Deutschland. Nichts geht mehr. von Phillia (Aus glücklichen Familien besteht das Wohl des Staates.) ================================================================================ Der gute Stern auf allen Straßen -------------------------------- Nach einigen Stunden flatterte ein Bild, datiert auf 13 Uhr mittags, in den Posteingang von Bayerns schickem, blauweißem Laptop. Es zeigte einen quicklebendigen Brandenburg, der neben einer alten Eiche stand und in den Himmel starrrte und allgemein nicht sehr tot aussah. Außerdem hatte er noch all seine Finger. Zenzie war nicht sehr erfreut. Er lebte also noch. Baden und Württemberg hatten versagt, und warum sollten sie versagen? Sie waren weltbekannt, nicht zu versagen. Sie hatten absichtlich versagt. Bayern hatte schon immer vermutet, dass irgendetwas nicht stimmte, aber dieses Bild von Brandenburg, der noch lebte; das Wissen darum, dass Baden-Württemberg sie angelogen hatten, das Wissen, dass man den beiden nicht vertrauen konnte, und die Vermutung, dass sie als nächstes Opfer Zenzie höchstselbst ausgesucht hatten... nun, gelinde ausgedrückt, war sie nicht sehr erfreut über all diese Informationen. Angestrengt diskutierte sie diese neue Sachlage mit Hessen und Rheinland-Pfalz; Saarland war gerade zuhause und beschäftigte sich mit ihren Geschäften. Als dann auch Thüringen mitteilte, dass er versagt hatte, riss ihr Geduldsfaden vollständig und sie fing an, ihn durch das Telefon anzubrüllen. Nachdem Hessen freundlicherweise aufgelegt hatte, stützte sie die Arme auf dem edlen Tisch auf und vergrub ihre Gesicht frustriert in den Handflächen. Rheinland-Pfalz sagte etwas, aber Bayern hörte nicht zu. Alles ging den Bach hinunter. Aber sie hatte ihrer Großmutter versprochen, dass sie Dominus Tecum – ein Name so ironisch wie spöttisch – noch weiter bringen würde, als all ihre Vorfahren vor ihnen. Sie durfte sich nicht von diesen marginalen, kleinen Rückschlägen beirren lassen. Wenn man sie töten wollte, dann würde sie eben Baden-Württemberg zuvorkommen und eher die beiden töten. Und was Thüringen anging... der würde sich schon wieder einkriegen, der kriegte sich immer wieder ein. Thüringen explodierte ein einziges Mal, dann war eine Weile lang Ruhe. Zenzie erläuterte ihren beiden Gefährten den Plan und rief Saarland aus ihrer Heimat zurück. Sie brauchte jetzt alle aus ihrem engeren Kreis, die ihr loyal waren. Niemand sollte jemals Menschen unterschätzen, die sich ihren Unterhalt damit verdienten, andere Menschen zu töten. Rheinland-Pfalz warf die Idee ein, dass man Brandenburg auf die beiden ansetzen könnte, und mit etwas Glück würden sie sich alle drei gegenseitig ausschalten. Bayern nickte. Hervorragend. Sie wählte Brandenburgs Nummer. - Eine Autobahnraststätte irgendwo in der Nähe von Nürnberg diente als Besprechungszentrale am frühen Abend. Eben noch waren Max und Lukas kurzzeitig nach Stuttgart zurückgekehrt (während Max in der Königsstraße einige Statuen getreten und wütend das Straßburger Emblem betrachtet hatte und Lukas einfach nur fröhlich pfeifend gewartet hatte, während sein Partner beschäftigt gewesen war) und sie hatten sich schon auf den Weg nach Sachsen gemacht, um dort einen anderen, nicht ganz so wichtigen Auftrag zu erledigen, da hatte sie ein ebenso unwichtiger Informant angerufen. Auch die beiden Attentäter waren also nicht ganz von der Außenwelt abgeschnitten, auch sie waren schon im Bilde, dass Brandenburg noch am Leben war – dass sie versagt hatten. Und im Gegensatz zu anderen versuchten sie nicht, die Schuld von sich zu schieben. Es war der erste Misserfolg ihrer Profikarriere, und das schmeckte beiden nicht sehr gut. Als Kinder waren sie oftmals durch den Schwarzwald gestreift und hatten kleine Tiere, Eichhörnchen, Marder oder Mäuse – alles, was sie in die Finger bekommen hatten – gefangen, manchmal wieder freigelassen aber meistens getötet. Die Eltern der beiden, ein altes Ehepaar, das keine eigenen Kinder hatte bekommen können und die beiden separat adoptiert hatten, hatten sich nicht darum gekümmert, was die beiden taten, wenn sie auf ihren Abenteuern im Wald unterwegs waren. In dieser Zeit waren beide auf den Geschmack von Macht gekommen, die sie über die hilflosen Tiere gehabt hatten, und nachdem ihre Adoptiveltern gestorben waren, hatten die beiden getrennte Wege eingeschlagen. Maximilian war Mitglied einer Jugendgang geworden, die den Umsturz des bestehenden Systems gefordert hatte, und Lukas hatte eine Lehrstelle bei der Polizei erhalten. Beide waren also mit Gewalt und teils auch Tod in Berührung geblieben. Erst, als sie beide offiziell volljährig gewesen waren, war die jüngere Schwester ihrer Adoptivmutter auf sie zu gekommen – die Mutter Zenzies, und sie hatte den beiden eine lukrative Anstellung in der Firma ihrer Tochter versprochen. Seit damals mordeten die beiden für Zenzies Familie, auch, als Zenzies Mutter – Franziska – verstorben war, und seit damals hatte Max Probleme damit gehabt, Befehle zu befolgen. Lukas hatte als Mittagessen für beide eine Portion Spätzle mit Gemüse besorgt und stellte die Teller vorsichtig auf den kleinen, dreckigen Tisch. Außerdem hatte er noch etwas Geld für ein kleines Schokocroissant ausgegeben, das friedlich in die Mitte gelegt wurde, damit sie es fair würden teilen können. Demotiviert stocherte Max in dem Fraß herum mit dem Plastikbesteck, das beilag, ehe er sich seufzend daran machte, es zu essen – lieber den Magen verrenken als dem Wirt was schenken. „Ich wette, Bayern murkst uns ab, wenn wir zurückkommen.“ Seine Stimme war düster. Württemberg sah ihn nur mit einem naiven Lächeln an. „Warum sollte sie das tun?“ Baden rollte mit den Augen. Allein diese Stimme zu hören, machte ihn wütend, und er wusste bis heute nicht genau, warum er so heftig auf alles reagierte, was Lukas tat. „Alla Mensch, das muss doch aussehen, als hätten wir uns ihr widersetzt!“ Die Spätzle sahen ihn aus matschigen Augen traurig an. „Als hätten wir irgendwem den kleinen Finger abgeschnitten und ihn ihr gegeben, weil wir wollen, dass Brandenburg am Leben bleibt oder so! Das ist Verrat, Lukas, und...“ Er hob beide Augenbrauen, und als er weitersprach, sprach er mit vollem Mund. „... und das gefällt ihr ned. Die hat mich eh voll auf'm Kieker.“ Er rollte mit den Augen. „Berechtigt.“ Als Antwort erhielt er ein nachdenkliches Nicken. „Dann ist es jetzt Zeit für den Plan.“ Augenblicklich erhellte sich Max' Gesicht. „Ernsthaft? Saugeil!“ Der Plan besagte natürlich, dass sie Bayern töten würden und sich selbst als neue Paten installieren würden. Sollte sich irgendjemand beschweren – hauptsächlich ging die Gefahr von Rheinland-Pfalz und Saarland aus – dann würden diese eben auch ins Gras beißen müssen. Irgendwie musste es schließlich zum Vorteil sein, professioneller Attentäter zu sein. Ein Grinsen schlich sich auf sein Gesicht. Er hatte schon so lang darauf gewartet, dass Württemberg endlich auch zustimmen würde. Ohne ihn konnte er das einfach nicht durchführen. So sehr es auch schmerzte, das zuzugeben – ohne Württemberg war er verloren, in jeder möglichen Hinsicht. Badens altes Handy klingelte, und als er abnahm, hörte er überraschenderweise Thüringens Stimme. Während er nicht hinsah, stibitzte Lukas ein paar Spätzle von seinem Teller. Jedes Wort aus dem Mund des Thüringers ließ das Grinsen auf seinem Gesicht breiter werden, und als er auflegte, sah er Württemberg aus manisch leuchtenden Augen an. „Thüringen macht mit beim Plan. Ich hab's nicht genau verstanden, aber er hat genug von diesem 'katholischen Blödfön', wie er Bayern genannt hat.“ Lukas lächelte amüsiert. Blödfön... diese Ossis waren schon lustig, da waren sich beide einig. Ein Blick aus hellen blauen Augen traf auf dunkle blaue Augen. Wieder einmal war man sich einig, wieder einmal wusste Baden nicht, warum er das ständig negierte – wieder einmal wandte er hastig den Blick ab und fing an, die restlichen Spätzle auf seine Gabel zu stapeln. „Es muss wie ein Unfall aussehen.“ teilte Lukas ihm mit; Max rollte mit den Augen und kramte in seinem schwarzen Anzug herum, ehe er ein zusammengerolltes Stück Papier fand und wieder mit vollem Mund sprach, nachdem er es unsanft in Richtung seines Gegenübers geworfen hatte. „Das haben wir doch schon seit Jahren geplant.“ „Ach richtig...“ Konzentriert studierte Württemberg den Plan, während Baden anfing, seine Intelligenz zu beleidigen, bis der andere fertig war. Er sah ihn optimistisch an. „Morgen um die Zeit ist Dominus Tecum dann schwäbisch.“ „Badisch!“ bekam er als gefauchte Antwort. „Beides.“ Lukas lehnte sich zurück, und Max blickte die Fliesen der Raststätte an. Sein Nicken war kaum zu sehen, aber sein Partner sah es auch mit geschlossenen Augen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)