James Norrington von Phantom (Ⅰ. Ankerlichtung) ================================================================================ Prolog: I. James ---------------- Mein Freund. Als den Ersten teile ich Ihnen mit, dass noch des Abends, da ich diesen Brief an Sie verfasse, meine Elizabeth einen Knaben zur Welt gebracht hat, und, Gott sei Dank, beide erfreuen sich guter Gesundheit. Wie Sie sehen werden, zittere ich noch; ärger als seinerzeit gegen die Holländer. Sie, mein Bester, wissen sehr wohl, was das heißen will. Ich bitte Sie nur, die Freude mit uns zu teilen und einen Prost zu erheben auf Admiral James Alexis Lawrence William Norrington, der gerade – wartet, ich muss kurz nachschauen… …Ah, schläft. Grüßen Sie uns die Familie. So sollten die Zeilen klingen, die Lord Lawrence Richard Norrington wenig später an den Schwager schreiben würde. Noch wäre er dazu nicht in der Lage, wie er jetzt unweit von mir stand; hätte ich es riskieren können, so würde ich wohl nicht von seinem Gesicht ablassen, von seiner ihm so unwürdigen Gestalt, die nichts gemein hatte mit dem Admiral der Englischen Marine, wie ich ihn sonst alltäglich erlebte, wenn er daheim war. Seine Augen starrten, als hätte der große Schlächter dergleichen nie vorher gesehen, auf das blutige Spektakel, auf diesen Mühsamsten aller Kämpfe, der eben einer Frau vorbehalten war, und vielleicht hätte er sich daran erinnern sollen, bevor er mit der bekannten Grobheit in das Schlafgemach gestürmt war, um als Herr des Hauses nach dem Rechten zu sehen. Die letzten Sonnenstrahlen übergossen den Landsitz im Osten Englands mit malerischem Gold, als im Übergang eines ausgesprochen kalten Winters zum erlösenden Frühling, so als wage der Lenz nicht mehr bar seiner Anwesenheit das neue Blütenkleid zu zeigen, weil er es allein für ihn tragen mochte, doch auch, als prophezeite ihm die Natur schon jetzt, verdammte sie ihn, dass er zeit seines Lebens stets zwischen zwei starken Gegensätzen würde stehen müssen, die Geschichte eines Mannes begann, der Fähnrich, Leutnant, Kapitän, Kommandant, Pirat, Admiral und Stolz der Britischen Marine Seiner Majestät sein würde, der verlierend gewinnen sollte und aufopfernd selbstsüchtig war, der sich einen Traum zu lieben zwang, dessen Entschlüsse immer die Falschen zu sein schienen, der sich lieber einem Hurrikan als sich selbst stellte, den die Liebe immer wieder blendete, der seine Ehre an dem Tag verlor, an welchem er sie retten wollte, der aus der Welt der Toten zurückkehrte, weil ein Schmiedegeselle die Ausnahme Regeln bestätigen ließ, und dem das eigene Pflichtgefühl schließlich den einzigen Sohn tötete, ehe ihn eine rachsüchtige Wiedergutmachung endgültig über die Realität erhob. Dessen Geschichte begann im Zwiespalt von Fisch und Widder und zwar wie so viele andere vollkommen unspektakulär in den Armen seiner Mutter und mit meinen Worten: „Herzlichen Glückwunsch, Mylady, zu diesem bezaubernden Jungen.“ Nachdem es gestillt und gewickelt worden und ziemlich bald eingeschlafen war, konfrontierte mich beim Verlassen des Gemachs, in welchem ich die Norringtons mit dem jungen Glück allein ließ, die gesamte sich vor der Tür zusammengefundene Dienerschaft wie im Erwarten eines Königssohnes. Die tratschenden und entzückten Zofen natürlich in erster Reihe, die Herren Kutscher und Gartenarbeiter und footmen diskret weiter hinten und scheinbar mit nur höflichem Interesse. „Husch, husch!“, machte ich. „Wenn sie euch so sehen, nein! An die Arbeit!“ Die Wirklichkeit fuhr blitzartig in die Menge und alle stoben auseinander, bemüht aber vergebens lautlos, als sei der Teufel hinter ihnen her, was er – ich möchte es nicht verleugnen – wahrlich sein würde, wenn Seine Lordschaft von dem Aufstand hier erfuhr. Zurück blieb Benedict. „Und?“, hechelte er, bebend vor Aufregung. Ich lächelte. „Wundervoll.“ In der letzten Sekunde konnte ich ihn davon abhalten, laut zu jubeln. James Lawrence Norrington war ein ruhiges Kind, das seiner Mutter nur dann echte Probleme bereitete, wenn es einmal wieder kränkelte. Obschon es ausreichend aß, blieb es schmal und blass und nicht sonderlich gesprächig. Es konnte sich stundenlang selbstständig beschäftigen und lernte, ohne dass es wissbegierig war, mit dem Aufnahmevermögen eines Blatt Papiers, das man in Tinte tauchte; nur wenn man es an den Kielflügel oder die Staffel setzte, harrte man endlos der Fortschritte, welche das frühe Studium sonst so treu begleiteten. Lady Elizabeth verzweifelte an den unzähligen Versuchen, ihren Sohn in die Geheimnisse der Schönen Künste einzuweihen oder zumindest in das einer einzigen, schließlich waren die Nachkommen des befreundeten Adelskreises allesamt so begabt, dass sie sich des ihren nicht schämen wollte, doch obwohl er sich fehlerfrei auf die Handhabung von Klaviatur, Pinsel und Feder verstand, gelang James kein harmonischer Akkord, keine erkennbare Skizze, kein reimender Vers, wie oft er sich auch daran wagte. Er hatte die Statur für das Ballett, aber nicht das nötige rhythmische Gefühl, und seine klare Chorknabenstimme traf keinen einzigen Ton, wie auch die Kenntnis aller gotischen Stilelemente nicht seine Kreativität anregte, wenn er ein Haus entwerfen sollte. Es war eine Zeit, in welcher er sich häufig in meine Arme rettete. Dass die so viel dunkler waren als die seinen, störte ihn nie. Ein Glücksfall, der mich erleichterte, hatte ich doch schon genug von Dienern gehört, welche die Aversion des Kindes ihrer Herren aufgrund der Hautfarbe mit der Anstellung oder – mir schauerte – dem Leben zahlen mussten. Über diese Tatsache verhalf mir nicht einmal das ungetrübte Verhältnis zwischen der Hausherrin und mir hinweg, das nichtsdestotrotz fast als freundschaftlich bezeichnet werden durfte. Auch mit ihrem Gatten kam ich entgegen aller Vermutungen, welche die Menge an Gerüchten über den bekannten Seelord des Karibischen Meeres eifrig nährte, gut zurecht, was möglicherweise mit meiner gründlichen und beschwerdefreien Arbeitsweise zu tun hatte. Schon meine Mutter hatte mich gelehrt, dass Subordination gegenüber den Weißen nichts war, gegen das man unbedingt aufbegehren musste, nur weil sie einen als Sklaven bezeichneten und vielleicht einen anderen, englischen Namen gaben, auch wenn ich nicht so blauäugig war zu glauben, dass jede Leibeigenschaftsbeziehung so gerecht verlief wie die meine. Trotzdem atmete das ganze Personal, ob afrikanisch oder europäisch, sichtlich auf, da der komplizierte Charakter Lawrence Norrington nicht lange nach der Geburt seines Sohnes wieder zur See fuhr. Dementsprechend hatte James nie viel von ihm. Dementsprechend lag die Ausbildung ganz in den Händen der allzu idealistischen Mutter, nahm ich an, aber bereits der Brief vom Abend des zwanzigsten März wies darauf hin, dass Lawrence auf der Hohen See nicht weniger hohe Pläne schmiedete. Bald wollte er zurückkehren, James war fünf Jahre alt, und es würde das erste Mal sein, dass der Sohn seinem Vater erkennend begegnen würde. Hosted by Animexx e.V. 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