt ist. Wir möchten ihm aus dem Diesseits einen letzten Gruß zusenden an alle, die ich um ihn gekümmert haben. Was halten Sie von einer kleinen finanziellen Zuwendung aus dem Königshaus?“ Georg schien davon ein Lächeln zu halten, das erste Lächeln, das sich auf sein Gesicht schlich, seitdem er Albrecht und Fritz einige Stunden zuvor begrüßt hatte. Die Summe, die einging, reichte aus, um ihnen allen ein sorgenfreies Leben zu verschaffen. Georg setzte sich auf dem Land nieder, wo er eine Familie gründete. Hans hatte sich ein Häuschen in Massachussetts gekauft, und er starb nur ein paar Jahre danach, als sein Dach einstürzte. Loreley bekam zehn Kinder, die ihr widerum jeweils fünf Enkelkinder schenkten – von denen viele in den Weltkriegen starben. Nicole eröffnete eine kleine Bar mitten im Herzen von Paris. Anna lebte nahe der Küste, in einer kleinen Wohnung ganz allein, und wurde eine weltbekannte Künstlerin. Die Angestellten, konnte man also sagen, fuhren fort, ein normales Leben zu haben. Sie erfuhren Trauer, Leid und Freude, und als sie starben, konnten sie alle auf ein erfülltes Leben zurückblicken, ob nun auf die eine oder die andere Art. Wenn das alle Involvierten in diesem Mordfall von behaupten würden können, dann könnte man fast davon überzeugt werden, dass die Welt gerecht war. Kapitel 12: Step 12 ------------------- „Du wirst nie wieder das Tageslicht erblicken!!“ zischte Paul noch, und dann schloss sich die Tür, und Bernd blieb allein in der Zelle zurück. Paul atmete tief durch. Sein Kopf schmerzte und er fühlte sich hin und hergerissen; einerseits könnte er in eben diesem Moment vor Anstrengung tot umfallen, andererseits könnte er explodieren. Schlussendlich tat er weder noch, sondern ließ sich erschöpft auf einen Stuhl nieder und lehnte die Ellbogen auf den nahe dabeistehenden Tisch. Bei ihm waren Zenzie, Maximilian, Lukas, Karol und die beiden Polizisten. Leopold hatte erneut seinen Notizblock in der Hand und ließ sich von den reichen Zeugen genaue Auskünfte geben, damit der Prozess gegen den Mörder möglichst bald und möglichst erfolgreich angestrengt werden konnte. Mit etwas Glück würde diesem schrecklichen Mörder in wenigen Wochen schon der Garaus gemacht werden; wenn die öffentliche Meinung mitspielte, vielleicht schon in wenigen Tagen, was das Riskio verringerte, dass er ausbrach und erneut arme Fischjungen erschlug. Sie alle sahen müde aus, Karol am meisten. Grete bot ihnen nach mehreren Stunden Aussagen einen Tee an, und natürlich akzeptierten sie alle diese Geste. „Ich hoffe doch, diesmal ist kein Gift darin verborgen.“ versuchte sich Lukas an einem auflockernden Witz. Niemand lachte. Paul allerdings sah ihn aus giftigen Augen an, und Maximilian legte genervt die Hand über die Augen. „Wie dem auch sei... ich denke, wenn Herr Chatten das ganze noch aus seiner Perspektive erzählen würde...“ Karol schüttelte den Kopf. „Nein, das werde ich nicht. Ich werde jetzt gehen.“ Eine Hand verschwand in seiner Manteltasche, dann legte er einen dicken Batzen Geld auf den Tisch. Grete sah ihn kurz an und lächelte dann. „Noch einen schönen Abend, Herr Chatten. Danke für die Aussage!“ Blitzschnell griff sie nach den Scheinen und steckte sie in ihre Tasche. Karol verschwand nicht aus dem Polizeigebäude, ohne nicht noch einen Abstecher bei Bernds Zelle zu machen. Er ließ sich von der Wache einlassen mit der Versicherung, dass alles in Ordnung sei, und einer Handvoll Münzen. Bernd sah auf. „Karol. Komm mir nicht zu nahe.“ „Danke. Du hast- du hast wirklich-“ Bernd zuckte mit den Schultern. „Ist doch egal. Das ist jetzt passiert. Kann man nicht mehr ändern. Ich konnte nicht anders.“ „Aber warum auch Albrecht?“ Ein Blick aus stechend grünen Augen fiel auf die von Karol. „Das war ich nicht. Ich weiß nicht, wer es war, aber ich weiß es nicht.“ „Was?! Aber- Das müssen wir sagen. Wer weiß, vielleicht hängen sie dich nicht an Galgen, wenn du ihnen das erklärst.“ „So ein Nonsens, Karol... Lass es gut sein. Es ist vorbei. Paul will mich drankriegen, gib ihm doch die Genugtuung, dass er Fontanes Tod rächt. Außerdem würden sie sonst dich verdächtigen, dass du das Gift eingeschmuggelt hättest, und die würden sicherlich Beweise finden. Glaubst du ehrlich noch an Gerechtigkeit? Lächerlich.“ Er schüttelte den Kopf und lehnte sich an die kalte Steinwand. „Es ist vorbei. In dem Moment, in dem ich gehört habe, dass die beiden besten Detektive der Stadt hier sind, habe ich mit meinem Leben abgeschlossen. Du kannst das mit all dem Geld der Welt nicht mehr aufschieben.“ Stille drängte sich zwischen sie, und dann trat Karol einen Schritt vor und berührte Bernd sacht an der Schulter. „Danke. Vielen Dank. Ich... ich verzeihe dir.“ Als Bernd sich umdrehte, war Karol wieder verschwunden, und die Tür war fest verschlossen. Er lächelte, während Tränen seine Wangen hinunterliefen. Bernd Cranach, der geistesgestörte Gärtner, starb genau eine Woche später. Karol, der die Beerdigung des Mörders bezahlte, verbrachte den Rest seines Lebens in seinem Haus und kümmerte sich um Maria. „Hey Paul. Meinst du, du packst das mit Albrecht?“ Die Stimme Maximilians klang unangenehm in Pauls Ohren nach. Was sollte man denn auf so etwas antworten. „Natürlich pack ich das, siehst du nicht, wieviel besser es mir geht?“ „Oh! Klar, hast Recht! Ha, das ist ja gut, dann hat er dir wohl doch nicht so viel bedeutet, wie ich immer gedacht habe! Hahaha!“ Nachdem Maximilian fertig gelacht hatte, kehrte wieder unangenehme, erdrückende Stille ein. Paul blickte seine Hände an, die ruhig auf dem hölzernen Tisch lagen. Der Raum wurde erhellt von zwei Petroleumlampen, die grünlich schimmerten. Er holte tief Luft, und dann stand er auf. „Ich gehe.“ teilte er den anderen mit. „Max. Könnt ihr mir Geld leihen? Ich will nicht in dieses Haus zurückkehren, zu dieser... zu dieser Familie.“ „Äh...“ Bevor Maximilian etwas sagen konnte, schüttelte Lukas vehemente den Kopf. „Keine Chance. Kein Geld für dich.“ Ein böser Blick wurde ihm zugeworfen, aber im Endeffekt war Maximilian glücklich, dass er selbst nicht dazu gezwungen war, seinem Freund diese Bitte abzuschlagen. Freundschaft war gut – Geld war besser, und jemand Unverantwortlichem wie Paul sollte man kein Geld leihen, wenn man vorhatte, dieses irgendwann wieder zu sehen. Also zuckte Paul phlegmatisch mit den Schultern. „Gut. Dann werde ich ohne Geld gehen.“ Fünf Augenpaare blickten ihm nach, und ohne den Aufklärer des Falles erklärten Grete und Leopold die Arbeit für beendet, und die Reichen kehrte in ihre opulenten Häuser zurück. Die beiden Polizisten arbeiteten noch jahrelang, bis Grete angeschossen wurde und den Rest ihres Lebens, liebevoll von ihrem Partner gepflegt, bettlägerig verbringen musste. Zenzie, die ihr Imperium mit einer Bierbrauerei gemacht hatte, wurde immer reicher und reicher, bis sie als alte Frau und zweitreichste Frau des Königreichs verstarb. Lukas und Maximilian verloren ihren Reichtum, als das Deutsche Reich an die Macht kam und damit ihre dubiose Haupteinnahmequelle wegfiel, und sie starben gemeinsam, als ein Schiff sie in die Vereinigten Staaten bringen sollte und unterging, bevor sie die Chance gehabt hatten, einen Neuanfang zu wagen. Und Paul hielt seine Worte und ging. Und er kletterte wieder etwas hinauf auf der Leiter der Glücks. Als Wanderarbeiter von Belgien bis nach Russland hinein verscheuchte er Albrecht aus seinen Gedanken, und erst, als er im sibirischen Winter erfror, dachte er wieder an das Gefühl der warmen, toten Haut unter seinen Fingern, und die Tränen auf seinen Wangen froren ein. Kapitel 13: Step 13 ------------------- Die Angestellten waren in ihren Räumen, Roland spielte im Garten, das Baby lag in seinem Bett und Paul sowie alle ihre Freunde waren auf dem Polizeirevier. Ursprünglich hatte auch Henriette Paul begleiten wollen, aber ihre Anwesenheit war laut Grete nicht nötig gewesen, und so war sie allein mit Fritz im Salon verblieben. Er lächelte sie an, und sie lächelte zurück. Das war alles ganz und gar nicht optimal verlaufen. „Warum haben Sie dieses Bein, Henriette?“ Fritz strich sich über den Schnurrbart und zwirbelte ihn an den Enden ein wenig. „Mh. Ich schätze, ich muss gehen.“ bot sie ihm als Antwort an, aber während sie sich erhob, ließ ein einziges Wort des Meisterdetektivs sie in der Bewegung verharren, sodass sie gebeugt stehen blieb. „Seefahrt.“ Sie warf ihm einen misstrauischen Blick über die Schulter zu. „Ist aber recht seltsam für eine Frau ihres Standes. Sie wollten sich nicht den Regeln beugen.“ Er lehnte sich zurück, als hätte er gar nichts mit der ganzen Sachen zu tun. Henriettes Blick wurde dunkel. „Ach, das ist doch alles schon längst vorbei, alte Lamellen, die man nicht mehr aufwärmen muss...“ Sie versuchte, zuckersüß zu lächeln. Fritz nickte. „Von Ihrem reichen Handelsvater fortgelaufen, um Freiheit zu spüren. Aber... jetzt sind Sie hier.“ Henriette schien zu überlegen, dann setzte sie sich wieder. „Ja. Sie haben Recht. Mit dreizehn Jahren riss ich aus und heuerte an. Aber diese verklärte Jugendphase ist vorbei, ich war froh, als meine Eltern mich gefunden haben. Und dieser Unfall mit meinem Bein, diesen wollte ich nie wiederholen.“ „Mhm.“ Fritz nickte. Stille kehrte ein, dann ergriff er wieder das Wort. Zum ersten Mal schien die Fassade der jungen Frau abzubröckeln. „Wie lange?“ „Vier Jahre. Dover, Valencia, Göteborg, Indien. Als ich einen Fuß in meine Heimat setzte, haben sie mich gefunden. Aber ich bin glücklich mit meinem Mann und meinen Kindern.“ „Mhm.“ Fritz nickte erneut. „Stillt das Ihre Neugier?“ Sie schien sich wieder erheben zu wollen. „Und Ihnen ist nichts Besseres eingefallen, ihn los zu werden, als ihm einen Mord unterzujubeln?“ Wie eingefroren blieb Henriette sitzen, dann fing sie an, zu lachen. Krankhaft zu lachen. „Wie kommen Sie denn bitte auf diese Idee?“ wollte sie wissen. Ihr Gesichtsausdruck war leuchtend. „Otto wurde von Bernd erschlagen, das ist wahr. Aber die Verfärbungen an der Lippe... eindeutig Gift. Ein sehr starkes Gift. Ein anderes Gift als das, das Albrecht umgebracht hat. Sie kennen sich mit Giften aus, das haben Sie bewiesen, und Sie haben den Schlüssel. Kluges Alibi. Haben Sie auch Maria in den Fluss geworfen? Und dann so getan, als würden Sie sie lieben?“ „Entschuldigen Sie bitte,“ entrüstete sich Henriette, „Sie werfen mir doch nicht etwa vor, Otto und Albrecht getötet zu haben?!“ Fritz zuckte mit den Schultern. „Vorwand, uns herzurufen. Den besten Detektiv der Stadt. Aber schlechter Vorwand. Lächerlich, wegen einem Fisch. Und in der Tatzeit waren Sie bei uns, die ganze Zeit. Sie haben Otto vorher vergiftet.“ „Das ist Nonsens.“ erklärte Henriette. „Ich werde mir das nicht länger anhören.“ Dennoch erhob sie sich nicht. „Albrecht musste nicht sterben. Aber Sie hatten Angst. Wegen Bernds Dummheit, natürlich hatten Sie auch durchschaut, dass er Otto erschlagen hat, bevor das Gift gewirkt hat. Also haben sie in eine beliebige Tasse Gift gestreut, und so starb irgendeiner von ihnen. Und Sie sagten, die Giftsammlung gehört Ihrem Mann. Der Verdacht. Automatisch auf ihn. So, wie Sie mit dem Gift am Anfang den Verdacht auf ihn lenken wollten.“ Henriette sah sich die Wand gegenüber an. „Otto wurde auch vergiftet, aber Paul hat das nicht gewusst, das wussten Albrecht und ich, und nur deswegen macht die Sache mit Bernd als Täter Sinn.“ „Haben Sie Beweise?“ konnte man Henriettes Stimme hören, und sie blickte Fritz kühl an. Er lächelte die Wand an, die eben noch Objekt der Aufmerksamkeit von Henriette war, und dann sah er sie wieder an. „Ich will keine. Sie wollten das tun, um Paul loszuwerden. Er wird fort gehen. Er hält es nicht mehr an diesem Ort aus.“ Fritz erlaubte sich ein Seufzen und betrübt blickte er die roten Locken an. „Sie sollten glücklich sein. Es ist nicht nach Plan verlaufen. Aber es ist gut.“ „Nichts ist gut.“ knurrte sie. „Ich wollte diesen dummen Idioten endgültig aus meinem Leben verbannen, aber ich kann den Kindern nicht ihren Vater töten. Er hat mich an dieses furchtbare Leben gekettet. Sie wissen doch gar nicht, wie es ist, eine Frau zu sein. Wissen Sie es?! Sie haben keine Ahnung. Wir sind Gefangene im goldenen Käfig, aber es ist viel, viel schöner, draußen zu leben. Die Salzwasserluft schmecken, das ist besser als jedes Gänsekeule mit Chardonnay. Und er wird wiederkommen. Mein monatelanger Plan wurde durch diesen dummen Gärtner kaputtgemacht.“ Fritz nickte, als spräche sie von etwas, was sie alle schon durchgemacht hatten. „Glauben Sie mir. Er ist fort. Sie können gehen. Weit weg.“ Daraufhin schnaubte sie auf. „Ohne Mann? Wissen Sie denn nicht, dass mein Plan war, den besten Detektiv der Stadt zu verführen, als arme, trauernde Frau, deren Mann als wahnsinniger Mörder entlarvt wurde? Ich wurde einmal geschnappt, ich werde auch ein zweites Mal geschnappt werden, vor allem mit den Kindern im Schlepptau, wenn ich keine Marionette an meiner Seite habe, wenn ich keinen Mann habe, der tut, was ich sage, und macht, was ich will, und mit mir geht, wohin auch immer ich will. Aber ich werde mich niemals von Paul scheiden lassen, selbst wenn er nun fortgeht, werde ich immer als Trauernde hier auf dieser Insel gefangen bleiben.“ Wieder nickte Fritz. „Ich könnte Sie begleiten.“ Sie sah ihn aus verengten Augen an, und in der Not fraß der Teufel Fliegen – und die Adelige nahm das verzweifelte Angebot an. „Dann begleiten Sie mich. Ich habe vier Plätze auf einem Schiff reserviert, das innerhalb der nächsten Woche ablegen sollte.“ Fritz nickte verträumt. Zwar war Henriette misstrauisch, und sie blieb es noch eine lange Zeit, aber an diesem Abend nahm sie ihre beiden Kinder, und das Schiff legte am nächsten Morgen ab, und dreißig Jahre später sank die HMS Hamburg mit ihrem Kapitän Fritz und seiner Frau, die das Steuer in der Hand hielt, und brachte die beiden mitsamt von Roland, Hein und all ihren anderen Kindern auf den Grund des Meeres. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)