Der Narr von DKelli ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Das Geräusch ihrer rhythmischen Flügelschläge riss ihn aus seinen Gedanken, die von dem Inhalt seines Buches erfüllt waren. Schon wieder. Konnte sie das nicht wenigstens für ein einziges Mal sein lassen? Er legte das Buch neben sich auf eine Holzbank und ging hinüber zu einem Baum. „Jetzt komm von da oben bitte wieder runter.“ Sie gab keine Antwort, was ihn noch mehr reizte. Und sie wusste das. Bildete er sich jedenfalls ein, schließlich glitzerten ihre Augen so belustigt und ein klein wenig übermutig, aufsässig. Aber er wusste das zu verhindern, schließlich musste er Autorität beweisen und zeigen, wer hier den Ton ansagte! „Gut, ich zähle bis drei, dann bist du hier unten, direkt neben mir, hast du das verstanden?“ Seine Stimme war lauter geworden, mit einer Spur der Verzweiflung, denn er wusste eigentlich überhaupt nicht, wie er diese Situation ändern konnte. „Oder du bekommst eine Woche lang nichts zu essen!“ Um seiner laschen Drohung, von der jeder wusste, dass er sie sowieso nicht einhalten würde, wenigstens ein klein wenig Ernst zu verleihen, stemmte er die Hände in die Hüften. „Also: Eins…!“ Doch sie schien das alles wenig zu interessieren. Sie wackelte vergnügt mit dem Kopf hin und her, sah auf ihn herunter. „Zwei…!“ Mittlerweile hatten sich einige Schaulustige versammelt, denn es war kurz vor sechzehn Uhr. Die erheiterte Schaumenge schien sie zu ermutigen, ihm ihr Hinterteil zu zeigen. Einigen lachten. „Zweieinhalb…!“ Er merkte, dass die Zuschauer sich nicht allgemein vergnügten, sondern vielmehr über ihn lachten. So war es doch, oder? Und das alles nur, weil sie ihn da oben auf dem Baum zum Narren hielt. Was, wenn er nun bei Drei angekommen war und sie immer noch nicht herunter gekommen war? Ein tiefer Seufzer entwich ihm. Heute war einfach nicht sein Tag. „Nun komm schon! Du bekommst auch eine Belohnung!“ War er jetzt schon so verzweifelt, dass er zur Erpressung greifen musste? Anscheinend schon. Er sah auf die Uhr. Schon kurz nach Vier. Verdammt. Die Leute wurden unruhig. Und sie ließ sich von dem Angebot nicht locken. Er benötigte einen Plan. Was, wenn er sie einfach ignorierte? Nein, dann würde er alle Zuschauer enttäuschen. Was, wenn er ihr noch größere Versprechen machte? Nein, sie würde dennoch nicht auf ihn hören, einfach nur um des Spaßes Willen. Er konnte sich doch nicht zum Narren halten lassen! Sie blinzelte und neigte amüsiert den Kopf. Und was für ein Narr er doch war. Das war doch zum verrückt werden! Er war einfach zu unerfahren für diesen Job. „Ich gebe auf, mir fällt nichts mehr ein.“ Resigniert ließ er die Arme fallen. Mit einem Mal kam sie herunter. Glitt lautlos durch die Luft und landete auf seinem linken Unterarm. Verwundert sah er sie an. Die Menge jubelte. „Du… hast dich anders entschieden?“ Er trat in die Mitte der Tieranlage und ließ die Falkendame fliegen, während die Menge begeistert applaudierte und er ihr einen kleinen Fisch zuwarf, den sie galant im Flug auffing. Niemand beachtete das leicht verstaubte Lehrbuch des Zoos, welches auf der Holzbank zurückgelassen wurde. Es war ein Handbuch über die Falkenzucht. Diverse Seiten waren markiert – sie waren anscheinend schon gelesen worden. Mit dem Gesicht nach unten lagen die Seiten 256 und 257, wovon nur die Überschrift markiert war: Das Kapitel über Befehle, die jedem Falken beigebracht wurden. Präsentieren Sie ihren Arm mit dem Armschutz dem Falken, vorzugsweise mit einem kleinen Köder in Ihrer Hand. Ist das Tier auf Ihrem Arm gelandet, belohnen Sie es. Es ist wie bei Hunden: Nur ständiges Training mit anschließender Belohnung führt zu einem Lernerfolg. Ist der Falke dressiert, wird er diesen Befehl mit einem Futterangebot verbinden und auch bei nicht vorhandener Belohnung diesem Befehl folgen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)