Die geschriebene Geschichte von HubertOswell (历史文) ================================================================================ Kapitel 1: Erinnerungen ----------------------- Tausende und abertausende Regale, Millionen von Büchern, unzählig viele dicht beschriebene Seiten, jede einzelne davon sauber datiert. Eine Sammlung von Erinnerungen. Wenn man einen Band aufschlägt, öffnet man damit eine Tür in eine vergangene Zeit, an einen unbestimmten Ort, der heute möglicherweise einen anderen Namen trägt oder schon gar nicht mehr existiert. Wie der Besitzer dieser Bibliothek. Niemand weiß, wohin er verschwunden ist. Nicht einmal die, die ihm nahe standen. Nur wann er verschwand, lässt sich leicht herausfinden. Der letzte Eintrag in den Büchern verrät es, die letzte beschriebene Seite, bevor nur noch leere, weiße Seiten folgen. Er hatte wohl nicht damit gerechnet, dass er so bald verschwinden würde. Im Gegenteil, ganze Bücher in dieser Bibliothek enthalten nichts als leere Seiten. Eines Tages werden sie vielleicht noch gefüllt werden, wenn ihr Besitzer wiederkehrt. Doch daran glaubt man kaum. Immerhin ist der Besitzer schon seit mehr als fünfzig Jahren unauffindbar. Wenn man ihn kennt, kann man zwar noch immer seine Spuren finden, doch diese Spuren sind nur ein Abglanz früherer Blütezeiten. Beim Lesen der Bände fällt einem auf, dass der Schreiber der Tagebucheinträgen einmal sehr mächtig gewesen sein musste und es sogar zu einigem Einfluss in der Politik und zu einigem Ruhm in den Wissenschaften gebracht hatte. Doch wie so oft, wenn man es zu hitzig anging, währte das nicht ewig. Nach nur wenigen Jahren des Aufstiegs folgte schnell die Ernüchterung, bevor er es dann wieder zu Ruhm und Anerkennung brachte. Natürlich hatte er einen tiefen Einfluss auf die Geschichte gehabt, hatte auch in der allgemeinen Geschichte der Welt einige Seiten geschrieben. Doch nun ist alles still in der Bibliothek. Wäre es nicht unhörbar, würde man nur das Rieseln des Staubs hören, der sich auf und zwischen den Regalen und Büchern sammelte. Manche Gänge zwischen den Regalen konnte man nicht mehr betreten, ohne tiefe Spuren im Staubteppich zu hinterlassen. In anderen wiederum konnte man nur den Staub der vergangenen 50 Jahre finden, statt dem von Jahrhunderten. Einige der Bände hatte der Besitzer wohl lieber heraus gesucht als andere. Noch heute ist die Bibliothek genau so wie vor 50 Jahren, als sie zurückgelassen wurde. Noch immer liegt der Band aufgeschlagen auf dem einzigen Schreibtisch des gewaltigen Raums, noch immer liegt eine Feder daneben und das Tintenfass, das sich in all den Jahren merklich geleert hatte, stand noch immer offen. Der letzte Eintrag des Verschwundenen ist für jeden sichtbar, der vor dem Pult steht. Beim Überfliegen stellt man fest, dass er wohl schon etwas von seinem Verschwinden geahnt haben musste. Doch er hatte nicht damit gerechnet, dass es so schnell kommen würde. Wohin er verschwunden war, wusste niemand. Einige suchten und suchen nach ihm, doch niemand findet mehr als bloße Spuren. Ein Teil von ihm scheint noch immer zu existieren, doch seine ganze, vollständige Existenz scheint für immer verschwunden zu sein, ohne wiederkehren zu können. Zumindest nicht so, wie er einst war. Doch nicht alle wünschen sich seine Rückkehr. Genauso viele von denen, die ihn kannten, sind auch der Meinung, dass die Welt ohne ihn ein besserer Ort ist. Zumindest ein friedlicherer. Von dem Ort, an den er verschwunden ist, lässt sich nichts sagen. Die, die dorthin verschwunden sind, kehrten nur sehr selten wieder. Und die, die es doch taten, konnte sich nicht daran erinnern, wie es war, sie sagten nur, dass sie doch niemals weg waren. Ein Ort also, der wie unsere Welt ist. Oder einer, der die Erinnerung verschlingt.  Manche Gerüchte sagen auch, dass er nur bei einem anderen einziehen musste und darum nicht mehr in seine Bibliothek kommen könnte. Doch nur aus so einem Grund unauffindbar zu sein, scheint doch unbefriedigend. Auch hatte der Besitzer der Bibliothek wohl nicht den Charakter dazu, mit einem anderen zusammen zu leben, zumindest nach dem, was sich aus seinen Tagebüchern über ihn erfahren lässt. Für ihn gab es nur drei Arten von Menschen:Unterlegene, Feinde und Verbündete. Mit einem Verbündeten ließ er sich so wenig wie möglich ein. Einen Unterlegenen hätte er wohl eher zu sich geholt, als bei ihm einzuziehen. Ein Feind war also das, was noch bliebe. Doch dieser müsste ihn verschleppt haben, um ihn an sich zu binden. Eine Erklärung für sein Verschwinden wäre das schon, doch ihm nicht wünschenswert. Die Bibliothek sollte mal wieder gewischt werden und den Büchern fehlt mehr und mehr die Pflege. Aus einigen rissigen Lederbänden aus längst vergangener Zeit lösen sich schon die Seiten, manche zerfallen auch gleich, wenn man sie nur in die Hand nimmt. Doch wenn man sie richtig anfasst, öffnen sie einem Türe in jede Zeit, an viele Orte, ohne dafür einen Preis zu verlangen. Doch dazu müsste sie erst jemand aufschlagen. Kapitel 2: Der Aufbruch ----------------------- Das sanfte Rauschen von Bäumen, die schon seit Wochen in vollem, sommerlichen Grün stehen. Der Wind, der als sanfte Brise über hohes Gras und eine gute Ernte versprechende Felder weht. Eine Sonne, die mit voller Kraft von einem strahlend blauen Himmel leuchtet. Das alles vermittelt den Eindruck einer friedlichen Welt. Einer Welt ohne Sorgen, ohne Abschiede, ohne Irrtümer. Dass dem nicht so ist, beweist er sich gerade selbst. Auch wenn er sich entschieden hatte, er kann es doch nicht lassen, sich immer wieder umzudrehen, zurückzusehen. Auch jetzt, in der größten Mittagshitze auf einem einsamen Hügel. Vor ihm Berge, doch da, wo er hinsieht, das, was er hinter sich lässt, sind weite, blühende Ebenen, Städte und Dörfer voller Leben. Was vor ihm liegt, weiß weder er noch kann es ihm jemand sagen. Hart und beschwerlich wird es werden, der lange Weg über die Berge. Hinein in ein ungewisses Land, in eine ungewisse Zukunft. Ob er wohl jemals wieder zurückkehren wird aus den fernen Landen hinter den Bergen? Ob er es überhaupt erreichen wird? Entschlossenheit spiegelt sich in seinem Gesicht und seinen Augen wieder, wenn er nach vorn, zu dem vor ihm aufragenden Gebirge blickt. Er ist sich sicher wiederzukommen. Er hat es versprochen. Hinter ihm liegt sein ganzes bisheriges Leben. Viele glückliche Erinnerungen verbindet er mit diesem Ort, den er nun verlässt. Der Stätte seiner Kindheit, seiner Jugend; seiner ersten Liebe. Auch einiges schlechte hatte er dort erlebt. Doch die guten Dinge überwogen diese bei weitem, dass er sich kaum noch an viel schlechtes erinnern konnte. Sie überwogen so sehr, dass er sich zwingen musste, weiter zu gehen. Wenn er das nicht geschafft hätte, er wäre wohl auf der Stelle wieder umgekehrt. Sein Blick wanderte von der Landschaft, der er den Rücken kehrte und die er bald schon hinter sich lassen würde, hinauf zum Himmel. Nicht eine Wolke war zu sehen, nur die Sonne stand als leuchtende Scheibe hoch am Himmel. Es war, als wolle dir Natur seinem Herzen spotten, ihm zeigen, dass auch wenn es von Trauer schwer war, die Welt sich weiter drehen würde, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Dabei war es so schön gewesen, dort, wo er herkam. Ihretwegen hatte er dort gar nicht weggewollt. Doch die Zeit verlangte anderes von ihm und er konnte nicht immer nur das tun, was er wollte. Er bereute nichts, als dass er gegangen war. Noch am Morgen seiner Abreise hatte er sich verflucht, nichts gesagt zu haben. Hatte sich vorgenommen, ohne ein Wort zu gehen, damit es nicht so weh tun würde. Immerhin hatte er da noch geglaubt, dass sie ihn hassen würde. Dass sie sich vor ihm fürchtete, da sie doch immer weggelaufen war, wenn sie ihn gesehen hatte. Und dann war sie doch gekommen, ihn zu verabschieden. Er hatte damit nicht gerechnet, er hatte darauf nicht mal gehofft. Aber sie war gekommen. Was noch viel wichtiger war: sie war sogar traurig gewesen, dass er gehen wollte. Er hatte sich unheimlich darüber gefreut. Verträumt schaute er auf ihr Abschiedsgeschenk, das sie ihm gegeben hatte, bevor sie sich hatte küssen lassen. So viele Erinnerungen, die schönsten nicht einmal einen Tag alt und doch Vergangenheit. Er würde sie wiedersehen, da war er sich sicher. Doch nun musste er weiter gehen, weiter auf seinem Weg und seine Pflicht erfüllen. Damit er eines Tages wieder zu ihr zurückkehren würde, damit er das konnte, ohne etwas bereuen zu müssen, damit er sie in Sicherheit wissen konnte. Er war bereit, für sie alles zu tun. Alles, wozu er in der Lage war und alles, um sich sicher zu sein, dass niemand ihr etwas zu leide tun konnte. Selbst, wenn es bedeutete, dass er sie auf Jahre und länger nicht würde sehen können. Er drehte sich wieder nach vorn, zu den Bergen. Ja, er musste weitergehen, in der Hoffnung, zurückkommen zu können. Immer weiter, bis sein Weg ihn wieder an den Ort führen würde, an dem er seine Kindheit verbracht hatte. Auch wenn er nicht wusste, dass er bis zu seiner Rückkehr alles würde vergessen haben, was er in seiner Kindheit erlebt hatte, dass er sogar sie vergessen würde, bis er ihr endlich wieder gegenüberstehen würde. Dass ihm der härteste Teil seines Weges noch lange bevorstand. Kapitel 3: Die Suche -------------------- Opa, wo bist du nur? Es gab so viele Ruinen in dieser Gegend. Sie gehören dazu, sie müssen da sein, haben sich gut eingegliedert in die später erbauten Gebäude und jene, die zwar genauso alt, jedoch noch bewohnbar waren. Überall konnte man deutlich sehen, wie es einmal gewesen sein mussten. Manche Straßenzüge sahen sogar noch aus wie vor tausend Jahren, als dies noch eine Republik gewesen war, die den halben Kontinent und einen Teil zweier anderer umfasst hatte. Als diese Stadt noch Teil eines Weltreichs gewesen war. Längst hatten andere diesen Platz eingenommen und bekriegten sich untereinander. Der Großvater war lange verschwunden und nur noch ein kleines Kind rief wieder und wieder seinen Namen, als könne es ihn dadurch zurückbringen. Es gab kein zurück zu alter Zeit, auch wenn das keiner der Enkel dieses mächtigen Mannes wahr haben wollte. Jedes versuchte auf seine Art, den Großvater wiederzubringen. Entweder, indem sie selbst danach strebten, so groß und mächtig zu werden wie er es gewesen war oder wie dieses kleine Kind, indem es an dem wenigen festhielt, das ihm noch geblieben war. Noch glaubte es fest daran, dass sein Großvater noch immer über es wachte, wann immer es auch ihn Schwierigkeiten geriet. Egal, wie viele Jahre der Abwesenheit seines Großvaters schon vergangen waren, egal, wie viel es schon hatte durchmachen müssen, nachdem sein Großvater verschwunden war. Opa, wo bist du? Die alten Straßen zogen sich weit durch das Land dahin, bis zu den Grenzen und darüber hinaus. Viele, aber nicht alle, wurden noch immer genutzt. Von den alten Gebäuden standen nicht mehr alle. Manche waren dafür genutzt worden, neue Häuser zu bauen, andere waren im Laufe der Jahre in sich zusammen gefallen und dann verschwunden, einfach so. In den Feldern dieser Gegend fand man oft die Reste von Vasen und anderen tönernen Gegenständen. Überall hatte der Großvater seine Spuren hinterlassen. Spuren einer besseren Zeit, einer glorreichen Vergangenheit, nach der sich beinahe jedes seiner Enkelkinder sehnte. Doch aus diesen Ruinen würde der einstige Glanz nicht mehr erstehen. Diese Zeiten waren vergangen und gerieten immer mehr in Vergessenheit. Opa, warum bist du verschwunden? Doch auch wenn eine Sache, ein Leben endet, wuchs daraus immer auch etwas neues. Wie die Häuser, deren Steine, die der Putz nicht länger zusammen zu halten vermochte, als Baustoffe für die Häuser neuer Generationen dienten. Die Scherben lockernden den Boden der Felder, die die Nachkommen derer ernährten, die die Gefäße einst zur Aufbewahrung genutzt hatten. Und das einstige Reich des Großvaters war nun die Heimat vieler anderer Weltreiche. Opa, wohin bist du verschwunden? Das kleine Kind irrte noch immer durch die Straßen und schrie so laut es konnte nach seinem Großvater. Es war nicht laut, doch laut genug, verzweifelt genug. Es lebte, auch ohne seinen Großvater. Es gab noch immer Menschen, die sich um das Kind kümmerten. Doch es wünschte sich noch immer zurück, zurück in eine unbeschwertere Zeit, als es noch nicht im Dienste vor Mächtigeren hatte stehen müssen. Als es sich nur darum kümmern musste zu spielen und sich mit Kunst zu beschäftigen so viel es wollte. Opa, warum hast du mich verlassen? So wie jetzt suchte es nicht oft nach seinem Großvater. Es hatte Freunde, die ihm den Großvater ersetzten, auch wenn nun alles anders war. Es hatte sich immer Sorgen um den Großvater gemacht, wenn dieser weggegangen war, in den Kampf gezogen. Die selben Sorgen machte es sich nun, um seine Freunde und die anderen Enkel des Großvaters. Es selbst wollte das nicht, es wollte nicht kämpfen, nicht, wenn es dabei andere verletzen konnte, womöglich sogar andere, die ihm viel bedeuteten. Opa, wo bist du? Es lief stundenlang durch die alten Straßen, denen egal war, wer da über sie rannte. Diese Straßen hatten schon so unzählig viele Menschen überquert, dass die Straßen sich an keinen einzelnen davon mehr erinnern konnte. Herrscher lange vergangener Zeiten, Kolonnen von Soldaten, Bürger, Händler, Bauern und Bettler. Für die Straßen waren sie alle gleich. Auch die Häuser und Ruinen, die aus ihren kalten Fensterhöhlen auf die Straße blickten, hatten mehr gesehen, als Menschen fassen konnten, unzählige Gesichter, fröhliche, traurige, vergnügte, wütende, besorgte, zu Tode betrübte, verzweifelte, siegessichere. Emotionen, die sie niemals zurückgeben konnten, bis zu dem Tag, an dem alles zu Staub zerfallen würden. Opa, wo bist du nur? Kapitel 4: Sehnsucht -------------------- Die Welt dreht sich immer weiter, stetig, ohne sich von den Menschen und ihren Streitereien bedrucken zu lassen. Egal, ob man sich fühlt, als ob einem der Boden unter den Füßen fehlt und die Welt mit einem Mal inne gehalten hätte in ihrer Wanderung um sich und um die Sonne. Was auch immer geschieht, die Welt wird sich weiter bewegen, ohne dass wir etwas davon bemerken. Mir kommt es nun aber so vor, als würde sich die Welt nur um die Sonne drehen, weil sie nicht von ihr lassen kann, sie aber auch nicht berühren will. So, wie meine Gedanken nur um ihn drehen, ohne dass ich an ihn denken will und so diese Gedanken lieber ungedacht lasse. Und die Welt verändert sich im großen und ganzen nicht, nur so wenig, dass es kaum der Rede wert ist. So, wie auch meine Gedanken sich kaum verändern. Immer wieder kehren sie zu jenen zurück, die ich nicht berühren will. Gleich, was ich tue, immer wieder kann ich nicht anders, als an ihn zu denken, sobald ich einen Moment der Ruhe habe. Fast vierzig Jahre sind wir schon von einander getrennt, uns nahe, ohne uns sehen zu können, ohne ein Wort wechseln zu können. Ich kann nur an der Mauer, die uns trennt, stehen und zu ihm hinüber sehen, ihn dabei beobachten, wie er immer unabhängiger wird, wie er mich mehr und mehr vergisst. Dabei waren wir uns früher so nah, so nahe und abhängig von einander. Er brauchte mich. Nun braucht er niemanden mehr und vergisst mich immer mehr. Und ich muss hier bleiben, bin fast in Ketten gelegt, auch wenn niemand sie sehen können sollte. Dabei weiß es schon längst jeder. Er wird von Tag zu Tag freier und ich, ich verliere diese Freiheit mit jedem Tag mehr. Meine Eigenständigkeit habe ich schon vor langer Zeit verloren, als wir getrennt wurden. Heute bin ich nur noch der Knecht eines Stärkeren, musste mich beugen, weil ich nicht die Kraft hatte, mich gegen ihn zur Wehr zu setzen. Dieser Stärkere ist es auch, der mich hinter eine Mauer sperrte, um mich von ihm fern zu halten. Von ihm und allen, die im Westen warten. Ich verstehe nicht, warum er mich und viele andere bei sich hält, gegen ihren Willen. Ich wünsche mir meine Freiheit zurück, mehr als alles andere. Auch, um dabei an etwas anderes zu denken als an ihn. Früher, als wir uns noch nahe gewesen waren, war er so süß gewesen, noch jung und voller Ideale. Und er hatte in so vielen Dingen auf mich und nur auf mich gehört. Er hatte mir vertraut. Nun denkt er doch kaum noch an mich, oder? Er braucht mich nicht mehr, ist es nicht so? Er hat neue Freunde gefunden und ist nun unabhängiger und stärker als er es an meiner Seite je war, das stimmt doch so? Er denkt bestimmt nicht mehr oft an mich. Er braucht mich nun nicht mehr, er hat nun Freunde. Ich bleibe allein zurück, unfähig, mich in seine Richtung zu bewegen oder auch nur ein Wort an ihn zu richten. Ich kann es einfach nicht. Etwas hält mich von ihm fern, etwas anderes als die Ketten, die mich halten sollen. Ich bin einsam. Doch ich weiß nicht, ob mich das überhaupt stört. Früher zumindest hat es mich nie gestört. Es störte mich nicht, wenn alle gegen mich standen und er, den ich als einzigen auf meiner Seite hatte, lange und tief schlief, während ich stritt. Doch heute ist alles anders. Ich habe viele auf meiner Seite, doch ich fühle mich einsamer als je zuvor. Ich bin seit fast vierzig Jahren nicht mehr ich selbst, bin nicht einmal halb so großartig, wie ich es früher gewesen bin. Ich bin nur noch ein kleines Licht unter vielen, die um einen großen hellen Schein kreisen, weil sie gar keine andere Wahl haben. Ist das der Grund dafür, dass ich ihn verloren habe? Oder war der Verlust der Grund, dass es so gekommen ist? Ich weiß es nicht und jeder Zweifel bringt mich weiter weg von dem, der ich einst war. Wenn ich nur wieder bei ihm sein könnte, dann würde alles wieder gut werden. Das glaube ich manchmal. Zu anderen Zeitpunkten wünsche ich mir nichts mehr, als wieder mit ihm vereint zu sein. Ich bin kurz davor zu sagen, dass ich dafür alles geben würde. Doch was soll das schon sein, alles? Die Ketten, die mich halten? Meine Vergangenheit? Ich bin noch immer groß, doch nicht mehr so großartig wie ich einst war. Nur zeigen darf ich das nicht. Die Konzentration das Bild wahren zu müssen hilft, nicht zu denken. Nicht die Gedanken zu denken, die ich nicht denken will. Die Gedanken, um die sich alles, was in meinem Kopf um und um geht, dreht. Der Mittelpunkt meiner Existenz, der sich in den wenigen Jahren so verschoben hat. Wie die Planeten um die Sonne, so drehen sich meine Gedanken nur im diesen einen Mittelpunkt. Kapitel 5: CHEГ --------------- Eine unendlich weite, ebene Fläche aus absolutem Weiß. Nur wenn man sich eine Weile umsah, konnte man vereinzelte Birken sehen, hier und da auch einen Strauch, der sich unter der Schneelast krümmte. In weiter Ferne standen auch einige einsame Häuser, die sich dicht an dicht zusammendrängten, als wollten sie sich gegenseitig wärmen. Doch für ihn bestand die ganze Welt nur aus dem Weiß des Schnees und dem Weiß des Himmels, an dem die Schneewolken hingen, die immer so wirkten, als würden sie jeden Moment ihre Fracht verlieren wollen. Sonst war da nichts. Früher hatte hatte es sicherlich mehr gegeben, doch hier, inmitten all des Schnees kamen einem alle Erinnerungen, in denen es nicht weiß war, unwirklich vor, als hätte man das nie erlebt. Dabei war es noch gar nicht so lange her, da hatte er mit vielen anderen in einem großen Haus gelebt. Vielleicht war es auch eine Villa gewesen oder gar ein Palast, doch er erinnerte sich nicht mehr daran. Gemessen an seinem langen Leben war die Zeit in dem Haus mit all den anderen auch kaum mehr als ein Wimpernschlag gewesen. Er hatte so lange in dieser Ebene gelebt, die einen Großteil des Jahres unter Schnee verborgen lag, dass er beinahe selbst zu dieser Ebene geworden war. Er kannte jede einzelne Pflanze hier, selbst die, die noch lange in der Erde schlummern würde. Er war alles hier, war eins mit dem allem. Und er erinnerte sich. Er erinnerte sich an jene Winter, in denen hier noch rothaarige Reiter durch den Schnee galoppierten und unter den Hufen der Pferde der Schnee in die Luft geworfen wurde. Es waren viele Winter gewesen in denen das geschah. Er erinnerte sich auch daran, dass es die Menschen immer von neuem über die Berge gezogen hatte. Dass sie dort nach einem besseren Leben gesucht hatten. Und dass kaum einer von ihnen wiedergekehrt war. So, wie auch jene nicht zurückgekommen waren, die mit ihm zusammen in dem großen Haus gelebt hatten. Nur noch der Schnee war geblieben, der Schnee kehrte auch immer wieder. Eine Welt ohne Schnee konnte er sich nicht vorstellen, eine solche Welt gab es nicht. Seit niemand mehr bei ihm war bestand seine Welt nur noch aus Schnee, aus Weiß, makellosem Weiß. Nun, beinahe makellos, vor einigen Jahren war ein dunkler Schatten zurückgekehrt, der jedoch immer nur aus den Augenwinkeln zu beobachten war. Er schien sich weder zu verstecken noch zeigen zu wollen. Er war einfach immer nur kaum da, nur in den Augenwinkeln zu beobachten. Hin und wieder hörte er im Wind Worte, die nicht von ihm gekommen waren und die auch der Wind nicht gesprochen hatte. Sie kamen aus dem Nichts, überquerten die Ebene, zogen an ihm vorbei und verschwanden schließlich wieder im Nichts. Er konnte es sich nicht erklären, wie er sich auch den Schatten nicht erklären konnte oder eine Welt, die nicht aus Weiß mit sehr wenig Schwarz bestand. Also ließ er das Flüstern Flüstern sein und den Schatten Schatten. Er hatte sich nie sonderlich um andere kümmern müssen. Auch, als er mit den vielen anderen zusammen gelebt hatte, hatten alle nur auf ihn gehört und bis sie gegangen waren hatte ihm nie jemand wiedersprochen. Er war so mächtig und gefürchtet wie der Winter gewesen, aus dem seine ganze Welt zu bestehen schien. Heute war er noch immer so mächtig, doch die Welt schien sich nicht mehr so sehr um ihn zu kümmern wie einst, als er sich noch mit einem anderen gestritten hatte und sich alle vor der großen Handgreiflichkeit gefürchtet hatten. Heute hielt er sich noch immer für genauso groß, doch seine ehemaligen Feinde hatten begonnen, als Freund auf ihn zu zu gehen. Er verstand das nicht. Er verstand nichts, was nicht mit Schnee zu tun hatte. Der Winter kannte keine Gefühle, Schnee interessierte sich nicht dafür, was in dem vorging, das er unter sich begrub. Und in all den Jahren war er genauso geworden. Nur manchmal, in den Stunden unter dem klaren, schwarzen Nachthimmel, wenn die Erinnerungen nicht mehr ganz so fremd schienen, fühlte er sich ein kleines bisschen Wehmütig... Kapitel 6: Angst ---------------- Heute war wieder ein schrecklicher Tag. Genauso schrecklich, wie jeder andere auch. Das Leben ist nicht fair und eine einzige Qual für mich. Manchmal habe ich das Gefühl, die Welt hätte sich gegen mich verschworen und das beste wäre es, wenn ich mich unter meiner Bettdecke verstecken würde und nie wieder hervorkäme. Alles ist schrecklich, wenn man derjenige ist, der immer das Opfer von Stärkeren wird. Es ist es ja jeden Tag so. Immer haut alles auf die Kleineren, wie bei den Hühnern. Ich mach das nicht mehr mit, ich will das nicht mehr mitmachen! Aber ich hab zu viel Angst, mich gegen die aufzulehnen, die größer und stärker sind als ich. Ich habe Angst, mein Zimmer zu verlassen. Ich habe Angst, schon wieder etwas falsches zu sagen. Wenn ich nur könnte, dann würde ich im Erdboden versinken und nicht mehr daraus hervorkommen. Dabei gibt es doch genug, das mir Selbstvertrauen geben sollte. Ich bin eigenständig. Ich habe Freunde. Immer mehr Freunde. Und die verlassen sich auf mich. Ich darf mich nicht mehr so viel fürchten. Ich muss den beiden endlich einmal die Stirn bieten. Man verlässt sich auch mich. Nur wie soll ich das schaffen? Ein Blick genügt und ich breche in Tränen aus. Ich bin nicht so stark, wie ich es mir wünsche. Ich wurde unterdrückt, mein Leben lang. Nicht einmal der, dem ich am meisten vertraute, hat mich gestützt. Auch er hat mich nur benutzt, aus seine leichtfertige, etwas ignorante Art und Weise. Er kennt die Welt nicht, er will sie nicht kennen, das merkt man ihm an. Auch ich wünsche mir manchmal, ich könnte die Welt verkennen. Doch auch das ist kein Weg. Auch er ist schon gescheitert, weil er die Gefahren, die auf seinem Weg vor ihm lauerten, nicht sehen wollte. Es gibt keine leichten Wege auf dieser Welt. Es gibt sie nicht, ob man nun stark ist oder schwach. Ich bin mir sicher, dass auch meine Peiniger ihre Bürden zu tragen haben. Wer so groß ist, der kann nicht ohne Feinde leben. Ich weiß es, ich habe sie schon streiten sehen. Es macht mir angst, wenn sie streiten. Denn wenn sie streiten, dann leiden auch wir, die wir kleiner sind als sie und von ihnen abhängig, darunter. Mir wäre es lieber, wenn sich alle vertragen würden. Die Welt ist kein Spielplatz und das Leben kein Zuckerschlecken. Das lernt man schnell. Aber wenn wenigstens hin und wieder alles nach Plan laufen würde. Wenn man nicht für jede schöne Erinnerung einen Preis zahlen müsste. Wenn die Liebe eines anderen fühlenden Wesens so leicht zu erlangen wäre... Was wäre das Leben denn dann schon? Doch nur etwas, dass immer nach Plan ginge. Und das wäre nichts, wofür es sich lohnte zu leben und zu streben. Wo bliebe da die Überraschung, die Freude? Dort, wo auch der Schmerz wäre. Dort, wo sich all die Gefühle sammeln, die nicht länger gefühlt werden. An einen Ort, den es nicht geben sollte und der darum auch nicht existieren kann. Denn es existiert doch immer nur das, das sich auch anfassen lässt. Alles andere haben sich die Menschen ausgedacht, damit sie sich besser erklären können. Dass sie in Gesellschaften leben können. Dass Staaten existieren können, die auch nur eine Mittel sind, um sie zum Zusammenleben zu bewegen. Das ganze Leben ist eine Qual, dadurch, dass man gezwungen wird, Konventionen anzunehmen. Doch wäre das Leben ohne diese Konventionen auch nicht auf diese Weise möglich, wie wir es leben. Man muss sich entscheiden, wie man leben kann. Ich weiß das und dennoch ertrage ich es kaum, wie es ist. Ich wünschte mir, ich könnte mich hinter einem anderen verstecken, der stark genug ist, um mich vor meinen Peinigern zu schützen. Doch immer, wenn ich zu diesem gehen will, halten mich meine Freunde davon ab. Sie halten es für eine dumme Idee. Ein bekanntes Übel ist ihnen lieber als eine Hoffnung, die auch enttäuscht werden kann. Mir nicht. Ich hoffe lieber. Ich nehme jeden Strohhalm, an den ich mich nur klammern kann. Zumindest würde ich das, wenn ich den Mut hätte, meinen Leidensgenossen widersprechen zu können. Heute war ein schrecklicher Tag, wie schon viele Tage vorher. Wie es auch viele Tage sein werden, die diesem folgen werden. Doch ich bin zuversichtlich. Irgendwann wird der Tag kommen, an dem man meine Bemühungen anerkennen wird, Der Tag, an dem nicht alles, das ich tue, falsch sein wird. Der Tag, der nicht mehr schrecklich sein wird. Kapitel 7: みんなのヒーロー ~Minna no Hiirou~ ------------------------------------- Hallo, alle zusammen! Hier ist wieder euer großer Held! Ich will euch von meinem neuesten Abenteuer berichten. Ihr hört doch alle brav zu, oder? Ihr müsst unbedingt gut zuhören. Widersprüche werden nicht angenommen. Aaaaaaaaalso. Ich hab heute morgen weiter an Robo-Me gebastelt. Ihr wisst schon, meinen Heldenroboter, der die Erde vor der globalen Erwärmung retten soll. Er nimmt schon langsam Form an. Ja, ich bin mir sicher, dass er es schaffen wird. Er ist die beste Lösung für dieses erste Problem. Und ich, euer aller Held, habe sie entwickelt! Während ich da friedlich an der Lösung dieses schlimmen Problems gearbeitet habe, kamen zwei der Jungs von der anderen Seite des Dorfteiches in meiner Werkstatt vorbei. „He, was baust du da schon wieder?“, haben sie mich gefragt. Ich habe ihnen erklärt, dass ich einen Helden gegen die Globale Erwärmung baue. Das hat sie wohl sehr gefreut. Aber es ist ja auch eine supertolle Idee von mir! Und nur von mir. Sie wird ganz bestimmt mehr Erfolg haben als jede andere. Ganz besonders mehr als die meines Erzfeindes, diesem Öko und seiner bösen Ökosquad! Man kann die Welt doch nicht dadurch kühlen, dass man Energie spart. Das ist ja absurd! Auf jeden Fall haben die beiden Jungs ganz viel gelacht, als sie wieder gegangen sind. Auch wenn sie es gewagt haben, meine Idee Unsinn zu nennen. Hrmpf. Dabei bin ich doch der Held! Der größte Held, den es gibt. Keiner wird mich je übertreffen. Nachdem ich meine Arbeit an Robo-Me beendet hatte, bin ich noch etwas im Wald spazieren gegangen. Zusammen mit meiner Rückendeckung, dem unglaublichen Wok-Man. Der Wald ist schließlich immer gefährlich. Dort hat der fürchterliche Öko sein Hauptquartier und ich weiß nie, wann ich mich meinem Erzfeind und seinem Gefolge stellen muss. Sogar ein Held wie ich braucht einen Gefolgsmann, der ihm Rückendeckung gibt. Wir liefen also durch den Wald und dachten an nichts böses, als wir hinter einigen Sträuchern Getuschel hörten. Wie ein Held schlich ich leise hin, um zu sehen, wer da wieder versuchte, vor meiner Nase Böses auszuhecken. Es war natürlich niemand anderes als mein Erzfeind der Öko. Er plante wohl, meine Problemlösung mit Robo-Me zu sabotieren, indem er einfach alles Metall unseres friedlichen kleinen Dörfchens recycelte. Seine Verbündeten, der Pasta-Mafiosi und Flower-san, würden ihm dabei helfen. Doch ich, der große Held, war ja rechtzeitig zur Stelle. Ich sprang mit einem sehr heldenhaften Schrei aus einem Gebüsch und hatte so die Überraschung auf meiner Seite. Wok-Man war natürlich auch mit von der Partie. Ich griff sie mit meiner überwältigenden Hamburgerkraft an. Natürlich hatten sie keine Chance gegen mich. Ich konnte nicht einmal blinzeln, da war der Öko schon zu Boden gegangen und mit Flower-san was es das selbe. Nur der Pasta-Mafiosi schaute mich ganz erschocken an und flehte um Gnade. Jaho, glaubt es ruhig. Alle Schurken zittern vor mir, so, wie es der Pasta-Mafiosi tut. Das müssen sie auch, niemand kann mich tollen Helden besiegen. Die drei hatten auch schon genug, so schnell, wie sie sich aus dem Staub machten. Es war fast zu einfach. Sie sind einfach keine Gegner für einen so großen Helden wie mich. Ein großer Held wird mit allem fertig. Schurken der Welt, zittert vor mir! Zufrieden, die Welt wieder einmal vor diesen fiesen Bösewichten gerettet zu haben, machte ich mich dann mit meiner Rückendeckung wieder auf den Weg zurück ins Dorf.Doch ich hatte mich zu früh gefreut. Auch wenn ich die böse Ökosquad besiegt hatte, so einfach wollte sie sich dann doch nicht geschlagen geben. Doch ein Held ist immer auf alles gefasst. Als die ersten Kirschzweige an mir vorbei flogen, die Flower-san nach mir geworfen hatte, war ich schon zu einem erneuten Kampf bereit. Heldenhaft stellte ich mich meinem Widersacher entgegen. Doch davor verdrückte ich noch einen leckeren Hamburger, um auch die Kraft zu haben, gegen ihn zu kämpfen. Ihr fragt euch gerade sicher, warum es nur ein Gegner war, der mich angriff, nicht wahr? Das werde ich gleich verraten. Immerhin muss doch auch etwas Spannung dabei sein. Wie es ausgeht ist bei einem Helden wie mir schließlich klar. Ich wich also Flower-sans tödlichen Kirschblüten aus. So ein langsamer Angriff war natürlich keine Herausforderung für mich. Mit der Kraft der Hamburger setzte ich mich heldenhaft zur Wehr und es gelang mir nach einem langen, aufregenden Kampf schließlich, den bösen Flower-san zu überwältigen. Ich hatte natürlich aber auch die Unterstützung meines Getreuen Wok-Mans. Wir gingen also mit unserem Gefangenen, den ich toller Held besiegt hatte, zurück zum Dorf. Doch als wir dort ankamen, bot sich uns ein furchtbarer Anblick. Nirgends lang mehr ein Stäubchen auf den Straßen und vor jedem Haus standen drei Mülltonnen. Das konnte nur das Werk des Ökos sein! Sogar Plakate auf seltsam grauen Papier hatte er an eine Wand geschlagen, das die armen Dorfbewohner aufrief, ihren Müll zu trennen. Wenn er tatsächlich die Herrschaft über mein wunderbares Dorf erlangen würde, dann würden die armen Menschen dort recyceln müssen! Das konnte ich nicht zulassen. So schnell ich konnte eilte ich zum Dorfplatz. Auch wenn ein Held immer in letzter Sekunde auftauchte, dieses Mal wäre ich beinahe zu spät gewesen. Der Öko stand schon mit den beiden armen Jungen von der anderen Seite des Teiches auf dem Platz und hielt ihnen einen Vortrag darüber, wie sie die Umwelt schützen und so etwas gegen die globale Erwärmung tun könnten. So ein Unsinn! Gegen die globale Erwärmung kann nur mein Robo-Me helfen, soviel ist klar. Der Öko ist so fies, dass er sogar bei armen Kindern Gehirnwäsche anwenden will. Das konnte ich nicht zulassen. Mit einem lauten Schrei stürzte ich mich dazwischen und baute mich vor dem Öko auf. „So, du willst dich also an meinem wunderschönen Dorf vergreifen?“, sagte ich und sah ihn drohend an. „Das werde ich nicht zulassen! Ich werde die Menschen hier vor deiner bösen Gehirnwäsche schützen! Hamburgaaaaaaaa... Beam!“ Mein super Spezialangriff besiegte den bösen Schurken mit einem einzigen Schlag, er war so überrascht von meinem tollen Auftritt gewesen, dass er sich nicht einmal wehrte. Ich, euer aller Held, hatte also den Tag wieder einmal gerettet. Diese Mal auch endgültig. Zufrieden mit mir und der Welt kehrte ich in mein Hauptquartier zu Robo-Me zurück. Was für ein Schreck! Dort erwartete uns noch das dritte Mitglied der Ökosquad. Als ich, schon zum Kampf bereit, fragte, was er will, plapperte er etwas davon, vom Öko hier vergessen worden zu sein und dass er Pasta essen wolle. Mit einem meiner berühmten Colahieben schleuderte ich ihn zurück in den Wald, bevor ihm wieder einfallen konnte, was sein böser Plan gewesen war. Na, das seht ihr es mal, Kinder, ich, euer aller Held hab es nicht leicht. Es gibt viele Gefahren, vor denen ich euch retten muss. Aber ein Held kann das. Und ich bin euer aller Held, nicht wahr? Ich dulde keine Widersprüche, ich bin der Held! Kapitel 8: Sterne und Säulen ---------------------------- Unendlich weit und kalt, schwarz und grenzenlos, Einsamkeit versprechend. Nur einzelne Punkte, Millionen von hellen, von gelben, roten, blauen, vereinzelten Punkten. Sie wollen die Nacht erhellen, doch erst durch sie wird man sich bewusst, wie absolut die Dunkelheit zwischen ihnen ist, zwischen ihnen und zwischen der Erde, auf der wir leben. Irgendwo sagt man, dass dort oben die Götter Geschichten von aller Helden niedergeschrieben haben und noch immer niederschreiben.Die Sterne sind Bilder, sie lassen sich zu unzähligen Formen und damit zu Gestalten verbinden. Er sagt, dass man darin dann die Geschichten finden kann, die die Götter beeindruckt haben. Ich verstehe nicht, wie man seine Vergangenheit dort oben finden können soll. Es ist doch nur Finsternis mit Myriarden von Sternen . Doch er, er kann das. Natürlich kann er das. Er, in seinem grenzenlosen Selbstvertrauen und in seiner Maßlosigkeit, die vor nichts halt macht. Er hat das Wissen, dass es hier auf der Erde niemanden gibt, der an ihn herankommt und sich mit ihm messen will. Er hat die ganze Welt erobert oder handelt mit ihr, nur mich lässt er zufrieden, seit wir uns einig sind. Ich will nicht gegen ihn kämpfen, doch ich will auch nicht bei ihm bleiben müssen. Ich sehe, was er versucht, ich sehe es so klar und kann doch nichts dagegen tun. Er will mir zeigen, wie viel besser das Leben mit ihm wäre, wie viel besser das Leben in der Stadt wäre. Die Wälder bei Nacht sind voller Wunder. Wunder, die man nicht sehen kann, wenn man sie nicht kennt. Eine Unzahl an Geräuschen erfüllt die Luft, alles knackt, flüstert, ruft. Nicht die ganze Welt schläft, wenn die Sonne untergeht, wenn sich Apoll nach seiner langen Fahrt schlafen legt. Im Gegenteil, ebenso viel, wie zur Ruhe geht, erwacht auch. Unter dem Licht der funkelnden Sterne erwacht eine vollkommen neue, eine andere Welt. Wenn die Helden, die seine Götter an den Nachthimmel gemalt haben, so zu uns sehen, wie wir zu ihnen, dann sehen sie eine Welt, wie sie sie wahrscheinlich nie gekannt haben. Alles ist dunkel, nur der Mond spendet das Licht, das ihm gegeben wurde. Und doch ist auch ohne das Licht der Sonne alles zum Leben bereit. Allein der Geruch des Waldes ist ein ganz anderer. Die Tiere, die in der Dunkelheit leben sind nur selten am Tage zu sehen, und gleich und verschieden wie die des Tages im selben Moment. Die Bäume atmen, sie atmen doch um so viel anders als bei Tage. Sie wachsen und knarren dabei im Wind. Und gleichzeitig rauscht der Wind in ihren Blättern mit dem selben Rauschen, wie er es auch bei Tage tun würde. Wenn man nur genau genug hinsieht, dann eröffnen sich einem neue Welten mit jedem Wimpernschlag. Nur er begreift das nicht, für ihn gibt es nur seine Welt. Eine Welt, die davon geprägt ist, dass er sie sich immer mehr zu eigen macht. Ob es nun seine Bauwerke sind, seine Armee oder seine Götter, die mit einem Mal all jene Dinge regeln, die vorher auch sehr gut ohne sie funktioniert haben. Mir wäre es lieber, wenn wir zwei Sterne wären. Nah beieinander, nahe genug, um sich zu sehen, und doch weit genug durch das schwarze Nichts getrennt, dass wir uns nicht gegenseitig beeinflussen. Jeder spürt das wärmende Licht des anderen, doch keiner von beiden wird zum anderen Hingezogen, ohne es zu wollen. Vielleicht habe ich nur angst vor Veränderung. Doch ich bin glücklich, wie es ist. Ich liebe meine Wälder, die so viel Leben in sich bergen, dass sie davon beinahe überquellen, ich liebe den Himmel bei Nacht, der immer den Eindruck macht, als würde er den, der zu lange in die Unendlichkeit blickt, verschlingen wollen. Dieses Gefühl, sich selbst zu verlieren, da man mit einem Mal noch winziger ist, als ohnehin schon, und gleichzeitig noch mit beiden Beinen im Hier und Jetzt zu stehen, dass der Geist beinahe zu vergessen droht, ist etwas, das er nicht zu kennen scheint. Es ist etwas, dass ich nicht missen will. Ich will nicht nur im Hier und Jetzt leben. Wenn Säulen den Himmel halten, warum ziehen dann die Sterne an uns vorbei? Eine Welt im Fluss ist wichtig, es darf nicht starr werden. Doch er begreift das nicht. Wer sich zu lange gegen einen Strom stellt, der wird irgendwann, egal, wie stark sich dieser Felsen auch fühlen mag, zu einem kleinen Kiesel gewaschen und von den Wellen fortgetragen. Nicht einmal die Sterne währen ewig, auch ihr Licht verlischt, eines Tages, wie fern oder nah auch immer. Und dann werden auch die Geschichten der Helden, die mit ihnen erzählt wurden, immer weiter verblassen und schließlich in Vergessenheit geraten. Die Sterne leuchten hell über dem Wald in dieser mondlosen Nacht. Alles ist friedlich, alles lebt, dreht sich und wächst, bis der Tag des Abschieds gekommen ist. Kapitel 9: Penthesileos ----------------------- Einst waren sie wie Brüder, haben Seite an Seite gestanden, wann auch immer es nötig war und sich nie zu offen gegen den anderen gestellt. Friedlich lebten sie für endlose Jahre in einem Haus zusammen, halfen sich, wo sie nur konnten. Doch an einem kleinen Streit zerbrach diese Eintracht. Nun steht der eine gegen den anderen, den blanken Stahl drohend erhoben. Wo ist da das Maß, das Ziel? Wohin soll man seine Hoffnung lenken, wenn aus Brüdern Todfeinde werden können? Ist ein Streit Grund genug, die eigene Welt ins Chaos zu stürzen? Noch hat er nicht begriffen, was die Frage ist... Es scheint beinahe so, als habe der eine es begonnen, allein aus jugendlichem Übermut. Er will sich beweisen, will der Welt zeigen, dass auch er etwas gilt, er nicht hinter dem Älteren zurückstehen muss. Seinen Bruder hat er schon mit Gewalt aus der Obhut dieses Älteren gerissen, nun scheint er auch noch sich selbst von ihm lösen zu wollen. Er löst sich von einem, der ihn nie aufhalten wollte, indem er etwas nimmt, das ihm nicht gehörte, nie gehört hat. Noch hat er nicht begriffen, was er tut... Alles, was er tut, was der Jüngere tut, scheint in Gedanken nur an den Älteren gerichtet zu sein. Alles Denken ist nur von dem anderen bestimmt. Nicht der Welt will er sich beweisen, nur ihm will er sich beweisen. Er will zeigen, dass er auch glücklich sein kann, ohne so zu leben, wie der Ältere es tut. Nicht durch Kunst und in Liebe will er leben, sondern in Gewalt und Einsamkeit. Einen Kriegsgott, der allen den Tod bringt, nennen sie ihn schon. Ihn, der seine Welt ins Chaos stürzte, indem er sich dem, der einst wie sein Bruder war, mit kaltem Stahl in seinen Händen gegenüber stellt. Noch hat er nicht begriffen, was ihm fehlt... Er sagt, dass er zufrieden sei, selbst, wenn die ganze Welt gegen ihn steht. Wenn er nur stark genug ist, sich allen entgegen zu stellen. Nicht einmal seinen Bruder will er an seiner Seite kämpfen sehen. Es genügt ihm, wenn er sich in immer neue Kämpfe stürzen kann, wenn er kämpfen kann, um zu vergessen, wenn er kämpfend mit sich übereinkommt, dass sein Leben besser ist, als das, das sein älterer Freund führt. Er braucht niemanden, ein Leben ohne Freunde ist das beste Leben, das er sich vorstellen kann. Verbündete sind ein Mittel zum Zwecke des Kampfes, aber eine solche Verbindung zerbricht schnell, es gibt niemanden außer einem selbst, auf den man vertrauen kann. Noch hat er nicht begriffen, was er vermisst... Allein der Stahl in seiner Hand, das Abgewetzte Holz, dass er durch seinen Handschuh fühlt, gibt ihm die Sicherheit um das Leben durchzustehen zu können. Er sieht keinen anderen Sinn darin mehr, als rote Blumen in die Welt zu tragen und den Flüssen eine andere Farbe zu geben. Wenn man schon keine Berge versetzen oder die Welt zum Stillstand bringen kann, dann müssen es eben die Menschen sein, die in ihren Grundfesten erschüttert werden. Es gibt kein Schwarz, kein Weiß mehr in der Welt. Es gibt nur noch eine Farbe, die alles, was klar war, überstrahlt, ihn ihrem makaberen Leuchten die Herzen derer, die sie erblickt, auf Ewig befleckt. Noch hat er nicht begriffen, was er zerstört... Der eine kämpft, weil er sich nichts mehr wünscht, als erkannt zu werden, als von allen als er selbst akzeptiert zu werden und darüber vergessen hat, dass es auch eine Zeit ohne Kampf geben kann, eine Zeit, in der der todbringende Stahl an den Wänden höher Hallen vor sich hin rostet, während er unter einer dichten Staubschicht schläft und von vergangenem Glanz träumt und er von Kindern bestaunt wird, die noch nie mit seiner Hilfe bewahrt werden mussten. Der andere kämpft, weil er nicht begreift, warum man ihm etwas nimmt, weil er ganz vergessen hatte, dass es noch den einstigen Bruder im Geiste gibt, weil er sich schwach und verwundbar zeigte und nun schnell den Staub vom Stahl wischen muss und ihn durch frisches Nass ersetzen muss, dass ihn bald wieder stumpf werden lassen wird. Er kämpft, ohne es zu wollen. Sagt er. Er muss sich verteidigen. Sagt er. Er vertraut auf sie im Kampf, er muss sie schützen, weil sie ihm lieb und teuer ist. Er sagt, dass er sie nur schützen kann, wenn er sich stark zeigt. Keiner von beiden hat je versucht, sich in Wort statt Tat einig zu werden. Noch hat er nicht begriffen, was es ist, das seinen Gegner zum Kampfe treibt... Der kleine Bruder sitzt allein in dem großen Haus, in dem einst auch die beiden Kämpfenden lebten. Hin und hergerissen zwischen den beiden ist er, er weiß nicht, auf wessen Seite er stehen muss und doch begreift er, dass seine Entscheidung für beide Seiten wichtig wäre. Doch er kann nicht entscheiden, kann nicht zwischen dem wählen, der sein Bruder ist, und dem, der für ihn wie ein Bruder ist. Seine junge Brust ist gespalten, er wird niemals wissen, wessen Seite er wählen soll, bis die Geschichte es für ihn entschieden hat, bis der, der die Entscheidungen trifft, ihm auch diese Freiheit genommen hat. Noch hat er nicht begriffen, was sein Handeln für die Zukunft bedeutet... Ist der Wunsch nach Anerkennung so falsch, ist es der Weg, sind es die Mittel, die diesen Wunsch falsch machen? Ist da ein andere Weg für einen, der nie so etwas wie Einigkeit erfahren konnte? Für einen, der lernte, dass man Einigkeit nicht erreichen, nur erringen kann. Die Wünsche, die sich der kleine Bruder auf die Fahnen schrieb, hegt auch der große Bruder, auch wenn er dies niemandem zeigt, wenn er sie auch in seiner verletzten Seele vergräbt. Nicht einmal er, der sich nach außen hin stark zeigt, wenn er allein steht, kann alles allein tragen. Nicht einmal er kann sich von diesen Wünschen, die ihn genauso prägen wie der Wunsch, vom Bruder im Geiste unabhängig zu sein, lösen. Nicht einmal er kann dieses Sehnen in seiner Brust aus eigener Kraft zum Schweigen bringen. Noch hat er nicht begriffen, was ihn antreibt... Er kennt keine Götter mehr, seit er sich selbst zu einem machte. Er glaubt nur noch an sich, an seine Stärke. Auch von dem, an den er glaubte fühlt er sich verlassen. Nun vertraut er in seinen dunklen Stunden auf den Herrn, dem er diente, der ihm genommen wurde. Tote kann niemand zurück bringen, doch auch die Toten können nichts ändern an dem, was die Lebenden zu vollbringen suchen. Er braucht einen, auf den er vertrauen kann, an den er glauben kann. Einen, dem er sich anvertrauen kann. Doch auch wenn er seine Gefühle in Worte fassen will, er wird es nie vollbringen, sie auszusprechen. Nur seine Stoßgebete ins Totenreich sind erfüllt von jenen Gefühlen und knisterndes Papier ist zu den Fesseln geworden, die sie auf immer bannen. Noch hat er nicht begriffen, was er glauben will... Selbstsicher lächelt er der Welt entgegen, stellt sich den Feinden, die er sich selbst erschaffen hat, hebt den Stahl, der auch ihm Verherrung bringt. Das Lächeln hält ihn davon ab, die Tränen zu vergießen, die er nicht einmal sich selbst eingestehen will. Dieses Lächeln richtet sich in seiner Kälte gegen alle Welt, ist Hilfeschrei und Herausforderung zu gleich. Er erwartet sie schon, er erwartet alle, die ihm im Kampf beweisen, dass er noch lebt. Er weiß, dass er Kampf gegen ihn auch den zu ihm ins Unglück stürzen wird, den er dereinst einmal seinen Bruder hätte nennen können. Eines Tages wird er auch dessen Liebe zerstören. Niemals wird er begreifen, was „Friede“ bedeutet. Kapitel 10: Bindung ------------------- Warum um alles in der Welt war ich so nervös? Es war doch nichts wichtiges, versuchte ich mir die ganze Zeit einzureden. Nur etwas, dass ich meiner Vorgesetzten zu Liebe tat. Es hatte nicht die Bedeutung, die es normalerweise hätte. Das alles sagte ich mir, wieder und wieder, nur damit meine Hände endlich wieder aufhören würden zu zittern. Doch nichts von all dem half. Dass ich vor einer großen Menschenmenge stand, allein, abgesehen von einem Priester, tat kaum etwas zu meiner Nervosität, die ich zu verbergen suchte. Es ging nicht an, dass ich wegen so einer Sache nervös war. Ich hatte immer Haltung zu bewahren, egal in welcher Situation. Nicht einmal dieser Raufbold hatte es geschaft, meine Züge zum Entgleiten zu bringen. Aber darauf zu warten, dass sie, in ihrem wundervollen weißen Kleid, den langen, beinahe endlos scheinenden, Weg von dem großen Portal am anderen Ende des Schiffes zu mir gemacht hatte, war die schlimmste Folter, die ich je ertragen musste. Wenn ich die Wahl gehabt hätte zwischen diesem Moment und einem langen Streit mit diesem Hitzkopf, dann hätte ich mich ohne zu zögern dafür entschieden, diesen Moment zu überspringen. Gleich, gleich würde sie bei mir sein, an meiner Seite stehen. Wie sie es schon so oft im Kampfe getan hatte. Und doch würde dann alles anders sein. Meine Hände zitterten nun so sehr, dass ich fürchtete, jemand würde es bemerken. Doch alle Blicke waren nur auf sie gerichtet, sie, die sie mit ungeahnter Eleganz und in atemberaubender Schönheit zu mir schritt. Ein engelsgleiches Lächeln lag auf ihren Lippen, strahlte aus ihren Augen. Ich konnte meinen Blick nicht mehr von ihr wenden, kaum hatte ich sie erblickt. Ich musste so sehr an mich halten, dass mir der Mund nicht offen stehen blieb. Sie war so wundervoll, sie schwebte beinahe vor Glück. So anders, als auf dem Schlachtfeld, wo wir so oft schon gemeinsam gestanden hatten. So anders, und doch ein und die selbe Frau. Es war kaum zu glauben. In wenigen Momenten würde sie mein sein und ich ihr gehören. Wie wir es uns schon vor langer Zeit im Lichte ersterbender Feuer geschworen hatten, als meine Verzweiflung der Hoffnung durch sie gewichen war. Sie war mein Licht, mein Herz, meine Seele. Ich konnte nicht ohne sie sein, nicht ohne sie leben. Selbst, wenn ich anders gefühlt hätte, ich müsste das zugeben. Doch es war so, wie es war. Nur noch wenige Schritte und ich würde ihre Hände endlich wieder in meinen halten. Ihre Hände, die vom vielen kämpfen schon ganz wund und rissig waren. Nicht die Hände einer Frau, sondern die einer Kriegerin, die in ihrem Leben schon viel gesehen hatte, viel durchgestanden. Die schon mehr Leben gerettet als gegeben hatte und mehr genommen, als man zählen konnten. Als Verbündete gegen einen gemeinsamen Feind hatten wir uns getroffen. Doch schon nach diesem ersten Treffen hatten wir uns nicht trennen können. Ich wünschte, ich könnte sie vor allem bewahren. Doch in Wahrheit ist es immer sie, die mich bewahrt. Sie würde für mich bis in die Hölle und wieder zurück gehen. Das weiß ich, ich weiß es schon, seit wir zum ersten Mal Seite an Seite standen, als ich gegen den kämpfte, den ich noch immer gern Bruder nennen würde, dessen Bruder auch heute noch in seinen dunklen Stunden nach mir ruft. Auch ich würde alles tun, um ihr dieses Lächeln ewig zu erhalten. Ich wünschte, sie könnte immer so glücklich sein, wie sie es in diesem Moment ist. Allen Kummer möchte ich von ihr fern halten, nichts soll mehr ihr Herz und die Liebe darin beflecken. Doch um das zu erreichen muss ich stark werden, viel stärker, als ich es gerade bin. Ich kann mich nicht immer nur in der Kunst verlieren. Das habe ich gerade erst wieder schmerzlich erfahren müssen. Noch immer spüre ich seinen Blick auf mir, wenn ich mich umwende. Nur wenn sie bei mir ist, kann ich es vergessen, doch nie schaffe ich es, ganz von ihm los zu kommen. Er ruft mich, er ruft nach mir um zu Kämpfen, wie er es immer getan hat. Und ich werde kämpfen, um sie zu schützen, sie, die mir alles auf der Welt bedeutet, mit der allein ich glücklich sein kann. Nie wieder will ich ihr Kummer bereiten. Und er ist derjenige, der diese Pläne am ehesten vereiteln könnte. Endlich steht sie vor mir, ich nehme ihre Hände. Von Nahem ist sie noch schöner, als aus der Ferne. Ich kann es noch immer kaum fassen, dass sie mir gleich dieses Versprechen erwidern wird, mit den kirschroten Lippen, die sich kurz darauf auf die meinen legen werden. Es ist falsch von mir zu denken, dass ich es allein schaffen muss, dass ich es allein schaffen kann. Von nun an werden wir gemeinsam gegen alle stehen, die unser Glück zerstören wollen, die es auf den einen von uns abgesehen haben. Weint nur, ihr blutroten Augen, weint, denn von diesem Tage an werde ich, so wahr mir Gott helfe, auch dafür leben, sie glücklich zu sehen, jeden Tag aufs neue so glücklich, wie an diesem Tag. Alle Glocken der Stadt läuten, bunte Fahnen in unser beider Farben schmücken alle Gassen. Beten wir alle, das dieser Tag nicht der letzte Glückliche gewesen sein soll. Kapitel 11: Libra ----------------- Beobachten und dann eingreifen, wenn es erforderlich wurde, das war für Jahrhunderte die Devise gewesen. Immer das Gleichgewicht wahren, nie eine Kraft zu stark werden lasse, solange es keine Gegenkraft gab, immer den Ausgleich suchen. Das war das beste gewesen, das hatte ihn stark gemacht. Mit seiner Heimat, die er selten als die seine auffasste, hatte er sich immer wenig befasst. Dort gab es nichts, das ihn hielt, dort wartete nur immer neue Gewalt, nur immer neuer Hass zwischen zweien auf ihn, die sich noch nie hatten leiden können. Meist mischten noch andere mit, doch im Grunde waren es immer nur die beiden. Und er versuchte, das Gleichgewicht zwischen ihnen zu wahren, unterstützte mal den einen, wenn er unterlegen schien, dann den anderen, um ihn vor seiner Zerschlagung zu bewahren. Doch seine Träume und Ziele hatten immer in der Ferne gelegen. Weit in der Ferne, weit weg von dieser kriegerischen Heimat, die irgendwann mit ihrem Feuer die ganze Welt in Brand stecken würde. In der Ferne, so hoffte er, brauchte man ihn und er brauchte die Ferne. In seiner Jugend war er ein Pirat gewesen, hatte fremde Inseln entdeckt und diesen Jungen gefunden, der ihm so schnell schon entwachsen war und dem er nun ganz fremd war. Selbst eine Zusammenarbeit lehnten sie beide ab, egal um was es sich auch handelte. Selbst wenn die Welt unterginge, der Verrat des Jungen, die Diktatur des Alten, würde nie vergessen sein. Wie sie es auch drehten und wendeten, sie waren verbunden und doch getrennt. Auch wenn er noch immer die Partei des Jungen ergriff, wenn dieser in Schwierigkeiten war, sie waren durch Ozean und Zeit getrennt. Auch dort lagen kaum noch seine Interessen. Der Junge hatte gelernt, wann er still sein musste und hatte sich in den letzten Jahren mehr und mehr in sich zurückgezogen. Auch er zog sich immer mehr zurück, weniger in sich selbst als in die Welt, solange es nur fern der Heimat war, fern der Heimat, in der alle versuchten, sich gegenseitig zu übertrumpfen. In der Ferne war alles einfacher. Niemand zweifelte an ihm, man brauchte ihn und sehnte sein Kommen herbei. Er brachte den anderen Nationen Wohlstand, Freiheit und Friede. Und ihm bereitete es eine große Freude, sich um diese Nationen zu kümmern. Er sah sich immer als eine Art großen Bruder, doch hin und wieder zog er auch seine Vorteile aus ihnen. Wenn er etwas wollte, dann konnte er unerbittlich sein. Auch das hatte er bewiesen. Er strebte an, was er auch später erlangte, er erschuf sich sein eigenes Weltreich. Doch es läuft im Leben nicht immer alles so, wie man es sich erhoffte. Es kam in der Heimat zu neuen Streitereien. Er verhielt sich wie immer, unterstützte die Schwachen und hoffte auf ein Gleichgewicht nach dem Streit. Doch bei diesem Mal war alles anders. So sehr er sich auch mühte, es war kein Gleichgewicht zu erringen, er konnte keinen Ausgleich finden, der auch die anderen Sieger zufrieden gestellt hätte. Machtlos musste er zusehen, wie der Verlierer in Ketten gelegt wurde und ihm alle Schuld auferlegt wurde. Wie viele andere sah er den nächsten Konflikt bereits entstehen und wartete beinahe schon darauf, dass diese Spannungen sich erneut im Streit entladen würden. Wie viele andere hörte man seine Warnungen nicht sondern rannte immer weiter darauf los, dem Feuer entgegen. Nach dem Streit lagen beide Kämpfenden am Boden, die, die diesen Streit so lange betrieben hatten. Alle waren sich einig, dass dies nie hätte geschehen dürfen und jeder wünschte, es würde sich nie wiederholen. Doch niemand verstand wie es dazu gekommen war, niemand wollte es sehen. Es gab viele Vermutungen, doch keiner konnte es mit Gewissheit sagen. Er wachte darüber, zusammen mit diesem Jungen, der nun die Führung für sich beanspruchte und seinen Gegner hoch in Eis und Kälte suchte. Er wachte darüber, dass der Unterlegene nun nicht gebeutelt sondern gescholten wurde, dass sich wieder ein zweiter finden konnte, der Mächtig war. Sie brauchten ihn, das wusste er. Sie brauchten ihn gegen den neuen Feind, den sie mit ihren Idealen heraufbeschworen hatten. Einen Feind, den er nicht unbedingt für den seinen hielt. Doch er wollte den Jungen auch nicht im Stich lassen, er wollte an seiner Seite stehen. Seine Heimat überließ er wieder sich selbst, als er sah, dass sich dort alles zum besseren wandelte. Nur von außen beobachtete er, wie aus den alten Feinden Freunde wurden und sie immer besser zusammenarbeiteten. Wie sie den Kreis ihrer gemeinsamen Freunde immer mehr erweiterten und aus einem Bündnis, das sie erst aus einer Notwendigkeit heraus besiegelt hatten, langsam etwas wuchs, das später zu wahrer Einheit würde führen können. Als die beiden dann gemeinsam auf ihn zu kamen, ihn, den in der Ferne das Glück verlassen hatte, und ihm einträchtig die Hand zur Freundschaft reichen, aus dem Wunsch heraus, dass ihre Heimat stark werden konnte, damit sie in der Welt bestehen konnte, willigte er nur zögerlich ein. Noch immer sah er sich nicht als Teil des Ganzen, fühlte sich nicht der Heimat zugehörig. Noch immer war er nur ein Beobachter aus der Ferne, wenn es um seine Heimat ging. Nur langsam gewöhnte er sich daran, ein Teil von ihr zu sein, es würde noch eine lange Zeit dauern, bis er sich dort auch wirklich heimisch würde fühlen können, bis er zu einem Teil von ihr wurde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)