Mnemonic Abyss von Mismar (She is calling my Name) ================================================================================ Kapitel 4: Last to Know ----------------------- Sie zog einen Drehstuhl heran, vielleicht würde dieser Aufenthalt etwas länger dauern. „Aber… wenn sie mich deinetwegen töten will, muss ich mich doch nur von dir fern halten, nicht wahr, Makoto?“ Diese Tatsache erdolchte ihr Herz, sie fasste sich schwer an die Brust, war nicht in der Lage, ihm in die leblosen Augen zu blicken. „Wohl wahr... aber es geht nicht nur um dein Leben.“ Er lenkte das Thema in eine andere Richtung, ehe er zur Sache kommen würde. „Ist dir etwas Merkwürdiges an ihr aufgefallen?“ Welcher Geist war auf seine Art nicht paranormal? Doch Rin wühlte in ihren Erinnerungen, wollte ihm von jeder Begegnung berichten. „Ich bin mir nicht so sicher, aber zuerst habe ich sie – ich glaube, dass sie es war – in der Mädchentoilette gesehen. Ich wurde eingesperrt und von der anderen Seite schaute mich eine schwarzhaarige Frau mit roten Augen an.“ „Gut möglich, dass sie es war. Aber zähl am besten nur die Treffs auf, wo du das rote Kleid sehen konntest.“ Damit würde es sich nur auf zwei Begegnungen beschränken. „Im Krankenhaus… sie hangelte im mnemonischen Abgrund kopfwärts herunter, als ich den Fahrstuhl schließen wollte.“ Das war so furchteinflößend gewesen, andere Menschen hätten definitiv den Fahrstuhl ein weiteres Mal geöffnet und wären in den Abgrund gesprungen. „Ja, ich habe sie im Keller gesehen. Wo noch?“ „In dem Haus von Chiyo Kishibe… scheinbar hat sie mich beobachtet, als ich mir einen bunten Fächer angeschaut habe.“ Makoto wirkte überrascht, scheinbar hatte sie ihm etwas erzählt, wovon er nichts wusste. „Das Haus von Chiyo Kishibe?“ Jetzt kamen ihm neue Fragen auf. Die Geister konnten doch nur Orte betreten, die sie aus ihren Erinnerungen kannten. Ihm war es möglich, mehrere Orte zu passieren, weil er sie bei seinen Nachforschungen untersucht hatte. Also musste es eine Verbindung zwischen dem Mädchen und der Kishibes geben, es sei denn, es existierte eine weitere, ihm fremde Möglichkeit. Rin seufzte hörbar, sie wusste sich aus dieser misslichen Lage nicht zu befreien. „Du sagtest, dass es nicht nur um mein Leben geht, Makoto. Was meinst du damit?“ „Es ist nur eine Theorie. Aber ich glaube nicht, dass sie weder menschlich noch geistlich ist. Sie ist anders, benimmt sich anders. Und ihr ist es möglich, sichtbar für lebende Personen außerhalb der mnemonischen Seite zu existieren.“ Nachdenkend malte er unsichtbare Kreise auf dem Tisch. „Stell dir vor, alle Geister wären in der Lage, die Seiten zu wechseln. Kaum vorstellbar, was mit der Menschheit dann passieren würde.“ „Aber… sie wirkt auf beiden Seiten so gleich. Wie ein Geist in einem menschlichen Körper.“ Scheinbar hatte Rin einen wichtigen Punkt erwischt, denn Makoto sah ihr anerkennend in die Augen. „Genau. Vielleicht ist sie der erste Geist, der weiß, wie man seinen eigenen menschlichen Körper wieder besitzen kann. Das würde dann erklären, wieso ihre Haut dem einer Leiche ähnelt. Und wenn man erst ein Geist ist, bringt man neue Fähigkeiten in Erfahrung. Bei einem Wechsel ins menschliche Leben könnten diese Erfahrungen möglicherweise erhalten bleiben.“ Damals hätte sie sicherlich gelacht, wenn sie einen Artikel mit solch blühender Fantasie hätte. Wie stark sich ein Mensch wegen solchen Begebenheiten verändern konnte, war unbeschreiblich gigantisch. Doch schien Makoto an das zu glauben, was er ihr gerade erzählt hatte – und sie glaubte es langsam auch. „Aber was können wir dagegen tun, Makoto?“ „Die Wahrheit herausfinden, zumindest ist das der Anfang.“ Dieses Mädchen in Rot hatte ihm etliche Male aufgelauert, trotzdem war sie ihm fremd wie eh und je. In seinem Leben war er keiner Dame begegnet, die ihr in irgendeiner Hinsicht geähnelt hatte. Das Rätsel war wesentlich schwieriger als der Fall Reiko Asagiri. Bei ihr hieß es nur, ein Missverständnis aufdecken. „Also müssen wir herausfinden, wer sie in Wirklichkeit ist?“ Ob es Kreaturen aus dem Jenseits gab, die nie im Diesseits gewesen waren? Das würde die Sache nur unnötig kompliziert machen. „Genau. Wenn wir erst den Namen haben, können wir ihre Vergangenheit untersuchen, erfahren, woran sie gestorben ist. Kannst du einen Bewohner der Kishibes kontaktieren?“ Er selbst war in diesem Haus nie gewesen, seine Wege haben ihn noch nie dorthin geführt. Sollte sie aber eine Freundin von Reiko gewesen sein, wieso hatte sie dann ihr Leben nicht verschont? Es war alles so kompliziert, dass er sich imaginäre Kopfschmerzen einbildete. „Ja, das dürfte gehen.“ Sie hatte persönlich nichts mit denen am Hut gehabt, wollte sie nicht einmal in diese eigenartige Lage hineinziehen. „Glaubst du, der Enkel Take könnte sie vielleicht aus vergangenen Tagen kennen?“ Erneut warf Makoto ihr einen fragenden Blick zu. „Wie alt ist dieser Enkel?“ „Er dürfte ungefähr in meinem Alter sein. Soviel ich weiß, studiert er auch.“ Rin musterte ihn nachdenklich. „Wie soll ich das machen? Ich komme nicht mehr zurück, oder?“ Seltsamerweise konnte er in diesem Zustand herzhaft lachen. „Doch, Reiko hat damals die Verbindung unterbrochen, die mnemonische Barriere hat es verhindert, sich zu transportieren. Aber jetzt dürfte der Weg frei sein, du musst nur dein eigenes Handy anrufen.“ Das war ja leichter gesagt als getan. Vermutlich wartete das Miststück in Rot auf der anderen Seite, um ihr den Garaus zu machen. „Und wenn…“ „Wird sie nicht. Keine Sorge, ich passe auf dich auf.“ Er ließ einen verheißungsvollen Blick umherschweifen, starrte genauso wie Rin zur Tür. Sie war einen Spaltbreit offen, aber Rin hatte sie mit hoher Wahrscheinlich geschlossen. Man konnte das Gesicht eines Mädchens sehen, das die beiden aufdringlich beobachtete. Ihr Name war Mai Kokura und in der Mädchengang war sie die Jüngste. Sie gab sich nur mit ihren beiden Mitschülerinnen Mika Hosokawa und Kum Ota ab, weil sie in der Klasse schikaniert und gehänselt wurde; seitdem hatten die Schikanierungen aufgehört, obwohl sie von ihren angeblichen Freundinnen nur ausgenutzt wurde. „Was sollen wir tun?“ wisperte Rin leise zu den Schwarzhaarigen rüber, der sich keinerlei Sorgen machte. Zumindest sah es nach seiner Haltung und Mimik zu urteilen so aus. „Nichts, sie beobachtet uns nur. Du weißt doch: Man wird nur schikaniert, wenn man alleine ist. Und da wir zu zweit sind…“ Das würde bedeuten, sobald sie ihn auf dieser Seite zurücklassen würde, dass er sich mit diesen drei Gespenstern herumplagen müsste. Aber anderseits war er ein Geist, was sollte ihm schon großartig zustoßen? Mai stand immer noch wie verankert an der Tür, sie beäugte das mobile Telefon in Rins Hand. „Das ist mein Handy…“ Makoto seufzte laut: „Auch das noch.“ Sofort wandte er sich zu der Braunhaarigen um, die das Handy fest umklammert hielt. Scheinbar wollte sie es nicht ganz so freiwillig hergeben. „Du musst dich transportieren. Ich werde dir eine Kurzmittelung schicken, wenn du dich wieder auf die mnemonische Seite befördern kannst.“ Schnell richtete er sich auf, versuchte sie mit einer misslungenen Berührung zu beruhigen. „Sei unbesorgt. Dir wird nichts passieren.“ Rin nickte verstehend, wenn auch nicht überzeugt. Langsam klappte sie das Handy auf, wählte ihre eigene Nummer und wartete darauf, von der Dunkelheit verschluckt zu werden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)