Kleine und große Geschichten der 108 Sterne von Lionheart_Schwestern (One-Shot-Sammlung) ================================================================================ Wir können es nicht wissen, bevor wir es nicht versucht haben ------------------------------------------------------------- Das kleine Dorf Citro, in der Citro-Ebene war normalerweise ein sehr ruhiger Ort, besonders an den Abenden während der Blumen-Jahreszeit. Die wenigen Einwohner, die von der Ernte heimkehrten, liefen gemütlich umher, geschafft von ihrem Tagewerk oder unterhielten sich leise mit ihren Nachbarn – zumindest war das meistens so. Nicht so aber an diesem Abend. In einer kleinen Ecke von Citro standen vier Kinder um ein flackerndes Lagerfeuer herum und diskutierten eifrig miteinander. Die Einwohner wussten bereits, dass, wenn etwas im Dorf vor sich ging, es am ehesten von diesen Kindern ausging. Das Mädchen, Marica, schüttelte immer wieder mit dem Kopf. „Das ist doch Unsinn.“ Der stille Junge neben ihr, der den Namen Jale trug, nickte zustimmend. „Es ist unklug, es überhaupt zu versuchen.“ „Aber wir können es nicht wissen, bevor wir es nicht versucht haben!“, erwiderte Sieg energisch. „Oder was sagst du, Liu?“ Sein Blick ging zu dem dritten Jungen in der Gruppe, der bislang nur schweigend gelauscht hatte. Es war noch gar nicht so lange her, dass er in die Dorfgemeinschaft aufgenommen war, weswegen er sich anscheinend noch ein wenig zurückhielt. „Na ja, ich halte es auch für keine gute Idee“, brachte er schließlich nach einem nervösen Lachen hervor. Sieg, der ganz klar die Außenseiterposition einnahm, verschränkte murrend die Arme vor der Brust. Marica schüttelte darauf erneut mit dem Kopf. „Nur ein Idiot würde das wirklich ausprobieren wollen.“ Was nicht hieß, dass sie Sieg nicht manchmal für einen solchen hielt. „Wir können es nicht wissen, bevor wir es nicht versucht haben!“, beharrte er. Dies war sein Motto und er würde keinen Millimeter davon abrücken, egal welches Opfer er dafür bringen müsste – und seine Freunde wussten das ganz genau. Jale winkte schließlich ab. „Gut, dann mach es. Aber beschwer dich hinterher nicht bei uns.“ „Ganz bestimmt nicht“, sagte Sieg, bevor er sich an das Lagerfeuer wandte. „Danach werden wir es aber sicher wissen.“ Kopfschüttelnd betrachtete Sisuca die Hand des Jungen. „Sieg, Sieg, Sieg, wann lernst du endlich, auf deine Mama zu hören?“ „Du bist nicht meine Mutter“, erwiderte er brummend. Sie führte sich tatsächlich oft wie eine Mutter auf, dabei war sie nur einige Jahre älter als er und seine Freunde. Trotzdem glaubte sie, besonders für Sieg und Liu, eine Ersatzmutter zu sein und zeigte das auch immer wieder deutlich. Daher war sich jeder im Dorf sicher, dass sie eines Tages eine äußerst gute Mutter sein würde – für ein eigenes Kind. Lächelnd verpasste sie ihm eine Kopfnuss. „Werd ja nicht frech.“ „Aber wir können es nicht wissen, bevor wir es nicht versucht haben!“, bestand er nach wie vor. „Deswegen müssen wir es doch versuchen, oder?“ Er warf einen um Zustimmung heischenden Blick zu seinen Freunden, nur um festzustellen, dass diese bereits geflüchtet waren, um nicht auch eine Standpauke von Sisuca zu bekommen. Er brummte etwas Unverständliches ehe er sich wieder seiner selbsternannten Ziehmutter zuwandte. Diese war derweil damit beschäftigt, kühlende Salbe auf seiner leicht verbrannten Hand zu verteilen, bevor sie einen Verband darum befestigte. „Also~“, begann sie mit melodiöser Stimme, „sag deiner Mama was du heute gelernt hast, Sieg.“ Statt sie noch einmal darauf hinzuweisen, dass sie nicht seine Mutter war, seufzte er nur leise. „Feuer ist ernsthaft heiß genug, um einen zu verbrennen.“ Ohne dich --------- Ich weiß nicht, wie es weitergeht, wohin es geht, warum es geht Doch geht es leider Wo ich seh, wohin ich geh, bist einfach du und es geht leider weiter Immer weiter... ohne dich Letzte Instanz – Ohne dich Die meisten Menschen, die ich kannte, waren glücklich über Sonnenstrahlen. Viele erfreuten sich sogar an diesen, wenn sie davon geweckt wurden. Vor wenigen Wochen noch hatte ich zu ihnen gehört. Jeder Morgen war ein Geschenk gewesen; mich genüsslich zu strecken und dann aufzustehen, war für mich das Höchste der Gefühle gewesen – weil mein Weg mich nach dem Aufstehen direkt zu Hix geführt hatte. Doch nun... Schon allein der Gedanken an diesen Namen, der früher mein Innerstes erfüllt hatte, ließ selbiges inzwischen schmerzhaft zusammenziehen. Alles in meinem Inneren ballte sich zu einem eiskalten Knäuel, jeglicher Hunger wandelte sich in das Bedürfnis, mich übergeben zu wollen und selbst der blaue Himmel erschien mir stahlgrau und leblos. Jedes Mal dachte ich dann wieder an diesen grauenvollen Anblick, den Moment, in dem ich mir gewünscht hatte, mein Herz möge stillstehen, nur um zu erleben, wie es unbarmherzig weiterschlug, ganz im Gegensatz zu dem von Hix. Wieder hielt ich seinen leblosen, rasch abkühlenden Körper in meinem Arm, spürte das immer noch warme Blut, das sich über meine Kleidung ergoss und hörte meine eigenen verzweifelten Schreie in meinen Ohren. Das alles löste ein einzelner Sonnenstrahl in mir aus, weswegen ich jeden Morgen seit diesem Tag auf dieselbe Art reagierte, sobald mein Körper es wieder zuließ, dass ich mich bewegte: Ich drehte mich auf die andere Seite und verkroch mich tiefer unter meiner Decke, mein einziger Schutz in dieser Welt, in der kein Hix mehr existierte. Was gäbe ich nur für einen Regentag? Regen erinnerte mich auch an ihn, aber auf eine ganz andere Art und Weise. Als Kinder waren wir an Regentagen stets mit Decken beieinander am Fenster gesessen, um den Niederschlag zu beobachten. Dabei hatten wir uns über unsere Zukunft unterhalten, sie uns in den schillerndsten Farben ausgemalt. Wir beide wollten das Dorf umkrempeln, starre Regeln auflockern, in Vergessenheit geratene Traditionen auffrischen und vor allem wollten wir uns verstärkt um den Nachwuchs kümmern, damit das Dorf nicht einfach ausstarb. Wenn ich es recht bedenke, ging es wohl mehr um meine Zukunft, immerhin war ich die Tochter des Dorfchefs und das würde mein Mann auch einmal sein. Mein Mann... das hätte Hix sein sollen. Damals dachte natürlich noch keiner von uns ernsthaft daran, aber je älter wir wurden desto klarer kristallisierte es sich heraus. Auch wenn zumindest ich es mir nie hatte eingestehen wollen, bis er es schaffte, mich aus Neclords Gefangenschaft zu befreien. Etwas, was ihm kaum einer zugetraut hätte, außer mein Vater und ich. Von da an, war auch mir mein Schicksal glasklar gewesen – bis zu jenem Tag, der wieder alles verändert hatte. Es war nie Hix' Wunsch gewesen, zu kämpfen, ich hatte ihn dazu gedrängt, nur wegen mir war er auf das Schlachtfeld gegangen – ich war Schuld an seinem Tod. Das Schuldgefühl zerfraß mich fast ebenso sehr wie seine Abwesenheit allein. Immer waren wir zusammen gewesen, schon seit frühester Kindheit, sogar meine ersten Erinnerungen beinhalteten nur ihn. Ich war noch nie so lange von ihm getrennt gewesen. Selbst als ich mich in Neclords Gefangenschaft befunden hatte, war da zumindest die Hoffnung gewesen, dass er bald kommen würde, um mich zu retten. was er auch tatsächlich getan hatte. Und als Dank schickte ich ihn in den Tod. Er würde nie wiederkommen und die Schuldgefühle würden mich langsam von innen heraus zerfressen, dessen war ich mir sicher. Mein Vater, der in dieser Zeit meine Stütze sein sollte, war deutlich überfordert von mir. Ich liebte ihn über alle Maßen, er war alles, was ich an Eltern besaß, aber abgesehen von den Geschichten über seine Vorfahren, wusste er mir nicht viel zu erzählen. Er konnte nicht sonderlich gut mit Emotionen, besonders denen anderer Menschen, umgehen. Ich war mir sicher, dass Hix' Tod auch ihn traf – immerhin war er schon fast wie ein Sohn für meinen Vater gewesen – aber er ging damit vollkommen anders um als ich oder sonst jemand in der Armee. Im Gegensatz zu unseren Mitstreitern in der Armee, die allesamt sprachlos gewesen waren, aber zumindest mit mir gefühlt hatten, konnte mein Vater mir immer wieder nur sagen, dass die Zeit alle Wunden heilen würde. Ich konnte mir das nicht vorstellen. Wie sollte allein die Tatsache, dass Tage, Wochen und Monate verstrichen, dafür sorgen, dass es einem besser ging? Dass man die geliebte Person nicht mehr vermisste? Es war unmöglich, konnte einfach nicht sein. Vor allem, wenn man gar nicht wusste, wieviel Zeit eigentlich verging. Nach Ende des Torrunenkrieges war ich wieder nach Hause zurückgekehrt, aber bislang konnte ich nicht sagen, wie lange das inzwischen her war. Ich verbrachte all die Zeit in meinem Bett, schlafend oder weinend, es fiel mir schwer, das in Tage einzuteilen. Ich wusste, früher oder später müsste ich wieder ins Leben zurückfinden, ohne Hix, auch wenn mir das unsagbar schwer fiel. Früher war mir nie klar gewesen, wie wichtig er für mich und mein Leben war, wahrscheinlich weil er immer bei mir gewesen war. Es war bekannt, dass man etwas erst vermisste, wenn es nicht mehr da war und besonders in diesem Fall traf ich zu. Ein Lächeln schlich sich unerwartet auf mein Gesicht, als ich wieder an ihn dachte und daran, was er wohl über mein Verhalten denken würde. Bestimmt würde er nicht wollen, dass ich mir für immer die Augen ausweinte, er würde wollen, dass ich glücklich bin und mir nicht die Schuld gebe, selbst wenn es die Wahrheit war. Und ich... ich würde tun, was er wollte, einmal in meinem Leben wollte ich nach seiner Pfeife tanzen und nicht er nach meiner, auch wenn er nicht mehr hier war, um das zu erleben. Ich würde mein Leben weiterführen, als Tochter des Chefs vom Dorf der Krieger und die Traditionen unseres Dorfs weiterführen, genau wie Hix es sich gewünscht hätte. Aber noch war die Zeit nicht gekommen. Vorerst würde ich mich weiter meinem Schmerz hingeben, in der Hoffnung, dass dieser eines Tages nachlassen würde und ich wieder ohne das kalte Gefühl in meinem Inneren an ihn denken konnte. Sobald ich die Sonnenstrahlen wieder ertragen konnte, würde ich wissen, dass es soweit war und wenn dieser Tag gekommen war, würde ich wieder mein ganz alltägliches Leben leben – ohne Hix, der aber mit Sicherheit unsagbar stolz auf mich wäre. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)