Wolfsjagd von Lea ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Der Herbst neigte sich dem Ende zu. Die meisten Bäume hatten bereits ihr Blätterdach abgeworfen, während die Sträucher noch ihr braunes Kleid trugen. Ruhe lag auf dem Wald. Alles bereitete sich auf den nahenden Winter vor. Einige Tiere hatten sich bereits in den erholsamen Schlaf gelegt, bevor die Temperatur auf den Gefrierpunkt zu sinken begann. Das Laub raschelte leise, als Marien durch den Wald schlich. Ihren Speer hielt sie mit beiden Händen, bereit, jederzeit in einen Kampf verwickelt zu werden. All ihre Nerven waren vor Aufregung angespannt. Sie war nervös. Hinter jedem Baum konnte die Bestie auf sie lauern und unerwartet anspringen. Jedes auch noch so leise Knacken ließ die junge Frau herumfahren. Irgendetwas war in der Nähe, das konnte sie förmlich spüren. Marien zog sich ihre Kapuze tiefer ins Gesicht und richtete sich ihren Schal, indem sie ihn erneut um ihren Hals wickelte. Obwohl der Winter noch nicht herein gebrochen war, lag an manchen Stellen des Waldes bereits Schnee, welcher in den Schatten der Bäume den wärmenden Sonnenstrahlen entging. Leise knirschte er unter ihren Stiefel, als sie hinein stieg. Erneut ließ sie ein Geräusch im Unterholz herumfahren. Angespannt starrte sie auf einen Busch, welcher sich nur leicht bewegte. Marien hob ihren Speer an, sodass die Spitze auf die Mitte des Strauches deutete. Gerade als sie zustechen wollte, sprang ein kleines Kaninchen heraus und suchte eiligst das Weite. Mit einem erleichterten Seufzen ließ sie den Speer sinken und wandte sich um, um ihren Weg fortzusetzen. Sie hielt in ihrer Bewegung inne, als sie ihren Blick geradeaus gerichtet hatte. Da stand er. Wie eine monströse Statue stand der riesige Wolf vor ihr. Regungslos verharrte dieser auf seinem Platz. Sein schwarzes Fell bewegte sich leicht im Wind, während seine blauen Augen Marien unentwegt anstarrten. Langsam hob sie ihre Waffe an und nahm eine defensive Stellung ein. Auch sie richtete ihre volle Aufmerksamkeit auf ihr Gegenüber. Seit Tagen suchte sie dieses Untier bereits und nun, da es vor ihr stand, wünschte sie sich, sie könnte weglaufen. Der Wolf war viel größer als sie ihn sich vorgestellt hatte. Marien hatte schon an seinen Spuren erkannt, dass er kaum die gleiche Statur haben konnte, wie seine Artgenossen, aber dass die Unterschiede so gravierend waren, hätte sie sich nicht gedacht. Doch nun gab es kein Zurück mehr. Sie musste zu Ende bringen, was sie mit ihrem Aufbruch aus dem Dorf begonnen hatte. Ein leises Knurren war zu vernehmen, als der Wolf seinen Kopf etwas herabsenkte. Er legte seine Ohren an, während er seine Zähne fletschte. Sein Fell stellte sich auf, was ihn noch größer wirken ließ. Das Knurren wurde lauter, als er schließlich begann einen Kreis um Marien zu beschreiben, welche zusehends mit ihrer Angst zu kämpfen hatte. Sie versuchte Ruhe zu bewahren, während sie sich mit kleinen Schritten immer wieder neu ausrichten musste, um den Wolf immer vor sich zu haben und ihm damit keine Möglichkeit für einen Angriff zu geben. Plötzlich ertönte ein lautes metallenes Klacken. Marien musste einen Schmerzenschrei unterdrücken, als sich das kalte Eisen in ihr linkes Bein fraß. Schockiert blickte sie an sich herab und erkannte eine Bärenfalle, deren spitze Zähne sich in ihr Fleisch bohrten. Diesen Moment der Unachtsamkeit nutzte der Wolf für seinen Angriff und sprang sie an. Marien konnte mit ihrem Speer gerade noch verhindern, dass er ihr in die Kehle biss. Doch die Wucht des Aufpralls schleuderte sie zu Boden. Schmerzlich stöhnend erreicht sie diesen, als die Pranken des Wolfes ihr die Luft aus den Lungen drückten. Panisch blickte sie in die blauen Augen der Bestie über sich, welche sie allein durch ihr Gewicht am Boden festnagelte. In ihren Ohren hörte sie das Blut rauschen, welches alle anderen Geräusche um sie herum verstummen ließ. Sie spürte keinen Schmerz mehr, aber ihr Kopf fühlte sich eigenartig an. Sah sie der Wolf erstaunt an?, fragte sich Marien, als sie das Ungetüm über sich betrachtete. Er hatte aufgehört seine Zähne zu fletschen und seine Ohren aufgestellt. Die Schwärze seines Fells schien sich über alles auszubreiten, bis sie nur noch Dunkelheit und die beiden Saphire sah. Doch schließlich verschwanden auch diese. Als Marien ihre Augen aufschlug, konnte sie zuerst nur eine Lichtquelle wahrnehmen. Alles um sie herum war verschwommen. Nur langsam wurden die Konturen scharf und das Bild klarer. Sie erkannte eine Gestalt am Feuer, welche ihr den Rücken zukehrte. Ein buschiger Schwanz ging von ihr weg und dunkles Fell hüllte sie ein. Ein kalter Schauer durchlief Marien, als sie den Wolf dort sitzen sah. Doch wie es schien hatte er sie noch nicht bemerkt. Die junge Frau wollte sich aufrichten, aber ihr ganzer Körper schien sich keinen Finger breit bewegen zu können. Sie spürte, dass irgendetwas ihre Gelenke im Zaum hielt. Ein leises Scharren erfüllte die Höhle, als Marien versuchte sich zu befreien. Blaue Augen sahen sie an, als sich der Wolf plötzlich zu ihr umwandte. Starr vor Angst hielt Marien in ihrer Bewegung inne. "Du bist wach?", ertönte eine erstaunte männliche Stimme. Die Gestalt am Feuer erhob sich und die junge Frau musste erkennen, dass ihr ihre Augen einen Streich gespielt hatten. Kein Wolf, sondern ein Mann in einem Fellumhang, hatte am Feuer gesessen. Langsam trat er auf sie zu und ging neben ihr in die Knie. "Sch. Bleib ruhig. Ich werde dir nichts tun! Ich habe dich bewusstlos im Wald gefunden. Du warst in einer Falle gefangen und hattest eine üble Wunde am Hinterkopf. Deswegen habe ich dich angebunden, damit du dich nicht selbst im Schlaf verletzt", erklärte er mit einer sanften Stimme, während er ihre Fesseln löste und ihr in eine sitzende Haltung half. Immer noch war Marien etwas benommen, weswegen der Mann sie weiterhin festhielt. Sie brauchte einige Zeit, ehe sie begriff was er ihr damit sagen wollte. Eines war jedoch merkwürdig. Wohin war der Wolf verschwunden? Sie konnte sich noch genau daran erinnern, dass er sich auf sie gestürzt hatte und sie dadurch wohl das Bewusstsein verloren hatte. Wieso aber lebte sie noch? Die Bestie hatte genug Zeit sie zu töten, soweit sie es aber beurteilen konnte, hatte sie sonst keinerlei Wunden davon getragen. "Wolf?", kam es schwach aus ihrem Mund. "Wolf? Ich habe keinen Wolf gesehen, es gab aber eine Menge Spuren. Du kannst von Glück reden, dass du noch lebst. So wie die Dinger ausgesehen haben, muss das Viech ja riesig gewesen sein! Möchtest du etwas trinken?" Marien konnte nicht einschätzen wie alt ihr Gegenüber war. Durch die Dunkelheit und das spärliche Licht des Feuers war es schwierig etwas zu erkennen, auch seine Stimme ließ keinerlei Vermutung zu. Trotzdem klang sie angenehm und strahlte eine gewisse Ruhe aus. Marien wollte auf seine Frage als Antwort den Kopf schütteln, aber irgendwie war es ihr viel zu anstrengend, weswegen sie nur ein leises "Nein" über ihre Lippen brachte. Viel mehr bekam sie danach nicht mehr mit, weil ihr ihre Augenlider schwer wurden und sich abermals völlige Dunkelheit über sie legte. „Na, weilst du wieder unter den Lebenden?“, fragte eine ihr vertraute Stimme, als sie erneut aufwachte. Marien fühlte sich matt, aber nicht länger müde. Sie spürte wie sie in eine sitzende Position gehoben wurde, ehe sie die Augen aufschlug und ihren Helfer ansah. „Hier, iss das, damit du wieder zu Kräften kommst“, sprach der Mann und hielt ihr eine kleine Holzschüssel an den Mund. Eine eigenartige zähflüssige Substanz von unbestimmbarer Farbe benetzte ihre Lippen. Vorsichtig machte Marien einige Schlucke daraus und verzog angewidert das Gesicht. Was auch immer darin war, es schmeckte furchtbar. Der Fremde lachte jedoch. „Ich weiß, es ist grauslich. Trotzdem musst du es zu dir nehmen, wenn du wieder gesund werden willst.“ Er zwang sie weiter zu trinken, achtete aber darauf, dass sie sich nicht verschluckte, während er weiter erzählte. „Deine Wunde hat sich entzündet und du hast Fieber bekommen. Eine Woche lang hast du fast nur geschlafen.“ Nachdem Marien die Schüssel geleert hatte, legte er sie wieder nieder. Da sie jedoch nicht müde war, beobachtete sie den Fremden. Er war hoch gewachsen und hatte einen muskulösen Körperbau, was ihn wie einen Krieger aussehen ließ. Seine Kleidung jedoch wies ihn als Rumtreiber aus. Ein Drei-Tage-Bart verdeckte einen Teil seines Gesichts, welches von unzähligen Narben gezeichnet war. Marien wusste nicht wirklich was es war, aber irgendetwas an ihm zog sie magisch an. Als er ins Sonnenlicht trat, strahlten seine blauen Augen regelrecht und ihr fiel das erste Mal auf, dass es bereits später Morgen war. Es dauerte noch einen halben Tag bis Marien wieder genug Kraft gesammelt hatte, um sich selbst aufzusetzen. Sie beobachtete ihn, während er das Abendessen zubereitete. „Wie lautet Euer Name?“, fragte sie und ihre Stimme war nur ein heiseres Krächzen. „Ileyf“, antwortete er und wandte seinen Blick zu ihr. Ein sanftes Lächeln umspielte seine Lippen, als er hinzufügte: „Lass bitte die Höflichkeiten. Wir sind hier unter uns und ich lege nicht besonders viel Wert auf diese… vorgespielten Freundlichkeiten.“ Sie nickte zustimmend. „Ich bin-„ „Marien. Ich weiß. Während du Fieber hattest, habe ich mich mit dir unterhalten, aber wie es scheint kannst du dich an nichts mehr erinnern.“ Sie hatte den Eindruck, dass Ileyf ein wenig traurig darüber war. Was hatte sie ihm wohl alles erzählt? „Sei mir nicht böse, wenn ich das jetzt frage, aber… was macht ein kleines Mädchen, wie du, allein im Wald?“, wollte er schließlich wissen und sah erneut von seiner Arbeit auf. „Ich bin wesentlich älter als ich aussehe“, gab sie etwas beleidigt zurück. „Ich habe bereits das 22. Lebensjahr vollendet.“ Ileyf musterte sie daraufhin verblüfft. „Dann bist du ja nur zwei Jahre jünger als ich! Tut mir Leid, aber ich hatte dich um sieben Jahre jünger geschätzt.“ „Ja, das tun die meisten.“ „Und was tust du hier allein im Wald?“, fragte er erneut, nach einer kurzen Pause. „Ich bin auf der Jagd.“ Ileyf schmunzelte. „Und was jagst du?“ „Einen Menschenfresser“, antwortete sie und blieb vollkommen ernst, schließlich meinte sie alles so wie sie es sagte. „Ich glaube nicht, dass es in diesen Wäldern Menschenfresser gibt.“ „Doch. Es handelt sich um einen Wolf.“ Marien konnte genau sehen, wie ihm sein Grinsen gefror und er sie nun ebenfalls ernst anblickte. „Wölfe töten keine Menschen, das liegt nicht in ihrer Natur. Sie sind viel zu scheu.“ „Wölfe sind auch Rudeltiere… Dieser ist anders. Er ist allein und er mordet. Er hat bereits die Hälfte unseres Viehs gerissen, aber die Kadaver halb angefressen zurück gelassen. Solange er uns in Ruhe gelassen hat, haben wir es ihm durch gehen lassen. Aber er schreckt auch vor Menschen nicht zurück!“ Mit jedem Wort war Marien lauter geworden. Dass sie bis vor kurzen noch nicht einmal die Kraft hatte zu sprechen, konnte man nun nicht mehr vermuten. Den jungen Mann ließ dieser Gefühlsausbruch jedoch vollkommen kalt. Er musterte sie ruhig. Marien spürte regelrecht wie sein Blick sie durchdrang und er in ihr Innerstes zu sehen schien. „Was hat dir dieses Tier angetan?“ Für ihn war mittlerweile klar, dass sie einen triftigen Grund haben musste, warum sie dieses Wesen unbedingt tot sehen wollte. „Er… hat meinen Vater getötet“, antwortete sie nach einigem Zögern und machte sich schon auf seine nächsten Worte gefasst. Bestimmt würde er ihr jetzt sein Mitleid aussprechen und behaupten, dass es unter diesen Umständen verständlich ist, was sie vorhatte. Doch statt gleich etwas zu erwidern, sah er sie ausdruckslos an. „Dann sind es Hass und Rache, die dich antreiben?“ Damit hatte Marien nicht gerechnet. Sie musste kurz über seine Worte nachdenken und begriff, dass er recht hatte. Diese Gefühle hatten sie veranlasst allein zur Jagd aufzubrechen und nicht die Tatsache, dass noch andere Menschen in Gefahr sein könnten. Sie wusste nicht, ob es Stolz oder Feigheit war, was sie schweigen ließ. Er hatte sie durchschaut, ohne dass sie sich selbst darüber bewusst war, und dafür schämte sie sich. „Tut mir Leid, ich hätte das nicht sagen sollen“, entschuldigte sich Ileyf und wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Zubereitung des Essens zu. Eine drückende Stille lag über ihnen, bis sich Marien doch ein Herz fasste und zugab: „Du hast recht. Es… Trotzdem ist dieser Wolf gefährlich! Wer weiß, wen er noch anfällt?!“ „Dich hat er doch auch angefallen! Und trotzdem hast du keine Wunde, die davon zeugt, dass ein Wolf dich angefallen hat!“, wand der junge Mann ein. Er hatte sich um ihre Verletzungen gekümmert und nur weil sie es ihm erzählt hatte, wusste er was passiert war. Diese Aussage stimmte Marien nachdenklich. Wieso hatte sie der Wolf nicht zerfleischt? Er hatte es geschafft sie zu Boden zu ringen und nachdem sie das Bewusstsein verloren hatte, war sie ihm schutzlos ausgeliefert. Trotzdem hatte er ihr nichts angetan. Sie erinnerte sich an die Tiere, die er gerissen hatte, auch dort gab es keinerlei Muster dem er gefolgt war. Wählte der Wolf seine Opfer willkürlich aus? Hatte er vielleicht Freude am Töten, so wie einige Menschen? „Wer in deinem Dorf ist für das Legen der Fallen zuständig?“ Mit dieser Frage riss Ileyf Marien aus ihren Gedanken. „Was für Fallen?“, gab sie irritiert zurück. „Die, in die du hinein getreten bist, zum Beispiel.“ „Wir legen solche Fallen nicht! Diese Art der Jagd ist feige und grausam. Die einzigen Fallen, die wir verwenden, sind solche in denen Kaninchen in Käfigen gefangen werden, damit wir sie für unsere Zucht verwenden können. Ich weiß nicht wer… Vielleicht waren es die Jäger!“ „Was für Jäger?“ „Sie sind vor einigen Wochen in unser Dorf gekommen, um dort Unterkunft während der Schlechtwetter-Tage zu bekommen. Sie sagten, sie seien dem Untier auf den Fersen, das unser Vieh angegriffen hat. Aber sie hatten keinerlei Dinge bei sich, welche nicht unseren Ansichten entsprochen hätten. Sie müssen es aber gewesen sein! Niemand in unserer Gegend würde es wagen so etwas zu machen!“ „Wie sahen sie aus?“ Diese Frage machte Marien stutzig. „Wieso willst du das wissen?“ Ileyf druckste ein wenig herum, bis er sie schließlich ernst ansah. „Lass es mich so formulieren: Ich habe keine weiße Weste und daher ziehe ich es vor, einigen Leuten aus dem Weg zu gehen.“ Marien wusste nicht so recht, was sie von seinem Geständnis halten sollte. Es gab viele verschiedene Gründe was er angestellt haben könnte, weswegen er von bestimmten Personen Abstand halten sollte. „Was hast du getan?“, machte sie schließlich ihren Gedanken Luft. Abermals ließ sich Ileyf mit seiner Antwort Zeit, so als suchte er nach den richtigen Worten. „Ich habe getötet.“ „Wieso? Und wen?“ „Zwei Jäger… Ich habe eine ihrer Bärenfallen zerstört und deswegen haben sie mich angegriffen. Und als ich mich verteidigte…“ Er wandte seinen Blick von ihr ab und stocherte etwas mit dem Stecken auf das Fleisch über dem Feuer ein. Marien wusste nicht was sie darauf entgegnen sollte. Es war Notwehr gewesen, trotzdem änderte es nichts an der Tatsache, dass er jemanden umgebracht hatte. Erneut hüllte sie Schweigen ein. Erst als das Essen fertig war und Ileyf das gegrillte Fleisch in Streifen schnitt und ihr einen Teller reichte, wurde die Stille gebrochen. „Hier. Ich hoffe es schmeckt dir, ich habe noch ein paar Kräuter hinzugefügt.“ Die junge Frau roch zuerst an ihrem Gericht, ehe sie vorsichtig ein Stück in den Mund schob. Sie kaute einige Zeit darauf herum, bevor sie antwortete: „Es ist gut. Für mich ungewohnt, aber gut.“ Ileyf nickte und aß seinen Teil. „Du bist nicht von hier, oder?“ Marien wollte verhindern, dass erneut eine unangenehme Stille zwischen ihnen herrschte. „Wie kommst du da drauf?“ „Deine blonden Haare, die blauen Augen und dein Gesicht. Hier in der Gegend sehen die Leute nicht so aus. Wir haben dunkle Haare und braune Augen.“ „Ja, das stimmt. Ich komme aus einem Land weit im Norden. Dort haben alle blaue Augen, sogar die Tiere.“ „Der Wolf hatte auch blaue Augen“, überlegte Marien laut. Ein Gedanke schien den anderen zu jagen, während sie über eine Verbindung der beiden nachdachte. Es waren viel zu viele Zufälle. Der Wolf, die Jäger und Ileyf waren alle in kürzester Zeit aufgetaucht, so als wäre einer dem anderen gefolgt. „Vielleicht kommt er auch aus meiner Heimat“, meinte er und beobachtete den Höhleneingang. Da fiel Marien etwas auf. „Wieso bist du hier?“ „Ich bin nur auf der Durchreise und wollte den Winter über in dieser Höhle bleiben. Im Freien zu schlafen ist bei der Kälte nicht besonders angenehm.“ „Wieso kommst du dann nicht in mein Dorf? Du kannst bei mir bleiben!“ Sobald ihr Bein belastbar und ihre Kräfte wieder hergestellt waren, würde sie zurück müssen. Da ihr Vater nun nicht mehr unter den Lebenden weilte, gab es genug Platz für sie beide. Ileyf würde dadurch eine warme Behausung haben und sie müsste nicht länger alleine sein. Es bereitete ihr zwar etwas Unbehagen einen fast völlig Fremden in ihr Haus aufzunehmen, aber wenn er ihr etwas antun hätte wollen, hätte er schon längst tun können, schließlich hatte er genug Gelegenheiten dafür gehabt. Die Dorfgemeinschaft könnte das einzige Problem darstellen, aber es war schließlich ihr Haus, dass sie teilte und wenn es sein musste auch ihre Essensration. „Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist…“ „Wieso nicht?“ „Ich bin nicht so gerne unter vielen Menschen.“ „Das ist kein Problem. Ich bin als Waise ein Außenseiter. Also nicht weil ich eine Waise bin, sondern aufgrund meiner familiären Situation.“ Ileyf blickte sie daraufhin fragend an. „Meine Mutter stammte aus einem anderen Dorf und sie hatte nicht dieselbe Religion wie die Leute meines Dorfes. Meine Eltern haben mir nie etwas darüber beigebracht oder mich gezwungen eine von beiden Glaubensrichtungen anzunehmen. Ich glaube nicht an die Götter, die mein Volk verehrt und deswegen kann man mich nicht leiden. Dadurch das mein Vater aber ein angesehenes Mitglied der Dorfgemeinschaft war, konnte mir nichts passieren. Doch jetzt wo er von dem Wolf getötet worden ist, sieht man in mir die Schuldige.“ „Weil du an etwas anderes glaubst und dadurch das Unheil angezogen hast?“ Marien nickte zustimmend. „Aber es ist mir egal. Ich gehe meinen eigenen Weg, so wie ich es immer getan habe!“ „Auch wenn du dabei in Fallen trittst!“, fügte Ileyf scherzhaft hinzu und sie beide mussten lachen. Es dauerte etwas bis sie sich wieder beruhigt hatten. „Es wäre mir eine Ehre, wenn ich bei dir überwintern könnte“, sprach der Nordmann förmlich und feierlich zugleich. Marien lächelte und nickte ihm zu. Es dauerte noch zwei weitere Tage bis Marien genug Kraft gesammelt hatte, sodass sie den Heimweg antreten konnte. Am Morgen des Reisetages packten die beiden ihre Sachen zusammen. „Lässt du das alles zurück?“, fragte die junge Frau erstaunt, als sie bemerkte, dass Ileyf nur ein kleines Bündel füllte, ein Großteil der Höhle aber noch voll geräumt war. „Ja. Die Sachen gehören mir nicht. Ich habe sie hier gefunden als ich den Eingang entdeckte. Es hatte jedoch nicht den Anschein, als würde hier bald jemand zurück kommen“, erklärte er und schnürte das wenige zusammen, das er wirklich besaß. Schließlich machten sie sich auf den Weg ins Dorf. Ileyf hatte es gesehen, als er die Umgebung erkundet hatte und wusste daher in welche Richtung sie mussten. Als sie durch das Unterholz schritten, hörten sie ein merkwürdiges Geräusch. Neugierig, aber auf Gefahr achtend, näherten sie sich diesem und gelangten schließlich auf eine Lichtung. Dort fanden sie auch den Ursprung der eigenartigen Laute. Ein Fuchs hatte sich in einer Drahtschlinge verfangen. Energisch versuchte er sich aus dieser zu befreien, doch es wollte ihm nicht gelingen. Durch seine Bemühungen hatte sich die Falle immer fester zugezogen und schnitt gereits in sein Bein. Doch auch aus seinem Maul rann Blut, welches aus den offenen Wunden seines Zahnfleisches drang. Marien konnte nur vermuten, dass er versucht hatte, das dünne Drahtseil zu durchbeißen. Langsam schritt sie auf das verängstige Tier zu, als Ileyf sie zurückhielt. "Was hast du vor?" "Ich werde ihn da raus holen!", sagte sie bestimmt, riss sich von ihm los und ging weiter. Mit einem fauchend Geräusch versuchte der Fuchs Marien zu beißen, doch sie konterte den Angriff geschickt und bekam seine Schnauze mir ihrer Hand zu fassen. Obwohl diese Tiere einiges an Kraft besaßen, so galt dies nur für Maul schließende Bewegungen. Die Muskeln, die er benötigte um seine Kiefer auseinander zu zwingen, reichten nicht aus um gegen Mariens festen Griff zu bestehen. Doch einen Augenblick später ließ sie ihn wieder los, da sie sein Bein bereits aus der Falle befreit hatte. Das kleine Wesen suchte sofort das Weite. "Du brauchst eindeutig einen Beschützer, sonst rennst du von einer Gefahr in die nächste!", meinte Ileyf und zog eine Grimasse. Marien zuckte jedoch mit den Schultern. "Dann pass du doch auf mich auf!" "Ich glaube, dafür habe ich nicht genug Augen und Ohren", seufzte er und fuhr plötzlich herum, als er ein verdächtiges Knacken hörte. „Du bist also derjenige, der unsere Fallen zerstört!“, ertönte eine erboste Stimme und einige Männer traten hinter Bäumen hervor. Marien erkannte sie als die Jäger, welche die Leiche ihres Vaters gefunden und ins Dorf zurück gebracht hatten. Die Männer waren bewaffnet und einige von ihnen hatten diese bereits gezogen und eine angriffslustige Haltung eingenommen. „Es ist verboten solche Dinge aufzustellen“, gab die junge Frau zurück und ließ sich von der Überzahl ihrer Gegner nicht einschüchtern, zumindest nicht äußerlich. Ihr war wohl bewusst, dass sie zu zweit, sofern ihr Ileyf beistehen würde, keine Chance gegen diese Übermacht hatten. „Ach? Und wer soll es uns verbieten?“, erwiderte ein Mann, welcher eine lange Narbe hatte, die beim Ohr begann und seinen Hals hinab lief, bis sie schließlich im Kragen verschwand. Marien zog die Luft in die Lungen nahm etwas Haltung an um zu zeigen, dass sie sich von ihnen nicht einschüchtern lassen würde. „Dieses Gebiet gehört meinen Dorf und hier gelten unsere Gesetze! Es ist Tierquälerei solche Gerätschaften zu verwenden!“ „Sehen wir so aus, als kümmerte es uns, was diese Viecher empfinden?“ Als ob dies ein geheimes Zeichen gewesen wäre, schienen sich plötzlich alle Jäger bereit für einen Kampf zu machen. Auch Marien nahm ihren Speer fester in die Hände und eine defensive Haltung ein. „Hey, ist das nicht die Kleine von diesem Dorftrottel?“, platzte es plötzlich aus einem der Jäger heraus. Nun richteten sich wirklich alle Augenpaare auf Marien und musterten sie eingehend. „Du hast recht!“ „Ja, sie ist es!“ Ein ungutes Gefühl machte sich im Bauch der jungen Frau bemerkbar. Auch wenn es noch niemand ausgesprochen hatte, so konnte Marien bereits erahnen, was ihr dieser Schmerz sagen wollte. "Der Mistkerl, der unsere Fallen kaputt gemacht hatte?", fragte einer unter ihnen unsicher. "Ja und den wir dann Füße vorran zurückgebracht haben." "Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, wie es scheint." Mit einem wütenden Schrei stürzte sich Marien auf den nahestehensten Jäger. Dieser wich ihrem Angriff jedoch behände aus und bekam ihren Speer zu fassen. Mit einem Ruck wurde die junge Frau herumgerissen und fand sich schließlich zwischen dem Jäger und ihrer eigenen Waffe eingesperrt wieder. Der Schaft des Speeres wurde ihr an die Kehle gedrückt, wodurch sie gezwungen war, sich ruhig zu verhalten, da es ihr sonst die Luft abschnüren würde. Ileyf stand immer noch an demselben Fleck und musterte die Männer der Reihe nach. Seine blauen Augen schienen etwas zu suchen. „Lauf weg!“, rief Marien ihm zu. Er sollte nicht in ihre Angelegenheiten hineingezogen werden. Es reichte, wenn sie sich immer wieder in Schwierigkeiten brachte, nun musste sie ihn nicht auch noch in diese hineinzerren. Die Worte der jungen Frau rissen Ileyf aus seinen Gedanken. Er blickte den Jäger, welcher Marien in der Mangel hielt, wütend an, bevor er Mariens Augen fixierte. Er sah sie ernst und traurig an. „Es tut mir Leid, aber ich bin nicht der Richtige um dich zu beschützen“, sprach er zu ihr und ein flehender Ausdruck lag in seinen Gesichtzügen. Noch bevor Marien wusste, was er ihr damit sagen wollte, löste er sich im wahrsten Sinn der Worte in Luft auf. Als ob er nie zuvor existiert hätte, sackten seine Kleider zu Boden und blieben dort regungslos liegen. Alle Anwesenden starrten ungläubig auf den Haufen Stoff hinab. Plötzlich ertönte ein Schrei, welcher sich sogleich in ein erstickendes Röcheln verwandelte und schließlich ganz verstummte. Ein Jäger stürzte vorne über und landete mit dem Gesicht voran im weißen Schnee, welcher mit roten Punkten gesprenkelt wurde. Da wo einst sein Nacken gewesen war, klaffte ein Loch, aus welchem dunkles Blut floss. Über dem Leichnam stand der riesige schwarze Wolf, welchem Marien damals im Wald begegnet war. Drohend fletschte er seine Zähne, zwischen denen Fetzen seines Opfers hingen. Seine kalten blauen Augen blickten die Jäger herausfordernd an, doch diese brauchten einen weiteren Atemzug um die Lage zu erfassen. Auch Marien ging es nicht anders. Eine Stimme in ihr sagte ihr, dass das Auftauchen des Wolfes, etwas mit Ileyfs Verschwinden zu tun hatte, aber sie drängte diesen Gedanken zurück. So etwas war nicht möglich! Doch lange konnte sie nicht darüber sinnen. Die schwarze Bestie fiel bereits den nächsten der Männer an. Nun brach der Kampf los. Die Jäger versuchten einen Kreis um das Tier zu ziehen, um es zwischen ihren Waffen einzusperren und es anschließend in die Knie zu zwingen. Doch es gelang ihnen nicht. Immer wieder entging der Wolf ihren Bemühungen ihn einzufangen und fiel einen weiteren Angreifer an. Trotzdem ließen die Männer nicht locker, sodass die Attacken des Wolfes nie tödlich enden konnten. Mit jedem Atemzug wurden alle Beteiligten erschöpfter, die Bewegungen langsamer. Schließlich hielt die Bestie inne und die Männer schafften es sie einzukesseln. „Jetzt haben wir ihn!“, rief einer der Jäger triumphierend. Als ob es lachen würde, stieß das Tier ein kehliges Knurren aus. Obwohl es an seiner Stelle verharrte, schien es sich doch zu bewegen. Erschrocken wichen die Jäger zurück, als sich der Wolf vor ihnen in ein noch größeres Wesen wandelte. Ein eigenartiges Geschöpf mit grauer Haut und gewaltigen Zähnen stand plötzlich in ihrer Mitte. Mit einem ohrenbetäubenden Geräusch, welches an den Klang hunderter Trompeten erinnerte, schleuderte es den Jägern seine Hauer entgegen. In hohem Bogen flogen die Leiber der Männer durch die Luft. Waffen barsten unter der ungeheuren Kraft, mit der das fremdartige Tier seine sichelförmigen Zähne dagegen schlug. Niemand hatte auch nur den Hauch einer Chance, gegen diese Monstrosität anzukommen. Schließlich stand nur noch der Jäger, welcher Marien in seiner Gewalt hatte. Doch als das riesige Wesen auf ihn zuschritt, ließ er von der jungen Frau ab und suchte das Weite. Marien blieb wie erstarrt stehen. Die Angst lähmte ihre Glieder. Würde dieses Tier nun auch sie zerfleischen? Als ob die grauhäutige Bestie ihre Gedanken lesen könnte, hielt sie an. Erneut wandelte sich die Gestalt, bis schließlich wieder der schwarze Wolf vor ihr stand. Mit blutverschmiertem Maul schaute er zu ihr auf. Seine blauen Augen blickten forschend in Mariens. „Ileyf?“, hörte sie sich selbst sagen, als ob ihr Mund schneller als ihr Verstand war. Ungläubig betrachtete sie das Tier vor sich. Zögerlich machte der Wolf einen Schritt auf sie zu. Obwohl Marien zusammen zuckte, wich sie nicht vor ihm zurück, stattdessen sank sie auf ihre Knie. Nun war sie es die zu ihm aufschauen musste, während er immer näher kam. Erst als sie seinen Atem auf ihrem Gesicht spürte, hielt er inne. „Du bist es doch?“, flüsterte sie und streckte ihre Hand nach ihm aus. Zögerlich strich sie über seinen Kopf. Einen Wimperschlag später, kniete Ileyf dort, wo der Wolf gerade noch gestanden hatte und wandte seinen Blick zu Boden. „Es tut mir Leid“, sprach er leise. Marien betrachtete ihre Hand, welche immer noch auf seinem Kopf ruhte. Noch einen Moment zuvor hatte das schwarze Fell des Wolfes zwischen ihren Fingern hervor geschaut und nun lag Ileyfs halblanges blondes Haar zwischen diesen. Obwohl sie es gerade eben erlebt hatte, konnte sie es immer noch nicht ganz glauben. Trotzdem lenkte seine Entschuldigung ihre Aufmerksamkeit in eine andere Richtung. „Was tut dir leid?“, wollte sie wissen. Ihre Hand strich seitlich seines Gesichts hinab und legte sich unter sein Kinn. Sachte zwang sie ihn, sie anzusehen. Auch wenn er sich zuerst sträubte, so ließ er es doch geschehen und blickte sie traurig an. „Ich habe dich angelogen… Nicht nur was mich betrifft… sondern auch über deinen Vater“, gestand der junge Mann. Marien sah ihm tief in die Augen. „Du warst dabei, als es passierte.“ Ileyf nickte. „Er hat mich aus einer dieser Fallen befreit und mir zur Flucht verholfen. Die Jäger haben ihn dafür getötet… und ich habe dabei zugesehen…“ Ihre Gedanken überschlugen sich. Einerseits wusste sie, dass es unmöglich war, allein gegen so viele Gegner zu bestehen, aber andrerseits schien Ileyf so viel stärker zu sein als alles was sie bisher gesehen hatte. „Wieso hast du dich nicht in dieses riesige… Wesen verwandelt?“, kam es ihr schließlich doch über die Lippen. Obwohl sie sich für diese Frage schämte, machte sie Ileyf auch Vorwürfe. Nach allem was sie gesehen hatte, hätte er ihrem Vater das Leben retten können. Statt einer Antwort schüttelte Ileyf den Kopf und wandte abermals seinen Blick zu Boden. „Ich kann es nicht kontrollieren.“ Marien schlang ihre Arme um seinen Hals und drückte sich an ihn. „Es tut mir Leid. Ich hätte das nicht sagen sollen. Wenn du mich nicht gerettet hättest, wäre ich jetzt wahrscheinlich ebenfalls tot. Anstatt dir Vorwürfe zu machen, sollte ich dir danken.“ Es dauerte einen Moment, ehe Ileyf die Umarmung erwiderte. Lange verharrten sie in dieser Postition, bis Marien die Gänsehaut unter ihren Fingern spürte. Mit hochrotem Gesicht löste sie sich vom ihm. „Du solltest dich wieder anziehen!“ Sie sah ihn nicht an, als er aufstand und zu seinen Kleidern ging. Schweigend zog er sich an und wischte sich das Blut aus seinem Gesicht, welches bereits angetrocknet war. „Erzählst du mir deine Geschichte, wenn wir zuhause sind?“, sagte Marien schließlich und sah fragend zu ihm hinüber, während sie sich erhob. „Zuhause?“ Ileyf sah sie verwirrt an. „Bei mir. Wenn du mir ein wenig über dich erzählst, kannst du gerne den Winter über bei mir bleiben… und wenn du willst auch länger.“ Sie streckte ihm die Hand einladend entgegen. „Gerne“, antwortete er, als er diese ergriff und sanft drückte. „Bist du ein ‚Werwolf’?“, wollte Marien wissen, während sie die Böschung zu den Feldern hinab stiegen. Eine dünne Schneeschicht bedeckte das Land und nur die kleinen Stoppeln der abgeschnittenen Feldfrüchte ragten daraus hervor. Das Dorf wirkte wie ein kleines Gebirge, dass sich von seiner Umgebung abhob. Der junge Mann schmunzelte und musste ein Lachen unterdrücken. „Nein. Ich weiß nicht ob es so etwas wie Werwölfe wirklich gibt, aber wir sind Formwandler. Wir können verschiedene Gestalten annehmen.“ „Wir? Das heißt es gibt noch andere wie dich?“ „Ja…“, antwortete er und Marien konnte die Trauer in seiner Stimme hören. Sie überlegte gerade was sie nun sagen sollte, da sie spürte wie seine Laune sank, als plötzlich ein freudigentsetztes Geschrei ertönte. Die alte Bäuerin Karla hatte die beiden gesehen und Marien erkannt. Es dauerte nicht lange, bis ein kleiner Teil der Dorfgemeinschaft ihnen entgegen gerannt kam. Der Rest blieb in der Nähe der Häuser und beobachtete das Spektakel von der sicheren Ferne. Als der winzige Trupp die beiden erreichte, wurde Marien sogleich willkommen geheißen und umarmt. Sie musste sich eingestehen, dass sie den Leuten Unrecht getan hatte, als sie sich als Außenseiterin bezeichnet hatte. Doch sie erkannte in all jenen, die ihr wohl gesonnen entgegen gekommen waren, enge Freunde ihres Vaters. Ileyf wurde zu Anfang misstrauisch beäugt, doch nachdem ihn Marien als ihren Retter vorgestellt hatte, lockerte sich die Stimmung. Auch wenn Marien die Wahrheit über die Jäger schilderte, so verschwieg sie die Tatsache, dass Ileyf ein Formwandler war. Sie konnte nicht so recht einschätzen, wie die Dorfbewohner auf diese Nachricht reagieren würden. Das Risiko, dass sie ihn ablehnen würden, war einfach zu groß. Es dauerte einige Tage bis sich alles wieder normalisiert hatte und niemand mehr über „den Neuen“ oder die Jäger sprach. Marien hatte zwar weiterhin Probleme aufgrund ihrer familiären Gegebenheiten, aber sie ließ sich davon nicht unterkriegen. Ileyf wurde nach einiger Zeit so behandelt, als ob er schon ewig in dem kleinen Dorf wohnen würde, obwohl auch er mit einigen Leuten Schwierigkeiten hatte. Trotzdem wollte niemand auf die Hilfe der beiden verzichten, da sie regelmässig in den Wald gingen, um nach dem Rechten zu sehen, wo sich sonst niemand hintraute. Ein Wolf machte immer noch die Umgebung unsicher, so hieß es, und obwohl sich das Tier kaum in der Nähe des Dorfes blicken ließ, hatte jeder großen Respekt davor. Nur Marien und Ileyf wussten, wer sich unter dem Pelz verbarg. Obwohl der Winter das Land mit eiserner Hand und eisigem Atem unter seiner Herrschaft beugte, so kam für Marien der Frühling viel zu schnell. Ileyf stand in der offenen Tür und genoss die ersten Sonnenstrahlen des Tages in seinem Gesicht, als Marien erwachte. Die kühle Morgenluft ließ sie jedoch schnell munter werden, als sie sich im Bett aufsetzte und die Decke enger um sich zog. „Der Schnee ist schon komplett geschmolzen“, stellte der Formwandler fest. Er drehte sich dabei nicht zu ihr um, sondern hielt das Gesicht weiter ins wärmende Licht. Marien betrachtete traurig seinen Rücken. Den ganzen Winter über hatte sie versucht nicht daran zu denken, dass er mit Beginn des Frühlings weiterziehen würde. „Das heißt, die Pässe sind wieder frei…“, gab sie monoton von sich und vergrub ihr Gesicht in der Decke. „Ja“, erwiderte Ileyf und stieß sich vom Türrahmen ab. Er wandte sich um und ging zu ihrem Bett hinüber. Ein sanftes Lächeln umspielte seine Lippen, als er neben ihr Platz nahm. „Wann… wirst du aufbrechen?“, wollte Marien wissen, als sie spürte wie sich das Bett unter seinem Gewicht bewegte. „Willst du mich etwa schon los werden?“ „Nein!“, entgegnete sie sogleich und sah auf. „Mir… Ich wünschte, du würdest für immer hier bleiben.“ Ihr Gesicht lief rot an, während sie sprach und wandte deswegen ihren Blick auf ihre Hände vor sich. „Ich weiß nicht, ob ich für immer hier bleiben kann… Aber ich würde gerne für immer in deiner Nähe bleiben“, flüsterte er und schlang seine Arme um sie. Sanft drückte er Marien an sich, welche zunächst nicht wusste, ob sie nicht doch noch träumte. Ihr Herz machte solche Freudensprünge, dass es ihr die Tränen in die Augen trieb. Sie wollte Ileyf sagen, wie sehr sie dies glücklich machte, aber aus ihrem Mund kamen nur merkwürdige Laute, während sie seine Umarmung erwiderte. Doch auch so wusste der Formwandler, was sie damit ausdrücken wollte. „Außerdem muss ich dich und das Dorf vor dem großen bösen Wolf beschützen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)