James Norrington von Phantom (Ⅰ. Ankerlichtung) ================================================================================ Kapitel 14: I. Wind zieht auf ----------------------------- In Wahrheit lagen seiner Entschlossenheit weit mehr Aspekte zu Grunde, als ich damals wissen konnte. Deshalb sollte der junge Fähnrich auf dem Schiff seines Vaters, der HMS Victory, unter dem Kommando seines Vaters und der Aufsicht von dessen Erstem Steuermann, Lieutenant Samuel Bennett, zu unvorhersehbarem Enthusiasmus gelangen, waren die Umstände seiner Einschiffung, der ersten offiziellen Einschreibung in die Musterrolle des Flaggschiffes auch noch so bedenklich. Der fundamentale Umriss in James Norringtons Biografie begann mit einem – nein – nicht irgendeinem Brief, sondern mit der endlichen Antwort der Admiralität. Als habe er ihn gerochen, wuchs Lawrence Norrington wie aus dem Boden hinter Mary, die mir augenblicklich das noch verpackte Schreiben überreichen wollte, zog es an sich und hatte seinen Inhalt in wenigen Sekunden zur Kenntnis genommen. Da er, wie gesagt, Anlass war, James unverzüglich die Schule abbrechen zu lassen, in der dieser zusehends versagte, weil ihm der Druck durch sich selbst und den Vater jegliche gute Zeugnisse verwehrte, scheint es offenkundig, dass der Seelord der Karibik – Erleichterung! – die Genehmigung erhalten hatte, aus seinem Gefängnis zu brechen und wieder stöhnendes Holz unter den Füßen zu spüren, sich den salzigen Wind des Atlantiks durch das Haar wehen zu lassen. Am selben Abend noch, während des Mahls, explodierte er in Zorn vor den Augen seiner Gattin und den meinen. Ich sprang wie eine erschreckte Katze unter den nächstbesten Tisch, während über mir Silberbesteck wie Pfeile und Geschirr wie Kanonenkugeln hinwegbrausten. Mutig stellte sich Lady Elizabeth in den Marschweg des Parolen und Hasstiraden brüllenden Admirals; ich wollte aus meiner Deckung flitzen, um sie rasch aus der Schussbahn zu ziehen, da knallte Lawrences flache Hand gegen das Gesicht Elizabeths. Scharf zog ich den Atem ein. In ihrer Beziehung ging es immer einmal wieder hitzig zu; es war einfach Bestandteil dieser Ehe, aber geschlagen, große Güte, geschlagen hatte Norrington sie nie. Es war ein Phänomen, das dann sogar seinem Ausbruch Einhalt gebot. Zum ersten Mal war es mir gegeben, in Lawrences Zügen zu lesen. Nicht, weil er es gestattete, sondern weil er zum ersten Mal in meiner Anwesenheit nicht imstande war, sie zu beherrschen. Der keine Minute dauernde Streit hatte einen Haufen Diener an die spaltoffene Tür gelockt, und so gab es ausreichend Zeugen für des Admirals unfeierlich, trocken geäußerte, doch nichtsdestotrotz unvergessliche Verkündung: „Es ist mir egal, was die Admiralität vorschreibt, die meint, über einen erwachsenen Mann in diesem Ausmaß entscheiden zu dürfen. Ich diene nicht einer irdischen Zusammensetzung aus fehlbaren Menschen; mich führen weit höhere Beweggründe, denn ich tue meine Pflicht für niemand anderen denn unseren König, unser England sowie meine Väter, denen ich es schuldig bin. Ich fahre wieder zur See.“ Wenn er es nicht vorher schon gewesen war: Jetzt war er besessen. Bis zum April traf er Vorbereitungen. Darunter ließ er James sein zwölftes Lebensjahr beginnen. Er irritierte seinen Sohn mit der wie aus dem Blauen gegriffenen Forderung, ihn ab sofort mit Sir zu betiteln; der Name James machte auf der Zunge des Lords hingegen einem Mister Norrington Platz. Ich hatte nicht länger das Gefühl, dass die beiden mehr gemeinsam hatten denn den Familiennamen, und der ständige Austausch von „Norrington?“ und „Sir?“ und manchmal „Ja, Herr Va… Sir?“ machte mich von Zeit zu Zeit Glauben, in einer Kaserne gelandet zu sein. Ganz abgesehen davon, dass es Norrington – der Ältere, natürlich – meines Erachtens nach zu weit trieb. Weder Lady Elizabeth noch ich bekamen James oft zu sehen, obwohl er nach Jahren endlich wieder innerhalb dieses Anwesens wohnte. Wie er es anstellte, erschließt sich mir bis heute nicht gänzlich, aber Admiral Norrington war wunderlicherweise befähigt, trotz des Auflehnens wider den höheren Beschluss sein Schiff, die HMS Victory, mitsamt seiner vollzähligen Besatzung ablegen zu lassen. Vermutlich missbrauchte er seinen Titel und ließ jeden, der primär durch ihn selbst statt durch die Admiralität am Schreibtisch in London Informationen bezog, über seine Amtsentbindung im Dunkeln. Nichts schien zu existieren, das einen Mann wie ihn aufhalten konnte, und nicht erst seit seiner Rückkehr zum Atlantischen Ozean sah ich in ihm einen unvergleichlichen Menschen, der weit über uns allen stand. James würde es schwer haben, unumstritten unglaublich schwer, wenn er seinen Vater jemals erreichen wollte; es war eine jener unumstößlichen Gegebenheiten, für die man diesen Gott rügen wollte, dem sich die abergläubischen weißen Gesichter trotz allem entgegenreckten, um auf Unterstützung oder wenigstens eine Antwort zu warten, bis der Nacken steif war und – es soll tatsächlich vorgekommen sein – der unglückselige im Winter Anrufende auf seinem stummen Platz erfroren. Mein Herr war nicht gläubig – dafür war er sich selbst viel zu sehr Gott – und auch meine Herrin sündigte zu gerne, als dass sie ein überirdisches Fegefeuer ängstigen würde. Niemand betete für James’ sichere Heimkehr, da ich ihn wieder am Horizont schwinden sah, außer die gute Mary vielleicht, deren Eltern offensichtlich sehr religiös gewesen waren. Genutzt hatte es ihnen schließlich nicht. Überhaupt wussten wir James vorzugsweise im Schutz seines unverblendeten Vaters als in dem ungewissen, launischen eines Mannes, der dem Satan seine Schützlinge zur Prüfung überlässt, weil seine Wege ja so unergründlich seien. Anstatt mich für ihn auf die Knie zu werfen und zu hadern, nahm ich James nach hohen Geduldskosten das Versprechen ab, dass er mir immer dann, wenn er wieder Land betrat, einen Brief zukommen ließ, welcher nicht einmal ausführlich werden musste, Hauptsache… Als er sich umdrehte, überlegte ich, ob ich Benedicts Zauberworte verwenden sollte, verzichtete letztlich jedoch aus Furcht, dass sie den Konversationen zwischen dem Gartenarbeiter und dem Aristokratensohn vorbehalten waren. „Eurykleia wird warten“, formten meine Lippen lautlos, nachdem er mich gebeten hatte, seiner Mutter, die aufgrund beträchtlichen Unwohlseins nicht mit uns nach Portsmouth gereist war, beste Grüße zu bestellen. Er wirkte ganz anders in dem blauen Rock der Seekadetten mit den großen gelben Knöpfen. So wie junge Schauspieler berichten, wie das lähmende Lampenfieber erstickt, kaum dass sie auf der Bühne stehen und endlich spielen, lösten sich auch meine Bedenken auf. Nicht nur mir war bewusst, dass James sich etwas vorgemacht hatte; auch ihm selbst, doch er war bereit, sich von der Erbarmungslosigkeit seines Schicksals neu formen zu lassen, ehe das Material, aus dem er geschaffen war, verhärtete, und ich, ihm zu vertrauen. Er drehte sich nicht einmal nach mir um. Kaum zurück in Suffolk, erwartete ich schon mit heißer Sehnsucht den ersten Brief, gegerbt vom salzigen Wetter des Meeres, gezeichnet von der Versicherung, dass James noch lebte. Ich kam lediglich auf andere Gedanken durch Lady Elizabeths besorgniserregenden Zustand, der sich wider Erwarten nicht nach ein paar Tagen regeneriert hatte. Sicherlich hatte es mit dem Verlust ihres Jungen zu tun, den sie nach wie vor nicht verkraften konnte. Um mir Gewissheit zu verschaffen, sammelte ich die bemerkenswertesten Symptome: Eine schreckliche Übelkeit überfiel sie in unrhythmischen, aber regelmäßigen Abständen, sie aß und trank daher wenig, viel zu wenig, die Brust schmerzte ihr, und wann immer man ihr Gutes wollte, wies sie einen mit fürchterlicher Aggressivität zurück. Fühlte sie sich selbst alleingelassen? Ich zweifle nicht daran. Doch nicht lange nach meiner Rückkehr versetzte ich die ohnedem schon überforderte Mary am Bett der kranken Admiralsgattin mit einem heiteren Lächeln in Panik. Sie musste annehmen, ich sei verrückt geworden. Tatsächlich allerdings waren mir die Anzeichen zu bekannt – ihren bitteren Beigeschmack verdrängte ich angestrengt – als dass ich mich länger von zehrender Angst um meine Brotgeberin und Freundin heimsuchen ließ. Natürlich war es gemein von mir – aber Mary ließ ich über den Grund meiner Erleichterung im Unwissen. Ihre den Teufel an die Wand malenden Wortschwalle wichen verblüfften Fragentiraden in dem Monat, da der erste Brief von James eintrudelte. Ich machte mir nicht vor, dass er nicht schon früher festen Boden unter den Füßen gespürt hatte, aber ich akzeptierte die Zeit seiner Überwindung, die es brauchte, bis er mir wahrlich Nachricht zukommen ließ – es machte mich glauben, dass dies, was er niederschrieb, wenn er von der Richtigkeit dieses seines Tuns überzeugt war, ehrlich ausartete im Gegensatz zu dem, was aus dem Zwang des Versprechens entstanden wäre. Ehe ich den Umschlag öffnete, zog ich mich in meine Kammer zurück, obwohl es unwahrscheinlich war, dass Lady Elizabeth das Bett verlassen würde. Es hatte aber auch etwas Gemütliches, bei schwachem Licht unter der Decke zu kauern, als würde man etwas Verbotenes tun, und die persönlichen Zeilen eines Vertrauten in sich aufzunehmen, dem man gewissermaßen seit Jahren nicht mehr begegnet war. Da ich den Brief las, war mir, als wäre James niemals so offenherzig mir gegenüber gewesen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)