Das Neue Leben von Nightowl (Nach dem Erwachen) ================================================================================ Kapitel 2: ~ Zwist ~ -------------------- Der darauffolgende Tag war Kamijo im Nachhinein wie eine halbe Ewigkeit vorgekommen. In den dicken Mauern seines Schlosses verfluchte er die Sonne und ihre Hartnäckigkeit, mit der sie so unerträglich lang am Himmel gestanden hatte. Er konnte einfach nicht seine Wut bändigen und so kam es, dass er allein in einer Halle die alten Rüstungen und Kronleuchter anbrüllte. Tief in seinem Inneren war ihm jedoch klar, dass diese Wut, für die er erstaunlicherweise nicht einmal Yukis und Terus Anwesenheit als ernsthaften Grund nennen konnte, in Wahrheit nur seine Sehnsucht überspielte, die ihn so sehr quälte, dass er es nicht in Worte hätte fassen können. Wo war er nur gerade? Wieso kam er nicht? Das Schicksal konnte jeden Moment zur Tür hereinstürmen und die Dinge ihren Lauf nehmen lassen. Die Zeit saß ihnen allen unbarmherzig im Nacken. Mindestens genauso unbarmherzig war das Gefühl in Kamijos Bauch, das ihn zur Verzweiflung trieb. Als endlich die Nacht hereinbrach und die verhasste Sonne sich hinter die Hügel am Horizont zurückgezogen hatte, hielt es Kamijo keinen Moment länger in den Schlossmauern aus. Er durchschritt von seiner Unruhe getrieben eilig die Eingangshalle – dabei fiel sein Blick auf die Gestalt, die still und einsam auf dem niedrigen Fenstersims kauerte und in die Nacht hinausstarrte. Nach einem Augenblick der Überraschung, in dem Kamijo innehielt und plötzlich alles in ihm zusammenzog, erkannte er zu seiner bitteren Enttäuschung, dass es nur Yuki war. Er atmete schwer und bebend ein, dann musterte er den anderen. Yuki schien ihn nicht bemerkt zu haben, regungslos saß er da im Mondlicht, das sein Haar silbrig schimmern ließ. Einen weiteren kurzen Moment hielt Kamijo inne – dann schritt er geräuschlos weiter, die Treppe empor und durch den leeren Türbogen in den Ballsaal. Mit verschleiertem Blick sah er das zerborstene Fenster, durch das Teru nachts zuvor ins Freie geschnellt war. Ihm entkam ein leises, schwermütiges Seufzen, das von der Größe des Saals verschlungen wurde, dann sprang er anmutig und mit flatterndem Mantel auf den Fenstersims weit oben und verließ die Schlossmauern, indem er der milden, kühlen Nachtluft entgegenrauschte. Er landete auf dem Dach und blickte sich um. Hier oben war ein einziges Labyrinth aus Ästen und Blättern, die sich wie riesige Vorhänge über dem Schloss in der sanften Brise kräuselten. Rings herum sang der Wald ein Lied für ihn. Durch die Zweige bahnten sich einzelne Mondstrahlen ihren Weg und zauberten weiß-schwarze Gemälde auf das Schlossdach. Kamijo hatte nicht geahnt, von welcher Schönheit dies alles war, es war fast, als hätte er durch das Fenster eine andere Welt betreten, die nur hier oben auf dem Dach seines Schlosses existierte. Bei diesem Gedanken machte sich große Trauer in ihm breit ... Trauer darüber, dass er ganz alleine hier war ... dass er nicht zusammen mit der einzigen Person, um die seine Gedanken unaufhörlich kreisten, hier sein konnte ... inmitten dieser wunderschönen Welt ... Als er hinter sich einen verirrten Luftzug spürte, fuhr er erschrocken herum und entblößte seine Fangzähne. Hinter ihm stand Teru, eine in dem Zwielicht eisblau schimmernde Gestalt, und schaute ihn mit großen runden Augen an. Kamijos Hände zitterten verhalten, doch er brachte sie schnell wieder unter Kontrolle. Nachdem er Terus neugierigem, unschuldigem Blick einige Sekunden lang standgehalten hatte, fragte er mit großer Selbstbeherrschung: „Was machst du hier oben?“ In seinen Gedanken fügte er hinzu: Diese Welt gehört mir! Niemand dringt hier unbefugt ein, ich teile sie nur mit ihm allein ... ! „Ich lausche den Erzählungen des nächtlichen Waldes, Herr“, erwiderte Teru mit unveränderter Miene. „Und das solltet Ihr auch tun ... denn die Nachricht, dass wir das Schloss mit unserer Anwesenheit aus seinem Schlaf gerissen haben, verbreitet sich rasch.“ Kamijo hob eine Augenbraue und wusste nicht, was er antworten sollte. Sein Denken drehte sich nur um das eine. Gut, dachte er verbittert, dann wird sie vielleicht auch bis zu ihm getragen, damit er weiß, dass ich hier auf ihn warte. Teru schien genau zu wissen, was seinem Gegenüber durch den Kopf ging. Seine großen, tiefblauen Augen blickten direkt in Kamijos Gedanken. Dieser erschauderte bei der Vorstellung und wandte sich mit einer schnellen Bewegung ab. Er hörte, wie der andere sich ihm mit langsamen Schritten näherte. Doch er bewegte sich nicht. So unheimlich Terus Erscheinung manchmal auch war, Kamijo hatte schon lange vergessen, was es hieß, solche Art von Furcht zu empfinden ... im Moment war in ihm nur Platz für ein einziges Gefühl ... Plötzlich spürte er Terus Atem in seinem Nacken. Ein Beben durchfuhr ihn, doch noch immer rührte er sich nicht. „Euer Schloss hat in all den Jahren nichts von seinem Glanz eingebüßt, Herr“, drang es leise an sein Ohr. Das Atmen fiel Kamijo immer schwerer. Eigentlich hätte er sich umwenden und zurückgehen wollen, doch irgendetwas fesselte ihn und vernebelte seinen Kopf, sodass er nicht einmal zurückweichen konnte. Er fühlte, wie sich Terus Hände von hinten auf seine Schultern legten und langsam auf seine Arme hinunterwanderten und er ihn dann von hinten sanft an sich drückte. Dann legte Teru seinen Kopf sachte von hinten an den von Kamijo und flüsterte: „Vergesst Euren Kummer und genießt diese wunderschöne Nacht ...“. Fast hätte er sich dem hingegeben, fast hätte er Gefallen an dieser scheinbar verhaltenen Zärtlichkeit gefunden, doch da durchzuckte ihn in seiner Taubheit ein jäher, starker Schmerz und holte seinen Verstand zu ihm zurück. Er riss sich von Teru los, schoss von ihm weg und drehte sich kochend vor Wut zu ihm um. „Wie ... kannst ... du ... es ... nur ... wagen?“, brachte er zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen hervor. Und dann brach er in hasserfülltes Geschrei aus: „Wie kannst du nur? Komm mir nicht zu nahe, Unseliger! Wage es nicht, mir noch einmal unter die Augen zu treten!“ Ohne einen Blick zurückzuwerfen sprang er mit einem Rauschen durch das zerbrochene Fenster und verschwand fluchend im Schloss. Mit einem Donnern, das den ganzen Saal erschütterte, landete er auf dem Steinboden und wirbelte den Staub rings herum in die Höhe. Ganz kurz verweilte er in seiner Haltung und fühlte all die Wut, die wie beißende Flammen durch seinen Körper schoss. Er zitterte leicht und sein Atem bebte. Am liebsten würde er Teru zur Hölle wünschen, ihn persönlich auf dem schnellsten Weg dorthin schicken, doch er wusste, dass er dies weder tun konnte, noch tun durfte. Wie konnte er es nur wagen, sich ihm derart zu nähern? Er wusste doch, was dies für Folgen hatte, er sollte es wissen. Sein lautes, plötzliches Knurren hallte durch das ganze Schloss. Mit schnellen, aggressiven Schritten verließ er die Halle und durchstreifte ziellos die verlassenen Gänge, während seine Gedanken noch viel rasender durch seinen Kopf wirbelten. Nun erschauderte er, wenn er an Teru dachte. Er war wütend auf ihn, unsagbar wütend – doch mindestens genauso wütend war er auf sich selbst. Auf seine Schwäche, die er in jenem Moment auf dem Dach gezeigt hatte. Er war stark, sehr stark sogar, dessen war er sich sicher gewesen und dies hatte er auch schon unzählige Male bewiesen. Doch gegen Terus seltsamen Einfluss hatte er sich beim besten Willen nicht wehren können. Und das erschreckte ihn. Gleichzeitig fragte er sich hasserfüllt, wieso um alles in der Welt Teru so etwas tat. Wenn sie schon ihr Schicksal teilten, teilen mussten, warum provozierte er solch einen Streit? Und auch Yukis Gewissen war in dieser Beziehung nicht ganz rein. Zu seinen Seiten zogen verstaubte Kerzenhalter, Gemälde, Spiegel und Rosenranken vorbei, doch all dies beachtete Kamijo in seinem Zorn nicht. Sein edler Mantel war voll mit Fäden von Spinnennetzen, die auf dem schwarzen Stoff schimmerten, doch auch das bemerkte er nicht. Er stürzte durch eine große Tür und fand sich auf einmal im Schlossgarten wieder. Hier war der Thronsaal der Rosen, nach oben zum Himmel hin geöffnet, sie blühten rot und schwarz in der königsblauen Nacht. Für einen kurzen Augenblick ließ dieser Anblick Kamijo seinen Zorn vergessen. Aber wirklich nur für einen kurzen Moment. Er schloss die Augen und atmete tief und bebend ein. Der Duft der Rosen gaukelte ihm vor, als befände sich hier eine andere Welt voller Glück und Sorgenlosigkeit, doch als er die Augen wieder öffnete, sah er durch die Ranken auf die Steine der Wege und Mauern und so trotzte er dieser Illusion. Wo sich einst Bäume prachtvoll in der Brise wiegten und Hecken aus Blüten und Blättern von Schmetterlingen umflattert worden waren, regierten jetzt einzig und allein die Rosen. Es war ein Bild, als wäre die Zeit stehen geblieben, als hätten die Rosen die Zeit mit ihren Ranken gefesselt, sodass sie hier nicht mehr verstreichen konnte. Mit finsterem Blick ging Kamijo durch das Irrgartengeflecht der dornigen Ranken und versank in seine Gedanken. Und da war er wieder, der Schmerz, der ihn seit der vergangenen Nacht nicht mehr losließ, ihn mit eisernem Griff erbarmungslos umklammert hielt. Noch wütender, als auf sich oder auf Teru, war er auf die Tatsache, dass die Person, die ihm am meisten bedeutete, die er am allermeisten begehrte, noch immer nicht hier war. Ein Brennen in seinen Augen sagte ihm, dass Tränen darin standen. Er schluckte schwer. Während er sich immer tiefer in dem Garten verlor, schweiften seine Gedanken zurück in die ferne Vergangenheit, wo sich so viele Dinge ereignet hatten ... ~ ... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)