Mnemonic Abyss von Mismar (She is calling my Name) ================================================================================ Kapitel 2: The Trap snaps shut ------------------------------ Sie hatte die gesamte Nacht nicht schlafen können. Ihre Gedanken kreisten sich um Makoto; aber nicht nur um ihn: Horrorerlebnisse der Vergangenheit ließen sie nicht einschlafen. Oftmals hatte sie Gesichter verstorbener Personen im Kopf gehabt, die von jetzt auf gleich aufgetaucht waren. Momente, wo sie zum Beispiel eingeschlossen in der Toilette von einem schwarzhaarigen Mädchen beobachtet wurde. Dabei wollte sie nur nach Hinweisen suchen, stattdessen hatte man ihr immer wieder Schockzustände der übelsten Art verpasst. In ihrer Welt fühlte sie sich sicher, solche Situationen hatte es hier nie gegeben, sie verspürte nur vor dem mnemonischen Abgrund Angst. Rin war so dankbar, als sich der Tag mit den ersten Sonnenstrahlen ankündigte. Zum Glück waren Ferien, ansonsten wäre sie nicht zur Universität gegangen, weil sie übermüdet dem Unterricht nicht folgen konnte. Außerdem würden dort ihre Gedanken abdriften, sie würde wieder an die drei verstorbenen Mädchen denken, die sie in der anderen Welt schikaniert hatten. Um sich auf andere Gedanken zu bringen, würde sie den ganzen Tag im Internet surfen. Die Schwarze Seite existierte nicht mehr, sie war genauso spurlos verschwunden wie Makoto. Sie ging solchen Websides bewusst aus dem Weg, wer wusste schon, ob sie sich damit nicht ins nächste Unglück stürzen würde. Vor lauter Langeweile besuchte sie die offizielle Seite des Samsara-Magazines. Dort waren sogar Fotos der Mitarbeiter angezeigt, worunter sich natürlich auch der Verleger und der Journalist Sadao befanden. Diesem Mann war sie ebenfalls begegnet, nur im Gegensatz zu den anderen Geistern hatte er ihr kein Leid zugefügt, sondern sie und Makoto auf schleierhafte Art und Weise zusammengeführt. „Ich sollte mich langsam fertig machen, wenn ich zum vereinbarten Ort kommen möchte…“ Nachdenklich fuhr sie den PC herunter, der Bildschirm zeigte sich schwarz. Wollte sie überhaupt kommen? Es war ihre reale Welt, das wusste sie. Wie sollte sie überhaupt in das Innere der Schule kommen? Seit dem unerklärlichen Tod der drei Mädchen hatte man die Schule schließen müssen. Sie würde schon einen Weg hinein finden! Seufzend schob sie sich samt Drehstuhl zurück, warf einen flüchtigen Blick auf den Monitor. Etwas Rotes spiegelte sich darin wieder. Mit einem entsetzten Laut fuhr sie panisch herum, aber es war nichts Verdächtiges zu sehen. Vielleicht war das durch ein Farbspiel gekommen, das die Sonne an warmen Tagen produzierte. Das Handy hatte sie seit dem gestrigen Tag an gelassen. Rin nahm es zur Hand und überprüfte es genau; viele verpasste Anrufe und Kurzmitteilungen hatte sie nachzuschauen. Aber das könnte sie in der Bahn tun, die Schule war nicht gerade um die Ecke. Es hatte sie wirklich viel Überwindung gekostet, diesen Weg zu gehen. Alles in ihr sträubte sich dagegen, aber die Tatsache, jemanden an der Seite zu wissen, der ihre Gefühle bestens nachvollziehen konnte, weil er es genauso hautnah erlebt hatte, beflügelte sie zu dieser Entscheidung. Sie wollte Makoto unbedingt wiedersehen. Das Schulgebäude war in ihren Erinnerungen wesentlich schlimmer, grotesker, abscheulicher. Jetzt wirkte es einfach wie jedes herunter gekommene Gebäude. Die Braunhaarige suchte eine geeignete Stelle, wo sie einbrechen konnte. Um Gottes willen! So etwas war gar nicht ihre Art, aber gerade verfiel sie in Euphorie; oder es war die reine Angst, die blanke Panik. Im Erdgeschoss hatte es genügend Fenster gegeben, die bereits eingeschlagen waren - Vandalismus eben. Normalerweise verstieß das gegen ihre Prinzipien, aber nach einem Schlüssel zu fragen, wäre seltsam und Zeit auftreibend gewesen. Das Glas gab mit Leichtigkeit nach, die Scherben klirrten unter ihren Füßen. Schlagartig dachte sie an die andere Seite, wo sie keine Schuhe getragen hatte. Barfuss war sie durch die Gegenden geschliddert, nur da wäre es nicht in Frage gekommen, in oder aus einem Gebäude zu flüchten, weil eine mysteriöse Barriere sie eingesperrt hatte. Aus Erfahrung hatte sie eine Taschenlampe mitgenommen, sie konnte sich unschwer vorstellen, das Glück zu haben, ein weiteres Mal eine zu finden. Das war damals sicherlich kein Zufall gewesen, nur eine weitere böse Absicht. Mit der Lampe suchte sie die Gegend ab. Sie musste sich neu orientieren, weil die Schule ein ganz anderes Bild zeigte als das, was sie auf der anderen Seite gesehen hatte. Immerhin stammte dieses Gebilde aus den Erinnerungen der verstorbenen Personen. Zuversichtlich schritt sie aus dem Klassenraum hinaus, in den Flur des ersten Stockwerkes. „Der Kunstraum…“ Sie war damals im oberen Musikraum aufgewacht. Der Kunstraum dürfte ein Stockwerk drunter sein; aber so genau wusste sie das nicht mehr. Da war sie einfach dem Geist von Sadao gefolgt. Somit würde sie die Räume alle einzeln absuchen müssen. Sie hasste es zu suchen. Wenigstens musste sie nicht jeden Raum, jede Ecke akribisch untersuchen. Immerhin suchte Rin einen Kunstraum und keine Hinweise. Sie musste nicht einmal kurze Blicke in die Räume riskieren, weil sie alle namentlich benannt wurden. Nur starr nach oben musste sie schauen. Trotzdem schien sie wieder im falschen Flur zu sein und seufzend näherte sie sich einer Sackgasse. „Super gemacht, Rin.“ Plötzlich lief etwas kleines Schwarzes an ihr vorbei, zwängte sich durch einen Spalt in der Wand. Eine Maus! Und sie hatte sich tatsächlich erschrocken und war bei diesem Anblick zusammengefahren. Vor Nagertieren verspürte sie keine Angst, sie bekam nur bei Situationen Panik, die plötzlich und unerwartet in Erscheinung traten. Kopfschüttelnd sprach sie sich aufmunternde Worte zu, schaute dabei auf die vor ihr liegende Wand. Ein kleines Graffiti hatte man drauf gekritzelt, es sollte scheinbar ein menschliches Auge darstellen. Aber diese rote Farbe… Eine plötzliche, grausame Vorahnung nahm von ihr Besitz. Dieses strenge Gefühl, beobachtet zu werden, lastete auf ihren Schultern. Es war so vertraut, trotzdem so beängstigend. Rin wollte sich nicht umdrehen, denn sie wollte nicht wissen, was sich hinter ihrem Rücken befand. Unruhestifter hätten sie längst angepöbelt, irgendwelche dummen Sprüche geklopft. Das Gefühl wollte nicht schwinden und äußere, menschliche Anzeichen gaben sich auch nicht zu erkennen. Ihr blieb nichts anderes übrig, als langsam herumzufahren und ihren Ängsten ins Auge zu blicken. Die Taschenlampe hielt sie dabei fest umklammert, zeigte damit geradeaus. Weiter hinten konnte man eine Person erkennen. Sie trug ein rotes, kurzes Kleid. Solch einer Person war sie damals im mnemonischen Abgrund begegnet. Allerdings hatte diese Gestalt ihr nie geschadet, seelisch ja, aber nicht körperlich, sondern war augenblicklich wieder verschwunden. Nur dieses Mal kehrte sie ihr nicht den Rücken oder die Seite zu, dieses Mal schaute sie eisern in ihre Richtung. Zumindest wirkte es so, immerhin wurde das Gesicht dieser Frau von schwarzen Haaren verdeckt. Das Unheimliche an der Sache war, dass die Frau im roten Kleid einen Schatten warf. War sie menschlich? Aber sie hatten sich doch im mnemonischen Abgrund getroffen, auch wenn eines dieser Treffen wirklich verstörend war. Rin war immer in der Überzeugung gewesen, es handelte sich hierbei um ein Opfer Reikos. Aber schon damals war dieses farbintensive Kleid aufgefallen, obwohl die meisten Geister trostlose mehr farblose Farben trugen. Die ganze Erscheinung war anders gewesen, sie wirkten alle so durchsichtig, aber sie? Die Frau in Rot verschwand nicht wie sie es sonst tat. Stattdessen machte sie zaghafte Schritte auf Rin zu. „Bitte, bitte! Lass sie einfach nur verschwinden!“ Es war zuviel für sie, es war die reale Welt und zu wissen, dass vielleicht Geister ins Diesseits passieren konnten, brachte sie schier um den Verstand. Was sollte Rin nur tun? Sie saß in der Sackgasse, ansonsten hätte sie einen anderen Weg eingeschlagen. Panisch presste sich die Studentin an die hinter ihr liegende Wand, spürte das kalte Gestein auf ihrer Haut. Plötzlich hörte sie ein Klicken, als würde jemand Tasten betätigen. Ja, es waren die Tasten ihres Handys, die wie durch Geisterhand eine Nummer wählten. Als sie einen schnellen Blick auf das Display warf, sah sie, dass eine Verbindung hergestellt wurde. Abrupt schaute sie wieder zu dem Mädchen rüber, das näher herantrat. Sie streckte einen Arm nach Rin aus, wollte sie zu fassen kriegen. Mit jedem Zentimeter, den sie näher kam, spürte Rin ihren Herzschlag immer heftiger schlagen. Doch dann erstarrte die fremde Frau, weil sich die Umgebung in einem dunklen Nichts einhüllte und Rin zu verschlucken drohte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)