Wenn Träume Realität werden von Luthien-Tasartir (Eine kleine Geschichte über Bree) ================================================================================ Kapitel 1: When dreams get real ------------------------------- „Bis Morgen dann“, verabschiedete ich mich von meinen Freundinnen, als wir aus der kleinen Bar in einem der heruntergekommenen Stadtteilen Seattles kamen. Eigentlich dürften wir noch kein Alkohol trinken. Eigentlich dürften wir noch nicht einmal hier sein. Eigentlich war es unklug, um diese Uhrzeit alleine nach Hause zu gehen. Gerade dann, wenn man die vielen Morde und Vermisstenanzeigen in dieser Gegend bedachte. Eigentlich... Das Problem bei diesem Wort war, dass es einen Sachverhalt schilderte, der für gewöhnlich, wenn alles in Ordnung wäre, so eintreffen würde, beziehungsweise müsste, es aber in diesem Augenblick nicht tat. Es war der Inbegriff des Wunschdenkens der Erwachsenen, wobei sie den letzten Teil gerne penetrant ignorierten. In Wirklichkeit interessierte es den Pubinhaber keinen Deut, wie alt seine Kunden waren, solange sie zahlten. Und mir blieb keine Wahl, als den Weg nach 'Hause', oder wie man das Waisenhaus innerhalb der Slums, in dem ich lebte, nennen wollte, alleine zu gehen. Meine Freunde mussten alle in die andere Richtung und niemand wollte um diese Uhrzeit länger als notwendig auf den Straßen bleiben. Die Angst, eines der Opfer zu werden, war dann doch zu groß. Bei dem Gedanken an die blutleeren Leichen, deren Todesursache bis jetzt noch immer unbekannt war, angekommen, fröstelte ich unwillkürlich. Die Vorstellung ebenfalls als eine solche zu enden, ließ meine Schritte schneller werden. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, was aus denen noch nicht gefunden, noch immer als vermisst geltenden Menschen geworden war. Erst gestern war ein Polizist bei uns in der Hauptwohnung gewesen und hatte die traurige Nachricht, dass eines der anderen Kinder, das verschwunden war, nun für tot erklärt würde, der Hausmutter überbringen müssen. Dies hatte meine Angst nur noch mehr geschürt. Zwar kannte ich den Jungen nicht, aber es traf auffallend viele Kinder aus den unteren Schichten. Solche, die man nicht unbedingt vermissen würde. Solche, die als Last der Gesellschaft galten und nach denen man dementsprechend auch nur halbherzig suchte. Solche Kinder und Jugendliche, wie ich eines war. Noch enger umschlang ich mit meinen Armen meinen Oberkörper, während ich meine Schritte etwas beschleunigte. Mein Magen knurrte. Mist... in der Bar hatte ich mir nur ein Wasser genommen, während die anderen sich mit der legalen Droge Alkohol hatten zulaufen lassen und sich mit dem, für die Verhältnisse der Bar, sehr guten Essen die Bäuche vollgeschlagen hatten. Ich hatte mich nicht getraut, sie um etwas Geld zu bitten, da ich wusste, dass ich es nicht, und wenn nur schwer, hätte zurückgeben können. So hatte ich hungern müssen. Vielleicht gab es ja noch etwas in der Küche, wenn ich zurückkam? Eigentlich war schon Nachtruhe und damit auch Ausgangssperre, aber das kümmerte kaum einen. Solange man sich nicht erwischen ließ, tolerierten die Aufpasser das Abbleiben von jedem ihrer sogenannten Schützlinge. Die Krokodilstränen, wenn eines der Kinder gänzlich verschwand und man es später, wenn man die Augen offen hielt, auf der Straße wiederfand, nahm keiner von uns der Hausmutter ab. Dazu kannten wir sie bereits zu gut. Wieder knurrte mein Magen - diesmal lauter -, als ich, eine Abkürzung nehmend, in eine der abseitsgelegeneren Gassen einbog. „Hast du Hunger?“, fragte mich plötzlich eine Stimme direkt hinter mir, sodass ich, mit vor Schreck - so schien es mir - verdreifachtem Herzschlag, zur Seite sprang. Vor mir stand ein großer, von der Statur her gut aussehender junger Mann – oder Jugendlicher? - der vielleicht ein paar Jahre älter als ich war. 18, höchstens 19 Jahre alt. Seine Haarfarbe und Gesichtszüge konnte ich in dem Zwielicht, das sich aus einer einzigen flackernden Laterne auf der anderen Straßenseite und dem bewölkten Himmel, auf dem hier und da für kurze Augenblicke ein, zwei Sterne und manchmal Teile des Halbmondes aufblitzten, ergab, nicht erkennen. Ich wusste nicht warum, aber ich hatte Angst. Der Fremde hatte etwas an sich, das mich gleichzeitig anzog, wie es alle Alarmglocken in mir läuten ließ. Dass ich ihn, bevor er mich angesprochen hatte in keinster Weise bemerkt hatte, verstärkte letzteren Effekt nur noch mehr. Es schien mir keinesfalls eine gute Idee zu sein, ihm auf seine Frage zu antworten und trotzdem hörte ich mich ein leises, verschüchtertes „Ja...“ murmeln. „Möchtest du etwas essen? Dort um die Ecke soll es ein gutes Restaurant geben, das um diese Uhrzeit noch geöffnet hat“, redete er weiter und ich meinte auf seinem Gesicht, das noch immer relativ im Dunkeln lag, ein einnehmendes Lächeln zu erhaschen. Trotzdem schaltete sich langsam wieder mein Verstand ein, der nur zu offensichtlich Pause gemacht hatte, als meine Lippen sich erdreistet hatten, ihm mit einem Ja zu antworten. Ein Fremder, den ich bisher noch nie gesehen hatte, tauchte urplötzlich hinter mir auf – ich hatte ihn noch nicht einmal kommen hören – und lud mich zum „Essen“ ein? Wäre er etwas älter, hätte ich ihn sofort als pädophil abgestempelt. Aber so... vielleicht war er einfach nur an mir interessiert? Andererseits wie viele Menschen kannte ich, die einen Fremden nachts ansprachen, ob er nicht vielleicht mit ihnen essen gehen wolle? Abgesehen davon, dass ich kaum jemanden wirklich kannte, niemanden. Vielleicht war ich paranoid, aber ich traute dem Jungen keinen Schritt über den Weg. Umso unerklärlicher war für mich die Tatsache, dass mein Mund, der anscheinend nicht meinem Verstand, sondern der Seite, die sich nur zu gerne auf ihn einlassen wollte, gehorchte, ein „Gerne, warum nicht.“ von sich gab. Wieder meinte ich ein leichtes Lächeln in dem Schatten aufblitzen zu sehen, bevor er mir antwortete, dass ich dann einfach nur mitzukommen brauchte, worauf meine Beine ihm sofort gehorchten. Seine Stimme schien mein denkendes Ich langsam ebenfalls einzulullen. Zumindest schien es mir nun, da ich sowieso schon zugesagt hatte, eine gute Idee zu sein, dem Fremden zu folgen. Gemütlich liefen wir nebeneinander her, während er mich fragte, wie ich heiße, wie alt ich sei, wo ich wohne, bevor er sich selbst vorstellte. Er hieß Riley, war 19 Jahre alt und arbeitete - so behauptete er zumindest - in dem Geschäft seines Vaters. Ich hatte also richtig gelegen, was die ersten zwei Punkte betraf und er schien wirklich recht nett zu sein. Dass er einer ehrlichen Arbeit nachging, verstärkte mein Vertrauen zunehmend; dass all seine Aussagen erlogen sein könnten, kam mir gar nicht erst in den Sinn. Mich über die Tatsache, einen vertrauenswürdigen Menschen – ich vergaß dabei sein seltsames Erscheinen und Benehmen, als er mich angesprochen hatte – freuend, bemerkte ich nicht, dass Riley sich, als wir um die nächste Ecke bogen, die in eine etwas engere, noch abgelegenere Gasse führte, plötzlich etwas zurückfallen ließ. Erst als ich stechenden Schmerz am Hals vernahm, drehte ich mich um; versuchte es zumindest, was jedoch misslang, da ich grob von den harten Armen meines Angreifers daran gehindert wurde. Soweit ich es sehen konnte, hatte der Jugendliche an eben dieser Stelle seinen Kopf vergraben. Mit angstgeweiteten Augen sah ich auf ihn herab, unfähig etwas zu sagen, während mir langsam aber sicher schwindelig wurde. Ich wusste nicht, was mit mir geschah, was er tat, oder besser gesagt, getan hatte, da er, so schnell wie er seinen Kopf dort vergraben hatte, auch schon wieder von mir abließ. Kurz blickte ich ihn entfremdet an. Was sollte das? Dann, von einem Moment auf den Nächsten, spürte ich es: Ein brennender Schmerz breitete sich in rasender Geschwindigkeit von der Stelle, an der er seinen Ursprung durch eine, wie ich jetzt bemerkte, als ich es mit meiner Hand nachfühlte, Verletzung hatte, in meinem ganzen Körper aus. Tränen schossen mir in die Augen, während ich meine Qual herausschrie, als gäbe es kein Morgen mehr; und davon war ich in diesem Moment mehr als nur überzeugt. Ich würde sterben! So fühlte sich das also an. Es gab nichts mehr, außer diesem glühenden, alles durchdringenden Schmerz, der mich vollständig beherrschte. Selbst meine Umgebung schien sich in Luft aufzulösen. Was war das? Warum tat es nur so weh? Zu mehr kam mein Gehirn nicht mehr, bevor auch dieses vor dieser Folter kapitulieren musste und es sich abschaltete. Ich wusste nicht mehr, wo ich war, wie lange ich schon schrie, ich vergaß sogar für eine Zeit, wer ich war. Irgendwann – meine Stimmbänder hätten, wegen meines durchgehenden Schreiens, schon längst reißen müssen – steigerte sich der Schmerz zu einer regelrechten Höllenqual, von der ich nicht gedacht hätte, dass diese möglich gewesen wäre. Mein Herz, das schon längst hätte aufhören müssen zu schlagen - zerrissen von der Tortur, die es, genauso wie ich, durchlief - kämpfte noch einmal fast schon trotzig gegen das Unvermeidliche an, bevor auch dieses Organ mich im Stich ließ. Noch ein letztes Mal bäumte es sich auf, dann erschlaffte es in meiner Brust. Mit ihm hörte auch der Schmerz auf. Er zog sich von den Gliedmaßen ausgehend in den Bruchteilen eines Augenblicks zurück, bis er gänzlich verschwand. Fast! Ein Überbleibsel der Qual, die vorhin meinen ganzen Körper tyrannisiert hatte, blieb in meiner Kehle zurück und schien mich an eben diese Pein penetrant erinnern zu wollen. Langsam schlug ich die Augen auf und sah in einen wolkenlosen Nachthimmel über mir. Wo war ich? Tot schien ich zumindest nicht zu sein. Tote spürten keine Schmerzen! Ängstlich blickte ich mich um. Alles war so... scharf, intensiv! Als ich meinen Blick nach rechts wandte, sah ich zum ersten Mal direkt in das Gesicht Rileys. Ich hatte seine Züge davor nie wirklich erkennen können, doch wusste ich trotzdem instinktiv, dass er es sein musste. Er, der mir das alles angetan hatte! Bevor ich jedoch überhaupt irgendein Wort sagen konnte, murmelte er leise, für meine Ohren aber unglaublich laut: „Willkommen in deinem neuen Leben, Bree Tanner!“ Verständnislos sah ich den Älteren an. Was meinte er damit? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)